Allgemeine Zeitung. Nr. 72. Augsburg, 12. März 1840.gegangen und wohin. Sie sey sehr begierig zu erfahren, ob die Geschichte wahr sey. Ein solcher Lückenbüßer setzt alle Wißbegierigen in Bewegung, und ehe der Abend kommt, verbreitet das Gerücht eine Menge Antworten auf jene Fragen, die natürlich sich alsbald von selbst widerlegen. Das Possierlichste ist, wenn man das Glück hat, in die Nachbarschaft von zeitvertreibenden Reisenden zu gerathen, welche, da sie nichts zu thun hatten, nichts Besseres thun konnten, als die orientalische Frage an Ort und Stelle in Augenschein zu nehmen. Das Fundament ihres Urtheils über Griechenland und den Orient sind im Sommer die Hitze und die Wanzen, im Winter das schlechte Wetter und die undichten Thüren, woraus sich denn ergibt, daß das Volk zumal moralisch in einem miserablen Zustande ist. Wenn man nun dazu nimmt, daß es in der Ebene von Argos keine Bäume gibt, in der von Athen nur einige häßliche Olivenbäume, und daß überhaupt seit dem Jahr 1833 in und für Griechenland nichts geschehen ist, als einige unvollständige Ausgrabungen auf der Akropolis, so sieht man leicht ein, daß dieses Land nie reussiren wird, zumal die egoistischen Pferdetreiber mehr für ihren eigenen Beutel sorgen, als für den der Reisenden, die sie befördern. Auch Zeitungen aus der Fremde finden wir in den Kaffeehäusern. Leider beschäftigt sich das Morning Chronicle nur selten mit Griechenland, sonst würde der Kaffeewirth es sicher zur Erheiterung seiner Gäste auslegen. Die Münchhausen-Artikel dieser Zeitung sind durch den Contrast, den sie mit der Wahrheit bilden, eben so spaßhaft, als der Bericht in Balbi's Geographie über die constitutionelle Verfassung Aegyptens, von dem es heißt, daß es durch eine Versammlung von Notabeln regiert werde, welche zwar keine eigentliche französische Deputirtenkammer bilden, aber auch keinen bloßen Staatsrath, sondern ein vollkommneres Etwas, das zwischen beiden mitten inne steht, gerade so wie bekanntlich holländische Zwiebacke mitten inne stehen zwischen Eiermahe und Butterbemmen, die Tugend beider vereinigend. Und das Land ist dabei glücklich, überglücklich, wie einst zur Zeit der ägyptischen Fleischtöpfe. Die Aegyptier wissen nichts weder von Constitution noch von Glück. Das Morning Chronicle aber, welches sich so sehr für das Glück Griechenlands interessirt, sollte bedenken, daß die Artikel, welche uns hier lachen machen, und wodurch es so freundlich für unsere Erheiterung sorgt, bei andern gar zu leicht mißverstanden werden, und dann sich zu den schamlosesten Verleumdungen umgestalten. Doch ereifern wir uns nicht. Ich höre Musik, es ist zwölf Uhr, ich folge dem Strom, um auf dem Platze vor dem königlichen Palais eine Ouverture und einen Straußischen Walzer mit anzuhören. Hier versammeln sich um diese Zeit diejenigen, welche zur Abwechselung mit dem sonderbar näselnden Gesang der Griechen einige musikalische Töne aus Europa zu hören wünschen, außerdem einige wenige, die nichts zu thun haben, oder deren Neigung und Beruf sie an die Börse der Neuigkeiten zieht. "Haben Sie schon gehört: der einfältige Georg Kapodistrias ist arretirt. Er ist mit dem Türkenfresser Nikitas Chef einer Verschwörung zur Aufrechterhaltung des Christenthums." Wie ein Lauffeuer ist die Geschichte durch die Stadt. Bei Tische wird schon erzählt, es sey auf eine neue Vesper abgesehen gewesen. Kein Kopf sollte auf einem heterodoxen Leib sitzen bleiben. Die Geschichte ist um so spaßhafter, weil viel Wahres daran war, nämlich an der Verschwörung, aber sicherlich nicht an der Möglichkeit der Ausführung. Glauben Sie zuverlässig, es wäre nicht möglich, in Griechenland zehn solche Kopfabschneider aufzutreiben. Wie man auch so thöricht seyn kann, solche einfältige Instrumente vorzuschieben! Der