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Allgemeine Zeitung. Nr. 86. Augsburg, 26. März 1840.

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als ein vier oder fünf Monate später aus dem Gedächtniß verfaßter Bericht, oder die noch seltsamere Behauptung, Lalande könne die Defection der Flotte nicht gebilligt haben, indem er ja in Gegenwart von Officieren und Soldaten laut dem Kapudan Pascha gleichsam zum Abschied zugerufen habe: er möge ja nicht zu Mehemed Ali übergehen! Uebrigens scheint die abermalige Aufregung der Sache die Aufmerksamkeit des Publicums neuerdings auf einen Gegenstand zu leiten, dessen Besprechung nur unangenehm berühren kann, weßhalb ich es für gerathener halte, für den Augenblick keine weitern Bemerkungen darüber zu machen. - Die Wendung, welche die orientalische Frage in London genommen, hatte die osmanische Regierung anfänglich sehr verstimmt; doch gelang es den Bemühungen Lord Ponsonby's ihren Muth wieder aufzurichten. Man nährt gegenwärtig neue Hoffnungen, und glaubt, daß das französische Cabinet unter gewissen Modificationen sich doch den Ansichten der übrigen Mächte anschließen dürfte. Auch Hr. v. Pontois erregt bei den türkischen Ministern Erwartungen, welche, wenn man überhaupt seinen Aeußerungen unbedingt trauen darf, die Pforte beruhigen müssen. Hr. v. Pontois versichert nämlich, daß der Plan, dem das brittische Conseil seine Genehmigung vorenthielt, dem Geiste und dem Wortinhalt nach rein russischen Ursprungs gewesen, daß wenn Frankreich diesem seine Zustimmung versagt habe, es nur in demselben Falle gewesen sey, wie das brittische Cabinet. Das von Lord Palmerston entworfene Gegenproject habe die Billigung Frankreichs erhalten; nur Rußland mache deßhalb Schwierigkeiten. Dieß steht nun im Widerspruch mit den Aussagen der unterrichtetsten Personen, welche behaupten, Frankreich habe dem Gegenvorschlag Palmerstons noch nicht seine Zustimmung ertheilt. Lord Ponsonby, der am vollständigsten unterrichtet zu seyn scheint, beobachtet in diesem Augenblick ein rücksichtsvolles Benehmen gegen den französischen Gesandten; Hr. v. Butenieff, der vielleicht manche Aeußerungen des Hrn. v. Pontois widerlegen möchte, befindet sich außer Stand es zu thun, da er von Tag zu Tag Instructionen von St. Petersburg erwartet. Diese wollen jedoch nicht eintreffen. Die Lage der Dinge ist wirklich verwickelt, und wird noch viele Phasen durchmachen müssen, bevor sie eine entschiedene Gestalt annimmt. Mittlerweile weiß die Pforte kaum, wem sie trauen, auf wen sie sich verlassen soll; sie gewährt Allen, was sie verlangen, und läßt sich sogar in ihren innern Angelegenheiten bestimmen. Sie möchte es Allen recht thun, Alle zu Freunden haben, im Gefühl ihrer eigenen Schwäche. Doch zeichnet sie Rußland und England aus, und der großbritannische Botschafter scheint vorzugsweise ihre politischen Bewegungen zu reguliren. So sind ihm die Instructionen an Nuri Effendi, den Bevollmächtigten der Pforte bei den Londoner Conferenzen, bevor sie expedirt wurden, zur Einsicht mitgetheilt worden. Lord Ponsonby scheint sie ihrem ganzen Umfange nach gebilligt zu haben. - Aus Aegypten wird gemeldet, daß die Verschmelzung der osmanischen Flotte mit der ägyptischen vollkommen mißlungen sey, und daß Mehemed Ali die Desarmirung der erstern fortsetzt, die dadurch disponibel gemachten Kanonen größtentheils in St. Jean d'Acre verwendet. Diese Festung muß bereits in einen imposanten Vertheidigungsstand versetzt seyn, denn fast die ganze Aufmerksamkeit