Allgemeine Zeitung. Nr. 72. Augsburg, 12. März 1840.könne. Diese aber übersehen, daß dergleichen nicht mehr von Parteien oder dem Genius einzelner Männer abhängt, sondern eine unvermeidliche Erscheinung im Entwickelungsgange constitutioneller Staaten ist, nämlich, daß, wie die Nationen erstarken, die Regierungen, nach innen zu wenigstens, schwächer werden. Wellington bewies nur seinen Scharfsinn, als er 1832 in Bezug auf die Reformbill erklärte, er sehe nicht, wie nach der Durchsetzung dieser Maaßregel die Landesverwaltung noch wie bisher geführt werden könne. Die Leute müssen sich auch an diese Erscheinung gewöhnen lernen, ehe sie sich mit dem Daseyn der jetzigen Verwaltung gänzlich aussöhnen können, welche gerade ihrer Schwäche wegen bei den Sicherheit und Ruhe suchenden Mittelclassen so viele Gegner findet. Inzwischen ist es den Ministern - Dank sey es der besseren Einsicht der Häupter der Torypartei - gelungen, die irische Corporationsreformbill, und zwar in einer Form, welche den Beifall O'Connells hat, mit einer so entschiedenen Mehrheit durchs Unterhaus zu führen, daß das Oberhaus darüber zur Verständigung kommen muß. In so weit also haben sie sich durch Beharrlichkeit stark genug erwiesen; wenn sie auch in einigen einzelnen Punkten nachgeben mußten, so haben die Tories doch in der Hauptsache nachgegeben, daß die Corporationen in den größeren Städten eine volksmäßige Umgestaltung erhalten, statt abgeschafft zu werden. Und wenn O'Connell seine Drohung wahr machen kann, daß jede Corporation eine Normalschule für politische Aufregung werden solle, so erklären sie sich durch ihre Zustimmung für genöthigt, solche verderbliche Schulen stiften zu helfen. Fürs erste jedoch wird ein Zankapfel mehr beseitigt. Die Minister haben auch darin Festigkeit gezeigt, daß sie trotz den Hunderten von Bittschriften und den Tausenden von Unterschriften, trotz dem Drängen vieler ihrer Unterstützer im Unterhause und dem Gelärm einer Menge Zeitungen, Frost und seine zwei Consorten wirklich deportirt haben, ohne auch nur die so oft angekündigte und eben so oft verschobene Motion des radicalen Leader abzuwarten. Auch hat diese Festigkeit bereits die guten Früchte getragen, daß die Chartisten überall friedfertig geworden, und fast nur noch vom "Schwerte des Geistes" als dem Mittel zur Ausführung ihres Zweckes reden. Ja die Massen neigen sich offenbar wieder zu den Mittelclassen hin, indem die Versammlungen gegen die Korngesetze entweder gar keinen Widerstand mehr finden, oder doch so geringen, daß die Ruhestörer bald werden zum Schweigen gebracht seyn. Diese neue Opposition gewinnt immer mehr Boden. Der hiesige Verein gegen die Korngesetze zählt bereits eine große Anzahl der angesehensten Kaufleute und Bankiers in seinen Reihen, und die erste Versammlung, welche derselbe beruft, wird zeigen, daß die Vorlesungen gegen das jetzige System, welche auf Betrieb der Anticorn-law league in verschiedenen Theilen der Stadt gehalten worden sind, ihre Wirkung nicht verfehlt haben. In Doncaster, einer Stadt, welche mitten unter Maierhöfen und Gutsbesitzern liegt, und beinahe gänzlich von deren Kundschaft lebt, sind kürzlich zwei Versammlungen vereitelt worden, welche letztere berufen hatten, um das Parlament wegen der Aufrechthaltung der Korngesetze anzugehen, und die Mehrheit kam zum Beschlusse, um deren Abschaffung anzuhalten. In Wolverhampton, wo jetzt große Noth unter den Fabrikarbeitern herrscht, haben diese unter sich und aus eigenem Antrieb eine Versammlung gegen diese Gesetze gehalten, wobei man kräftige Reden hielt, ohne daß die Ordnung des Verfahrens im geringsten gestört