Hauptschade, den die Verschwörung gestiftet, ist, daß sie uns um die Aufmerksamkeit auf die Ouverture brachte. Ihr Nutzen ist aber unberechenbar. Ich möchte alle Zweifler an Griechenland auf einen Tag nach Athen versetzen, damit sie selbst sich überzeugten, wie unkundig sie urtheilen, wenn sie diese Verschwörung als einen neuen Beweis der Richtigkeit ihrer Vorurtheile gebrauchen. Sie würden im Gegentheil daraus lernen, daß die, welche anderer Ansicht waren, eben durch die Wirkung der Entdeckung derselben eine alle Erwartung übertreffende Bestätigung ihrer Behauptungen und ihrer Hoffnungen für Griechenland gefunden. Nach der Musik begab ich mich auf die Demarchie, um einen Paß für eine kleine Excursion zu holen. Ich erkundige mich nach der Straße, wo ich das Bureau finden werde. Ein Demokrat, ein arger, der mit dem Demarchen eben so unzufrieden schien, als einst der selige Strepsiades, antwortete: "Folgen Sie nur diesem schmutzigen Wasser, welches in der Mitte der Straße fließt: kommen Sie glücklich bei einem tiefen Loch an einer unvollendeten Kloake vorüber, so sind Sie, wohin Sie wünschen; stürzen Sie aber hinein, so brauchen Sie keinen Paß." Ohne weitere Vorfrage und mit der nöthigen Vorsicht erreichte ich die Demarchie. - Es ist freilich sehr auffallend, daß in Athen, in dem wasserarmen Athen, das Wasser bei der trockensten Witterung über die Straße läuft. Die Demarchie ist bisher stets in Wassernoth gewesen. Man weiß nicht einmal, woher das Wasser kommt, welches die Stadt versorgt. Nur bis auf eine gewisse Entfernung, etwa eine deutsche Meile, kennt man den uralten unterirdischen Aquäduct; man weiß, daß eine Menge Aestuarien desselben mit Erde angefüllt sind, hat sie aber nicht gereinigt. Die Demarchie hat den sehr richtigen Vorsatz, mit möglichster Genauigkeit alle alten Wasserleitungen in und um Athen bis an ihre Quellen verfolgen, und eine vollständige hydrographische oder hydragogische Karte entwerfen zu lassen, indem sie meint, daß sie in dieser Beziehung allerdings von den Alten etwas lernen kann, da ausgemacht ist, daß auch die alten Athener Wasser tranken. Daß die neueren dessen bedürfen, bezweifeln vermuthlich nur diejenigen, welche noch immer beklagen, daß man Athen nicht nach dem Piräeus verlegt habe. Sie könnten sich von ihrem Irrthum überzeugen, wenn sie sich erkundigten, was die seltsamen viereckigen gemauerten Kasten mit einem Schornstein bedeuten, welche die Demarchie seit einiger Zeit an den Straßen und Plätzen Athens aufführt. Dieselben stellen Fontainen vor im Geschmack von 1839. Was den Piräeus betrifft, warum man wohl nicht auch auf den Einfall kommt, Wien nach Triest zu verlegen? Dann wär's erst recht eine große Handelsstadt, und von der alten Vindobona könnte man jedes Fragment aus der Erde scharren. Es ist ein Glück, daß manche neuere Bauten in Athen hinreichend leicht ausgeführt sind, um bei einer besseren Stadtverwaltung, welche jetzt fast ausschließlich in den Händen des athenischen Demos aus türkischer Zeit sich befindet, durch andere ersetzt zu werden. Eine Hauptstadt, zumal eine werdende, bedürfte wohl eines eigenen, mit den Bedürfnissen und Anforderungen unserer Zeit vertrauten Stadtpräfecten. In den Stadtplan ist leider durch spätern Linien eine solche Störung der ursprünglichen Einheit hineingerathen, daß er um so mehr bedarf gegen die Willkür und das Interesse unkundiger Municipalbeamten geschützt zu werden. Es würde zwar wieder nicht an Klagen von Seiten der Liebhaber von Aemtern fehlen, deren es hier viele gibt, was denn die natürliche Folge hat, daß eine Menge Leute meinen, es gehe ihnen nicht besser als jenem Acteur, der 10 Jahre auf der Bühne die Hinterbeine eines Kamels vorgestellt hatte, und dennoch, da eine Vacanz eintrat, bei der jedes Verdienst gegangen und