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Allgemeine Zeitung. Nr. 58. Augsburg, 27. Februar 1840.

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der Witz; in diesen Räumen, die an die tragische Leidenschaft der Hugenotten und die ernsten Chöre Wilhelm Tells gewohnt sind, schürzen und entwirren sich jetzt hundert Komödien der hohen und niedern Welt; hier aus dem Seitengange taucht spähend ein weiblicher, strengverschlossener Domino hervor, den Beobachter in Ungewißheit lassend, ob Absichten boshafter Neckerei oder Gefühle verbotener Zärtlichkeit der vermummten Dame Herz erfüllen; dort spürt ein Jäger galanter Abenteuer nach einem Wilde, das gerade nicht im Revier ist, jagt herüber, jagt hinüber, suchend, was er nicht finden kann, als wär' er ein Philosoph. Die tanzende Gruppe ist völlig leichtes Volk, das hier jedoch weniger Freiheit der Bewegungen, als anderswo hat; die Symbolik der Stellungen und Gebärden, obgleich immer noch ausdrucksvoll, muß sich doch einigen Rückhalt auferlegen und ihre Bravour mehr in andeutender Schelmerei, als plastischer Entwicklung zeigen. Man will nicht, daß der heimathliche Tempel "der Vestalin" durch eine allzu freie Entfaltung priapischer Ausgelassenheit entweiht werde, vergißt aber, daß ihn schlechte Musik und abscheulicher Gesang schon oft fast noch ärger beleidigten. In der Renaissance dagegen, wo sich während des ganzen Jahres die Poesie selbst nur an die sinnlicheren Regungen des Menschen wendet, überläßt auch der Tanz sich der ganzen Fülle seiner Sinnlichkeit. Und dennoch brachte neulich gerade hieher, durch eine der Launen, die ihr eigen sind, die beste Gesellschaft zur Linderung höchst achtbaren Unglücks ihre Geschenke und ihre Anmuth, ihren gewählteu Glanz und ihren anständigen Rückhalt - hier hatte vor einigen Wochen der Ball für die Pensionäre der ehemaligen Civilliste statt. Aus Parteisinn tanzte man und unterhielt sich königlich aus Mitleid. Wir leben wirklich in einer tanzenden Epoche: mit Tanzen wird Alles aus- und abgemacht; man tanzt für und wider, hält republicanische und monarchische, constitutionelle und absolute, Polen- und Russen-Bälle. Maria Taglioni ist die Löwin des größten Kaiserreichs, und unter den großen Männern unserer Tage wird die Nachwelt einen Strauß und Lanner mit lächelnder Verwunderung entdecken.

Für den Erforscher und Maler menschlicher Thorheiten mag das Studium des hiesigen Carnevals in höherem Sinne ein Gewinn seyn; doch ist es unterrichtend auch für den, der ein belehrendes Vergnügen daran findet, die verschiedenen Volkstrachten Europa's in dem Rahmen einer Stadt, wie in einem Skizzenbuche vereint zu finden. Von selbst versteht es sich, daß all diese Trachten eine theatralische Verfeinerung erhielten, und so kommt es oft hier durch ein drolliges Spiel der Dinge, daß der Mensch, während er sich selbst gemein macht, die Maske, die er wählt, veredelt. Und wie der Volksputz verschiedener Länder kommen auch die Anzüge verschiedener Epochen zum Vorschein, und so kann man durch die leichteste Vergleichung sehen, wie sehr die Frauenmoden des Augenblick denen des Mitelalters sich nähern. Sie scheinen demselben Triebe der Zeit zu folgen, der auch der Baukunst die sinnvolle Feinheit ihrer gothischen Formen zurückgab, den schriftlichen Nachlaß jener Jahrhunderte, die lange für eine Aera christlicher Barbarei galten, mit Eifer durchgeht, und alle Denkmale der Bildung, die sie besaßen, die aber der vulcanische Ausbruch neuer Ideen verschüttet und auf lange dem Auge der Welt verborgen hatte, wie ein anderes Pompeji mit forschender Gerechtigkeit wieder an das Licht zieht. Die Mode ging übrigens immer mit der Bewegung ihrer Zeit. Als im vorigen Jahrhundert die Philosophie den freien Strom des Lebens in