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Allgemeine Zeitung. Nr. 89. Augsburg, 29. März 1840.

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das religiöse Motiv einen besonders determinirenden Einfluß ausübt. Sie bilden in der Kammer die Mehrzahl. Doch ist diese so wenig überwiegend, daß sie in einzelnen Fällen nur auf einen Vortheil von wenigen Stimmen reduzirt war; die Rubrik der Liberalen begreift solche in sich, die theils gleichgültig in Religionssachen, theils mehr oder weniger dem Katholicismus abgeneigt sind, eine Abneigung, welche sich bei Einzelnen bis zu einer blinden, Voltairischen Feindschaft steigert, die selbst Tumulte und rohes pöbelhaftes Eingreifen in die freie Ausübung des katholischen Gottesdienstes nicht verschmäht, wie dieß Beispiele bewiesen haben. Zwischen beiden Abtheilungen in der Mitte, doch mehr zu den Liberalen hinneigend, stehen einige Glieder, die man gewöhnlich mit dem Namen Doctrinärs bezeichnet. Diese Hauptrubriken zerfallen aber nun wieder in Unterabtheilungen. Katholiken und Liberale haben ihre Extreme und ihre gemäßigte Mitte. Die Extreme bestehen auf beiden Seiten nur in wenigen Gliedern, was indessen schon in einer Kammer von nur 98 Gliedern, je nach den Gegenständen der Abstimmung, manche Schwierigkeiten und Diversionen herbeiführt. Das Eigenthümliche beider Extreme ist eine Vorliebe zur Schwächung der Centralgewalt und zur Vermehrung des parlamentarischen Uebergewichts, so wie der Competenz der Provincial- und Communalcollegien. Die extremen Katholiken erinnern in dieser Hinsicht an die demokratisirenden Tendenzen des alten Flanderns, auch haben früher Lamennais' Schriften auf sie eingewirkt; die extremen Liberalen sind ein Plagiat der französischen äußersten Linken, so wie überhaupt der belgische Liberalismus französischen Ursprungs ist, und dort gerne seine Vorbilder holt. Im Ganzen herrscht unter den Liberalen wenig Uebereinstimmung der Ansichten, diese findet sich nur bei der größern Zahl der Katholiken. Aus diesen Andeutungen geht zur Genüge hervor, daß ein Ministerium, um Bestand zu haben, sich zunächst auf die Katholiken stützen muß; namentlich darf der Minister des Innern, der mehr als seine Collegen mit Allem, was sich auf Kirchen- und Schulwesen bezieht, in Berührung kommt, den Katholiken kein Mißtrauen in seine innersten Gesinnungen einflößen. Sodann muß das Ministerium hinlänglich mit den gemäßigten Liberalen befreundet seyn, um in allen Fällen, wo es in Beziehung auf Fragen innerer Organisation die königliche Gewalt gegen die decentralisirenden Bestrebungen der beiden Extreme zu schützen hat, und ihm mithin die Stütze eines Theils der Katholiken abgeht, auf den Beistand eines Theils der Liberalen rechnen zu können. Diese Bedingungen erfüllte das bisherige Ministerium. Hr. de Theux, der seit 1834 Minister des Innern war, und nur vorübergehend hiemit das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten verband, war im Besitze des Vertrauens der Katholiken, doch suchte er in Leitung der Angelegenheiten eine Mäßigung und Mitte inne zu halten, die ihm von den Eifrigeren oft zum Vorwurfe gerechnet wurde. Während die liberale Presse ihn das blinde Werkzeug des Episkopats schalt, hörte man die Bischöfe sich wohl darüber beschweren, daß sie weniger von ihm zu erlangen sicher wären, als vor ihm von dem liberalen Minister des Innern, Hrn. Ch. Rogier. Was ihn besonders charakterisirt, ist eine unantastbare Ruhe und Rechtlichkeit der Gesinnung, die sprüchwörtlich geworden ist. Schon im Jahr 1832 war er Minister des Innern; nachdem er dann achtzehn Monate lang von dem Ministerium entfernt gewesen, trat er urz nachher, als unter