Allgemeine Zeitung. Nr. 88. Augsburg, 28. März 1840.der Vicekönig, Lord Ebrington, mit einem ungeheuern Kleeblatt (dem Abzeichen Irlands) vor der Brust, am Fenster, und ward enthusiastisch begrüßt. Wie die M. Post meldet, ist Laporte eigens nach St. Petersburg abgereist, um die "unvergleichliche" Taglioni für die Londoner Saison zu gewinnen. London, 16 März. Unter allen Umständen, welche die letzten Verwickelungen im Orient begleiteten, war das Benehmen Frankreichs am auffallendsten; denn wenn es je eine Frage gab, bei welcher ein aufrichtiges Einverständniß aller friedliebenden Mächte Europa's sowohl hinsichtlich des Princips, als der anzuwendenden Maaßregeln zu erwarten war, so ist es der türkisch-ägyptische Streit gewesen. Es fragt sich dabei erstlich: ob es einem rebellischen Unterthan gestattet seyn soll, seinen rechtmäßigen Souverän zu berauben und am Ende zu entthronen; zweitens: ob man dulden soll, daß durch die Beförderung seiner ehrgeizigen Plane das Gleichgewicht der europäischen Mächte zerstört und vielleicht ein allgemeiner Krieg in Europa herbeigeführt werde. Was die erste Frage anbelangt, so kann Frankreich die Suprematie des Sultans nicht läugnen, denn es hat dieselbe durch Unterzeichnung der Erklärung von Wien anerkannt; überdieß ist sie sogar von Mehemed Ali anerkannt worden. Frankreich kann nicht läugnen, daß der Sultan beraubt wird, wenn einer seiner Beamten eine Provinz, deren Verwaltung ihm anvertraut worden, in ein unabhängiges Reich verwandelt, und was die Folge dieser Beraubung, die Entthronung des Sultans betrifft, so verräth die französische Regierung geringe Kenntniß der menschlichen Natur, wenn sie wähnt, Mehemed Ali werde sich mit dem, was er gegenwärtig fordert, auch künftighin begnügen. Sein Durst nach Macht wird mit jedem neuen Ländererwerb nur zunehmen und er wird von Konstantinopel sprechen, wie Hannibal von Rom: "nil actum," bis Konstantinopel in seinem Besitz seyn wird. Endlich wird Frankreich nicht leugnen, daß durch einen solchen Erfolg Mehemed Ali's das europäische Gleichgewicht zerstört würde; dieß leugnen, hieße behaupten, daß zwei kleine, gegeneinander feindliche Staaten jenes Gleichgewicht mit derselben Kraft aufrecht erhalten könnten, wie ein großes, in sich einiges Reich - eine monströse Behauptung, besonders wenn wir bedenken, wie das europäische Gleichgewicht im Osten bedroht werden könnte. Wir würden hier, wäre es nicht eine unnütze Zeitverschwendung, noch ein weiteres Argument zu Gunsten der Reclamationen des Sultans gegen Mehemed Ali aus einem Vergleich des Charakters dieser beiden Fürsten herleiten. Wir müßten dann zuvörderst von dem Sultan sagen, daß sein Benehmen, wie jung er auch ist, bisher den Stempel der Mäßigung und der Freisinnigkeit trug; wir müßten an die Bedingungen, die er Mehemed Ali für seine Wiedereinsetzung in Gunst und Gewalt bot, erinnern, während die Freisinnigkeit des jungen Sultans der kürzlich publicirte Hattischerif, durch welchen der erste Grund zur Freiheit des Volks im osmanischen Reich gelegt worden, hinreichend beweist. Als Gegenbild müßten wir Mehemed Ali's wahren Charakter schildern, seine Falschheit, seinen verrätherischen Sinn, seine Tyrannei und Ungerechtigkeit. Gegen seinen Souverän handelte Mehemed Ali nicht allein treulos, indem er gegen denselben sich empörte, sondern er war auch schändlich genug, gegen den Sultan die Mittel zu kehren, welche dieser zur Behauptung seines eigenen Ansehens ihm anvertraut hatte. Die Tyrannei Mehemed Ali's hat das ganze ägyptische Volk in Armuth und Jammer gestürzt, und Niemand hat sich dabei bereichert, als er selbst; denn der Gebrauch, den er von dem gräßlich erworbenen Geld macht, ist nicht etwa die Interessen des Volks, dem dieses Geld abgepreßt worden, zu