die engen Canäle prosaischer Nützlichkeit eindämmen wollte, waltete eben nicht Sinn für dichterische Schönheit in den Anordnungen der Toilette, und unter dem Kaiserreich theilte ihr das Commandowort der Caserne die allgemeine Steifheit mit, die der blinden Unterwerfung unter die Willkür eines Einzigen entsprechen mußte; jetzt, da der duldsame Geist des Geschlechts jeden gehen läßt, wohin es ihn zu gehen beliebt, rechts oder links, vor oder zurück, und keine stärkere Macht sie fortzieht, hat die Mode freies Spiel und kann sich wenden, wohin die Grazie, ihre beste Rathgeberin, ihr vorschlägt sich zu wenden. Die Grazie aber ist aus Frankreich nie entflohen, nicht die Unthaten politischer Erbitterung, nicht die Frevel romantischer Verirrung haben sie verscheucht. Hier verdrängt, taucht dort sie auf; trieb sie jacobinischer Wahnsinn aus Senat und Salon, so lehrte sie muthigen und erhabenen Frauen mit auf das Schaffott jene edle Scham bringen, die der antike Dichter an der sterbenden Polyxena uns rühmt; nahm das rohe Drama ihr die Bühne, so steigt sie, Rang und Stolz vergessend, herab in die Sphäre der Caricatur, und gibt den Verzerrungen des Spottes ungewohnte Feinheit und Vollendung. Die stärksten Gewalten sind dem Orkan erlegen; das zarte zerbrechliche Kind, die Grazie, hat glücklich sich gerettet. Fortwährend bewacht und reinigt sie die Gesetze des Umgangs, regiert die Sprache, denn was hier Styl, was Esprit heißt, was ist es anders, als jene schickliche und feine Art des Ausdrucks, welche die Grazie nur umgibt? Sie stellt tausend nette Kleinigkeiten in der gefälligsten Verwirrung zusammen, herrscht in der Werkstätte der Modistin, wirft die zierliche Mantille mit kunstvoller Nachlässigkeit um die Schultern schöner Frauen, und tritt endlich durch die Aristokratie der gebildeten Sitte, deren Patronin sie ist, dem Despotismus der allmächtigen Gleichheit entgegen.

Als einen ihrer vorzüglichen Lieblinge nennt die öffentliche Stimmung ohne Widerspruch den Grafen Mole. Die selbst, die als Staatsmann mit so hartnäckiger Bitterkeit ihn verfolgten, erkennen die Eleganz seines Geistes und seiner geselligen Formen an. Er ist für die Sache des Bestehenden, was etwa Lafayette für die seinige, Martignac für die der zurückgekehrten Bourbone war - ihr liebenswürdigster Verfechter. Darum fand auch seine Bewerbung um den akademischen Sitz des Hrn. von Quelen so wenig Widerstand, nicht sowohl um der musterhaften Charakteristik willen, die er von Mathieu Mole, seinem Ahnherrn entwarf, als weil man Niemand außer ihm Tact und Würde genug zutraut, den verstorbenen Prälaten mit Anstand und Wahrheit zu loben, und die Schwierigkeiten des Thema's ohne Zwang zu überwinden. Der Sitz des Hrn. von Quelen wurde bisher fast ohne Unterbrechung von Fürsten der Kirche eingenommen; jetzt endlich gab ihm der Umschwung der Ereignisse einen anderen Besitzer. Die Kirche verliert ihre weltlichen Ehren, eine nach der andern; allein sie verliert sie in einer Zeit, da diese Ehren selbst an Rang und Bedeutung täglich mehr einbüßen. Was sie Unzerstörbares hat, mag ihr unbenommen bleiben, und wie in den Tagen ihres Entstehens kann sie ein Vorbild der Aufopferung, eine Leuchte der Seelen, die Zuflucht der Betrübten und die Wärterin des Unglücks seyn. Den Dichter der Herbstblätter und Dämmerliede hat die Akademie abermals zurückgewiesen. Sie wollte Classikern und Romantikern zu gleicher Zeit nicht huldigen, wollte nicht, daß man von ihr sage, sie hätte, unvermögend alle Erfordernisse des Genie's in einem Geiste und vereint zu finden, die wilde Kraft in Hugo's Wahl, den zähmenden Geschmack in der des Grafen sich angeeignet, wie man sich an den Fragmenten zweier antiken Statuen freut, wenn man Eine vollendete nicht finden kann.

