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Allgemeine Zeitung. Nr. 58. Augsburg, 27. Februar 1840.

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Der Socialismus in England.

(Beschluß.)

So verwerflich und schal zugleich die bar negativen Religionsansichten des Socialismus, welche an das berüchtigte "Systeme" des Baron de Hollbach oder die sogenannte französische Friseur-Philosophie erinnern, ohne Zweifel nun auch sind, so ist es doch nicht zu verwundern, daß Owen in der liberalen Presse eine Vertheidigerin, oder wenigstens der Bischof von Exeter eine Gegnerin gefunden hat. Einmal zählt Owen - ein persönlich ehrenhafter und, wie es scheint, auch einnehmender Mann - aus früherer Zeit ber manche Gönner und Freunde, die das Anstößigste in den ihm beigelegten Lehren für Uebertreibungen seiner Schüler halten, und dabei die philanthropischen Zwecke in dem praktischen Theil seines Systems ihm hoch anrechnen; dann kommt zweitens die Eifersucht der Liberalen gegen die englische Staatskirche mit ins Spiel, welche Kirche, wie nicht zu verkennen ist, als leidige Folge ihrer Organisation sich etwas zu sehr mit den guten Dingen dieser Welt und den Händeln des Säculums befaßt. So trifft sie der Verdacht unlauterer Parteimotive selbst da, wo sie vielleicht aufrichtig nur die Sache der Religion verficht, zumal wenn ein Dr. Philpotts, der nun einmal als torystisch-anglicanischer Zelot verschrieen ist, als Vorkämpfer auftritt. Am gewichtigsten erscheint der Vorwurf, daß nachdem die hochkirchliche Geistlichkeit bei ihren überreichen Mitteln den Unterricht der ärmeren Classen so schreiend vernachlässigt, ja sogar den Bemühungen weltlicher Behörden und Privaten für das Volkserziehungswesen Hindernisse mancher Art in den Weg gelegt habe, sie nun, wenn Meinungen wie die des Socialismus im Lande zum Vorschein kommen, alle Schuld auf die Regierung werfen wolle. In diesem Sinn ist nachstehender Artikel des Sun geschrieben, welchem ähnliche im M. Chronicle, Globe u. s. w. vorangingen und folgten:
"Was man wünscht, glaubt man gern" ist ein Sprüchwort, ein Axiom. Daraus folgt, daß unser Glauben oder Nicht-Glauben in allen Fällen weit mehr von dem Vergnügen oder Mißvergnügen, das uns irgend eine Theorie oder Lehre bereitet, abhängt, als von ihrer absoluten Wahrheit oder Falschheit. Das ist ein wichtiger Satz, der in den meisten Discussionen über die Verdienste der Kirche und der Regierung von denjenigen, welche ausschließlich deren Vortheile genießen, nur allzu oft übersehen wird. Der Erzbischof von Canterbury z. B. hat circa 18,000 gute Gründe jährlich, zu glauben, daß die Lehren der Staatskirche vollkommene Wahrheit sind. Demgemäß bezweifelt er sie niemals. Der Bischof von London hat ungefähr 14,000, und der Bischof von Exeter 6000 solche gute Gründe, an demselben Glauben festzuhalten wie ihr hochwürdigster Bruder, der Primas des Reichs, und zu diesen klingenden guten Gründen kommen dann noch alle die Freuden eines beträchtlichen Patronats, eines großen weltlichen Ansehens, und überhaupt alle Genüsse, die diese Welt bieten kann. Das hält den Magen warm und die Orthodoxie ebenfalls. Nicht uns kommt es zu, zu sagen, ob der Glaube dieser Herren Prälaten recht oder unrecht, wahr oder falsch ist; aber das dürfen wir wohl sagen, daß die große Masse der Bevölkerung nicht die Bestechungen eines großen Einkommens und einer angesehenen Stellung vor sich hat, um denselben feurigen Glauben an die Lehren der Staatskirche zu unterhalten, der von der Geistlichkeit bekannt und eingeprägt wird. Nun gehört die übergroße Mehrzahl der Socialisten, über deren Anwachs die Bischofsbank solche Jeremiaden angestimmt hat, den ärmeren Classen an, und die ganze Secte besteht aus Menschen, die weder von der Regierung noch von der Kirche unmittelbare Vortheile ziehen. Kein Bischof, Dechant, Präbendar, Oberpfarrer oder mäßigbesoldeter Unterpfarrer, kein Edelmann oder Bankier hat seine Kirchenpfründe oder seinen Reichthum aufgegeben und ist unter die Socialisten gegangen. Eine kurze Erörterung möge dazu dienen, Owens System vor der Welt ins rechte Licht zu setzen. Wir sind dafür, daß allen Menschen, und so auch den Socialisten Gerechtigkeit widerfahre, nicht aber daß sie geschmäht und verleumdet werden.