worden wäre. Es läßt sich also erwarten, besonders wenn die Störungen im Fabrikwesen fortdauern, daß den Gutsherren ein schwerer Kampf bevorsteht, welcher wahrscheinlich damit endigen wird, daß eine Toryverwaltung sich mit Aufopferung derselben Volksbeliebtheit erkauft. Daß die Whigs die Abschaffung der Korngesetze durchsetzen können, ist, wenn sie es auch zu unternehmen wagten, kaum zu denken. - Vorgestern Abend machte Lord John Russell dem Unterhause die erfreuliche Ankündigung, daß er demselben eine Bill vorschlagen werde, wodurch alle, welche parlamentarische Documente bekannt machen, gegen alle Verantwortlichkeit vor den Gerichten gesichert seyn sollen. Da dieses nicht geschehen würde, wenn der edle Lord nicht der Zustimmung des Oberhauses im voraus versichert wäre, so läßt sich erwarten, daß dem unangenehmen Kampfe zwischen dem Hause und den Gerichtsbehörden ein schnelles Ende gemacht werden wird; was um so mehr zu wünschen ist, da das Publicum im Allgemeinen anfängt Theil daran zu nehmen, und zwar mit einer Heftigkeit, welche bei der gegenwärtigen Leidenschaftlichkeit der Gemüther aufkommen zu lassen unklug wäre. Die neulichen Versammlungen in der Freimaurerhalle geben ein Pröbchen davon. Gestern Nachmittag haben die Behörden der City der Königin und dem Prinzen Albert ihre Glückwünschungsadressen überreicht, nachdem die Corporationen lange gezweifelt, ob sie solches nicht unterlassen solle, bis man ihre Sheriffs in Freiheit gesetzt habe. - Des Bischofs von Exeter Aufdeckung des antichristlichen Strebens der Socialisten hat doch die gute Folge gehabt, daß hier sowohl als an andern Orten von Geistlichen und Weltlichen öffentliche Vorlesungen zur Vertheidigung und Empfehlung des von jenen so schmählich verspotteten Christenthums gehalten werden. Selbst der Ultra-Rationalist Fox hat dieses gute Werk übernommen, und wie man versichert, mit großem Erfolg. - Der so eben erschienene Katalog der im vorigen Jahre in London herausgegebenen Werke enthält nicht weniger als 2759 Titel, schließt aber eine ungeheure Menge Flugschriften nicht ein, nicht einmal alle neuen Auflagen größerer Werke. Der Verleger desselben gibt auch das Publisher's Cireular heraus, das alle 14 Tage erscheint, nämlich S. Low, welcher sich große Mühe zu geben scheint, dieses für den Freund englischer Litteratur so wichtige Verzeichniß immer umfassender zu machen. Merkwürdig ist die Breite, welche die Werke über die Religion hier wieder einnehmen. Frankreich. Paris, 7 März. Ein ministerielles Journal meldet, daß der Marquis v. Dalmatien, dessen Rücktritt man angekündigt habe, seinen Posten als Botschafter behalte, und unverzüglich nach Turin abreisen werde. Der Gazette zufolge ist Fürst Narischkin in Paris gestorben. Eine k. Ordonnanz ernennt den Deputirten, Hrn. Bresson, zum Generaldirector der Forstverwaltung an die Stelle des Hrn. Legrand, dessen Entlassung angenommen ist. Hr. Guizot ward am 4 März zu Lizieur wieder als Deputirter gewählt; er hatte unter 413 Votanten 376 Stimmen erhalten. Der Constitutionnel will aus guter Quelle wissen, daß Hr. v. Mole weit entfernt sey, die Plane erbitterter Opposition von Seite der Ueberspanntesten unter den 221 zu billigen; die persönliche und leidenschaftliche Polemik in ihren Journalen sey nicht nach seinem Geschmack. Er soll erklärt haben, daß er neutral bleiben und dem Gang der Ereignisse zusehen wolle. Das Journal des Debats mäßigt heute seine Sprache gegen das Ministerium auffallend, und räth seinen Freunden in der Kammer, für die geheimen Fonds zu votiren, denn diese Fonds seyen der Regierung nothwendig, und man müsse die Minister, selbst