Allgemeine Zeitung. Nr. 65. Augsburg, 5. März 1840.Graf Mole über den General Bernard. Graf Mole hielt bekanntlich am 22 Febr. in der Pairskammer eine Gedächtnißrede zu Ehren des jüngst verstorbenen Generals Bernard, ehemaligen Kriegsministers. Die Kammer nahm die Rede sehr beifällig auf und verordnete deren Druck. Auch die Journale aller Parteien loben Gehalt und Darstellung gleich sehr. Wir müssen uns darauf beschränken, den Nekrolog nur im Auszug mitzutheilen. "Simon Bernard ist im Städten Dole (Jura-Departement) am 28 April 1779 von armen, aber geachteten Eltern geboren. Sein Vater war ein Handwerker, der keine Mittel hatte, seinem Sohn eine höhere Erziehung zu geben. Dieser hatte nur die Aussicht ein guter Handwerker zu werden, als durch einen merkwürdigen Zufall seine Fähigkeiten geweckt wurden. Mit einem Haufen Cameraden war der junge Bernard öfters über die Mauer eines Klostergartens geklettert, um dort Früchte zu holen. Die Mönche stellten sich einmal in den Hinterhalt, um die kleinen Diebe zu ertappen; Bernard blieb allein Gefangener und mußte für Alle bezahlen. Bald aber erschracken die Mönche selbst über die Folgen ihrer Strenge, und ehe sie den kleinen Simon wieder frei ließen, wollten sie sich mit ihm aussöhnen. Sie hatten in ihm bald die einzige Seite entdeckt, durch welche das Kind zu beruhigen und zu gewinnen war. Sie gaben ihm Bücher, und erboten sich, wenn er sie wieder besuchen wolle, ihn die Principien der französischen Sprache und die Elemente der Mathematik zu lehren. Das Kind vergaß die erlittene Züchtigung gar bald und kehrte heimlich, ohne Wissen seiner Eltern, zu den Mönchen zurück, nicht mehr um Früchte zu stehlen, sondern um dort gewissermaßen die Offenbarung seiner selbst und seiner wahren Bestimmung zu empfangen. Simons Vater entdeckte bald dessen heimliche Beschäftigung und wurde stolz auf sein Kind, dessen lebhafter Geist ihn zu beunruhigen angefangen hatte. Es lebte damals in Dole ein sehr gelehrter Priester, der Abbe Jantes, der ein Freund der Kinder war und ihre Liebe zu gewinnen wußte. Er interessirte sich für den talentvollen Knaben und gab ihm Unterricht; seinem Eifer verdankte Bernard, daß er in seinem vierzehnten Jahre im Collegium von Dole ein Examen über Mathematik, Physik und Chemie glänzend bestand. Sein Lehrer führte ihn nach Dijon, wo er sich dem Examen zur Aufnahme in die Centralschule der öffentlichen Arbeiten, jetzt die polytechnische Schule, unterwarf. Er wurde auf der Liste mit unter den Ersten vorgeschlagen, und machte sich bald darauf, inmitten des rauhesten Winters zu Fuß, mit dem Ranzen auf dem Rücken und einem eisenbeschlagenen Stock in der Hand, nach Paris auf den Weg. "Die Centralschule der öffentlichen Arbeiten war damals ein seltner Vereinigungspunkt von Geist und Gelehrsamkeit. Lagrange, Laplace, Hauy, Monge, Berthollet, Chaptal, Fourcroy unterrichteten dort die lernbegierige Jugend, die stolz auf ihre unsterblichen Meister war. Simon Bernard hatte von dem Abbe Jantes einen Empfehlungsbrief an den berühmten Lagrange erhalten. Als er aber Paris erreicht hatte und an dem Kai der Seine hinabwanderte, sank er, von Müdigkeit und Kälte erschöpft, bewußtlos auf den Schnee nieder. Was ohne die Hülfe einer mitleidigen Frau, die ihn in ihren Laden führte, ihn erwärmte und stärkte, und endlich in einem Fiaker nach dem Palais Bourbon fahren