Allgemeine Zeitung. Nr. 61. Augsburg, 1. März 1840.gegen das M. Chronicle: eine Zeitung, welche gegenwärtige Proceßverhandlungen gerade so, wie sie sich ergeben haben, mittheilen würde, könnte, trotz des Schmählichen, das darin gegen Personen enthalten seyn mag, nicht gerichtlich verfolgt werden, da es eine Mittheilung ist, bei welcher das Publicum sich betheiligt findet. Mit Recht verglich demnach Lord John Russell diesen vernünftigen Ausspruch mit den verzwickten Ansichten dieses und der übrigen Richter in Bezug auf die Bekanntmachungen des Unterhauses. Ein Journalist soll ums Geld mittheilen dürfen, was das Unterhaus vor seinen Committenten, in andern Worten vor der Nation verbergen müßte! In seinem Bemühen, die Gefangnenordnung zu verbessern, schickt es eine Commission in das Newgate-Gefängniß, und diese macht einen höchst bedeutenden Bericht, dessen Bekanntmachung um so nothwendiger war, als jede Verordnung, welche das Haus darauf gründen mochte, mit Kosten und folglich mit Besteuerung verknüpft seyn mußte. Unter Anderm hieß es denn auch, man habe bei einem Gefangenen ein Buch gefunden, das ihm von einem andern geliehen worden, welches, unter dem Vorwande ein wissenschaftliches Werk zu seyn, voller Unfläthereien war. Das Buch, so wie dessen Verleger, werden wie billig genannt; und hierauf wagt es dieser, gegen den Drucker des Hauses gerichtlich zu verfahren, und die Richter, welche den Anspruch des Hauses nicht gelten lassen wollen (daß es seine Verhandlung ohne Gefahr eines rechtlichen Einspruchs bekannt machen dürfe) gestatten demselben, um Entschädigung nachzusuchen! Freilich würde keine Jury für ihn gesprochen haben, wenn das Haus seinen Druckern verstattet hätte, sich zu vertheidigen; aber dieses durfte es nicht thun, ohne sich neuen Angriffen auszusetzen. Frankreich. Paris, 23 Febr. Durch seine Gedächtnißrede auf den General Bernard, die er vor einer eben so spruchfähigen, als durch Rang und Stellung ausgezeichneten Versammlung hielt, hat Graf Mole dargethan, wie begründet seine litterarischen Ansprüche auf einen Sitz der Akademie seyen, und seine Wahl wo möglich auch in den Augen derer gerechtfertigt, die sie im ersten Moment als eine Berechnung politischer Schmeichelei betrachtet hatten. Das Leben Bernards war sicher ein schöner Stoff; wenige Männer haben in unsern Tagen der Schwäche, der Vergeßlichkeit und des Scheins so bedeutende Anlagen mit einer so unbescholtenen Gleichheit des Wandels, eine so innige Treue gegen hohe Erinnerungen mit so großer Freiheit des Willens und der Ansichten, eine so ächte Bescheidenheit mit so strengen Anforderungen an sich selbst verbunden. Das Bild dieser Persönlichkeit nun hat Graf Mole theils in allgemeinen Andeutungen, theils in einzelnen Zügen auf das glücklichste entrollt. Die Stellen in des Verstorbenen Leben, die ihm anziehend oder bezeichnend schienen, hob er durch besondere Erwähnung hervor; allein die Anekdote ist nicht der Charakter seiner Darstellung. Im Vorbeigehen sagt er hie und da ein treffendes Wort über die größeren Ereignisse, welche die Laufbahn des Generals begränzten oder einschlossen; auch über allgemein menschliche Zustände, mit denen sein Freund in Berührung kam, theilt er Bemerkungen eines erfahrnen Geistes mit. Was er beurtheilt, richtet er mit Wohlwollen, und trägt gleichsam die Fackel der Liebe in die Irrgänge einer kaum abgeschlossenen, doch schon dunkeln Vergangenheit. Auch von dem Sturm der Leidenschaften, dem beide jüngst entgegenstanden, redet er zwar in wahren, doch rücksichtsvollen, keinesfalls herben Worten. Vollkommene Urbanität übrigens, kluge