dem Lebeau'schen Ministerium im April 1834 sich die Plünderungs- und Verwüstungsscenen in Brüssel, zum Schrecken aller Bürger, erneuert hatten, wieder an die Spitze der Geschäfte. Mit diesem zweiten de Theux'schen Ministerium begann eine größere Harmonie zwischen Kammern und Ministerium, und ein festerer Gang der innern Angelegenheiten. Unter ihm kam die neue Provincial- und Communalordnung zu Stande; die Organisation des höhern Unterrichts war sein Werk; mehrere andere Gesetze von Bedeutung begründeten und befestigten die innere Ordnung, und das Gesetz über den mittlern und niedern Unterricht sollte im Laufe der gegenwärtigen Session debattirt werden. Als die Speculationswuth durch Actienvereine sich aller Köpfe bemächtigt hatte, suchte Hr. de Theux soviel wie möglich dem Unwesen Gränzen zu setzen; und nur er konnte auch den Muth haben, im vorigen Jahr die Annahme des Friedensvertrags in Vorschlag zu bringen, und diesen ungeheuern parlamentarischen Sturm mit derselben Ruhe und Gelassenheit zu bestehen, die er in allen Dingen an den Tag legt. Seitdem wirkte er im auswärtigen Departement thätig zur Anknüpfung freundschaftlicher Verbindungen mit allen Ländern. Gleiches Sinnes mit ihm war der Justizminister Hr. Raikem, der sein Portefeuille übernommen, nachdem Hr. Ernst, sein Vorgänger, sich geweigert, mit seinen Collegen die Annahme des Friedensvertrags vorzuschlagen. Auch Hr. Desmaizieres, der Finanzminister, gehörte der katholischen Nuance an. Dagegen gereichten der Kriegsminister Wilmar und der Minister der öffentlichen Arbeiten, Nothomb, den gemäßigten Liberalen zur Versicherung, daß auch ihre Ansichten im Cabinette vertreten waren, und besonders verdient hier der letztere als einer der fähigsten Köpfe der Versammlung ausgezeichnet zu werden. Er hat den Arbeiten seines Departements, namentlich dem Bau der Eisenbahn, und Allem, was sich auf Bergbau bezieht, einen kräftigen Impuls gegeben, und so sehr beunruhigt das Gerücht von seinem Austritte die dabei zunächst Interessirten, daß man im Hennegau Bittschriften an den König vorbereitet, um seine Beibehaltung zu erwirken. Seine Fähigkeit als Publicist hat Hr. Nothomb durch sein Werk über die belgische Revolution und durch seine Reden während der vorigjährigen Debatten über den Friedenstractat bewiesen. Will man nun ein solches Ministerium durch ein anderes ersetzen, so wäre es fast nöthig, die Doubletten zu diesen Männern in der Kammer aufzufinden, was an sich nicht möglich ist, und immer schon den Nachtheil hätte, der von jedem totalen Wechsel der Personen unzertrennlich ist. Dagegen dürfte eine partielle Erneuerung um so mehr zum Ziele führen, als ohnehin eine solche durch die Umstände geboten war. Es war nämlich schon früher beschlossen, daß Hr. de Theux das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten an einen neu zu ernennenden Minister abgeben würde. Hr. Wilmar war ebenfalls schon zu Anfang der Session entschlossen, das Kriegsministerium, sobald sein Budget discutirt worden, zu verlassen, und der Justizminister Raikem sehnte sich, wegen persönlicher Verhältnisse, nach Ruhe. Hier wäre also Gelegenheit genug, in der Kammer unter den tüchtigeren Gliedern diejenigen auszuwählen, die dem Ministerium neue Festigkeit zu geben geeignet wären. Dabei denkt man nun zunächst an die sogenannten Doctrinärs; diese haben aber seit einiger Zeit eine Stellung angenommen, welche eine Verträglichkeit mit dem katholischen Elemente des jetzigen Ministeriums unmöglich macht, und sie überhaupt von den Katholiken entfernt. Es ist dieß ein besonderes Moment in der jetzigen Krisis, das ebenfalls an eine verwandte Erscheinung in Frankreich erinnert.