"Hrn. Owens System, wie wir es begreifen, besteht aus zwei klargeschiedenen Theilen: einer eigenthümlichen gesellschaftlichen Organisation und einem eigenthümlichen Religionsglauben. Die erstere betrifft diese Welt allein, der letztere bezieht sich auf jene letzten Gründe, die trotz aller Offenbarung und wissenschaftlichen Forschung noch immer in tiefes Dunkel gehüllt sind. Es ist bekannt, daß erstere die Quelle des letztern war, d. h. daß erst Owens staatsökonomisches System ihn darauf führte, den religiösen Volksglauben zu bekämpfen. Owen war im Besitz eines großen, durch Benützung der Maschinen erworbenen Vermögens, und er glaubte und glaubt daher an die Macht der Maschinen, das ganze Aussehen der Gesellschaft zu verändern, ebenso feurig, wie die Bischöfe an die Doctrinen der Staatskirche. Zu gleicher Zeit sieht er die große Masse der Gesellschaft der Armuth und der Entblößung preisgegeben, und empört und fieberhaft aufgeregt durch den schneidenden Gegensatz zwischen ihrer eigenen physischen Noth und der Lebensbehaglichkeit und den Genüssen einiger vergleichsweise Wenigen, die zugleich reich sind und müßig gehen. So die beiden Ideen mit einander verbindend: des Menschen unbeschränkte Fähigkeit, mit Hülfe der Maschinen Wohlstand zu schaffen und seine Bedürfnisse zu befriedigen, auf der einen, und das factische Elend der Massen auf der andern Seite, ward Owen auf die Schlußfolgerung geleitet, daß die Verfassung unserer bürgerlichen Gesellschaft an irgend einem Grundübel leide. Owen nahm an, ein falscher Grundsatz menschlicher Handlungsweise sey die Concurrenz (competition) in Arbeit und Erwerb, und er stellte dagegen den Satz auf, Alles müsse gut gehen, wenn die Menschen, statt der Rivalität und Concurrenz, zusammenwirken und einander unterstützen würden; - er verlangte "Cooperation" und "Union." Auf dieser Grundlage entwarf er seinen Plan einer gesellschaftlichen Einrichtung, und seit beinahe dreißig Jahren ist er rastlos bemüht, die öffentliche Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Lange Zeit machte er geringen oder gar keinen Fortschritt. Er bot sein System den Reichen an, und da er selbst ein reicher Mann war, liehen sie ihm zwar ein geneigtes Ohr, stießen aber einen Plan zurück, der darauf abzweckte, ihrem ausschließlichen Besitz gewisser Vortheile ein Ende zu machen. Nun wendete er sich mit seiner Lehre an die Armen. Lange verstanden sie solche nicht, noch hatten sie die Mittel zu deren Ausführung. Wie kam es nun, daß sie ihm endlich doch in beträchtlichen Haufen zufielen? - Er wandelte unter ihnen herum, und ließ Andere unter ihnen herumwandeln, um ihnen die Vortheile seines Systems auseinander zu setzen. In einem oder zwei Fällen machte er praktische Versuche, und glaubte, daß sie ihm gelungen seyen. Er maßte sich nicht an, den Leuten den Weg zum Himmel zu zeigen - er predigte Glückseligkeit auf Erden. In glühenden Farben schilderte er die großen Vorzüge des Cooperationssystems vor dem Concurrenzsystem der Gesellschaft. Unter dem erstern, verkündigte er, könnten alle Menschen sich ein behagliches, genußreiches Leben verschaffen - ähnlich dem der englischen Bischöfe. Die socialistischen Tractätchen sind beredt in Schilderungen eines Lebens in Ruhe, Fülle, Zufriedenheit und häuslichem Glück, das allen Gliedern der cooperativen Gemeinde

Der Socialismus in England.