Schonung und eine gedankenreiche Entwicklung erwartete Jedermann von ihm; allein er überraschte durch den Beweis, wie tief er selbst in die künstlerischen Geheimnisse oratorischer Feinheit eingedrungen sey. Wir wissen nicht, ob der edle Graf sich mit Abfassung seiner Denkwürdigkeiten beschäftigt, aber wir müßten uns sehr irren, wenn eine solche Arbeit seinem Talent nicht höchst angemessen und für seinen dauernden Ruhm entscheidend wäre. Während Graf Mole die Stimmen des Geschmacks und parteiloser Freunde edler Beredsamkeit für sich gewinnt, feiert Vicomte de Cormenin Triumphe anderer Art. Auch er besitzt die seltene Gabe des bestechenden Wortes; seine Sprache unterjocht, fesselt und macht die Seele zur Sklavin der Leidenschaft. Auf die Massen will der Mann wirken: sein Styl ist daher nicht züchtig und gehalten, nicht mildernd und verhüllend, wie der des attischen Pairs, er ist heftig und in die Sinne fallend, giftig und grausam. Der Schönheit Gürtel rührt die rohen Herzen nicht. Doch zuweilen ist er fein in seiner Bosheit: er muß den Vicomte ja sehen lassen, denn Alle, die etwas erst von gestern sind, eifern für ihren neuen Stand. Halb Legitimist, halb Republicaner, die rothe Mütze auf dem Kopf, den heiligen Ludwig am Busen tragend, hat er keine ausgesprochene Neigung; nur was er haßt, das weiß er. Napoleon sagte, ohne Zweifel höchst ungerecht, in einem Augenblicke des Zorns von einem Volk, es habe geröthetes Wasser, aber nicht Blut in seinen Adern; mit größerem Recht läßt sich von Hrn. v. Cormenin behaupten, er habe nichts als Galle in dem seinen. Der Haß ist der Nerv der Demokratie, wie sie wenigstens jetzt sich hier gestaltet hat; der Haß macht die Partei so zäh, so blind und so unbeugsam. Was sonst noch ihre Wünsche bildet, das ist der Raub, die Rache und die Abenteuer eines Kriegs. Sie gäben einen Homer um einen Feldzug. Darauf steuern sie los mit vollen Segeln, dahin zielen alle ihre Anstrengungen. In diesen Entwürfen ist allerdings die Mehrheit der Nation und selbst ein Theil der Jugend ihnen entgegen; dennoch müssen sie, nach den Aeußerungen ihrer Freude zu schließen, dem Ziel sich nahe glauben. Alles freilich ist noch nicht entschieden, denn wenn das Lächerliche in Frankreich wirklich so tödtend ist, wie man behauptet, so muß die Ehrenmünze, die sie für Hrn. v. Cormenin zu schlagen vorhaben, ihre Sache unfehlbar zu Grunde richten. Man sieht es, so groß ihr Haß ist, entbehrt er doch der Größe. Die unauslöschliche Feindschaft, die Hannibal den Römern einst geschworen, war gleichsam eine Gottheit seines Vaterlands, und er nur ihr glühendster Priester; an dem Abend von Cannä mochten Alle jubeln, die Rom verwünschten - wer die Verwerfung einer mäßigen Summe und die daraus folgende Verletzung seines Gegners für einen großen, der Verewigung werthen Sieg nimmt, dessen Haß täuscht sich gewaltig über den Umfang der Dinge. Paris, 21 Febr. Es liegt in der öffentlichen Richtung der Gemüther der Franzosen eine fata morgana, aus der schon viele Täuschungen entsprangen. Die alte Liebe und Verehrung der Monarchie hat sich in eine Art Philosohie der Monarchie umgewandelt. Man fühlt in sich keine innere Einheit und Festigkeit der Gesinnung, schon aus diesem Grunde ist der französische Charakter als solcher wenig republicanisch: er ist zu irr, unstät, wetterwendisch. Man empfindet um sich, daß Jeder die Gewalt wünscht, d. h. nach dem Despotismus strebt; da aber alle Republik ein Gemeinwesen ist, ein Verzichtleisten auf individuelle Gewalthaberei, und die Gewalt in derselben nur in der Gemeinde lebt, so sehen die Franzosen auch wohl ein, daß