das religiöse Motiv einen besonders determinirenden Einfluß ausübt. Sie bilden in der Kammer die Mehrzahl. Doch ist diese so wenig überwiegend, daß sie in einzelnen Fällen nur auf einen Vortheil von wenigen Stimmen reduzirt war; die Rubrik der Liberalen begreift solche in sich, die theils gleichgültig in Religionssachen, theils mehr oder weniger dem Katholicismus abgeneigt sind, eine Abneigung, welche sich bei Einzelnen bis zu einer blinden, Voltairischen Feindschaft steigert, die selbst Tumulte und rohes pöbelhaftes Eingreifen in die freie Ausübung des katholischen Gottesdienstes nicht verschmäht, wie dieß Beispiele bewiesen haben. Zwischen beiden Abtheilungen in der Mitte, doch mehr zu den Liberalen hinneigend, stehen einige Glieder, die man gewöhnlich mit dem Namen Doctrinärs bezeichnet. Diese Hauptrubriken zerfallen aber nun wieder in Unterabtheilungen. Katholiken und Liberale haben ihre Extreme und ihre gemäßigte Mitte. Die Extreme bestehen auf beiden Seiten nur in wenigen Gliedern, was indessen schon in einer Kammer von nur 98 Gliedern, je nach den Gegenständen der Abstimmung, manche Schwierigkeiten und Diversionen herbeiführt. Das Eigenthümliche beider Extreme ist eine Vorliebe zur Schwächung der Centralgewalt und zur Vermehrung des parlamentarischen Uebergewichts, so wie der Competenz der Provincial- und Communalcollegien. Die extremen Katholiken erinnern in dieser Hinsicht an die demokratisirenden Tendenzen des alten Flanderns, auch haben früher Lamennais' Schriften auf sie eingewirkt; die extremen Liberalen sind ein Plagiat der französischen äußersten Linken, so wie überhaupt der belgische Liberalismus französischen Ursprungs ist, und dort gerne seine Vorbilder holt. Im Ganzen herrscht unter den Liberalen wenig Uebereinstimmung der Ansichten, diese findet sich nur bei der größern Zahl der Katholiken. Aus diesen Andeutungen geht zur Genüge hervor, daß ein Ministerium, um Bestand zu haben, sich zunächst auf die Katholiken stützen muß; namentlich darf der Minister des Innern, der mehr als seine Collegen mit Allem, was sich auf Kirchen- und Schulwesen bezieht, in Berührung kommt, den Katholiken kein Mißtrauen in seine innersten Gesinnungen einflößen. Sodann muß das Ministerium hinlänglich mit den gemäßigten Liberalen befreundet seyn, um in allen Fällen, wo es in Beziehung auf Fragen innerer Organisation die königliche Gewalt gegen die decentralisirenden Bestrebungen der beiden Extreme zu schützen hat, und ihm mithin die Stütze eines Theils der Katholiken abgeht, auf den Beistand eines Theils der Liberalen rechnen zu können. Diese Bedingungen erfüllte das bisherige Ministerium. Hr. de Theux, der seit 1834 Minister des Innern war, und nur vorübergehend hiemit das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten verband, war im Besitze des Vertrauens der Katholiken, doch suchte er in Leitung der Angelegenheiten eine Mäßigung und Mitte inne zu halten, die ihm von den Eifrigeren oft zum Vorwurfe gerechnet wurde. Während die liberale Presse ihn das blinde Werkzeug des Episkopats schalt, hörte man die Bischöfe sich wohl darüber beschweren, daß sie weniger von ihm zu erlangen sicher wären, als vor ihm von dem liberalen Minister des Innern, Hrn. Ch. Rogier. Was ihn besonders charakterisirt, ist eine unantastbare Ruhe und Rechtlichkeit der Gesinnung, die sprüchwörtlich geworden ist. Schon im Jahr 1832 war er Minister des Innern; nachdem er dann achtzehn Monate lang von dem Ministerium entfernt gewesen, trat er urz nachher, als unter dem Lebeau'schen Ministerium im April 1834 sich die Plünderungs- und