der Witz; in diesen Räumen, die an die tragische Leidenschaft der Hugenotten und die ernsten Chöre Wilhelm Tells gewohnt sind, schürzen und entwirren sich jetzt hundert Komödien der hohen und niedern Welt; hier aus dem Seitengange taucht spähend ein weiblicher, strengverschlossener Domino hervor, den Beobachter in Ungewißheit lassend, ob Absichten boshafter Neckerei oder Gefühle verbotener Zärtlichkeit der vermummten Dame Herz erfüllen; dort spürt ein Jäger galanter Abenteuer nach einem Wilde, das gerade nicht im Revier ist, jagt herüber, jagt hinüber, suchend, was er nicht finden kann, als wär' er ein Philosoph. Die tanzende Gruppe ist völlig leichtes Volk, das hier jedoch weniger Freiheit der Bewegungen, als anderswo hat; die Symbolik der Stellungen und Gebärden, obgleich immer noch ausdrucksvoll, muß sich doch einigen Rückhalt auferlegen und ihre Bravour mehr in andeutender Schelmerei, als plastischer Entwicklung zeigen. Man will nicht, daß der heimathliche Tempel „der Vestalin“ durch eine allzu freie Entfaltung priapischer Ausgelassenheit entweiht werde, vergißt aber, daß ihn schlechte Musik und abscheulicher Gesang schon oft fast noch ärger beleidigten. In der Renaissance dagegen, wo sich während des ganzen Jahres die Poesie selbst nur an die sinnlicheren Regungen des Menschen wendet, überläßt auch der Tanz sich der ganzen Fülle seiner Sinnlichkeit. Und dennoch brachte neulich gerade hieher, durch eine der Launen, die ihr eigen sind, die beste Gesellschaft zur Linderung höchst achtbaren Unglücks ihre Geschenke und ihre Anmuth, ihren gewählteu Glanz und ihren anständigen Rückhalt – hier hatte vor einigen Wochen der Ball für die Pensionäre der ehemaligen Civilliste statt. Aus Parteisinn tanzte man und unterhielt sich königlich aus Mitleid. Wir leben wirklich in einer tanzenden Epoche: mit Tanzen wird Alles aus- und abgemacht; man tanzt für und wider, hält republicanische und monarchische, constitutionelle und absolute, Polen- und Russen-Bälle. Maria Taglioni ist die Löwin des größten Kaiserreichs, und unter den großen Männern unserer Tage wird die Nachwelt einen Strauß und Lanner mit lächelnder Verwunderung entdecken.

