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Allgemeine Zeitung. Nr. 63. Augsburg, 3. März 1840.

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beharren, dem von Hrn. Thiers vorbereiteten Cabinette fremd zu bleiben. Hr. Cousin soll Minister des öffentlichen Unterrichts werden. Hr. Thiers empfing heute Vormittag die Glückwünsche und die Aufmunterungen seiner Freunde. Hr. Dupin begab sich um 11 Uhr zu ihm, und hatte eine lange Conferenz mit ihm. Bei Abgang der Post hatte man noch nichts über das Resultat der neuesten Unterredung des Hrn. Thiers mit dem Könige erfahren.

Die Abreise Guizots auf seinen Posten regt alle Fragen, die man bei seiner Ernennung stellte, von neuem auf. Welchen Empfang wird man ihm, welche Stellung er sich selbst, welche Stellung Frankreich bereiten? Kein Zweifel, daß er als Denker sowohl durch sein Ansehn, als durch die fortwährende Entfaltung seines Geistes, auch in der Mitte des stolzen Englands die Ehre der Ueberlegenheit haben wird. Kein Volk ist mit Beweisen der Huldigung gegen einen hervorragenden Mann weniger sparsam; zugleich sind sie verständig, sind sie billig genug, an einem Fremden, ja an einem Gegner das zu schätzen, was sie an einem Landsmann auszeichnen würden. Dann ist Guizot Protestant, ein God fearing man, wie hochkirchlicher Eifer sich ausdrückt; das wird ihm natürlich als Verdienst angerechnet, denn es ist eine uralte Gewohnheit der Menschen, die Tugend eines Mannes oft am höchsten anzuschlagen, für die er am wenigsten kann. Auch der staatsmännische Ernst des berühmten Doctrinärs, seine Vorliebe für das unmittelbar Anwendbare und seine Scheu vor jeder Art von politischer Schwärmerei, seine Verehrung des aristokratischen Elements, wie der Staatseinrichtungen Großbritanniens und sein Anknüpfen der Gegenwart an die Geschichte - diese Eigenschaften, die eine gewisse Verwandtschaft seines Charakters mit dem der Engländer begründen, müssen nothwendig in England Eindruck machen. Wir lieben den nicht immer, der uns im Guten ähnelt - die Eifersucht hindert häufig uns daran; darum drängen auch wahrhaft liebenswürdige Menschen die Vorzüge, die sie an andern bemerken, in sich selbst zurück - aber achten müssen wir sie, die uns gleichen, denn dadurch achten wir uns selbst, und wir haben, in unserm Bewußtseyn wenigstens, ein größeres Bedürfniß uns zu achten, als uns zu lieben. Wird aber, fragt man mit skeptischer Miene, der gefeierte Professor und Redner im Stande seyn, durch die Weise seines Auftretens und die Formen seines Benehmens, auch in den Kreisen des höhern Gesellschaft Londons politischen Rang genügend zu vertreten? Er kann, sagen die, welche es verneinen, schon wegen des bürgerlichen Namens, den er trägt, einer so empfindlichen und stolzen Aristokratie, wie die englische, nicht willkommen seyn; ein Graf oder Baron Guizot würde sich gar zu komisch ausnehmen, und kein Lord oder Earl könnte dem Neugeadelten ohne verhaltenes Lächeln seinen Titel geben, Einem Hrn. Pontois, den bis jetzt Niemand kannte, dem durfte das Juste-Milieu ohne Anstand das Grafendiplom verleihen; kaum hatte man den nakten Namen gehört, kam schon das "von" hinzu; man