Verwüstungsscenen in Brüssel, zum Schrecken aller Bürger, erneuert hatten, wieder an die Spitze der Geschäfte. Mit diesem zweiten de Theux'schen Ministerium begann eine größere Harmonie zwischen Kammern und Ministerium, und ein festerer Gang der innern Angelegenheiten. Unter ihm kam die neue Provincial- und Communalordnung zu Stande; die Organisation des höhern Unterrichts war sein Werk; mehrere andere Gesetze von Bedeutung begründeten und befestigten die innere Ordnung, und das Gesetz über den mittlern und niedern Unterricht sollte im Laufe der gegenwärtigen Session debattirt werden. Als die Speculationswuth durch Actienvereine sich aller Köpfe bemächtigt hatte, suchte Hr. de Theux soviel wie möglich dem Unwesen Gränzen zu setzen; und nur er konnte auch den Muth haben, im vorigen Jahr die Annahme des Friedensvertrags in Vorschlag zu bringen, und diesen ungeheuern parlamentarischen Sturm mit derselben Ruhe und Gelassenheit zu bestehen, die er in allen Dingen an den Tag legt. Seitdem wirkte er im auswärtigen Departement thätig zur Anknüpfung freundschaftlicher Verbindungen mit allen Ländern. Gleiches Sinnes mit ihm war der Justizminister Hr. Raikem, der sein Portefeuille übernommen, nachdem Hr. Ernst, sein Vorgänger, sich geweigert, mit seinen Collegen die Annahme des Friedensvertrags vorzuschlagen. Auch Hr. Desmaizières, der Finanzminister, gehörte der katholischen Nuance an. Dagegen gereichten der Kriegsminister Wilmar und der Minister der öffentlichen Arbeiten, Nothomb, den gemäßigten Liberalen zur Versicherung, daß auch ihre Ansichten im Cabinette vertreten waren, und besonders verdient hier der letztere als einer der fähigsten Köpfe der Versammlung ausgezeichnet zu werden. Er hat den Arbeiten seines Departements, namentlich dem Bau der Eisenbahn, und Allem, was sich auf Bergbau bezieht, einen kräftigen Impuls gegeben, und so sehr beunruhigt das Gerücht von seinem Austritte die dabei zunächst Interessirten, daß man im Hennegau Bittschriften an den König vorbereitet, um seine Beibehaltung zu erwirken. Seine Fähigkeit als Publicist hat Hr. Nothomb durch sein Werk über die belgische Revolution und durch seine Reden während der vorigjährigen Debatten über den Friedenstractat bewiesen. Will man nun ein solches Ministerium durch ein anderes ersetzen, so wäre es fast nöthig, die Doubletten zu diesen Männern in der Kammer aufzufinden, was an sich nicht möglich ist, und immer schon den Nachtheil hätte, der von jedem totalen Wechsel der Personen unzertrennlich ist. Dagegen dürfte eine partielle Erneuerung um so mehr zum Ziele führen, als ohnehin eine solche durch die Umstände geboten war. Es war nämlich schon früher beschlossen, daß Hr. de Theux das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten an einen neu zu ernennenden Minister abgeben würde. Hr. Wilmar war ebenfalls schon zu Anfang der Session entschlossen, das Kriegsministerium, sobald sein Budget discutirt worden, zu verlassen, und der Justizminister Raikem sehnte sich, wegen persönlicher Verhältnisse, nach Ruhe. Hier wäre also Gelegenheit genug, in der Kammer unter den tüchtigeren Gliedern diejenigen auszuwählen, die dem Ministerium neue Festigkeit zu geben geeignet wären. Dabei denkt man nun zunächst an die sogenannten Doctrinärs; diese haben aber seit einiger Zeit eine Stellung angenommen, welche eine Verträglichkeit mit dem katholischen Elemente des jetzigen Ministeriums unmöglich macht, und sie überhaupt von den Katholiken entfernt. Es ist dieß ein besonderes Moment in der jetzigen Krisis, das ebenfalls an eine verwandte Erscheinung in Frankreich erinnert.