wohin. Sie sey sehr begierig zu erfahren, ob die Geschichte wahr sey. Ein solcher Lückenbüßer setzt alle Wißbegierigen in Bewegung, und ehe der Abend kommt, verbreitet das Gerücht eine Menge Antworten auf jene Fragen, die natürlich sich alsbald von selbst widerlegen. Das Possierlichste ist, wenn man das Glück hat, in die Nachbarschaft von zeitvertreibenden Reisenden zu gerathen, welche, da sie nichts zu thun hatten, nichts Besseres thun konnten, als die orientalische Frage an Ort und Stelle in Augenschein zu nehmen. Das Fundament ihres Urtheils über Griechenland und den Orient sind im Sommer die Hitze und die Wanzen, im Winter das schlechte Wetter und die undichten Thüren, woraus sich denn ergibt, daß das Volk zumal moralisch in einem miserablen Zustande ist. Wenn man nun dazu nimmt, daß es in der Ebene von Argos keine Bäume gibt, in der von Athen nur einige häßliche Olivenbäume, und daß überhaupt seit dem Jahr 1833 in und für Griechenland nichts geschehen ist, als einige unvollständige Ausgrabungen auf der Akropolis, so sieht man leicht ein, daß dieses Land nie reussiren wird, zumal die egoistischen Pferdetreiber mehr für ihren eigenen Beutel sorgen, als für den der Reisenden, die sie befördern. Auch Zeitungen aus der Fremde finden wir in den Kaffeehäusern. Leider beschäftigt sich das Morning Chronicle nur selten mit Griechenland, sonst würde der Kaffeewirth es sicher zur Erheiterung seiner Gäste auslegen. Die Münchhausen-Artikel dieser Zeitung sind durch den Contrast, den sie mit der Wahrheit bilden, eben so spaßhaft, als der Bericht in Balbi's Geographie über die constitutionelle Verfassung Aegyptens, von dem es heißt, daß es durch eine Versammlung von Notabeln regiert werde, welche zwar keine eigentliche französische Deputirtenkammer bilden, aber auch keinen bloßen Staatsrath, sondern ein vollkommneres Etwas, das zwischen beiden mitten inne steht, gerade so wie bekanntlich holländische Zwiebacke mitten inne stehen zwischen Eiermahe und Butterbemmen, die Tugend beider vereinigend. Und das Land ist dabei glücklich, überglücklich, wie einst zur Zeit der ägyptischen Fleischtöpfe. Die Aegyptier wissen nichts weder von Constitution noch von Glück. Das Morning Chronicle aber, welches sich so sehr für das Glück Griechenlands interessirt, sollte bedenken, daß die Artikel, welche uns hier lachen machen, und wodurch es so freundlich für unsere Erheiterung sorgt, bei andern gar zu leicht mißverstanden werden, und dann sich zu den schamlosesten Verleumdungen umgestalten. Doch ereifern wir uns nicht. Ich höre Musik, es ist zwölf Uhr, ich folge dem Strom, um auf dem Platze vor dem königlichen Palais eine Ouverture und einen Straußischen Walzer mit anzuhören. Hier versammeln sich um diese Zeit diejenigen, welche zur Abwechselung mit dem sonderbar näselnden Gesang der Griechen einige musikalische Töne aus Europa zu hören wünschen, außerdem einige wenige, die nichts zu thun haben, oder deren Neigung und Beruf sie an die Börse der Neuigkeiten zieht. „Haben Sie schon gehört: der einfältige Georg Kapodistrias ist arretirt. Er ist mit dem Türkenfresser Nikitas Chef einer Verschwörung zur Aufrechterhaltung des Christenthums.“ Wie ein Lauffeuer ist die Geschichte durch die Stadt. Bei Tische wird schon erzählt, es sey auf eine neue Vesper abgesehen gewesen. Kein Kopf sollte auf einem heterodoxen Leib sitzen bleiben. Die Geschichte ist um so spaßhafter, weil viel Wahres daran war, nämlich an der Verschwörung, aber sicherlich nicht an der Möglichkeit der Ausführung. Glauben Sie zuverlässig, es wäre nicht möglich, in Griechenland zehn solche Kopfabschneider aufzutreiben. Wie man auch so thöricht seyn kann, solche einfältige Instrumente vorzuschieben! Der Hauptschade, den die Verschwörung gestiftet, ist, daß sie uns um die