Für den Erforscher und Maler menschlicher Thorheiten mag das Studium des hiesigen Carnevals in höherem Sinne ein Gewinn seyn; doch ist es unterrichtend auch für den, der ein belehrendes Vergnügen daran findet, die verschiedenen Volkstrachten Europa's in dem Rahmen einer Stadt, wie in einem Skizzenbuche vereint zu finden. Von selbst versteht es sich, daß all diese Trachten eine theatralische Verfeinerung erhielten, und so kommt es oft hier durch ein drolliges Spiel der Dinge, daß der Mensch, während er sich selbst gemein macht, die Maske, die er wählt, veredelt. Und wie der Volksputz verschiedener Länder kommen auch die Anzüge verschiedener Epochen zum Vorschein, und so kann man durch die leichteste Vergleichung sehen, wie sehr die Frauenmoden des Augenblick denen des Mitelalters sich nähern. Sie scheinen demselben Triebe der Zeit zu folgen, der auch der Baukunst die sinnvolle Feinheit ihrer gothischen Formen zurückgab, den schriftlichen Nachlaß jener Jahrhunderte, die lange für eine Aera christlicher Barbarei galten, mit Eifer durchgeht, und alle Denkmale der Bildung, die sie besaßen, die aber der vulcanische Ausbruch neuer Ideen verschüttet und auf lange dem Auge der Welt verborgen hatte, wie ein anderes Pompeji mit forschender Gerechtigkeit wieder an das Licht zieht. Die Mode ging übrigens immer mit der Bewegung ihrer Zeit. Als im vorigen Jahrhundert die Philosophie den freien Strom des Lebens in die engen Canäle prosaischer Nützlichkeit eindämmen wollte, waltete eben nicht Sinn für dichterische Schönheit in den Anordnungen der Toilette, und unter dem Kaiserreich theilte ihr das Commandowort der Caserne die allgemeine Steifheit mit, die der blinden Unterwerfung unter die Willkür eines Einzigen entsprechen mußte; jetzt, da der duldsame Geist des Geschlechts jeden gehen läßt, wohin es ihn zu gehen beliebt, rechts oder links, vor oder zurück, und keine stärkere Macht sie fortzieht, hat die Mode freies Spiel und kann sich wenden, wohin die Grazie, ihre beste Rathgeberin, ihr vorschlägt sich zu wenden. Die Grazie aber ist aus Frankreich nie entflohen, nicht die Unthaten politischer Erbitterung, nicht die Frevel romantischer Verirrung haben sie verscheucht. Hier verdrängt, taucht dort sie auf; trieb sie jacobinischer Wahnsinn aus Senat und Salon, so lehrte sie muthigen und erhabenen Frauen mit auf das Schaffott jene edle Scham bringen, die der antike Dichter an der sterbenden Polyxena uns rühmt; nahm das rohe Drama ihr die Bühne, so steigt sie, Rang und Stolz vergessend, herab in die Sphäre der Caricatur, und gibt den Verzerrungen des Spottes ungewohnte Feinheit und Vollendung. Die stärksten Gewalten sind dem Orkan erlegen; das zarte zerbrechliche Kind, die Grazie, hat glücklich sich gerettet. Fortwährend bewacht und reinigt sie die Gesetze des Umgangs, regiert die Sprache, denn was hier Styl, was Esprit heißt, was ist es anders, als jene schickliche und feine Art des Ausdrucks, welche die Grazie nur umgibt? Sie stellt tausend nette Kleinigkeiten in der gefälligsten Verwirrung zusammen, herrscht in der Werkstätte der Modistin, wirft die zierliche Mantille mit kunstvoller Nachlässigkeit um die Schultern schöner Frauen, und tritt endlich durch die Aristokratie der gebildeten Sitte, deren Patronin sie ist, dem Despotismus der allmächtigen Gleichheit entgegen.

Als einen ihrer vorzüglichen Lieblinge nennt die öffentliche Stimmung ohne Widerspruch den Grafen Molé. Die selbst, die als Staatsmann mit so hartnäckiger Bitterkeit ihn verfolgten, erkennen die Eleganz seines Geistes und seiner geselligen Formen an. Er ist für die Sache des Bestehenden, was etwa Lafayette für die seinige, Martignac für die der zurückgekehrten Bourbone war – ihr liebenswürdigster Verfechter. Darum fand auch seine Bewerbung um den akademischen Sitz des Hrn. von Quelen so wenig Widerstand, nicht sowohl um der musterhaften Charakteristik willen, die er von Mathieu Molé, seinem Ahnherrn entwarf, als weil man Niemand außer ihm Tact und Würde genug zutraut, den verstorbenen Prälaten mit Anstand und Wahrheit zu loben, und die Schwierigkeiten des Thema's ohne Zwang zu überwinden. Der Sitz des Hrn. von Quelen wurde bisher fast ohne Unterbrechung von Fürsten der Kirche eingenommen; jetzt endlich gab ihm der Umschwung der Ereignisse einen anderen Besitzer. Die Kirche verliert ihre weltlichen Ehren, eine nach der andern; allein sie verliert sie in einer Zeit, da diese Ehren selbst an Rang und Bedeutung täglich mehr einbüßen. Was sie Unzerstörbares hat, mag ihr unbenommen bleiben, und wie in den Tagen ihres Entstehens kann sie ein Vorbild der Aufopferung, eine Leuchte der Seelen, die Zuflucht der Betrübten und die Wärterin des Unglücks seyn. Den Dichter der Herbstblätter und Dämmerliede hat die Akademie abermals zurückgewiesen. Sie wollte Classikern und Romantikern zu gleicher Zeit nicht huldigen, wollte nicht, daß man von ihr sage, sie hätte, unvermögend alle Erfordernisse des Genie's in einem Geiste und vereint zu finden, die wilde Kraft in Hugo's Wahl, den zähmenden Geschmack in der des Grafen sich angeeignet, wie man sich an den Fragmenten zweier antiken Statuen freut, wenn man Eine vollendete nicht finden kann.