des Vicekönigs ist auf diesen Punkt gerichtet, der sowohl gegen allfällige Angriffe der Europäer gesichert werden, als auch dazu dienen soll, die mißvergnügte Bevölkerung Syriens in Zaum zu halten. Aber nicht Syrien allein, sondern auch Aegypten befindet sich in dem aufgeregtesten Zustande, und nach den glaubwürdigsten Berichten kann man mit Sicherheit annehmen, daß das Gewalt- und Zwangssystem des Vicekönigs zu einem Punkte gediehen ist, auf welchem die erste bedeutende Maaßregel, welche, sey es hinsichtlich der Besteuerung oder hinsichtlich der Landesvertheidigung, ergriffen wird, bedenkliche Ausbrüche hervorrufen könnte. Der Libanon zeigt sich wieder sehr unruhig und hält eine Menge bedeutender Detaschements der ägyptischen Truppen wie gefesselt an seinen östlichen Abdachungen. - Hier waren in den letzten Tagen die Gemüther aufgereizt, von Besorgnissen, welche durch die beabsichtigte Einführung eines neuen Papiergeldes hervorgebracht werden. Die Maaßregel scheint eine kurze Vertagung durch die Widersprüche der fremden Gesandtschaften erleiden zu müssen; möchte sie doch gar nicht zur Ausführung kommen! Wenn die Schwankungen der Curse sich von jeher bei dem Metallgelde schon so groß zeigten, daß man alle Vertragssummen nach fremden Geldsorten, die dann mit türkischer Münze ausgeglichen werden, zu bestimmen sich genöthigt sah, was würden wir erst bei einem werthlosen Papier zu besorgen haben! Das Auskunftsmittel einer Staatsanleihe, ein Ausdruck, der die Pforte immer, vielleicht mit Recht, in Schrecken versetzt, würde gewiß minder schädliche Folgen für das Land haben als die Emission von Papiergeld, bei dem die Gefahr der Verfälschung in einem Lande wie die Türkei, die der Aufenthalt einer Menge von Industrieritter aus allen europäischen Ländern geworden, gewiß auch in Berücksichtigung kommen dürfte.

als ein vier oder fünf Monate später aus dem Gedächtniß verfaßter Bericht, oder die noch seltsamere Behauptung, Lalande könne die Defection der Flotte nicht gebilligt haben, indem er ja in Gegenwart von Officieren und Soldaten laut dem Kapudan Pascha gleichsam zum Abschied zugerufen habe: er möge ja nicht zu Mehemed Ali übergehen! Uebrigens scheint die abermalige Aufregung der Sache die Aufmerksamkeit des Publicums neuerdings auf einen Gegenstand zu leiten, dessen Besprechung nur unangenehm berühren kann, weßhalb ich es für gerathener halte, für den Augenblick keine weitern Bemerkungen darüber zu machen. – Die Wendung, welche die orientalische Frage in London genommen, hatte die osmanische Regierung anfänglich sehr verstimmt; doch gelang es den Bemühungen Lord Ponsonby's ihren Muth wieder aufzurichten. Man nährt gegenwärtig neue Hoffnungen, und glaubt, daß das französische Cabinet unter gewissen Modificationen sich doch den Ansichten der übrigen Mächte anschließen dürfte. Auch Hr. v. Pontois erregt bei den türkischen Ministern Erwartungen, welche, wenn man überhaupt seinen Aeußerungen unbedingt trauen darf, die Pforte beruhigen müssen. Hr. v. Pontois versichert nämlich, daß der Plan, dem das brittische Conseil seine Genehmigung vorenthielt, dem Geiste und dem Wortinhalt nach rein russischen Ursprungs gewesen, daß wenn Frankreich diesem seine Zustimmung versagt habe, es nur in demselben Falle gewesen sey, wie das brittische Cabinet. Das von Lord Palmerston entworfene Gegenproject habe die Billigung Frankreichs erhalten; nur Rußland mache deßhalb Schwierigkeiten. Dieß steht nun im Widerspruch mit den Aussagen der unterrichtetsten Personen, welche