(Beschluß.)

So verwerflich und schal zugleich die bar negativen Religionsansichten des Socialismus, welche an das berüchtigte „Systême“ des Baron de Hollbach oder die sogenannte französische Friseur-Philosophie erinnern, ohne Zweifel nun auch sind, so ist es doch nicht zu verwundern, daß Owen in der liberalen Presse eine Vertheidigerin, oder wenigstens der Bischof von Exeter eine Gegnerin gefunden hat. Einmal zählt Owen – ein persönlich ehrenhafter und, wie es scheint, auch einnehmender Mann – aus früherer Zeit ber manche Gönner und Freunde, die das Anstößigste in den ihm beigelegten Lehren für Uebertreibungen seiner Schüler halten, und dabei die philanthropischen Zwecke in dem praktischen Theil seines Systems ihm hoch anrechnen; dann kommt zweitens die Eifersucht der Liberalen gegen die englische Staatskirche mit ins Spiel, welche Kirche, wie nicht zu verkennen ist, als leidige Folge ihrer Organisation sich etwas zu sehr mit den guten Dingen dieser Welt und den Händeln des Säculums befaßt. So trifft sie der Verdacht unlauterer Parteimotive selbst da, wo sie vielleicht aufrichtig nur die Sache der Religion verficht, zumal wenn ein Dr. Philpotts, der nun einmal als torystisch-anglicanischer Zelot verschrieen ist, als Vorkämpfer auftritt. Am gewichtigsten erscheint der Vorwurf, daß nachdem die hochkirchliche Geistlichkeit bei ihren überreichen Mitteln den Unterricht der ärmeren Classen so schreiend vernachlässigt, ja sogar den Bemühungen weltlicher Behörden und Privaten für das Volkserziehungswesen Hindernisse mancher Art in den Weg gelegt habe, sie nun, wenn Meinungen wie die des Socialismus im Lande zum Vorschein kommen, alle Schuld auf die Regierung werfen wolle. In diesem Sinn ist nachstehender Artikel des Sun geschrieben, welchem ähnliche im M. Chronicle, Globe u. s. w. vorangingen und folgten:
„Was man wünscht, glaubt man gern“ ist ein Sprüchwort, ein Axiom. Daraus folgt, daß unser Glauben oder Nicht-Glauben in allen Fällen weit mehr von dem Vergnügen oder Mißvergnügen, das uns irgend eine Theorie oder Lehre bereitet, abhängt, als von ihrer absoluten Wahrheit oder Falschheit. Das ist ein wichtiger Satz, der in den meisten Discussionen über die Verdienste der Kirche und der Regierung von denjenigen, welche ausschließlich deren Vortheile genießen, nur allzu oft übersehen wird. Der Erzbischof von Canterbury z. B. hat circa 18,000 gute Gründe jährlich, zu glauben, daß die Lehren der Staatskirche vollkommene Wahrheit sind. Demgemäß bezweifelt er sie niemals. Der Bischof von London hat ungefähr 14,000, und der Bischof von Exeter 6000 solche gute Gründe, an demselben Glauben festzuhalten wie ihr hochwürdigster Bruder, der Primas des Reichs, und zu diesen klingenden guten Gründen kommen dann noch alle die Freuden eines beträchtlichen Patronats, eines großen weltlichen Ansehens, und überhaupt alle Genüsse, die diese Welt bieten kann. Das hält den Magen warm und die Orthodoxie ebenfalls. Nicht uns kommt es zu, zu sagen, ob der Glaube dieser Herren Prälaten recht oder unrecht, wahr oder falsch ist; aber das dürfen wir wohl sagen, daß die große Masse der Bevölkerung nicht die Bestechungen eines großen Einkommens und einer angesehenen Stellung vor sich hat, um denselben feurigen Glauben an die Lehren der Staatskirche zu unterhalten, der von der Geistlichkeit bekannt und eingeprägt wird. Nun gehört die übergroße Mehrzahl der Socialisten, über deren Anwachs die Bischofsbank solche Jeremiaden angestimmt hat, den ärmeren Classen an, und die ganze Secte besteht aus Menschen, die weder von der Regierung noch von der Kirche unmittelbare Vortheile ziehen. Kein Bischof, Dechant, Präbendar, Oberpfarrer oder mäßigbesoldeter Unterpfarrer, kein Edelmann oder Bankier hat seine Kirchenpfründe oder seinen Reichthum aufgegeben und ist unter die Socialisten gegangen. Eine kurze Erörterung möge dazu dienen, Owens System vor der Welt ins rechte Licht zu setzen. Wir sind dafür, daß allen Menschen, und so auch den Socialisten Gerechtigkeit widerfahre, nicht aber daß sie geschmäht und verleumdet werden.