wenn man sie nicht liebe, als die Agenten könne. Diese aber übersehen, daß dergleichen nicht mehr von Parteien oder dem Genius einzelner Männer abhängt, sondern eine unvermeidliche Erscheinung im Entwickelungsgange constitutioneller Staaten ist, nämlich, daß, wie die Nationen erstarken, die Regierungen, nach innen zu wenigstens, schwächer werden. Wellington bewies nur seinen Scharfsinn, als er 1832 in Bezug auf die Reformbill erklärte, er sehe nicht, wie nach der Durchsetzung dieser Maaßregel die Landesverwaltung noch wie bisher geführt werden könne. Die Leute müssen sich auch an diese Erscheinung gewöhnen lernen, ehe sie sich mit dem Daseyn der jetzigen Verwaltung gänzlich aussöhnen können, welche gerade ihrer Schwäche wegen bei den Sicherheit und Ruhe suchenden Mittelclassen so viele Gegner findet. Inzwischen ist es den Ministern – Dank sey es der besseren Einsicht der Häupter der Torypartei – gelungen, die irische Corporationsreformbill, und zwar in einer Form, welche den Beifall O'Connells hat, mit einer so entschiedenen Mehrheit durchs Unterhaus zu führen, daß das Oberhaus darüber zur Verständigung kommen muß. In so weit also haben sie sich durch Beharrlichkeit stark genug erwiesen; wenn sie auch in einigen einzelnen Punkten nachgeben mußten, so haben die Tories doch in der Hauptsache nachgegeben, daß die Corporationen in den größeren Städten eine volksmäßige Umgestaltung erhalten, statt abgeschafft zu werden. Und wenn O'Connell seine Drohung wahr machen kann, daß jede Corporation eine Normalschule für politische Aufregung werden solle, so erklären sie sich durch ihre Zustimmung für genöthigt, solche verderbliche Schulen stiften zu helfen. Fürs erste jedoch wird ein Zankapfel mehr beseitigt. Die Minister haben auch darin Festigkeit gezeigt, daß sie trotz den Hunderten von Bittschriften und den Tausenden von Unterschriften, trotz dem Drängen vieler ihrer Unterstützer im Unterhause und dem Gelärm einer Menge Zeitungen, Frost und seine zwei Consorten wirklich deportirt haben, ohne auch nur die so oft angekündigte und eben so oft verschobene Motion des radicalen Leader abzuwarten. Auch hat diese Festigkeit bereits die guten Früchte getragen, daß die Chartisten überall friedfertig geworden, und fast nur noch vom „Schwerte des Geistes“ als dem Mittel zur Ausführung ihres Zweckes reden. Ja die Massen neigen sich offenbar wieder zu den Mittelclassen hin, indem die Versammlungen gegen die Korngesetze entweder gar keinen Widerstand mehr finden, oder doch so geringen, daß die Ruhestörer bald werden zum Schweigen gebracht seyn. Diese neue Opposition gewinnt immer mehr Boden. Der hiesige Verein gegen die Korngesetze zählt bereits eine große Anzahl der angesehensten Kaufleute und Bankiers in seinen Reihen, und die erste Versammlung, welche derselbe beruft, wird zeigen, daß die Vorlesungen gegen das jetzige System, welche auf Betrieb der Anticorn-law league in verschiedenen Theilen der Stadt gehalten worden sind, ihre Wirkung nicht verfehlt haben. In Doncaster, einer Stadt, welche mitten unter Maierhöfen und Gutsbesitzern liegt, und beinahe gänzlich von deren Kundschaft lebt, sind kürzlich zwei Versammlungen vereitelt worden, welche letztere berufen hatten, um das Parlament wegen der Aufrechthaltung der Korngesetze anzugehen, und die Mehrheit kam zum Beschlusse, um deren Abschaffung anzuhalten. In Wolverhampton, wo jetzt große Noth unter den Fabrikarbeitern herrscht, haben diese unter sich und aus eigenem Antrieb eine Versammlung gegen diese Gesetze gehalten, wobei man kräftige Reden hielt, ohne daß die Ordnung des Verfahrens im geringsten gestört worden