behaupten, Frankreich habe dem Gegenvorschlag Palmerstons noch nicht seine Zustimmung ertheilt. Lord Ponsonby, der am vollständigsten unterrichtet zu seyn scheint, beobachtet in diesem Augenblick ein rücksichtsvolles Benehmen gegen den französischen Gesandten; Hr. v. Butenieff, der vielleicht manche Aeußerungen des Hrn. v. Pontois widerlegen möchte, befindet sich außer Stand es zu thun, da er von Tag zu Tag Instructionen von St. Petersburg erwartet. Diese wollen jedoch nicht eintreffen. Die Lage der Dinge ist wirklich verwickelt, und wird noch viele Phasen durchmachen müssen, bevor sie eine entschiedene Gestalt annimmt. Mittlerweile weiß die Pforte kaum, wem sie trauen, auf wen sie sich verlassen soll; sie gewährt Allen, was sie verlangen, und läßt sich sogar in ihren innern Angelegenheiten bestimmen. Sie möchte es Allen recht thun, Alle zu Freunden haben, im Gefühl ihrer eigenen Schwäche. Doch zeichnet sie Rußland und England aus, und der großbritannische Botschafter scheint vorzugsweise ihre politischen Bewegungen zu reguliren. So sind ihm die Instructionen an Nuri Effendi, den Bevollmächtigten der Pforte bei den Londoner Conferenzen, bevor sie expedirt wurden, zur Einsicht mitgetheilt worden. Lord Ponsonby scheint sie ihrem ganzen Umfange nach gebilligt zu haben. – Aus Aegypten wird gemeldet, daß die Verschmelzung der osmanischen Flotte mit der ägyptischen vollkommen mißlungen sey, und daß Mehemed Ali die Desarmirung der erstern fortsetzt, die dadurch disponibel gemachten Kanonen größtentheils in St. Jean d'Acre verwendet. Diese Festung muß bereits in einen imposanten Vertheidigungsstand versetzt seyn, denn fast die ganze Aufmerksamkeit des Vicekönigs ist auf diesen Punkt gerichtet, der sowohl gegen allfällige Angriffe der Europäer gesichert werden, als auch dazu dienen soll, die mißvergnügte Bevölkerung Syriens in Zaum zu halten. Aber nicht Syrien allein, sondern auch Aegypten befindet sich in dem aufgeregtesten Zustande, und nach den glaubwürdigsten Berichten kann man mit Sicherheit annehmen, daß das Gewalt- und Zwangssystem des Vicekönigs zu einem Punkte gediehen ist, auf welchem die erste bedeutende Maaßregel, welche, sey es hinsichtlich der Besteuerung oder hinsichtlich der Landesvertheidigung, ergriffen wird, bedenkliche Ausbrüche hervorrufen könnte. Der Libanon zeigt sich wieder sehr unruhig und hält eine Menge bedeutender Detaschements der ägyptischen Truppen wie gefesselt an seinen östlichen Abdachungen. – Hier waren in den letzten Tagen die Gemüther aufgereizt, von Besorgnissen, welche durch die beabsichtigte Einführung eines neuen Papiergeldes hervorgebracht werden. Die Maaßregel scheint eine kurze Vertagung durch die Widersprüche der fremden Gesandtschaften erleiden zu müssen; möchte sie doch gar nicht zur Ausführung kommen! Wenn die Schwankungen der Curse sich von jeher bei dem Metallgelde schon so groß zeigten, daß man alle Vertragssummen nach fremden Geldsorten, die dann mit türkischer Münze ausgeglichen werden, zu bestimmen sich genöthigt sah, was würden wir erst bei einem werthlosen Papier zu besorgen haben! Das Auskunftsmittel einer Staatsanleihe, ein Ausdruck, der die Pforte immer, vielleicht mit Recht, in Schrecken versetzt, würde gewiß minder schädliche Folgen für das Land haben als die Emission von Papiergeld, bei dem die Gefahr der Verfälschung in einem Lande wie die Türkei, die der Aufenthalt einer Menge von Industrieritter aus allen europäischen Ländern geworden, gewiß auch in Berücksichtigung kommen dürfte.