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das religiöse Motiv einen besonders determinirenden Einfluß ausübt. Sie bilden in der Kammer die Mehrzahl. Doch ist diese so wenig überwiegend, daß sie in einzelnen Fällen nur auf einen Vortheil von wenigen Stimmen reduzirt war; die Rubrik der Liberalen begreift solche in sich, die theils gleichgültig in Religionssachen, theils mehr oder weniger dem Katholicismus abgeneigt sind, eine Abneigung, welche sich bei Einzelnen bis zu einer blinden, Voltairischen Feindschaft steigert, die selbst Tumulte und rohes pöbelhaftes Eingreifen in die freie Ausübung des katholischen Gottesdienstes nicht verschmäht, wie dieß Beispiele bewiesen haben. Zwischen beiden Abtheilungen in der Mitte, doch mehr zu den Liberalen hinneigend, stehen einige Glieder, die man gewöhnlich mit dem Namen Doctrinärs bezeichnet. Diese Hauptrubriken zerfallen aber nun wieder in Unterabtheilungen. Katholiken und Liberale haben ihre Extreme und ihre gemäßigte Mitte. Die Extreme bestehen auf beiden Seiten nur in wenigen Gliedern, was indessen schon in einer Kammer von nur 98 Gliedern, je nach den Gegenständen der Abstimmung, manche Schwierigkeiten und Diversionen herbeiführt. Das Eigenthümliche beider Extreme ist eine Vorliebe zur Schwächung der Centralgewalt und zur Vermehrung des parlamentarischen Uebergewichts, so wie der Competenz der Provincial- und Communalcollegien. Die extremen Katholiken erinnern in dieser Hinsicht an die demokratisirenden Tendenzen des alten Flanderns, auch haben früher Lamennais' Schriften auf sie eingewirkt; die extremen Liberalen sind ein Plagiat der französischen äußersten Linken, so wie überhaupt der belgische Liberalismus französischen Ursprungs ist, und dort gerne seine Vorbilder holt. Im Ganzen herrscht unter den Liberalen wenig Uebereinstimmung der Ansichten, diese findet sich nur bei der größern Zahl der Katholiken. Aus diesen Andeutungen geht zur Genüge hervor, daß ein Ministerium, um Bestand zu haben, sich zunächst auf die Katholiken stützen muß; namentlich darf der Minister des Innern, der mehr als seine Collegen mit Allem, was sich auf Kirchen- und Schulwesen bezieht, in Berührung kommt, den Katholiken kein Mißtrauen in seine innersten Gesinnungen einflößen. Sodann muß das Ministerium hinlänglich mit den gemäßigten Liberalen befreundet seyn, um in allen Fällen, wo es in Beziehung auf Fragen innerer Organisation die königliche Gewalt gegen die decentralisirenden Bestrebungen der beiden Extreme zu schützen hat, und ihm mithin die Stütze eines Theils der Katholiken abgeht, auf den Beistand eines Theils der Liberalen rechnen zu können. Diese Bedingungen erfüllte das bisherige Ministerium. Hr. de Theux, der seit 1834 Minister des Innern war, und nur vorübergehend hiemit das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten verband, war im Besitze des Vertrauens der Katholiken, doch suchte er in Leitung der Angelegenheiten eine Mäßigung und Mitte inne zu halten, die ihm von den Eifrigeren oft zum Vorwurfe gerechnet wurde. Während die liberale Presse ihn das blinde Werkzeug des Episkopats schalt, hörte man die Bischöfe sich wohl darüber beschweren, daß sie weniger von ihm zu erlangen sicher wären, als vor ihm von dem liberalen Minister des Innern, Hrn. Ch. Rogier. Was ihn besonders charakterisirt, ist eine unantastbare Ruhe und Rechtlichkeit der Gesinnung, die sprüchwörtlich geworden ist. Schon im Jahr 1832 war er Minister des Innern; nachdem er dann achtzehn Monate lang von dem Ministerium entfernt gewesen, trat er urz nachher, als unter dem Lebeau'schen Ministerium im April 1834 sich die Plünderungs- und Verwüstungsscenen in Brüssel, zum