fördern, sondern Armeen und Flotten zu schaffen und zu neuen Angriffen gegen seinen Souverän sich zu rüsten. Wer hätte den Plan vergessen, den er während der griechischen Revolution gefaßt, die ganze Bevölkerung von Morea nach Aegypten in die Sklaverei zu schleppen, und Morea dafür mit Arabern und Aegyptern zu bevölkern? Einzig und allein das Einschreiten Englands, Frankreichs und Rußlands verhinderte damals die Ausführung dieses scheußlichen Planes. Wir führen übrigens dieses Argument gegen Mehemed Ali nur an, um die Sophistereien seiner Anhänger zum Schweigen zu bringen. Gern kehren wir wieder auf den Standpunkt zurück, von welchem wir ausgegangen, und stellen wiederholt als unbestreitbaren Satz auf, erstens, daß das Recht des Sultans auf all' seine Besitzungen außer Zweifel ist, ein Recht, welches zu schützen im Interesse aller europäischen Regierungen liegt; zweitens, daß das Gleichgewicht der europäischen Mächte durchaus erheischt, daß das ottomanische Reich in seiner Unabhängigkeit und Integrität erhalten werde. Beides, das Recht des Sultans, wie das Gleichgewicht der europäischen Mächte wird aber zerstört, wenn man duldet, daß Mehemed Ali Aegypten, Syrien, Arabien und Bagdad vom osmanischen Reich losreißt, um damit eine unabhängige Herrschaft zu gründen. Es liegt eben so sehr im Interesse Frankreichs, als Deutschlands und Englands, ein solches Unheil abzuwenden, und wenn Frankreich nicht aufrichtig dazu mitwirkt, so versteht es sein eigenes Interesse nicht, und handelt im Widerspruch mit seinen frühern Erklärungen. Als Frankreich gegen diese Cooperation Einwendungen erhob, argwöhnten Manche, daß es selbstsüchtige Zwecke dabei im Schild führe; man gab zu verstehen, daß seine Absicht keineswegs sey, Mehemed Ali zu einer gerechten und billigen Unterordnung zu bringen, sondern dessen Provinzen in einen unabhängigen, von der Türkei getrennten Staat zu verwandeln, und mit diesem Staat eine Allianz zu schließen, ihn unter seinen Schutz zu nehmen, von seinen Häfen und Flotten Gebrauch zu machen, und dann mit Algier an dem einen, mit Aegypten und Syrien an dem andern Ende, sich zum Beherrscher des mittelländischen Meeres aufzuwerfen. Wir unsererseits weisen einen solchen Verdacht ab. Die französische Regierung weiß wohl, daß sie dergleichen Plane ohne Krieg nicht ausführen könnte, und diesen Krieg hätte sie wahrscheinlich gegen mehr als Eine Macht zu führen. Sie muß fühlen, daß die französische Nation schwerlich denkt, die ungewisse Aussicht des Gelingens eines solchen Traumes könne die gewisse Gefahr eines solchen Krieges aufwiegen, während sie auf der andern Seite recht gut weiß, daß wenn Mehemed Ali auf Aegypten beschränkt und seine Macht in die politische Ausdehnung, die seinem Verhältniß als Unterthan geziemt, zurückgebracht wird, der Friede Europa's gesichert und alle Gefahren auf dessen äußerstem Osten auf Jahre hinaus abgewendet wären. Die französische Regierung ist viel zu aufgeklärt, als daß sie zweifeln sollte, ein solcher Vortheil sey unendlich mehr werth, als jeder Gewinn, den sie aus der selbstsüchtigen Politik, die wir angedeutet haben, ziehen könnte. Rußland, das in dieser Sache so gut wie Frankreich sein besonderes Interesse hat, benahm sich gleichwohl bei allen hierauf bezüglichen Verhandlungen mit Mäßigung, Offenheit und Redlichkeit. Wir wollen hoffen, daß Frankreich das Gleiche thun werde, und wenn diese beiden Mächte und England sich mit Deutschland, welches bei dieser Frage gleichfalls ein großes, augenscheinliches Interesse hat, aufrichtig vereinigen, so kann kein Zweifel seyn, daß die Frage eine befriedigende Lösung erhalten und der Friede, dieses große Ziel Aller, auf die Dauer gesichert werde. der Vicekönig, Lord Ebrington, mit einem ungeheuern Kleeblatt (dem Abzeichen Irlands) vor der Brust, am Fenster, und ward enthusiastisch begrüßt. Wie die M. Post meldet, ist Laporte eigens nach St. Petersburg abgereist, um die „unvergleichliche“ Taglioni für die Londoner Saison zu gewinnen. London, 16 März. Unter allen Umständen, welche die letzten Verwickelungen im Orient begleiteten, war das Benehmen Frankreichs am auffallendsten; denn wenn es je eine Frage gab, bei welcher ein aufrichtiges Einverständniß aller friedliebenden Mächte Europa's sowohl hinsichtlich des Princips, als der anzuwendenden Maaßregeln zu erwarten war, so ist es der türkisch-ägyptische Streit gewesen. Es fragt sich dabei erstlich: ob es einem rebellischen Unterthan gestattet seyn soll, seinen rechtmäßigen Souverän zu berauben und am Ende zu entthronen; zweitens: ob man dulden soll, daß durch die Beförderung seiner ehrgeizigen Plane das Gleichgewicht der europäischen Mächte zerstört und vielleicht ein allgemeiner Krieg in Europa herbeigeführt werde. Was die erste Frage anbelangt, so kann Frankreich die Suprematie des Sultans nicht läugnen, denn es hat dieselbe durch Unterzeichnung der Erklärung von Wien anerkannt; überdieß ist sie sogar von Mehemed Ali anerkannt worden. Frankreich kann nicht läugnen, daß der Sultan beraubt wird, wenn einer seiner Beamten eine Provinz, deren Verwaltung ihm anvertraut worden, in ein unabhängiges Reich verwandelt, und was die Folge dieser Beraubung, die Entthronung des Sultans betrifft, so verräth die französische Regierung geringe Kenntniß der menschlichen Natur, wenn sie wähnt, Mehemed Ali werde sich mit dem, was er gegenwärtig fordert, auch künftighin begnügen. Sein Durst nach Macht wird mit jedem neuen Ländererwerb nur zunehmen und er wird von Konstantinopel sprechen, wie Hannibal von Rom: „nil actum,“ bis Konstantinopel in seinem Besitz seyn wird. Endlich wird Frankreich nicht leugnen, daß durch einen solchen Erfolg Mehemed Ali's das europäische Gleichgewicht zerstört würde; dieß leugnen, hieße behaupten, daß zwei kleine, gegeneinander feindliche Staaten jenes Gleichgewicht mit derselben Kraft aufrecht erhalten könnten, wie ein großes, in sich einiges Reich – eine monströse Behauptung, besonders wenn wir bedenken, wie das europäische Gleichgewicht im Osten bedroht werden könnte. Wir würden hier, wäre es nicht eine unnütze Zeitverschwendung, noch ein weiteres Argument zu Gunsten der Reclamationen des Sultans gegen Mehemed Ali aus einem Vergleich des Charakters dieser beiden Fürsten herleiten. Wir müßten dann zuvörderst von dem Sultan sagen, daß sein Benehmen, wie jung er auch ist, bisher den Stempel der Mäßigung und der Freisinnigkeit trug; wir müßten an die Bedingungen, die er Mehemed Ali für seine Wiedereinsetzung in Gunst und Gewalt bot, erinnern, während die Freisinnigkeit des jungen Sultans der kürzlich publicirte Hattischerif, durch welchen der erste Grund zur Freiheit des Volks im osmanischen Reich gelegt worden, hinreichend beweist. Als Gegenbild müßten wir Mehemed Ali's wahren Charakter schildern, seine Falschheit, seinen verrätherischen Sinn, seine Tyrannei und Ungerechtigkeit. Gegen seinen Souverän handelte Mehemed Ali nicht allein treulos, indem er gegen denselben sich empörte, sondern er war auch schändlich genug, gegen den Sultan die Mittel zu kehren, welche dieser zur Behauptung seines eigenen Ansehens ihm anvertraut hatte. Die Tyrannei Mehemed Ali's hat das ganze ägyptische Volk in Armuth und Jammer gestürzt, und Niemand hat sich dabei bereichert, als er selbst; denn der Gebrauch, den er von dem gräßlich erworbenen Geld macht, ist nicht etwa die Interessen des Volks, dem dieses Geld abgepreßt worden, zu fördern, sondern Armeen und Flotten zu schaffen und zu neuen Angriffen gegen seinen Souverän sich zu rüsten. Wer hätte