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der Witz; in diesen Räumen, die an die tragische Leidenschaft der Hugenotten und die ernsten Chöre Wilhelm Tells gewohnt sind, schürzen und entwirren sich jetzt hundert Komödien der hohen und niedern Welt; hier aus dem Seitengange taucht spähend ein weiblicher, strengverschlossener Domino hervor, den Beobachter in Ungewißheit lassend, ob Absichten boshafter Neckerei oder Gefühle verbotener Zärtlichkeit der vermummten Dame Herz erfüllen; dort spürt ein Jäger galanter Abenteuer nach einem Wilde, das gerade nicht im Revier ist, jagt herüber, jagt hinüber, suchend, was er nicht finden kann, als wär' er ein Philosoph. Die tanzende Gruppe ist völlig leichtes Volk, das hier jedoch weniger Freiheit der Bewegungen, als anderswo hat; die Symbolik der Stellungen und Gebärden, obgleich immer noch ausdrucksvoll, muß sich doch einigen Rückhalt auferlegen und ihre Bravour mehr in andeutender Schelmerei, als plastischer Entwicklung zeigen. Man will nicht, daß der heimathliche Tempel &#x201E;der Vestalin&#x201C; durch eine allzu freie Entfaltung priapischer Ausgelassenheit entweiht werde, vergißt aber, daß ihn schlechte Musik und abscheulicher Gesang schon oft fast noch ärger beleidigten. In der Renaissance dagegen, wo sich während des ganzen Jahres die Poesie selbst nur an die sinnlicheren Regungen des Menschen wendet, überläßt auch der Tanz sich der ganzen Fülle seiner Sinnlichkeit. Und dennoch brachte neulich gerade hieher, durch eine der Launen, die ihr eigen sind, die beste Gesellschaft zur Linderung höchst achtbaren Unglücks ihre Geschenke und ihre Anmuth, ihren gewählteu Glanz und ihren anständigen Rückhalt &#x2013; hier hatte vor einigen Wochen der Ball für die Pensionäre der ehemaligen Civilliste statt. Aus Parteisinn tanzte man und unterhielt sich königlich aus Mitleid. Wir leben wirklich in einer tanzenden Epoche: mit Tanzen wird Alles aus- und abgemacht; man tanzt für und wider, hält republicanische und monarchische, constitutionelle und absolute, Polen- und Russen-Bälle. Maria Taglioni ist die Löwin des größten Kaiserreichs, und unter den großen Männern unserer Tage wird die Nachwelt einen Strauß und Lanner mit lächelnder Verwunderung entdecken.</p><lb/>
          <p>Für den Erforscher und Maler menschlicher Thorheiten mag das Studium des hiesigen Carnevals in höherem Sinne ein Gewinn seyn; doch ist es unterrichtend auch für den, der ein belehrendes Vergnügen daran findet, die verschiedenen Volkstrachten Europa's in dem Rahmen einer Stadt, wie in einem Skizzenbuche vereint zu finden. Von selbst versteht es sich, daß all diese Trachten eine theatralische Verfeinerung erhielten, und so kommt es oft hier durch ein drolliges Spiel der Dinge, daß der Mensch, während er sich selbst gemein macht, die Maske, die er wählt, veredelt. Und wie der Volksputz verschiedener Länder kommen auch die Anzüge verschiedener Epochen zum Vorschein, und so kann man durch die leichteste Vergleichung sehen, wie sehr die Frauenmoden des Augenblick denen des Mitelalters sich nähern. Sie scheinen demselben Triebe der Zeit zu folgen, der auch der Baukunst die sinnvolle Feinheit ihrer gothischen Formen zurückgab, den schriftlichen Nachlaß jener Jahrhunderte, die lange für eine Aera christlicher Barbarei galten, mit