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als ein vier oder fünf Monate später aus dem Gedächtniß verfaßter Bericht, oder die noch seltsamere Behauptung, Lalande könne die Defection der Flotte nicht gebilligt haben, indem er ja in Gegenwart von Officieren und Soldaten laut dem Kapudan Pascha gleichsam zum Abschied zugerufen habe: er möge ja nicht zu Mehemed Ali übergehen! Uebrigens scheint die abermalige Aufregung der Sache die Aufmerksamkeit des Publicums neuerdings auf einen Gegenstand zu leiten, dessen Besprechung nur unangenehm berühren kann, weßhalb ich es für gerathener halte, für den Augenblick keine weitern Bemerkungen darüber zu machen. &#x2013; Die Wendung, welche die orientalische Frage in London genommen, hatte die osmanische Regierung anfänglich sehr verstimmt; doch gelang es den Bemühungen Lord Ponsonby's ihren Muth wieder aufzurichten. Man nährt gegenwärtig neue Hoffnungen, und glaubt, daß das französische Cabinet unter gewissen Modificationen sich doch den Ansichten der übrigen Mächte anschließen dürfte. Auch Hr. v. Pontois erregt bei den türkischen Ministern Erwartungen, welche, wenn man überhaupt seinen Aeußerungen unbedingt trauen darf, die Pforte beruhigen müssen. Hr. v. Pontois versichert nämlich, daß der Plan, dem das brittische Conseil seine Genehmigung vorenthielt, dem Geiste und dem Wortinhalt nach rein russischen Ursprungs gewesen, daß wenn Frankreich diesem seine Zustimmung versagt habe, es nur in demselben Falle gewesen sey, wie das brittische Cabinet. Das von Lord Palmerston entworfene Gegenproject habe die Billigung Frankreichs erhalten; nur Rußland mache deßhalb Schwierigkeiten. Dieß steht nun im Widerspruch mit den Aussagen der unterrichtetsten Personen, welche behaupten, Frankreich habe dem Gegenvorschlag Palmerstons <hi rendition="#g">noch nicht seine Zustimmung</hi> ertheilt. Lord Ponsonby, der am vollständigsten unterrichtet zu seyn scheint, beobachtet in diesem Augenblick ein rücksichtsvolles Benehmen gegen den französischen Gesandten; Hr. v. Butenieff, der vielleicht manche Aeußerungen des Hrn. v. Pontois widerlegen möchte, befindet sich außer Stand es zu thun, da er von Tag zu Tag Instructionen von St. Petersburg erwartet. Diese wollen jedoch nicht eintreffen. Die Lage der Dinge ist wirklich verwickelt, und wird noch viele Phasen durchmachen müssen, bevor sie eine entschiedene Gestalt annimmt. Mittlerweile weiß die Pforte kaum, wem sie trauen, auf wen sie sich verlassen soll; sie gewährt Allen, was sie verlangen, und läßt sich sogar in ihren innern Angelegenheiten bestimmen. Sie möchte es Allen recht thun, Alle zu Freunden haben, im Gefühl ihrer eigenen Schwäche. Doch zeichnet sie Rußland und England aus, und der großbritannische Botschafter scheint vorzugsweise ihre politischen Bewegungen zu reguliren. So sind ihm die Instructionen an Nuri Effendi, den Bevollmächtigten der Pforte bei den Londoner Conferenzen, bevor sie expedirt wurden, zur Einsicht mitgetheilt worden. Lord Ponsonby scheint sie ihrem ganzen Umfange nach gebilligt zu haben. &#x2013; Aus Aegypten wird gemeldet, daß die Verschmelzung der osmanischen Flotte mit der ägyptischen vollkommen mißlungen sey, und daß Mehemed Ali die Desarmirung der erstern fortsetzt, die dadurch disponibel gemachten Kanonen größtentheils in St. Jean d'Acre verwendet. Diese Festung muß bereits in einen imposanten Vertheidigungsstand versetzt seyn, denn fast die ganze Aufmerksamkeit des Vicekönigs ist auf diesen Punkt gerichtet, der sowohl gegen allfällige Angriffe der Europäer gesichert werden, als auch dazu dienen