Allgemeine Zeitung. Nr. 93. Augsburg, 2. April 1840.der conservativen Partei, welche weder täuschen noch getäuscht seyn wollen, erklärte Hr. Thiers, daß die Aenderung, die er an einem Artikel der Septembergesetze vornehmen wolle, keineswegs eine der Charte gegebene Genugthuung sey. Die Charte ist durch die Septembergesetze nicht verletzt worden. Hr. Odilon-Barrot sagte zwar, sie sey verletzt worden; Hr. Thiers glaubt und versichert aber das Gegentheil. Und was sagte hiezu die Linke? Nichts. Hr. Garnier-Pages hatte vollkommen recht: die Linke spannt ihre Forderungen nicht hoch. Man sieht, ein guter Theil der Sitzung wurde, wie Hr. d'Angeville sehr bezeichnend bemerkt hat, mit süßen Redensarten gegen die Conservativen ausgefüllt und dadurch wurden dem Ministerium im Centrum Stimmen gewonnen. Auffallend aber ist, daß diese Beruhigung der Conservativen dem Ministerium die Stimmen der Linken und der Rechten nicht entzogen hat. So war also das geheime, innige Vertrauen, welches Linke und Rechte in Hrn. Thiers hatten, größer, als die Wirkung seiner Worte. Er kann nach Belieben von Conservation, Ordnung, Septembergesetzen, Widerstand gegen die Wahlreform sprechen; Linke und Rechte wissen, was dergleichen Reden zu bedeuten haben. Sie wissen, daß Hr. Thiers all' dieß nur sagt, um einige gutmüthige Leute der conservativen Partei zu ködern. Sie lächeln zu dieser Verkappung und votiren unerschütterlich für das Ministerium. Wenn die Extremitäten recht haben, ein solches Vertrauen zu hegen, was sollen wir daraus für die Zukunft schließen? - Wird nun die conservative Partei eine systematische Opposition machen? Nein, sie wird zuwarten, wird beobachten, wird die Handlungen des Ministeriums bewachen, wird sie richten und das Land sie richten lassen. Mit dieser Idee sagen wir ohne Scheu, daß wir das Resultat dieses Tages nicht bedauern. Besser ist es, Hr. Thiers gehe durch seine Thaten, als durch seinen Namen zu Grund." (National.) Wir betrachten, bis das Gegentheil bewiesen ist, als offenbar, daß das Ministerium vom 1 März seiner Natur und seinen Allianzen nach zur vollständigsten Unbeweglichkeit, oder mit andern Worten zur Unmacht verurtheilt ist. Das Ministerium vom 1 März ist die lebendige Zusammenfassung aller Täuschungen, die seit zehn Jahren Frankreich erbittern und erniedrigen; es hat aber ein Verdienst, nemlich Alles, bei dessen Aenderung oder Zerstörung das demokratische Frankreich interessirt ist, in Einen Bündel zu vereinigen. In dieser Beziehung können wir ihm wohl wenigstens die Existenz von einigen Monaten wünschen. Es ist ein großer Vortheil, einem auf allen Punkten ergreifbaren und verwundbaren Feinde gegenüber zu stehen. Man wird uns nicht mehr die Gespenster der Prärogative, des gouvernement personnel, die widersprechenden Forderungen der constitutionellen Linken, des Tiers parti und der Conservativen entgegen halten. Unsere ganze officielle Welt ist jetzt conservativ und ministeriell; ihre Constitution ist gemacht: es ist nur noch übrig, die Souveränetät des Landes auf den wahren Grundlagen zu constituiren und festzuhalten. Diese Aufgabe haben wir uns schon lange gestellt und halten sie mit Verdoppelung des Glaubens, der Wärme und der Hoffnung fest. Die Wahlreform ist mehr als jemals an der Tagesordnung; sie ist in diesen Debatten gewachsen, und hat sich zum Rang einer socialen Nothwendigkeit gegen die Feinde oder Ueberläufer des Innern und gegen die Drohungen des Auslandes erhoben. Die Wahlreform wird bei dem Punkte, zu welchem die Dinge gelangt sind, nächstens ein gebieterisches Mandat, eine Cabinets-, vielleicht eine Constitutionsfrage werden. * In der Sitzung der Deputirtenkammer am 28 März wurden Petitionen verhandelt. Darunter war eine über den hohen Preis der ausländischen und einheimischen Steinkohle, worüber sich die Fabricanten von Rouen beschweren, und eine Verminderung des Zolls auf die ausländische beantragen. Die Commission trug auf Verweisung an den Handelsminister an. Der Handelsminister erklärt, daß allerdings die auswärtige Steinkohle seit einigen Jahren stark eindringe, und daß das, was die Besitzer der Eisenhütten begünstige, offenbar die Interessen der Besitzer der Steinkohlengruben verletze. Die einheimische Industrie müsse aber eben so gut, wie die Ausbeutung der Gruben und die Eisenhütten beschützt werden. Ein Gesetz von 1838 suche die entgegengesetzten Interessen auszugleichen. Es seyen deßwegen mehrere Zonen des Litorals bestimmt worden. Er widersetze sich übrigens der Zuweisung nicht, und wenn neue Umstände eine Aenderung nöthig machten, so werde die Verwaltung sie prüfen. Uebrigens könne man die Gesetzgebung nicht beständig ändern. Nach einer Erörterung, woran die HH. Billaudel, Bignon, Fulchiron Theil genommen, nahm der Conseilpräsident das Wort. "Die Frage ist wichtig, sagte Hr. Thiers, sie wird geprüft werden. Das Ministerium ist nicht gegen die Zuweisung, es nimmt sie unter dem Titel der Nachweisungen, und ohne sich zu einer Verpflichtung zu verstehen, an." Die Zuweisung ward dann beschlossen. - In der Sitzung ward auch ein Vorschlag auf dem Bureau des Präsidenten von Hrn. Romilly, Maire von Versailles, niedergelegt, der in Betreff der Beamten, welche zugleich Deputirte sind, neue Beschränkungen einzuführen sucht. Es ist derselbe Vorschlag, welcher zuerst von Hrn. L'herbette abgefaßt und unterzeichnet, später von Hrn. Gauguier vorgelegt und von der Kammer verworfen worden. In den Verhandlungen der Pariser Akademie im vorigen Monat gab Hr. Robiquet ein sehr günstiges Gutachten über die Erfindung Menotti's, mittelst einer Seife jeden beliebigen Stoff wasserdicht zu machen, ohne der Luft den Durchgang zu versperren. Das Elsaß vom 28 März schreibt: "Seit einigen Tagen unterhält man sich in Straßburg sehr viel von einer bedeutenden Beschlagnahme von Flinten, die man aus Deutschland nach Frankreich einzuführen versucht hatte, und von mehrern Verhaftungen in Folge der Beschlagnahme. So viel ist gewiß, daß Waffen weggenommen worden sind; einige geben die Zahl auf 15,000 an, welche Zahl uns jedoch sehr übertrieben scheint. Eben so gewiß ist, daß mehrere Individuen in Straßburg, in Kolmar, in Schlettstadt und selbst in andern von unserem Departement entfernten Städten verhaftet worden sind; allein man weiß noch nichts Gewisses über die Bestimmung der Waffen, man weiß nicht zu wessen Gunsten ein so frecher Schleichhandel getrieben worden. Mehrere der vor den Untersuchungsrichter Vorgeladenen entzogen sich der Voruntersuchung durch die Flucht über den Rhein, erklärten jedoch, daß sie, ihrer Unschuld sich bewußt, nicht anstehen würden, sich zu stellen, wenn die Sache vor die Gerichte kommen sollte." Paris, 27 März. Die gestrige Majorität des Ministeriums bestand aus Deputirten verschiedener Farben: linkes Centrum, dynastische Linke, äußerste Linke, und selbst Legitimisten. Die 160 Stimmen der Minorität sind der Rest der 221; ich habe allen Grund zu glauben, daß darin sich keine Mitglieder der äußersten Linken noch auch Legitimisten befanden. Diese Abstimmung ist hauptsächlich der Rede zuzuschreiben, die Hr. Thiers in der Sitzung vom 25 hielt, als Antwort auf die des Hrn. Berryer: er erklärte nämlich, er sey ein aus der Opposition hervorgegangener Minister, und er erkenne die Präeminenz der Kammern über die Krone; durch diese Erklärung gewann er sämmtliche Gegner der früheren Ministerien, besonders des der conservativen Partei, welche weder täuschen noch getäuscht seyn wollen, erklärte Hr. Thiers, daß die Aenderung, die er an einem Artikel der Septembergesetze vornehmen wolle, keineswegs eine der Charte gegebene Genugthuung sey. Die Charte ist durch die Septembergesetze nicht verletzt worden. Hr. Odilon-Barrot sagte zwar, sie sey verletzt worden; Hr. Thiers glaubt und versichert aber das Gegentheil. Und was sagte hiezu die Linke? Nichts. Hr. Garnier-Pagès hatte vollkommen recht: die Linke spannt ihre Forderungen nicht hoch. Man sieht, ein guter Theil der Sitzung wurde, wie Hr. d'Angeville sehr bezeichnend bemerkt hat, mit süßen Redensarten gegen die Conservativen ausgefüllt und dadurch wurden dem Ministerium im Centrum Stimmen gewonnen. Auffallend aber ist, daß diese Beruhigung der Conservativen dem Ministerium die Stimmen der Linken und der Rechten nicht entzogen hat. So war also das geheime, innige Vertrauen, welches Linke und Rechte in Hrn. Thiers hatten, größer, als die Wirkung seiner Worte. Er kann nach Belieben von Conservation, Ordnung, Septembergesetzen, Widerstand gegen die Wahlreform sprechen; Linke und Rechte wissen, was dergleichen Reden zu bedeuten haben. Sie wissen, daß Hr. Thiers all' dieß nur sagt, um einige gutmüthige Leute der conservativen Partei zu ködern. Sie lächeln zu dieser Verkappung und votiren unerschütterlich für das Ministerium. Wenn die Extremitäten recht haben, ein solches Vertrauen zu hegen, was sollen wir daraus für die Zukunft schließen? – Wird nun die conservative Partei eine systematische Opposition machen? Nein, sie wird zuwarten, wird beobachten, wird die Handlungen des Ministeriums bewachen, wird sie richten und das Land sie richten lassen. Mit dieser Idee sagen wir ohne Scheu, daß wir das Resultat dieses Tages nicht bedauern. Besser ist es, Hr. Thiers gehe durch seine Thaten, als durch seinen Namen zu Grund.“ (National.) Wir betrachten, bis das Gegentheil bewiesen ist, als offenbar, daß das Ministerium vom 1 März seiner Natur und seinen Allianzen nach zur vollständigsten Unbeweglichkeit, oder mit andern Worten zur Unmacht verurtheilt ist. Das Ministerium vom 1 März ist die lebendige Zusammenfassung aller Täuschungen, die seit zehn Jahren Frankreich erbittern und erniedrigen; es hat aber ein Verdienst, nemlich Alles, bei dessen Aenderung oder Zerstörung das demokratische Frankreich interessirt ist, in Einen Bündel zu vereinigen. In dieser Beziehung können wir ihm wohl wenigstens die Existenz von einigen Monaten wünschen. Es ist ein großer Vortheil, einem auf allen Punkten ergreifbaren und verwundbaren Feinde gegenüber zu stehen. Man wird uns nicht mehr die Gespenster der Prärogative, des gouvernement personnel, die widersprechenden Forderungen der constitutionellen Linken, des Tiers parti und der Conservativen entgegen halten. Unsere ganze officielle Welt ist jetzt conservativ und ministeriell; ihre Constitution ist gemacht: es ist nur noch übrig, die Souveränetät des Landes auf den wahren Grundlagen zu constituiren und festzuhalten. Diese Aufgabe haben wir uns schon lange gestellt und halten sie mit Verdoppelung des Glaubens, der Wärme und der Hoffnung fest. Die Wahlreform ist mehr als jemals an der Tagesordnung; sie ist in diesen Debatten gewachsen, und hat sich zum Rang einer socialen Nothwendigkeit gegen die Feinde oder Ueberläufer des Innern und gegen die Drohungen des Auslandes erhoben. Die Wahlreform wird bei dem Punkte, zu welchem die Dinge gelangt sind, nächstens ein gebieterisches Mandat, eine Cabinets-, vielleicht eine Constitutionsfrage werden. * In der Sitzung der Deputirtenkammer am 28 März wurden Petitionen verhandelt. Darunter war eine über den hohen Preis der ausländischen und einheimischen Steinkohle, worüber sich die Fabricanten von Rouen beschweren, und eine Verminderung des Zolls auf die ausländische beantragen. Die Commission trug auf Verweisung an den Handelsminister an. Der Handelsminister erklärt, daß allerdings die auswärtige Steinkohle seit einigen Jahren stark eindringe, und daß das, was die Besitzer der Eisenhütten begünstige, offenbar die Interessen der Besitzer der Steinkohlengruben verletze. Die einheimische Industrie müsse aber eben so gut, wie die Ausbeutung der Gruben und die Eisenhütten beschützt werden. Ein Gesetz von 1838 suche die entgegengesetzten Interessen auszugleichen. Es seyen deßwegen mehrere Zonen des Litorals bestimmt worden. Er widersetze sich übrigens der Zuweisung nicht, und wenn neue Umstände eine Aenderung nöthig machten, so werde die Verwaltung sie prüfen. Uebrigens könne man die Gesetzgebung nicht beständig ändern. Nach einer Erörterung, woran die HH. Billaudel, Bignon, Fulchiron Theil genommen, nahm der Conseilpräsident das Wort. „Die Frage ist wichtig, sagte Hr. Thiers, sie wird geprüft werden. Das Ministerium ist nicht gegen die Zuweisung, es nimmt sie unter dem Titel der Nachweisungen, und ohne sich zu einer Verpflichtung zu verstehen, an.“ Die Zuweisung ward dann beschlossen. – In der Sitzung ward auch ein Vorschlag auf dem Bureau des Präsidenten von Hrn. Romilly, Maire von Versailles, niedergelegt, der in Betreff der Beamten, welche zugleich Deputirte sind, neue Beschränkungen einzuführen sucht. Es ist derselbe Vorschlag, welcher zuerst von Hrn. L'herbette abgefaßt und unterzeichnet, später von Hrn. Gauguier vorgelegt und von der Kammer verworfen worden. In den Verhandlungen der Pariser Akademie im vorigen Monat gab Hr. Robiquet ein sehr günstiges Gutachten über die Erfindung Menotti's, mittelst einer Seife jeden beliebigen Stoff wasserdicht zu machen, ohne der Luft den Durchgang zu versperren. Das Elsaß vom 28 März schreibt: „Seit einigen Tagen unterhält man sich in Straßburg sehr viel von einer bedeutenden Beschlagnahme von Flinten, die man aus Deutschland nach Frankreich einzuführen versucht hatte, und von mehrern Verhaftungen in Folge der Beschlagnahme. So viel ist gewiß, daß Waffen weggenommen worden sind; einige geben die Zahl auf 15,000 an, welche Zahl uns jedoch sehr übertrieben scheint. Eben so gewiß ist, daß mehrere Individuen in Straßburg, in Kolmar, in Schlettstadt und selbst in andern von unserem Departement entfernten Städten verhaftet worden sind; allein man weiß noch nichts Gewisses über die Bestimmung der Waffen, man weiß nicht zu wessen Gunsten ein so frecher Schleichhandel getrieben worden. Mehrere der vor den Untersuchungsrichter Vorgeladenen entzogen sich der Voruntersuchung durch die Flucht über den Rhein, erklärten jedoch, daß sie, ihrer Unschuld sich bewußt, nicht anstehen würden, sich zu stellen, wenn die Sache vor die Gerichte kommen sollte.“ Paris, 27 März. Die gestrige Majorität des Ministeriums bestand aus Deputirten verschiedener Farben: linkes Centrum, dynastische Linke, äußerste Linke, und selbst Legitimisten. Die 160 Stimmen der Minorität sind der Rest der 221; ich habe allen Grund zu glauben, daß darin sich keine Mitglieder der äußersten Linken noch auch Legitimisten befanden. Diese Abstimmung ist hauptsächlich der Rede zuzuschreiben, die Hr. Thiers in der Sitzung vom 25 hielt, als Antwort auf die des Hrn. 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Man sieht, ein guter Theil der Sitzung wurde, wie Hr. d'Angeville sehr bezeichnend bemerkt hat, mit süßen Redensarten gegen die Conservativen ausgefüllt und dadurch wurden dem Ministerium im Centrum Stimmen gewonnen. Auffallend aber ist, daß diese Beruhigung der Conservativen dem Ministerium die Stimmen der Linken und der Rechten nicht entzogen hat. So war also das geheime, innige Vertrauen, welches Linke und Rechte in Hrn. Thiers hatten, größer, als die Wirkung seiner Worte. Er kann nach Belieben von Conservation, Ordnung, Septembergesetzen, Widerstand gegen die Wahlreform sprechen; Linke und Rechte wissen, was dergleichen Reden zu bedeuten haben. Sie wissen, daß Hr. Thiers all' dieß nur sagt, um einige gutmüthige Leute der conservativen Partei zu ködern. Sie lächeln zu dieser Verkappung und votiren unerschütterlich für das Ministerium. Wenn die Extremitäten recht haben, ein solches Vertrauen zu hegen, was sollen wir daraus für die Zukunft schließen? – Wird nun die conservative Partei eine systematische Opposition machen? Nein, sie wird zuwarten, wird beobachten, wird die Handlungen des Ministeriums bewachen, wird sie richten und das Land sie richten lassen. Mit dieser Idee sagen wir ohne Scheu, daß wir das Resultat dieses Tages nicht bedauern. Besser ist es, Hr. Thiers gehe durch seine Thaten, als durch seinen Namen zu Grund.“</p><lb/> <p>(<hi rendition="#g">National</hi>.) Wir betrachten, bis das Gegentheil bewiesen ist, als offenbar, daß das Ministerium vom 1 März seiner Natur und seinen Allianzen nach zur vollständigsten Unbeweglichkeit, oder mit andern Worten zur Unmacht verurtheilt ist. Das Ministerium vom 1 März ist die lebendige Zusammenfassung aller Täuschungen, die seit zehn Jahren Frankreich erbittern und erniedrigen; es hat aber ein Verdienst, nemlich Alles, bei dessen Aenderung oder Zerstörung das demokratische Frankreich interessirt ist, in Einen Bündel zu vereinigen. In dieser Beziehung können wir ihm wohl wenigstens die Existenz von einigen Monaten wünschen. Es ist ein großer Vortheil, einem auf allen Punkten ergreifbaren und verwundbaren Feinde gegenüber zu stehen. Man wird uns nicht mehr die Gespenster der Prärogative, des gouvernement personnel, die widersprechenden Forderungen der constitutionellen Linken, des Tiers parti und der Conservativen entgegen halten. Unsere ganze officielle Welt ist jetzt conservativ und ministeriell; ihre Constitution ist gemacht: es ist nur noch übrig, die Souveränetät des Landes auf den wahren Grundlagen zu constituiren und festzuhalten. Diese Aufgabe haben wir uns schon lange gestellt und halten sie mit Verdoppelung des Glaubens, der Wärme und der Hoffnung fest. Die Wahlreform ist mehr als jemals an der Tagesordnung; sie ist in diesen Debatten gewachsen, und hat sich zum Rang einer socialen Nothwendigkeit gegen die Feinde oder Ueberläufer des Innern und gegen die Drohungen des Auslandes erhoben. Die Wahlreform wird bei dem Punkte, zu welchem die Dinge gelangt sind, nächstens ein gebieterisches Mandat, eine Cabinets-, vielleicht eine Constitutionsfrage werden.</p><lb/> <p><bibl>*</bibl> In der Sitzung der <hi rendition="#g">Deputirtenkammer</hi> am 28 März wurden Petitionen verhandelt. Darunter war eine über den hohen Preis der ausländischen und einheimischen Steinkohle, worüber sich die Fabricanten von Rouen beschweren, und eine Verminderung des Zolls auf die ausländische beantragen. Die Commission trug auf Verweisung an den Handelsminister an. Der Handelsminister erklärt, daß allerdings die auswärtige Steinkohle seit einigen Jahren stark eindringe, und daß das, was die Besitzer der Eisenhütten begünstige, offenbar die Interessen der Besitzer der Steinkohlengruben verletze. Die einheimische Industrie müsse aber eben so gut, wie die Ausbeutung der Gruben und die Eisenhütten beschützt werden. Ein Gesetz von 1838 suche die entgegengesetzten Interessen auszugleichen. Es seyen deßwegen mehrere Zonen des Litorals bestimmt worden. Er widersetze sich übrigens der Zuweisung nicht, und wenn neue Umstände eine Aenderung nöthig machten, so werde die Verwaltung sie prüfen. Uebrigens könne man die Gesetzgebung nicht beständig ändern. Nach einer Erörterung, woran die HH. Billaudel, Bignon, Fulchiron Theil genommen, nahm der Conseilpräsident das Wort. „Die Frage ist wichtig, sagte Hr. Thiers, sie wird geprüft werden. Das Ministerium ist nicht gegen die Zuweisung, es nimmt sie unter dem Titel der Nachweisungen, und ohne sich zu einer Verpflichtung zu verstehen, an.“ Die Zuweisung ward dann beschlossen. – In der Sitzung ward auch ein Vorschlag auf dem Bureau des Präsidenten von Hrn. Romilly, Maire von Versailles, niedergelegt, der in Betreff der Beamten, welche zugleich Deputirte sind, neue Beschränkungen einzuführen sucht. Es ist derselbe Vorschlag, welcher zuerst von Hrn. L'herbette abgefaßt und unterzeichnet, später von Hrn. Gauguier vorgelegt und von der Kammer verworfen worden.</p><lb/> <p>In den Verhandlungen der Pariser Akademie im vorigen Monat gab Hr. 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(National.) Wir betrachten, bis das Gegentheil bewiesen ist, als offenbar, daß das Ministerium vom 1 März seiner Natur und seinen Allianzen nach zur vollständigsten Unbeweglichkeit, oder mit andern Worten zur Unmacht verurtheilt ist. Das Ministerium vom 1 März ist die lebendige Zusammenfassung aller Täuschungen, die seit zehn Jahren Frankreich erbittern und erniedrigen; es hat aber ein Verdienst, nemlich Alles, bei dessen Aenderung oder Zerstörung das demokratische Frankreich interessirt ist, in Einen Bündel zu vereinigen. In dieser Beziehung können wir ihm wohl wenigstens die Existenz von einigen Monaten wünschen. Es ist ein großer Vortheil, einem auf allen Punkten ergreifbaren und verwundbaren Feinde gegenüber zu stehen. Man wird uns nicht mehr die Gespenster der Prärogative, des gouvernement personnel, die widersprechenden Forderungen der constitutionellen Linken, des Tiers parti und der Conservativen entgegen halten. Unsere ganze officielle Welt ist jetzt conservativ und ministeriell; ihre Constitution ist gemacht: es ist nur noch übrig, die Souveränetät des Landes auf den wahren Grundlagen zu constituiren und festzuhalten. Diese Aufgabe haben wir uns schon lange gestellt und halten sie mit Verdoppelung des Glaubens, der Wärme und der Hoffnung fest. Die Wahlreform ist mehr als jemals an der Tagesordnung; sie ist in diesen Debatten gewachsen, und hat sich zum Rang einer socialen Nothwendigkeit gegen die Feinde oder Ueberläufer des Innern und gegen die Drohungen des Auslandes erhoben. Die Wahlreform wird bei dem Punkte, zu welchem die Dinge gelangt sind, nächstens ein gebieterisches Mandat, eine Cabinets-, vielleicht eine Constitutionsfrage werden.
* In der Sitzung der Deputirtenkammer am 28 März wurden Petitionen verhandelt. Darunter war eine über den hohen Preis der ausländischen und einheimischen Steinkohle, worüber sich die Fabricanten von Rouen beschweren, und eine Verminderung des Zolls auf die ausländische beantragen. Die Commission trug auf Verweisung an den Handelsminister an. Der Handelsminister erklärt, daß allerdings die auswärtige Steinkohle seit einigen Jahren stark eindringe, und daß das, was die Besitzer der Eisenhütten begünstige, offenbar die Interessen der Besitzer der Steinkohlengruben verletze. Die einheimische Industrie müsse aber eben so gut, wie die Ausbeutung der Gruben und die Eisenhütten beschützt werden. Ein Gesetz von 1838 suche die entgegengesetzten Interessen auszugleichen. Es seyen deßwegen mehrere Zonen des Litorals bestimmt worden. Er widersetze sich übrigens der Zuweisung nicht, und wenn neue Umstände eine Aenderung nöthig machten, so werde die Verwaltung sie prüfen. Uebrigens könne man die Gesetzgebung nicht beständig ändern. Nach einer Erörterung, woran die HH. Billaudel, Bignon, Fulchiron Theil genommen, nahm der Conseilpräsident das Wort. „Die Frage ist wichtig, sagte Hr. Thiers, sie wird geprüft werden. Das Ministerium ist nicht gegen die Zuweisung, es nimmt sie unter dem Titel der Nachweisungen, und ohne sich zu einer Verpflichtung zu verstehen, an.“ Die Zuweisung ward dann beschlossen. – In der Sitzung ward auch ein Vorschlag auf dem Bureau des Präsidenten von Hrn. Romilly, Maire von Versailles, niedergelegt, der in Betreff der Beamten, welche zugleich Deputirte sind, neue Beschränkungen einzuführen sucht. Es ist derselbe Vorschlag, welcher zuerst von Hrn. L'herbette abgefaßt und unterzeichnet, später von Hrn. Gauguier vorgelegt und von der Kammer verworfen worden.
In den Verhandlungen der Pariser Akademie im vorigen Monat gab Hr. Robiquet ein sehr günstiges Gutachten über die Erfindung Menotti's, mittelst einer Seife jeden beliebigen Stoff wasserdicht zu machen, ohne der Luft den Durchgang zu versperren.
Das Elsaß vom 28 März schreibt: „Seit einigen Tagen unterhält man sich in Straßburg sehr viel von einer bedeutenden Beschlagnahme von Flinten, die man aus Deutschland nach Frankreich einzuführen versucht hatte, und von mehrern Verhaftungen in Folge der Beschlagnahme. So viel ist gewiß, daß Waffen weggenommen worden sind; einige geben die Zahl auf 15,000 an, welche Zahl uns jedoch sehr übertrieben scheint. Eben so gewiß ist, daß mehrere Individuen in Straßburg, in Kolmar, in Schlettstadt und selbst in andern von unserem Departement entfernten Städten verhaftet worden sind; allein man weiß noch nichts Gewisses über die Bestimmung der Waffen, man weiß nicht zu wessen Gunsten ein so frecher Schleichhandel getrieben worden. Mehrere der vor den Untersuchungsrichter Vorgeladenen entzogen sich der Voruntersuchung durch die Flucht über den Rhein, erklärten jedoch, daß sie, ihrer Unschuld sich bewußt, nicht anstehen würden, sich zu stellen, wenn die Sache vor die Gerichte kommen sollte.“
_ Paris, 27 März. Die gestrige Majorität des Ministeriums bestand aus Deputirten verschiedener Farben: linkes Centrum, dynastische Linke, äußerste Linke, und selbst Legitimisten. Die 160 Stimmen der Minorität sind der Rest der 221; ich habe allen Grund zu glauben, daß darin sich keine Mitglieder der äußersten Linken noch auch Legitimisten befanden. Diese Abstimmung ist hauptsächlich der Rede zuzuschreiben, die Hr. Thiers in der Sitzung vom 25 hielt, als Antwort auf die des Hrn. Berryer: er erklärte nämlich, er sey ein aus der Opposition hervorgegangener Minister, und er erkenne die Präeminenz der Kammern über die Krone; durch diese Erklärung gewann er sämmtliche Gegner der früheren Ministerien, besonders des
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