Allgemeine Zeitung. Nr. 90. Augsburg, 30. März 1840.zu Peking, ist nicht im Stande, sich selbst zu vertheidigen gegen die mit geläufiger Zunge ausgestoßenen Verleumdungen der rothaarigen Barbaren des großen westlichen Oceans, und wir werden deßhalb jetzt, wie in der Zukunft, aus Nächstenliebe ihm zu Hülfe eilen und seinen Anwalt machen. Es ist die Pflicht der Zeitgenossen, die denkwürdigen Ereignisse, welche den welthistorischen Kampf zwischen den Engländern und Chinesen herbeigeführt haben, für die kommenden Geschlechter ruhig und unparteiisch darzustellen. (Ein zweiter Artikel folgt.) Preußen. Berlin, 18 März. Ein Würzburger Blatt enthielt kürzlich einen Artikel aus Berlin vom 27 v. M., worin ein Haupterklärungsgrund der Verstimmung in der Provinz Posen in der Art und Weise gefunden wird, wie der preußische Beamtenstand sich den höheren Classen der Gesellschaft gegenüber gestellt habe. Es wird demselben Starrheit, Schroffheit der Formen, übertriebene Strenge, Kastengeist, Mangel an Schmiegsamkeit, an Anerkennung fremder Persönlichkeiten unter Ausdrücken vorgeworfen, die zwar dieses Alles nicht geradezu bezeichnen, aber darüber, daß es so gemeint sey, doch auch keinen Zweifel lassen. Die preußische Beamten-Hierarchie oder Aristokratie ist eine so stereotype Figur in der moderne Rede, und nachdem ihr Vorhandenseyn von allen Tagesschriftstellern versichert worden, so unzweifelhaft anerkannt, daß der Versuch, ihr die Wirren der Zeit zur Last zu legen, viel Anklang finden kann, und ganz guten Erfolg verspricht. Aber es lohnt doch wohl der Mühe zu erforschen, wodurch sich denn der preußische Beamtenstand von dem der andern Länder unterscheide? Etwa durch größere Sicherheit seiner Stellung? Die Rechte der Staatsdiener auf Beibehaltung der Function, des Ranges, der Besoldung, auf Ruhegehalt, auf Unterstützung der Wittwen und der Kinder sind in allen constitutionellen Staaten durch pragmatische Gesetze weit besser begründet und besser geschützt, als in Preußen, wo fast gänzliche Abhängigkeit von dem Staatsoberhaupt allgemeiner Grundsatz ist, wo Berufung auf rechtliches Gehör nur ausnahmsweise, nie über Pensionirung, und das Quantum der Pension verstattet ist, und wo die Fürsorge des Staats für die Hinterbliebenen, soweit der Beamte nicht aus eigenen Mitteln ihre Zukunft sichern konnte, zu den Gnadensachen gehört. Oder wäre es etwa die Gewalt, die in die Hand des preußischen Beamten gelegt ist, und der die Furcht, ihm entgegenzutreten, entspricht? Aber nirgends besteht mehr bürgerliche Freiheit, wenn man diese Bezeichnung auf den Begriff von Unabhängigkeit von obrigkeitlichem Einfluß in einer Menge von Beziehungen anwenden will. Der preußische Unterthan ist durchaus unbeschränkt in der Wahl seines Lebensberufs, in dem Gewerbebetrieb, in der Niederlassung und in der Gründung einer Familie. Die hieraus sich entwickelnden Verhältnisse sind es aber vorzüglich, welche anderwärts die obrigkeitliche Einmischung in das Privatleben am meisten veranlassen, und am drückendsten machen. Der preußische Unterthan kommt also viel seltener in nothwendige Berührung mit dem Beamten, als die Unterthanen anderer Staaten - viel seltener also in den Fall zu gehorchen, und der Beamte viel seltener in die Lage, zu befehlen. Das allein beweist hinlänglich, daß der Einfluß des Beamtenstandes auf das Geschick der Einzelnen in diesem Staate geringer seyn muß, als in anderen. Es tritt aber noch hinzu die scharfe Trennung der Gewalten, die in der Justiz der Verwaltung gegenüber einen eifersüchtigen Wächter gegen alle Uebergriffe der administrativen Thätigkeit constituirt - das strenge