ließ, aus dem ohnmächtigen Jüngling geworden wäre, läßt sich nicht sagen. Wenn man später sah, wie derselbe arme junge Mensch zu einem ausgezeichneten Gelehrten, zu einem der Chefs der französischen Armee, endlich zum Minister sich aufschwang, wird man weniger die Launen des Glücks bewundern, als vielmehr die Vorsehung preisen, welche dießmal dem Verdienst und der Tugend Anerkennung verschaffte. Bernard wurde von den übrigen Schülern seiner Einfachheit und Herzensgüte wegen geliebt; er war der jüngste Zögling und stand in besonderer Gunst bei seinen Lehrern; Monge namentlich liebte ihn wie sein eigenes Kind. Er führte übrigens in Paris ein sehr kümmerliches Leben. Mit einem seiner Cameraden wohnte er auf einem Heuboden der Rue de Verneuil und nährte sich von Maismehl, das seine arme Mutter ihm schickte. Er bekam das Heimweh, und seine von Natur zarte Gesundheit wurde wankend; aber von der Wiege auf gewöhnt, sich zu beherrschen und allen Erfolg nur von seiner Arbeit zu erwarten, verdoppelte er Fleiß und Eifer. "Aus der Centralschule der öffentlichen Arbeiten kam Bernard in die praktische Ingenieurschule nach Metz, wo er zwei Jahre zubrachte und dann zur Rheinarmee überging. Hier schwang er sich bald zum Grad eines Hauptmanns auf. Im Jahre 1805 verlangte Napoleon im Augenblick, als er Straßburg verließ, um seinen Feldzug gegen Oesterreich zu eröffnen, vom General Marescot einen Genieofficier, der tüchtig genug wäre, eine Recognoscirung bis unter die Mauern von Wien zu unternehmen und von dort wichtige Berichte zurückzubringen, welche nicht ohne Gefahr zu erlangen waren. Simon Bernard wurde mit dieser Mission beauftragt. "Napoleon war in Ulm, als Bernard aus Oesterreich zurückkehrte. Die Resultate übertrafen seine Erwartung. Der Kaiser plauderte mit Bernard oder ließ ihn vielmehr plaudern. In den Memoiren, als deren Verfasser ein Mann genannt wird, welcher während vieler Jahre in Napoleons besonderm Vertrauen stand, wird erzählt, daß der Kaiser, als Bernard in seinem Bericht den Rath gab, die große Armee nach Wien vorrücken und die festen Plätze bei Seite zu lassen, in einen schrecklichen Zorn gerieth und schrie: "Je vous trouve bien hardi, bien ose! un petit officier qui se permet de me tracer des plans de campagne!" Aber entweder rühren jene Memoiren nicht von dem Verfasser her, dem man sie zuschreibt, oder dieser Verfasser hatte den außerordentlichen Mann, dem er so nahe stand, nicht begriffen. Glauben Sie dem, der hier zu Ihnen spricht und mehr als einmal selbst die Erfahrung davon gemacht hat: Napoleon liebte und ermunterte die Jugend, erstlich wegen des Einflusses, dessen er sich auf die Jugend bewußt war, zweitens weil er sie ihm aufrichtiger zugethan glaubte, endlich weil er, seinem Charakter und Temperament nach, die Kühnheit der Klugheit vorzog, so gut er auch letztere zu schätzen wußte. Nichts wäre merkwürdiger zu erzählen, als Napoleons Verhältniß zur Jugend und der Antheil, den er ihr bei der Ausführung seiner Plane zuwies. Gerade weil Simon Bernard in der militärischen Laufbahn noch ein Neuling, weil er jung, naiv, unerschrocken war, sagte der Kaiser zu ihm: "Reisen Sie nach Wien und sagen Sie mir, ob ich dorthin marschiren kann." Als Bernard zurück war, dachte Napoleon nur daran, ihn in eine recht unbefangene Stimmung zu versetzen, um aus ihm den lebhaftesten, treuesten Ausdruck seiner erhaltenen Eindrücke zu ziehen. Ich bedaure, daß hier nicht der Ort ist, alle meine Gedanken über die zahlreichen Werke, deren Gegenstand Napoleon ist, auszusprechen. Die Geschichte seiner Zeit oder die Ereignisse seines Lebens Graf Molé über den General Bernard. Graf Molé hielt bekanntlich am 22 Febr. in der Pairskammer eine Gedächtnißrede zu Ehren des jüngst verstorbenen Generals Bernard, ehemaligen Kriegsministers. Die Kammer nahm die Rede sehr beifällig auf und verordnete deren Druck. Auch die Journale aller Parteien loben Gehalt und Darstellung gleich sehr. Wir müssen uns darauf beschränken, den Nekrolog nur im Auszug mitzutheilen. „Simon Bernard ist im Städten Dôle (Jura-Departement) am 28 April 1779 von armen, aber geachteten Eltern geboren. Sein Vater war ein Handwerker, der keine Mittel hatte, seinem Sohn eine höhere Erziehung zu geben. Dieser hatte nur die Aussicht ein guter Handwerker zu werden, als durch einen merkwürdigen Zufall seine Fähigkeiten geweckt wurden. Mit einem Haufen Cameraden war der junge Bernard öfters über die Mauer eines Klostergartens geklettert, um dort Früchte zu holen. Die Mönche stellten sich einmal in den Hinterhalt, um die kleinen Diebe zu ertappen; Bernard blieb allein Gefangener und mußte für Alle bezahlen. Bald aber erschracken die Mönche selbst über die Folgen ihrer Strenge, und ehe sie den kleinen Simon wieder frei ließen, wollten sie sich mit ihm aussöhnen. Sie hatten in ihm bald die einzige Seite entdeckt, durch welche das Kind zu beruhigen und zu gewinnen war. Sie gaben ihm Bücher, und erboten sich, wenn er sie wieder besuchen wolle, ihn die Principien der französischen Sprache und die Elemente der Mathematik zu lehren. Das Kind vergaß die erlittene Züchtigung gar bald und kehrte heimlich, ohne Wissen seiner Eltern, zu den Mönchen zurück, nicht mehr um Früchte zu stehlen, sondern um dort gewissermaßen die Offenbarung seiner selbst und seiner wahren Bestimmung zu empfangen. Simons Vater entdeckte bald dessen heimliche Beschäftigung und wurde stolz auf sein Kind, dessen lebhafter Geist ihn zu beunruhigen angefangen hatte. Es lebte damals in Dôle ein sehr gelehrter Priester, der Abbé Jantés, der ein Freund der Kinder war und ihre Liebe zu gewinnen wußte. Er interessirte sich für den talentvollen Knaben und gab ihm Unterricht; seinem Eifer verdankte Bernard, daß er in seinem vierzehnten Jahre im Collegium von Dôle ein Examen über Mathematik, Physik und Chemie glänzend bestand. Sein Lehrer führte ihn nach Dijon, wo er sich dem Examen zur Aufnahme in die Centralschule der öffentlichen Arbeiten, jetzt die polytechnische Schule, unterwarf. Er wurde auf der Liste mit unter den Ersten vorgeschlagen, und machte sich bald darauf, inmitten des rauhesten Winters zu Fuß, mit dem Ranzen auf dem Rücken und einem eisenbeschlagenen Stock in der Hand, nach Paris auf den Weg. „Die Centralschule der öffentlichen Arbeiten war damals ein seltner Vereinigungspunkt von Geist und Gelehrsamkeit. Lagrange, Laplace, Hauy, Monge, Berthollet, Chaptal, Fourcroy unterrichteten dort die lernbegierige Jugend, die stolz auf ihre unsterblichen Meister war. Simon Bernard hatte von dem Abbé Jantés einen Empfehlungsbrief an den berühmten Lagrange erhalten. Als er aber Paris erreicht hatte und an dem Kai der Seine hinabwanderte, sank er, von Müdigkeit und Kälte erschöpft, bewußtlos auf den Schnee nieder. Was ohne die Hülfe einer mitleidigen Frau, die ihn in ihren Laden führte, ihn erwärmte und stärkte, und endlich in einem Fiaker nach dem Palais Bourbon fahren ließ, aus dem ohnmächtigen Jüngling geworden wäre, läßt sich nicht sagen. Wenn man später sah, wie derselbe arme junge Mensch zu einem ausgezeichneten Gelehrten, zu einem der Chefs der französischen Armee, endlich zum Minister sich aufschwang, wird man weniger die Launen des Glücks bewundern, als vielmehr die Vorsehung preisen, welche dießmal dem Verdienst und der Tugend Anerkennung verschaffte. Bernard wurde von den übrigen Schülern seiner Einfachheit und Herzensgüte wegen geliebt; er war der jüngste Zögling und stand in besonderer Gunst bei seinen Lehrern; Monge namentlich liebte ihn wie sein eigenes Kind. Er führte übrigens in Paris ein sehr kümmerliches Leben. Mit einem seiner Cameraden wohnte er auf einem Heuboden der Rue de Verneuil und nährte sich von Maismehl, das seine arme Mutter ihm schickte. Er bekam das Heimweh, und seine von Natur zarte Gesundheit wurde wankend; aber von der Wiege auf gewöhnt, sich zu beherrschen und allen Erfolg nur von seiner Arbeit zu erwarten, verdoppelte er Fleiß und Eifer. „Aus der Centralschule der öffentlichen Arbeiten kam Bernard in die praktische Ingenieurschule nach Metz, wo er zwei Jahre zubrachte und dann zur Rheinarmee überging. Hier schwang er sich bald zum Grad eines Hauptmanns auf. Im Jahre 1805 verlangte Napoleon im Augenblick, als er Straßburg verließ, um seinen Feldzug gegen Oesterreich zu eröffnen, vom General Marescot einen Genieofficier, der tüchtig genug wäre, eine Recognoscirung bis unter die Mauern von Wien zu unternehmen und von dort wichtige Berichte zurückzubringen, welche nicht ohne Gefahr zu erlangen waren. Simon Bernard wurde mit dieser Mission beauftragt. „Napoleon war in Ulm, als Bernard aus Oesterreich zurückkehrte. Die Resultate übertrafen seine Erwartung. Der Kaiser plauderte mit Bernard oder ließ ihn vielmehr plaudern. In den Memoiren, als deren Verfasser ein Mann genannt wird, welcher während vieler Jahre in Napoleons besonderm Vertrauen stand, wird erzählt, daß der Kaiser, als Bernard in seinem Bericht den Rath gab, die große Armee nach Wien vorrücken und die festen Plätze bei Seite zu lassen, in einen schrecklichen Zorn gerieth und schrie: „Je vous trouve bien hardi, bien osé! un petit officier qui se permet de me tracer des plans de campagne!“ Aber entweder rühren jene Memoiren nicht von dem Verfasser her, dem man sie zuschreibt, oder dieser Verfasser hatte den außerordentlichen Mann, dem er so nahe stand, nicht begriffen. Glauben Sie dem, der hier zu Ihnen spricht und mehr als einmal selbst die Erfahrung davon gemacht hat: Napoleon liebte und ermunterte die Jugend, erstlich wegen des Einflusses, dessen er sich auf die Jugend bewußt war, zweitens weil er sie ihm aufrichtiger zugethan glaubte, endlich weil er, seinem Charakter und Temperament nach, die Kühnheit der Klugheit vorzog, so gut er auch letztere zu schätzen wußte. Nichts wäre merkwürdiger zu erzählen, als Napoleons Verhältniß zur Jugend und der Antheil, den er ihr bei der Ausführung seiner Plane zuwies. Gerade weil Simon Bernard in der militärischen Laufbahn noch ein Neuling, weil er jung, naiv, unerschrocken war, sagte der Kaiser zu ihm: „Reisen Sie nach Wien und sagen Sie mir, ob ich dorthin marschiren kann.“ Als Bernard zurück war, dachte Napoleon nur daran, ihn in eine recht unbefangene Stimmung zu versetzen, um aus ihm den lebhaftesten, treuesten Ausdruck seiner erhaltenen Eindrücke zu ziehen. 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Dieser hatte nur die Aussicht ein guter Handwerker zu werden, als durch einen merkwürdigen Zufall seine Fähigkeiten geweckt wurden. Mit einem Haufen Cameraden war der junge Bernard öfters über die Mauer eines Klostergartens geklettert, um dort Früchte zu holen. Die Mönche stellten sich einmal in den Hinterhalt, um die kleinen Diebe zu ertappen; Bernard blieb allein Gefangener und mußte für Alle bezahlen. Bald aber erschracken die Mönche selbst über die Folgen ihrer Strenge, und ehe sie den kleinen Simon wieder frei ließen, wollten sie sich mit ihm aussöhnen. Sie hatten in ihm bald die einzige Seite entdeckt, durch welche das Kind zu beruhigen und zu gewinnen war. Sie gaben ihm Bücher, und erboten sich, wenn er sie wieder besuchen wolle, ihn die Principien der französischen Sprache und die Elemente der Mathematik zu lehren. Das Kind vergaß die erlittene Züchtigung gar bald und kehrte heimlich, ohne Wissen seiner Eltern, zu den Mönchen zurück, nicht mehr um Früchte zu stehlen, sondern um dort gewissermaßen die Offenbarung seiner selbst und seiner wahren Bestimmung zu empfangen. Simons Vater entdeckte bald dessen heimliche Beschäftigung und wurde stolz auf sein Kind, dessen lebhafter Geist ihn zu beunruhigen angefangen hatte. Es lebte damals in Dôle ein sehr gelehrter Priester, der Abbé Jantés, der ein Freund der Kinder war und ihre Liebe zu gewinnen wußte. Er interessirte sich für den talentvollen Knaben und gab ihm Unterricht; seinem Eifer verdankte Bernard, daß er in seinem vierzehnten Jahre im Collegium von Dôle ein Examen über Mathematik, Physik und Chemie glänzend bestand. Sein Lehrer führte ihn nach Dijon, wo er sich dem Examen zur Aufnahme in die Centralschule der öffentlichen Arbeiten, jetzt die polytechnische Schule, unterwarf. Er wurde auf der Liste mit unter den Ersten vorgeschlagen, und machte sich bald darauf, inmitten des rauhesten Winters zu Fuß, mit dem Ranzen auf dem Rücken und einem eisenbeschlagenen Stock in der Hand, nach Paris auf den Weg.</p><lb/> <p>„Die Centralschule der öffentlichen Arbeiten war damals ein seltner Vereinigungspunkt von Geist und Gelehrsamkeit. Lagrange, Laplace, Hauy, Monge, Berthollet, Chaptal, Fourcroy unterrichteten dort die lernbegierige Jugend, die stolz auf ihre unsterblichen Meister war. Simon Bernard hatte von dem Abbé Jantés einen Empfehlungsbrief an den berühmten Lagrange erhalten. Als er aber Paris erreicht hatte und an dem Kai der Seine hinabwanderte, sank er, von Müdigkeit und Kälte erschöpft, bewußtlos auf den Schnee nieder. Was ohne die Hülfe einer mitleidigen Frau, die ihn in ihren Laden führte, ihn erwärmte und stärkte, und endlich in einem Fiaker nach dem Palais Bourbon fahren ließ, aus dem ohnmächtigen Jüngling geworden wäre, läßt sich nicht sagen. Wenn man später sah, wie derselbe arme junge Mensch zu einem ausgezeichneten Gelehrten, zu einem der Chefs der französischen Armee, endlich zum Minister sich aufschwang, wird man weniger die Launen des Glücks bewundern, als vielmehr die Vorsehung preisen, welche dießmal dem Verdienst und der Tugend Anerkennung verschaffte. Bernard wurde von den übrigen Schülern seiner Einfachheit und Herzensgüte wegen geliebt; er war der jüngste Zögling und stand in besonderer Gunst bei seinen Lehrern; Monge namentlich liebte ihn wie sein eigenes Kind. Er führte übrigens in Paris ein sehr kümmerliches Leben. Mit einem seiner Cameraden wohnte er auf einem Heuboden der Rue de Verneuil und nährte sich von Maismehl, das seine arme Mutter ihm schickte. Er bekam das Heimweh, und seine von Natur zarte Gesundheit wurde wankend; aber von der Wiege auf gewöhnt, sich zu beherrschen und allen Erfolg nur von seiner Arbeit zu erwarten, verdoppelte er Fleiß und Eifer.</p><lb/> <p>„Aus der Centralschule der öffentlichen Arbeiten kam Bernard in die praktische Ingenieurschule nach Metz, wo er zwei Jahre zubrachte und dann zur Rheinarmee überging. Hier schwang er sich bald zum Grad eines Hauptmanns auf. Im Jahre 1805 verlangte Napoleon im Augenblick, als er Straßburg verließ, um seinen Feldzug gegen Oesterreich zu eröffnen, vom General Marescot einen Genieofficier, der tüchtig genug wäre, eine Recognoscirung bis unter die Mauern von Wien zu unternehmen und von dort wichtige Berichte zurückzubringen, welche nicht ohne Gefahr zu erlangen waren. Simon Bernard wurde mit dieser Mission beauftragt.</p><lb/> <p>„Napoleon war in Ulm, als Bernard aus Oesterreich zurückkehrte. Die Resultate übertrafen seine Erwartung. Der Kaiser plauderte mit Bernard oder ließ ihn vielmehr plaudern. In den Memoiren, als deren Verfasser ein Mann genannt wird, welcher während vieler Jahre in Napoleons besonderm Vertrauen stand, wird erzählt, daß der Kaiser, als Bernard in seinem Bericht den Rath gab, die große Armee nach Wien vorrücken und die festen Plätze bei Seite zu lassen, in einen <hi rendition="#g">schrecklichen Zorn</hi> gerieth und schrie: „Je vous trouve bien hardi, bien osé! un petit officier qui se permet de me tracer des plans de campagne!“ Aber entweder rühren jene Memoiren nicht von dem Verfasser her, dem man sie zuschreibt, oder dieser Verfasser hatte den außerordentlichen Mann, dem er so nahe stand, nicht begriffen. Glauben Sie dem, der hier zu Ihnen spricht und mehr als einmal selbst die Erfahrung davon gemacht hat: Napoleon liebte und ermunterte die Jugend, erstlich wegen des Einflusses, dessen er sich auf die Jugend bewußt war, zweitens weil er sie ihm aufrichtiger zugethan glaubte, endlich weil er, seinem Charakter und Temperament nach, die Kühnheit der Klugheit vorzog, so gut er auch letztere zu schätzen wußte. Nichts wäre merkwürdiger zu erzählen, als Napoleons Verhältniß zur Jugend und der Antheil, den er ihr bei der Ausführung seiner Plane zuwies. Gerade weil Simon Bernard in der militärischen Laufbahn noch ein Neuling, weil er jung, naiv, unerschrocken war, sagte der Kaiser zu ihm: „Reisen Sie nach Wien und sagen Sie mir, ob ich dorthin marschiren kann.“ Als Bernard zurück war, dachte Napoleon nur daran, ihn in eine recht unbefangene Stimmung zu versetzen, um aus ihm den lebhaftesten, treuesten Ausdruck seiner erhaltenen Eindrücke zu ziehen. 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Graf Molé über den General Bernard.
Graf Molé hielt bekanntlich am 22 Febr. in der Pairskammer eine Gedächtnißrede zu Ehren des jüngst verstorbenen Generals Bernard, ehemaligen Kriegsministers. Die Kammer nahm die Rede sehr beifällig auf und verordnete deren Druck. Auch die Journale aller Parteien loben Gehalt und Darstellung gleich sehr. Wir müssen uns darauf beschränken, den Nekrolog nur im Auszug mitzutheilen.
„Simon Bernard ist im Städten Dôle (Jura-Departement) am 28 April 1779 von armen, aber geachteten Eltern geboren. Sein Vater war ein Handwerker, der keine Mittel hatte, seinem Sohn eine höhere Erziehung zu geben. Dieser hatte nur die Aussicht ein guter Handwerker zu werden, als durch einen merkwürdigen Zufall seine Fähigkeiten geweckt wurden. Mit einem Haufen Cameraden war der junge Bernard öfters über die Mauer eines Klostergartens geklettert, um dort Früchte zu holen. Die Mönche stellten sich einmal in den Hinterhalt, um die kleinen Diebe zu ertappen; Bernard blieb allein Gefangener und mußte für Alle bezahlen. Bald aber erschracken die Mönche selbst über die Folgen ihrer Strenge, und ehe sie den kleinen Simon wieder frei ließen, wollten sie sich mit ihm aussöhnen. Sie hatten in ihm bald die einzige Seite entdeckt, durch welche das Kind zu beruhigen und zu gewinnen war. Sie gaben ihm Bücher, und erboten sich, wenn er sie wieder besuchen wolle, ihn die Principien der französischen Sprache und die Elemente der Mathematik zu lehren. Das Kind vergaß die erlittene Züchtigung gar bald und kehrte heimlich, ohne Wissen seiner Eltern, zu den Mönchen zurück, nicht mehr um Früchte zu stehlen, sondern um dort gewissermaßen die Offenbarung seiner selbst und seiner wahren Bestimmung zu empfangen. Simons Vater entdeckte bald dessen heimliche Beschäftigung und wurde stolz auf sein Kind, dessen lebhafter Geist ihn zu beunruhigen angefangen hatte. Es lebte damals in Dôle ein sehr gelehrter Priester, der Abbé Jantés, der ein Freund der Kinder war und ihre Liebe zu gewinnen wußte. Er interessirte sich für den talentvollen Knaben und gab ihm Unterricht; seinem Eifer verdankte Bernard, daß er in seinem vierzehnten Jahre im Collegium von Dôle ein Examen über Mathematik, Physik und Chemie glänzend bestand. Sein Lehrer führte ihn nach Dijon, wo er sich dem Examen zur Aufnahme in die Centralschule der öffentlichen Arbeiten, jetzt die polytechnische Schule, unterwarf. Er wurde auf der Liste mit unter den Ersten vorgeschlagen, und machte sich bald darauf, inmitten des rauhesten Winters zu Fuß, mit dem Ranzen auf dem Rücken und einem eisenbeschlagenen Stock in der Hand, nach Paris auf den Weg.
„Die Centralschule der öffentlichen Arbeiten war damals ein seltner Vereinigungspunkt von Geist und Gelehrsamkeit. Lagrange, Laplace, Hauy, Monge, Berthollet, Chaptal, Fourcroy unterrichteten dort die lernbegierige Jugend, die stolz auf ihre unsterblichen Meister war. Simon Bernard hatte von dem Abbé Jantés einen Empfehlungsbrief an den berühmten Lagrange erhalten. Als er aber Paris erreicht hatte und an dem Kai der Seine hinabwanderte, sank er, von Müdigkeit und Kälte erschöpft, bewußtlos auf den Schnee nieder. Was ohne die Hülfe einer mitleidigen Frau, die ihn in ihren Laden führte, ihn erwärmte und stärkte, und endlich in einem Fiaker nach dem Palais Bourbon fahren ließ, aus dem ohnmächtigen Jüngling geworden wäre, läßt sich nicht sagen. Wenn man später sah, wie derselbe arme junge Mensch zu einem ausgezeichneten Gelehrten, zu einem der Chefs der französischen Armee, endlich zum Minister sich aufschwang, wird man weniger die Launen des Glücks