den Plan vergessen, den er während der griechischen Revolution gefaßt, die ganze Bevölkerung von Morea nach Aegypten in die Sklaverei zu schleppen, und Morea dafür mit Arabern und Aegyptern zu bevölkern? Einzig und allein das Einschreiten Englands, Frankreichs und Rußlands verhinderte damals die Ausführung dieses scheußlichen Planes. Wir führen übrigens dieses Argument gegen Mehemed Ali nur an, um die Sophistereien seiner Anhänger zum Schweigen zu bringen. Gern kehren wir wieder auf den Standpunkt zurück, von welchem wir ausgegangen, und stellen wiederholt als unbestreitbaren Satz auf, erstens, daß das Recht des Sultans auf all' seine Besitzungen außer Zweifel ist, ein Recht, welches zu schützen im Interesse aller europäischen Regierungen liegt; zweitens, daß das Gleichgewicht der europäischen Mächte durchaus erheischt, daß das ottomanische Reich in seiner Unabhängigkeit und Integrität erhalten werde. Beides, das Recht des Sultans, wie das Gleichgewicht der europäischen Mächte wird aber zerstört, wenn man duldet, daß Mehemed Ali Aegypten, Syrien, Arabien und Bagdad vom osmanischen Reich losreißt, um damit eine unabhängige Herrschaft zu gründen. Es liegt eben so sehr im Interesse Frankreichs, als Deutschlands und Englands, ein solches Unheil abzuwenden, und wenn Frankreich nicht aufrichtig dazu mitwirkt, so versteht es sein eigenes Interesse nicht, und handelt im Widerspruch mit seinen frühern Erklärungen. Als Frankreich gegen diese Cooperation Einwendungen erhob, argwöhnten Manche, daß es selbstsüchtige Zwecke dabei im Schild führe; man gab zu verstehen, daß seine Absicht keineswegs sey, Mehemed Ali zu einer gerechten und billigen Unterordnung zu bringen, sondern dessen Provinzen in einen unabhängigen, von der Türkei getrennten Staat zu verwandeln, und mit diesem Staat eine Allianz zu schließen, ihn unter seinen Schutz zu nehmen, von seinen Häfen und Flotten Gebrauch zu machen, und dann mit Algier an dem einen, mit Aegypten und Syrien an dem andern Ende, sich zum Beherrscher des mittelländischen Meeres aufzuwerfen. Wir unsererseits weisen einen solchen Verdacht ab. Die französische Regierung weiß wohl, daß sie dergleichen Plane ohne Krieg nicht ausführen könnte, und diesen Krieg hätte sie wahrscheinlich gegen mehr als Eine Macht zu führen. Sie muß fühlen, daß die französische Nation schwerlich denkt, die ungewisse Aussicht des Gelingens eines solchen Traumes könne die gewisse Gefahr eines solchen Krieges aufwiegen, während sie auf der andern Seite recht gut weiß, daß wenn Mehemed Ali auf Aegypten beschränkt und seine Macht in die politische Ausdehnung, die seinem Verhältniß als Unterthan geziemt, zurückgebracht wird, der Friede Europa's gesichert und alle Gefahren auf dessen äußerstem Osten auf Jahre hinaus abgewendet wären. Die französische Regierung ist viel zu aufgeklärt, als daß sie zweifeln sollte, ein solcher Vortheil sey unendlich mehr werth, als jeder Gewinn, den sie aus der selbstsüchtigen Politik, die wir angedeutet haben, ziehen könnte. Rußland, das in dieser Sache so gut wie Frankreich sein besonderes Interesse hat, benahm sich gleichwohl bei allen hierauf bezüglichen Verhandlungen mit Mäßigung, Offenheit und Redlichkeit. Wir wollen hoffen, daß Frankreich das Gleiche thun werde, und wenn diese beiden Mächte und England sich mit Deutschland, welches bei dieser Frage gleichfalls ein großes, augenscheinliches Interesse hat, aufrichtig vereinigen, so kann kein Zweifel seyn, daß die Frage eine befriedigende Lösung erhalten und der Friede, dieses große Ziel Aller, auf die Dauer gesichert werde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0002" n="0698"/> der Vicekönig, Lord Ebrington, mit einem ungeheuern Kleeblatt (dem Abzeichen Irlands) vor der Brust, am Fenster, und ward enthusiastisch begrüßt.