Allgemeine Zeitung. Nr. 77. Augsburg, 17. März 1840.Augsburger Allgemeine Zeitung. Mit allerhöchsten Privilegien. DienstagNr. 77. 17 März 1840Portugal. Lissabon, 24 Februar. In den Cortes ist bis jetzt so gut als nichts geschehen. Die Beantwortung der Thronrede, worin auf die Verhältnisse mit England angespielt wird, nimmt alle Zeit in Anspruch. Man klaubt Stunden lang leere Worte, fällt sich darüber in die Haare, sagt einander Anzüglichkeiten oder Complimente, rühmt sich selbst, erzählt Geschichtchen, schimpft auf England, macht schlechte Witze etc. So verbringen diese Väter des Vaterlandes unnütz die kostbare Zeit, kostbar in jeder Hinsicht, denn jeder Tag kostet dem Staate beinahe 800 Thlr. Eines der hiesigen Tagesblätter, der ministerielle Correio, sprach sich darüber folgendermaßen aus: "Wenn es Zweck der Deputirten ist, sich täglich drei bis vier Stunden lang in einem schönen Local zu versammeln, einander ihre Lebensgeschichten zu erzählen, und anderes unnützes Geschwätz zu führen, dann wird dieser Zweck in der größten Vollkommenheit erreicht. Geht dieser Zweck aber dahin, das Wohl des Staats zu befördern, so müssen wir gestehen, daß noch keine Versammlung der Cortes so wenig dieses Ziel vor Augen gehabt, wie die gegenwärtige." Lissabon, 26 Febr. Einer der außerordentlichsten Vorfälle, der in der Deputirtenkammer sich zugetragen, und die ganze Gemeinheit eines Theils der Oppsition charakterisirt, hat hauptsächlich die Veranlassung zu der gestern erfolgten Auflösung dieser Kammern gegeben. Der Advocat Leonel Tavares, einer der Hauptvorfechter der linken Seite, hatte den Präsidenten im Verlauf der Sitzung ums Wort gebeten; andere Dinge waren dazwischen gekommen, und der Präsident schloß darauf die Sitzung, so daß Leonel nicht zum Sprechen kam. Dieß verdroß den Demokraten dermaßen, daß er sich von seinem Sitz erhob, zum Präsidenten ging, ihm die Papiere, welche er (Leonel) vorlegen wollte, vor der Nase entzwei riß und ins Gesicht warf. Diese unwürdige Handlung machte natürlich große Sensation unter denen, die noch zugegen waren, und das Gerücht davon verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt. In der darauf folgenden Sitzung schrieb der Präsident, daß er unter solchen Verhältnissen den Präsidentenstuhl nicht wieder einnehmen könnte. Es wurde nun darüber deliberirt, ob die Kammer von dem Vorfall Kenntniß nehmen solle oder nicht. Mit 53 gegen 51 wurde beschlossen, daß man keine Notiz davon nehmen solle, weil der Vorfall nach dem Schlusse der Sitzung sich zugetragen, ungeachtet der Präsident noch auf seinem Stuhle gesessen war. Ein solcher Beschluß, der die Kammer in den Augen des Volks noch mehr herabsetzen mußte, war denn auch die nächste Veranlassung zu ihrer Auflösung. Man hatte so wenig Achtung mehr vor dieser Kammer, daß der Ministerpräsident sich nicht einmal die Mühe gab, persönlich der Kammer den Beschluß der Königin mitzutheilen; es geschah bloß durch ein officielles Schreiben an den Präsidenten der Kammer, worin zugleich die Zusammenberufung einer neuen Kammer auf den 25 Mai festgesetzt ist. - Eine andere Veranlassung, die zur Auflösung mitwirkte (abgesehen davon, daß die Kammer schlechterdings nichts leistete, und nach zwei Monaten noch nicht weiter als zum dritten Paragraphen der Beantworwortung der Thronrede vorgeschritten war), gab eine Bittschrift mit mehreren tausend Unterschriften aus dem Districte von