„Hrn. Owens System, wie wir es begreifen, besteht aus zwei klargeschiedenen Theilen: einer eigenthümlichen gesellschaftlichen Organisation und einem eigenthümlichen Religionsglauben. Die erstere betrifft diese Welt allein, der letztere bezieht sich auf jene letzten Gründe, die trotz aller Offenbarung und wissenschaftlichen Forschung noch immer in tiefes Dunkel gehüllt sind. Es ist bekannt, daß erstere die Quelle des letztern war, d. h. daß erst Owens staatsökonomisches System ihn darauf führte, den religiösen Volksglauben zu bekämpfen. Owen war im Besitz eines großen, durch Benützung der Maschinen erworbenen Vermögens, und er glaubte und glaubt daher an die Macht der Maschinen, das ganze Aussehen der Gesellschaft zu verändern, ebenso feurig, wie die Bischöfe an die Doctrinen der Staatskirche. Zu gleicher Zeit sieht er die große Masse der Gesellschaft der Armuth und der Entblößung preisgegeben, und empört und fieberhaft aufgeregt durch den schneidenden Gegensatz zwischen ihrer eigenen physischen Noth und der Lebensbehaglichkeit und den Genüssen einiger vergleichsweise Wenigen, die zugleich reich sind und müßig gehen. So die beiden Ideen mit einander verbindend: des Menschen unbeschränkte Fähigkeit, mit Hülfe der Maschinen Wohlstand zu schaffen und seine Bedürfnisse zu befriedigen, auf der einen, und das factische Elend der Massen auf der andern Seite, ward Owen auf die Schlußfolgerung geleitet, daß die Verfassung unserer bürgerlichen Gesellschaft an irgend einem Grundübel leide. Owen nahm an, ein falscher Grundsatz menschlicher Handlungsweise sey die Concurrenz (competition) in Arbeit und Erwerb, und er stellte dagegen den Satz auf, Alles müsse gut gehen, wenn die Menschen, statt der Rivalität und Concurrenz, zusammenwirken und einander unterstützen würden; – er verlangte „Cooperation“ und „Union.“ Auf dieser Grundlage entwarf er seinen Plan einer gesellschaftlichen Einrichtung, und seit beinahe dreißig Jahren ist er rastlos bemüht, die öffentliche Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Lange Zeit machte er geringen oder gar keinen Fortschritt. Er bot sein System den Reichen an, und da er selbst ein reicher Mann war, liehen sie ihm zwar ein geneigtes Ohr, stießen aber einen Plan zurück, der darauf abzweckte, ihrem ausschließlichen Besitz gewisser Vortheile ein Ende zu machen. Nun wendete er sich mit seiner Lehre an die Armen. Lange verstanden sie solche nicht, noch hatten sie die Mittel zu deren Ausführung. Wie kam es nun, daß sie ihm endlich doch in beträchtlichen Haufen zufielen? – Er wandelte unter ihnen herum, und ließ Andere unter ihnen herumwandeln, um ihnen die Vortheile seines Systems auseinander zu setzen. In einem oder zwei Fällen machte er praktische Versuche, und glaubte, daß sie ihm gelungen seyen. Er maßte sich nicht an, den Leuten den Weg zum Himmel zu zeigen – er predigte Glückseligkeit auf Erden. In glühenden Farben schilderte er die großen Vorzüge des Cooperationssystems vor dem Concurrenzsystem der Gesellschaft. Unter dem erstern, verkündigte er, könnten alle Menschen sich ein behagliches, genußreiches Leben verschaffen – ähnlich dem der englischen Bischöfe. Die socialistischen Tractätchen sind beredt in Schilderungen eines Lebens in Ruhe, Fülle, Zufriedenheit und häuslichem Glück, das allen Gliedern der cooperativen Gemeinde