nur Bürgerkrieg und endliche Despotie aus diesem Streben Aller nach der Gewalt als höchstem Ausdruck der Volkssouveränetät hervorgehen würde. Da diese beiden Grundzüge des öffentlichen Charakters der Franzosen: Unbeständigkeit der gegen das M. Chronicle: eine Zeitung, welche gegenwärtige Proceßverhandlungen gerade so, wie sie sich ergeben haben, mittheilen würde, könnte, trotz des Schmählichen, das darin gegen Personen enthalten seyn mag, nicht gerichtlich verfolgt werden, da es eine Mittheilung ist, bei welcher das Publicum sich betheiligt findet. Mit Recht verglich demnach Lord John Russell diesen vernünftigen Ausspruch mit den verzwickten Ansichten dieses und der übrigen Richter in Bezug auf die Bekanntmachungen des Unterhauses. Ein Journalist soll ums Geld mittheilen dürfen, was das Unterhaus vor seinen Committenten, in andern Worten vor der Nation verbergen müßte! In seinem Bemühen, die Gefangnenordnung zu verbessern, schickt es eine Commission in das Newgate-Gefängniß, und diese macht einen höchst bedeutenden Bericht, dessen Bekanntmachung um so nothwendiger war, als jede Verordnung, welche das Haus darauf gründen mochte, mit Kosten und folglich mit Besteuerung verknüpft seyn mußte. Unter Anderm hieß es denn auch, man habe bei einem Gefangenen ein Buch gefunden, das ihm von einem andern geliehen worden, welches, unter dem Vorwande ein wissenschaftliches Werk zu seyn, voller Unfläthereien war. Das Buch, so wie dessen Verleger, werden wie billig genannt; und hierauf wagt es dieser, gegen den Drucker des Hauses gerichtlich zu verfahren, und die Richter, welche den Anspruch des Hauses nicht gelten lassen wollen (daß es seine Verhandlung ohne Gefahr eines rechtlichen Einspruchs bekannt machen dürfe) gestatten demselben, um Entschädigung nachzusuchen! Freilich würde keine Jury für ihn gesprochen haben, wenn das Haus seinen Druckern verstattet hätte, sich zu vertheidigen; aber dieses durfte es nicht thun, ohne sich neuen Angriffen auszusetzen. Frankreich. Paris, 23 Febr. Durch seine Gedächtnißrede auf den General Bernard, die er vor einer eben so spruchfähigen, als durch Rang und Stellung ausgezeichneten Versammlung hielt, hat Graf Molé dargethan, wie begründet seine litterarischen Ansprüche auf einen Sitz der Akademie seyen, und seine Wahl wo möglich auch in den Augen derer gerechtfertigt, die sie im ersten Moment als eine Berechnung politischer Schmeichelei betrachtet hatten. Das Leben Bernards war sicher ein schöner Stoff; wenige Männer haben in unsern Tagen der Schwäche, der Vergeßlichkeit und des Scheins so bedeutende Anlagen mit einer so unbescholtenen Gleichheit des Wandels, eine so innige Treue gegen hohe Erinnerungen mit so großer Freiheit des Willens und der Ansichten, eine so ächte Bescheidenheit mit so strengen Anforderungen an sich selbst verbunden. Das Bild dieser Persönlichkeit nun hat Graf Molé theils in allgemeinen Andeutungen, theils in einzelnen Zügen auf das glücklichste entrollt. Die Stellen in des Verstorbenen Leben, die ihm anziehend oder bezeichnend schienen, hob er durch besondere Erwähnung hervor; allein die Anekdote ist nicht der Charakter seiner Darstellung. Im Vorbeigehen sagt er hie und da ein treffendes Wort über die größeren Ereignisse, welche die Laufbahn des Generals begränzten oder einschlossen; auch über allgemein menschliche Zustände, mit denen sein Freund in Berührung kam, theilt er Bemerkungen eines erfahrnen Geistes mit. Was er beurtheilt, richtet er mit Wohlwollen, und trägt gleichsam die Fackel der Liebe in die Irrgänge einer kaum abgeschlossenen, doch schon dunkeln Vergangenheit. Auch von