konnte die erste Version für ein Mißverständniß nehmen, und sich daher leicht an den Comte de Pontois gewöhnen; allein wer als schlechtweg Guizot zu hohem Ruf gekommen, wer als schlechtweg Guizot in der Vorstellung seiner Zeitgenossen lebt, der muß unter den Reichsbaronen der Juliusrevolution, zwischen den HH. Pontois und Bresson eine sonderbare Figur spielen. Dann will man an dem ehemaligen Minister des öffentlichen Unterrichts wenig Anlagen für höhere Geselligkeit, und die Talente, die ein elegantes Haus erfordert, nicht im Ueberflusse gefunden haben. Hr. Thiers, meinen Einige, würde diese Aufgaben glücklicher lösen, die Biegsamkeit seiner Natur bald in die vornehme Sitte des brittischen Adels sich schicken, und die gauckelnde Gewandtheit seines Geistes seine dunkle Herkunft bald vergessen machen. Das Alles kann wahr seyn; allein diese Dinge haben nicht mehr viel Gewicht; sie sind heutzutage weder die Bedingungen der Bündnisse, noch die Ursachen der Feindschaft. Das Lächeln eines Gesandten mochte Völker versöhnen können zur Zeit, als eine zerbrochene Fensterscheibe hinreichte, um einen Bruch zwischen den Potentaten Europa's herbeizuführen; auf dem Punkte, auf dem die Weltgeschichte jetzt angelangt ist, kann die umgängliche Natur des Unterhändlers die Interessen der Nationen zu leichterm Verständnisse führen, zu ändern wird sie dieselben nicht vermögen. Die Interessen Englands und Frankreichs aber sind, was man in Kammern und Zeitungen dagegen sprach und spreche, vorläufig noch gemeinsam; welchen Gelüsten nach Vergrößerung ein großer Theil der Franzosen auch Raum gebe, diese Gelüste werden nie die Gründe aufwiegen, die Frankreich hat, die Ufer des Bosporus vor den Kosaken zu bewahren. Dehnt Gallien bis über den Rhein, dehnt es bis über die Alpen aus, aber gebt dem Czar Byzanz und den Hellespont, Frankreich wird nur eine zweite Macht seyn, während es jetzt mit die erste ist - und was dann erfolgen würde, ist unschwer abzusehen. In dieser Betrachtung liegt die Festigkeit eines Bündnisses, an dem man diesseits und jenseits des Canals seit Monaten zerrt und reißt, ohne daß man es zerreißen konnte, weil beide Länder zu gut wissen, was sie nicht wollen. Deßwegen konnte es auch nie recht Ernst mit der Sendung des Hrn. v. Brunnow werden, und was Lord Palmy anzettelte, sieht ganz aus wie eine Gespensterkomödie, um Frankreich einen heilsamen Schrecken beizubringen. Aber den unglaubigen Landsleuten Voltaire's ist vor Geisterspuk nicht mehr bange, und die spaßhafte Vermummung des Foreign Office hat Niemand in Furcht gesetzt. Darüber kann Hr. Guizot, der sich auf psychologische Vorträge gut versteht, der englischen Diplomatie eine Vorlesung halten, und der Welt beweisen, daß man Gesandter werden, und ohne Nachtheil dabei Professor bleiben könne. Nicht ungeeignet mag es seyn, die merkwürdigen Worte, die Jean Lafontaine, der einfache Fabulist, dem Gesandten Ludwigs XIV am Hofe Karls II schrieb, hier in freier Uebertragung anzuführen.

Daß Feindeswaffen aus allen Gauen
Europa's uns entgegen schauen,
Das trübet kaum mir den heitern Sinn;
Doch daß auch Englands Freundschaft hin,
Das hab' ich Mühe zu verdauen.