Disciplinar-Verhältniß in jeder Branche, und die Leichtigkeit Beschwerden an das Staatsoberhaupt zu bringen, wo man einer sorgfältigen und vorurtheilsfreien Erwägung gewiß seyn kann; endlich die seit einer Reihe von Jahren zur Mode gewordene Verdächtigung der sogenannten Beamten-Aristokratie, eine Verdächtigung, die neben vielem Schlimmen in Tendenz und Resultat gewiß das Gute hat, daß sie die Behörden vorsichtig macht, wodurch freilich die damit verbundenen vielen widrigen Folgen nicht ausgeglichen werden können. Die Unterscheidung des preußischen Staatsdienerstandes von demjenigen in andern Staaten wird man schwerlich in etwas Anderem finden, als in den schweren Pflichten, die ihm auferlegt sind, in der größern Unterordnung gegen Vorgesetzte, und in der größern Bereitwilligkeit gegen das Publicum, die ihm zur Pflicht gemacht ist. Auch zeichnet er sich aus durch eine ehrerbietige Anhänglichkeit an die Verfassung seines Landes, die zwar das freie Urtheil nicht besticht oder aufhebt, aber ihn Bedenken tragen läßt, durch öffentlichen Tadel die Maaßregeln der Staatsverwaltung in Mißcredit zu bringen. Wenn man so wollte, so könnte man in Preußen - wo gar wenige Menschen reich genug sind, um den Cultus der Wissenschaften um seiner selbst willen zu treiben, vielmehr fast alle Gelegenheit zu praktischer Anwendung suchen, und daher im Staatsdienste das Erlernte auch für sich nutzbar zu machen trachten müssen - den Staatsdienerstand eine Aristokratie wissenschaftlicher Ausbildung, oder eine Aristokratie des Talents nennen. Vor andern Aristokratien hat diese wenigstens das voraus, daß sie eine ungeschlossene ist, und der Zutritt Jedem offen steht. Uebrigens paßt diese willkürliche Bezeichnung für alle Staaten, denn überall bedient der Regent sich einer Anzahl von Individuen, die vor andern mit wissenschaftlichen Kenntnissen oder technischen Fertigkeiten ausgerüstet sind, um die Zwecke der Verwaltung zu erreichen. Ueberall also gibt es, wenn man so will, eine Beamten-Aristokratie. Die Bezeichnung ist aber offenbar deßhalb gewählt, um an den Druck anderer Aristokratien zu erinnern, und geht entweder von denjenigen aus, welche, nachdem sie den Rausch des Liberalismus ausgeschlafen, nicht im Staatsdienst alsbald den gedeckten Tisch gefunden, oder von denen, welche es nicht verschmerzen können, daß die Staatsbeamtenstellen, vorzüglich die höheren, nach Aufhebung von Domstiften, Prälaturen und andern Sinecuren nicht als Versorgungsanstalten benutzt werden, und daß sie in den Fall kommen können, Personen Ehrerbietung und Gehorsam zu bezeigen, die nur durch ihre Naturgaben, ihre Ausbildung, und das von dem Staate darum gewährte Vertrauen, Ansprüche darauf erheben können. Das ist auch ein Erklärungsgrund des Widerwillens gegen Wissenschaftlichkeit, der sich in mancher Sphäre in unsern Tagen offenbart. Man redet sich und Andern ein, daß zur Uebung der Staatskunst der gemeine Menschenverstand vollkommen ausreiche, und gibt den Mangel an theoretischer Bildung für praktischen Sinn aus. Gelänge dieses Unternehmen, wozu es mitunter den Anschein hat, so würden auch die Früchte nicht ausbleiben. Freilich würde sich die Corruption der Staatsverwaltung erst in einer Zeit in ihrer erschreckenden Wirksamkeit äußern, wo es zu spät seyn möchte, die verderblichen Folgen abzuwenden; in Zeiten des Friedens erträgt sich Alles, und es reparirt der gesunde Sinn der Bevölkerung im Ganzen gar Vieles, was der Unverstand Einzelner verdirbt. - Ein Blick auf das Capital von vortrefflichen Einrichtungen, welches die sogenannte Beamten-Aristokratie in Preußen vom Jahre 1807 bis zum Jahre 1815 