Eifer durchgeht, und alle Denkmale der Bildung, die sie besaßen, die aber der vulcanische Ausbruch neuer Ideen verschüttet und auf lange dem Auge der Welt verborgen hatte, wie ein anderes Pompeji mit forschender Gerechtigkeit wieder an das Licht zieht. Die Mode ging übrigens immer mit der Bewegung ihrer Zeit. Als im vorigen Jahrhundert die Philosophie den freien Strom des Lebens in die engen Canäle prosaischer Nützlichkeit eindämmen wollte, waltete eben nicht Sinn für dichterische Schönheit in den Anordnungen der Toilette, und unter dem Kaiserreich theilte ihr das Commandowort der Caserne die allgemeine Steifheit mit, die der blinden Unterwerfung unter die Willkür eines Einzigen entsprechen mußte; jetzt, da der duldsame Geist des Geschlechts jeden gehen läßt, wohin es ihn zu gehen beliebt, rechts oder links, vor oder zurück, und keine stärkere Macht sie fortzieht, hat die Mode freies Spiel und kann sich wenden, wohin die Grazie, ihre beste Rathgeberin, ihr vorschlägt sich zu wenden. Die Grazie aber ist aus Frankreich nie entflohen, nicht die Unthaten politischer Erbitterung, nicht die Frevel romantischer Verirrung haben sie verscheucht. Hier verdrängt, taucht dort sie auf; trieb sie jacobinischer Wahnsinn aus Senat und Salon, so lehrte sie muthigen und erhabenen Frauen mit auf das Schaffott jene edle Scham bringen, die der antike Dichter an der sterbenden Polyxena uns rühmt; nahm das rohe Drama ihr die Bühne, so steigt sie, Rang und Stolz vergessend, herab in die Sphäre der Caricatur, und gibt den Verzerrungen des Spottes ungewohnte Feinheit und Vollendung. Die stärksten Gewalten sind dem Orkan erlegen; das zarte zerbrechliche Kind, die Grazie, hat glücklich sich gerettet. Fortwährend bewacht und reinigt sie die Gesetze des Umgangs, regiert die Sprache, denn was hier Styl, was Esprit heißt, was ist es anders, als jene schickliche und feine Art des Ausdrucks, welche die Grazie nur umgibt? Sie stellt tausend nette Kleinigkeiten in der gefälligsten Verwirrung zusammen, herrscht in der Werkstätte der Modistin, wirft die zierliche Mantille mit kunstvoller Nachlässigkeit um die Schultern schöner Frauen, und tritt endlich durch die Aristokratie der gebildeten Sitte, deren Patronin sie ist, dem Despotismus der allmächtigen Gleichheit entgegen.</p><lb/>
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[0459/0011] der Witz; in diesen Räumen, die an die tragische Leidenschaft der Hugenotten und die ernsten Chöre Wilhelm Tells gewohnt sind, schürzen und entwirren sich jetzt hundert Komödien der hohen und niedern Welt; hier aus dem Seitengange taucht spähend ein weiblicher, strengverschlossener Domino hervor, den Beobachter in Ungewißheit lassend, ob Absichten boshafter Neckerei oder Gefühle verbotener Zärtlichkeit der vermummten Dame Herz erfüllen; dort spürt ein Jäger galanter Abenteuer nach einem Wilde, das gerade nicht im Revier ist, jagt herüber, jagt hinüber, suchend, was er nicht finden kann, als wär' er ein Philosoph. Die tanzende Gruppe ist völlig leichtes Volk, das hier jedoch weniger Freiheit der Bewegungen, als anderswo hat; die Symbolik der Stellungen und Gebärden, obgleich immer noch ausdrucksvoll, muß sich doch einigen Rückhalt auferlegen und ihre Bravour mehr in andeutender Schelmerei, als plastischer Entwicklung