So dachte vor bald zweihundert Jahren Frankreichs heute noch populärster Dichter über die englische Allianz. Guizot wird übrigens kein schweres Spiel haben, da die Führer der beiden großen Parteien um die Wette bemüht sind, die Wichtigkeit guten Vernehmens mit Frankreich hervorzuheben, und sich gegenseitig die Ursache der Kälte zwischen dem Volke diesseits und jenseits des Canals vorwerfen. Auf der andern Seite sollten die Franzosen die Ausfälle ihrer Nachbarn zwar gebührend erwiedern, aber für das nur, was sie sind, für Aeußerungen vorübergehenden Zorns, nicht für Zeichen nachhaltiger Feindschaft nehmen. Der Engländer ist einmal nicht gewohnt, seine Worte auf die Wage der Höflichkeit zu legen, aber er ist zum wenigsten unparteiisch in seiner Grobheit, und behandelt, wenn die Gelegenheit sich bietet, seine germanischen Stammverwandten nicht glimpflicher, als Russen und Aegyptier. Hier nur Ein Beispiel. "Wenn ein Mann, so beginnt die neueste Nummer von Blackwoods Magazine einen Aufsatz über Wolfgang Menzel, wenn ein Mann die Geschichte eines Wallfisches, der plötzlich Mensch geworden, und in seiner neuen Form die Gefühle und Neigungen seiner früheren Gestalt behielte, so wie eine Darstellung

beharren, dem von Hrn. Thiers vorbereiteten Cabinette fremd zu bleiben. Hr. Cousin soll Minister des öffentlichen Unterrichts werden. Hr. Thiers empfing heute Vormittag die Glückwünsche und die Aufmunterungen seiner Freunde. Hr. Dupin begab sich um 11 Uhr zu ihm, und hatte eine lange Conferenz mit ihm. Bei Abgang der Post hatte man noch nichts über das Resultat der neuesten Unterredung des Hrn. Thiers mit dem Könige erfahren.

Die Abreise Guizots auf seinen Posten regt alle Fragen, die man bei seiner Ernennung stellte, von neuem auf. Welchen Empfang wird man ihm, welche Stellung er sich selbst, welche Stellung Frankreich bereiten? Kein Zweifel, daß er als Denker sowohl durch sein Ansehn, als durch die fortwährende Entfaltung seines Geistes, auch in der Mitte des stolzen Englands die Ehre der Ueberlegenheit haben wird. Kein Volk ist mit Beweisen der Huldigung gegen einen hervorragenden Mann weniger sparsam; zugleich sind sie verständig, sind sie billig genug, an einem Fremden, ja an einem Gegner das zu schätzen, was sie an einem Landsmann auszeichnen würden. Dann ist Guizot Protestant, ein God fearing man, wie hochkirchlicher Eifer sich ausdrückt; das wird ihm natürlich als Verdienst angerechnet, denn es ist eine uralte Gewohnheit der Menschen, die Tugend eines Mannes oft am höchsten anzuschlagen, für die er am wenigsten kann. Auch der staatsmännische Ernst des berühmten Doctrinärs, seine Vorliebe für das unmittelbar Anwendbare und seine Scheu vor jeder Art von politischer Schwärmerei, seine Verehrung des aristokratischen Elements, wie der Staatseinrichtungen Großbritanniens und sein Anknüpfen der Gegenwart an die Geschichte – diese Eigenschaften, die eine gewisse Verwandtschaft seines Charakters mit dem der Engländer begründen, müssen nothwendig in England Eindruck machen. Wir lieben den nicht immer, der uns im Guten ähnelt – die Eifersucht hindert häufig uns daran; darum drängen auch wahrhaft liebenswürdige Menschen die Vorzüge, die sie an andern bemerken, in sich selbst zurück – aber achten müssen wir sie, die uns gleichen, denn dadurch achten wir uns selbst, und wir haben, in unserm Bewußtseyn wenigstens, ein größeres Bedürfniß uns zu achten, als uns zu lieben. Wird aber, fragt man mit skeptischer Miene, der gefeierte Professor und Redner im Stande seyn, durch die Weise seines Auftretens und die Formen seines Benehmens, auch in den Kreisen des höhern Gesellschaft Londons politischen Rang genügend zu vertreten? Er