Allgemeine Zeitung. Nr. 78. Augsburg, 18. März 1840.englischen Staatsmänner gerühmt haben? Dieß ist eine schwere Aufgabe, und das Siecle, das Journal du Commerce und der Courrier francais sind darüber ganz verdutzt, und wissen nicht, was sie sagen sollen. Hr. Labouchere aber weiß wohl, wie die Sache gemeint ist. Es sind nämlich nicht 30 Procent, sondern 55 Procent, welche in England von französischen Seidenwaaren erhoben worden sind. Die 30 Procent figurirten bloß im Zolltarif, um die englische Liberalität in ein glänzendes Licht zu stellen. Durch die Art und Weise der Werthschätzung wurden aber noch ungefähr 25 Procent hinzugefügt. Diese Addition ist es, welche die englische Regierung zum Opfer bringen will. Die Continentalregierungen können bei dieser Gelegenheit ein ganz neues Kunststück von den englischen Financiers lernen - wie man nämlich im Zolltarif liberal erscheinen kann, bei der höchsten Illiberalität in der Praxis. Nach solchen Aufschlüssen wird nun hoffentlich das Exempel von Herabsetzung der englischen Zölle auf Seidenwaaren als Beweis der Hinneigung Englands zur Handelsfreiheit auch in Deutschland etwas in Mißcredit kommen, und damit dürfte wohl das letzte Lorbeerblatt im Kranze des englischen Helden der Handelsfreiheit, des Hrn. Huskisson, verwelken. In England scheint man jetzt für die Realisirung des projectirten Handelsvertrags von dem Eintritt des Hrn. Thiers in das Ministerium große Hoffnungen zu hegen. Es ist wahr, Hr. Thiers hat sich in seiner letzten Rede über die orientalische Frage sehr zu Gunsten Englands ausgesprochen. Auch will der Zufall, daß die eifrigsten Vertheidiger der unbedingten Handelsfreiheit unter den französischen Journalen - das Siecle, das Journal du Commerce und der Courrier francais - das Ministerium Thiers unterstützen. Allein Hr. Thiers hat schon bei früheren Discussionen über den Zolltarif bewiesen, daß er die Handelsverhältnisse Englands und Frankreichs besser und gründlicher zu beurtheilen weiß, als die Theoretiker. Man darf übrigens nur die Verhältnisse der genannten Journale näher kennen, um einzusehen, daß Hr. Thiers nicht von ihnen, sondern daß sie von Hrn. Thiers geführt und geleitet werden. Das national-ökonomische Fach steht beim Siecle unter Horace Say, dem Sohn J. B. Say's, dessen ganzes Streben dahin geht, die Platituden seines seligen Vaters zu verewigen. Im Courrier führt Hr. Blanqui das Wort, den noch Niemand in Frankreich für einen gründlichen Nationalökonomisten gehalten hat. Das Journal du Commerce aber muß aus Rücksichten für seine Abonnenten, die größtentheils in dem auswärtigen Handel interessirt sind, sich dem schwierigen Geschäft unterziehen, zu beweisen, daß Frankreich gut dabei fahren würde, wenn es seine ganze Manufacturkraft und damit die Basis seiner innern Stärke, seines auswärtigen Handels und seiner künftigen Seemacht für die Vergünstigung hingäbe, einige Hunderttausend Gallonen Wein und Branntwein mehr als bisher an England abzusetzen, wenn es, wie Portugal im Jahr 1703 durch den Methuen-Vertrag, sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkaufte - Argumente, wie solche Scribenten und solche Blätter sie liefern können, mögen einem Cunin-Gridaine imponiren, Hr. Thiers aber wird sicherlich nie seinen Namen zu einem Vertrag hergeben, der in der Geschichte der Thorheiten der Nationen neben dem Methuen-Vertrag und dem Eden-Vertrag seine Stelle finden würde. Hr. Labouchere hat durch seine Erklärung Hrn. Thiers die Aufgabe, die englischen Anschläge zunichte zu machen, wundersam erleichtert. Wir glauben nicht an einen Handelsvertrag zwischen England und Frankreich, wodurch diese beide Länder den Verkehr an Manufacturwaaren sich wechselseitig erleichtern, weil England dergleichen Verträge mit den Continentalstaaten nur in der Absicht eingehen will, um ihre Manufacturen