wäre. Es läßt sich also erwarten, besonders wenn die Störungen im Fabrikwesen fortdauern, daß den Gutsherren ein schwerer Kampf bevorsteht, welcher wahrscheinlich damit endigen wird, daß eine Toryverwaltung sich mit Aufopferung derselben Volksbeliebtheit erkauft. Daß die Whigs die Abschaffung der Korngesetze durchsetzen können, ist, wenn sie es auch zu unternehmen wagten, kaum zu denken. – Vorgestern Abend machte Lord John Russell dem Unterhause die erfreuliche Ankündigung, daß er demselben eine Bill vorschlagen werde, wodurch alle, welche parlamentarische Documente bekannt machen, gegen alle Verantwortlichkeit vor den Gerichten gesichert seyn sollen. Da dieses nicht geschehen würde, wenn der edle Lord nicht der Zustimmung des Oberhauses im voraus versichert wäre, so läßt sich erwarten, daß dem unangenehmen Kampfe zwischen dem Hause und den Gerichtsbehörden ein schnelles Ende gemacht werden wird; was um so mehr zu wünschen ist, da das Publicum im Allgemeinen anfängt Theil daran zu nehmen, und zwar mit einer Heftigkeit, welche bei der gegenwärtigen Leidenschaftlichkeit der Gemüther aufkommen zu lassen unklug wäre. Die neulichen Versammlungen in der Freimaurerhalle geben ein Pröbchen davon. Gestern Nachmittag haben die Behörden der City der Königin und dem Prinzen Albert ihre Glückwünschungsadressen überreicht, nachdem die Corporationen lange gezweifelt, ob sie solches nicht unterlassen solle, bis man ihre Sheriffs in Freiheit gesetzt habe. – Des Bischofs von Exeter Aufdeckung des antichristlichen Strebens der Socialisten hat doch die gute Folge gehabt, daß hier sowohl als an andern Orten von Geistlichen und Weltlichen öffentliche Vorlesungen zur Vertheidigung und Empfehlung des von jenen so schmählich verspotteten Christenthums gehalten werden. Selbst der Ultra-Rationalist Fox hat dieses gute Werk übernommen, und wie man versichert, mit großem Erfolg. – Der so eben erschienene Katalog der im vorigen Jahre in London herausgegebenen Werke enthält nicht weniger als 2759 Titel, schließt aber eine ungeheure Menge Flugschriften nicht ein, nicht einmal alle neuen Auflagen größerer Werke. Der Verleger desselben gibt auch das Publisher's Cireular heraus, das alle 14 Tage erscheint, nämlich S. Low, welcher sich große Mühe zu geben scheint, dieses für den Freund englischer Litteratur so wichtige Verzeichniß immer umfassender zu machen. Merkwürdig ist die Breite, welche die Werke über die Religion hier wieder einnehmen. Frankreich. Paris, 7 März. Ein ministerielles Journal meldet, daß der Marquis v. Dalmatien, dessen Rücktritt man angekündigt habe, seinen Posten als Botschafter behalte, und unverzüglich nach Turin abreisen werde. Der Gazette zufolge ist Fürst Narischkin in Paris gestorben. Eine k. Ordonnanz ernennt den Deputirten, Hrn. Bresson, zum Generaldirector der Forstverwaltung an die Stelle des Hrn. Legrand, dessen Entlassung angenommen ist. Hr. Guizot ward am 4 März zu Lizieur wieder als Deputirter gewählt; er hatte unter 413 Votanten 376 Stimmen erhalten. Der Constitutionnel will aus guter Quelle wissen, daß Hr. v. Molé weit entfernt sey, die Plane erbitterter Opposition von Seite der Ueberspanntesten unter den 221 zu billigen; die persönliche und leidenschaftliche Polemik in ihren Journalen sey nicht nach seinem Geschmack. Er soll erklärt haben, daß er neutral bleiben und dem Gang der Ereignisse zusehen wolle. Das Journal des Débats mäßigt heute seine Sprache gegen das Ministerium auffallend, und räth seinen Freunden in der Kammer, für die geheimen Fonds zu votiren, denn diese Fonds seyen der Regierung nothwendig, und man müsse die Minister, selbst