Porto, worin man sich beklagt, daß dieser District gar nicht in den Kammern repräsentirt sey, denn alle, die sich für Repräsentanten jenes Districts ausgäben (sie gehören sammt und sonders der linken Seite an) seyen dazu auf ungesetzlichen Wegen gekommen. Der Wunsch, erst ein neues Wahlgesetz zu Stande zu bringen, war wohl der Hauptgrund, weßhalb die Kammer nicht schon längst aufgelöst wurde; da dieß aber nicht geschah, so ist wohl zu befürchten, daß mehr oder weniger dieselben Menschen wieder gewählt werden; ein neuer Wahlkrieg wird entstehen, und die Opposition wird Alles in Bewegung setzen, um stark zu bleiben. Uebrigens ist die Auflösung dieser Kammer mit allgemeinem Beifall aufgenommen worden. Das Volk der Galerien im Cortessaale soll sogar nach der Verlesung der Bekanntmachung der Auflösung geklatscht haben. Die ministerielle Majorität der Deputirten gab ebenfalls ihren lauten Beifall zu erkennen, nur die von der Linken machten lange Gesichter. Das Journal des Debats bemerkt über die Auflösung der Cortes: "Die englischen Blätter, welche uns diese Nachricht bringen, sagen, Niemand habe die Auflösung mißbilligt, als die Anhänger des Sklavenhandels. Wir müssen aber beifügen, daß die Frage des Sklavenhandels mit der der Unterhandlungen mit England complicirt war. Es herrschte in Portugal große Aufregung wegen der gewaltsamen Wegnahme portugiesischer, Augsburger Allgemeine Zeitung. Mit allerhöchsten Privilegien. DienstagNr. 77. 17 März 1840Portugal. Lissabon, 24 Februar. In den Cortes ist bis jetzt so gut als nichts geschehen. Die Beantwortung der Thronrede, worin auf die Verhältnisse mit England angespielt wird, nimmt alle Zeit in Anspruch. Man klaubt Stunden lang leere Worte, fällt sich darüber in die Haare, sagt einander Anzüglichkeiten oder Complimente, rühmt sich selbst, erzählt Geschichtchen, schimpft auf England, macht schlechte Witze etc. So verbringen diese Väter des Vaterlandes unnütz die kostbare Zeit, kostbar in jeder Hinsicht, denn jeder Tag kostet dem Staate beinahe 800 Thlr. Eines der hiesigen Tagesblätter, der ministerielle Correio, sprach sich darüber folgendermaßen aus: „Wenn es Zweck der Deputirten ist, sich täglich drei bis vier Stunden lang in einem schönen Local zu versammeln, einander ihre Lebensgeschichten zu erzählen, und anderes unnützes Geschwätz zu führen, dann wird dieser Zweck in der größten Vollkommenheit erreicht. Geht dieser Zweck aber dahin, das Wohl des Staats zu befördern, so müssen wir gestehen, daß noch keine Versammlung der Cortes so wenig dieses Ziel vor Augen gehabt, wie die gegenwärtige.“ Lissabon, 26 Febr. Einer der außerordentlichsten Vorfälle, der in der Deputirtenkammer sich zugetragen, und die ganze Gemeinheit eines Theils der Oppsition charakterisirt, hat hauptsächlich die Veranlassung zu der gestern erfolgten Auflösung dieser Kammern gegeben. Der Advocat Leonel Tavares, einer der Hauptvorfechter der linken Seite, hatte den Präsidenten im Verlauf der Sitzung ums Wort gebeten; andere Dinge waren dazwischen gekommen, und der Präsident schloß darauf die Sitzung, so daß Leonel nicht zum Sprechen kam. Dieß verdroß den Demokraten dermaßen, daß er sich von seinem Sitz erhob, zum Präsidenten ging, ihm die Papiere, welche er (Leonel) vorlegen wollte, vor der Nase entzwei riß und ins Gesicht warf. Diese unwürdige Handlung machte natürlich große Sensation unter denen, die noch zugegen waren, und das