zeigen. Man will nicht, daß der heimathliche Tempel „der Vestalin“ durch eine allzu freie Entfaltung priapischer Ausgelassenheit entweiht werde, vergißt aber, daß ihn schlechte Musik und abscheulicher Gesang schon oft fast noch ärger beleidigten. In der Renaissance dagegen, wo sich während des ganzen Jahres die Poesie selbst nur an die sinnlicheren Regungen des Menschen wendet, überläßt auch der Tanz sich der ganzen Fülle seiner Sinnlichkeit. Und dennoch brachte neulich gerade hieher, durch eine der Launen, die ihr eigen sind, die beste Gesellschaft zur Linderung höchst achtbaren Unglücks ihre Geschenke und ihre Anmuth, ihren gewählteu Glanz und ihren anständigen Rückhalt – hier hatte vor einigen Wochen der Ball für die Pensionäre der ehemaligen Civilliste statt. Aus Parteisinn tanzte man und unterhielt sich königlich aus Mitleid. Wir leben wirklich in einer tanzenden Epoche: mit Tanzen wird Alles aus- und abgemacht; man tanzt für und wider, hält republicanische und monarchische, constitutionelle und absolute, Polen- und Russen-Bälle. Maria Taglioni ist die Löwin des größten Kaiserreichs, und unter den großen Männern unserer Tage wird die Nachwelt einen Strauß und Lanner mit lächelnder Verwunderung entdecken. Für den Erforscher und Maler menschlicher Thorheiten mag das Studium des hiesigen Carnevals in höherem Sinne ein Gewinn seyn; doch ist es unterrichtend auch für den, der ein belehrendes Vergnügen daran findet, die verschiedenen Volkstrachten Europa's in dem Rahmen einer Stadt, wie in einem Skizzenbuche vereint zu finden. Von selbst versteht es sich, daß all diese Trachten eine theatralische Verfeinerung erhielten, und so kommt es oft hier durch ein drolliges Spiel der Dinge, daß der Mensch, während er sich selbst gemein macht, die Maske, die er wählt, veredelt. Und wie der Volksputz verschiedener Länder kommen auch die Anzüge verschiedener Epochen zum Vorschein, und so kann man durch die leichteste Vergleichung sehen, wie sehr die Frauenmoden des Augenblick denen des Mitelalters sich nähern. Sie scheinen demselben Triebe der Zeit zu folgen, der auch der Baukunst die sinnvolle Feinheit ihrer gothischen Formen zurückgab, den schriftlichen Nachlaß jener Jahrhunderte, die lange für eine Aera christlicher Barbarei galten, mit Eifer durchgeht, und alle Denkmale der Bildung, die sie besaßen, die aber der vulcanische Ausbruch neuer Ideen verschüttet und auf lange dem Auge der Welt verborgen hatte, wie ein anderes Pompeji mit forschender Gerechtigkeit wieder an das Licht zieht. Die Mode ging übrigens immer mit der Bewegung ihrer Zeit. Als im vorigen Jahrhundert die Philosophie den freien Strom des Lebens in die engen Canäle prosaischer Nützlichkeit eindämmen wollte, waltete eben nicht Sinn für dichterische Schönheit in den Anordnungen der Toilette, und unter dem Kaiserreich theilte ihr das Commandowort der Caserne die allgemeine Steifheit mit, die der blinden Unterwerfung unter die Willkür eines Einzigen entsprechen mußte; jetzt, da der duldsame Geist des Geschlechts jeden gehen läßt, wohin es ihn zu gehen beliebt, rechts oder links, vor oder zurück, und keine stärkere Macht sie fortzieht, hat die Mode freies Spiel und kann sich wenden, wohin die Grazie, ihre beste Rathgeberin, ihr vorschlägt sich zu wenden. Die Grazie aber ist aus