gesammelt hat, und woran die ärmere Gegenwart bereits seit iner Reihe von Jahren zehrt, muß den Wunsch beleben, zu Peking, ist nicht im Stande, sich selbst zu vertheidigen gegen die mit geläufiger Zunge ausgestoßenen Verleumdungen der rothaarigen Barbaren des großen westlichen Oceans, und wir werden deßhalb jetzt, wie in der Zukunft, aus Nächstenliebe ihm zu Hülfe eilen und seinen Anwalt machen. Es ist die Pflicht der Zeitgenossen, die denkwürdigen Ereignisse, welche den welthistorischen Kampf zwischen den Engländern und Chinesen herbeigeführt haben, für die kommenden Geschlechter ruhig und unparteiisch darzustellen. (Ein zweiter Artikel folgt.) Preußen. Berlin, 18 März. Ein Würzburger Blatt enthielt kürzlich einen Artikel aus Berlin vom 27 v. M., worin ein Haupterklärungsgrund der Verstimmung in der Provinz Posen in der Art und Weise gefunden wird, wie der preußische Beamtenstand sich den höheren Classen der Gesellschaft gegenüber gestellt habe. Es wird demselben Starrheit, Schroffheit der Formen, übertriebene Strenge, Kastengeist, Mangel an Schmiegsamkeit, an Anerkennung fremder Persönlichkeiten unter Ausdrücken vorgeworfen, die zwar dieses Alles nicht geradezu bezeichnen, aber darüber, daß es so gemeint sey, doch auch keinen Zweifel lassen. Die preußische Beamten-Hierarchie oder Aristokratie ist eine so stereotype Figur in der moderne Rede, und nachdem ihr Vorhandenseyn von allen Tagesschriftstellern versichert worden, so unzweifelhaft anerkannt, daß der Versuch, ihr die Wirren der Zeit zur Last zu legen, viel Anklang finden kann, und ganz guten Erfolg verspricht. Aber es lohnt doch wohl der Mühe zu erforschen, wodurch sich denn der preußische Beamtenstand von dem der andern Länder unterscheide? Etwa durch größere Sicherheit seiner Stellung? Die Rechte der Staatsdiener auf Beibehaltung der Function, des Ranges, der Besoldung, auf Ruhegehalt, auf Unterstützung der Wittwen und der Kinder sind in allen constitutionellen Staaten durch pragmatische Gesetze weit besser begründet und besser geschützt, als in Preußen, wo fast gänzliche Abhängigkeit von dem Staatsoberhaupt allgemeiner Grundsatz ist, wo Berufung auf rechtliches Gehör nur ausnahmsweise, nie über Pensionirung, und das Quantum der Pension verstattet ist, und wo die Fürsorge des Staats für die Hinterbliebenen, soweit der Beamte nicht aus eigenen Mitteln ihre Zukunft sichern konnte, zu den Gnadensachen gehört. Oder wäre es etwa die Gewalt, die in die Hand des preußischen Beamten gelegt ist, und der die Furcht, ihm entgegenzutreten, entspricht? Aber nirgends besteht mehr bürgerliche Freiheit, wenn man diese Bezeichnung auf den Begriff von Unabhängigkeit von obrigkeitlichem Einfluß in einer Menge von Beziehungen anwenden will. Der preußische Unterthan ist durchaus unbeschränkt in der Wahl seines Lebensberufs, in dem Gewerbebetrieb, in der Niederlassung und in der Gründung einer Familie. Die hieraus sich entwickelnden Verhältnisse sind es aber vorzüglich, welche anderwärts die obrigkeitliche Einmischung in das Privatleben am meisten veranlassen, und am drückendsten machen. Der preußische Unterthan kommt also viel seltener in nothwendige Berührung mit dem Beamten, als die Unterthanen anderer Staaten – viel seltener also in den Fall zu gehorchen, und der Beamte viel seltener in die Lage, zu befehlen. Das allein beweist hinlänglich, daß der Einfluß des Beamtenstandes auf das Geschick der Einzelnen in diesem Staate geringer seyn muß, als in anderen. Es tritt aber noch hinzu die scharfe Trennung der Gewalten, die in der Justiz der Verwaltung gegenüber einen eifersüchtigen Wächter gegen alle Uebergriffe