Gerücht davon verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt. In der darauf folgenden Sitzung schrieb der Präsident, daß er unter solchen Verhältnissen den Präsidentenstuhl nicht wieder einnehmen könnte. Es wurde nun darüber deliberirt, ob die Kammer von dem Vorfall Kenntniß nehmen solle oder nicht. Mit 53 gegen 51 wurde beschlossen, daß man keine Notiz davon nehmen solle, weil der Vorfall nach dem Schlusse der Sitzung sich zugetragen, ungeachtet der Präsident noch auf seinem Stuhle gesessen war. Ein solcher Beschluß, der die Kammer in den Augen des Volks noch mehr herabsetzen mußte, war denn auch die nächste Veranlassung zu ihrer Auflösung. Man hatte so wenig Achtung mehr vor dieser Kammer, daß der Ministerpräsident sich nicht einmal die Mühe gab, persönlich der Kammer den Beschluß der Königin mitzutheilen; es geschah bloß durch ein officielles Schreiben an den Präsidenten der Kammer, worin zugleich die Zusammenberufung einer neuen Kammer auf den 25 Mai festgesetzt ist. – Eine andere Veranlassung, die zur Auflösung mitwirkte (abgesehen davon, daß die Kammer schlechterdings nichts leistete, und nach zwei Monaten noch nicht weiter als zum dritten Paragraphen der Beantworwortung der Thronrede vorgeschritten war), gab eine Bittschrift mit mehreren tausend Unterschriften aus dem Districte von Porto, worin man sich beklagt, daß dieser District gar nicht in den Kammern repräsentirt sey, denn alle, die sich für Repräsentanten jenes Districts ausgäben (sie gehören sammt und sonders der linken Seite an) seyen dazu auf ungesetzlichen Wegen gekommen. Der Wunsch, erst ein neues Wahlgesetz zu Stande zu bringen, war wohl der Hauptgrund, weßhalb die Kammer nicht schon längst aufgelöst wurde; da dieß aber nicht geschah, so ist wohl zu befürchten, daß mehr oder weniger dieselben Menschen wieder gewählt werden; ein neuer Wahlkrieg wird entstehen, und die Opposition wird Alles in Bewegung setzen, um stark zu bleiben. Uebrigens ist die Auflösung dieser Kammer mit allgemeinem Beifall aufgenommen worden. Das Volk der Galerien im Cortessaale soll sogar nach der Verlesung der Bekanntmachung der Auflösung geklatscht haben. Die ministerielle Majorität der Deputirten gab ebenfalls ihren lauten Beifall zu erkennen, nur die von der Linken machten lange Gesichter. Das Journal des Débats bemerkt über die Auflösung der Cortes: „Die englischen Blätter, welche uns diese Nachricht bringen, sagen, Niemand habe die Auflösung mißbilligt, als die Anhänger des Sklavenhandels. 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Dieß verdroß den Demokraten dermaßen, daß er sich von seinem Sitz erhob, zum Präsidenten ging, ihm die Papiere, welche er (Leonel) vorlegen wollte, vor der Nase entzwei riß und ins Gesicht warf. Diese unwürdige Handlung machte natürlich große Sensation unter denen, die noch zugegen waren, und das Gerücht davon verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt. In der darauf folgenden Sitzung schrieb der Präsident, daß er unter solchen Verhältnissen den Präsidentenstuhl nicht wieder einnehmen könnte. Es wurde nun darüber deliberirt, ob die Kammer von dem Vorfall Kenntniß nehmen solle oder nicht. Mit 53 gegen 51 wurde beschlossen, daß man keine Notiz davon nehmen solle, weil der Vorfall nach dem Schlusse der Sitzung sich zugetragen, ungeachtet der Präsident noch auf seinem Stuhle gesessen war. Ein solcher Beschluß, der die Kammer in den Augen