kann, sagen die, welche es verneinen, schon wegen des bürgerlichen Namens, den er trägt, einer so empfindlichen und stolzen Aristokratie, wie die englische, nicht willkommen seyn; ein Graf oder Baron Guizot würde sich gar zu komisch ausnehmen, und kein Lord oder Earl könnte dem Neugeadelten ohne verhaltenes Lächeln seinen Titel geben, Einem Hrn. Pontois, den bis jetzt Niemand kannte, dem durfte das Juste-Milieu ohne Anstand das Grafendiplom verleihen; kaum hatte man den nakten Namen gehört, kam schon das „von“ hinzu; man konnte die erste Version für ein Mißverständniß nehmen, und sich daher leicht an den Comte de Pontois gewöhnen; allein wer als schlechtweg Guizot zu hohem Ruf gekommen, wer als schlechtweg Guizot in der Vorstellung seiner Zeitgenossen lebt, der muß unter den Reichsbaronen der Juliusrevolution, zwischen den HH. Pontois und Bresson eine sonderbare Figur spielen. Dann will man an dem ehemaligen Minister des öffentlichen Unterrichts wenig Anlagen für höhere Geselligkeit, und die Talente, die ein elegantes Haus erfordert, nicht im Ueberflusse gefunden haben. Hr. Thiers, meinen Einige, würde diese Aufgaben glücklicher lösen, die Biegsamkeit seiner Natur bald in die vornehme Sitte des brittischen Adels sich schicken, und die gauckelnde Gewandtheit seines Geistes seine dunkle Herkunft bald vergessen machen. Das Alles kann wahr seyn; allein diese Dinge haben nicht mehr viel Gewicht; sie sind heutzutage weder die Bedingungen der Bündnisse, noch die Ursachen der Feindschaft. Das Lächeln eines Gesandten mochte Völker versöhnen können zur Zeit, als eine zerbrochene Fensterscheibe hinreichte, um einen Bruch zwischen den Potentaten Europa's herbeizuführen; auf dem Punkte, auf dem die Weltgeschichte jetzt angelangt ist, kann die umgängliche Natur des Unterhändlers die Interessen der Nationen zu leichterm Verständnisse führen, zu ändern wird sie dieselben nicht vermögen. Die Interessen Englands und Frankreichs aber sind, was man in Kammern und Zeitungen dagegen sprach und spreche, vorläufig noch gemeinsam; welchen Gelüsten nach Vergrößerung ein großer Theil der Franzosen auch Raum gebe, diese Gelüste werden nie die Gründe aufwiegen, die Frankreich hat, die Ufer des Bosporus vor den Kosaken zu bewahren. Dehnt Gallien bis über den Rhein, dehnt es bis über die Alpen aus, aber gebt dem Czar Byzanz und den Hellespont, Frankreich wird nur eine zweite Macht seyn, während es jetzt mit die erste ist – und was dann erfolgen würde, ist unschwer abzusehen. In dieser Betrachtung liegt die Festigkeit eines Bündnisses, an dem man diesseits und jenseits des Canals seit Monaten zerrt und reißt, ohne daß man es zerreißen konnte, weil beide Länder zu gut wissen, was sie nicht wollen. Deßwegen konnte es auch nie recht Ernst mit der Sendung des Hrn. v. Brunnow werden, und was Lord Palmy anzettelte, sieht ganz aus wie eine Gespensterkomödie, um Frankreich einen heilsamen Schrecken beizubringen. Aber den unglaubigen Landsleuten Voltaire's ist vor Geisterspuk nicht mehr bange, und die spaßhafte Vermummung des Foreign Office hat Niemand in Furcht gesetzt. Darüber kann Hr. Guizot, der sich auf psychologische Vorträge gut versteht, der englischen Diplomatie eine Vorlesung halten, und der Welt beweisen, daß man Gesandter werden, und ohne Nachtheil dabei Professor bleiben könne. Nicht ungeeignet mag es seyn, die merkwürdigen Worte, die Jean Lafontaine, der einfache Fabulist, dem Gesandten Ludwigs XIV am Hofe Karls II schrieb, hier in freier Uebertragung anzuführen.

Daß Feindeswaffen aus allen Gauen
Europa's uns entgegen schauen,
Das trübet kaum mir den heitern Sinn;
Doch daß auch Englands Freundschaft hin,
Das hab' ich Mühe zu verdauen.