der administrativen Thätigkeit constituirt – das strenge Disciplinar-Verhältniß in jeder Branche, und die Leichtigkeit Beschwerden an das Staatsoberhaupt zu bringen, wo man einer sorgfältigen und vorurtheilsfreien Erwägung gewiß seyn kann; endlich die seit einer Reihe von Jahren zur Mode gewordene Verdächtigung der sogenannten Beamten-Aristokratie, eine Verdächtigung, die neben vielem Schlimmen in Tendenz und Resultat gewiß das Gute hat, daß sie die Behörden vorsichtig macht, wodurch freilich die damit verbundenen vielen widrigen Folgen nicht ausgeglichen werden können. Die Unterscheidung des preußischen Staatsdienerstandes von demjenigen in andern Staaten wird man schwerlich in etwas Anderem finden, als in den schweren Pflichten, die ihm auferlegt sind, in der größern Unterordnung gegen Vorgesetzte, und in der größern Bereitwilligkeit gegen das Publicum, die ihm zur Pflicht gemacht ist. Auch zeichnet er sich aus durch eine ehrerbietige Anhänglichkeit an die Verfassung seines Landes, die zwar das freie Urtheil nicht besticht oder aufhebt, aber ihn Bedenken tragen läßt, durch öffentlichen Tadel die Maaßregeln der Staatsverwaltung in Mißcredit zu bringen. Wenn man so wollte, so könnte man in Preußen – wo gar wenige Menschen reich genug sind, um den Cultus der Wissenschaften um seiner selbst willen zu treiben, vielmehr fast alle Gelegenheit zu praktischer Anwendung suchen, und daher im Staatsdienste das Erlernte auch für sich nutzbar zu machen trachten müssen – den Staatsdienerstand eine Aristokratie wissenschaftlicher Ausbildung, oder eine Aristokratie des Talents nennen. Vor andern Aristokratien hat diese wenigstens das voraus, daß sie eine ungeschlossene ist, und der Zutritt Jedem offen steht. Uebrigens paßt diese willkürliche Bezeichnung für alle Staaten, denn überall bedient der Regent sich einer Anzahl von Individuen, die vor andern mit wissenschaftlichen Kenntnissen oder technischen Fertigkeiten ausgerüstet sind, um die Zwecke der Verwaltung zu erreichen. Ueberall also gibt es, wenn man so will, eine Beamten-Aristokratie. Die Bezeichnung ist aber offenbar deßhalb gewählt, um an den Druck anderer Aristokratien zu erinnern, und geht entweder von denjenigen aus, welche, nachdem sie den Rausch des Liberalismus ausgeschlafen, nicht im Staatsdienst alsbald den gedeckten Tisch gefunden, oder von denen, welche es nicht verschmerzen können, daß die Staatsbeamtenstellen, vorzüglich die höheren, nach Aufhebung von Domstiften, Prälaturen und andern Sinecuren nicht als Versorgungsanstalten benutzt werden, und daß sie in den Fall kommen können, Personen Ehrerbietung und Gehorsam zu bezeigen, die nur durch ihre Naturgaben, ihre Ausbildung, und das von dem Staate darum gewährte Vertrauen, Ansprüche darauf erheben können. Das ist auch ein Erklärungsgrund des Widerwillens gegen Wissenschaftlichkeit, der sich in mancher Sphäre in unsern Tagen offenbart. Man redet sich und Andern ein, daß zur Uebung der Staatskunst der gemeine Menschenverstand vollkommen ausreiche, und gibt den Mangel an theoretischer Bildung für praktischen Sinn aus. Gelänge dieses Unternehmen, wozu es mitunter den Anschein hat, so würden auch die Früchte nicht ausbleiben. Freilich würde sich die Corruption der Staatsverwaltung erst in einer Zeit in ihrer erschreckenden Wirksamkeit äußern, wo es zu spät seyn möchte, die verderblichen Folgen abzuwenden; in Zeiten des Friedens erträgt sich Alles, und es reparirt der gesunde Sinn der Bevölkerung im Ganzen gar Vieles, was der Unverstand Einzelner verdirbt. – Ein Blick auf das Capital von vortrefflichen Einrichtungen, welches die sogenannte Beamten-Aristokratie in Preußen vom Jahre 1807 bis zum Jahre 1815 gesammelt hat, und woran die ärmere Gegenwart bereits seit iner Reihe von Jahren zehrt, muß den Wunsch beleben, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0013" n="0717"/> zu Peking, ist nicht im Stande, sich selbst zu vertheidigen gegen die mit geläufiger Zunge ausgestoßenen Verleumdungen der rothaarigen Barbaren des großen westlichen Oceans, und wir werden deßhalb jetzt, wie in der Zukunft, aus Nächstenliebe ihm zu Hülfe eilen und seinen Anwalt machen. 