dem Sturm der Leidenschaften, dem beide jüngst entgegenstanden, redet er zwar in wahren, doch rücksichtsvollen, keinesfalls herben Worten. Vollkommene Urbanität übrigens, kluge Schonung und eine gedankenreiche Entwicklung erwartete Jedermann von ihm; allein er überraschte durch den Beweis, wie tief er selbst in die künstlerischen Geheimnisse oratorischer Feinheit eingedrungen sey. Wir wissen nicht, ob der edle Graf sich mit Abfassung seiner Denkwürdigkeiten beschäftigt, aber wir müßten uns sehr irren, wenn eine solche Arbeit seinem Talent nicht höchst angemessen und für seinen dauernden Ruhm entscheidend wäre. Während Graf Molé die Stimmen des Geschmacks und parteiloser Freunde edler Beredsamkeit für sich gewinnt, feiert Vicomte de Cormenin Triumphe anderer Art. Auch er besitzt die seltene Gabe des bestechenden Wortes; seine Sprache unterjocht, fesselt und macht die Seele zur Sklavin der Leidenschaft. Auf die Massen will der Mann wirken: sein Styl ist daher nicht züchtig und gehalten, nicht mildernd und verhüllend, wie der des attischen Pairs, er ist heftig und in die Sinne fallend, giftig und grausam. Der Schönheit Gürtel rührt die rohen Herzen nicht. Doch zuweilen ist er fein in seiner Bosheit: er muß den Vicomte ja sehen lassen, denn Alle, die etwas erst von gestern sind, eifern für ihren neuen Stand. Halb Legitimist, halb Republicaner, die rothe Mütze auf dem Kopf, den heiligen Ludwig am Busen tragend, hat er keine ausgesprochene Neigung; nur was er haßt, das weiß er. Napoleon sagte, ohne Zweifel höchst ungerecht, in einem Augenblicke des Zorns von einem Volk, es habe geröthetes Wasser, aber nicht Blut in seinen Adern; mit größerem Recht läßt sich von Hrn. v. Cormenin behaupten, er habe nichts als Galle in dem seinen. Der Haß ist der Nerv der Demokratie, wie sie wenigstens jetzt sich hier gestaltet hat; der Haß macht die Partei so zäh, so blind und so unbeugsam. Was sonst noch ihre Wünsche bildet, das ist der Raub, die Rache und die Abenteuer eines Kriegs. Sie gäben einen Homer um einen Feldzug. Darauf steuern sie los mit vollen Segeln, dahin zielen alle ihre Anstrengungen. In diesen Entwürfen ist allerdings die Mehrheit der Nation und selbst ein Theil der Jugend ihnen entgegen; dennoch müssen sie, nach den Aeußerungen ihrer Freude zu schließen, dem Ziel sich nahe glauben. Alles freilich ist noch nicht entschieden, denn wenn das Lächerliche in Frankreich wirklich so tödtend ist, wie man behauptet, so muß die Ehrenmünze, die sie für Hrn. v. Cormenin zu schlagen vorhaben, ihre Sache unfehlbar zu Grunde richten. Man sieht es, so groß ihr Haß ist, entbehrt er doch der Größe. Die unauslöschliche Feindschaft, die Hannibal den Römern einst geschworen, war gleichsam eine Gottheit seines Vaterlands, und er nur ihr glühendster Priester; an dem Abend von Cannä mochten Alle jubeln, die Rom verwünschten – wer die Verwerfung einer mäßigen Summe und die daraus folgende Verletzung seines Gegners für einen großen, der Verewigung werthen Sieg nimmt, dessen Haß täuscht sich gewaltig über den Umfang der Dinge. Paris, 21 Febr. Es liegt in der öffentlichen Richtung der Gemüther der Franzosen eine fata morgana, aus der schon viele Täuschungen entsprangen. Die alte Liebe und Verehrung der Monarchie hat sich in eine Art Philosohie der Monarchie umgewandelt. Man fühlt in sich keine innere Einheit und Festigkeit der Gesinnung, schon aus diesem Grunde ist der französische Charakter als solcher wenig republicanisch: er ist zu irr, unstät, wetterwendisch. Man empfindet um sich, daß Jeder die Gewalt wünscht, d. h. nach dem Despotismus strebt; da aber alle Republik ein Gemeinwesen ist, ein Verzichtleisten auf individuelle Gewalthaberei, und die Gewalt in derselben nur in der Gemeinde lebt, so sehen die Franzosen auch wohl ein, daß nur Bürgerkrieg und endliche Despotie aus diesem Streben Aller nach der Gewalt als höchstem Ausdruck der Volkssouveränetät hervorgehen würde. 