des Volks noch mehr herabsetzen mußte, war denn auch die nächste Veranlassung zu ihrer Auflösung. Man hatte so wenig Achtung mehr vor dieser Kammer, daß der Ministerpräsident sich nicht einmal die Mühe gab, persönlich der Kammer den Beschluß der Königin mitzutheilen; es geschah bloß durch ein officielles Schreiben an den Präsidenten der Kammer, worin zugleich die Zusammenberufung einer neuen Kammer auf den 25 Mai festgesetzt ist. – Eine andere Veranlassung, die zur Auflösung mitwirkte (abgesehen davon, daß die Kammer schlechterdings nichts leistete, und nach zwei Monaten noch nicht weiter als zum dritten Paragraphen der Beantworwortung der Thronrede vorgeschritten war), gab eine Bittschrift mit mehreren tausend Unterschriften aus dem Districte von Porto, worin man sich beklagt, daß dieser District gar nicht in den Kammern repräsentirt sey, denn alle, die sich für Repräsentanten jenes Districts ausgäben (sie gehören sammt und sonders der linken Seite an) seyen dazu auf ungesetzlichen Wegen gekommen. Der Wunsch, erst ein neues Wahlgesetz zu Stande zu bringen, war wohl der Hauptgrund, weßhalb die Kammer nicht schon längst aufgelöst wurde; da dieß aber nicht geschah, so ist wohl zu befürchten, daß mehr oder weniger dieselben Menschen wieder gewählt werden; ein neuer Wahlkrieg wird entstehen, und die Opposition wird Alles in Bewegung setzen, um stark zu bleiben. Uebrigens ist die Auflösung dieser Kammer mit allgemeinem Beifall aufgenommen worden. Das Volk der Galerien im Cortessaale soll sogar nach der Verlesung der Bekanntmachung der Auflösung geklatscht haben. Die ministerielle Majorität der Deputirten gab ebenfalls ihren lauten Beifall zu erkennen, nur die von der Linken machten lange Gesichter.</p><lb/> <p>Das <hi rendition="#g">Journal des Débats</hi> bemerkt über die Auflösung der Cortes: „Die englischen Blätter, welche uns diese Nachricht bringen, sagen, Niemand habe die Auflösung mißbilligt, als die Anhänger des Sklavenhandels. 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Augsburger Allgemeine Zeitung.
Mit allerhöchsten Privilegien.
Dienstag
Nr. 77.
17 März 1840 Portugal.
_ Lissabon, 24 Februar. In den Cortes ist bis jetzt so gut als nichts geschehen. Die Beantwortung der Thronrede, worin auf die Verhältnisse mit England angespielt wird, nimmt alle Zeit in Anspruch. Man klaubt Stunden lang leere Worte, fällt sich darüber in die Haare, sagt einander Anzüglichkeiten oder Complimente, rühmt sich selbst, erzählt Geschichtchen, schimpft auf England, macht schlechte Witze etc. So verbringen diese Väter des Vaterlandes unnütz die kostbare Zeit, kostbar in jeder Hinsicht, denn jeder Tag kostet dem Staate beinahe 800 Thlr. Eines der hiesigen Tagesblätter, der ministerielle Correio, sprach sich darüber folgendermaßen aus: „Wenn es Zweck der Deputirten ist, sich täglich drei bis vier Stunden lang in einem schönen Local zu versammeln, einander ihre Lebensgeschichten zu erzählen, und anderes unnützes Geschwätz zu führen, dann wird dieser Zweck in der größten Vollkommenheit erreicht. Geht dieser Zweck aber dahin, das Wohl des Staats zu befördern, so müssen wir gestehen, daß noch keine Versammlung der Cortes so wenig dieses Ziel vor Augen gehabt, wie die gegenwärtige.“