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Es wird demselben Starrheit, Schroffheit der Formen, übertriebene Strenge, Kastengeist, Mangel an Schmiegsamkeit, an Anerkennung fremder Persönlichkeiten unter Ausdrücken vorgeworfen, die zwar dieses Alles nicht geradezu bezeichnen, aber darüber, daß es so gemeint sey, doch auch keinen Zweifel lassen. Die preußische Beamten-Hierarchie oder Aristokratie ist eine so stereotype Figur in der moderne Rede, und nachdem ihr Vorhandenseyn von allen Tagesschriftstellern versichert worden, so unzweifelhaft anerkannt, daß der Versuch, ihr die Wirren der Zeit zur Last zu legen, viel Anklang finden kann, und ganz guten Erfolg verspricht. Aber es lohnt doch wohl der Mühe zu erforschen, wodurch sich denn der preußische Beamtenstand von dem der andern Länder unterscheide? Etwa durch größere Sicherheit seiner Stellung? Die Rechte der Staatsdiener auf Beibehaltung der Function, des Ranges, der Besoldung, auf Ruhegehalt, auf Unterstützung der Wittwen und der Kinder sind in allen constitutionellen Staaten durch pragmatische Gesetze weit besser begründet und besser geschützt, als in Preußen, wo fast gänzliche Abhängigkeit von dem Staatsoberhaupt allgemeiner Grundsatz ist, wo Berufung auf rechtliches Gehör nur ausnahmsweise, <hi rendition="#g">nie</hi> über Pensionirung, und das Quantum der Pension verstattet ist, und wo die Fürsorge des Staats für die Hinterbliebenen, soweit der Beamte nicht aus eigenen Mitteln ihre Zukunft sichern konnte, zu den Gnadensachen gehört. Oder wäre es etwa die Gewalt, die in die Hand des preußischen Beamten gelegt ist, und der die Furcht, ihm entgegenzutreten, entspricht? Aber nirgends besteht mehr bürgerliche Freiheit, wenn man diese Bezeichnung auf den Begriff von Unabhängigkeit von obrigkeitlichem Einfluß in einer Menge von Beziehungen anwenden will. Der preußische Unterthan ist durchaus unbeschränkt in der Wahl seines Lebensberufs, in dem Gewerbebetrieb, in der Niederlassung und in der Gründung einer Familie. Die hieraus sich entwickelnden Verhältnisse sind es aber vorzüglich, welche anderwärts die obrigkeitliche Einmischung in das Privatleben am meisten veranlassen, und am drückendsten machen. Der preußische Unterthan kommt also viel seltener in nothwendige Berührung mit dem Beamten, als die Unterthanen anderer Staaten – viel seltener also in den Fall zu gehorchen, und der Beamte viel seltener in die Lage, zu befehlen. Das allein beweist hinlänglich, daß der Einfluß des Beamtenstandes auf das Geschick der Einzelnen in diesem Staate geringer seyn muß, als in anderen. Es tritt aber noch hinzu die scharfe Trennung der Gewalten, die in der Justiz der Verwaltung gegenüber einen eifersüchtigen Wächter gegen alle Uebergriffe der administrativen Thätigkeit constituirt – das strenge Disciplinar-Verhältniß in jeder Branche, und die Leichtigkeit Beschwerden an das Staatsoberhaupt zu bringen, wo man einer sorgfältigen und vorurtheilsfreien Erwägung gewiß seyn kann; endlich die seit einer Reihe von Jahren zur Mode gewordene Verdächtigung der sogenannten Beamten-Aristokratie, eine