Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 97. Augsburg, 6. April 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Officier v. C., welcher um die Erlaubniß nachgesucht hatte, der französischen Expedition gegen Abd-El-Kader beiwohnen zu dürfen, ist eröffnet worden, daß diese aus politischen Gründen nicht ertheilt werden könne, er aber dafür auf andere Art entschädigt werden solle. Worin diese Entschädigung bestehen wird, ist noch zur Zeit unbekannt.

Der Großfürst-Thronfolger von Rußland, der am 30 März Nachmittags aus Warschau hier eingetroffen, und im Hotel des russischen Gesandten abgestiegen war, ist heute Morgen um 6 Uhr nach Berlin weiter gereist. Se. kais. Hoh. besuchte während seines hiesigen Aufenthalts einigemal das Theater, so wie die hiesigen Kunstsammlungen, und am 31 Morgens defilirte in Parade die hiesige Garnison mit Hinzuziehung der Garnisonen einiger benachbarten kleinen Städte, so wie ein auf der Eisenbahn aus Leipzig geholtes Bataillon der trefflichen leichten Infanterie vor dem Großfürsten, dem König, Prinzen Johann und Erbgroßherzog von Mecklenburg auf dem Neumarkte vorüber. Gestern Abend endlich war zu Ehren des hohen Gastes große Soiree mit Concert und Souper bei Hofe, nach deren Schlusse derselbe sogleich von der k. Familie Abschied nahm. Der junge Thronfolger sieht über sein Alter ernst aus, und so wie seine blassen Züge entschieden das Gepräge derer der preußischen Königsfamilie tragen, erinnert sein Wesen zunächst an den Kronprinzen von Preußen. Es wäre sehr erfreulich, wenn diese Aehnlichkeit eine wirkliche Sympathie für seine mütterliche Heimath verkündete, und seine dereinstige Regierung in deren Folge vielleicht nachbarlichere Gesinnungen als die derzeitige gegen Preußen bethätigte. Aus der Umgebung des Großfürsten ragen die HH. v. Schukowsky (sein Erzieher), v. Orloff und Kisseleff, ein jeder in seiner Art als bedeutende Persönlichkeiten hervor, und beweisen, wie gut Rußland immer vor manchen andern Staaten versteht, zu wichtigen Stellungen die rechten Männer zu wählen.

Gestern war ein Theil der ordentlichen Professoren versammelt, um auf hohen Befehl des Curatoriums abermals einen Deputirten zu wählen. Es ist dieß in zwei Jahren das zehntemal, daß das Wahlcollegium versammelt war. Wie bei der letzten Wahl erschienen auch gestern nicht die HH. Hugo, Lücke, Ritter, Gauß, Kraut, Ribbentrop. Mehrere der Erschienenen hatten wiederum den "ungleich größeren Muth" weiße Zettel in die Wahlurne zu werfen. Eine sehr geringe Majorität, die aber am Abend zuvor schon feststand, wählte den mit gegenwärtigen Professor der Theologie Reiche, denselben, welcher im Jahr 1838 als Deputirter der Universität für den Conradischen Antrag, also für die Incompetenz der Kammer und seine eigene Incompetenz stimmte, dann im Anfang des vorigen Jahres resignirte und der Universität dadurch die Verlegenheit und Quälerei einer viermaligen Wahlaufforderung zuzog (zweimal lehnte sie die Wahl ab). Professor Reiche hat den Muth, trotz dieser Antecedentien und der bedeutungsvollen Resignation des Justizraths v. Bothmer, die Wahl anzunehmen, um die Ungnade des Königs von der bedrängten Anstalt abzuwenden. Es soll derselbe freilich die besten und kühnsten Plane haben. Vor Allem aber wird er ein Gegengewicht gegen den Hofrath Sermes bei der Berathung des Cap. 4 bilden, und das protestantische Element vertheidigen und aufrecht erhalten. Die Geschichte auch dieser Wahl ist reich an den interessantesten Details, die, wenn sie auch nicht zur Mittheilung in Tagesblättern geeignet sind, doch gewiß nicht verloren gehen. Das Cabinet wird über die Halsstarrigkeit des Gewählten nicht so zu klagen haben als bei dem resignirenden Justizrath, und die Universität kann sich rühmen, sie habe einen Deputirten gewählt der für den Incompetenzbeschluß gestimmt - so ist beiden Theilen geholfen.

Preußen.

Das nahende Ende des Wintersemesters mahnt mich an meine Pflicht, Ihnen endlich wieder einige Notizen über unsere Universität mitzutheilen. Was Vielen als das Lebensprincip einer Hochschule erscheint, die Frequenz, davon ist dießmal nicht so Erfreuliches zu berichten, als wohl zu wünschen wäre; seit dem vorigen Jahre ist sie im Abnehmen. Wir zählten im Winter 1838-39 noch 761 Studirende, im Sommerhalbjahre 1839 nur 699, jetzt nur 648; also ein Minus von 113. Die Ursachen dieser Verminderung sind indeß so ziemlich überall dieselben; es drängen sich überhaupt nicht mehr so viele zum Studium, seit die mächtig emporstrebende Industrie ein weites und nicht minder ehrenvolles, auf alle Fälle aber lohnenderes Feld der jugendlichen Thätigkeit bietet. In Betreff der Universität Bonn insbesondere wirkt noch der Umstand mit, daß, seit Heidelbergs Besuch den preußischen Studirenden wieder gestattet ist, das Dreigestirn dort strahlender Namen besonders die Juristen hinlockt. (So eben ist einer der Sterne erloschen.) Indessen bewahrt Bonn sein Vorrecht, die Sprößlinge fürstlicher Häuser am längsten in seinen Mauern zu beherbergen: so studirten hier in diesem Semester die Prinzen Friedrich Wilhelm Georg Aldolph von Hessen und Christian von Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Beide Prinzen werden noch länger ihre Studien hier fortsetzen, und außerdem erwartet man für das nächste Halbjahr den Erbgroßherzog von Mecklenburg - Schwerin, den Erbprinzen von Lippe-Detmold; vielleicht werden wir sogar einen Sprößling unsers Königshauses unter unsere akademischen Bürger einzureihen haben. - Im lehrenden Personal haben sich einige Veränderungen ergeben. Die katholisch-theologische Facultät, welche Klee (nun in München) verloren hat, erhielt in Vogelsang einen neuen ordentlichen, und in Hilgers einen außerordentlichen Professor. Hilgers hat einen Ruf als Ordinarius nach Breslau ausgeschlagen, um seinem hiesigen Wirkungskreise als Docent und Pastor treu zu bleiben. Die evangelisch-theologische Facultät hat in Dr. Bauer einen neuen Privatdocenten; in der juristischen tritt an Bethmann-Hollwegs Stelle der auf längere Zeit Urlaub hat, der Prof. Karl Sell aus Gießen. Die philosophische Facultät hat in dem außerordentlichen Prof. Schopen, dem trefflichen Herausgeber des Corpus Byzantinorum, ein würdiges Mitglied erhalten; außerdem zählt sie zwei neue Privatdocenten, Gildemeister (Orientalist) und Volkmuth. - Ich darf diesen Bericht nicht schließen, ohne eines Zeitungsartikels zu erwähnen, der verschiedene Blätter durchlaufen hat, und eigentlich gar keine Widerlegung verdiente, wenn nicht gewisse Dinge um so leichter Glauben fänden, je abgeschmackter sie sind. Dem betreffenden Artikel zufolge soll nämlich Prinz Albert, der Gemahl der Königin von England, während seiner Studienzeit in Bonn einer der "neun Verbindungen" (soll heißen sechs) angehört haben; aus Bescheidenheit aber habe er "die weiße Mütze, das Zeichen der adligen Verbindung" nicht getragen. Abgesehen davon, daß Verbindungen in dem burschikosen Sinne, den man sonst wohl diesem Worte unterlegt, hier gar nicht bestehen, und was man hier von dieser Art kennt, lediglich auf geselliges Vergnügen abzielt, so gibt es auch hier durchaus keinen solchen Verein, dem man das Beiwort adelig geben könnte. Die erwähnten "weißen Mützen" zählen Unadelige eben so gut wie Herren von zu ihren Mitgliedern; und der Prinz Albert endlich hat weder dieser, noch sonst irgend einer andern Verbindung jemals

Officier v. C., welcher um die Erlaubniß nachgesucht hatte, der französischen Expedition gegen Abd-El-Kader beiwohnen zu dürfen, ist eröffnet worden, daß diese aus politischen Gründen nicht ertheilt werden könne, er aber dafür auf andere Art entschädigt werden solle. Worin diese Entschädigung bestehen wird, ist noch zur Zeit unbekannt.

Der Großfürst-Thronfolger von Rußland, der am 30 März Nachmittags aus Warschau hier eingetroffen, und im Hotel des russischen Gesandten abgestiegen war, ist heute Morgen um 6 Uhr nach Berlin weiter gereist. Se. kais. Hoh. besuchte während seines hiesigen Aufenthalts einigemal das Theater, so wie die hiesigen Kunstsammlungen, und am 31 Morgens defilirte in Parade die hiesige Garnison mit Hinzuziehung der Garnisonen einiger benachbarten kleinen Städte, so wie ein auf der Eisenbahn aus Leipzig geholtes Bataillon der trefflichen leichten Infanterie vor dem Großfürsten, dem König, Prinzen Johann und Erbgroßherzog von Mecklenburg auf dem Neumarkte vorüber. Gestern Abend endlich war zu Ehren des hohen Gastes große Soirée mit Concert und Souper bei Hofe, nach deren Schlusse derselbe sogleich von der k. Familie Abschied nahm. Der junge Thronfolger sieht über sein Alter ernst aus, und so wie seine blassen Züge entschieden das Gepräge derer der preußischen Königsfamilie tragen, erinnert sein Wesen zunächst an den Kronprinzen von Preußen. Es wäre sehr erfreulich, wenn diese Aehnlichkeit eine wirkliche Sympathie für seine mütterliche Heimath verkündete, und seine dereinstige Regierung in deren Folge vielleicht nachbarlichere Gesinnungen als die derzeitige gegen Preußen bethätigte. Aus der Umgebung des Großfürsten ragen die HH. v. Schukowsky (sein Erzieher), v. Orloff und Kisseleff, ein jeder in seiner Art als bedeutende Persönlichkeiten hervor, und beweisen, wie gut Rußland immer vor manchen andern Staaten versteht, zu wichtigen Stellungen die rechten Männer zu wählen.

Gestern war ein Theil der ordentlichen Professoren versammelt, um auf hohen Befehl des Curatoriums abermals einen Deputirten zu wählen. Es ist dieß in zwei Jahren das zehntemal, daß das Wahlcollegium versammelt war. Wie bei der letzten Wahl erschienen auch gestern nicht die HH. Hugo, Lücke, Ritter, Gauß, Kraut, Ribbentrop. Mehrere der Erschienenen hatten wiederum den „ungleich größeren Muth“ weiße Zettel in die Wahlurne zu werfen. Eine sehr geringe Majorität, die aber am Abend zuvor schon feststand, wählte den mit gegenwärtigen Professor der Theologie Reiche, denselben, welcher im Jahr 1838 als Deputirter der Universität für den Conradischen Antrag, also für die Incompetenz der Kammer und seine eigene Incompetenz stimmte, dann im Anfang des vorigen Jahres resignirte und der Universität dadurch die Verlegenheit und Quälerei einer viermaligen Wahlaufforderung zuzog (zweimal lehnte sie die Wahl ab). Professor Reiche hat den Muth, trotz dieser Antecedentien und der bedeutungsvollen Resignation des Justizraths v. Bothmer, die Wahl anzunehmen, um die Ungnade des Königs von der bedrängten Anstalt abzuwenden. Es soll derselbe freilich die besten und kühnsten Plane haben. Vor Allem aber wird er ein Gegengewicht gegen den Hofrath Sermes bei der Berathung des Cap. 4 bilden, und das protestantische Element vertheidigen und aufrecht erhalten. Die Geschichte auch dieser Wahl ist reich an den interessantesten Details, die, wenn sie auch nicht zur Mittheilung in Tagesblättern geeignet sind, doch gewiß nicht verloren gehen. Das Cabinet wird über die Halsstarrigkeit des Gewählten nicht so zu klagen haben als bei dem resignirenden Justizrath, und die Universität kann sich rühmen, sie habe einen Deputirten gewählt der für den Incompetenzbeschluß gestimmt – so ist beiden Theilen geholfen.

Preußen.

Das nahende Ende des Wintersemesters mahnt mich an meine Pflicht, Ihnen endlich wieder einige Notizen über unsere Universität mitzutheilen. Was Vielen als das Lebensprincip einer Hochschule erscheint, die Frequenz, davon ist dießmal nicht so Erfreuliches zu berichten, als wohl zu wünschen wäre; seit dem vorigen Jahre ist sie im Abnehmen. Wir zählten im Winter 1838-39 noch 761 Studirende, im Sommerhalbjahre 1839 nur 699, jetzt nur 648; also ein Minus von 113. Die Ursachen dieser Verminderung sind indeß so ziemlich überall dieselben; es drängen sich überhaupt nicht mehr so viele zum Studium, seit die mächtig emporstrebende Industrie ein weites und nicht minder ehrenvolles, auf alle Fälle aber lohnenderes Feld der jugendlichen Thätigkeit bietet. In Betreff der Universität Bonn insbesondere wirkt noch der Umstand mit, daß, seit Heidelbergs Besuch den preußischen Studirenden wieder gestattet ist, das Dreigestirn dort strahlender Namen besonders die Juristen hinlockt. (So eben ist einer der Sterne erloschen.) Indessen bewahrt Bonn sein Vorrecht, die Sprößlinge fürstlicher Häuser am längsten in seinen Mauern zu beherbergen: so studirten hier in diesem Semester die Prinzen Friedrich Wilhelm Georg Aldolph von Hessen und Christian von Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Beide Prinzen werden noch länger ihre Studien hier fortsetzen, und außerdem erwartet man für das nächste Halbjahr den Erbgroßherzog von Mecklenburg - Schwerin, den Erbprinzen von Lippe-Detmold; vielleicht werden wir sogar einen Sprößling unsers Königshauses unter unsere akademischen Bürger einzureihen haben. – Im lehrenden Personal haben sich einige Veränderungen ergeben. Die katholisch-theologische Facultät, welche Klee (nun in München) verloren hat, erhielt in Vogelsang einen neuen ordentlichen, und in Hilgers einen außerordentlichen Professor. Hilgers hat einen Ruf als Ordinarius nach Breslau ausgeschlagen, um seinem hiesigen Wirkungskreise als Docent und Pastor treu zu bleiben. Die evangelisch-theologische Facultät hat in Dr. Bauer einen neuen Privatdocenten; in der juristischen tritt an Bethmann-Hollwegs Stelle der auf längere Zeit Urlaub hat, der Prof. Karl Sell aus Gießen. Die philosophische Facultät hat in dem außerordentlichen Prof. Schopen, dem trefflichen Herausgeber des Corpus Byzantinorum, ein würdiges Mitglied erhalten; außerdem zählt sie zwei neue Privatdocenten, Gildemeister (Orientalist) und Volkmuth. – Ich darf diesen Bericht nicht schließen, ohne eines Zeitungsartikels zu erwähnen, der verschiedene Blätter durchlaufen hat, und eigentlich gar keine Widerlegung verdiente, wenn nicht gewisse Dinge um so leichter Glauben fänden, je abgeschmackter sie sind. Dem betreffenden Artikel zufolge soll nämlich Prinz Albert, der Gemahl der Königin von England, während seiner Studienzeit in Bonn einer der „neun Verbindungen“ (soll heißen sechs) angehört haben; aus Bescheidenheit aber habe er „die weiße Mütze, das Zeichen der adligen Verbindung“ nicht getragen. Abgesehen davon, daß Verbindungen in dem burschikosen Sinne, den man sonst wohl diesem Worte unterlegt, hier gar nicht bestehen, und was man hier von dieser Art kennt, lediglich auf geselliges Vergnügen abzielt, so gibt es auch hier durchaus keinen solchen Verein, dem man das Beiwort adelig geben könnte. Die erwähnten „weißen Mützen“ zählen Unadelige eben so gut wie Herren von zu ihren Mitgliedern; und der Prinz Albert endlich hat weder dieser, noch sonst irgend einer andern Verbindung jemals

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0006" n="0774"/>
Officier v. C., welcher um die Erlaubniß nachgesucht hatte, der französischen Expedition gegen Abd-El-Kader beiwohnen zu dürfen, ist eröffnet worden, daß diese aus politischen Gründen nicht ertheilt werden könne, er aber dafür auf andere Art entschädigt werden solle. Worin diese Entschädigung bestehen wird, ist noch zur Zeit unbekannt.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Dresden,</hi> 2 April.</dateline>
          <p> Der Großfürst-Thronfolger von Rußland, der am 30 März Nachmittags aus Warschau hier eingetroffen, und im Hotel des russischen Gesandten abgestiegen war, ist heute Morgen um 6 Uhr nach Berlin weiter gereist. Se. kais. Hoh. besuchte während seines hiesigen Aufenthalts einigemal das Theater, so wie die hiesigen Kunstsammlungen, und am 31 Morgens defilirte in Parade die hiesige Garnison mit Hinzuziehung der Garnisonen einiger benachbarten kleinen Städte, so wie ein auf der Eisenbahn aus Leipzig geholtes Bataillon der trefflichen leichten Infanterie vor dem Großfürsten, dem König, Prinzen Johann und Erbgroßherzog von Mecklenburg auf dem Neumarkte vorüber. Gestern Abend endlich war zu Ehren des hohen Gastes große Soirée mit Concert und Souper bei Hofe, nach deren Schlusse derselbe sogleich von der k. Familie Abschied nahm. Der junge Thronfolger sieht über sein Alter ernst aus, und so wie seine blassen Züge entschieden das Gepräge derer der preußischen Königsfamilie tragen, erinnert sein Wesen zunächst an den Kronprinzen von Preußen. Es wäre sehr erfreulich, wenn diese Aehnlichkeit eine wirkliche Sympathie für seine mütterliche Heimath verkündete, und seine dereinstige Regierung in deren Folge vielleicht nachbarlichere Gesinnungen als die derzeitige gegen Preußen bethätigte. Aus der Umgebung des Großfürsten ragen die HH. v. Schukowsky (sein Erzieher), v. Orloff und Kisseleff, ein jeder in seiner Art als bedeutende Persönlichkeiten hervor, und beweisen, wie gut Rußland immer vor manchen andern Staaten versteht, zu wichtigen Stellungen die rechten Männer zu wählen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Göttingen,</hi> 1 April.</dateline>
          <p> Gestern war ein Theil der ordentlichen Professoren versammelt, um auf hohen Befehl des Curatoriums abermals einen Deputirten zu wählen. Es ist dieß in zwei Jahren das zehntemal, daß das Wahlcollegium versammelt war. Wie bei der letzten Wahl erschienen auch gestern <hi rendition="#g">nicht</hi> die HH. Hugo, Lücke, Ritter, Gauß, Kraut, Ribbentrop. Mehrere der Erschienenen hatten wiederum den &#x201E;ungleich größeren Muth&#x201C; weiße Zettel in die Wahlurne zu werfen. Eine sehr geringe Majorität, die aber am Abend zuvor schon feststand, wählte den mit gegenwärtigen Professor der Theologie <hi rendition="#g">Reiche</hi>, denselben, welcher im Jahr 1838 als Deputirter der Universität für den Conradischen Antrag, also für die Incompetenz der Kammer und seine eigene Incompetenz stimmte, dann im Anfang des vorigen Jahres resignirte und der Universität dadurch die Verlegenheit und Quälerei einer viermaligen Wahlaufforderung zuzog (zweimal lehnte sie die Wahl ab). Professor Reiche hat den Muth, trotz dieser Antecedentien und der bedeutungsvollen Resignation des Justizraths v. Bothmer, die Wahl anzunehmen, um die Ungnade des Königs von der bedrängten Anstalt abzuwenden. Es soll derselbe freilich die besten und kühnsten Plane haben. Vor Allem aber wird er ein Gegengewicht gegen den Hofrath Sermes bei der Berathung des Cap. 4 bilden, und das protestantische Element vertheidigen und aufrecht erhalten. Die Geschichte auch dieser Wahl ist reich an den interessantesten Details, die, wenn sie auch nicht zur Mittheilung in Tagesblättern geeignet sind, doch gewiß nicht verloren gehen. Das Cabinet wird über die Halsstarrigkeit des Gewählten nicht so zu klagen haben als bei dem resignirenden Justizrath, und die Universität kann sich rühmen, sie habe einen Deputirten gewählt der für den Incompetenzbeschluß gestimmt &#x2013; so ist beiden Theilen geholfen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Preußen.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Bonn,</hi> 27 März.</dateline>
          <p> Das nahende Ende des Wintersemesters mahnt mich an meine Pflicht, Ihnen endlich wieder einige Notizen über unsere Universität mitzutheilen. Was Vielen als das Lebensprincip einer Hochschule erscheint, die Frequenz, davon ist dießmal nicht so Erfreuliches zu berichten, als wohl zu wünschen wäre; seit dem vorigen Jahre ist sie im Abnehmen. Wir zählten im Winter 1838-39 noch 761 Studirende, im Sommerhalbjahre 1839 nur 699, jetzt nur 648; also ein Minus von 113. Die Ursachen dieser Verminderung sind indeß so ziemlich überall dieselben; es drängen sich überhaupt nicht mehr so viele zum Studium, seit die mächtig emporstrebende Industrie ein weites und nicht minder ehrenvolles, auf alle Fälle aber lohnenderes Feld der jugendlichen Thätigkeit bietet. In Betreff der Universität Bonn insbesondere wirkt noch der Umstand mit, daß, seit Heidelbergs Besuch den preußischen Studirenden wieder gestattet ist, das Dreigestirn dort strahlender Namen besonders die Juristen hinlockt. (So eben ist einer der Sterne erloschen.) Indessen bewahrt Bonn sein Vorrecht, die Sprößlinge fürstlicher Häuser am längsten in seinen Mauern zu beherbergen: so studirten hier in diesem Semester die Prinzen Friedrich Wilhelm Georg Aldolph von <hi rendition="#g">Hessen</hi> und Christian von <hi rendition="#g">Holstein</hi>-Sonderburg-Glücksburg. Beide Prinzen werden noch länger ihre Studien hier fortsetzen, und außerdem erwartet man für das nächste Halbjahr den Erbgroßherzog von Mecklenburg - Schwerin, den Erbprinzen von Lippe-Detmold; vielleicht werden wir sogar einen Sprößling unsers Königshauses unter unsere akademischen Bürger einzureihen haben. &#x2013; Im lehrenden Personal haben sich einige Veränderungen ergeben. Die katholisch-theologische Facultät, welche Klee (nun in München) verloren hat, erhielt in Vogelsang einen neuen ordentlichen, und in Hilgers einen außerordentlichen Professor. Hilgers hat einen Ruf als Ordinarius nach Breslau ausgeschlagen, um seinem hiesigen Wirkungskreise als Docent und Pastor treu zu bleiben. Die evangelisch-theologische Facultät hat in Dr. Bauer einen neuen Privatdocenten; in der juristischen tritt an Bethmann-Hollwegs Stelle der auf längere Zeit Urlaub hat, der Prof. Karl Sell aus Gießen. Die philosophische Facultät hat in dem außerordentlichen Prof. Schopen, dem trefflichen Herausgeber des Corpus Byzantinorum, ein würdiges Mitglied erhalten; außerdem zählt sie zwei neue Privatdocenten, Gildemeister (Orientalist) und Volkmuth. &#x2013; Ich darf diesen Bericht nicht schließen, ohne eines Zeitungsartikels zu erwähnen, der verschiedene Blätter durchlaufen hat, und eigentlich gar keine Widerlegung verdiente, wenn nicht gewisse Dinge um so leichter Glauben fänden, je abgeschmackter sie sind. Dem betreffenden Artikel zufolge soll nämlich Prinz Albert, der Gemahl der Königin von England, während seiner Studienzeit in Bonn einer der &#x201E;neun Verbindungen&#x201C; (soll heißen <hi rendition="#g">sechs</hi>) angehört haben; aus Bescheidenheit aber habe er &#x201E;die weiße Mütze, das Zeichen der adligen Verbindung&#x201C; nicht getragen. Abgesehen davon, daß Verbindungen in <hi rendition="#g">dem</hi> burschikosen Sinne, den man sonst wohl diesem Worte unterlegt, hier gar nicht bestehen, und was man hier von dieser Art kennt, lediglich auf geselliges Vergnügen abzielt, so gibt es auch hier durchaus keinen solchen Verein, dem man das Beiwort <hi rendition="#g">adelig</hi> geben könnte. Die erwähnten &#x201E;weißen Mützen&#x201C; zählen Unadelige eben so gut wie <hi rendition="#g">Herren von</hi> zu ihren Mitgliedern; und der Prinz Albert endlich hat weder dieser, noch sonst irgend einer andern Verbindung jemals<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0774/0006] Officier v. C., welcher um die Erlaubniß nachgesucht hatte, der französischen Expedition gegen Abd-El-Kader beiwohnen zu dürfen, ist eröffnet worden, daß diese aus politischen Gründen nicht ertheilt werden könne, er aber dafür auf andere Art entschädigt werden solle. Worin diese Entschädigung bestehen wird, ist noch zur Zeit unbekannt. _ Dresden, 2 April. Der Großfürst-Thronfolger von Rußland, der am 30 März Nachmittags aus Warschau hier eingetroffen, und im Hotel des russischen Gesandten abgestiegen war, ist heute Morgen um 6 Uhr nach Berlin weiter gereist. Se. kais. Hoh. besuchte während seines hiesigen Aufenthalts einigemal das Theater, so wie die hiesigen Kunstsammlungen, und am 31 Morgens defilirte in Parade die hiesige Garnison mit Hinzuziehung der Garnisonen einiger benachbarten kleinen Städte, so wie ein auf der Eisenbahn aus Leipzig geholtes Bataillon der trefflichen leichten Infanterie vor dem Großfürsten, dem König, Prinzen Johann und Erbgroßherzog von Mecklenburg auf dem Neumarkte vorüber. Gestern Abend endlich war zu Ehren des hohen Gastes große Soirée mit Concert und Souper bei Hofe, nach deren Schlusse derselbe sogleich von der k. Familie Abschied nahm. Der junge Thronfolger sieht über sein Alter ernst aus, und so wie seine blassen Züge entschieden das Gepräge derer der preußischen Königsfamilie tragen, erinnert sein Wesen zunächst an den Kronprinzen von Preußen. Es wäre sehr erfreulich, wenn diese Aehnlichkeit eine wirkliche Sympathie für seine mütterliche Heimath verkündete, und seine dereinstige Regierung in deren Folge vielleicht nachbarlichere Gesinnungen als die derzeitige gegen Preußen bethätigte. Aus der Umgebung des Großfürsten ragen die HH. v. Schukowsky (sein Erzieher), v. Orloff und Kisseleff, ein jeder in seiner Art als bedeutende Persönlichkeiten hervor, und beweisen, wie gut Rußland immer vor manchen andern Staaten versteht, zu wichtigen Stellungen die rechten Männer zu wählen. _ Göttingen, 1 April. Gestern war ein Theil der ordentlichen Professoren versammelt, um auf hohen Befehl des Curatoriums abermals einen Deputirten zu wählen. Es ist dieß in zwei Jahren das zehntemal, daß das Wahlcollegium versammelt war. Wie bei der letzten Wahl erschienen auch gestern nicht die HH. Hugo, Lücke, Ritter, Gauß, Kraut, Ribbentrop. Mehrere der Erschienenen hatten wiederum den „ungleich größeren Muth“ weiße Zettel in die Wahlurne zu werfen. Eine sehr geringe Majorität, die aber am Abend zuvor schon feststand, wählte den mit gegenwärtigen Professor der Theologie Reiche, denselben, welcher im Jahr 1838 als Deputirter der Universität für den Conradischen Antrag, also für die Incompetenz der Kammer und seine eigene Incompetenz stimmte, dann im Anfang des vorigen Jahres resignirte und der Universität dadurch die Verlegenheit und Quälerei einer viermaligen Wahlaufforderung zuzog (zweimal lehnte sie die Wahl ab). Professor Reiche hat den Muth, trotz dieser Antecedentien und der bedeutungsvollen Resignation des Justizraths v. Bothmer, die Wahl anzunehmen, um die Ungnade des Königs von der bedrängten Anstalt abzuwenden. Es soll derselbe freilich die besten und kühnsten Plane haben. Vor Allem aber wird er ein Gegengewicht gegen den Hofrath Sermes bei der Berathung des Cap. 4 bilden, und das protestantische Element vertheidigen und aufrecht erhalten. Die Geschichte auch dieser Wahl