_ Lissabon, 26 Febr. Einer der außerordentlichsten Vorfälle, der in der Deputirtenkammer sich zugetragen, und die ganze Gemeinheit eines Theils der Oppsition charakterisirt, hat hauptsächlich die Veranlassung zu der gestern erfolgten Auflösung dieser Kammern gegeben. Der Advocat Leonel Tavares, einer der Hauptvorfechter der linken Seite, hatte den Präsidenten im Verlauf der Sitzung ums Wort gebeten; andere Dinge waren dazwischen gekommen, und der Präsident schloß darauf die Sitzung, so daß Leonel nicht zum Sprechen kam. Dieß verdroß den Demokraten dermaßen, daß er sich von seinem Sitz erhob, zum Präsidenten ging, ihm die Papiere, welche er (Leonel) vorlegen wollte, vor der Nase entzwei riß und ins Gesicht warf. Diese unwürdige Handlung machte natürlich große Sensation unter denen, die noch zugegen waren, und das Gerücht davon verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt. In der darauf folgenden Sitzung schrieb der Präsident, daß er unter solchen Verhältnissen den Präsidentenstuhl nicht wieder einnehmen könnte. Es wurde nun darüber deliberirt, ob die Kammer von dem Vorfall Kenntniß nehmen solle oder nicht. Mit 53 gegen 51 wurde beschlossen, daß man keine Notiz davon nehmen solle, weil der Vorfall nach dem Schlusse der Sitzung sich zugetragen, ungeachtet der Präsident noch auf seinem Stuhle gesessen war. Ein solcher Beschluß, der die Kammer in den Augen des Volks noch mehr herabsetzen mußte, war denn auch die nächste Veranlassung zu ihrer Auflösung. Man hatte so wenig Achtung mehr vor dieser Kammer, daß der Ministerpräsident sich nicht einmal die Mühe gab, persönlich der Kammer den Beschluß der Königin mitzutheilen; es geschah bloß durch ein officielles Schreiben an den Präsidenten der Kammer, worin zugleich die Zusammenberufung einer neuen Kammer auf den 25 Mai festgesetzt ist. – Eine andere Veranlassung, die zur Auflösung mitwirkte (abgesehen davon, daß die Kammer schlechterdings nichts leistete, und nach zwei Monaten noch nicht weiter als zum dritten Paragraphen der Beantworwortung der Thronrede vorgeschritten war), gab eine Bittschrift mit mehreren tausend Unterschriften aus dem Districte von Porto, worin man sich beklagt, daß dieser District gar nicht in den Kammern repräsentirt sey, denn alle, die sich für Repräsentanten jenes Districts ausgäben (sie gehören sammt und sonders der linken Seite an) seyen dazu auf ungesetzlichen Wegen gekommen. Der Wunsch, erst ein neues Wahlgesetz zu Stande zu bringen, war wohl der Hauptgrund, weßhalb die Kammer nicht schon längst aufgelöst wurde; da dieß aber nicht geschah, so ist wohl zu befürchten, daß mehr oder weniger dieselben Menschen wieder gewählt werden; ein neuer Wahlkrieg wird entstehen, und die Opposition wird Alles in Bewegung setzen, um stark zu bleiben. Uebrigens ist die Auflösung dieser Kammer mit allgemeinem Beifall aufgenommen worden. Das Volk der Galerien im Cortessaale soll sogar nach der Verlesung der Bekanntmachung der Auflösung geklatscht haben. Die ministerielle Majorität der Deputirten gab ebenfalls ihren lauten Beifall zu erkennen, nur die von der Linken machten lange Gesichter.
Das Journal des Débats bemerkt über die Auflösung der Cortes: „Die englischen Blätter, welche uns diese Nachricht bringen, sagen, Niemand habe die Auflösung mißbilligt, als die Anhänger des Sklavenhandels. Wir müssen aber beifügen, daß die Frage des Sklavenhandels mit der der Unterhandlungen mit England complicirt war. Es herrschte in Portugal große Aufregung wegen der gewaltsamen Wegnahme portugiesischer,
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