Verdächtigung, die neben vielem Schlimmen in Tendenz und Resultat gewiß das Gute hat, daß sie die Behörden vorsichtig macht, wodurch freilich die damit verbundenen vielen widrigen Folgen nicht ausgeglichen werden können. Die Unterscheidung des preußischen Staatsdienerstandes von demjenigen in andern Staaten wird man schwerlich in etwas Anderem finden, als in den schweren Pflichten, die ihm auferlegt sind, in der größern Unterordnung gegen Vorgesetzte, und in der größern Bereitwilligkeit gegen das Publicum, die ihm zur Pflicht gemacht ist. Auch zeichnet er sich aus durch eine ehrerbietige Anhänglichkeit an die Verfassung seines Landes, die zwar das freie Urtheil nicht besticht oder aufhebt, aber ihn Bedenken tragen läßt, durch öffentlichen Tadel die Maaßregeln der Staatsverwaltung in Mißcredit zu bringen. Wenn man so wollte, so könnte man in Preußen – wo gar wenige Menschen reich genug sind, um den Cultus der Wissenschaften um seiner selbst willen zu treiben, vielmehr fast alle Gelegenheit zu praktischer Anwendung suchen, und daher im Staatsdienste das Erlernte auch für sich nutzbar zu machen trachten müssen – den Staatsdienerstand eine Aristokratie wissenschaftlicher Ausbildung, oder eine Aristokratie des Talents nennen. Vor andern Aristokratien hat diese wenigstens das voraus, daß sie eine ungeschlossene ist, und der Zutritt Jedem offen steht. Uebrigens paßt diese willkürliche Bezeichnung für alle Staaten, denn überall bedient der Regent sich einer Anzahl von Individuen, die vor andern mit wissenschaftlichen Kenntnissen oder technischen Fertigkeiten ausgerüstet sind, um die Zwecke der Verwaltung zu erreichen. Ueberall also gibt es, wenn man so will, eine Beamten-Aristokratie. Die Bezeichnung ist aber offenbar deßhalb gewählt, um an den Druck anderer Aristokratien zu erinnern, und geht entweder von denjenigen aus, welche, nachdem sie den Rausch des Liberalismus ausgeschlafen, nicht im Staatsdienst alsbald den gedeckten Tisch gefunden, oder von denen, welche es nicht verschmerzen können, daß die Staatsbeamtenstellen, vorzüglich die höheren, nach Aufhebung von Domstiften, Prälaturen und andern Sinecuren nicht als Versorgungsanstalten benutzt werden, und daß sie in den Fall kommen können, Personen Ehrerbietung und Gehorsam zu bezeigen, die nur durch ihre Naturgaben, ihre Ausbildung, und das von dem Staate darum gewährte Vertrauen, Ansprüche darauf erheben können. Das ist auch ein Erklärungsgrund des Widerwillens gegen Wissenschaftlichkeit, der sich in mancher Sphäre in unsern Tagen offenbart. Man redet sich und Andern ein, daß zur Uebung der Staatskunst der gemeine Menschenverstand vollkommen ausreiche, und gibt den Mangel an theoretischer Bildung für praktischen Sinn aus. Gelänge dieses Unternehmen, wozu es mitunter den Anschein hat, so würden auch die Früchte nicht ausbleiben. Freilich würde sich die Corruption der Staatsverwaltung erst in einer Zeit in ihrer erschreckenden Wirksamkeit äußern, wo es zu spät seyn möchte, die verderblichen Folgen abzuwenden; in Zeiten des Friedens erträgt sich Alles, und es reparirt der gesunde Sinn der Bevölkerung im Ganzen gar Vieles, was der Unverstand Einzelner verdirbt. – Ein Blick auf das Capital von vortrefflichen Einrichtungen, welches die sogenannte Beamten-Aristokratie in Preußen vom Jahre 1807 bis zum Jahre 1815 gesammelt hat, und woran die ärmere Gegenwart bereits seit iner Reihe von Jahren zehrt, muß den Wunsch beleben,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0717/0013]