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[0460/0012] Der Socialismus in England. (Beschluß.) So verwerflich und schal zugleich die bar negativen Religionsansichten des Socialismus, welche an das berüchtigte „Systême“ des Baron de Hollbach oder die sogenannte französische Friseur-Philosophie erinnern, ohne Zweifel nun auch sind, so ist es doch nicht zu verwundern, daß Owen in der liberalen Presse eine Vertheidigerin, oder wenigstens der Bischof von Exeter eine Gegnerin gefunden hat. Einmal zählt Owen – ein persönlich ehrenhafter und, wie es scheint, auch einnehmender Mann – aus früherer Zeit ber manche Gönner und Freunde, die das Anstößigste in den ihm beigelegten Lehren für Uebertreibungen seiner Schüler halten, und dabei die philanthropischen Zwecke in dem praktischen Theil seines Systems ihm hoch anrechnen; dann kommt zweitens die Eifersucht der Liberalen gegen die englische Staatskirche mit ins Spiel, welche Kirche, wie nicht zu verkennen ist, als leidige Folge ihrer Organisation sich etwas zu sehr mit den guten Dingen dieser Welt und den Händeln des Säculums befaßt. So trifft sie der Verdacht unlauterer Parteimotive selbst da, wo sie vielleicht aufrichtig nur die Sache der Religion verficht, zumal wenn ein Dr. Philpotts, der nun einmal als torystisch-anglicanischer Zelot verschrieen ist, als Vorkämpfer auftritt. Am gewichtigsten erscheint der Vorwurf, daß nachdem die hochkirchliche Geistlichkeit bei ihren überreichen Mitteln den Unterricht der ärmeren Classen so schreiend vernachlässigt, ja sogar den Bemühungen weltlicher Behörden und Privaten für das Volkserziehungswesen Hindernisse mancher Art in den Weg gelegt habe, sie nun, wenn Meinungen wie die des Socialismus im Lande zum Vorschein kommen, alle Schuld auf die Regierung werfen wolle. In diesem Sinn ist nachstehender Artikel des Sun geschrieben, welchem ähnliche im M. Chronicle, Globe u. s. w. vorangingen und folgten: „Was man wünscht, glaubt man gern“ ist ein Sprüchwort, ein Axiom. Daraus folgt, daß unser Glauben oder Nicht-Glauben in allen Fällen weit mehr von dem Vergnügen oder Mißvergnügen, das uns irgend eine Theorie oder Lehre bereitet, abhängt, als von ihrer absoluten Wahrheit oder Falschheit. Das ist ein wichtiger Satz, der in den meisten Discussionen über die Verdienste der Kirche und der Regierung von denjenigen, welche ausschließlich deren Vortheile genießen, nur allzu oft übersehen wird. Der Erzbischof von Canterbury z. B. hat circa 18,000 gute Gründe jährlich, zu glauben, daß die Lehren der Staatskirche vollkommene Wahrheit sind. Demgemäß bezweifelt er sie niemals. Der Bischof von London hat ungefähr 14,000, und der Bischof von Exeter 6000 solche gute Gründe, an demselben Glauben festzuhalten wie ihr hochwürdigster Bruder, der Primas des Reichs, und zu diesen klingenden guten Gründen kommen dann noch alle die Freuden eines beträchtlichen Patronats, eines großen weltlichen Ansehens, und überhaupt alle Genüsse, die diese Welt bieten kann. Das hält den Magen warm und die Orthodoxie ebenfalls. Nicht uns kommt es zu, zu sagen, ob der Glaube dieser Herren Prälaten recht oder unrecht, wahr oder falsch ist; aber das dürfen wir wohl sagen, daß die große Masse der Bevölkerung nicht die Bestechungen eines großen Einkommens und einer angesehenen Stellung vor sich hat, um denselben feurigen Glauben an die Lehren der Staatskirche zu unterhalten, der von der Geistlichkeit bekannt und eingeprägt wird. Nun gehört die übergroße Mehrzahl der Socialisten, über deren Anwachs die Bischofsbank solche Jeremiaden angestimmt hat, den ärmeren Classen an, und die ganze Secte besteht aus Menschen, die weder von der Regierung noch von der Kirche unmittelbare Vortheile ziehen. Kein Bischof, Dechant, Präbendar, Oberpfarrer oder mäßigbesoldeter Unterpfarrer, kein Edelmann oder Bankier hat seine Kirchenpfründe oder seinen Reichthum aufgegeben und ist unter die Socialisten gegangen. Eine kurze Erörterung möge dazu dienen, Owens System vor der Welt ins rechte Licht zu