</p><lb/> <p>Wie die M. <hi rendition="#g">Post</hi> meldet, ist Laporte eigens nach St. Petersburg abgereist, um die „unvergleichliche“ Taglioni für die Londoner Saison zu gewinnen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <byline> <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/> </byline> <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 16 März.</dateline> <p> Unter allen Umständen, welche die letzten Verwickelungen im Orient begleiteten, war das Benehmen Frankreichs am auffallendsten; denn wenn es je eine Frage gab, bei welcher ein aufrichtiges Einverständniß aller friedliebenden Mächte Europa's sowohl hinsichtlich des Princips, als der anzuwendenden Maaßregeln zu erwarten war, so ist es der türkisch-ägyptische Streit gewesen. Es fragt sich dabei erstlich: ob es einem rebellischen Unterthan gestattet seyn soll, seinen rechtmäßigen Souverän zu berauben und am Ende zu entthronen; zweitens: ob man dulden soll, daß durch die Beförderung seiner ehrgeizigen Plane das Gleichgewicht der europäischen Mächte zerstört und vielleicht ein allgemeiner Krieg in Europa herbeigeführt werde. Was die erste Frage anbelangt, so kann Frankreich die Suprematie des Sultans nicht läugnen, denn es hat dieselbe durch Unterzeichnung der Erklärung von Wien anerkannt; überdieß ist sie sogar von Mehemed Ali anerkannt worden. Frankreich kann nicht läugnen, daß der Sultan beraubt wird, wenn einer seiner Beamten eine Provinz, deren Verwaltung ihm anvertraut worden, in ein unabhängiges Reich verwandelt, und was die Folge dieser Beraubung, die Entthronung des Sultans betrifft, so verräth die französische Regierung geringe Kenntniß der menschlichen Natur, wenn sie wähnt, Mehemed Ali werde sich mit dem, was er gegenwärtig fordert, auch künftighin begnügen. Sein Durst nach Macht wird mit jedem neuen Ländererwerb nur zunehmen und er wird von Konstantinopel sprechen, wie Hannibal von Rom: „nil actum,“ bis Konstantinopel in seinem Besitz seyn wird. Endlich wird Frankreich nicht leugnen, daß durch einen solchen Erfolg Mehemed Ali's das europäische Gleichgewicht zerstört würde; dieß leugnen, hieße behaupten, daß zwei kleine, gegeneinander feindliche Staaten jenes Gleichgewicht mit derselben Kraft aufrecht erhalten könnten, wie ein großes, in sich einiges Reich – eine monströse Behauptung, besonders wenn wir bedenken, wie das europäische Gleichgewicht im Osten bedroht werden könnte. Wir würden hier, wäre es nicht eine unnütze Zeitverschwendung, noch ein weiteres Argument zu Gunsten der Reclamationen des Sultans gegen Mehemed Ali aus einem Vergleich des Charakters dieser beiden Fürsten herleiten. Wir müßten dann zuvörderst von dem Sultan sagen, daß sein Benehmen, wie jung er auch ist, bisher den Stempel der Mäßigung und der Freisinnigkeit trug; wir müßten an die Bedingungen, die er Mehemed Ali für seine Wiedereinsetzung in Gunst und Gewalt bot, erinnern, während die Freisinnigkeit des jungen Sultans der kürzlich publicirte Hattischerif, durch welchen der erste Grund zur Freiheit des Volks im osmanischen Reich gelegt worden, hinreichend beweist. Als Gegenbild müßten wir Mehemed Ali's wahren Charakter schildern, seine Falschheit, seinen verrätherischen Sinn, seine Tyrannei und Ungerechtigkeit. Gegen seinen Souverän handelte Mehemed Ali nicht allein treulos, indem er gegen denselben sich empörte, sondern er war auch schändlich genug, gegen den Sultan die Mittel zu kehren, welche dieser zur Behauptung seines eigenen Ansehens ihm anvertraut hatte. Die Tyrannei Mehemed Ali's hat das ganze ägyptische Volk in Armuth und Jammer gestürzt, und Niemand hat sich dabei bereichert, als er selbst; denn der Gebrauch, den er von dem gräßlich erworbenen Geld macht, ist nicht etwa die