soll, die mißvergnügte Bevölkerung Syriens in Zaum zu halten. Aber nicht Syrien allein, sondern auch Aegypten befindet sich in dem aufgeregtesten Zustande, und nach den glaubwürdigsten Berichten kann man mit Sicherheit annehmen, daß das Gewalt- und Zwangssystem des Vicekönigs zu einem Punkte gediehen ist, auf welchem die erste bedeutende Maaßregel, welche, sey es hinsichtlich der Besteuerung oder hinsichtlich der Landesvertheidigung, ergriffen wird, bedenkliche Ausbrüche hervorrufen könnte. Der Libanon zeigt sich wieder sehr unruhig und hält eine Menge bedeutender Detaschements der ägyptischen Truppen wie gefesselt an seinen östlichen Abdachungen. &#x2013; Hier waren in den letzten Tagen die Gemüther aufgereizt, von Besorgnissen, welche durch die beabsichtigte Einführung eines neuen Papiergeldes hervorgebracht werden. Die Maaßregel scheint eine kurze Vertagung durch die Widersprüche der fremden Gesandtschaften erleiden zu müssen; möchte sie doch gar nicht zur Ausführung kommen! Wenn die Schwankungen der Curse sich von jeher bei dem Metallgelde schon so groß zeigten, daß man alle Vertragssummen nach fremden Geldsorten, die dann mit türkischer Münze ausgeglichen werden, zu bestimmen sich genöthigt sah, was würden wir erst bei einem werthlosen Papier zu besorgen haben! Das Auskunftsmittel einer Staatsanleihe, ein Ausdruck, der die Pforte immer, vielleicht mit Recht, in Schrecken versetzt, würde gewiß minder schädliche Folgen für das Land haben als die Emission von Papiergeld, bei dem die Gefahr der Verfälschung in einem Lande wie die Türkei, die der Aufenthalt einer Menge von Industrieritter aus allen europäischen Ländern geworden, gewiß auch in Berücksichtigung kommen dürfte.</p><lb/>
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[0687/0007] als ein vier oder fünf Monate später aus dem Gedächtniß verfaßter Bericht, oder die noch seltsamere Behauptung, Lalande könne die Defection der Flotte nicht gebilligt haben, indem er ja in Gegenwart von Officieren und Soldaten laut dem Kapudan Pascha gleichsam zum Abschied zugerufen habe: er möge ja nicht zu Mehemed Ali übergehen! Uebrigens scheint die abermalige Aufregung der Sache die Aufmerksamkeit des Publicums neuerdings auf einen Gegenstand zu leiten, dessen Besprechung nur unangenehm berühren kann, weßhalb ich es für gerathener halte, für den Augenblick keine weitern Bemerkungen darüber zu machen. – Die Wendung, welche die orientalische Frage in London genommen, hatte die osmanische Regierung anfänglich sehr verstimmt; doch gelang es den Bemühungen Lord Ponsonby's ihren Muth wieder aufzurichten. Man nährt gegenwärtig neue Hoffnungen, und glaubt, daß das französische Cabinet unter gewissen Modificationen sich doch den Ansichten der übrigen Mächte anschließen dürfte. Auch Hr. v. Pontois erregt bei den türkischen Ministern Erwartungen, welche, wenn man überhaupt seinen Aeußerungen unbedingt trauen darf, die Pforte beruhigen müssen. Hr. v. Pontois versichert nämlich, daß der Plan, dem das brittische Conseil seine Genehmigung vorenthielt, dem Geiste und dem Wortinhalt nach rein russischen Ursprungs gewesen, daß wenn Frankreich diesem seine Zustimmung versagt habe, es nur in demselben Falle gewesen sey, wie das brittische Cabinet. Das von Lord Palmerston entworfene Gegenproject habe die Billigung Frankreichs erhalten; nur Rußland mache deßhalb Schwierigkeiten. Dieß steht nun im Widerspruch mit den Aussagen der unterrichtetsten Personen, welche behaupten, Frankreich habe dem Gegenvorschlag Palmerstons noch nicht seine Zustimmung ertheilt. Lord Ponsonby, der