zu ersticken, wie Lord Brougham vor 20 Jahren im Parlament rieth, oder sie zu stranguliren, wie zehn Jahre später der liberale Hr. Hume wünschte, und weil Frankreich klug genug ist einzusehen, daß seine Nationalmacht, sein ganzer Einfluß als Continentalstaat mit seinen Manufacturen zu Grunde gehen, und daß es dadurch sich England eigentlich untergeben und neben Portugal seinen Rang nehmen würde. Im Jahr 1839 sind in England 313 Millionen Pfund, in Schottland 30 Millionen Pfund Baumwolle versponnen worden; davon wurden in England consumirt 60 Millionen Pfund, also ungefähr 5 Pf. per Kopf. Nach diesem Maaßstab müßten in den Staaten der deutschen Handelsunion ungefähr 130 Millionen Pfund Baumwolle versponnen werden, bloß um den innern Bedarf zu befriedigen. England hat aber die Deutschen dieser Mühe überhoben. Von den 99 Millionen Pfund Twisten, welche England 1839 ins Ausland abgesetzt hat, sind 58 Millionen, also weit über die Hälfte nach den Hansestädten und den preußischen Häfen, nach Holland und Hannover gegangen. Bei weitem der größte Theil der nach Holland gegangenen Quantitäten ist wohl unter die deutschen Importationen zu setzen. Wie sollten die Deutschen nicht eine Nation lieb gewinnen, die eben so viel für Deutschland thut als für sich selbst, die Deutschland des schwierigen Geschäfts des Baumwollenspinnens überhebt! Haben doch die Engländer für sich selbst nur zwei Millionen Pfund Baumwolle weniger gesponnen als für die Deutschen, dasjenige Gespinnst nicht mitgerechnet, welches Deutschland als Gewebe eingeführt hat. Dabei haben viele Menschen im Erzgebirge aus Mangel an Arbeit bittern Hunger gelitten und man hat, wie die Leipziger Zeitung schreibt, auf ihre Klagen geantwortet: "Je nun! sie werden sich schon durchhelfen." Die Sache ist aber noch von einer an dern Seite zu betrachten. Nach den Berichten des Hrn. Labouchere ist die Importation an ostindischem Zucker, welche 1835 nur 107,000 Centner betrug, in Folge der Aufhebung des Handelsmonopols der ostindischen Compagnie im verflossenen Jahr auf 460,344 Ctr. gestiegen. Die Einfuhr an ostindischer Baumwolle stieg gleichfalls auf 47 Mill. Pfund. Die Zunahme in der Importation des ostindischen Kaffees war noch bedeutender. Auch hat England gegründete Hoffnung, nicht nur sich selbst, sondern den ganzen europäischen Continent mit Assam-Thee und mit australischer Wolle zu versorgen. Das Morning Chronicle vom 28 Februar jubelt über diese Aussichten und verkündet mit großer Freude, die Hülfsquellen Englands in Ostindien und Australien seyen unerschöpflich, und bald werde es in Ansehung der wichtigsten Colonialartikel von Westindien und Südamerika unabhängig seyn. Der Unabhängigkeit von Nordamerika in Ansehung der Baumwolle erwähnte es nicht; dieser Gegenstand war aber schon früher in Meetings, welche die Beförderung der Baumwollencultur in Ostindien zum Gegenstand hatten, hinlänglich erörtert worden. In der That sind alle diese Aussichten keine Hirngespinnste; die angeführten Zahlen beweisen hinlänglich, in welcher Progression die Production jener Länder vorschreitet, und es läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit berechnen, in welchem Jahr England aufhören wird, den Zucker von Brasilien, den Kaffee von Cuba, und die Baumwolle von New-Orleans und Rio-Janeiro einzuführen. Was sollen aber alsdann jene Länder mit ihren Producten anfangen? Unseres Bedünkens haben sie keine andere Wahl, als sie nach Deutschland zu führen, und bei den Deutschen anzufragen, englischen Staatsmänner gerühmt haben? Dieß ist eine schwere Aufgabe, und das Siècle, das Journal du Commerce und der Courrier français sind darüber ganz verdutzt, und wissen nicht, was sie sagen sollen. Hr. Labouchère aber weiß wohl, wie die Sache gemeint ist. Es sind nämlich nicht 30 Procent, sondern 55 Procent, welche in