So dachte vor bald zweihundert Jahren Frankreichs heute noch populärster Dichter über die englische Allianz. Guizot wird übrigens kein schweres Spiel haben, da die Führer der beiden großen Parteien um die Wette bemüht sind, die Wichtigkeit guten Vernehmens mit Frankreich hervorzuheben, und sich gegenseitig die Ursache der Kälte zwischen dem Volke diesseits und jenseits des Canals vorwerfen. Auf der andern Seite sollten die Franzosen die Ausfälle ihrer Nachbarn zwar gebührend erwiedern, aber für das nur, was sie sind, für Aeußerungen vorübergehenden Zorns, nicht für Zeichen nachhaltiger Feindschaft nehmen. Der Engländer ist einmal nicht gewohnt, seine Worte auf die Wage der Höflichkeit zu legen, aber er ist zum wenigsten unparteiisch in seiner Grobheit, und behandelt, wenn die Gelegenheit sich bietet, seine germanischen Stammverwandten nicht glimpflicher, als Russen und Aegyptier. Hier nur Ein Beispiel. „Wenn ein Mann, so beginnt die neueste Nummer von Blackwoods Magazine einen Aufsatz über Wolfgang Menzel, wenn ein Mann die Geschichte eines Wallfisches, der plötzlich Mensch geworden, und in seiner neuen Form die Gefühle und Neigungen seiner früheren Gestalt behielte, so wie eine Darstellung

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          <p> Die Abreise Guizots auf seinen Posten regt alle Fragen, die man bei seiner Ernennung stellte, von neuem auf. Welchen Empfang wird man ihm, welche Stellung er sich selbst, welche Stellung Frankreich bereiten? Kein Zweifel, daß er als Denker sowohl durch sein Ansehn, als durch die fortwährende Entfaltung seines Geistes, auch in der Mitte des stolzen Englands die Ehre der Ueberlegenheit haben wird. Kein Volk ist mit Beweisen der Huldigung gegen einen hervorragenden Mann weniger sparsam; zugleich sind sie verständig, sind sie billig genug, an einem Fremden, ja an einem Gegner das zu schätzen, was sie an einem Landsmann auszeichnen würden. Dann ist Guizot Protestant, ein God fearing man, wie hochkirchlicher Eifer sich ausdrückt; das wird ihm natürlich als Verdienst angerechnet, denn es ist eine uralte Gewohnheit der Menschen, die Tugend eines Mannes oft am höchsten anzuschlagen, für die er am wenigsten kann. Auch der staatsmännische Ernst des berühmten Doctrinärs, seine Vorliebe für das unmittelbar Anwendbare und seine Scheu vor jeder Art von politischer Schwärmerei, seine Verehrung des aristokratischen Elements, wie der Staatseinrichtungen Großbritanniens und sein Anknüpfen der Gegenwart an die Geschichte &#x2013; diese Eigenschaften, die eine gewisse Verwandtschaft seines Charakters mit dem der Engländer begründen, müssen nothwendig in England Eindruck machen. Wir lieben den nicht immer, der uns im Guten ähnelt &#x2013; die Eifersucht hindert häufig uns daran; darum drängen auch wahrhaft liebenswürdige Menschen die Vorzüge, die sie an andern bemerken, in sich selbst zurück &#x2013; aber achten müssen wir sie, die uns gleichen, denn dadurch achten wir uns selbst, und wir haben, in unserm Bewußtseyn wenigstens, ein größeres Bedürfniß uns zu achten, als uns zu lieben. Wird aber, fragt man mit skeptischer Miene, der gefeierte Professor und Redner im Stande seyn, durch die Weise seines Auftretens und die Formen seines Benehmens, auch in den Kreisen des höhern Gesellschaft Londons politischen Rang genügend zu vertreten? Er kann, sagen die, welche es verneinen, schon wegen des bürgerlichen Namens, den er trägt, einer so empfindlichen und stolzen Aristokratie, wie die englische, nicht willkommen seyn; ein Graf oder Baron Guizot würde sich gar zu komisch ausnehmen, und kein Lord oder Earl könnte dem Neugeadelten ohne verhaltenes Lächeln seinen Titel geben, Einem Hrn. 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Thiers, meinen Einige, würde diese Aufgaben glücklicher lösen, die Biegsamkeit seiner Natur bald in die vornehme Sitte des brittischen Adels sich schicken, und die gauckelnde Gewandtheit seines Geistes seine dunkle Herkunft bald vergessen machen. Das Alles kann wahr seyn; allein diese Dinge haben nicht mehr viel Gewicht; sie sind heutzutage weder die Bedingungen der Bündnisse, noch die Ursachen der Feindschaft. Das Lächeln eines Gesandten mochte Völker versöhnen können zur Zeit, als eine zerbrochene Fensterscheibe hinreichte, um einen Bruch zwischen den Potentaten Europa's herbeizuführen; auf dem Punkte, auf dem die Weltgeschichte jetzt angelangt ist, kann die umgängliche Natur des Unterhändlers die Interessen der Nationen zu leichterm Verständnisse führen, zu ändern wird sie dieselben nicht vermögen. Die Interessen Englands und Frankreichs aber sind, was man in Kammern und Zeitungen dagegen sprach und spreche, vorläufig noch gemeinsam; welchen Gelüsten nach Vergrößerung ein großer Theil der Franzosen auch Raum gebe, diese Gelüste werden nie die Gründe aufwiegen, die Frankreich hat, die Ufer des Bosporus vor den Kosaken zu bewahren. Dehnt Gallien bis über den Rhein, dehnt es bis über die Alpen aus, aber gebt dem Czar Byzanz und den Hellespont, Frankreich wird nur eine zweite Macht seyn, während es jetzt mit die erste ist &#x2013; und was dann erfolgen würde, ist unschwer abzusehen. In dieser Betrachtung liegt die Festigkeit eines Bündnisses, an dem man diesseits und jenseits des Canals seit Monaten zerrt und reißt, ohne daß man es zerreißen konnte, weil beide Länder zu gut wissen, was sie nicht wollen. Deßwegen konnte es auch nie recht Ernst mit der Sendung des Hrn. v. Brunnow werden, und was Lord Palmy anzettelte, sieht ganz aus wie eine Gespensterkomödie, um Frankreich einen heilsamen Schrecken beizubringen. Aber den unglaubigen Landsleuten Voltaire's ist vor Geisterspuk nicht mehr bange, und die spaßhafte Vermummung des Foreign Office hat Niemand in Furcht gesetzt. Darüber kann Hr. Guizot, der sich auf psychologische Vorträge gut versteht, der englischen Diplomatie eine Vorlesung halten, und der Welt beweisen, daß man Gesandter werden, und ohne Nachtheil dabei Professor bleiben könne. Nicht ungeeignet mag es seyn, die merkwürdigen Worte, die Jean Lafontaine, der einfache Fabulist, dem Gesandten Ludwigs XIV am Hofe Karls II schrieb, hier in freier Uebertragung anzuführen.</p><lb/>
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[0500/0004] beharren, dem von Hrn. Thiers vorbereiteten Cabinette fremd zu bleiben. Hr. Cousin soll Minister des öffentlichen Unterrichts werden. Hr. Thiers empfing heute Vormittag die Glückwünsche und die Aufmunterungen seiner Freunde. Hr. Dupin begab sich um 11 Uhr zu ihm, und hatte eine lange Conferenz mit ihm. Bei Abgang der Post hatte man noch nichts über das Resultat der neuesten Unterredung des Hrn. Thiers mit dem Könige erfahren. _ Paris, 26 Febr. Die Abreise Guizots auf seinen Posten regt alle Fragen, die man bei seiner Ernennung stellte, von neuem auf. Welchen Empfang wird man ihm, welche Stellung er sich selbst, welche Stellung Frankreich bereiten? Kein Zweifel, daß er als Denker sowohl durch sein Ansehn, als durch die fortwährende Entfaltung seines Geistes, auch in der Mitte des stolzen Englands die Ehre der Ueberlegenheit haben wird. Kein Volk ist mit Beweisen der Huldigung gegen einen hervorragenden Mann weniger sparsam; zugleich sind sie verständig, sind sie billig genug, an einem Fremden, ja an einem Gegner das zu schätzen, was sie an einem Landsmann auszeichnen würden. Dann ist Guizot Protestant, ein God fearing man, wie hochkirchlicher Eifer sich ausdrückt; das wird ihm natürlich als Verdienst angerechnet, denn es ist eine uralte Gewohnheit der Menschen, die Tugend eines Mannes oft am höchsten anzuschlagen, für die er am wenigsten kann. Auch der staatsmännische Ernst des berühmten Doctrinärs, seine Vorliebe für das unmittelbar Anwendbare und seine Scheu vor jeder Art von politischer Schwärmerei, seine Verehrung des aristokratischen Elements, wie der Staatseinrichtungen Großbritanniens und sein Anknüpfen der Gegenwart an die Geschichte – diese Eigenschaften, die eine gewisse Verwandtschaft seines Charakters mit dem der Engländer begründen, müssen nothwendig in England Eindruck machen. Wir lieben den nicht immer, der uns im Guten ähnelt – die Eifersucht hindert häufig uns daran; darum drängen auch wahrhaft liebenswürdige Menschen die Vorzüge, die sie an andern bemerken, in sich selbst zurück – aber achten müssen wir sie, die uns gleichen, denn dadurch achten wir uns selbst, und wir haben, in unserm Bewußtseyn wenigstens, ein größeres Bedürfniß uns zu achten, als uns zu lieben. Wird aber, fragt man mit skeptischer Miene, der gefeierte Professor und Redner im Stande seyn, durch die Weise seines Auftretens und die Formen seines Benehmens, auch in den Kreisen des höhern Gesellschaft Londons politischen Rang genügend zu vertreten? Er kann, sagen die, welche es verneinen, schon wegen des bürgerlichen Namens, den er trägt, einer so empfindlichen und stolzen Aristokratie, wie die englische, nicht willkommen seyn; ein Graf oder Baron Guizot würde sich gar zu komisch ausnehmen, und kein Lord oder Earl könnte dem Neugeadelten ohne verhaltenes Lächeln seinen Titel geben, Einem Hrn. Pontois, den bis jetzt Niemand kannte, dem durfte das Juste-Milieu ohne Anstand das Grafendiplom verleihen; kaum hatte man den nakten Namen gehört, kam schon das „von“ hinzu; man konnte die erste Version für ein Mißverständniß nehmen, und sich daher leicht an den Comte de Pontois gewöhnen; allein wer als schlechtweg Guizot zu hohem Ruf gekommen, wer als schlechtweg Guizot in der Vorstellung seiner Zeitgenossen lebt, der muß unter den Reichsbaronen der Juliusrevolution, zwischen den HH. Pontois und Bresson eine sonderbare Figur spielen. Dann will man an dem ehemaligen Minister des öffentlichen Unterrichts wenig Anlagen für höhere Geselligkeit, und die Talente, die ein elegantes Haus erfordert, nicht im Ueberflusse gefunden haben. Hr. Thiers, meinen Einige, würde diese Aufgaben glücklicher lösen, die Biegsamkeit seiner Natur bald in die vornehme Sitte des brittischen Adels sich schicken, und die gauckelnde Gewandtheit seines Geistes seine dunkle Herkunft bald vergessen machen. Das Alles kann wahr seyn; allein diese Dinge haben nicht mehr viel Gewicht; sie sind heutzutage weder die Bedingungen der Bündnisse, noch die Ursachen der Feindschaft. Das Lächeln eines Gesandten mochte Völker versöhnen können zur Zeit, als eine zerbrochene Fensterscheibe hinreichte, um einen Bruch zwischen den Potentaten Europa's herbeizuführen; auf dem Punkte, auf dem die Weltgeschichte jetzt angelangt ist, kann die umgängliche Natur des Unterhändlers die Interessen der Nationen zu leichterm Verständnisse führen, zu ändern wird sie dieselben nicht vermögen. Die Interessen Englands und Frankreichs aber sind, was man in Kammern und Zeitungen dagegen sprach und spreche, vorläufig noch gemeinsam; welchen Gelüsten nach Vergrößerung ein großer Theil der Franzosen auch Raum gebe, diese Gelüste werden nie die Gründe aufwiegen, die Frankreich hat, die Ufer des Bosporus vor den Kosaken zu bewahren. Dehnt Gallien bis über den Rhein, dehnt es bis über die Alpen aus, aber gebt dem Czar Byzanz und den Hellespont, Frankreich wird nur eine zweite Macht seyn, während es jetzt mit die erste ist – und was dann erfolgen würde, ist unschwer abzusehen. In dieser Betrachtung liegt die Festigkeit eines Bündnisses, an dem man diesseits und jenseits des Canals seit Monaten zerrt und reißt, ohne daß man es zerreißen konnte, weil beide Länder zu gut wissen, was sie nicht wollen. Deßwegen konnte es auch nie recht Ernst mit der Sendung des Hrn. v. Brunnow werden, und was Lord Palmy anzettelte, sieht ganz aus wie eine Gespensterkomödie, um Frankreich einen heilsamen Schrecken beizubringen. Aber den unglaubigen Landsleuten Voltaire's ist vor Geisterspuk nicht mehr bange, und die spaßhafte Vermummung des Foreign Office hat Niemand in Furcht gesetzt. Darüber kann Hr. Guizot, der sich auf psychologische Vorträge gut versteht, der englischen Diplomatie eine Vorlesung halten, und der Welt beweisen, daß man Gesandter werden, und ohne Nachtheil dabei Professor bleiben könne. Nicht ungeeignet mag es seyn, die merkwürdigen Worte, die Jean Lafontaine, der einfache Fabulist, dem Gesandten Ludwigs XIV am Hofe Karls II schrieb, hier in freier Uebertragung anzuführen. Daß Feindeswaffen aus allen Gauen Europa's uns entgegen schauen, Das trübet kaum mir den heitern Sinn; Doch daß auch Englands Freundschaft hin, Das hab' ich Mühe zu verdauen. So dachte vor bald zweihundert Jahren Frankreichs heute noch populärster Dichter über die englische Allianz. Guizot wird übrigens kein schweres Spiel haben, da die Führer der beiden großen Parteien um die Wette bemüht sind, die Wichtigkeit guten Vernehmens mit Frankreich hervorzuheben, und sich gegenseitig die Ursache der Kälte zwischen dem Volke diesseits und jenseits des Canals vorwerfen. Auf der andern Seite sollten die Franzosen die Ausfälle ihrer Nachbarn zwar gebührend erwiedern, aber für das nur, was sie sind, für Aeußerungen vorübergehenden Zorns, nicht für Zeichen nachhaltiger Feindschaft nehmen. Der Engländer ist einmal nicht gewohnt, seine Worte auf die Wage der Höflichkeit zu legen, aber er ist zum wenigsten unparteiisch in seiner Grobheit, und behandelt, wenn die Gelegenheit sich bietet, seine germanischen Stammverwandten nicht glimpflicher, als Russen und Aegyptier. Hier nur Ein Beispiel. „Wenn ein Mann, so beginnt die neueste Nummer von Blackwoods Magazine einen Aufsatz über Wolfgang Menzel, wenn ein Mann die Geschichte eines Wallfisches, der plötzlich Mensch geworden, und in seiner neuen Form die Gefühle und Neigungen seiner früheren Gestalt behielte, so wie eine Darstellung

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 63. Augsburg, 3. März 1840, S. 0500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_063_18400303/4>, abgerufen am 21.11.2024.