Allgemeine Zeitung. Nr. 69. Augsburg, 9. März 1840.Hr. Thiers hielt bei tiefster Stille folgende Rede: "Meine Herren, der König hat uns mit seinem Vertrauen beehrt, und uns die schwere Last der Staatsverwaltung übertragen. Wir kündigen dieß der Kammer an; einer schwierigen Lage gegenüber zurückzutreten, würde eine Schwäche, eine Hintansetzung unserer Pflichten gewesen seyn. Indem wir im Schooße der Kammer einen thätigen Theil an den Staatsangelegenheiten genommen, hatten wir die Verpflichtung eingegangen, den Wünschen der Krone zu entsprechen, wenn sie uns zur Ausübung der Staatsgewalt berufen sollte. Dieß thaten meine Collegen und ich. Was mich insbesondere betrifft, der ich vor drei Jahren aus dem Ministerium getreten bin, so habe ich ehrfurchtsvoll die Ehre des Wiedereintritts so lange abgelehnt, als eine Nichtübereinstimmung über gewisse Punkte mir zur Pflicht machte, mich von dem Cabinet entfernt zu halten. Jetzt war ich so glücklich, meine persönlichen Ueberzeugungen im Einklang mit den Gesinnungen der Krone zu sehen, und so habe ich nicht länger gezaudert. Meine Collegen haben ebensowenig Anstand genommen, wie ich, und wir haben die uns durch das freie Vertrauen des Königs angebotene peinliche (penible) Aufgabe angenommen. Wir waren so glücklich, Sr. Maj. in wenigen Tagen die Spannung, die von jeder ministeriellen Krise unzertrennlich ist, endigen zu helfen. Wir haben uns die Schwierigkeiten einer Lage nicht verborgen, die ernst ist im Innern wegen der Spaltung der Gemüther, und ernst nach außen wegen der Größe der in Verhandlung befindlichen Fragen. Diese Schwierigkeiten nehmen unsere ganze Thätigkeit in Anspruch, ohne uns einzuschüchtern. Wir haben deren Umfang erwogen, und wollen versuchen, sie zu überwinden. Der Augenblick wird bald kommen, uns vollständig über alle Punkte auszusprechen. Inzwischen erlauben Sie uns einige Aeußerungen über die allgemeine Leitung, die unserer Ansicht nach jetzt dem Gang der Regierung gegeben werden sollte. Die materielle Ordnung scheint uns nicht bedroht; könnte sie es je werden, so würde sie schnell und energisch hergestellt werden. Die Kammern werden nicht vergessen, daß Männer unter uns sind, die früher dazu beigetragen haben, sie in gefährlichen Tagen aufrecht zu halten. Es genügt nun aber nicht an der materiellen Ordnung; man bedarf auch der moralischen Ordnung, das heißt einer Eintracht der Gemüther, ihrer Hinneigung zu einem und demselben Ziel, denn ohne diese Eintracht gibt es keine Majorität in den Kammern, keine Harmonie zwischen den Kammern und dem Königthum, und ohne Majorität, ohne Harmonie zwischen den Staatsgewalten ist die Repräsentativregierung unmöglich. Wir haben uns nicht verborgen, daß darin der schwierigste Theil unserer Aufgabe liege. Die gegenwärtig der Regierung aufgelegte Mission ist die Vereinigung der Gemüther zu einem gemeinschaftlichen Ziele. Wir haben es für unsere Pflicht gehalten, sie zu versuchen, nicht als ob wir uns angemaßt hätten, fähiger als Andere zu seyn, sondern weil unsere politische Lage in Bezug auf die Parteien uns günstiger erschienen ist, um sie zu vereinigen und sie die Sprache der Mäßigung und der Eintracht hören zu lassen." - Hierauf wird über die 100,000 Frc. für das Denkmal Molieres discutirt und dasselbe mit 108 weißen gegen 11 schwarze Kugeln, so wie ein Zuschuß für allgemeine Unterstützungen mit 105 weißen gegen 4 schwarze Kugeln angenommen. * An den äußeren Thoren der Deputirtenkammer war am 4 März großer Zudrang. Alle Galerien waren voll besetzt, auch von Damen. Die Deputirten trafen lange nicht ein; es hieß, weil viele in die Pairskammer gegangen seyen. Hr. Dugabe wollte die neue Verwaltung über die Unruhen im Arriege interpelliren. In diesem Augenblick traten die neuen Minister