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In seinem Bemühen, die Gefangnenordnung zu verbessern, schickt es eine Commission in das Newgate-Gefängniß, und diese macht einen höchst bedeutenden Bericht, dessen Bekanntmachung um so nothwendiger war, als jede Verordnung, welche das Haus darauf gründen mochte, mit Kosten und folglich mit Besteuerung verknüpft seyn mußte. Unter Anderm hieß es denn auch, man habe bei einem Gefangenen ein Buch gefunden, das ihm von einem andern geliehen worden, welches, unter dem Vorwande ein wissenschaftliches Werk zu seyn, voller Unfläthereien war. Das Buch, so wie dessen Verleger, werden wie billig genannt; und hierauf wagt es dieser, gegen den Drucker des Hauses gerichtlich zu verfahren, und die Richter, welche den Anspruch des Hauses nicht gelten lassen wollen (daß es seine Verhandlung ohne Gefahr eines rechtlichen Einspruchs bekannt machen dürfe) gestatten demselben, um Entschädigung nachzusuchen! 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Das Leben Bernards war sicher ein schöner Stoff; wenige Männer haben in unsern Tagen der Schwäche, der Vergeßlichkeit und des Scheins so bedeutende Anlagen mit einer so unbescholtenen Gleichheit des Wandels, eine so innige Treue gegen hohe Erinnerungen mit so großer Freiheit des Willens und der Ansichten, eine so ächte Bescheidenheit mit so strengen Anforderungen an sich selbst verbunden. Das Bild dieser Persönlichkeit nun hat Graf Molé theils in allgemeinen Andeutungen, theils in einzelnen Zügen auf das glücklichste entrollt. Die Stellen in des Verstorbenen Leben, die ihm anziehend oder bezeichnend schienen, hob er durch besondere Erwähnung hervor; allein die Anekdote ist nicht der Charakter seiner Darstellung. Im Vorbeigehen sagt er hie und da ein treffendes Wort über die größeren Ereignisse, welche die Laufbahn des Generals begränzten oder einschlossen; auch über allgemein menschliche Zustände, mit denen sein Freund in Berührung kam, theilt er Bemerkungen eines erfahrnen Geistes mit. Was er beurtheilt, richtet er mit Wohlwollen, und trägt gleichsam die Fackel der Liebe in die Irrgänge einer kaum abgeschlossenen, doch schon dunkeln Vergangenheit. Auch von dem Sturm der Leidenschaften, dem beide jüngst entgegenstanden, redet er zwar in wahren, doch rücksichtsvollen, keinesfalls herben Worten. Vollkommene Urbanität übrigens, kluge Schonung und eine gedankenreiche Entwicklung erwartete Jedermann von ihm; allein er überraschte durch den Beweis, wie tief er selbst in die künstlerischen Geheimnisse oratorischer Feinheit eingedrungen sey. 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Halb Legitimist, halb Republicaner, die rothe Mütze auf dem Kopf, den heiligen Ludwig am Busen tragend, hat er keine ausgesprochene Neigung; nur was er haßt, das weiß er. Napoleon sagte, ohne Zweifel höchst ungerecht, in einem Augenblicke des Zorns von einem Volk, es habe geröthetes Wasser, aber nicht Blut in seinen Adern; mit größerem Recht läßt sich von Hrn. v. Cormenin behaupten, er habe nichts als Galle in dem seinen. Der Haß ist der Nerv der Demokratie, wie sie wenigstens jetzt sich hier gestaltet hat; der Haß macht die Partei so zäh, so blind und so unbeugsam. Was sonst noch ihre Wünsche bildet, das ist der Raub, die Rache und die Abenteuer eines