wenn man sie nicht liebe, als die Agenten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0003" n="0571"/> könne. Diese aber übersehen, daß dergleichen nicht mehr von Parteien oder dem Genius einzelner Männer abhängt, sondern eine unvermeidliche Erscheinung im Entwickelungsgange constitutioneller Staaten ist, nämlich, daß, wie die Nationen erstarken, die Regierungen, nach innen zu wenigstens, schwächer werden. Wellington bewies nur seinen Scharfsinn, als er 1832 in Bezug auf die Reformbill erklärte, er sehe nicht, wie nach der Durchsetzung dieser Maaßregel die Landesverwaltung noch wie bisher geführt werden könne. Die Leute müssen sich auch an diese Erscheinung gewöhnen lernen, ehe sie sich mit dem Daseyn der jetzigen Verwaltung gänzlich aussöhnen können, welche gerade ihrer Schwäche wegen bei den Sicherheit und Ruhe suchenden Mittelclassen so viele Gegner findet. Inzwischen ist es den Ministern – Dank sey es der besseren Einsicht der Häupter der Torypartei – gelungen, die irische Corporationsreformbill, und zwar in einer Form, welche den Beifall O'Connells hat, mit einer so entschiedenen Mehrheit durchs Unterhaus zu führen, daß das Oberhaus darüber zur Verständigung kommen <hi rendition="#g">muß</hi>. In so weit also haben sie sich durch Beharrlichkeit stark genug erwiesen; wenn sie auch in einigen einzelnen Punkten nachgeben mußten, so haben die Tories doch in der Hauptsache nachgegeben, daß die Corporationen in den größeren Städten eine volksmäßige Umgestaltung erhalten, statt abgeschafft zu werden. Und wenn O'Connell seine Drohung wahr machen kann, daß jede Corporation eine Normalschule für politische Aufregung werden solle, so erklären sie sich durch ihre Zustimmung für genöthigt, solche verderbliche Schulen stiften zu helfen. Fürs erste jedoch wird ein Zankapfel mehr beseitigt. Die Minister haben auch darin Festigkeit gezeigt, daß sie trotz den Hunderten von Bittschriften und den Tausenden von Unterschriften, trotz dem Drängen vieler ihrer Unterstützer im Unterhause und dem Gelärm einer Menge Zeitungen, Frost und seine zwei Consorten wirklich deportirt haben, ohne auch nur die so oft angekündigte und eben so oft verschobene Motion des radicalen Leader abzuwarten. Auch hat diese Festigkeit bereits die guten Früchte getragen, daß die Chartisten überall friedfertig geworden, und fast nur noch vom „Schwerte des Geistes“ als dem Mittel zur Ausführung ihres Zweckes reden. Ja die Massen neigen sich offenbar wieder zu den Mittelclassen hin, indem die Versammlungen gegen die Korngesetze entweder gar keinen Widerstand mehr finden, oder doch so geringen, daß die Ruhestörer bald werden zum Schweigen gebracht seyn. Diese neue Opposition gewinnt immer mehr Boden. Der hiesige Verein gegen die Korngesetze zählt bereits eine große Anzahl der angesehensten Kaufleute und Bankiers in seinen Reihen, und die erste Versammlung, welche derselbe beruft, wird zeigen, daß die Vorlesungen gegen das jetzige System, welche auf Betrieb der Anticorn-law league in verschiedenen Theilen der Stadt gehalten worden sind, ihre Wirkung nicht verfehlt haben. In Doncaster, einer Stadt, welche mitten unter Maierhöfen und Gutsbesitzern liegt, und beinahe gänzlich von deren Kundschaft lebt, sind kürzlich zwei Versammlungen vereitelt worden, welche letztere berufen hatten, um das Parlament wegen der Aufrechthaltung der Korngesetze anzugehen, und die Mehrheit kam zum Beschlusse, um deren Abschaffung anzuhalten. In Wolverhampton, wo jetzt große Noth unter den Fabrikarbeitern herrscht, haben diese unter sich und aus eigenem Antrieb eine Versammlung gegen diese Gesetze gehalten, wobei