Schrecken aller Bürger, erneuert hatten, wieder an die Spitze der Geschäfte. Mit diesem zweiten de Theux'schen Ministerium begann eine größere Harmonie zwischen Kammern und Ministerium, und ein festerer Gang der innern Angelegenheiten. Unter ihm kam die neue Provincial- und Communalordnung zu Stande; die Organisation des höhern Unterrichts war sein Werk; mehrere andere Gesetze von Bedeutung begründeten und befestigten die innere Ordnung, und das Gesetz über den mittlern und niedern Unterricht sollte im Laufe der gegenwärtigen Session debattirt werden. Als die Speculationswuth durch Actienvereine sich aller Köpfe bemächtigt hatte, suchte Hr. de Theux soviel wie möglich dem Unwesen Gränzen zu setzen; und nur er konnte auch den Muth haben, im vorigen Jahr die Annahme des Friedensvertrags in Vorschlag zu bringen, und diesen ungeheuern parlamentarischen Sturm mit derselben Ruhe und Gelassenheit zu bestehen, die er in allen Dingen an den Tag legt. Seitdem wirkte er im auswärtigen Departement thätig zur Anknüpfung freundschaftlicher Verbindungen mit allen Ländern. Gleiches Sinnes mit ihm war der Justizminister Hr. Raikem, der sein Portefeuille übernommen, nachdem Hr. Ernst, sein Vorgänger, sich geweigert, mit seinen Collegen die Annahme des Friedensvertrags vorzuschlagen. Auch Hr. Desmaizières, der Finanzminister, gehörte der katholischen Nuance an. Dagegen gereichten der Kriegsminister Wilmar und der Minister der öffentlichen Arbeiten, Nothomb, den gemäßigten Liberalen zur Versicherung, daß auch ihre Ansichten im Cabinette vertreten waren, und besonders verdient hier der letztere als einer der fähigsten Köpfe der Versammlung ausgezeichnet zu werden. Er hat den Arbeiten seines Departements, namentlich dem Bau der Eisenbahn, und Allem, was sich auf Bergbau bezieht, einen kräftigen Impuls gegeben, und so sehr beunruhigt das Gerücht von seinem Austritte die dabei zunächst Interessirten, daß man im Hennegau Bittschriften an den König vorbereitet, um seine Beibehaltung zu erwirken. Seine Fähigkeit als Publicist hat Hr. Nothomb durch sein Werk über die belgische Revolution und durch seine Reden während der vorigjährigen Debatten über den Friedenstractat bewiesen. Will man nun ein solches Ministerium durch ein anderes ersetzen, so wäre es fast nöthig, die Doubletten zu diesen Männern in der Kammer aufzufinden, was an sich nicht möglich ist, und immer schon den Nachtheil hätte, der von jedem totalen Wechsel der Personen unzertrennlich ist. Dagegen dürfte eine partielle Erneuerung um so mehr zum Ziele führen, als ohnehin eine solche durch die Umstände geboten war. Es war nämlich schon früher beschlossen, daß Hr. de Theux das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten an einen neu zu ernennenden Minister abgeben würde. Hr. Wilmar war ebenfalls schon zu Anfang der Session entschlossen, das Kriegsministerium, sobald sein Budget discutirt worden, zu verlassen, und der Justizminister Raikem sehnte sich, wegen persönlicher Verhältnisse, nach Ruhe. Hier wäre also Gelegenheit genug, in der Kammer unter den tüchtigeren Gliedern diejenigen auszuwählen, die dem Ministerium neue Festigkeit zu geben geeignet wären. Dabei denkt man nun zunächst an die sogenannten Doctrinärs; diese haben aber seit einiger Zeit eine Stellung angenommen, welche eine Verträglichkeit mit dem katholischen Elemente des jetzigen Ministeriums unmöglich macht, und sie überhaupt von den Katholiken entfernt. Es ist dieß ein besonderes Moment in der jetzigen Krisis, das ebenfalls an eine verwandte Erscheinung in Frankreich erinnert.</p>
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[0708/0012] das religiöse Motiv einen besonders determinirenden Einfluß ausübt. Sie bilden in der Kammer die Mehrzahl. Doch ist diese so wenig überwiegend, daß sie in einzelnen Fällen nur auf einen Vortheil von wenigen Stimmen reduzirt war; die Rubrik der Liberalen begreift solche in sich, die theils gleichgültig in Religionssachen, theils mehr oder weniger dem Katholicismus abgeneigt sind, eine Abneigung, welche sich bei Einzelnen bis zu einer blinden, Voltairischen Feindschaft steigert, die selbst Tumulte und rohes pöbelhaftes Eingreifen in die freie Ausübung des katholischen Gottesdienstes nicht verschmäht, wie dieß Beispiele bewiesen haben. Zwischen beiden Abtheilungen in der Mitte, doch mehr zu den Liberalen hinneigend, stehen einige Glieder, die man gewöhnlich mit dem Namen Doctrinärs bezeichnet. Diese Hauptrubriken zerfallen aber nun wieder in Unterabtheilungen. Katholiken und Liberale haben ihre Extreme und ihre gemäßigte Mitte. Die Extreme bestehen auf beiden Seiten nur in wenigen Gliedern, was indessen schon in einer Kammer von nur 98 Gliedern, je nach den Gegenständen der Abstimmung, manche Schwierigkeiten und Diversionen herbeiführt. Das Eigenthümliche beider Extreme ist eine Vorliebe zur Schwächung der Centralgewalt und zur Vermehrung des parlamentarischen Uebergewichts, so wie der Competenz der Provincial- und Communalcollegien. Die extremen Katholiken erinnern in dieser Hinsicht an die demokratisirenden Tendenzen des alten Flanderns, auch haben früher Lamennais' Schriften auf sie eingewirkt; die extremen Liberalen sind ein Plagiat der französischen äußersten Linken, so wie überhaupt der belgische Liberalismus französischen Ursprungs ist, und dort gerne seine Vorbilder holt. Im Ganzen herrscht unter den Liberalen wenig Uebereinstimmung der Ansichten, diese findet sich nur bei der größern Zahl der Katholiken. Aus diesen Andeutungen geht zur Genüge hervor, daß ein Ministerium, um Bestand zu haben, sich zunächst auf die Katholiken stützen muß; namentlich darf der Minister des Innern, der mehr als seine Collegen mit Allem, was sich auf Kirchen- und Schulwesen bezieht, in Berührung kommt, den Katholiken kein Mißtrauen in seine innersten Gesinnungen einflößen. Sodann muß das Ministerium hinlänglich mit den gemäßigten Liberalen befreundet seyn, um in allen Fällen, wo es in Beziehung auf Fragen innerer Organisation die königliche Gewalt gegen die decentralisirenden Bestrebungen der beiden Extreme zu schützen hat, und ihm mithin die Stütze eines Theils der Katholiken abgeht, auf den Beistand eines Theils der Liberalen rechnen zu können. Diese Bedingungen erfüllte das bisherige Ministerium. Hr. de Theux, der seit 1834 Minister des Innern war, und nur vorübergehend hiemit das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten verband, war im Besitze des Vertrauens der Katholiken, doch suchte er in Leitung der Angelegenheiten eine Mäßigung und Mitte inne zu halten, die ihm von den Eifrigeren oft zum Vorwurfe gerechnet wurde. Während die liberale Presse ihn das blinde Werkzeug des Episkopats schalt, hörte man die Bischöfe sich wohl darüber beschweren, daß sie weniger von ihm zu erlangen sicher wären, als vor ihm von dem liberalen Minister des Innern, Hrn. Ch. Rogier. Was ihn besonders charakterisirt, ist eine unantastbare Ruhe und Rechtlichkeit der Gesinnung, die sprüchwörtlich geworden ist. Schon im Jahr 1832 war er Minister des Innern; nachdem er dann achtzehn Monate lang von dem Ministerium entfernt gewesen, trat er urz nachher, als unter dem Lebeau'schen Ministerium im April 1834 sich die Plünderungs- und Verwüstungsscenen in Brüssel, zum Schrecken aller Bürger, erneuert hatten, wieder an die Spitze der Geschäfte. Mit