Interessen des Volks, dem dieses Geld abgepreßt worden, zu fördern, sondern Armeen und Flotten zu schaffen und zu neuen Angriffen gegen seinen Souverän sich zu rüsten. Wer hätte den Plan vergessen, den er während der griechischen Revolution gefaßt, die ganze Bevölkerung von Morea nach Aegypten in die Sklaverei zu schleppen, und Morea dafür mit Arabern und Aegyptern zu bevölkern? Einzig und allein das Einschreiten Englands, Frankreichs und Rußlands verhinderte damals die Ausführung dieses scheußlichen Planes. Wir führen übrigens dieses Argument gegen Mehemed Ali nur an, um die Sophistereien seiner Anhänger zum Schweigen zu bringen. Gern kehren wir wieder auf den Standpunkt zurück, von welchem wir ausgegangen, und stellen wiederholt als unbestreitbaren Satz auf, erstens, daß das Recht des Sultans auf all' seine Besitzungen außer Zweifel ist, ein Recht, welches zu schützen im Interesse aller europäischen Regierungen liegt; zweitens, daß das Gleichgewicht der europäischen Mächte durchaus erheischt, daß das ottomanische Reich in seiner Unabhängigkeit und Integrität erhalten werde. Beides, das Recht des Sultans, wie das Gleichgewicht der europäischen Mächte wird aber zerstört, wenn man duldet, daß Mehemed Ali Aegypten, Syrien, Arabien und Bagdad vom osmanischen Reich losreißt, um damit eine unabhängige Herrschaft zu gründen. Es liegt eben so sehr im Interesse Frankreichs, als Deutschlands und Englands, ein solches Unheil abzuwenden, und wenn Frankreich nicht aufrichtig dazu mitwirkt, so versteht es sein eigenes Interesse nicht, und handelt im Widerspruch mit seinen frühern Erklärungen. Als Frankreich gegen diese Cooperation Einwendungen erhob, argwöhnten Manche, daß es selbstsüchtige Zwecke dabei im Schild führe; man gab zu verstehen, daß seine Absicht keineswegs sey, Mehemed Ali zu einer gerechten und billigen Unterordnung zu bringen, sondern dessen Provinzen in einen unabhängigen, von der Türkei getrennten Staat zu verwandeln, und mit diesem Staat eine Allianz zu schließen, ihn unter seinen Schutz zu nehmen, von seinen Häfen und Flotten Gebrauch zu machen, und dann mit Algier an dem einen, mit Aegypten und Syrien an dem andern Ende, sich zum Beherrscher des mittelländischen Meeres aufzuwerfen. Wir unsererseits weisen einen solchen Verdacht ab. Die französische Regierung weiß wohl, daß sie dergleichen Plane ohne Krieg nicht ausführen könnte, und diesen Krieg hätte sie wahrscheinlich gegen mehr als Eine Macht zu führen. Sie muß fühlen, daß die französische Nation schwerlich denkt, die ungewisse Aussicht des Gelingens eines solchen Traumes könne die gewisse Gefahr eines solchen Krieges aufwiegen, während sie auf der andern Seite recht gut weiß, daß wenn Mehemed Ali auf Aegypten beschränkt und seine Macht in die politische Ausdehnung, die seinem Verhältniß als Unterthan geziemt, zurückgebracht wird, der Friede Europa's gesichert und alle Gefahren auf dessen äußerstem Osten auf Jahre hinaus abgewendet wären. Die französische Regierung ist viel zu aufgeklärt, als daß sie zweifeln sollte, ein solcher Vortheil sey unendlich mehr werth, als jeder Gewinn, den sie aus der selbstsüchtigen Politik, die wir angedeutet haben, ziehen könnte. Rußland, das in dieser Sache so gut wie Frankreich sein besonderes Interesse hat, benahm sich gleichwohl bei allen hierauf bezüglichen Verhandlungen mit Mäßigung, Offenheit und Redlichkeit. Wir wollen hoffen, daß Frankreich das Gleiche thun werde, und wenn diese beiden Mächte und England sich mit Deutschland, welches bei dieser Frage gleichfalls ein großes, augenscheinliches Interesse hat, aufrichtig vereinigen, so kann kein Zweifel seyn, daß die Frage eine befriedigende Lösung erhalten und der Friede, dieses große Ziel Aller, auf die Dauer gesichert werde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0698/0002]