England von französischen Seidenwaaren erhoben worden sind. Die 30 Procent figurirten bloß im Zolltarif, um die englische Liberalität in ein glänzendes Licht zu stellen. Durch die Art und Weise der Werthschätzung wurden aber noch ungefähr 25 Procent hinzugefügt. Diese Addition ist es, welche die englische Regierung zum Opfer bringen will. Die Continentalregierungen können bei dieser Gelegenheit ein ganz neues Kunststück von den englischen Financiers lernen – wie man nämlich im Zolltarif liberal erscheinen kann, bei der höchsten Illiberalität in der Praxis. Nach solchen Aufschlüssen wird nun hoffentlich das Exempel von Herabsetzung der englischen Zölle auf Seidenwaaren als Beweis der Hinneigung Englands zur Handelsfreiheit auch in Deutschland etwas in Mißcredit kommen, und damit dürfte wohl das letzte Lorbeerblatt im Kranze des englischen Helden der Handelsfreiheit, des Hrn. Huskisson, verwelken. In England scheint man jetzt für die Realisirung des projectirten Handelsvertrags von dem Eintritt des Hrn. Thiers in das Ministerium große Hoffnungen zu hegen. Es ist wahr, Hr. Thiers hat sich in seiner letzten Rede über die orientalische Frage sehr zu Gunsten Englands ausgesprochen. Auch will der Zufall, daß die eifrigsten Vertheidiger der unbedingten Handelsfreiheit unter den französischen Journalen – das Siècle, das Journal du Commerce und der Courrier français – das Ministerium Thiers unterstützen. Allein Hr. Thiers hat schon bei früheren Discussionen über den Zolltarif bewiesen, daß er die Handelsverhältnisse Englands und Frankreichs besser und gründlicher zu beurtheilen weiß, als die Theoretiker. Man darf übrigens nur die Verhältnisse der genannten Journale näher kennen, um einzusehen, daß Hr. Thiers nicht von ihnen, sondern daß sie von Hrn. Thiers geführt und geleitet werden. Das national-ökonomische Fach steht beim Siècle unter Horace Say, dem Sohn J. B. Say's, dessen ganzes Streben dahin geht, die Platituden seines seligen Vaters zu verewigen. Im Courrier führt Hr. Blanqui das Wort, den noch Niemand in Frankreich für einen gründlichen Nationalökonomisten gehalten hat. Das Journal du Commerce aber muß aus Rücksichten für seine Abonnenten, die größtentheils in dem auswärtigen Handel interessirt sind, sich dem schwierigen Geschäft unterziehen, zu beweisen, daß Frankreich gut dabei fahren würde, wenn es seine ganze Manufacturkraft und damit die Basis seiner innern Stärke, seines auswärtigen Handels und seiner künftigen Seemacht für die Vergünstigung hingäbe, einige Hunderttausend Gallonen Wein und Branntwein mehr als bisher an England abzusetzen, wenn es, wie Portugal im Jahr 1703 durch den Methuen-Vertrag, sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkaufte – Argumente, wie solche Scribenten und solche Blätter sie liefern können, mögen einem Cunin-Gridaine imponiren, Hr. Thiers aber wird sicherlich nie seinen Namen zu einem Vertrag hergeben, der in der Geschichte der Thorheiten der Nationen neben dem Methuen-Vertrag und dem Eden-Vertrag seine Stelle finden würde. Hr. Labouchère hat durch seine Erklärung Hrn. Thiers die Aufgabe, die englischen Anschläge zunichte zu machen, wundersam erleichtert. Wir glauben nicht an einen Handelsvertrag zwischen England und Frankreich, wodurch diese beide Länder den Verkehr an Manufacturwaaren sich wechselseitig erleichtern, weil England dergleichen Verträge mit den Continentalstaaten nur in der Absicht eingehen will, um ihre Manufacturen zu ersticken, wie Lord Brougham vor 20 Jahren im Parlament rieth, oder sie zu stranguliren, wie zehn Jahre später der liberale Hr. Hume wünschte, und weil Frankreich klug genug ist einzusehen, daß seine Nationalmacht, sein ganzer Einfluß als Continentalstaat mit seinen Manufacturen zu Grunde gehen, und daß es dadurch sich England eigentlich untergeben und neben Portugal seinen Rang nehmen würde. Im Jahr 1839 sind in England 313 Millionen Pfund, in Schottland 30 Millionen Pfund Baumwolle versponnen worden; davon wurden in England consumirt 60 Millionen Pfund, also ungefähr 5 Pf. per Kopf. Nach diesem Maaßstab müßten in den Staaten der deutschen Handelsunion ungefähr 130 Millionen Pfund Baumwolle versponnen werden, bloß um den innern Bedarf zu befriedigen. England hat aber die Deutschen dieser Mühe überhoben. Von den 99 Millionen Pfund Twisten, welche England 1839 ins Ausland abgesetzt hat, sind 58 Millionen, also weit über die Hälfte nach den Hansestädten und den preußischen Häfen, nach Holland und Hannover gegangen. Bei weitem der größte Theil der nach Holland gegangenen Quantitäten ist wohl unter die deutschen Importationen zu setzen. Wie sollten die Deutschen nicht eine Nation lieb gewinnen, die eben so viel für Deutschland thut als für sich selbst, die Deutschland des schwierigen Geschäfts des Baumwollenspinnens überhebt! Haben doch die Engländer für sich selbst nur zwei Millionen Pfund Baumwolle weniger gesponnen als für die Deutschen, dasjenige Gespinnst nicht mitgerechnet, welches Deutschland als Gewebe eingeführt hat. Dabei haben viele Menschen im Erzgebirge aus Mangel an Arbeit bittern Hunger gelitten und man hat, wie die Leipziger Zeitung schreibt, auf ihre Klagen geantwortet: „Je nun! sie werden sich schon durchhelfen.“ Die Sache ist aber noch von einer an dern Seite zu betrachten. Nach den Berichten des Hrn. Labouchère ist die Importation an ostindischem Zucker, welche 1835 nur 107,000 Centner betrug, in Folge der Aufhebung des Handelsmonopols der ostindischen Compagnie im verflossenen Jahr auf 460,344 Ctr. gestiegen. Die Einfuhr an ostindischer Baumwolle stieg gleichfalls auf 47 Mill. Pfund. Die Zunahme in der Importation des ostindischen Kaffees war noch bedeutender. Auch hat England gegründete Hoffnung, nicht nur sich selbst, sondern den ganzen europäischen Continent mit Assam-Thee und mit australischer Wolle zu versorgen. Das Morning Chronicle vom 28 Februar jubelt über diese Aussichten und verkündet mit großer Freude, die Hülfsquellen Englands in Ostindien und Australien seyen unerschöpflich, und bald werde es in Ansehung der wichtigsten Colonialartikel von Westindien und Südamerika unabhängig seyn. Der Unabhängigkeit von Nordamerika in Ansehung der Baumwolle erwähnte es nicht; dieser Gegenstand war aber schon früher in Meetings, welche die Beförderung der Baumwollencultur in Ostindien zum Gegenstand hatten, hinlänglich erörtert worden. In der That sind alle diese Aussichten keine Hirngespinnste; die angeführten Zahlen beweisen hinlänglich, in welcher Progression die Production jener Länder vorschreitet, und es läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit berechnen, in welchem Jahr England aufhören wird, den Zucker von Brasilien, den Kaffee von Cuba, und die Baumwolle von New-Orleans und Rio-Janeiro einzuführen. Was sollen aber alsdann jene Länder mit ihren Producten anfangen? Unseres Bedünkens haben sie keine andere Wahl, als sie nach Deutschland zu führen, und bei den Deutschen anzufragen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0012" n="0620"/> englischen Staatsmänner gerühmt haben? Dieß ist eine schwere Aufgabe, und das Siècle, das Journal du Commerce und der Courrier français sind darüber ganz verdutzt, und wissen nicht, was sie sagen sollen. Hr. Labouchère aber weiß wohl, wie die Sache gemeint ist. Es sind nämlich nicht 30 Procent, sondern 55 Procent, welche in England von französischen Seidenwaaren erhoben worden sind. Die 30 Procent figurirten bloß im Zolltarif, um die englische Liberalität in ein glänzendes Licht zu stellen. Durch die Art und Weise der Werthschätzung wurden aber noch ungefähr 25 Procent hinzugefügt. Diese Addition ist es, welche die englische Regierung zum Opfer bringen will. Die Continentalregierungen können bei dieser Gelegenheit ein ganz neues Kunststück von den englischen Financiers lernen – wie man nämlich im Zolltarif liberal erscheinen kann, bei der höchsten Illiberalität in der Praxis.</p><lb/> <p>Nach solchen Aufschlüssen wird nun hoffentlich das Exempel von Herabsetzung der englischen Zölle auf Seidenwaaren als Beweis der Hinneigung Englands zur Handelsfreiheit auch in Deutschland etwas in Mißcredit kommen, und damit dürfte wohl das letzte Lorbeerblatt im Kranze des englischen Helden der Handelsfreiheit, des Hrn. Huskisson, verwelken. In England scheint man jetzt für die Realisirung des projectirten Handelsvertrags von dem Eintritt des Hrn. Thiers in das Ministerium große Hoffnungen zu hegen. Es ist wahr, Hr. Thiers hat sich in seiner letzten Rede über die orientalische Frage sehr zu Gunsten Englands ausgesprochen. Auch will der Zufall, daß die eifrigsten Vertheidiger der unbedingten Handelsfreiheit unter den französischen Journalen – das Siècle, das Journal du Commerce und der Courrier français – das Ministerium Thiers unterstützen. Allein Hr. Thiers hat schon bei früheren Discussionen über den Zolltarif bewiesen, daß er die Handelsverhältnisse Englands und Frankreichs besser und gründlicher zu beurtheilen weiß, als die Theoretiker. Man darf übrigens nur die Verhältnisse der genannten Journale näher kennen, um einzusehen, daß Hr. Thiers nicht von ihnen, sondern daß sie von Hrn. Thiers geführt und geleitet werden. Das national-ökonomische Fach steht beim Siècle unter Horace Say, dem Sohn J. B. Say's, dessen ganzes Streben dahin geht, die Platituden seines seligen Vaters zu verewigen. Im Courrier führt Hr. Blanqui das Wort, den noch Niemand in Frankreich für einen gründlichen Nationalökonomisten gehalten hat. Das Journal du Commerce aber muß aus Rücksichten für seine Abonnenten, die größtentheils in dem auswärtigen Handel interessirt sind, sich dem schwierigen Geschäft unterziehen, zu beweisen, daß Frankreich gut dabei fahren würde, wenn es seine ganze Manufacturkraft und damit die Basis seiner innern Stärke, seines auswärtigen Handels und seiner künftigen Seemacht für die Vergünstigung hingäbe, einige Hunderttausend Gallonen Wein und Branntwein mehr als bisher an England abzusetzen, wenn es, wie Portugal im Jahr 1703 durch den Methuen-Vertrag, sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkaufte – Argumente, wie solche Scribenten und solche Blätter sie liefern können, mögen einem Cunin-Gridaine imponiren, Hr. Thiers aber wird sicherlich nie seinen Namen zu einem Vertrag hergeben, der in der Geschichte der Thorheiten der Nationen neben dem Methuen-Vertrag und dem Eden-Vertrag seine Stelle finden würde. Hr. Labouchère hat durch seine Erklärung Hrn. Thiers die Aufgabe, die englischen Anschläge zunichte zu machen, wundersam erleichtert. Wir glauben nicht an einen Handelsvertrag zwischen England und Frankreich, wodurch diese beide Länder den Verkehr an Manufacturwaaren sich wechselseitig erleichtern, weil England dergleichen Verträge mit den Continentalstaaten nur in der Absicht eingehen will, um ihre Manufacturen zu ersticken, wie Lord Brougham vor 20 Jahren im Parlament rieth, oder sie zu stranguliren, wie zehn Jahre später der liberale Hr. Hume wünschte, und weil Frankreich klug genug ist einzusehen, daß seine Nationalmacht, sein ganzer Einfluß als Continentalstaat mit seinen Manufacturen zu Grunde gehen, und daß es dadurch sich England eigentlich untergeben und neben Portugal seinen Rang nehmen würde.</p><lb/> <p>Im Jahr 1839 sind in England 313 Millionen Pfund, in Schottland 30 Millionen Pfund Baumwolle versponnen worden; davon wurden in England consumirt 60 Millionen Pfund, also ungefähr 5 Pf. per Kopf. Nach diesem Maaßstab müßten in den Staaten der deutschen Handelsunion ungefähr 130 Millionen Pfund Baumwolle versponnen werden, bloß um den innern Bedarf zu befriedigen. England hat aber die Deutschen dieser Mühe überhoben.