diesem zweiten de Theux'schen Ministerium begann eine größere Harmonie zwischen Kammern und Ministerium, und ein festerer Gang der innern Angelegenheiten. Unter ihm kam die neue Provincial- und Communalordnung zu Stande; die Organisation des höhern Unterrichts war sein Werk; mehrere andere Gesetze von Bedeutung begründeten und befestigten die innere Ordnung, und das Gesetz über den mittlern und niedern Unterricht sollte im Laufe der gegenwärtigen Session debattirt werden. Als die Speculationswuth durch Actienvereine sich aller Köpfe bemächtigt hatte, suchte Hr. de Theux soviel wie möglich dem Unwesen Gränzen zu setzen; und nur er konnte auch den Muth haben, im vorigen Jahr die Annahme des Friedensvertrags in Vorschlag zu bringen, und diesen ungeheuern parlamentarischen Sturm mit derselben Ruhe und Gelassenheit zu bestehen, die er in allen Dingen an den Tag legt. Seitdem wirkte er im auswärtigen Departement thätig zur Anknüpfung freundschaftlicher Verbindungen mit allen Ländern. Gleiches Sinnes mit ihm war der Justizminister Hr. Raikem, der sein Portefeuille übernommen, nachdem Hr. Ernst, sein Vorgänger, sich geweigert, mit seinen Collegen die Annahme des Friedensvertrags vorzuschlagen. Auch Hr. Desmaizières, der Finanzminister, gehörte der katholischen Nuance an. Dagegen gereichten der Kriegsminister Wilmar und der Minister der öffentlichen Arbeiten, Nothomb, den gemäßigten Liberalen zur Versicherung, daß auch ihre Ansichten im Cabinette vertreten waren, und besonders verdient hier der letztere als einer der fähigsten Köpfe der Versammlung ausgezeichnet zu werden. Er hat den Arbeiten seines Departements, namentlich dem Bau der Eisenbahn, und Allem, was sich auf Bergbau bezieht, einen kräftigen Impuls gegeben, und so sehr beunruhigt das Gerücht von seinem Austritte die dabei zunächst Interessirten, daß man im Hennegau Bittschriften an den König vorbereitet, um seine Beibehaltung zu erwirken. Seine Fähigkeit als Publicist hat Hr. Nothomb durch sein Werk über die belgische Revolution und durch seine Reden während der vorigjährigen Debatten über den Friedenstractat bewiesen. Will man nun ein solches Ministerium durch ein anderes ersetzen, so wäre es fast nöthig, die Doubletten zu diesen Männern in der Kammer aufzufinden, was an sich nicht möglich ist, und immer schon den Nachtheil hätte, der von jedem totalen Wechsel der Personen unzertrennlich ist. Dagegen dürfte eine partielle Erneuerung um so mehr zum Ziele führen, als ohnehin eine solche durch die Umstände geboten war. Es war nämlich schon früher beschlossen, daß Hr. de Theux das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten an einen neu zu ernennenden Minister abgeben würde. Hr. Wilmar war ebenfalls schon zu Anfang der Session entschlossen, das Kriegsministerium, sobald sein Budget discutirt worden, zu verlassen, und der Justizminister Raikem sehnte sich, wegen persönlicher Verhältnisse, nach Ruhe. Hier wäre also Gelegenheit genug, in der Kammer unter den tüchtigeren Gliedern diejenigen auszuwählen, die dem Ministerium neue Festigkeit zu geben geeignet wären. Dabei denkt man nun zunächst an die sogenannten Doctrinärs; diese haben aber seit einiger Zeit eine Stellung angenommen, welche eine Verträglichkeit mit dem katholischen Elemente des jetzigen Ministeriums unmöglich macht, und sie überhaupt von den Katholiken entfernt. Es ist dieß ein besonderes Moment in der jetzigen Krisis, das ebenfalls an eine verwandte Erscheinung in Frankreich erinnert.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 89. Augsburg, 29. März 1840, S. 0708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_089_18400329/12>, abgerufen am 21.11.2024.