in den Saal. Der Präsident erklärte, daß der Präsident des Conseils das Wort habe. Darauf trat Stille ein. Hr. Thiers hielt nun die schon in der Sitzung der Pairskammer erwähnte Rede. Nach ihr ward die Sitzung einen Augenblick unterbrochen. Hr. Abatucci erstattet Commissionsbericht über Flußfischfang. Hr. Dugabe verlangt Festsetzung eines Tags, wo er die Minister über die Vorfälle im Arriege interpelliren könne. Die Kammer setzt den Samstag fest. Darauf ward der Gesetzesentwurf über den Tabak erörtert, und mit großer Majorität angenommen. Das Journal des Debats beginnt seinen gestern erwähnten Artikel, mit der Erklärung, daß wenn es bloß den Jubel, die Hoffnungen beachten wollte, mit welchen das Ministerium von der Opposition begrüßt werde, es das neue Cabinet auf Tod und Leben bekämpfen müßte. Indessen wolle es so billig seyn, seine Handlungen abzuwarten. Dann fährt es fort: " Die Minister des 2 März werden viel Schlimmes wieder gut zu machen haben! Die Staatsgewalt ist geschwächt; die Anarchie erhebt ihr Haupt wieder; das monarchische Princip blutet noch an dem furchtbaren ihm durch die schmachvolle Weigerung, das Dotationsgesetz zu discutiren, versetzten Schlage; die Kammer ist gräßlich gespalten; die verhängnißvolle Leichtigkeit, Coalitionen auf einen Tag zur Befriedigung der Leidenschaft des Augenblicks zu bilden, und das heute bestehende Ministerium zu stürzen, ohne sich um das Ministerium von morgen zu kümmern, hat die Bildung einer soliden Majorität fast unmöglich gemacht; man befreundet sich, wenn es nur gilt, ein Ministerium umzuwerfen; man befeindet sich wieder, so wie man sich zur Zusammensetzung eines andern verständigen soll; die gescheidtesten Männer sind erbittert oder entmuthigt; Verwirrung und Mißtrauen liegt in allen Gemüthern. Dieß sind, wir müssen es bekennen, für ein auch noch so gut gesinntes und geschicktes Ministerium furchtbare Hindernisse! Frankreich würde dieß sehr gern dem neuen Ministerium vom 2 März zu gut schreiben, wenn nicht die meisten der Männer, die es bilden, selbst diese Hindernisse mit herbeigerufen hätten. Diese Lage ist ihr Werk... Die Minister vom 2 März sind unter Bedingungen zur Staatsgewalt gelangt, welche sie hundertmal selbst als die Bedingungen der parlamentärischen Regierung erklärt haben. Die Krone würde sie nicht haben wählen wollen, wenn sie nicht zu deren Annahme durch ihre Klugheit, und um ihre gefährliche Lage nicht noch mehr zu verschlimmern gezwungen worden wäre. Hr. Thiers wollte Gebieter seyn, und er ist es, natürlich mit Vorbehalt seiner Verantwortlichkeit dem König und der Kammer gegenüber. Er wollte die Seele, der einzige Wille des Cabinets seyn; sicher wird ihm keiner seiner Collegen den Vorrang streitig machen. Hr. Thiers wollte in der Wahl der Mitglieder für sein Ministerium freie Hand haben; er hatte sie. Er umgab sich mit Männern, von denen einige allerdings geistvolle Leute sind, von denen aber keiner daran denken kann, seinen Einfluß dem des Hrn. Thiers entgegenzustellen. Von heute an regiert Hr. Thiers. Drei in der Opposition zugebrachte Jahre haben ihn siegreich wieder ans Ruder zurückgeführt. Die Linke rechnet, wie wir gar nicht verbergen wollen, sehr auf Hrn. Thiers. Sie hofft, der Minister werde ein Mann der Opposition bleiben. Wir für unsern Theil wollen nicht vergessen, daß Hr. Thiers auf einem andern Wege in das Ministerium vom 11 Oct. gelangt ist. Hr. Thiers hat jetzt zwischen seinen zwei Vergangenheiten zu wählen. Seit zehn Jahren waren zwei Menschen in ihm; er mag nun sehen, welcher von beiden er seyn will. Der Minister des 11 Oct. hatte durch sein Talent und seinen Muth zur Herstellung der Ordnung, zur Wiederaufrichtung der Monarchie, zur Verdrängung Hr. Thiers hielt bei tiefster Stille folgende Rede: „Meine Herren, der König hat uns mit seinem Vertrauen beehrt, und uns die schwere Last der Staatsverwaltung übertragen. Wir kündigen dieß der Kammer an; einer schwierigen Lage gegenüber zurückzutreten, würde eine Schwäche, eine Hintansetzung unserer Pflichten gewesen seyn. Indem wir im Schooße der Kammer einen thätigen Theil an den Staatsangelegenheiten genommen, hatten wir die Verpflichtung eingegangen, den Wünschen der Krone zu entsprechen, wenn sie uns zur Ausübung der Staatsgewalt berufen sollte. Dieß thaten meine Collegen und ich. Was mich insbesondere betrifft, der ich vor drei Jahren aus dem Ministerium getreten bin, so habe ich ehrfurchtsvoll die Ehre des Wiedereintritts so lange abgelehnt, als eine Nichtübereinstimmung über gewisse Punkte mir zur Pflicht machte, mich von dem Cabinet entfernt zu halten. Jetzt war ich so glücklich, meine persönlichen Ueberzeugungen im Einklang mit den Gesinnungen der Krone zu sehen, und so habe ich nicht länger gezaudert. Meine Collegen haben ebensowenig Anstand genommen, wie ich, und wir haben die uns durch das freie Vertrauen des Königs angebotene peinliche (pénible) Aufgabe angenommen. Wir waren so glücklich, Sr. Maj. in wenigen Tagen die Spannung, die von jeder ministeriellen Krise unzertrennlich ist, endigen zu helfen. Wir haben uns die Schwierigkeiten einer Lage nicht verborgen, die ernst ist im Innern wegen der Spaltung der Gemüther, und ernst nach außen wegen der Größe der in Verhandlung befindlichen Fragen. Diese Schwierigkeiten nehmen unsere ganze Thätigkeit in Anspruch, ohne uns einzuschüchtern. Wir haben deren Umfang erwogen, und wollen versuchen, sie zu überwinden. Der Augenblick wird bald kommen, uns vollständig über alle Punkte auszusprechen. Inzwischen erlauben Sie uns einige Aeußerungen über die allgemeine Leitung, die unserer Ansicht nach jetzt dem Gang der Regierung gegeben werden sollte. Die materielle Ordnung scheint uns nicht bedroht; könnte sie es je werden, so würde sie schnell und energisch hergestellt werden. Die Kammern werden nicht vergessen, daß Männer unter uns sind, die früher dazu beigetragen haben, sie in gefährlichen Tagen aufrecht zu halten. Es genügt nun aber nicht an der materiellen Ordnung; man bedarf auch der moralischen Ordnung, das heißt einer Eintracht der Gemüther, ihrer Hinneigung zu einem und demselben Ziel, denn ohne diese Eintracht gibt es keine Majorität in den Kammern, keine Harmonie zwischen den Kammern und dem Königthum, und ohne Majorität, ohne Harmonie zwischen den Staatsgewalten ist die Repräsentativregierung unmöglich. Wir haben uns nicht verborgen, daß darin der schwierigste Theil unserer Aufgabe liege. Die gegenwärtig der Regierung aufgelegte Mission ist die Vereinigung der Gemüther zu einem gemeinschaftlichen Ziele. Wir haben es für unsere Pflicht gehalten, sie zu versuchen, nicht als ob wir uns angemaßt hätten, fähiger als Andere zu seyn, sondern weil unsere politische Lage in Bezug auf die Parteien uns günstiger erschienen ist, um sie zu vereinigen und sie die Sprache der Mäßigung und der Eintracht hören zu lassen.“ – Hierauf wird über die 100,000 Frc. für das Denkmal Molières discutirt und dasselbe mit 108 weißen gegen 11 schwarze Kugeln, so wie ein Zuschuß für allgemeine Unterstützungen mit 105 weißen gegen 4 schwarze Kugeln angenommen. * An den äußeren Thoren der Deputirtenkammer war am 4 März großer Zudrang. Alle Galerien waren voll besetzt, auch von Damen. Die Deputirten trafen lange nicht ein; es hieß, weil viele in die Pairskammer gegangen seyen. Hr. Dugabé wollte die neue Verwaltung über die Unruhen im Arriège interpelliren. In diesem Augenblick traten die neuen Minister in den Saal. Der Präsident erklärte, daß der Präsident des Conseils das Wort habe. Darauf trat Stille ein. Hr. Thiers hielt nun die schon in der Sitzung der Pairskammer erwähnte Rede. Nach ihr ward die Sitzung einen Augenblick unterbrochen. Hr. Abatucci erstattet Commissionsbericht über Flußfischfang. Hr. Dugabé verlangt Festsetzung eines Tags, wo er die Minister über die Vorfälle im Arriège interpelliren könne. Die Kammer setzt den Samstag fest. Darauf ward der Gesetzesentwurf über den Tabak erörtert, und mit großer Majorität angenommen. Das Journal des Débats beginnt seinen gestern erwähnten Artikel, mit der Erklärung, daß wenn es bloß den Jubel, die Hoffnungen beachten wollte, mit welchen das Ministerium von der Opposition begrüßt werde, es das neue Cabinet auf Tod und Leben bekämpfen müßte. Indessen wolle es so billig seyn, seine Handlungen abzuwarten. Dann fährt es fort: „ Die Minister des 2 März werden viel Schlimmes wieder gut zu machen haben! Die Staatsgewalt ist geschwächt; die Anarchie erhebt ihr Haupt wieder; das monarchische Princip blutet noch an dem furchtbaren ihm durch die schmachvolle Weigerung, das Dotationsgesetz zu discutiren, versetzten Schlage; die Kammer ist gräßlich gespalten; die verhängnißvolle Leichtigkeit, Coalitionen auf einen Tag zur Befriedigung der Leidenschaft des Augenblicks zu bilden, und das heute bestehende Ministerium zu stürzen, ohne sich um das Ministerium von morgen zu kümmern, hat die Bildung einer soliden Majorität fast unmöglich gemacht; man befreundet sich, wenn es nur gilt, ein Ministerium umzuwerfen; man befeindet sich wieder, so wie man sich zur Zusammensetzung eines andern verständigen soll; die gescheidtesten Männer sind erbittert oder entmuthigt; Verwirrung und Mißtrauen liegt in allen Gemüthern. Dieß sind, wir müssen es bekennen, für ein auch noch so gut gesinntes und geschicktes Ministerium furchtbare Hindernisse! Frankreich würde dieß sehr gern dem neuen Ministerium vom 2 März zu gut schreiben, wenn nicht die meisten der Männer, die es bilden, selbst diese Hindernisse mit herbeigerufen hätten. Diese Lage ist ihr Werk... Die Minister vom 2 März sind unter Bedingungen zur Staatsgewalt gelangt, welche sie hundertmal selbst als die Bedingungen der parlamentärischen Regierung erklärt haben. Die Krone würde sie nicht haben wählen wollen, wenn sie nicht zu deren Annahme durch ihre Klugheit, und um ihre gefährliche Lage nicht noch mehr zu verschlimmern gezwungen worden wäre. Hr. Thiers wollte Gebieter seyn, und er ist es, natürlich mit Vorbehalt seiner Verantwortlichkeit dem König und der Kammer gegenüber. Er wollte die Seele, der einzige Wille des Cabinets seyn; sicher wird ihm keiner seiner Collegen den Vorrang streitig machen. Hr. Thiers wollte in der Wahl der Mitglieder für sein Ministerium freie Hand haben; er hatte sie. Er umgab sich mit Männern, von denen einige allerdings geistvolle Leute sind, von denen aber keiner daran denken kann, seinen Einfluß dem des Hrn. Thiers entgegenzustellen. Von heute an regiert Hr. Thiers. Drei in der Opposition zugebrachte Jahre haben ihn siegreich wieder ans Ruder zurückgeführt. Die Linke rechnet, wie wir gar nicht verbergen wollen, sehr auf Hrn. Thiers. Sie hofft, der Minister werde ein Mann der Opposition bleiben. Wir für unsern Theil wollen nicht vergessen, daß Hr. Thiers auf einem andern Wege in das Ministerium vom 11 Oct. gelangt ist. Hr. Thiers hat jetzt zwischen seinen zwei Vergangenheiten zu wählen. Seit zehn Jahren waren zwei Menschen in ihm; er mag nun sehen, welcher von beiden er seyn will. Der Minister des 11 Oct. hatte durch sein Talent und seinen Muth zur Herstellung der Ordnung, zur Wiederaufrichtung der Monarchie, zur Verdrängung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0004" n="0548"/> Hr. <hi rendition="#g">Thiers</hi> hielt bei tiefster Stille folgende Rede: „Meine