Aufmerksamkeit auf die Ouverture brachte. Ihr Nutzen ist aber unberechenbar. Ich möchte alle Zweifler an Griechenland auf einen Tag nach Athen versetzen, damit sie selbst sich überzeugten, wie unkundig sie urtheilen, wenn sie diese Verschwörung als einen neuen Beweis der Richtigkeit ihrer Vorurtheile gebrauchen. Sie würden im Gegentheil daraus lernen, daß die, welche anderer Ansicht waren, eben durch die Wirkung der Entdeckung derselben eine alle Erwartung übertreffende Bestätigung ihrer Behauptungen und ihrer Hoffnungen für Griechenland gefunden. Nach der Musik begab ich mich auf die Demarchie, um einen Paß für eine kleine Excursion zu holen. Ich erkundige mich nach der Straße, wo ich das Bureau finden werde. Ein Demokrat, ein arger, der mit dem Demarchen eben so unzufrieden schien, als einst der selige Strepsiades, antwortete: „Folgen Sie nur diesem schmutzigen Wasser, welches in der Mitte der Straße fließt: kommen Sie glücklich bei einem tiefen Loch an einer unvollendeten Kloake vorüber, so sind Sie, wohin Sie wünschen; stürzen Sie aber hinein, so brauchen Sie keinen Paß.“ Ohne weitere Vorfrage und mit der nöthigen Vorsicht erreichte ich die Demarchie. – Es ist freilich sehr auffallend, daß in Athen, in dem wasserarmen Athen, das Wasser bei der trockensten Witterung über die Straße läuft. Die Demarchie ist bisher stets in Wassernoth gewesen. Man weiß nicht einmal, woher das Wasser kommt, welches die Stadt versorgt. Nur bis auf eine gewisse Entfernung, etwa eine deutsche Meile, kennt man den uralten unterirdischen Aquäduct; man weiß, daß eine Menge Aestuarien desselben mit Erde angefüllt sind, hat sie aber nicht gereinigt. Die Demarchie hat den sehr richtigen Vorsatz, mit möglichster Genauigkeit alle alten Wasserleitungen in und um Athen bis an ihre Quellen verfolgen, und eine vollständige hydrographische oder hydragogische Karte entwerfen zu lassen, indem sie meint, daß sie in dieser Beziehung allerdings von den Alten etwas lernen kann, da ausgemacht ist, daß auch die alten Athener Wasser tranken. Daß die neueren dessen bedürfen, bezweifeln vermuthlich nur diejenigen, welche noch immer beklagen, daß man Athen nicht nach dem Piräeus verlegt habe. Sie könnten sich von ihrem Irrthum überzeugen, wenn sie sich erkundigten, was die seltsamen viereckigen gemauerten Kasten mit einem Schornstein bedeuten, welche die Demarchie seit einiger Zeit an den Straßen und Plätzen Athens aufführt. Dieselben stellen Fontainen vor im Geschmack von 1839. Was den Piräeus betrifft, warum man wohl nicht auch auf den Einfall kommt, Wien nach Triest zu verlegen? Dann wär's erst recht eine große Handelsstadt, und von der alten Vindobona könnte man jedes Fragment aus der Erde scharren. Es ist ein Glück, daß manche neuere Bauten in Athen hinreichend leicht ausgeführt sind, um bei einer besseren Stadtverwaltung, welche jetzt fast ausschließlich in den Händen des athenischen Demos aus türkischer Zeit sich befindet, durch andere ersetzt zu werden. Eine Hauptstadt, zumal eine werdende, bedürfte wohl eines eigenen, mit den Bedürfnissen und Anforderungen unserer Zeit vertrauten Stadtpräfecten. In den Stadtplan ist leider durch spätern Linien eine solche Störung der ursprünglichen Einheit hineingerathen, daß er um so mehr bedarf gegen die Willkür und das Interesse unkundiger Municipalbeamten geschützt zu werden. Es würde zwar wieder nicht an Klagen von Seiten der Liebhaber von Aemtern fehlen, deren es hier viele gibt, was denn die natürliche Folge hat, daß eine Menge Leute meinen, es gehe ihnen nicht besser als jenem Acteur, der 10 Jahre auf der Bühne die Hinterbeine eines Kamels vorgestellt hatte, und dennoch, da eine Vacanz eintrat, bei der jedes Verdienst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="0570"/> gegangen und wohin. Sie sey sehr begierig zu erfahren, ob die Geschichte wahr sey. Ein solcher Lückenbüßer setzt alle Wißbegierigen in Bewegung, und ehe der Abend kommt, verbreitet das Gerücht eine Menge Antworten auf jene Fragen, die natürlich sich alsbald von selbst widerlegen.