Allgemeine Zeitung. Nr. 86. Augsburg, 26. März 1840.Rundschit Singh und dessen auswärtige Verhältnisse. Das englische Parlament hat dem Expeditionsheere, das unter Sir F. Keane den Feldzug nach Afghanistan machte, eine Dankadresse votirt, und mit Recht; denn dieser Zug, dem an Kühnheit höchstens der Alexanders an die Seite gesetzt werden möchte, bot der physischen Schwierigkeiten, der Entbehrungen und Strapazen, der Chancen einer Niederlage so viele dar, daß man in der That das militärische Talent des Heerführers bewundern muß. Aber auch von einer andern Seite drohte dem Heer ein fürchterliches Schicksal, das Schicksal der Franzosen in Moskau in einer noch grausigeren Gestalt, und zwar von Seite Rundschit Singhs und der Sikhs. Zwar hatte Lord Auckland zuvor mit dem Beherrscher des Pendschab ein Bündniß abgeschlossen, und es marschirte selbst ein Corps Sikhs mit nach Afghanistan; aber die Britten schienen nicht zu ahnen, auf welchem Vulcan sie standen, mit welchem Manne sie in Bund getreten waren, und erst die Folgezeit muß manches aufklären, was bis jetzt dunkel ist. Die Sikhs sind nicht, wie die Rohillas, Afghanen, Perser, Turkmenen, Radschputen u. s. w., ein alter Stamm, sondern ein Haufen zusammengelaufenes Gesindel, das unter der Herrschaft des Großmoguls in den Gebirgsschluchten und Wäldern des nordwestlichen Indiens das Räuberhandwerk trieb, und sich späterhin unter die Fahnen des Naneks und seiner Nachfolger schaarten. Sie sind bei Mohammedanern und Hindus gleich verhaßt, bei jenen wegen des Genusses des Schweinefleisches, bei diesen wegen des Genusses des Fleisches überhaupt, und wegen des Gebrauchs der blauen Farbe als einer ligen, während sie den Hindus unglückbedeutend ist. Noch im vorigen Jahrhundert waren die Länder des Pendschab dem Afghanenfürsten Achmed Schah Durani zinspflichtig, und die Sikhs wurden also von den Afghanen als Unterthanen betrachtet. Sobald sie sich aber stark genug fühlten, schüttelten sie das Joch des Gehorsams ab, und gaben sich eine Art Cantonalverfassung, ähnlich der schweizerischen; ihre Sirdars (Häuptlinge) waren unabhängig; der von Lahore galt aber immer für den mächtigsten. Diese Sirdars waren eigentliche Freibeuter, weil sie nichts weiter thaten, als alle ihre Gränznachbarn durch fortwährende Raubzüge beunruhigen, während die rohe Grausamkeit, mit welcher sie ihre Kriege führten, überall Entsetzen und Abscheu einflößten. Rundschit Singh machte sich zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts zum Herrn dieser Freibeuter-Associationen, und kaum hatte er sein Ansehen im Innern befestigt, als er sein Reich auf Kosten der Afghanen ausdehnte, wozu ihm die Vertreibung des Schah Schudscha vom Throne von Kabul (1810) und die daraus entstandene Verwirrung Muth gab. Er griff Multan an, unter dem Vorwand, er reclamire diesen Ort für Schah Schudscha. Drei Jahre später führte er seine Horden über den Indus, und erwarb Attok durch Bestechung des afghanischen Befehlshabers. Die folgenden Jahre verwendete er auf die Eroberung von Kaschmir, welches ihm endlich im Jahr 1819 gelang. 1818 bezwang er Peschawer, doch war er nicht im Stande, sich dort zu halten. 1823 machte er einen neuen Versuch auf Peschawer, aber mit so unglücklichem Erfolg, daß die Elite seines Heeres durch 4000 mohammedanische Bauern niedergehauen wurde. Er entschloß sich daher, auf den Besitz dieses Landes zu verzichten, indem er es einem Baruksier überließ, sich aber die Oberhoheit vorbehielt und durch Intriguen die Häuptlinge zu veruneinigen suchte. 