der Vicekönig, Lord Ebrington, mit einem ungeheuern Kleeblatt (dem Abzeichen Irlands) vor der Brust, am Fenster, und ward enthusiastisch begrüßt.
Wie die M. Post meldet, ist Laporte eigens nach St. Petersburg abgereist, um die „unvergleichliche“ Taglioni für die Londoner Saison zu gewinnen.
_ London, 16 März. Unter allen Umständen, welche die letzten Verwickelungen im Orient begleiteten, war das Benehmen Frankreichs am auffallendsten; denn wenn es je eine Frage gab, bei welcher ein aufrichtiges Einverständniß aller friedliebenden Mächte Europa's sowohl hinsichtlich des Princips, als der anzuwendenden Maaßregeln zu erwarten war, so ist es der türkisch-ägyptische Streit gewesen. Es fragt sich dabei erstlich: ob es einem rebellischen Unterthan gestattet seyn soll, seinen rechtmäßigen Souverän zu berauben und am Ende zu entthronen; zweitens: ob man dulden soll, daß durch die Beförderung seiner ehrgeizigen Plane das Gleichgewicht der europäischen Mächte zerstört und vielleicht ein allgemeiner Krieg in Europa herbeigeführt werde. Was die erste Frage anbelangt, so kann Frankreich die Suprematie des Sultans nicht läugnen, denn es hat dieselbe durch Unterzeichnung der Erklärung von Wien anerkannt; überdieß ist sie sogar von Mehemed Ali anerkannt worden. Frankreich kann nicht läugnen, daß der Sultan beraubt wird, wenn einer seiner Beamten eine Provinz, deren Verwaltung ihm anvertraut worden, in ein unabhängiges Reich verwandelt, und was die Folge dieser Beraubung, die Entthronung des Sultans betrifft, so verräth die französische Regierung geringe Kenntniß der menschlichen Natur, wenn sie wähnt, Mehemed Ali werde sich mit dem, was er gegenwärtig fordert, auch künftighin begnügen. Sein Durst nach Macht wird mit jedem neuen Ländererwerb nur zunehmen und er wird von Konstantinopel sprechen, wie Hannibal von Rom: „nil actum,“ bis Konstantinopel in seinem Besitz seyn wird. Endlich wird Frankreich nicht leugnen, daß durch einen solchen Erfolg Mehemed Ali's das europäische Gleichgewicht zerstört würde; dieß leugnen, hieße behaupten, daß zwei kleine, gegeneinander feindliche Staaten jenes Gleichgewicht mit derselben Kraft aufrecht erhalten könnten, wie ein großes, in sich einiges Reich – eine monströse Behauptung, besonders wenn wir bedenken, wie das europäische Gleichgewicht im Osten bedroht werden könnte. Wir würden hier, wäre es nicht eine unnütze Zeitverschwendung, noch ein weiteres Argument zu Gunsten der Reclamationen des Sultans gegen Mehemed Ali aus einem Vergleich des Charakters dieser beiden Fürsten herleiten. Wir müßten dann zuvörderst von dem Sultan sagen, daß sein Benehmen, wie jung er auch ist, bisher den Stempel der Mäßigung und der Freisinnigkeit trug; wir müßten an die Bedingungen, die er Mehemed Ali für seine Wiedereinsetzung in Gunst und Gewalt bot, erinnern, während die Freisinnigkeit des jungen Sultans der kürzlich publicirte Hattischerif, durch welchen der erste Grund zur Freiheit des Volks im osmanischen Reich gelegt worden, hinreichend beweist. Als Gegenbild müßten wir Mehemed Ali's wahren Charakter schildern, seine Falschheit, seinen verrätherischen Sinn, seine Tyrannei und Ungerechtigkeit. Gegen seinen Souverän handelte Mehemed Ali nicht allein treulos, indem er gegen denselben sich empörte, sondern er war auch schändlich genug, gegen den Sultan die Mittel zu kehren, welche dieser zur Behauptung seines eigenen Ansehens ihm anvertraut hatte. Die Tyrannei Mehemed Ali's hat das ganze ägyptische Volk in Armuth und Jammer gestürzt, und Niemand hat sich dabei bereichert, als er selbst; denn der Gebrauch, den er von dem gräßlich erworbenen Geld macht, ist nicht etwa die Interessen des Volks, dem dieses Geld abgepreßt