</p><lb/> <p>Das Possierlichste ist, wenn man das Glück hat, in die Nachbarschaft von zeitvertreibenden Reisenden zu gerathen, welche, da sie nichts zu thun hatten, nichts Besseres thun konnten, als die orientalische Frage an Ort und Stelle in Augenschein zu nehmen. Das Fundament ihres Urtheils über Griechenland und den Orient sind im Sommer die Hitze und die Wanzen, im Winter das schlechte Wetter und die undichten Thüren, woraus sich denn ergibt, daß das Volk zumal moralisch in einem miserablen Zustande ist. Wenn man nun dazu nimmt, daß es in der Ebene von Argos keine Bäume gibt, in der von Athen nur einige häßliche Olivenbäume, und daß überhaupt seit dem Jahr 1833 in und für Griechenland nichts geschehen ist, als einige unvollständige Ausgrabungen auf der Akropolis, so sieht man leicht ein, daß dieses Land nie reussiren wird, zumal die egoistischen Pferdetreiber mehr für ihren eigenen Beutel sorgen, als für den der Reisenden, die sie befördern.</p><lb/> <p>Auch Zeitungen aus der Fremde finden wir in den Kaffeehäusern. Leider beschäftigt sich das Morning Chronicle nur selten mit Griechenland, sonst würde der Kaffeewirth es sicher zur Erheiterung seiner Gäste auslegen. Die Münchhausen-Artikel dieser Zeitung sind durch den Contrast, den sie mit der Wahrheit bilden, eben so spaßhaft, als der Bericht in Balbi's Geographie über die constitutionelle Verfassung Aegyptens, von dem es heißt, daß es durch eine Versammlung von Notabeln regiert werde, welche zwar keine eigentliche französische Deputirtenkammer bilden, aber auch keinen bloßen Staatsrath, sondern ein vollkommneres Etwas, das zwischen beiden mitten inne steht, gerade so wie bekanntlich holländische Zwiebacke mitten inne stehen zwischen Eiermahe und Butterbemmen, die Tugend beider vereinigend. Und das Land ist dabei glücklich, überglücklich, wie einst zur Zeit der ägyptischen Fleischtöpfe. Die Aegyptier wissen nichts weder von Constitution noch von Glück. Das Morning Chronicle aber, welches sich so sehr für das Glück Griechenlands interessirt, sollte bedenken, daß die Artikel, welche uns hier lachen machen, und wodurch es so freundlich für unsere Erheiterung sorgt, bei andern gar zu leicht mißverstanden werden, und dann sich zu den schamlosesten Verleumdungen umgestalten. Doch ereifern wir uns nicht. Ich höre Musik, es ist zwölf Uhr, ich folge dem Strom, um auf dem Platze vor dem königlichen Palais eine Ouverture und einen Straußischen Walzer mit anzuhören. Hier versammeln sich um diese Zeit diejenigen, welche zur Abwechselung mit dem sonderbar näselnden Gesang der Griechen einige musikalische Töne aus Europa zu hören wünschen, außerdem einige wenige, die nichts zu thun haben, oder deren Neigung und Beruf sie an die Börse der Neuigkeiten zieht. „Haben Sie schon gehört: der einfältige Georg Kapodistrias ist arretirt. Er ist mit dem Türkenfresser Nikitas Chef einer Verschwörung zur Aufrechterhaltung des Christenthums.“ Wie ein Lauffeuer ist die Geschichte durch die Stadt. Bei Tische wird schon erzählt, es sey auf eine neue Vesper abgesehen gewesen. Kein Kopf sollte auf einem heterodoxen Leib sitzen bleiben. Die Geschichte ist um so spaßhafter, weil viel Wahres daran war, nämlich an der Verschwörung, aber sicherlich nicht an der Möglichkeit der Ausführung. Glauben Sie zuverlässig, es wäre nicht möglich, in Griechenland zehn solche Kopfabschneider aufzutreiben. Wie man auch so thöricht seyn kann, solche einfältige Instrumente vorzuschieben! Der Hauptschade, den die Verschwörung gestiftet, ist, daß