zu Peking, ist nicht im Stande, sich selbst zu vertheidigen gegen die mit geläufiger Zunge ausgestoßenen Verleumdungen der rothaarigen Barbaren des großen westlichen Oceans, und wir werden deßhalb jetzt, wie in der Zukunft, aus Nächstenliebe ihm zu Hülfe eilen und seinen Anwalt machen. Es ist die Pflicht der Zeitgenossen, die denkwürdigen Ereignisse, welche den welthistorischen Kampf zwischen den Engländern und Chinesen herbeigeführt haben, für die kommenden Geschlechter ruhig und unparteiisch darzustellen.
(Ein zweiter Artikel folgt.)
Preußen.
_ Berlin, 18 März. Ein Würzburger Blatt enthielt kürzlich einen Artikel aus Berlin vom 27 v. M., worin ein Haupterklärungsgrund der Verstimmung in der Provinz Posen in der Art und Weise gefunden wird, wie der preußische Beamtenstand sich den höheren Classen der Gesellschaft gegenüber gestellt habe. Es wird demselben Starrheit, Schroffheit der Formen, übertriebene Strenge, Kastengeist, Mangel an Schmiegsamkeit, an Anerkennung fremder Persönlichkeiten unter Ausdrücken vorgeworfen, die zwar dieses Alles nicht geradezu bezeichnen, aber darüber, daß es so gemeint sey, doch auch keinen Zweifel lassen. Die preußische Beamten-Hierarchie oder Aristokratie ist eine so stereotype Figur in der moderne Rede, und nachdem ihr Vorhandenseyn von allen Tagesschriftstellern versichert worden, so unzweifelhaft anerkannt, daß der Versuch, ihr die Wirren der Zeit zur Last zu legen, viel Anklang finden kann, und ganz guten Erfolg verspricht. Aber es lohnt doch wohl der Mühe zu erforschen, wodurch sich denn der preußische Beamtenstand von dem der andern Länder unterscheide? Etwa durch größere Sicherheit seiner Stellung? Die Rechte der Staatsdiener auf Beibehaltung der Function, des Ranges, der Besoldung, auf Ruhegehalt, auf Unterstützung der Wittwen und der Kinder sind in allen constitutionellen Staaten durch pragmatische Gesetze weit besser begründet und besser geschützt, als in Preußen, wo fast gänzliche Abhängigkeit von dem Staatsoberhaupt allgemeiner Grundsatz ist, wo Berufung auf rechtliches Gehör nur ausnahmsweise, nie über Pensionirung, und das Quantum der Pension verstattet ist, und wo die Fürsorge des Staats für die Hinterbliebenen, soweit der Beamte nicht aus eigenen Mitteln ihre Zukunft sichern konnte, zu den Gnadensachen gehört. Oder wäre es etwa die Gewalt, die in die Hand des preußischen Beamten gelegt ist, und der die Furcht, ihm entgegenzutreten, entspricht? Aber nirgends besteht mehr bürgerliche Freiheit, wenn man diese Bezeichnung auf den Begriff von Unabhängigkeit von obrigkeitlichem Einfluß in einer Menge von Beziehungen anwenden will. Der preußische Unterthan ist durchaus unbeschränkt in der Wahl seines Lebensberufs, in dem Gewerbebetrieb, in der Niederlassung und in der Gründung einer Familie. Die hieraus sich entwickelnden Verhältnisse sind es aber vorzüglich, welche anderwärts die obrigkeitliche Einmischung in das Privatleben am meisten veranlassen, und am drückendsten machen. Der preußische Unterthan kommt also viel seltener in nothwendige Berührung mit dem Beamten, als die Unterthanen anderer Staaten – viel seltener also in den Fall zu gehorchen, und der Beamte viel seltener in die Lage, zu befehlen. Das allein beweist hinlänglich, daß der Einfluß des Beamtenstandes auf das Geschick der Einzelnen in diesem Staate geringer seyn muß, als in anderen. Es tritt aber noch hinzu die scharfe Trennung der Gewalten, die in der Justiz der Verwaltung gegenüber einen eifersüchtigen Wächter gegen alle Uebergriffe der administrativen Thätigkeit constituirt – das strenge Disciplinar-Verhältniß in jeder Branche, und die Leichtigkeit Beschwerden an das Staatsoberhaupt zu bringen, wo man einer sorgfältigen und vorurtheilsfreien Erwägung