Herren, der König hat uns mit seinem Vertrauen beehrt, und uns die schwere Last der Staatsverwaltung übertragen. Wir kündigen dieß der Kammer an; einer schwierigen Lage gegenüber zurückzutreten, würde eine Schwäche, eine Hintansetzung unserer Pflichten gewesen seyn. Indem wir im Schooße der Kammer einen thätigen Theil an den Staatsangelegenheiten genommen, hatten wir die Verpflichtung eingegangen, den Wünschen der Krone zu entsprechen, wenn sie uns zur Ausübung der Staatsgewalt berufen sollte. Dieß thaten meine Collegen und ich. Was mich insbesondere betrifft, der ich vor drei Jahren aus dem Ministerium getreten bin, so habe ich ehrfurchtsvoll die Ehre des Wiedereintritts so lange abgelehnt, als eine Nichtübereinstimmung über gewisse Punkte mir zur Pflicht machte, mich von dem Cabinet entfernt zu halten. Jetzt war ich so glücklich, meine persönlichen Ueberzeugungen im Einklang mit den Gesinnungen der Krone zu sehen, und so habe ich nicht länger gezaudert. Meine Collegen haben ebensowenig Anstand genommen, wie ich, und wir haben die uns durch das freie Vertrauen des Königs angebotene peinliche (pénible) Aufgabe angenommen. Wir waren so glücklich, Sr. Maj. in wenigen Tagen die Spannung, die von jeder ministeriellen Krise unzertrennlich ist, endigen zu helfen. Wir haben uns die Schwierigkeiten einer Lage nicht verborgen, die ernst ist im Innern wegen der Spaltung der Gemüther, und ernst nach außen wegen der Größe der in Verhandlung befindlichen Fragen. Diese Schwierigkeiten nehmen unsere ganze Thätigkeit in Anspruch, ohne uns einzuschüchtern. Wir haben deren Umfang erwogen, und wollen versuchen, sie zu überwinden. Der Augenblick wird bald kommen, uns vollständig über alle Punkte auszusprechen. Inzwischen erlauben Sie uns einige Aeußerungen über die allgemeine Leitung, die unserer Ansicht nach jetzt dem Gang der Regierung gegeben werden sollte. Die materielle Ordnung scheint uns nicht bedroht; könnte sie es je werden, so würde sie schnell und energisch hergestellt werden. Die Kammern werden nicht vergessen, daß Männer unter uns sind, die früher dazu beigetragen haben, sie in gefährlichen Tagen aufrecht zu halten. Es genügt nun aber nicht an der materiellen Ordnung; man bedarf auch der moralischen Ordnung, das heißt einer Eintracht der Gemüther, ihrer Hinneigung zu einem und demselben Ziel, denn ohne diese Eintracht gibt es keine Majorität in den Kammern, keine Harmonie zwischen den Kammern und dem Königthum, und ohne Majorität, ohne Harmonie zwischen den Staatsgewalten ist die Repräsentativregierung unmöglich. Wir haben uns nicht verborgen, daß darin der schwierigste Theil unserer Aufgabe liege. Die gegenwärtig der Regierung aufgelegte Mission ist die Vereinigung der Gemüther zu einem gemeinschaftlichen Ziele. Wir haben es für unsere Pflicht gehalten, sie zu versuchen, nicht als ob wir uns angemaßt hätten, fähiger als Andere zu seyn, sondern weil unsere politische Lage in Bezug auf die Parteien uns günstiger erschienen ist, um sie zu vereinigen und sie die Sprache der Mäßigung und der Eintracht hören zu lassen.“ – Hierauf wird über die 100,000 Frc. für das Denkmal Molières discutirt und dasselbe mit 108 weißen gegen 11 schwarze Kugeln, so wie ein Zuschuß für allgemeine Unterstützungen mit 105 weißen gegen 4 schwarze Kugeln angenommen.</p><lb/> <p>* An den äußeren Thoren der <hi rendition="#g">Deputirtenkammer</hi> war am 4 März großer Zudrang. Alle Galerien waren voll besetzt, auch von Damen. Die Deputirten trafen lange nicht ein; es hieß, weil viele in die Pairskammer gegangen seyen. Hr. <hi rendition="#g">Dugabé</hi> wollte die neue Verwaltung über die Unruhen im Arriège interpelliren. In diesem Augenblick traten die neuen Minister in den Saal. Der Präsident erklärte, daß der Präsident des Conseils das Wort habe. Darauf trat Stille ein. Hr. Thiers hielt nun die schon in der Sitzung der Pairskammer erwähnte Rede. Nach ihr ward die Sitzung einen Augenblick unterbrochen. Hr. <hi rendition="#g">Abatucci</hi> erstattet Commissionsbericht über Flußfischfang. Hr. <hi rendition="#g">Dugabé</hi> verlangt Festsetzung eines Tags, wo er die Minister über die Vorfälle im Arriège interpelliren könne. Die Kammer setzt den Samstag fest. Darauf ward der Gesetzesentwurf über den Tabak erörtert, und mit großer Majorität angenommen.</p><lb/> <p>Das <hi rendition="#g">Journal des Débats</hi> beginnt seinen gestern erwähnten Artikel, mit der Erklärung, daß wenn es bloß den Jubel, die Hoffnungen beachten wollte, mit welchen das Ministerium von der Opposition begrüßt werde, es das neue Cabinet auf Tod und Leben bekämpfen müßte. Indessen wolle es so billig seyn, seine Handlungen abzuwarten. Dann fährt es fort: „ Die Minister des 2 März werden viel Schlimmes wieder gut zu machen haben! Die Staatsgewalt ist geschwächt; die Anarchie erhebt ihr Haupt wieder; das monarchische Princip blutet noch an dem furchtbaren ihm durch die schmachvolle Weigerung, das Dotationsgesetz zu discutiren, versetzten Schlage; die Kammer ist gräßlich gespalten; die verhängnißvolle Leichtigkeit, Coalitionen auf einen Tag zur Befriedigung der Leidenschaft des Augenblicks zu bilden, und das heute bestehende Ministerium zu stürzen, ohne sich um das Ministerium von morgen zu kümmern, hat die Bildung einer soliden Majorität fast unmöglich gemacht; man befreundet sich, wenn es nur gilt, ein Ministerium umzuwerfen; man befeindet sich wieder, so wie man sich zur Zusammensetzung eines andern verständigen soll; die gescheidtesten Männer sind erbittert oder entmuthigt; Verwirrung und Mißtrauen liegt in allen Gemüthern. Dieß sind, wir müssen es bekennen, für ein auch noch so gut gesinntes und geschicktes Ministerium furchtbare Hindernisse! Frankreich würde dieß sehr gern dem neuen Ministerium vom 2 März zu gut schreiben, wenn nicht die meisten der Männer, die es bilden, selbst diese Hindernisse mit herbeigerufen hätten. Diese Lage ist ihr Werk... Die Minister vom 2 März sind unter Bedingungen zur Staatsgewalt gelangt, welche sie hundertmal selbst als die Bedingungen der parlamentärischen Regierung erklärt haben. Die Krone würde sie nicht haben wählen wollen, wenn sie nicht zu deren Annahme durch ihre Klugheit, und um ihre gefährliche Lage nicht noch mehr zu verschlimmern gezwungen worden wäre. Hr. Thiers wollte Gebieter seyn, und er ist es, natürlich mit Vorbehalt seiner Verantwortlichkeit dem König und der Kammer gegenüber. Er wollte die Seele, der einzige Wille des Cabinets seyn; sicher wird ihm keiner seiner Collegen den Vorrang streitig machen. Hr. Thiers wollte in der Wahl der Mitglieder für sein Ministerium freie Hand haben; er hatte sie. Er umgab sich mit Männern, von denen einige allerdings geistvolle Leute sind, von denen aber keiner daran denken kann, seinen Einfluß dem des Hrn. Thiers entgegenzustellen. Von heute an regiert Hr. Thiers. Drei in der Opposition zugebrachte Jahre haben ihn siegreich wieder ans Ruder zurückgeführt. Die Linke rechnet, wie wir gar nicht verbergen wollen, sehr auf Hrn. Thiers. Sie hofft, der Minister werde ein Mann der Opposition bleiben. Wir für unsern Theil wollen nicht vergessen, daß Hr. Thiers auf einem andern Wege in das Ministerium vom 11 Oct. gelangt ist. Hr. Thiers hat jetzt zwischen seinen zwei Vergangenheiten zu wählen. Seit zehn Jahren waren zwei Menschen in ihm; er mag nun sehen, welcher von beiden er seyn will. Der Minister des 11 Oct. hatte durch sein Talent und seinen Muth zur Herstellung der Ordnung, zur Wiederaufrichtung der Monarchie, zur Verdrängung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0548/0004]
Hr. Thiers hielt bei tiefster Stille folgende Rede: „Meine Herren, der König hat uns mit seinem Vertrauen beehrt, und uns die schwere Last der Staatsverwaltung übertragen. Wir kündigen dieß der Kammer an; einer schwierigen Lage gegenüber zurückzutreten, würde eine Schwäche, eine Hintansetzung unserer Pflichten gewesen seyn. Indem wir im Schooße der Kammer einen thätigen Theil an den Staatsangelegenheiten genommen, hatten wir die Verpflichtung eingegangen, den Wünschen der Krone zu entsprechen, wenn sie uns zur Ausübung der Staatsgewalt berufen sollte. Dieß thaten meine Collegen und ich. Was mich insbesondere betrifft, der ich vor drei Jahren aus dem Ministerium getreten bin, so habe ich ehrfurchtsvoll die Ehre des Wiedereintritts so lange abgelehnt, als eine Nichtübereinstimmung über gewisse Punkte mir zur Pflicht machte, mich von dem Cabinet entfernt zu halten. Jetzt war ich so glücklich, meine persönlichen Ueberzeugungen im Einklang mit den Gesinnungen der Krone zu sehen, und so habe ich nicht länger gezaudert. Meine Collegen haben ebensowenig Anstand genommen, wie ich, und wir haben die uns durch das freie Vertrauen des Königs angebotene peinliche (pénible) Aufgabe angenommen. Wir waren so glücklich, Sr. Maj. in wenigen Tagen die Spannung, die von jeder ministeriellen Krise unzertrennlich ist, endigen zu helfen. Wir haben uns die Schwierigkeiten einer Lage nicht verborgen, die ernst ist im Innern wegen der Spaltung der Gemüther, und ernst nach außen wegen der Größe der in Verhandlung befindlichen Fragen. Diese Schwierigkeiten nehmen unsere ganze Thätigkeit in Anspruch, ohne uns einzuschüchtern. Wir haben deren Umfang erwogen, und wollen versuchen, sie zu überwinden. Der Augenblick wird bald kommen, uns vollständig über alle Punkte auszusprechen. Inzwischen erlauben Sie uns einige Aeußerungen über die allgemeine Leitung, die unserer Ansicht nach jetzt dem Gang der Regierung gegeben werden sollte. Die materielle Ordnung scheint uns nicht bedroht; könnte sie es je werden, so würde sie schnell und energisch hergestellt werden. Die Kammern werden nicht vergessen, daß Männer unter uns sind, die früher dazu beigetragen haben, sie in gefährlichen Tagen aufrecht zu halten. Es genügt nun aber nicht an der materiellen Ordnung; man bedarf auch der moralischen Ordnung, das heißt einer Eintracht der Gemüther, ihrer Hinneigung zu einem und demselben Ziel, denn ohne diese Eintracht gibt es keine Majorität in den Kammern, keine Harmonie zwischen den Kammern und dem Königthum, und ohne Majorität, ohne Harmonie zwischen den Staatsgewalten ist die Repräsentativregierung unmöglich. Wir haben uns nicht verborgen, daß darin der schwierigste Theil unserer Aufgabe liege. Die gegenwärtig der Regierung aufgelegte Mission ist die Vereinigung der Gemüther zu einem gemeinschaftlichen Ziele. Wir haben es für unsere Pflicht gehalten, sie zu versuchen, nicht als ob wir uns angemaßt hätten, fähiger als Andere zu seyn, sondern weil unsere politische Lage in Bezug auf die Parteien uns günstiger erschienen ist, um sie zu vereinigen und sie die Sprache der Mäßigung und der Eintracht hören zu lassen.“ – Hierauf wird über die 100,000 Frc. für das Denkmal Molières discutirt und dasselbe mit 108 weißen gegen 11 schwarze Kugeln, so wie ein Zuschuß für allgemeine Unterstützungen mit 105 weißen gegen 4 schwarze Kugeln angenommen.
* An den äußeren Thoren der Deputirtenkammer war am 4 März großer Zudrang. Alle Galerien waren voll besetzt, auch von Damen. Die Deputirten trafen lange nicht ein; es hieß, weil viele in die Pairskammer gegangen seyen. Hr. Dugabé wollte die neue Verwaltung über die Unruhen im Arriège interpelliren. In diesem Augenblick traten die neuen Minister in den Saal. Der Präsident erklärte, daß der Präsident des Conseils das Wort habe. Darauf trat Stille ein. Hr. Thiers hielt nun die schon in der Sitzung der Pairskammer erwähnte Rede. Nach ihr ward die Sitzung einen Augenblick unterbrochen. Hr. Abatucci erstattet Commissionsbericht über Flußfischfang. Hr. Dugabé verlangt Festsetzung eines Tags, wo er die Minister über die Vorfälle im Arriège interpelliren könne. Die Kammer setzt den Samstag fest. Darauf ward der Gesetzesentwurf über den Tabak erörtert, und mit großer Majorität angenommen.
Das Journal des Débats beginnt seinen gestern erwähnten Artikel, mit der Erklärung, daß wenn es bloß den Jubel, die Hoffnungen beachten wollte, mit welchen das Ministerium von der Opposition begrüßt werde, es das neue Cabinet auf Tod und Leben bekämpfen müßte. Indessen wolle es so billig seyn, seine Handlungen abzuwarten. Dann fährt es fort: „ Die Minister des 2 März werden viel Schlimmes wieder gut zu machen haben! Die Staatsgewalt ist geschwächt; die Anarchie erhebt ihr Haupt wieder; das monarchische Princip blutet noch an dem furchtbaren ihm durch die schmachvolle Weigerung, das Dotationsgesetz zu discutiren, versetzten Schlage; die Kammer ist gräßlich gespalten; die verhängnißvolle Leichtigkeit, Coalitionen auf einen Tag zur Befriedigung der Leidenschaft des Augenblicks zu bilden, und das heute bestehende Ministerium zu stürzen, ohne sich um das Ministerium von morgen zu kümmern, hat die Bildung einer soliden Majorität fast unmöglich gemacht; man befreundet sich, wenn es nur gilt, ein Ministerium umzuwerfen; man befeindet sich wieder, so wie man sich zur Zusammensetzung eines andern verständigen soll; die gescheidtesten Männer sind erbittert oder entmuthigt; Verwirrung und Mißtrauen liegt in allen Gemüthern. Dieß sind, wir müssen es bekennen, für ein auch noch so gut gesinntes und geschicktes Ministerium furchtbare Hindernisse! Frankreich würde dieß sehr gern dem neuen Ministerium vom 2 März zu gut schreiben, wenn nicht die meisten der Männer, die es bilden, selbst diese Hindernisse mit herbeigerufen hätten. Diese Lage ist ihr Werk... Die Minister vom 2 März sind unter Bedingungen zur Staatsgewalt gelangt, welche sie hundertmal selbst als die Bedingungen der parlamentärischen Regierung erklärt haben. Die Krone würde sie nicht haben wählen wollen, wenn sie nicht zu deren Annahme durch ihre Klugheit, und um ihre gefährliche Lage nicht noch mehr zu verschlimmern gezwungen worden wäre. Hr. Thiers wollte Gebieter seyn, und er ist es, natürlich mit Vorbehalt seiner Verantwortlichkeit dem König und der Kammer gegenüber. Er wollte die Seele, der einzige Wille des Cabinets seyn; sicher wird ihm keiner seiner Collegen den Vorrang streitig machen. Hr. Thiers wollte in der Wahl der Mitglieder für sein Ministerium freie Hand haben; er hatte sie. Er umgab sich mit Männern, von denen einige allerdings geistvolle Leute sind, von denen aber keiner daran denken kann, seinen Einfluß dem des Hrn. Thiers entgegenzustellen. Von heute an regiert Hr. Thiers. Drei in der Opposition zugebrachte Jahre haben ihn siegreich wieder ans Ruder zurückgeführt. Die Linke rechnet, wie wir gar nicht verbergen wollen, sehr auf Hrn. Thiers. Sie hofft, der Minister werde ein Mann der Opposition bleiben. Wir für unsern Theil wollen nicht vergessen, daß Hr. Thiers auf einem andern Wege in das Ministerium vom 11 Oct. gelangt ist. Hr. Thiers hat jetzt zwischen seinen zwei Vergangenheiten zu wählen. Seit zehn Jahren waren zwei Menschen in ihm; er mag nun sehen, welcher von beiden er seyn will. Der Minister des 11 Oct. hatte durch sein Talent und seinen Muth zur Herstellung der Ordnung, zur Wiederaufrichtung der Monarchie, zur Verdrängung
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