sie uns um die Aufmerksamkeit auf die Ouverture brachte. Ihr Nutzen ist aber unberechenbar. Ich möchte alle Zweifler an Griechenland auf einen Tag nach Athen versetzen, damit sie selbst sich überzeugten, wie unkundig sie urtheilen, wenn sie diese Verschwörung als einen neuen Beweis der Richtigkeit ihrer Vorurtheile gebrauchen. Sie würden im Gegentheil daraus lernen, daß die, welche anderer Ansicht waren, eben durch die Wirkung der Entdeckung derselben eine alle Erwartung übertreffende Bestätigung ihrer Behauptungen und ihrer Hoffnungen für Griechenland gefunden.</p><lb/> <p>Nach der Musik begab ich mich auf die Demarchie, um einen Paß für eine kleine Excursion zu holen. Ich erkundige mich nach der Straße, wo ich das Bureau finden werde. Ein Demokrat, ein arger, der mit dem Demarchen eben so unzufrieden schien, als einst der selige Strepsiades, antwortete: „Folgen Sie nur diesem schmutzigen Wasser, welches in der Mitte der Straße fließt: kommen Sie glücklich bei einem tiefen Loch an einer unvollendeten Kloake vorüber, so sind Sie, wohin Sie wünschen; stürzen Sie aber hinein, so brauchen Sie keinen Paß.“ Ohne weitere Vorfrage und mit der nöthigen Vorsicht erreichte ich die Demarchie. – Es ist freilich sehr auffallend, daß in Athen, in dem wasserarmen Athen, das Wasser bei der trockensten Witterung über die Straße läuft. Die Demarchie ist bisher stets in Wassernoth gewesen. Man weiß nicht einmal, woher das Wasser kommt, welches die Stadt versorgt. Nur bis auf eine gewisse Entfernung, etwa eine deutsche Meile, kennt man den uralten unterirdischen Aquäduct; man weiß, daß eine Menge Aestuarien desselben mit Erde angefüllt sind, hat sie aber nicht gereinigt. Die Demarchie hat den sehr richtigen Vorsatz, mit möglichster Genauigkeit alle alten Wasserleitungen in und um Athen bis an ihre Quellen verfolgen, und eine vollständige hydrographische oder hydragogische Karte entwerfen zu lassen, indem sie meint, daß sie in dieser Beziehung allerdings von den Alten etwas lernen kann, da ausgemacht ist, daß auch die alten Athener Wasser tranken. Daß die neueren dessen bedürfen, bezweifeln vermuthlich nur diejenigen, welche noch immer beklagen, daß man Athen nicht nach dem Piräeus verlegt habe. Sie könnten sich von ihrem Irrthum überzeugen, wenn sie sich erkundigten, was die seltsamen viereckigen gemauerten Kasten mit einem Schornstein bedeuten, welche die Demarchie seit einiger Zeit an den Straßen und Plätzen Athens aufführt. Dieselben stellen Fontainen vor im Geschmack von 1839. Was den Piräeus betrifft, warum man wohl nicht auch auf den Einfall kommt, Wien nach Triest zu verlegen? Dann wär's erst recht eine große Handelsstadt, und von der alten Vindobona könnte man jedes Fragment aus der Erde scharren. Es ist ein Glück, daß manche neuere Bauten in Athen hinreichend leicht ausgeführt sind, um bei einer besseren Stadtverwaltung, welche jetzt fast ausschließlich in den Händen des athenischen Demos aus türkischer Zeit sich befindet, durch andere ersetzt zu werden. Eine Hauptstadt, zumal eine werdende, bedürfte wohl eines eigenen, mit den Bedürfnissen und Anforderungen unserer Zeit vertrauten Stadtpräfecten. In den Stadtplan ist leider durch spätern Linien eine solche Störung der ursprünglichen Einheit hineingerathen, daß er um so mehr bedarf gegen die Willkür und das Interesse unkundiger Municipalbeamten geschützt zu werden. Es würde zwar wieder nicht an Klagen von Seiten der Liebhaber von Aemtern fehlen, deren es hier viele gibt, was denn die natürliche Folge hat, daß eine Menge Leute meinen, es gehe ihnen nicht besser als jenem Acteur, der 10 Jahre auf der Bühne die Hinterbeine eines Kamels vorgestellt hatte, und dennoch, da eine Vacanz eintrat, bei der jedes Verdienst<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0570/0010]