gewiß seyn kann; endlich die seit einer Reihe von Jahren zur Mode gewordene Verdächtigung der sogenannten Beamten-Aristokratie, eine Verdächtigung, die neben vielem Schlimmen in Tendenz und Resultat gewiß das Gute hat, daß sie die Behörden vorsichtig macht, wodurch freilich die damit verbundenen vielen widrigen Folgen nicht ausgeglichen werden können. Die Unterscheidung des preußischen Staatsdienerstandes von demjenigen in andern Staaten wird man schwerlich in etwas Anderem finden, als in den schweren Pflichten, die ihm auferlegt sind, in der größern Unterordnung gegen Vorgesetzte, und in der größern Bereitwilligkeit gegen das Publicum, die ihm zur Pflicht gemacht ist. Auch zeichnet er sich aus durch eine ehrerbietige Anhänglichkeit an die Verfassung seines Landes, die zwar das freie Urtheil nicht besticht oder aufhebt, aber ihn Bedenken tragen läßt, durch öffentlichen Tadel die Maaßregeln der Staatsverwaltung in Mißcredit zu bringen. Wenn man so wollte, so könnte man in Preußen – wo gar wenige Menschen reich genug sind, um den Cultus der Wissenschaften um seiner selbst willen zu treiben, vielmehr fast alle Gelegenheit zu praktischer Anwendung suchen, und daher im Staatsdienste das Erlernte auch für sich nutzbar zu machen trachten müssen – den Staatsdienerstand eine Aristokratie wissenschaftlicher Ausbildung, oder eine Aristokratie des Talents nennen. Vor andern Aristokratien hat diese wenigstens das voraus, daß sie eine ungeschlossene ist, und der Zutritt Jedem offen steht. Uebrigens paßt diese willkürliche Bezeichnung für alle Staaten, denn überall bedient der Regent sich einer Anzahl von Individuen, die vor andern mit wissenschaftlichen Kenntnissen oder technischen Fertigkeiten ausgerüstet sind, um die Zwecke der Verwaltung zu erreichen. Ueberall also gibt es, wenn man so will, eine Beamten-Aristokratie. Die Bezeichnung ist aber offenbar deßhalb gewählt, um an den Druck anderer Aristokratien zu erinnern, und geht entweder von denjenigen aus, welche, nachdem sie den Rausch des Liberalismus ausgeschlafen, nicht im Staatsdienst alsbald den gedeckten Tisch gefunden, oder von denen, welche es nicht verschmerzen können, daß die Staatsbeamtenstellen, vorzüglich die höheren, nach Aufhebung von Domstiften, Prälaturen und andern Sinecuren nicht als Versorgungsanstalten benutzt werden, und daß sie in den Fall kommen können, Personen Ehrerbietung und Gehorsam zu bezeigen, die nur durch ihre Naturgaben, ihre Ausbildung, und das von dem Staate darum gewährte Vertrauen, Ansprüche darauf erheben können. Das ist auch ein Erklärungsgrund des Widerwillens gegen Wissenschaftlichkeit, der sich in mancher Sphäre in unsern Tagen offenbart. Man redet sich und Andern ein, daß zur Uebung der Staatskunst der gemeine Menschenverstand vollkommen ausreiche, und gibt den Mangel an theoretischer Bildung für praktischen Sinn aus. Gelänge dieses Unternehmen, wozu es mitunter den Anschein hat, so würden auch die Früchte nicht ausbleiben. Freilich würde sich die Corruption der Staatsverwaltung erst in einer Zeit in ihrer erschreckenden Wirksamkeit äußern, wo es zu spät seyn möchte, die verderblichen Folgen abzuwenden; in Zeiten des Friedens erträgt sich Alles, und es reparirt der gesunde Sinn der Bevölkerung im Ganzen gar Vieles, was der Unverstand Einzelner verdirbt. – Ein Blick auf das Capital von vortrefflichen Einrichtungen, welches die sogenannte Beamten-Aristokratie in Preußen vom Jahre 1807 bis zum Jahre 1815 gesammelt hat, und woran die ärmere Gegenwart bereits seit iner Reihe von Jahren zehrt, muß den Wunsch beleben,
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