Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg, 4. März 1840.Türkei. Konstantinopel, 12 Febr. Man lebt hier in völliger Ungewißheit über das, was in London geschieht. Man hofft, daß die Mächte sich bereits verständigt haben, da die letzten Berichte aus Wien vermuthen ließen, daß Hr. v. Brunnow seine Mission glücklich beendet hat. Man fühlt sich aber versucht, das Gegentheil zu glauben, wenn man die Haltung Mehemed Ali's in Betracht zieht. Dieser ist unbeweglich, und läßt sich durch nichts beirren. Er würde solches Vertrauen nicht affectiren können, sobald er überzeugt wäre, daß alle Meinungsverschiedenheiten unter den Mächten aufgehört haben; er würde sich vielmehr beeilen, jede nach Möglichkeit zufrieden zu stellen. Dieß thut er nun nicht, und darum weiß man nicht, wie es eigentlich in London steht. Hier steht es schlimm, schlimm, weil die Sachen sich in die Länge ziehen, und die Pforte in der ewigen Ungewißheit, in der sie schwebt, zuletzt aus lauter Vertrauen zu Grabe gehen muß. Uebrigens gehört türkische Indolenz dazu, um nicht ängstlicher zu seyn, als man hier ist, und um nicht endlich die Geduld über alle Unbilden zu verlieren, die man von Freund und Feind der Reihe nach erfahren muß. Da hat Lord Ponsonby von seiner vielgepriesenen Achtung für die Rechte des Sultans eine neue Probe abgelegt. Er verlangt mehr als peremtorisch die Absetzung des griechischen Patriarchen, weil er ihn in Verdacht hat, daß er Verbindungen auf den jonischen Inseln unterhalte, welche die englische Regierung nicht dulden will, weil sie dazu dienen, die Gemüther der Unterthanen Ihrer brittischen Majestät aufzuregen. Die Pforte hat diese Zumuthung bis jetzt standhaft zurückgewiesen, indem sie nach einer andern Seite hin in die größte Verlegenheit versetzt würde, falls sie solcher Aufforderung entspräche. Lord Ponsonby, gereizt, hat der Pforte gedroht, sie lade den Zorn Englands auf sich, wenn sie sich nicht nachgiebig zeige. Reschid Pascha weiß nicht, was er thun soll, und scheint seinen Posten herzlich satt zu haben. Er denkt daran, sich zurückzuziehen; allein Chosrew Pascha bietet Alles auf, um ihm Muth einzuflößen. Es handelt sich freilich weniger darum, wer das Portefeuille des Aeußern inne hat, als ob es möglich ist, Lord Ponsonby zu beruhigen. Es scheint schwer, und so ist denn eine Streitfrage hier aufgeworfen, die wahrlich nicht geeignet ist, das kaum gehoffte gute Einvernehmen zu pflegen, das so sehr berücksichtigt werden sollte, und von dem so viel gesprochen ward. Hr. v. Pontois sieht ruhig zu, wie sich jeder abhärmt, um Einfluß zu gewinnen, wobei oft zu den sonderbarsten Mitteln gegriffen wird. Türkei. Konstantinopel, 12 Febr. Man lebt hier in völliger Ungewißheit über das, was in London geschieht. Man hofft, daß die Mächte sich bereits verständigt haben, da die letzten Berichte aus Wien vermuthen ließen, daß Hr. v. Brunnow seine Mission glücklich beendet hat. Man fühlt sich aber versucht, das Gegentheil zu glauben, wenn man die Haltung Mehemed Ali's in Betracht zieht. Dieser ist unbeweglich, und läßt sich durch nichts beirren. Er würde solches Vertrauen nicht affectiren können, sobald er überzeugt wäre, daß alle Meinungsverschiedenheiten unter den Mächten aufgehört haben; er würde sich vielmehr beeilen, jede nach Möglichkeit zufrieden zu stellen. Dieß thut er nun nicht, und darum weiß man nicht, wie es eigentlich in London steht. Hier steht es schlimm, schlimm, weil die Sachen sich in die Länge ziehen, und die Pforte in der ewigen Ungewißheit, in der sie schwebt, zuletzt aus lauter Vertrauen zu Grabe gehen muß. Uebrigens gehört türkische Indolenz dazu, um nicht ängstlicher zu seyn, als man hier ist, und um nicht endlich die Geduld über alle Unbilden zu verlieren, die man von Freund und Feind der Reihe nach erfahren muß. Da hat Lord Ponsonby von seiner vielgepriesenen Achtung für die Rechte des Sultans eine neue Probe abgelegt. Er verlangt mehr als peremtorisch die Absetzung des griechischen Patriarchen, weil er ihn in Verdacht hat, daß er Verbindungen auf den jonischen Inseln unterhalte, welche die englische Regierung nicht dulden will, weil sie dazu dienen, die Gemüther der Unterthanen Ihrer brittischen Majestät aufzuregen. Die Pforte hat diese Zumuthung bis jetzt standhaft zurückgewiesen, indem sie nach einer andern Seite hin in die größte Verlegenheit versetzt würde, falls sie solcher Aufforderung entspräche. Lord Ponsonby, gereizt, hat der Pforte gedroht, sie lade den Zorn Englands auf sich, wenn sie sich nicht nachgiebig zeige. Reschid Pascha weiß nicht, was er thun soll, und scheint seinen Posten herzlich satt zu haben. Er denkt daran, sich zurückzuziehen; allein Chosrew Pascha bietet Alles auf, um ihm Muth einzuflößen. Es handelt sich freilich weniger darum, wer das Portefeuille des Aeußern inne hat, als ob es möglich ist, Lord Ponsonby zu beruhigen. Es scheint schwer, und so ist denn eine Streitfrage hier aufgeworfen, die wahrlich nicht geeignet ist, das kaum gehoffte gute Einvernehmen zu pflegen, das so sehr berücksichtigt werden sollte, und von dem so viel gesprochen ward. Hr. v. Pontois sieht ruhig zu, wie sich jeder abhärmt, um Einfluß zu gewinnen, wobei oft zu den sonderbarsten Mitteln gegriffen wird. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0008" n="0512"/> </div> </div> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Türkei.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Konstantinopel,</hi> 12 Febr.</dateline> <p> Man lebt hier in völliger Ungewißheit über das, was in London geschieht. Man hofft, daß die Mächte sich bereits verständigt haben, da die letzten Berichte aus Wien vermuthen ließen, daß Hr. v. Brunnow seine Mission glücklich beendet hat. Man fühlt sich aber versucht, das Gegentheil zu glauben, wenn man die Haltung Mehemed Ali's in Betracht zieht. Dieser ist unbeweglich, und läßt sich durch nichts beirren. Er würde solches Vertrauen nicht affectiren können, sobald er überzeugt wäre, daß alle Meinungsverschiedenheiten unter den Mächten aufgehört haben; er würde sich vielmehr beeilen, jede nach Möglichkeit zufrieden zu stellen. Dieß thut er nun nicht, und darum weiß man nicht, wie es eigentlich in London steht. Hier steht es schlimm, schlimm, weil die Sachen sich in die Länge ziehen, und die Pforte in der ewigen Ungewißheit, in der sie schwebt, zuletzt aus lauter Vertrauen zu Grabe gehen muß. Uebrigens gehört türkische Indolenz dazu, um nicht ängstlicher zu seyn, als man hier ist, und um nicht endlich die Geduld über alle Unbilden zu verlieren, die man von Freund und Feind der Reihe nach erfahren muß. Da hat Lord Ponsonby von seiner vielgepriesenen Achtung für die Rechte des Sultans eine neue Probe abgelegt. Er verlangt mehr als peremtorisch die Absetzung des griechischen Patriarchen, weil er ihn in Verdacht hat, daß er Verbindungen auf den jonischen Inseln unterhalte, welche die englische Regierung nicht dulden will, weil sie dazu dienen, die Gemüther der Unterthanen Ihrer brittischen Majestät aufzuregen. Die Pforte hat diese Zumuthung bis jetzt standhaft zurückgewiesen, indem sie nach einer andern Seite hin in die größte Verlegenheit versetzt würde, falls sie solcher Aufforderung entspräche. Lord Ponsonby, gereizt, hat der Pforte gedroht, sie lade den Zorn Englands auf sich, wenn sie sich nicht nachgiebig zeige. Reschid Pascha weiß nicht, was er thun soll, und scheint seinen Posten herzlich satt zu haben. Er denkt daran, sich zurückzuziehen; allein Chosrew Pascha bietet Alles auf, um ihm Muth einzuflößen. Es handelt sich freilich weniger darum, wer das Portefeuille des Aeußern inne hat, als ob es möglich ist, Lord Ponsonby zu beruhigen. Es scheint schwer, und so ist denn eine Streitfrage hier aufgeworfen, die wahrlich nicht geeignet ist, das kaum gehoffte gute Einvernehmen zu pflegen, das so sehr berücksichtigt werden sollte, und von dem so viel gesprochen ward. Hr. v. Pontois sieht ruhig zu, wie sich jeder abhärmt, um Einfluß zu gewinnen, wobei oft zu den sonderbarsten Mitteln gegriffen wird.</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [0512/0008]
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_ Konstantinopel, 12 Febr. Man lebt hier in völliger Ungewißheit über das, was in London geschieht. Man hofft, daß die Mächte sich bereits verständigt haben, da die letzten Berichte aus Wien vermuthen ließen, daß Hr. v. Brunnow seine Mission glücklich beendet hat. Man fühlt sich aber versucht, das Gegentheil zu glauben, wenn man die Haltung Mehemed Ali's in Betracht zieht. Dieser ist unbeweglich, und läßt sich durch nichts beirren. Er würde solches Vertrauen nicht affectiren können, sobald er überzeugt wäre, daß alle Meinungsverschiedenheiten unter den Mächten aufgehört haben; er würde sich vielmehr beeilen, jede nach Möglichkeit zufrieden zu stellen. Dieß thut er nun nicht, und darum weiß man nicht, wie es eigentlich in London steht. Hier steht es schlimm, schlimm, weil die Sachen sich in die Länge ziehen, und die Pforte in der ewigen Ungewißheit, in der sie schwebt, zuletzt aus lauter Vertrauen zu Grabe gehen muß. Uebrigens gehört türkische Indolenz dazu, um nicht ängstlicher zu seyn, als man hier ist, und um nicht endlich die Geduld über alle Unbilden zu verlieren, die man von Freund und Feind der Reihe nach erfahren muß. Da hat Lord Ponsonby von seiner vielgepriesenen Achtung für die Rechte des Sultans eine neue Probe abgelegt. Er verlangt mehr als peremtorisch die Absetzung des griechischen Patriarchen, weil er ihn in Verdacht hat, daß er Verbindungen auf den jonischen Inseln unterhalte, welche die englische Regierung nicht dulden will, weil sie dazu dienen, die Gemüther der Unterthanen Ihrer brittischen Majestät aufzuregen. Die Pforte hat diese Zumuthung bis jetzt standhaft zurückgewiesen, indem sie nach einer andern Seite hin in die größte Verlegenheit versetzt würde, falls sie solcher Aufforderung entspräche. Lord Ponsonby, gereizt, hat der Pforte gedroht, sie lade den Zorn Englands auf sich, wenn sie sich nicht nachgiebig zeige. Reschid Pascha weiß nicht, was er thun soll, und scheint seinen Posten herzlich satt zu haben. Er denkt daran, sich zurückzuziehen; allein Chosrew Pascha bietet Alles auf, um ihm Muth einzuflößen. Es handelt sich freilich weniger darum, wer das Portefeuille des Aeußern inne hat, als ob es möglich ist, Lord Ponsonby zu beruhigen. Es scheint schwer, und so ist denn eine Streitfrage hier aufgeworfen, die wahrlich nicht geeignet ist, das kaum gehoffte gute Einvernehmen zu pflegen, das so sehr berücksichtigt werden sollte, und von dem so viel gesprochen ward. Hr. v. Pontois sieht ruhig zu, wie sich jeder abhärmt, um Einfluß zu gewinnen, wobei oft zu den sonderbarsten Mitteln gegriffen wird.
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