gegangen und wohin. Sie sey sehr begierig zu erfahren, ob die Geschichte wahr sey. Ein solcher Lückenbüßer setzt alle Wißbegierigen in Bewegung, und ehe der Abend kommt, verbreitet das Gerücht eine Menge Antworten auf jene Fragen, die natürlich sich alsbald von selbst widerlegen.
Das Possierlichste ist, wenn man das Glück hat, in die Nachbarschaft von zeitvertreibenden Reisenden zu gerathen, welche, da sie nichts zu thun hatten, nichts Besseres thun konnten, als die orientalische Frage an Ort und Stelle in Augenschein zu nehmen. Das Fundament ihres Urtheils über Griechenland und den Orient sind im Sommer die Hitze und die Wanzen, im Winter das schlechte Wetter und die undichten Thüren, woraus sich denn ergibt, daß das Volk zumal moralisch in einem miserablen Zustande ist. Wenn man nun dazu nimmt, daß es in der Ebene von Argos keine Bäume gibt, in der von Athen nur einige häßliche Olivenbäume, und daß überhaupt seit dem Jahr 1833 in und für Griechenland nichts geschehen ist, als einige unvollständige Ausgrabungen auf der Akropolis, so sieht man leicht ein, daß dieses Land nie reussiren wird, zumal die egoistischen Pferdetreiber mehr für ihren eigenen Beutel sorgen, als für den der Reisenden, die sie befördern.
Auch Zeitungen aus der Fremde finden wir in den Kaffeehäusern. Leider beschäftigt sich das Morning Chronicle nur selten mit Griechenland, sonst würde der Kaffeewirth es sicher zur Erheiterung seiner Gäste auslegen. Die Münchhausen-Artikel dieser Zeitung sind durch den Contrast, den sie mit der Wahrheit bilden, eben so spaßhaft, als der Bericht in Balbi's Geographie über die constitutionelle Verfassung Aegyptens, von dem es heißt, daß es durch eine Versammlung von Notabeln regiert werde, welche zwar keine eigentliche französische Deputirtenkammer bilden, aber auch keinen bloßen Staatsrath, sondern ein vollkommneres Etwas, das zwischen beiden mitten inne steht, gerade so wie bekanntlich holländische Zwiebacke mitten inne stehen zwischen Eiermahe und Butterbemmen, die Tugend beider vereinigend. Und das Land ist dabei glücklich, überglücklich, wie einst zur Zeit der ägyptischen Fleischtöpfe. Die Aegyptier wissen nichts weder von Constitution noch von Glück. Das Morning Chronicle aber, welches sich so sehr für das Glück Griechenlands interessirt, sollte bedenken, daß die Artikel, welche uns hier lachen machen, und wodurch es so freundlich für unsere Erheiterung sorgt, bei andern gar zu leicht mißverstanden werden, und dann sich zu den schamlosesten Verleumdungen umgestalten. Doch ereifern wir uns nicht. Ich höre Musik, es ist zwölf Uhr, ich folge dem Strom, um auf dem Platze vor dem königlichen Palais eine Ouverture und einen Straußischen Walzer mit anzuhören. Hier versammeln sich um diese Zeit diejenigen, welche zur Abwechselung mit dem sonderbar näselnden Gesang der Griechen einige musikalische Töne aus Europa zu hören wünschen, außerdem einige wenige, die nichts zu thun haben, oder deren Neigung und Beruf sie an die Börse der Neuigkeiten zieht. „Haben Sie schon gehört: der einfältige Georg Kapodistrias ist arretirt. Er ist mit dem Türkenfresser Nikitas Chef einer Verschwörung zur Aufrechterhaltung des Christenthums.“ Wie ein Lauffeuer ist die Geschichte durch die Stadt. Bei Tische wird schon erzählt, es sey auf eine neue Vesper abgesehen gewesen. Kein Kopf sollte auf einem heterodoxen Leib sitzen bleiben. Die Geschichte ist um so spaßhafter, weil viel Wahres daran war, nämlich an der Verschwörung, aber sicherlich nicht an der Möglichkeit der Ausführung. Glauben Sie zuverlässig, es wäre nicht möglich, in Griechenland zehn solche Kopfabschneider aufzutreiben. Wie man auch so thöricht seyn kann, solche einfältige Instrumente vorzuschieben! Der Hauptschade, den die Verschwörung gestiftet, ist, daß