man kräftige Reden hielt, ohne daß die Ordnung des Verfahrens im geringsten gestört worden wäre. Es läßt sich also erwarten, besonders wenn die Störungen im Fabrikwesen fortdauern, daß den Gutsherren ein schwerer Kampf bevorsteht, welcher wahrscheinlich damit endigen wird, daß eine Toryverwaltung sich mit Aufopferung derselben Volksbeliebtheit erkauft. Daß die Whigs die Abschaffung der Korngesetze durchsetzen können, ist, wenn sie es auch zu unternehmen wagten, kaum zu denken. – Vorgestern Abend machte Lord John Russell dem Unterhause die erfreuliche Ankündigung, daß er demselben eine Bill vorschlagen werde, wodurch alle, welche parlamentarische Documente bekannt machen, gegen alle Verantwortlichkeit vor den Gerichten gesichert seyn sollen. Da dieses nicht geschehen würde, wenn der edle Lord nicht der Zustimmung des Oberhauses im voraus versichert wäre, so läßt sich erwarten, daß dem unangenehmen Kampfe zwischen dem Hause und den Gerichtsbehörden ein schnelles Ende gemacht werden wird; was um so mehr zu wünschen ist, da das Publicum im Allgemeinen anfängt Theil daran zu nehmen, und zwar mit einer Heftigkeit, welche bei der gegenwärtigen Leidenschaftlichkeit der Gemüther aufkommen zu lassen unklug wäre. Die neulichen Versammlungen in der Freimaurerhalle geben ein Pröbchen davon. Gestern Nachmittag haben die Behörden der City der Königin und dem Prinzen Albert ihre Glückwünschungsadressen überreicht, nachdem die Corporationen lange gezweifelt, ob sie solches nicht unterlassen solle, bis man ihre Sheriffs in Freiheit gesetzt habe. – Des Bischofs von Exeter Aufdeckung des antichristlichen Strebens der Socialisten hat doch die gute Folge gehabt, daß hier sowohl als an andern Orten von Geistlichen und Weltlichen öffentliche Vorlesungen zur Vertheidigung und Empfehlung des von jenen so schmählich verspotteten Christenthums gehalten werden. Selbst der Ultra-Rationalist Fox hat dieses gute Werk übernommen, und wie man versichert, mit großem Erfolg. – Der so eben erschienene Katalog der im vorigen Jahre in London herausgegebenen Werke enthält nicht weniger als 2759 Titel, schließt aber eine ungeheure Menge Flugschriften nicht ein, nicht einmal <hi rendition="#g">alle</hi> neuen Auflagen größerer Werke. 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Inzwischen ist es den Ministern – Dank sey es der besseren Einsicht der Häupter der Torypartei – gelungen, die irische Corporationsreformbill, und zwar in einer Form, welche den Beifall O'Connells hat, mit einer so entschiedenen Mehrheit durchs Unterhaus zu führen, daß das Oberhaus darüber zur Verständigung kommen muß. In so weit also haben sie sich durch Beharrlichkeit stark genug erwiesen; wenn sie auch in einigen einzelnen Punkten nachgeben mußten, so haben die Tories doch in der Hauptsache nachgegeben, daß die Corporationen in den größeren Städten eine volksmäßige Umgestaltung erhalten, statt abgeschafft zu werden. Und wenn O'Connell seine Drohung wahr machen kann, daß jede Corporation eine Normalschule für politische Aufregung werden solle, so erklären sie sich durch ihre Zustimmung für genöthigt, solche verderbliche Schulen stiften zu helfen. Fürs erste jedoch wird ein Zankapfel mehr beseitigt. 