worden, zu fördern, sondern Armeen und Flotten zu schaffen und zu neuen Angriffen gegen seinen Souverän sich zu rüsten. Wer hätte den Plan vergessen, den er während der griechischen Revolution gefaßt, die ganze Bevölkerung von Morea nach Aegypten in die Sklaverei zu schleppen, und Morea dafür mit Arabern und Aegyptern zu bevölkern? Einzig und allein das Einschreiten Englands, Frankreichs und Rußlands verhinderte damals die Ausführung dieses scheußlichen Planes. Wir führen übrigens dieses Argument gegen Mehemed Ali nur an, um die Sophistereien seiner Anhänger zum Schweigen zu bringen. Gern kehren wir wieder auf den Standpunkt zurück, von welchem wir ausgegangen, und stellen wiederholt als unbestreitbaren Satz auf, erstens, daß das Recht des Sultans auf all' seine Besitzungen außer Zweifel ist, ein Recht, welches zu schützen im Interesse aller europäischen Regierungen liegt; zweitens, daß das Gleichgewicht der europäischen Mächte durchaus erheischt, daß das ottomanische Reich in seiner Unabhängigkeit und Integrität erhalten werde. Beides, das Recht des Sultans, wie das Gleichgewicht der europäischen Mächte wird aber zerstört, wenn man duldet, daß Mehemed Ali Aegypten, Syrien, Arabien und Bagdad vom osmanischen Reich losreißt, um damit eine unabhängige Herrschaft zu gründen. Es liegt eben so sehr im Interesse Frankreichs, als Deutschlands und Englands, ein solches Unheil abzuwenden, und wenn Frankreich nicht aufrichtig dazu mitwirkt, so versteht es sein eigenes Interesse nicht, und handelt im Widerspruch mit seinen frühern Erklärungen. Als Frankreich gegen diese Cooperation Einwendungen erhob, argwöhnten Manche, daß es selbstsüchtige Zwecke dabei im Schild führe; man gab zu verstehen, daß seine Absicht keineswegs sey, Mehemed Ali zu einer gerechten und billigen Unterordnung zu bringen, sondern dessen Provinzen in einen unabhängigen, von der Türkei getrennten Staat zu verwandeln, und mit diesem Staat eine Allianz zu schließen, ihn unter seinen Schutz zu nehmen, von seinen Häfen und Flotten Gebrauch zu machen, und dann mit Algier an dem einen, mit Aegypten und Syrien an dem andern Ende, sich zum Beherrscher des mittelländischen Meeres aufzuwerfen. Wir unsererseits weisen einen solchen Verdacht ab. Die französische Regierung weiß wohl, daß sie dergleichen Plane ohne Krieg nicht ausführen könnte, und diesen Krieg hätte sie wahrscheinlich gegen mehr als Eine Macht zu führen. Sie muß fühlen, daß die französische Nation schwerlich denkt, die ungewisse Aussicht des Gelingens eines solchen Traumes könne die gewisse Gefahr eines solchen Krieges aufwiegen, während sie auf der andern Seite recht gut weiß, daß wenn Mehemed Ali auf Aegypten beschränkt und seine Macht in die politische Ausdehnung, die seinem Verhältniß als Unterthan geziemt, zurückgebracht wird, der Friede Europa's gesichert und alle Gefahren auf dessen äußerstem Osten auf Jahre hinaus abgewendet wären. Die französische Regierung ist viel zu aufgeklärt, als daß sie zweifeln sollte, ein solcher Vortheil sey unendlich mehr werth, als jeder Gewinn, den sie aus der selbstsüchtigen Politik, die wir angedeutet haben, ziehen könnte. Rußland, das in dieser Sache so gut wie Frankreich sein besonderes Interesse hat, benahm sich gleichwohl bei allen hierauf bezüglichen Verhandlungen mit Mäßigung, Offenheit und Redlichkeit. Wir wollen hoffen, daß Frankreich das Gleiche thun werde, und wenn diese beiden Mächte und England sich mit Deutschland, welches bei dieser Frage gleichfalls ein großes, augenscheinliches Interesse hat, aufrichtig vereinigen, so kann kein Zweifel seyn, daß die Frage eine befriedigende Lösung erhalten und der Friede, dieses große Ziel Aller, auf die Dauer gesichert werde.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |