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Allgemeine Zeitung. Nr. 88. Augsburg, 28. März 1840.

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Frankreich.

Die Kriegserklärung Marokko's gegen Frankreich, welche die gestrige Gazette de France als Gerücht erwähnte, scheint sich zu bestätigen. (S. den heutigen Brief aus Toulon.) Das ministerielle Journal, der Constitutionnel, enthält folgendes Schreiben aus Oran vom 10 März: "Ich kann Ihnen mit Bestimmtheit versichern, daß zwischen dem Sultan von Marokko Muley-Abd-er-Haman und dem Emir Abd-El-Kader ein Vertrag geschlossen worden zu dem Zweck, gegen die Franzosen den "heiligen Krieg" zu führen, bis dieselben gänzlich von Afrika vertrieben seyn würden. Mehrere Clauseln des Vertrags waren schon früher ins Reine gebracht, nur eine Formalität, die den Stolz des Emirs verletzte, war noch der Stein des Anstoßes. Hinsichtlich der Kriegsmunition und der Zahl der Hülfstruppen waren beide einig geworden; aber der Emir bestand darauf, in diesem Kriege die Prärogative, die Ehre und den Oberbefehl mit dem Sultan selbst zu theilen. Muley-Abd-er-Haman wollte Abd-El-Kader zwar den Oberbefehl über die vereinigte Armee übertragen, ihm dabei aber nur den Titel eines Khalifa zugestehen. Dieß war die einzige Ursache, welche die Coalition dieser beiden mächtigsten Fürsten der Berberei bisher verhindert hat. Abd-El-Kader erlangte endlich, was er wünschte: der Titel "Sultan" wurde ihm von Muley-Abd-er-Haman zugestanden. Längst schon mußte die französische Regierung von den geheimen Umtrieben Marokko's unterrichtet seyn; sie begnügte sich mit den ausweichenden Antworten und den falschen Protestationen des Gouverneurs von Tanger. Nun wird man genöthigt seyn, gegen Marokko thätlich einzuschreiten. Große Rüstungen werden in Nedroma, einer Gränzstadt Marokko's, gemacht. Abd-El-Kader ist in Tlemsan, wo er seine Cavallerie organisirt." (Letztere Angabe ist im Widerspruch mit den Briefen und officiellen Berichten aus Algier, welche die Anwesenheit Abd-El-Kaders in Medeah melden.)

Auch die heutige Gazette de France versichert, daß die neuesten Briefe aus Algier die zwischen dem Sultan von Marokko und Abd-El-Kader gegen die Franzosen geschlossene Allianz bestätigen, und fügt bei: "In Folge dieses Ereignisses sind Befehle nach Toulon abgegangen, und der Eclaireur, ein Touloner Blatt vom 18 März versichert, daß alle auf dortiger Rhede befindlichen segelfertigen Kriegsschiffe im Begriff seyen, nach der afrikanischen Küste abzugehen, um jeden Verkehr zwischen den Häfen von Marokko und Algier zu verhindern."

(Temps.) Zwischen Marschall Soult und Hrn. v. Mole sollen die Unterhandlungen fortdauern. "Verschaffen Sie sich eine Majorität, dann wollen wir ein Ministerium machen", sagt der Marschall; "machen Sie ein Ministerium, dann werden wir eine Majorität haben", antwortet Hr. v. Mole. Dieß ist die Parodie zwischen den Emigranten von Koblenz und den Royalisten im innern Frankreich während der Revolution. "Rückt ein und wir wollen umwälzen", sagten diese; "wälzt um und wir wollen einrücken", antworteten die Andern. .. Dieß hinderte aber, wie weltbekannt ist, nicht, daß die Ereignisse zur Vollziehung kamen.

(Temps.) Die Improvisation, welche Hr. Lamartine für die Discussion der geheimen Fonds verspricht, machte heute den Gegenstand der Unterhaltungen in mehreren politischen Salons aus. Der berühmte Dichter soll, um den Eindruck seiner Rede desto besser zum voraus ermessen zu können, die Hauptstellen der Discretion einiger Freunde anvertraut haben, die natürlich Wunder davon erzählten.

(Commerce.) General Jacqueminot ist wieder in Paris eingetroffen. Einige sagen, er komme auf eine Aufforderung von oben, um zu versuchen, dem Ministerium einen Theil der Mitglieder des Vereins, der früher seinen Namen getragen, zu gewinnen; Andere glauben, er sey gekommen, um eine opponirende Kugel der seines Tochtermanns, des Hrn. Duchatel, beizufügen. Könnte es nicht auch geschehen seyn, weil man die Anwesenheit des Chefs des Generalstabs der Nationalgarde in dem Augenblick, wo in Paris die Officierswahlen vor sich gehen, für nöthig erachtet?

(Gazette.) Das Journal des Debats hat ganz mit dem Cabinet gebrochen. Es nennt Hrn. Thiers einen "ambitieux etourdi," einen "Figaro." Dieß heißt, seine Schiffe verbrennen. Es ist nicht zu verkennen, daß der Conflict zwischen den zwei Schattirungen der Revolution von 1830 den höchsten Grad erreicht hat.

Hr. Jollivet ward von dem Wahlcollegium von Rennes zum Deputirten ernannt. Das Journal des Debats erklärt diese Wahl unter den gegenwärtigen Umständen für in mehrfacher Hinsicht merkwürdig, da dadurch der Kammer einer der ausgezeichnetsten und ehrenwerthesten Männer der 221 zurückgegeben, und ein Mitglied der alten Opposition, Hr. Mangin d'Oins, ersetzt werde.

Unsere politischen Verhältnisse drehen sich dermalen alle um den Gesetzesentwurf über die geheimen Fonds, nicht als ob eine oder die andere der Parteien, in welche die Deputirtenkammer sich theilt, die Nothwendigkeit für die Regierung bestritte, geheime Fonds zur Verfügung zu haben - es fragt sich nur, welche Partei, oder vielmehr, welches Ministerium, dieselben erhalten solle; mit andern Worten, ob die Kammer dem jetzigen Ministerium die geheimen Fonds zugestehen will, oder ob sie durch Verwerfung des Gesetzesentwurfes dieses Ministerium stürzen, und so zur Bildung eines andern Veranlassung geben wolle, dem sie dann die geheimen Fonds bewilligen würde. Folgendes ist der Stand der verschiedenen Parteien. Das Ministerium Thiers hat fast nur das linke Centrum für sich; die sogenannte dynastische Linke oder Partei Barrot hat ihm, seit seiner Geburt, auch ihre Hülfe zugesagt, jedoch nur unter der Bedingung eines näheren Verbandes mit ihr, eine Bedingung, die Hr. Thiers zu erfüllen immer gezögert hat. Die äußerste Linke, ebenso die Legitimisten, sprechen öffentlich gegen alle geheime Fonds, dem Scheine nach aus Grundsätzen der Moral, in der Wirklichkeit aber um durch ein verwerfendes Votum jedes Ministerium zu stürzen. Diejenigen Mitglieder der ehemaligen 221, die noch zusammen halten (und das thut über diese Frage der größere Theil derselben), hatten in den letzten Tagen mehrere Versammlungen: anfänglich sprachen sie sich alle zum Vortheil des Entwurfs und somit des Ministeriums aus, seit einigen Tagen hat sich aber deren Stimmung geändert; in den letzten Versammlungen waren die Ansichten getheilt, einige wollten nur einen Theil der begehrten Summe bewilligen, als Zeichen des nicht vollkommenen Vertrauens; andere Alles, andere sprachen von der Verwerfung des Entwurfs. Letztere behaupten, ein neues Ministerium in Bereitschaft zu haben, dessen vorzüglichste Mitglieder die HH. Soult (Präsident und Kriegsminister), Mole (auswärtige Angelegenheiten), Duchatel, Teste und Lacave-Laplagne seyn würden. In diesem Sinne sprechen sich unverhohlen insbesondere alle diejenigen 221 aus, die auf irgend eine Weise vom Hofe abhängen; und aus diesem Umstande schließen die übrigen Parteien, eine hohe Person suche den Hrn. Thiers wieder vom Ministerium zu entfernen. Der Commissionsbericht des Hrn. Berville (von der Partei Barrot) hat die 221 nicht günstig für die Annahme des Entwurfs gestimmt, indem sie aus verschiedenen Ausdrücken desselben auf eine inn gere

Frankreich.

Die Kriegserklärung Marokko's gegen Frankreich, welche die gestrige Gazette de France als Gerücht erwähnte, scheint sich zu bestätigen. (S. den heutigen Brief aus Toulon.) Das ministerielle Journal, der Constitutionnel, enthält folgendes Schreiben aus Oran vom 10 März: „Ich kann Ihnen mit Bestimmtheit versichern, daß zwischen dem Sultan von Marokko Muley-Abd-er-Haman und dem Emir Abd-El-Kader ein Vertrag geschlossen worden zu dem Zweck, gegen die Franzosen den „heiligen Krieg“ zu führen, bis dieselben gänzlich von Afrika vertrieben seyn würden. Mehrere Clauseln des Vertrags waren schon früher ins Reine gebracht, nur eine Formalität, die den Stolz des Emirs verletzte, war noch der Stein des Anstoßes. Hinsichtlich der Kriegsmunition und der Zahl der Hülfstruppen waren beide einig geworden; aber der Emir bestand darauf, in diesem Kriege die Prärogative, die Ehre und den Oberbefehl mit dem Sultan selbst zu theilen. Muley-Abd-er-Haman wollte Abd-El-Kader zwar den Oberbefehl über die vereinigte Armee übertragen, ihm dabei aber nur den Titel eines Khalifa zugestehen. Dieß war die einzige Ursache, welche die Coalition dieser beiden mächtigsten Fürsten der Berberei bisher verhindert hat. Abd-El-Kader erlangte endlich, was er wünschte: der Titel „Sultan“ wurde ihm von Muley-Abd-er-Haman zugestanden. Längst schon mußte die französische Regierung von den geheimen Umtrieben Marokko's unterrichtet seyn; sie begnügte sich mit den ausweichenden Antworten und den falschen Protestationen des Gouverneurs von Tanger. Nun wird man genöthigt seyn, gegen Marokko thätlich einzuschreiten. Große Rüstungen werden in Nedroma, einer Gränzstadt Marokko's, gemacht. Abd-El-Kader ist in Tlemsan, wo er seine Cavallerie organisirt.“ (Letztere Angabe ist im Widerspruch mit den Briefen und officiellen Berichten aus Algier, welche die Anwesenheit Abd-El-Kaders in Medeah melden.)

Auch die heutige Gazette de France versichert, daß die neuesten Briefe aus Algier die zwischen dem Sultan von Marokko und Abd-El-Kader gegen die Franzosen geschlossene Allianz bestätigen, und fügt bei: „In Folge dieses Ereignisses sind Befehle nach Toulon abgegangen, und der Eclaireur, ein Touloner Blatt vom 18 März versichert, daß alle auf dortiger Rhede befindlichen segelfertigen Kriegsschiffe im Begriff seyen, nach der afrikanischen Küste abzugehen, um jeden Verkehr zwischen den Häfen von Marokko und Algier zu verhindern.“

(Temps.) Zwischen Marschall Soult und Hrn. v. Molé sollen die Unterhandlungen fortdauern. „Verschaffen Sie sich eine Majorität, dann wollen wir ein Ministerium machen“, sagt der Marschall; „machen Sie ein Ministerium, dann werden wir eine Majorität haben“, antwortet Hr. v. Molé. Dieß ist die Parodie zwischen den Emigranten von Koblenz und den Royalisten im innern Frankreich während der Revolution. „Rückt ein und wir wollen umwälzen“, sagten diese; „wälzt um und wir wollen einrücken“, antworteten die Andern. .. Dieß hinderte aber, wie weltbekannt ist, nicht, daß die Ereignisse zur Vollziehung kamen.

(Temps.) Die Improvisation, welche Hr. Lamartine für die Discussion der geheimen Fonds verspricht, machte heute den Gegenstand der Unterhaltungen in mehreren politischen Salons aus. Der berühmte Dichter soll, um den Eindruck seiner Rede desto besser zum voraus ermessen zu können, die Hauptstellen der Discretion einiger Freunde anvertraut haben, die natürlich Wunder davon erzählten.

(Commerce.) General Jacqueminot ist wieder in Paris eingetroffen. Einige sagen, er komme auf eine Aufforderung von oben, um zu versuchen, dem Ministerium einen Theil der Mitglieder des Vereins, der früher seinen Namen getragen, zu gewinnen; Andere glauben, er sey gekommen, um eine opponirende Kugel der seines Tochtermanns, des Hrn. Duchatel, beizufügen. Könnte es nicht auch geschehen seyn, weil man die Anwesenheit des Chefs des Generalstabs der Nationalgarde in dem Augenblick, wo in Paris die Officierswahlen vor sich gehen, für nöthig erachtet?

(Gazette.) Das Journal des Débats hat ganz mit dem Cabinet gebrochen. Es nennt Hrn. Thiers einen „ambitieux étourdi,“ einen „Figaro.“ Dieß heißt, seine Schiffe verbrennen. Es ist nicht zu verkennen, daß der Conflict zwischen den zwei Schattirungen der Revolution von 1830 den höchsten Grad erreicht hat.

Hr. Jollivet ward von dem Wahlcollegium von Rennes zum Deputirten ernannt. Das Journal des Débats erklärt diese Wahl unter den gegenwärtigen Umständen für in mehrfacher Hinsicht merkwürdig, da dadurch der Kammer einer der ausgezeichnetsten und ehrenwerthesten Männer der 221 zurückgegeben, und ein Mitglied der alten Opposition, Hr. Mangin d'Oins, ersetzt werde.

Unsere politischen Verhältnisse drehen sich dermalen alle um den Gesetzesentwurf über die geheimen Fonds, nicht als ob eine oder die andere der Parteien, in welche die Deputirtenkammer sich theilt, die Nothwendigkeit für die Regierung bestritte, geheime Fonds zur Verfügung zu haben – es fragt sich nur, welche Partei, oder vielmehr, welches Ministerium, dieselben erhalten solle; mit andern Worten, ob die Kammer dem jetzigen Ministerium die geheimen Fonds zugestehen will, oder ob sie durch Verwerfung des Gesetzesentwurfes dieses Ministerium stürzen, und so zur Bildung eines andern Veranlassung geben wolle, dem sie dann die geheimen Fonds bewilligen würde. Folgendes ist der Stand der verschiedenen Parteien. Das Ministerium Thiers hat fast nur das linke Centrum für sich; die sogenannte dynastische Linke oder Partei Barrot hat ihm, seit seiner Geburt, auch ihre Hülfe zugesagt, jedoch nur unter der Bedingung eines näheren Verbandes mit ihr, eine Bedingung, die Hr. Thiers zu erfüllen immer gezögert hat. Die äußerste Linke, ebenso die Legitimisten, sprechen öffentlich gegen alle geheime Fonds, dem Scheine nach aus Grundsätzen der Moral, in der Wirklichkeit aber um durch ein verwerfendes Votum jedes Ministerium zu stürzen. Diejenigen Mitglieder der ehemaligen 221, die noch zusammen halten (und das thut über diese Frage der größere Theil derselben), hatten in den letzten Tagen mehrere Versammlungen: anfänglich sprachen sie sich alle zum Vortheil des Entwurfs und somit des Ministeriums aus, seit einigen Tagen hat sich aber deren Stimmung geändert; in den letzten Versammlungen waren die Ansichten getheilt, einige wollten nur einen Theil der begehrten Summe bewilligen, als Zeichen des nicht vollkommenen Vertrauens; andere Alles, andere sprachen von der Verwerfung des Entwurfs. Letztere behaupten, ein neues Ministerium in Bereitschaft zu haben, dessen vorzüglichste Mitglieder die HH. Soult (Präsident und Kriegsminister), Molé (auswärtige Angelegenheiten), Duchatel, Teste und Lacave-Laplagne seyn würden. In diesem Sinne sprechen sich unverhohlen insbesondere alle diejenigen 221 aus, die auf irgend eine Weise vom Hofe abhängen; und aus diesem Umstande schließen die übrigen Parteien, eine hohe Person suche den Hrn. Thiers wieder vom Ministerium zu entfernen. Der Commissionsbericht des Hrn. Berville (von der Partei Barrot) hat die 221 nicht günstig für die Annahme des Entwurfs gestimmt, indem sie aus verschiedenen Ausdrücken desselben auf eine inn gere

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[0699/0003] Frankreich. _ Paris, 23 März. Die Kriegserklärung Marokko's gegen Frankreich, welche die gestrige Gazette de France als Gerücht erwähnte, scheint sich zu bestätigen. (S. den heutigen Brief aus Toulon.) Das ministerielle Journal, der Constitutionnel, enthält folgendes Schreiben aus Oran vom 10 März: „Ich kann Ihnen mit Bestimmtheit versichern, daß zwischen dem Sultan von Marokko Muley-Abd-er-Haman und dem Emir Abd-El-Kader ein Vertrag geschlossen worden zu dem Zweck, gegen die Franzosen den „heiligen Krieg“ zu führen, bis dieselben gänzlich von Afrika vertrieben seyn würden. Mehrere Clauseln des Vertrags waren schon früher ins Reine gebracht, nur eine Formalität, die den Stolz des Emirs verletzte, war noch der Stein des Anstoßes. Hinsichtlich der Kriegsmunition und der Zahl der Hülfstruppen waren beide einig geworden; aber der Emir bestand darauf, in diesem Kriege die Prärogative, die Ehre und den Oberbefehl mit dem Sultan selbst zu theilen. Muley-Abd-er-Haman wollte Abd-El-Kader zwar den Oberbefehl über die vereinigte Armee übertragen, ihm dabei aber nur den Titel eines Khalifa zugestehen. Dieß war die einzige Ursache, welche die Coalition dieser beiden mächtigsten Fürsten der Berberei bisher verhindert hat. Abd-El-Kader erlangte endlich, was er wünschte: der Titel „Sultan“ wurde ihm von Muley-Abd-er-Haman zugestanden. Längst schon mußte die französische Regierung von den geheimen Umtrieben Marokko's unterrichtet seyn; sie begnügte sich mit den ausweichenden Antworten und den falschen Protestationen des Gouverneurs von Tanger. Nun wird man genöthigt seyn, gegen Marokko thätlich einzuschreiten. Große Rüstungen werden in Nedroma, einer Gränzstadt Marokko's, gemacht. Abd-El-Kader ist in Tlemsan, wo er seine Cavallerie organisirt.“ (Letztere Angabe ist im Widerspruch mit den Briefen und officiellen Berichten aus Algier, welche die Anwesenheit Abd-El-Kaders in Medeah melden.) Auch die heutige Gazette de France versichert, daß die neuesten Briefe aus Algier die zwischen dem Sultan von Marokko und Abd-El-Kader gegen die Franzosen geschlossene Allianz bestätigen, und fügt bei: „In Folge dieses Ereignisses sind Befehle nach Toulon abgegangen, und der Eclaireur, ein Touloner Blatt vom 18 März versichert, daß alle auf dortiger Rhede befindlichen segelfertigen Kriegsschiffe im Begriff seyen, nach der afrikanischen Küste abzugehen, um jeden Verkehr zwischen den Häfen von Marokko und Algier zu verhindern.“ (Temps.) Zwischen Marschall Soult und Hrn. v. Molé sollen die Unterhandlungen fortdauern. „Verschaffen Sie sich eine Majorität, dann wollen wir ein Ministerium machen“, sagt der Marschall; „machen Sie ein Ministerium, dann werden wir eine Majorität haben“, antwortet Hr. v. Molé. Dieß ist die Parodie zwischen den Emigranten von Koblenz und den Royalisten im innern Frankreich während der Revolution. „Rückt ein und wir wollen umwälzen“, sagten diese; „wälzt um und wir wollen einrücken“, antworteten die Andern. .. Dieß hinderte aber, wie weltbekannt ist, nicht, daß die Ereignisse zur Vollziehung kamen. (Temps.) Die Improvisation, welche Hr. Lamartine für die Discussion der geheimen Fonds verspricht, machte heute den Gegenstand der Unterhaltungen in mehreren politischen Salons aus. Der berühmte Dichter soll, um den Eindruck seiner Rede desto besser zum voraus ermessen zu können, die Hauptstellen der Discretion einiger Freunde anvertraut haben, die natürlich Wunder davon erzählten. (Commerce.) General Jacqueminot ist wieder in Paris eingetroffen. 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Das Journal des Débats erklärt diese Wahl unter den gegenwärtigen Umständen für in mehrfacher Hinsicht merkwürdig, da dadurch der Kammer einer der ausgezeichnetsten und ehrenwerthesten Männer der 221 zurückgegeben, und ein Mitglied der alten Opposition, Hr. Mangin d'Oins, ersetzt werde. _ Paris, 22 März. Unsere politischen Verhältnisse drehen sich dermalen alle um den Gesetzesentwurf über die geheimen Fonds, nicht als ob eine oder die andere der Parteien, in welche die Deputirtenkammer sich theilt, die Nothwendigkeit für die Regierung bestritte, geheime Fonds zur Verfügung zu haben – es fragt sich nur, welche Partei, oder vielmehr, welches Ministerium, dieselben erhalten solle; mit andern Worten, ob die Kammer dem jetzigen Ministerium die geheimen Fonds zugestehen will, oder ob sie durch Verwerfung des Gesetzesentwurfes dieses Ministerium stürzen, und so zur Bildung eines andern Veranlassung geben wolle, dem sie dann die geheimen Fonds bewilligen würde. Folgendes ist der Stand der verschiedenen Parteien. Das Ministerium Thiers hat fast nur das linke Centrum für sich; die sogenannte dynastische Linke oder Partei Barrot hat ihm, seit seiner Geburt, auch ihre Hülfe zugesagt, jedoch nur unter der Bedingung eines näheren Verbandes mit ihr, eine Bedingung, die Hr. Thiers zu erfüllen immer gezögert hat. Die äußerste Linke, ebenso die Legitimisten, sprechen öffentlich gegen alle geheime Fonds, dem Scheine nach aus Grundsätzen der Moral, in der Wirklichkeit aber um durch ein verwerfendes Votum jedes Ministerium zu stürzen. Diejenigen Mitglieder der ehemaligen 221, die noch zusammen halten (und das thut über diese Frage der größere Theil derselben), hatten in den letzten Tagen mehrere Versammlungen: anfänglich sprachen sie sich alle zum Vortheil des Entwurfs und somit des Ministeriums aus, seit einigen Tagen hat sich aber deren Stimmung geändert; in den letzten Versammlungen waren die Ansichten getheilt, einige wollten nur einen Theil der begehrten Summe bewilligen, als Zeichen des nicht vollkommenen Vertrauens; andere Alles, andere sprachen von der Verwerfung des Entwurfs. Letztere behaupten, ein neues Ministerium in Bereitschaft zu haben, dessen vorzüglichste Mitglieder die HH. Soult (Präsident und Kriegsminister), Molé (auswärtige Angelegenheiten), Duchatel, Teste und Lacave-Laplagne seyn würden. In diesem Sinne sprechen sich unverhohlen insbesondere alle diejenigen 221 aus, die auf irgend eine Weise vom Hofe abhängen; und aus diesem Umstande schließen die übrigen Parteien, eine hohe Person suche den Hrn. Thiers wieder vom Ministerium zu entfernen. Der Commissionsbericht des Hrn. Berville (von der Partei Barrot) hat die 221 nicht günstig für die Annahme des Entwurfs gestimmt, indem sie aus verschiedenen Ausdrücken desselben auf eine inn gere

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Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 88. Augsburg, 28. März 1840, S. 0699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_088_18400328/3>, abgerufen am 03.12.2024.