1833 machte Schah Schudscha einen neuen Versuch, seinen Thron wieder zu gewinnen; dieß benützte Rundschit Singh zu einem abermaligen Angriff auf Peschawer; er drang bis zu den Keiberpässen vor; aber 1836 erlitt er wieder eine große Niederlage, da 15,000 Mann seiner Truppen von 2000 Afghanen geschlagen wurden. Daß alle diese Züge ohne Förmlichkeiten, ohne Kriegserklärung stattfanden, braucht kaum erinnert zu werden. Schah Schudscha, geschlagen und zurückgetrieben, wurde endlich von Rundschit Singh entlassen, da er ihn nicht länger brauchen konnte, um unter seinem Namen Raubzüge zu thun; überdieß hatte er schon wieder ein Mitglied der Duranis, Ejub, Schudscha's Bruder, in den Händen. Der Indus ist die natürliche militärische Gränze Indiens; jeder Eroberer, welcher Indien angreifen will, muß erst den Pendschab erobern, und die Sikhs vernichten. Daher sind die Sikhs die unversöhnlichsten Feinde der brittischen Macht. Rundschit Sing begriff diese Stellung sehr wohl, und sein ganzer Staat war nur eine einzige Vertheidigungskette; er nahm Niemanden in seine Dienste, der nicht beweisen konnte, daß er kein Engländer war; die Generale Allard und Ventura wurden erst dann recipirt, als der in Lahore residirende brittische Geschäftsträger ausdrücklich anerkannt hatte, daß sie keine Unterthanen von Großbritannien waren. 1824 entdeckte die indische Regierung das Vorhandenseyn einer Verbindung zwischen St. Petersburg und Lahore. Aber es schien, als sey die Regierung verblendet, so sehr verblendet, daß sie ein Bündniß mit demselben schloß, und sich mit ihm vereinigte, die von Persien aus bedrohte Gränze durch Eroberung Afghanistans zu decken. Es war schon wider alle Klugheit, sich mit einem Volke zu verbinden, das bei den mohammedanischen und Hindu-Unterthanen nglands gleich verhaßt ist; doppelt gefährlich aber, wenn man erwägt, daß Rundschit Singh mit dem St. Petersburger Cabinet in der engsten Verbindung stand, daß General Allard, während seiner letzten Anwesenheit in Paris, mit den Beamten des russischen Departements der auswärtigen Angelegenheiten die Verabredung traf, ihre Correspondenz durch bocharische Kaufleute zu führen. Fassen wir diese Thatsachen zusammen, so sehen wir leicht ein, welchen gefährlichen Stand Sir John Keane hatte. Eine einzige Niederlage hätte den augenblicklichen Abfall der Sikhs zur Folge gehabt; das brittische Heer, von Afghanen und treulosen Bundesgenossen angegriffen, vom Rückzug abgeschnitten, in einem öden Lande, wäre dem schauerlichsten Schicksale anheim gefallen. Man kann sich nicht der Vermuthung erwehren, daß der tapfere Sir John Keane eine dunkle Ahnung davon haben mußte, welche für ihn den Sieg zu einer unumgänglichen Nothwendigkeit machte: er mußte siegen oder er war verloren, gänzlich verloren. Die Gefahr, von dieser Seite wenigstens, ist vorüber: Rundschit Singh und General Allard sind todt; der Staat der Sikhs, falls man eine Räuberbande einen Staat nennen kann, ist in der Auflösung begriffen; die Schöpfungen Allards und Ventura's sind in Nichts zerfallen; die Positionen der Britten in Afghanistan sind gesichert. Aber ein neuer Sturm droht im Westen: die Russen nähern sich Chiwa; der Beherrscher von Herat hat sich dem Schah von Persien unterworfen; Bochara ist feindselig gegen England gesinnt und hat dem besiegten Dost Mohammed Chan eine Zuflucht gewährt; Schah Schudscha macht sich durch unpolitische und grausame Maaßregeln verhaßt. Rundschit Singh und dessen auswärtige Verhältnisse. Das englische Parlament hat dem Expeditionsheere, das unter Sir F. Keane den Feldzug nach Afghanistan machte, eine Dankadresse votirt, und mit Recht; denn dieser Zug, dem an Kühnheit höchstens der Alexanders an die Seite gesetzt werden möchte, bot der physischen Schwierigkeiten, der Entbehrungen und Strapazen, der Chancen einer Niederlage so viele dar, daß man in der That das militärische Talent des Heerführers bewundern muß. Aber auch von einer andern Seite drohte dem Heer ein fürchterliches Schicksal, das Schicksal der Franzosen in Moskau in einer noch grausigeren Gestalt, und zwar von Seite Rundschit Singhs und der Sikhs. Zwar hatte Lord Auckland zuvor mit dem Beherrscher des Pendschab ein Bündniß abgeschlossen, und es marschirte selbst ein Corps Sikhs mit nach Afghanistan; aber die Britten schienen nicht zu ahnen, auf welchem Vulcan sie standen, mit welchem Manne sie in Bund getreten waren, und erst die Folgezeit muß manches aufklären, was bis jetzt dunkel ist. Die Sikhs sind nicht, wie die Rohillas, Afghanen, Perser, Turkmenen, Radschputen u. s. w., ein alter Stamm, sondern ein Haufen zusammengelaufenes Gesindel, das unter der Herrschaft des Großmoguls in den Gebirgsschluchten und Wäldern des nordwestlichen Indiens das Räuberhandwerk trieb, und sich späterhin unter die Fahnen des Naneks und seiner Nachfolger schaarten. Sie sind bei Mohammedanern und Hindus gleich verhaßt, bei jenen wegen des Genusses des Schweinefleisches, bei diesen wegen des Genusses des Fleisches überhaupt, und wegen des Gebrauchs der blauen Farbe als einer ligen, während sie den Hindus unglückbedeutend ist. Noch im vorigen Jahrhundert waren die Länder des Pendschab dem Afghanenfürsten Achmed Schah Durani zinspflichtig, und die Sikhs wurden also von den Afghanen als Unterthanen betrachtet. Sobald sie sich aber stark genug fühlten, schüttelten sie das Joch des Gehorsams ab, und gaben sich eine Art Cantonalverfassung, ähnlich der schweizerischen; ihre Sirdars (Häuptlinge) waren unabhängig; der von Lahore galt aber immer für den mächtigsten. Diese Sirdars waren eigentliche Freibeuter, weil sie nichts weiter thaten, als alle ihre Gränznachbarn durch fortwährende Raubzüge beunruhigen, während die rohe Grausamkeit, mit welcher sie ihre Kriege führten, überall Entsetzen und Abscheu einflößten. Rundschit Singh machte sich zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts zum Herrn dieser Freibeuter-Associationen, und kaum hatte er sein Ansehen im Innern befestigt, als er sein Reich auf Kosten der Afghanen ausdehnte, wozu ihm die Vertreibung des Schah Schudscha vom Throne von Kabul (1810) und die daraus entstandene Verwirrung Muth gab. Er griff Multan an, unter dem Vorwand, er reclamire diesen Ort für Schah Schudscha. Drei Jahre später führte er seine Horden über den Indus, und erwarb Attok durch Bestechung des afghanischen Befehlshabers. Die folgenden Jahre verwendete er auf die Eroberung von Kaschmir, welches ihm endlich im Jahr 1819 gelang. 1818 bezwang er Peschawer, doch war er nicht im Stande, sich dort zu halten. 1823 machte er einen neuen Versuch auf Peschawer, aber mit so unglücklichem Erfolg, daß die Elite seines Heeres durch 4000 mohammedanische Bauern niedergehauen wurde. Er entschloß sich daher, auf den Besitz dieses Landes zu verzichten, indem er es einem Baruksier überließ, sich aber die Oberhoheit vorbehielt und durch Intriguen die Häuptlinge zu veruneinigen suchte. 1833 machte Schah Schudscha einen neuen Versuch, seinen Thron wieder zu gewinnen; dieß benützte Rundschit Singh zu einem abermaligen Angriff auf Peschawer; er drang bis zu den Keiberpässen vor; aber 1836 erlitt er wieder eine große Niederlage, da 15,000 Mann seiner Truppen von 2000 Afghanen geschlagen wurden. Daß alle diese Züge ohne Förmlichkeiten, ohne Kriegserklärung stattfanden, braucht kaum erinnert zu werden. Schah Schudscha, geschlagen und zurückgetrieben, wurde endlich von Rundschit Singh entlassen, da er ihn nicht länger brauchen konnte, um unter seinem Namen Raubzüge zu thun; überdieß hatte er schon wieder ein Mitglied der Duranis, Ejub, Schudscha's Bruder, in den Händen. Der Indus ist die natürliche militärische Gränze Indiens; jeder Eroberer, welcher Indien angreifen will, muß erst den Pendschab erobern, und die Sikhs vernichten. Daher sind die Sikhs die unversöhnlichsten Feinde der brittischen Macht. Rundschit Sing begriff diese Stellung sehr wohl, und sein ganzer Staat war nur eine einzige Vertheidigungskette; er nahm Niemanden in seine Dienste, der nicht beweisen konnte, daß er kein Engländer war; die Generale Allard und Ventura wurden erst dann recipirt, als der in Lahore residirende brittische Geschäftsträger ausdrücklich anerkannt hatte, daß sie keine Unterthanen von Großbritannien waren. 1824 entdeckte die indische Regierung das Vorhandenseyn einer Verbindung zwischen St. Petersburg und Lahore. Aber es schien, als sey die Regierung verblendet, so sehr verblendet, daß sie ein Bündniß mit demselben schloß, und sich mit ihm vereinigte, die von Persien aus bedrohte Gränze durch Eroberung Afghanistans zu decken. Es war schon wider alle Klugheit, sich mit einem Volke zu verbinden, das bei den mohammedanischen und Hindu-Unterthanen nglands gleich verhaßt ist; doppelt gefährlich aber, wenn man erwägt, daß Rundschit Singh mit dem St. Petersburger Cabinet in der engsten Verbindung stand, daß General Allard, während seiner letzten Anwesenheit in Paris, mit den Beamten des russischen Departements der auswärtigen Angelegenheiten die Verabredung traf, ihre Correspondenz durch bocharische Kaufleute zu führen. Fassen wir diese Thatsachen zusammen, so sehen wir leicht ein, welchen gefährlichen Stand Sir John Keane hatte. Eine einzige Niederlage hätte den augenblicklichen Abfall der Sikhs zur Folge gehabt; das brittische Heer, von Afghanen und treulosen Bundesgenossen angegriffen, vom Rückzug abgeschnitten, in einem öden Lande, wäre dem schauerlichsten Schicksale anheim gefallen. Man kann sich nicht der Vermuthung erwehren, daß der tapfere Sir John Keane eine dunkle Ahnung davon haben mußte, welche für ihn den Sieg zu einer unumgänglichen Nothwendigkeit machte: er mußte siegen oder er war verloren, gänzlich verloren. Die Gefahr, von dieser Seite wenigstens, ist vorüber: Rundschit Singh und General Allard sind todt; der Staat der Sikhs, falls man eine Räuberbande einen Staat nennen kann, ist in der Auflösung begriffen; die Schöpfungen Allards und Ventura's sind in Nichts zerfallen; die Positionen der Britten in Afghanistan sind gesichert. Aber ein neuer Sturm droht im Westen: die Russen nähern sich Chiwa; der Beherrscher von Herat hat sich dem Schah von Persien unterworfen; Bochara ist feindselig gegen England gesinnt und hat dem besiegten Dost Mohammed Chan eine Zuflucht gewährt; Schah Schudscha macht sich durch unpolitische und grausame Maaßregeln verhaßt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0008" n="0681"/> </div> </div> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Rundschit Singh und dessen auswärtige Verhältnisse</hi>.</hi> </head><lb/> <p>Das englische Parlament hat dem Expeditionsheere, das unter Sir F. Keane den Feldzug nach Afghanistan machte, eine Dankadresse votirt, und mit Recht; denn dieser Zug, dem an Kühnheit höchstens der Alexanders an die Seite gesetzt werden möchte, bot der physischen Schwierigkeiten, der Entbehrungen und Strapazen, der Chancen einer Niederlage so viele dar, daß man in der That das militärische Talent des Heerführers bewundern muß. Aber auch von einer andern Seite drohte dem Heer ein fürchterliches Schicksal, das Schicksal der Franzosen in Moskau in einer noch grausigeren Gestalt, und zwar von Seite Rundschit Singhs und der Sikhs. Zwar hatte Lord Auckland zuvor mit dem Beherrscher des Pendschab ein Bündniß abgeschlossen, und es marschirte selbst ein Corps Sikhs mit nach Afghanistan; aber die Britten schienen nicht zu ahnen, auf welchem Vulcan sie standen, mit welchem Manne sie in Bund getreten waren, und erst die Folgezeit muß manches aufklären, was bis jetzt dunkel ist.</p><lb/> <p>Die Sikhs sind nicht, wie die Rohillas, Afghanen, Perser, Turkmenen, Radschputen u. s. w., ein alter Stamm, sondern ein Haufen zusammengelaufenes Gesindel, das unter der Herrschaft des Großmoguls in den Gebirgsschluchten und Wäldern des nordwestlichen Indiens das Räuberhandwerk trieb, und sich späterhin unter die Fahnen des Naneks und seiner Nachfolger schaarten. Sie sind bei Mohammedanern und Hindus gleich verhaßt, bei jenen wegen des Genusses des Schweinefleisches, bei diesen wegen des Genusses des Fleisches überhaupt, und wegen des Gebrauchs der blauen Farbe als einer ligen, während sie den Hindus unglückbedeutend ist. Noch im vorigen Jahrhundert waren die Länder des Pendschab dem Afghanenfürsten Achmed Schah Durani zinspflichtig, und die Sikhs wurden also von den Afghanen als Unterthanen betrachtet. Sobald sie sich aber stark genug fühlten, schüttelten sie das Joch des Gehorsams ab, und gaben sich eine Art Cantonalverfassung, ähnlich der schweizerischen; ihre Sirdars (Häuptlinge) waren unabhängig; der von Lahore galt aber immer für den mächtigsten. Diese Sirdars waren eigentliche Freibeuter, weil sie nichts weiter thaten, als alle ihre Gränznachbarn durch fortwährende Raubzüge beunruhigen, während die rohe Grausamkeit, mit welcher sie ihre Kriege führten, überall Entsetzen und Abscheu einflößten. Rundschit Singh machte sich zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts zum Herrn dieser Freibeuter-Associationen, und kaum hatte er sein Ansehen im Innern befestigt, als er sein Reich auf Kosten der Afghanen ausdehnte, wozu ihm die Vertreibung des Schah Schudscha vom Throne von Kabul (1810) und die daraus entstandene Verwirrung Muth gab. Er griff Multan an, unter dem Vorwand, er reclamire diesen Ort für Schah Schudscha. Drei Jahre später führte er seine Horden über den Indus, und erwarb Attok durch Bestechung des afghanischen Befehlshabers. Die folgenden Jahre verwendete er auf die Eroberung von Kaschmir, welches ihm endlich im Jahr 1819 gelang. 1818 bezwang er Peschawer, doch war er nicht im Stande, sich dort zu halten. 1823 machte er einen neuen Versuch auf Peschawer, aber mit so unglücklichem Erfolg, daß die Elite seines Heeres durch 4000 mohammedanische Bauern niedergehauen wurde. Er entschloß sich daher, auf den Besitz dieses Landes zu verzichten, indem er es einem Baruksier überließ, sich aber die Oberhoheit vorbehielt und durch Intriguen die Häuptlinge zu veruneinigen suchte. 1833 machte Schah Schudscha einen neuen Versuch, seinen Thron wieder zu gewinnen; dieß benützte Rundschit Singh zu einem abermaligen Angriff auf Peschawer; er drang bis zu den Keiberpässen vor; aber 1836 erlitt er wieder eine große Niederlage, da 15,000 Mann seiner Truppen von 2000 Afghanen geschlagen wurden. Daß alle diese Züge ohne Förmlichkeiten, ohne Kriegserklärung stattfanden, braucht kaum erinnert zu werden. Schah Schudscha, geschlagen und zurückgetrieben, wurde endlich von Rundschit Singh entlassen, da er ihn nicht länger brauchen konnte, um unter seinem Namen Raubzüge zu thun; überdieß hatte er schon wieder ein Mitglied der Duranis, Ejub, Schudscha's Bruder, in den Händen.</p><lb/> <p>Der Indus ist die natürliche militärische Gränze Indiens; jeder Eroberer, welcher Indien angreifen will, muß erst den Pendschab erobern, und die Sikhs vernichten. Daher sind die Sikhs die unversöhnlichsten Feinde der brittischen Macht. Rundschit Sing begriff diese Stellung sehr wohl, und sein ganzer Staat war nur eine einzige Vertheidigungskette; er nahm Niemanden in seine Dienste, der nicht beweisen konnte, daß er kein Engländer war; die Generale Allard und Ventura wurden erst dann recipirt, als der in Lahore residirende brittische Geschäftsträger ausdrücklich anerkannt hatte, daß sie keine Unterthanen von Großbritannien waren. 1824 entdeckte die indische Regierung das Vorhandenseyn einer Verbindung zwischen St. Petersburg und Lahore. Aber es schien, als sey die Regierung verblendet, so sehr verblendet, daß sie ein Bündniß mit demselben schloß, und sich mit ihm vereinigte, die von Persien aus bedrohte Gränze durch Eroberung Afghanistans zu decken. Es war schon wider alle Klugheit, sich mit einem Volke zu verbinden, das bei den mohammedanischen und Hindu-Unterthanen nglands gleich verhaßt ist; doppelt gefährlich aber, wenn man erwägt, daß Rundschit Singh mit dem St. Petersburger Cabinet in der engsten Verbindung stand, daß General Allard, während seiner letzten Anwesenheit in Paris, mit den Beamten des russischen Departements der auswärtigen Angelegenheiten die Verabredung traf, ihre Correspondenz durch bocharische Kaufleute zu führen.</p><lb/> <p>Fassen wir diese Thatsachen zusammen, so sehen wir leicht ein, welchen gefährlichen Stand Sir John Keane hatte. Eine einzige Niederlage hätte den augenblicklichen Abfall der Sikhs zur Folge gehabt; das brittische Heer, von Afghanen und treulosen Bundesgenossen angegriffen, vom Rückzug abgeschnitten, in einem öden Lande, wäre dem schauerlichsten Schicksale anheim gefallen. 