</p><lb/> <p>Von den 99 Millionen Pfund Twisten, welche England 1839 ins Ausland abgesetzt hat, sind 58 Millionen, also weit über die Hälfte nach den Hansestädten und den preußischen Häfen, nach Holland und Hannover gegangen. Bei weitem der größte Theil der nach Holland gegangenen Quantitäten ist wohl unter die deutschen Importationen zu setzen. Wie sollten die Deutschen nicht eine Nation lieb gewinnen, die eben so viel für Deutschland thut als für sich selbst, die Deutschland des schwierigen Geschäfts des Baumwollenspinnens überhebt! Haben doch die Engländer für sich selbst nur zwei Millionen Pfund Baumwolle weniger gesponnen als für die Deutschen, dasjenige Gespinnst nicht mitgerechnet, welches Deutschland als Gewebe eingeführt hat. Dabei haben viele Menschen im Erzgebirge aus Mangel an Arbeit bittern Hunger gelitten und man hat, wie die Leipziger Zeitung schreibt, auf ihre Klagen geantwortet: „Je nun! sie werden sich schon durchhelfen.“</p><lb/> <p>Die Sache ist aber noch von einer an dern Seite zu betrachten. Nach den Berichten des Hrn. Labouchère ist die Importation an ostindischem Zucker, welche 1835 nur 107,000 Centner betrug, in Folge der Aufhebung des Handelsmonopols der ostindischen Compagnie im verflossenen Jahr auf 460,344 Ctr. gestiegen. Die Einfuhr an ostindischer Baumwolle stieg gleichfalls auf 47 Mill. Pfund. Die Zunahme in der Importation des ostindischen Kaffees war noch bedeutender. Auch hat England gegründete Hoffnung, nicht nur sich selbst, sondern den ganzen europäischen Continent mit Assam-Thee und mit australischer Wolle zu versorgen. Das Morning Chronicle vom 28 Februar jubelt über diese Aussichten und verkündet mit großer Freude, die Hülfsquellen Englands in Ostindien und Australien seyen unerschöpflich, und bald werde es in Ansehung der wichtigsten Colonialartikel von Westindien und Südamerika unabhängig seyn. Der Unabhängigkeit von Nordamerika in Ansehung der Baumwolle erwähnte es nicht; dieser Gegenstand war aber schon früher in Meetings, welche die Beförderung der Baumwollencultur in Ostindien zum Gegenstand hatten, hinlänglich erörtert worden. In der That sind alle diese Aussichten keine Hirngespinnste; die angeführten Zahlen beweisen hinlänglich, in welcher Progression die Production jener Länder vorschreitet, und es läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit berechnen, in welchem Jahr England aufhören wird, den Zucker von Brasilien, den Kaffee von Cuba, und die Baumwolle von New-Orleans und Rio-Janeiro einzuführen.</p><lb/> <p>Was sollen aber alsdann jene Länder mit ihren Producten anfangen? Unseres Bedünkens haben sie keine andere Wahl, als sie nach Deutschland zu führen, und bei den Deutschen anzufragen,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0620/0012]
englischen Staatsmänner gerühmt haben? Dieß ist eine schwere Aufgabe, und das Siècle, das Journal du Commerce und der Courrier français sind darüber ganz verdutzt, und wissen nicht, was sie sagen sollen. Hr. Labouchère aber weiß wohl, wie die Sache gemeint ist. Es sind nämlich nicht 30 Procent, sondern 55 Procent, welche in England von französischen Seidenwaaren erhoben worden sind. Die 30 Procent figurirten bloß im Zolltarif, um die englische Liberalität in ein glänzendes Licht zu stellen. Durch die Art und Weise der Werthschätzung wurden aber noch ungefähr 25 Procent hinzugefügt. Diese Addition ist es, welche die englische Regierung zum Opfer bringen will. Die Continentalregierungen können bei dieser Gelegenheit ein ganz neues Kunststück von den englischen Financiers lernen – wie man nämlich im Zolltarif liberal erscheinen kann, bei der höchsten Illiberalität in der Praxis.
Nach solchen Aufschlüssen wird nun hoffentlich das Exempel von Herabsetzung der englischen Zölle auf Seidenwaaren als Beweis der Hinneigung Englands zur Handelsfreiheit auch in Deutschland etwas in Mißcredit kommen, und damit dürfte wohl das letzte Lorbeerblatt im Kranze des englischen Helden der Handelsfreiheit, des Hrn. Huskisson, verwelken. In England scheint man jetzt für die Realisirung des projectirten Handelsvertrags von dem Eintritt des Hrn. Thiers in das Ministerium große Hoffnungen zu hegen. Es ist wahr, Hr. Thiers hat sich in seiner letzten Rede über die orientalische Frage sehr zu Gunsten Englands ausgesprochen. Auch will der Zufall, daß die eifrigsten Vertheidiger der unbedingten Handelsfreiheit unter den französischen Journalen – das Siècle, das Journal du Commerce und der Courrier français – das Ministerium Thiers unterstützen. Allein Hr. Thiers hat schon bei früheren Discussionen über den Zolltarif bewiesen, daß er die Handelsverhältnisse Englands und Frankreichs besser und gründlicher zu beurtheilen weiß, als die Theoretiker. Man darf übrigens nur die Verhältnisse der genannten Journale näher kennen, um einzusehen, daß Hr. Thiers nicht von ihnen, sondern daß sie von Hrn. Thiers geführt und geleitet werden. Das national-ökonomische Fach steht beim Siècle unter Horace Say, dem Sohn J. B. Say's, dessen ganzes Streben dahin geht, die Platituden seines seligen Vaters zu verewigen. Im Courrier führt Hr. Blanqui das Wort, den noch Niemand in Frankreich für einen gründlichen Nationalökonomisten gehalten hat. Das Journal du Commerce aber muß aus Rücksichten für seine Abonnenten, die größtentheils in dem auswärtigen Handel interessirt sind, sich dem schwierigen Geschäft unterziehen, zu beweisen, daß Frankreich gut dabei fahren würde, wenn es seine ganze Manufacturkraft und damit die Basis seiner innern Stärke, seines auswärtigen Handels und seiner künftigen Seemacht für die Vergünstigung hingäbe, einige Hunderttausend Gallonen Wein und Branntwein mehr als bisher an England abzusetzen, wenn es, wie Portugal im Jahr 1703 durch den Methuen-Vertrag, sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkaufte – Argumente, wie solche Scribenten und solche Blätter sie liefern können, mögen einem Cunin-Gridaine imponiren, Hr. Thiers aber wird sicherlich nie seinen Namen zu einem Vertrag hergeben, der in der Geschichte der Thorheiten der Nationen neben dem Methuen-Vertrag und dem Eden-Vertrag seine Stelle finden würde. Hr. Labouchère hat durch seine Erklärung Hrn. Thiers die Aufgabe, die englischen Anschläge zunichte zu machen, wundersam erleichtert. Wir glauben nicht an einen Handelsvertrag zwischen England und Frankreich, wodurch diese beide Länder den Verkehr an Manufacturwaaren sich wechselseitig erleichtern, weil England dergleichen Verträge mit den Continentalstaaten nur in der Absicht eingehen will, um ihre Manufacturen zu ersticken, wie Lord Brougham vor 20 Jahren im Parlament rieth, oder sie zu stranguliren, wie zehn Jahre später der liberale Hr. Hume wünschte, und weil Frankreich klug genug ist einzusehen, daß seine Nationalmacht, sein ganzer Einfluß als Continentalstaat mit seinen Manufacturen zu Grunde gehen, und daß es dadurch sich England eigentlich untergeben und neben Portugal seinen Rang nehmen würde.
Im Jahr 1839 sind in England 313 Millionen Pfund, in Schottland 30 Millionen Pfund Baumwolle versponnen worden; davon wurden in England consumirt 60 Millionen Pfund, also ungefähr 5 Pf. per Kopf. Nach diesem Maaßstab müßten in den Staaten der deutschen Handelsunion ungefähr 130 Millionen Pfund Baumwolle versponnen werden, bloß um den innern Bedarf zu befriedigen. England hat aber die Deutschen dieser Mühe überhoben.
Von den 99 Millionen Pfund Twisten, welche England 1839 ins Ausland abgesetzt hat, sind 58 Millionen, also weit über die Hälfte nach den Hansestädten und den preußischen Häfen, nach Holland und Hannover gegangen. Bei weitem der größte Theil der nach Holland gegangenen Quantitäten ist wohl unter die deutschen Importationen zu setzen. Wie sollten die Deutschen nicht eine Nation lieb gewinnen, die eben so viel für Deutschland thut als für sich selbst, die Deutschland des schwierigen Geschäfts des Baumwollenspinnens überhebt! Haben doch die Engländer für sich selbst nur zwei Millionen Pfund Baumwolle weniger gesponnen als für die Deutschen, dasjenige Gespinnst nicht mitgerechnet, welches Deutschland als Gewebe eingeführt hat. Dabei haben viele Menschen im Erzgebirge aus Mangel an Arbeit bittern Hunger gelitten und man hat, wie die Leipziger Zeitung schreibt, auf ihre Klagen geantwortet: „Je nun! sie werden sich schon durchhelfen.“
Die Sache ist aber noch von einer an dern Seite zu betrachten. Nach den Berichten des Hrn. Labouchère ist die Importation an ostindischem Zucker, welche 1835 nur 107,000 Centner betrug, in Folge der Aufhebung des Handelsmonopols der ostindischen Compagnie im verflossenen Jahr auf 460,344 Ctr. gestiegen. Die Einfuhr an ostindischer Baumwolle stieg gleichfalls auf 47 Mill. Pfund. Die Zunahme in der Importation des ostindischen Kaffees war noch bedeutender. Auch hat England gegründete Hoffnung, nicht nur sich selbst, sondern den ganzen europäischen Continent mit Assam-Thee und mit australischer Wolle zu versorgen. Das Morning Chronicle vom 28 Februar jubelt über diese Aussichten und verkündet mit großer Freude, die Hülfsquellen Englands in Ostindien und Australien seyen unerschöpflich, und bald werde es in Ansehung der wichtigsten Colonialartikel von Westindien und Südamerika unabhängig seyn. Der Unabhängigkeit von Nordamerika in Ansehung der Baumwolle erwähnte es nicht; dieser Gegenstand war aber schon früher in Meetings, welche die Beförderung der Baumwollencultur in Ostindien zum Gegenstand hatten, hinlänglich erörtert worden. In der That sind alle diese Aussichten keine Hirngespinnste; die angeführten Zahlen beweisen hinlänglich, in welcher Progression die Production jener Länder vorschreitet, und es läßt sich mit ziemlicher Bestimmtheit berechnen, in welchem Jahr England aufhören wird, den Zucker von Brasilien, den Kaffee von Cuba, und die Baumwolle von New-Orleans und Rio-Janeiro einzuführen.
Was sollen aber alsdann jene Länder mit ihren Producten anfangen? Unseres Bedünkens haben sie keine andere Wahl, als sie nach Deutschland zu führen, und bei den Deutschen anzufragen,
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
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