setzen. Wir sind dafür, daß allen Menschen, und so auch den Socialisten Gerechtigkeit widerfahre, nicht aber daß sie geschmäht und verleumdet werden. „Hrn. Owens System, wie wir es begreifen, besteht aus zwei klargeschiedenen Theilen: einer eigenthümlichen gesellschaftlichen Organisation und einem eigenthümlichen Religionsglauben. Die erstere betrifft diese Welt allein, der letztere bezieht sich auf jene letzten Gründe, die trotz aller Offenbarung und wissenschaftlichen Forschung noch immer in tiefes Dunkel gehüllt sind. Es ist bekannt, daß erstere die Quelle des letztern war, d. h. daß erst Owens staatsökonomisches System ihn darauf führte, den religiösen Volksglauben zu bekämpfen. Owen war im Besitz eines großen, durch Benützung der Maschinen erworbenen Vermögens, und er glaubte und glaubt daher an die Macht der Maschinen, das ganze Aussehen der Gesellschaft zu verändern, ebenso feurig, wie die Bischöfe an die Doctrinen der Staatskirche. Zu gleicher Zeit sieht er die große Masse der Gesellschaft der Armuth und der Entblößung preisgegeben, und empört und fieberhaft aufgeregt durch den schneidenden Gegensatz zwischen ihrer eigenen physischen Noth und der Lebensbehaglichkeit und den Genüssen einiger vergleichsweise Wenigen, die zugleich reich sind und müßig gehen. So die beiden Ideen mit einander verbindend: des Menschen unbeschränkte Fähigkeit, mit Hülfe der Maschinen Wohlstand zu schaffen und seine Bedürfnisse zu befriedigen, auf der einen, und das factische Elend der Massen auf der andern Seite, ward Owen auf die Schlußfolgerung geleitet, daß die Verfassung unserer bürgerlichen Gesellschaft an irgend einem Grundübel leide. Owen nahm an, ein falscher Grundsatz menschlicher Handlungsweise sey die Concurrenz (competition) in Arbeit und Erwerb, und er stellte dagegen den Satz auf, Alles müsse gut gehen, wenn die Menschen, statt der Rivalität und Concurrenz, zusammenwirken und einander unterstützen würden; – er verlangte „Cooperation“ und „Union.“ Auf dieser Grundlage entwarf er seinen Plan einer gesellschaftlichen Einrichtung, und seit beinahe dreißig Jahren ist er rastlos bemüht, die öffentliche Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Lange Zeit machte er geringen oder gar keinen Fortschritt. Er bot sein System den Reichen an, und da er selbst ein reicher Mann war, liehen sie ihm zwar ein geneigtes Ohr, stießen aber einen Plan zurück, der darauf abzweckte, ihrem ausschließlichen Besitz gewisser Vortheile ein Ende zu machen. Nun wendete er sich mit seiner Lehre an die Armen. Lange verstanden sie solche nicht, noch hatten sie die Mittel zu deren Ausführung. Wie kam es nun, daß sie ihm endlich doch in beträchtlichen Haufen zufielen? – Er wandelte unter ihnen herum, und ließ Andere unter ihnen herumwandeln, um ihnen die Vortheile seines Systems auseinander zu setzen. In einem oder zwei Fällen machte er praktische Versuche, und glaubte, daß sie ihm gelungen seyen. Er maßte sich nicht an, den Leuten den Weg zum Himmel zu zeigen – er predigte Glückseligkeit auf Erden. In glühenden Farben schilderte er die großen Vorzüge des Cooperationssystems vor dem Concurrenzsystem der Gesellschaft. Unter dem erstern, verkündigte er, könnten alle Menschen sich ein behagliches, genußreiches Leben verschaffen – ähnlich dem der englischen Bischöfe. Die socialistischen Tractätchen sind beredt in Schilderungen eines Lebens in Ruhe, Fülle, Zufriedenheit und häuslichem Glück, das allen Gliedern der cooperativen Gemeinde

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 58. Augsburg, 27. Februar 1840, S. 0460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_058_18400227/12>, abgerufen am 03.05.2024.