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Das englische Parlament hat dem Expeditionsheere, das unter Sir F. Keane den Feldzug nach Afghanistan machte, eine Dankadresse votirt, und mit Recht; denn dieser Zug, dem an Kühnheit höchstens der Alexanders an die Seite gesetzt werden möchte, bot der physischen Schwierigkeiten, der Entbehrungen und Strapazen, der Chancen einer Niederlage so viele dar, daß man in der That das militärische Talent des Heerführers bewundern muß. Aber auch von einer andern Seite drohte dem Heer ein fürchterliches Schicksal, das Schicksal der Franzosen in Moskau in einer noch grausigeren Gestalt, und zwar von Seite Rundschit Singhs und der Sikhs. Zwar hatte Lord Auckland zuvor mit dem Beherrscher des Pendschab ein Bündniß abgeschlossen, und es marschirte selbst ein Corps Sikhs mit nach Afghanistan; aber die Britten schienen nicht zu ahnen, auf welchem Vulcan sie standen, mit welchem Manne sie in Bund getreten waren, und erst die Folgezeit muß manches aufklären, was bis jetzt dunkel ist.
Die Sikhs sind nicht, wie die Rohillas, Afghanen, Perser, Turkmenen, Radschputen u. s. w., ein alter Stamm, sondern ein Haufen zusammengelaufenes Gesindel, das unter der Herrschaft des Großmoguls in den Gebirgsschluchten und Wäldern des nordwestlichen Indiens das Räuberhandwerk trieb, und sich späterhin unter die Fahnen des Naneks und seiner Nachfolger schaarten. Sie sind bei Mohammedanern und Hindus gleich verhaßt, bei jenen wegen des Genusses des Schweinefleisches, bei diesen wegen des Genusses des Fleisches überhaupt, und wegen des Gebrauchs der blauen Farbe als einer ligen, während sie den Hindus unglückbedeutend ist. Noch im vorigen Jahrhundert waren die Länder des Pendschab dem Afghanenfürsten Achmed Schah Durani zinspflichtig, und die Sikhs wurden also von den Afghanen als Unterthanen betrachtet. Sobald sie sich aber stark genug fühlten, schüttelten sie das Joch des Gehorsams ab, und gaben sich eine Art Cantonalverfassung, ähnlich der schweizerischen; ihre Sirdars (Häuptlinge) waren unabhängig; der von Lahore galt aber immer für den mächtigsten. Diese Sirdars waren eigentliche Freibeuter, weil sie nichts weiter thaten, als alle ihre Gränznachbarn durch fortwährende Raubzüge beunruhigen, während die rohe Grausamkeit, mit welcher sie ihre Kriege führten, überall Entsetzen und Abscheu einflößten. Rundschit Singh machte sich zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts zum Herrn dieser Freibeuter-Associationen, und kaum hatte er sein Ansehen im Innern befestigt, als er sein Reich auf Kosten der Afghanen ausdehnte, wozu ihm die Vertreibung des Schah Schudscha vom Throne von Kabul (1810) und die daraus entstandene Verwirrung Muth gab. Er griff Multan an, unter dem Vorwand, er reclamire diesen Ort für Schah Schudscha. Drei Jahre später führte er seine Horden über den Indus, und erwarb Attok durch Bestechung des afghanischen Befehlshabers. Die folgenden Jahre verwendete er auf die Eroberung von Kaschmir, welches ihm endlich im Jahr 1819 gelang. 1818 bezwang er Peschawer, doch war er nicht im Stande, sich dort zu halten. 1823 machte er einen neuen Versuch auf Peschawer, aber mit so unglücklichem Erfolg, daß die Elite seines Heeres durch 4000 mohammedanische Bauern niedergehauen wurde. Er entschloß sich daher, auf den Besitz dieses Landes zu verzichten, indem er es einem Baruksier überließ, sich aber die Oberhoheit vorbehielt und durch Intriguen die Häuptlinge zu veruneinigen suchte. 1833 machte Schah Schudscha einen neuen Versuch, seinen Thron wieder zu gewinnen; dieß benützte Rundschit Singh zu einem abermaligen Angriff auf Peschawer; er drang bis zu den Keiberpässen vor; aber 1836 erlitt er wieder eine große Niederlage, da 15,000 Mann seiner Truppen von 2000 Afghanen geschlagen wurden. Daß alle diese Züge ohne Förmlichkeiten, ohne Kriegserklärung stattfanden, braucht kaum erinnert zu werden. Schah Schudscha, geschlagen und zurückgetrieben, wurde endlich von Rundschit Singh entlassen, da er ihn nicht länger brauchen konnte, um unter seinem Namen Raubzüge zu thun; überdieß hatte er schon wieder ein Mitglied der Duranis, Ejub, Schudscha's Bruder, in den Händen.
Der Indus ist die natürliche militärische Gränze Indiens; jeder Eroberer, welcher Indien angreifen will, muß erst den Pendschab erobern, und die Sikhs vernichten. Daher sind die Sikhs die unversöhnlichsten Feinde der brittischen Macht. Rundschit Sing begriff diese Stellung sehr wohl, und sein ganzer Staat war nur eine einzige Vertheidigungskette; er nahm Niemanden in seine Dienste, der nicht beweisen konnte, daß er kein Engländer war; die Generale Allard und Ventura wurden erst dann recipirt, als der in Lahore residirende brittische Geschäftsträger ausdrücklich anerkannt hatte, daß sie keine Unterthanen von Großbritannien waren. 1824 entdeckte die indische Regierung das Vorhandenseyn einer Verbindung zwischen St. Petersburg und Lahore. Aber es schien, als sey die Regierung verblendet, so sehr verblendet, daß sie ein Bündniß mit demselben schloß, und sich mit ihm vereinigte, die von Persien aus bedrohte Gränze durch Eroberung Afghanistans zu decken. Es war schon wider alle Klugheit, sich mit einem Volke zu verbinden, das bei den mohammedanischen und Hindu-Unterthanen nglands gleich verhaßt ist; doppelt gefährlich aber, wenn man erwägt, daß Rundschit Singh mit dem St. Petersburger Cabinet in der engsten Verbindung stand, daß General Allard, während seiner letzten Anwesenheit in Paris, mit den Beamten des russischen Departements der auswärtigen Angelegenheiten die Verabredung traf, ihre Correspondenz durch bocharische Kaufleute zu führen.
Fassen wir diese Thatsachen zusammen, so sehen wir leicht ein, welchen gefährlichen Stand Sir John Keane hatte. Eine einzige Niederlage hätte den augenblicklichen Abfall der Sikhs zur Folge gehabt; das brittische Heer, von Afghanen und treulosen Bundesgenossen angegriffen, vom Rückzug abgeschnitten, in einem öden Lande, wäre dem schauerlichsten Schicksale anheim gefallen. Man kann sich nicht der Vermuthung erwehren, daß der tapfere Sir John Keane eine dunkle Ahnung davon haben mußte, welche für ihn den Sieg zu einer unumgänglichen Nothwendigkeit machte: er mußte siegen oder er war verloren, gänzlich verloren.
Die Gefahr, von dieser Seite wenigstens, ist vorüber: Rundschit Singh und General Allard sind todt; der Staat der Sikhs, falls man eine Räuberbande einen Staat nennen kann, ist in der Auflösung begriffen; die Schöpfungen Allards und Ventura's sind in Nichts zerfallen; die Positionen der Britten in Afghanistan sind gesichert. Aber ein neuer Sturm droht im Westen: die Russen nähern sich Chiwa; der Beherrscher von Herat hat sich dem Schah von Persien unterworfen; Bochara ist feindselig gegen England gesinnt und hat dem besiegten Dost Mohammed Chan eine Zuflucht gewährt; Schah Schudscha macht sich durch unpolitische und grausame Maaßregeln verhaßt.
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