Frankreich nie entflohen, nicht die Unthaten politischer Erbitterung, nicht die Frevel romantischer Verirrung haben sie verscheucht. Hier verdrängt, taucht dort sie auf; trieb sie jacobinischer Wahnsinn aus Senat und Salon, so lehrte sie muthigen und erhabenen Frauen mit auf das Schaffott jene edle Scham bringen, die der antike Dichter an der sterbenden Polyxena uns rühmt; nahm das rohe Drama ihr die Bühne, so steigt sie, Rang und Stolz vergessend, herab in die Sphäre der Caricatur, und gibt den Verzerrungen des Spottes ungewohnte Feinheit und Vollendung. Die stärksten Gewalten sind dem Orkan erlegen; das zarte zerbrechliche Kind, die Grazie, hat glücklich sich gerettet. Fortwährend bewacht und reinigt sie die Gesetze des Umgangs, regiert die Sprache, denn was hier Styl, was Esprit heißt, was ist es anders, als jene schickliche und feine Art des Ausdrucks, welche die Grazie nur umgibt? Sie stellt tausend nette Kleinigkeiten in der gefälligsten Verwirrung zusammen, herrscht in der Werkstätte der Modistin, wirft die zierliche Mantille mit kunstvoller Nachlässigkeit um die Schultern schöner Frauen, und tritt endlich durch die Aristokratie der gebildeten Sitte, deren Patronin sie ist, dem Despotismus der allmächtigen Gleichheit entgegen. Als einen ihrer vorzüglichen Lieblinge nennt die öffentliche Stimmung ohne Widerspruch den Grafen Molé. Die selbst, die als Staatsmann mit so hartnäckiger Bitterkeit ihn verfolgten, erkennen die Eleganz seines Geistes und seiner geselligen Formen an. Er ist für die Sache des Bestehenden, was etwa Lafayette für die seinige, Martignac für die der zurückgekehrten Bourbone war – ihr liebenswürdigster Verfechter. Darum fand auch seine Bewerbung um den akademischen Sitz des Hrn. von Quelen so wenig Widerstand, nicht sowohl um der musterhaften Charakteristik willen, die er von Mathieu Molé, seinem Ahnherrn entwarf, als weil man Niemand außer ihm Tact und Würde genug zutraut, den verstorbenen Prälaten mit Anstand und Wahrheit zu loben, und die Schwierigkeiten des Thema's ohne Zwang zu überwinden. Der Sitz des Hrn. von Quelen wurde bisher fast ohne Unterbrechung von Fürsten der Kirche eingenommen; jetzt endlich gab ihm der Umschwung der Ereignisse einen anderen Besitzer. Die Kirche verliert ihre weltlichen Ehren, eine nach der andern; allein sie verliert sie in einer Zeit, da diese Ehren selbst an Rang und Bedeutung täglich mehr einbüßen. Was sie Unzerstörbares hat, mag ihr unbenommen bleiben, und wie in den Tagen ihres Entstehens kann sie ein Vorbild der Aufopferung, eine Leuchte der Seelen, die Zuflucht der Betrübten und die Wärterin des Unglücks seyn. Den Dichter der Herbstblätter und Dämmerliede hat die Akademie abermals zurückgewiesen. Sie wollte Classikern und Romantikern zu gleicher Zeit nicht huldigen, wollte nicht, daß man von ihr sage, sie hätte, unvermögend alle Erfordernisse des Genie's in einem Geiste und vereint zu finden, die wilde Kraft in Hugo's Wahl, den zähmenden Geschmack in der des Grafen sich angeeignet, wie man sich an den Fragmenten zweier antiken Statuen freut, wenn man Eine vollendete nicht finden kann.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 58. Augsburg, 27. Februar 1840, S. 0459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_058_18400227/11>, abgerufen am 21.11.2024.