Kriegs. Sie gäben einen Homer um einen Feldzug. Darauf steuern sie los mit vollen Segeln, dahin zielen alle ihre Anstrengungen. In diesen Entwürfen ist allerdings die Mehrheit der Nation und selbst ein Theil der Jugend ihnen entgegen; dennoch müssen sie, nach den Aeußerungen ihrer Freude zu schließen, dem Ziel sich nahe glauben. Alles freilich ist noch nicht entschieden, denn wenn das Lächerliche in Frankreich wirklich so tödtend ist, wie man behauptet, so muß die Ehrenmünze, die sie für Hrn. v. Cormenin zu schlagen vorhaben, ihre Sache unfehlbar zu Grunde richten. Man sieht es, so groß ihr Haß ist, entbehrt er doch der Größe. Die unauslöschliche Feindschaft, die Hannibal den Römern einst geschworen, war gleichsam eine Gottheit seines Vaterlands, und er nur ihr glühendster Priester; an dem Abend von Cannä mochten Alle jubeln, die Rom verwünschten – wer die Verwerfung einer mäßigen Summe und die daraus folgende Verletzung seines Gegners für einen großen, der Verewigung werthen Sieg nimmt, dessen Haß täuscht sich gewaltig über den Umfang der Dinge.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor>♂</docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 21 Febr.</dateline> <p> Es liegt in der öffentlichen Richtung der Gemüther der Franzosen eine fata morgana, aus der schon viele Täuschungen entsprangen. Die alte Liebe und Verehrung der Monarchie hat sich in eine Art <hi rendition="#g">Philosohie der Monarchie</hi> umgewandelt. 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Frankreich.
Paris, 23 Febr. Durch seine Gedächtnißrede auf den General Bernard, die er vor einer eben so spruchfähigen, als durch Rang und Stellung ausgezeichneten Versammlung hielt, hat Graf Molé dargethan, wie begründet seine litterarischen Ansprüche auf einen Sitz der Akademie seyen, und seine Wahl wo möglich auch in den Augen derer gerechtfertigt, die sie im ersten Moment als eine Berechnung politischer Schmeichelei betrachtet hatten. Das Leben Bernards war sicher ein schöner Stoff; wenige Männer haben in unsern Tagen der Schwäche, der Vergeßlichkeit und des Scheins so bedeutende Anlagen mit einer so unbescholtenen Gleichheit des Wandels, eine so innige Treue gegen hohe Erinnerungen mit so großer Freiheit des Willens und der Ansichten, eine so ächte Bescheidenheit mit so strengen Anforderungen an sich selbst verbunden. Das Bild dieser Persönlichkeit nun hat Graf Molé theils in allgemeinen Andeutungen, theils in einzelnen Zügen auf das glücklichste entrollt. Die Stellen in des Verstorbenen Leben, die ihm anziehend oder bezeichnend schienen, hob er durch besondere Erwähnung hervor; allein die Anekdote ist nicht der Charakter seiner Darstellung. Im Vorbeigehen sagt er hie und da ein treffendes Wort über die größeren Ereignisse, welche die Laufbahn des Generals begränzten oder einschlossen; auch über allgemein menschliche Zustände, mit denen sein Freund in Berührung kam, theilt er Bemerkungen eines erfahrnen Geistes mit. Was er beurtheilt, richtet er mit Wohlwollen, und trägt gleichsam die Fackel der Liebe in die Irrgänge einer kaum abgeschlossenen, doch schon dunkeln Vergangenheit. Auch von dem Sturm der Leidenschaften, dem beide jüngst entgegenstanden, redet er zwar in wahren, doch rücksichtsvollen, keinesfalls herben Worten. Vollkommene Urbanität übrigens, kluge Schonung und eine gedankenreiche Entwicklung erwartete Jedermann von ihm; allein er überraschte durch den Beweis, wie tief er selbst in die künstlerischen Geheimnisse oratorischer Feinheit eingedrungen sey. Wir wissen nicht, ob der edle Graf sich mit Abfassung seiner Denkwürdigkeiten beschäftigt, aber wir müßten uns sehr irren, wenn eine solche Arbeit seinem Talent nicht höchst angemessen und für seinen dauernden Ruhm entscheidend wäre.