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In Wolverhampton, wo jetzt große Noth unter den Fabrikarbeitern herrscht, haben diese unter sich und aus eigenem Antrieb eine Versammlung gegen diese Gesetze gehalten, wobei man kräftige Reden hielt, ohne daß die Ordnung des Verfahrens im geringsten gestört worden wäre. Es läßt sich also erwarten, besonders wenn die Störungen im Fabrikwesen fortdauern, daß den Gutsherren ein schwerer Kampf bevorsteht, welcher wahrscheinlich damit endigen wird, daß eine Toryverwaltung sich mit Aufopferung derselben Volksbeliebtheit erkauft. Daß die Whigs die Abschaffung der Korngesetze durchsetzen können, ist, wenn sie es auch zu unternehmen wagten, kaum zu denken. – Vorgestern Abend machte Lord John Russell dem Unterhause die erfreuliche Ankündigung, daß er demselben eine Bill vorschlagen werde, wodurch alle, welche parlamentarische Documente bekannt machen, gegen alle Verantwortlichkeit vor den Gerichten gesichert seyn sollen. Da dieses nicht geschehen würde, wenn der edle Lord nicht der Zustimmung des Oberhauses im voraus versichert wäre, so läßt sich erwarten, daß dem unangenehmen Kampfe zwischen dem Hause und den Gerichtsbehörden ein schnelles Ende gemacht werden wird; was um so mehr zu wünschen ist, da das Publicum im Allgemeinen anfängt Theil daran zu nehmen, und zwar mit einer Heftigkeit, welche bei der gegenwärtigen Leidenschaftlichkeit der Gemüther aufkommen zu lassen unklug wäre. Die neulichen Versammlungen in der Freimaurerhalle geben ein Pröbchen davon. Gestern Nachmittag haben die Behörden der City der Königin und dem Prinzen Albert ihre Glückwünschungsadressen überreicht, nachdem die Corporationen lange gezweifelt, ob sie solches nicht unterlassen solle, bis man ihre Sheriffs in Freiheit gesetzt habe. – Des Bischofs von Exeter Aufdeckung des antichristlichen Strebens der Socialisten hat doch die gute Folge gehabt, daß hier sowohl als an andern Orten von Geistlichen und Weltlichen öffentliche Vorlesungen zur Vertheidigung und Empfehlung des von jenen so schmählich verspotteten Christenthums gehalten werden. Selbst der Ultra-Rationalist Fox hat dieses gute Werk übernommen, und wie man versichert, mit großem Erfolg. – Der so eben erschienene Katalog der im vorigen Jahre in London herausgegebenen Werke enthält nicht weniger als 2759 Titel, schließt aber eine ungeheure Menge Flugschriften nicht ein, nicht einmal alle neuen Auflagen größerer Werke. Der Verleger desselben gibt auch das Publisher's Cireular heraus, das alle 14 Tage erscheint, nämlich S. Low, welcher sich große Mühe zu geben scheint, dieses für den Freund englischer Litteratur so wichtige Verzeichniß immer umfassender zu machen. Merkwürdig ist die Breite, welche die Werke über die Religion hier wieder einnehmen.
Frankreich.
_ Paris, 7 März.
Ein ministerielles Journal meldet, daß der Marquis v. Dalmatien, dessen Rücktritt man angekündigt habe, seinen Posten als Botschafter behalte, und unverzüglich nach Turin abreisen werde.
Der Gazette zufolge ist Fürst Narischkin in Paris gestorben.
Eine k. Ordonnanz ernennt den Deputirten, Hrn. Bresson, zum Generaldirector der Forstverwaltung an die Stelle des Hrn. Legrand, dessen Entlassung angenommen ist.
Hr. Guizot ward am 4 März zu Lizieur wieder als Deputirter gewählt; er hatte unter 413 Votanten 376 Stimmen erhalten.
Der Constitutionnel will aus guter Quelle wissen, daß Hr. v. Molé weit entfernt sey, die Plane erbitterter Opposition von Seite der Ueberspanntesten unter den 221 zu billigen; die persönliche und leidenschaftliche Polemik in ihren Journalen sey nicht nach seinem Geschmack. Er soll erklärt haben, daß er neutral bleiben und dem Gang der Ereignisse zusehen wolle.
Das Journal des Débats mäßigt heute seine Sprache gegen das Ministerium auffallend, und räth seinen Freunden in der Kammer, für die geheimen Fonds zu votiren, denn diese Fonds seyen der Regierung nothwendig, und man müsse die Minister, selbst wenn man sie nicht liebe, als die Agenten
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