sie uns um die Aufmerksamkeit auf die Ouverture brachte. Ihr Nutzen ist aber unberechenbar. Ich möchte alle Zweifler an Griechenland auf einen Tag nach Athen versetzen, damit sie selbst sich überzeugten, wie unkundig sie urtheilen, wenn sie diese Verschwörung als einen neuen Beweis der Richtigkeit ihrer Vorurtheile gebrauchen. Sie würden im Gegentheil daraus lernen, daß die, welche anderer Ansicht waren, eben durch die Wirkung der Entdeckung derselben eine alle Erwartung übertreffende Bestätigung ihrer Behauptungen und ihrer Hoffnungen für Griechenland gefunden.
Nach der Musik begab ich mich auf die Demarchie, um einen Paß für eine kleine Excursion zu holen. Ich erkundige mich nach der Straße, wo ich das Bureau finden werde. Ein Demokrat, ein arger, der mit dem Demarchen eben so unzufrieden schien, als einst der selige Strepsiades, antwortete: „Folgen Sie nur diesem schmutzigen Wasser, welches in der Mitte der Straße fließt: kommen Sie glücklich bei einem tiefen Loch an einer unvollendeten Kloake vorüber, so sind Sie, wohin Sie wünschen; stürzen Sie aber hinein, so brauchen Sie keinen Paß.“ Ohne weitere Vorfrage und mit der nöthigen Vorsicht erreichte ich die Demarchie. – Es ist freilich sehr auffallend, daß in Athen, in dem wasserarmen Athen, das Wasser bei der trockensten Witterung über die Straße läuft. Die Demarchie ist bisher stets in Wassernoth gewesen. Man weiß nicht einmal, woher das Wasser kommt, welches die Stadt versorgt. Nur bis auf eine gewisse Entfernung, etwa eine deutsche Meile, kennt man den uralten unterirdischen Aquäduct; man weiß, daß eine Menge Aestuarien desselben mit Erde angefüllt sind, hat sie aber nicht gereinigt. Die Demarchie hat den sehr richtigen Vorsatz, mit möglichster Genauigkeit alle alten Wasserleitungen in und um Athen bis an ihre Quellen verfolgen, und eine vollständige hydrographische oder hydragogische Karte entwerfen zu lassen, indem sie meint, daß sie in dieser Beziehung allerdings von den Alten etwas lernen kann, da ausgemacht ist, daß auch die alten Athener Wasser tranken. Daß die neueren dessen bedürfen, bezweifeln vermuthlich nur diejenigen, welche noch immer beklagen, daß man Athen nicht nach dem Piräeus verlegt habe. Sie könnten sich von ihrem Irrthum überzeugen, wenn sie sich erkundigten, was die seltsamen viereckigen gemauerten Kasten mit einem Schornstein bedeuten, welche die Demarchie seit einiger Zeit an den Straßen und Plätzen Athens aufführt. Dieselben stellen Fontainen vor im Geschmack von 1839. Was den Piräeus betrifft, warum man wohl nicht auch auf den Einfall kommt, Wien nach Triest zu verlegen? Dann wär's erst recht eine große Handelsstadt, und von der alten Vindobona könnte man jedes Fragment aus der Erde scharren. Es ist ein Glück, daß manche neuere Bauten in Athen hinreichend leicht ausgeführt sind, um bei einer besseren Stadtverwaltung, welche jetzt fast ausschließlich in den Händen des athenischen Demos aus türkischer Zeit sich befindet, durch andere ersetzt zu werden. Eine Hauptstadt, zumal eine werdende, bedürfte wohl eines eigenen, mit den Bedürfnissen und Anforderungen unserer Zeit vertrauten Stadtpräfecten. In den Stadtplan ist leider durch spätern Linien eine solche Störung der ursprünglichen Einheit hineingerathen, daß er um so mehr bedarf gegen die Willkür und das Interesse unkundiger Municipalbeamten geschützt zu werden. Es würde zwar wieder nicht an Klagen von Seiten der Liebhaber von Aemtern fehlen, deren es hier viele gibt, was denn die natürliche Folge hat, daß eine Menge Leute meinen, es gehe ihnen nicht besser als jenem Acteur, der 10 Jahre auf der Bühne die Hinterbeine eines Kamels vorgestellt hatte, und dennoch, da eine Vacanz eintrat, bei der jedes Verdienst
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