bewundern, als vielmehr die Vorsehung preisen, welche dießmal dem Verdienst und der Tugend Anerkennung verschaffte. Bernard wurde von den übrigen Schülern seiner Einfachheit und Herzensgüte wegen geliebt; er war der jüngste Zögling und stand in besonderer Gunst bei seinen Lehrern; Monge namentlich liebte ihn wie sein eigenes Kind. Er führte übrigens in Paris ein sehr kümmerliches Leben. Mit einem seiner Cameraden wohnte er auf einem Heuboden der Rue de Verneuil und nährte sich von Maismehl, das seine arme Mutter ihm schickte. Er bekam das Heimweh, und seine von Natur zarte Gesundheit wurde wankend; aber von der Wiege auf gewöhnt, sich zu beherrschen und allen Erfolg nur von seiner Arbeit zu erwarten, verdoppelte er Fleiß und Eifer.
„Aus der Centralschule der öffentlichen Arbeiten kam Bernard in die praktische Ingenieurschule nach Metz, wo er zwei Jahre zubrachte und dann zur Rheinarmee überging. Hier schwang er sich bald zum Grad eines Hauptmanns auf. Im Jahre 1805 verlangte Napoleon im Augenblick, als er Straßburg verließ, um seinen Feldzug gegen Oesterreich zu eröffnen, vom General Marescot einen Genieofficier, der tüchtig genug wäre, eine Recognoscirung bis unter die Mauern von Wien zu unternehmen und von dort wichtige Berichte zurückzubringen, welche nicht ohne Gefahr zu erlangen waren. Simon Bernard wurde mit dieser Mission beauftragt.
„Napoleon war in Ulm, als Bernard aus Oesterreich zurückkehrte. Die Resultate übertrafen seine Erwartung. Der Kaiser plauderte mit Bernard oder ließ ihn vielmehr plaudern. In den Memoiren, als deren Verfasser ein Mann genannt wird, welcher während vieler Jahre in Napoleons besonderm Vertrauen stand, wird erzählt, daß der Kaiser, als Bernard in seinem Bericht den Rath gab, die große Armee nach Wien vorrücken und die festen Plätze bei Seite zu lassen, in einen schrecklichen Zorn gerieth und schrie: „Je vous trouve bien hardi, bien osé! un petit officier qui se permet de me tracer des plans de campagne!“ Aber entweder rühren jene Memoiren nicht von dem Verfasser her, dem man sie zuschreibt, oder dieser Verfasser hatte den außerordentlichen Mann, dem er so nahe stand, nicht begriffen. Glauben Sie dem, der hier zu Ihnen spricht und mehr als einmal selbst die Erfahrung davon gemacht hat: Napoleon liebte und ermunterte die Jugend, erstlich wegen des Einflusses, dessen er sich auf die Jugend bewußt war, zweitens weil er sie ihm aufrichtiger zugethan glaubte, endlich weil er, seinem Charakter und Temperament nach, die Kühnheit der Klugheit vorzog, so gut er auch letztere zu schätzen wußte. Nichts wäre merkwürdiger zu erzählen, als Napoleons Verhältniß zur Jugend und der Antheil, den er ihr bei der Ausführung seiner Plane zuwies. Gerade weil Simon Bernard in der militärischen Laufbahn noch ein Neuling, weil er jung, naiv, unerschrocken war, sagte der Kaiser zu ihm: „Reisen Sie nach Wien und sagen Sie mir, ob ich dorthin marschiren kann.“ Als Bernard zurück war, dachte Napoleon nur daran, ihn in eine recht unbefangene Stimmung zu versetzen, um aus ihm den lebhaftesten, treuesten Ausdruck seiner erhaltenen Eindrücke zu ziehen. Ich bedaure, daß hier nicht der Ort ist, alle meine Gedanken über die zahlreichen Werke, deren Gegenstand Napoleon ist, auszusprechen. Die Geschichte seiner Zeit oder die Ereignisse seines Lebens
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