am vollständigsten unterrichtet zu seyn scheint, beobachtet in diesem Augenblick ein rücksichtsvolles Benehmen gegen den französischen Gesandten; Hr. v. Butenieff, der vielleicht manche Aeußerungen des Hrn. v. Pontois widerlegen möchte, befindet sich außer Stand es zu thun, da er von Tag zu Tag Instructionen von St. Petersburg erwartet. Diese wollen jedoch nicht eintreffen. Die Lage der Dinge ist wirklich verwickelt, und wird noch viele Phasen durchmachen müssen, bevor sie eine entschiedene Gestalt annimmt. Mittlerweile weiß die Pforte kaum, wem sie trauen, auf wen sie sich verlassen soll; sie gewährt Allen, was sie verlangen, und läßt sich sogar in ihren innern Angelegenheiten bestimmen. Sie möchte es Allen recht thun, Alle zu Freunden haben, im Gefühl ihrer eigenen Schwäche. Doch zeichnet sie Rußland und England aus, und der großbritannische Botschafter scheint vorzugsweise ihre politischen Bewegungen zu reguliren. So sind ihm die Instructionen an Nuri Effendi, den Bevollmächtigten der Pforte bei den Londoner Conferenzen, bevor sie expedirt wurden, zur Einsicht mitgetheilt worden. Lord Ponsonby scheint sie ihrem ganzen Umfange nach gebilligt zu haben. – Aus Aegypten wird gemeldet, daß die Verschmelzung der osmanischen Flotte mit der ägyptischen vollkommen mißlungen sey, und daß Mehemed Ali die Desarmirung der erstern fortsetzt, die dadurch disponibel gemachten Kanonen größtentheils in St. Jean d'Acre verwendet. Diese Festung muß bereits in einen imposanten Vertheidigungsstand versetzt seyn, denn fast die ganze Aufmerksamkeit des Vicekönigs ist auf diesen Punkt gerichtet, der sowohl gegen allfällige Angriffe der Europäer gesichert werden, als auch dazu dienen soll, die mißvergnügte Bevölkerung Syriens in Zaum zu halten. Aber nicht Syrien allein, sondern auch Aegypten befindet sich in dem aufgeregtesten Zustande, und nach den glaubwürdigsten Berichten kann man mit Sicherheit annehmen, daß das Gewalt- und Zwangssystem des Vicekönigs zu einem Punkte gediehen ist, auf welchem die erste bedeutende Maaßregel, welche, sey es hinsichtlich der Besteuerung oder hinsichtlich der Landesvertheidigung, ergriffen wird, bedenkliche Ausbrüche hervorrufen könnte. Der Libanon zeigt sich wieder sehr unruhig und hält eine Menge bedeutender Detaschements der ägyptischen Truppen wie gefesselt an seinen östlichen Abdachungen. – Hier waren in den letzten Tagen die Gemüther aufgereizt, von Besorgnissen, welche durch die beabsichtigte Einführung eines neuen Papiergeldes hervorgebracht werden. Die Maaßregel scheint eine kurze Vertagung durch die Widersprüche der fremden Gesandtschaften erleiden zu müssen; möchte sie doch gar nicht zur Ausführung kommen! Wenn die Schwankungen der Curse sich von jeher bei dem Metallgelde schon so groß zeigten, daß man alle Vertragssummen nach fremden Geldsorten, die dann mit türkischer Münze ausgeglichen werden, zu bestimmen sich genöthigt sah, was würden wir erst bei einem werthlosen Papier zu besorgen haben! Das Auskunftsmittel einer Staatsanleihe, ein Ausdruck, der die Pforte immer, vielleicht mit Recht, in Schrecken versetzt, würde gewiß minder schädliche Folgen für das Land haben als die Emission von Papiergeld, bei dem die Gefahr der Verfälschung in einem Lande wie die Türkei, die der Aufenthalt einer Menge von Industrieritter aus allen europäischen Ländern geworden, gewiß auch in Berücksichtigung kommen dürfte.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 86. Augsburg, 26. März 1840, S. 0687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_086_18400326/7>, abgerufen am 23.11.2024.