Während Graf Molé die Stimmen des Geschmacks und parteiloser Freunde edler Beredsamkeit für sich gewinnt, feiert Vicomte de Cormenin Triumphe anderer Art. Auch er besitzt die seltene Gabe des bestechenden Wortes; seine Sprache unterjocht, fesselt und macht die Seele zur Sklavin der Leidenschaft. Auf die Massen will der Mann wirken: sein Styl ist daher nicht züchtig und gehalten, nicht mildernd und verhüllend, wie der des attischen Pairs, er ist heftig und in die Sinne fallend, giftig und grausam. Der Schönheit Gürtel rührt die rohen Herzen nicht. Doch zuweilen ist er fein in seiner Bosheit: er muß den Vicomte ja sehen lassen, denn Alle, die etwas erst von gestern sind, eifern für ihren neuen Stand. Halb Legitimist, halb Republicaner, die rothe Mütze auf dem Kopf, den heiligen Ludwig am Busen tragend, hat er keine ausgesprochene Neigung; nur was er haßt, das weiß er. Napoleon sagte, ohne Zweifel höchst ungerecht, in einem Augenblicke des Zorns von einem Volk, es habe geröthetes Wasser, aber nicht Blut in seinen Adern; mit größerem Recht läßt sich von Hrn. v. Cormenin behaupten, er habe nichts als Galle in dem seinen. Der Haß ist der Nerv der Demokratie, wie sie wenigstens jetzt sich hier gestaltet hat; der Haß macht die Partei so zäh, so blind und so unbeugsam. Was sonst noch ihre Wünsche bildet, das ist der Raub, die Rache und die Abenteuer eines Kriegs. Sie gäben einen Homer um einen Feldzug. Darauf steuern sie los mit vollen Segeln, dahin zielen alle ihre Anstrengungen. In diesen Entwürfen ist allerdings die Mehrheit der Nation und selbst ein Theil der Jugend ihnen entgegen; dennoch müssen sie, nach den Aeußerungen ihrer Freude zu schließen, dem Ziel sich nahe glauben. Alles freilich ist noch nicht entschieden, denn wenn das Lächerliche in Frankreich wirklich so tödtend ist, wie man behauptet, so muß die Ehrenmünze, die sie für Hrn. v. Cormenin zu schlagen vorhaben, ihre Sache unfehlbar zu Grunde richten. Man sieht es, so groß ihr Haß ist, entbehrt er doch der Größe. Die unauslöschliche Feindschaft, die Hannibal den Römern einst geschworen, war gleichsam eine Gottheit seines Vaterlands, und er nur ihr glühendster Priester; an dem Abend von Cannä mochten Alle jubeln, die Rom verwünschten – wer die Verwerfung einer mäßigen Summe und die daraus folgende Verletzung seines Gegners für einen großen, der Verewigung werthen Sieg nimmt, dessen Haß täuscht sich gewaltig über den Umfang der Dinge.
♂ Paris, 21 Febr. Es liegt in der öffentlichen Richtung der Gemüther der Franzosen eine fata morgana, aus der schon viele Täuschungen entsprangen. Die alte Liebe und Verehrung der Monarchie hat sich in eine Art Philosohie der Monarchie umgewandelt. Man fühlt in sich keine innere Einheit und Festigkeit der Gesinnung, schon aus diesem Grunde ist der französische Charakter als solcher wenig republicanisch: er ist zu irr, unstät, wetterwendisch. Man empfindet um sich, daß Jeder die Gewalt wünscht, d. h. nach dem Despotismus strebt; da aber alle Republik ein Gemeinwesen ist, ein Verzichtleisten auf individuelle Gewalthaberei, und die Gewalt in derselben nur in der Gemeinde lebt, so sehen die Franzosen auch wohl ein, daß nur Bürgerkrieg und endliche Despotie aus diesem Streben Aller nach der Gewalt als höchstem Ausdruck der Volkssouveränetät hervorgehen würde. Da diese beiden Grundzüge des öffentlichen Charakters der Franzosen: Unbeständigkeit der
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