ist reich an den interessantesten Details, die, wenn sie auch nicht zur Mittheilung in Tagesblättern geeignet sind, doch gewiß nicht verloren gehen. Das Cabinet wird über die Halsstarrigkeit des Gewählten nicht so zu klagen haben als bei dem resignirenden Justizrath, und die Universität kann sich rühmen, sie habe einen Deputirten gewählt der für den Incompetenzbeschluß gestimmt – so ist beiden Theilen geholfen. Preußen. _ Bonn, 27 März. Das nahende Ende des Wintersemesters mahnt mich an meine Pflicht, Ihnen endlich wieder einige Notizen über unsere Universität mitzutheilen. Was Vielen als das Lebensprincip einer Hochschule erscheint, die Frequenz, davon ist dießmal nicht so Erfreuliches zu berichten, als wohl zu wünschen wäre; seit dem vorigen Jahre ist sie im Abnehmen. Wir zählten im Winter 1838-39 noch 761 Studirende, im Sommerhalbjahre 1839 nur 699, jetzt nur 648; also ein Minus von 113. Die Ursachen dieser Verminderung sind indeß so ziemlich überall dieselben; es drängen sich überhaupt nicht mehr so viele zum Studium, seit die mächtig emporstrebende Industrie ein weites und nicht minder ehrenvolles, auf alle Fälle aber lohnenderes Feld der jugendlichen Thätigkeit bietet. In Betreff der Universität Bonn insbesondere wirkt noch der Umstand mit, daß, seit Heidelbergs Besuch den preußischen Studirenden wieder gestattet ist, das Dreigestirn dort strahlender Namen besonders die Juristen hinlockt. (So eben ist einer der Sterne erloschen.) Indessen bewahrt Bonn sein Vorrecht, die Sprößlinge fürstlicher Häuser am längsten in seinen Mauern zu beherbergen: so studirten hier in diesem Semester die Prinzen Friedrich Wilhelm Georg Aldolph von Hessen und Christian von Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Beide Prinzen werden noch länger ihre Studien hier fortsetzen, und außerdem erwartet man für das nächste Halbjahr den Erbgroßherzog von Mecklenburg - Schwerin, den Erbprinzen von Lippe-Detmold; vielleicht werden wir sogar einen Sprößling unsers Königshauses unter unsere akademischen Bürger einzureihen haben. – Im lehrenden Personal haben sich einige Veränderungen ergeben. Die katholisch-theologische Facultät, welche Klee (nun in München) verloren hat, erhielt in Vogelsang einen neuen ordentlichen, und in Hilgers einen außerordentlichen Professor. Hilgers hat einen Ruf als Ordinarius nach Breslau ausgeschlagen, um seinem hiesigen Wirkungskreise als Docent und Pastor treu zu bleiben. Die evangelisch-theologische Facultät hat in Dr. Bauer einen neuen Privatdocenten; in der juristischen tritt an Bethmann-Hollwegs Stelle der auf längere Zeit Urlaub hat, der Prof. Karl Sell aus Gießen. Die philosophische Facultät hat in dem außerordentlichen Prof. Schopen, dem trefflichen Herausgeber des Corpus Byzantinorum, ein würdiges Mitglied erhalten; außerdem zählt sie zwei neue Privatdocenten, Gildemeister (Orientalist) und Volkmuth. – Ich darf diesen Bericht nicht schließen, ohne eines Zeitungsartikels zu erwähnen, der verschiedene Blätter durchlaufen hat, und eigentlich gar keine Widerlegung verdiente, wenn nicht gewisse Dinge um so leichter Glauben fänden, je abgeschmackter sie sind. Dem betreffenden Artikel zufolge soll nämlich Prinz Albert, der Gemahl der Königin von England, während seiner Studienzeit in Bonn einer der „neun Verbindungen“ (soll heißen sechs) angehört haben; aus Bescheidenheit aber habe er „die weiße Mütze, das Zeichen der adligen Verbindung“ nicht getragen. Abgesehen davon, daß Verbindungen in dem burschikosen Sinne, den man sonst wohl diesem Worte unterlegt, hier gar nicht bestehen, und was man hier von dieser Art kennt, lediglich auf geselliges Vergnügen abzielt, so gibt es auch hier durchaus keinen solchen Verein, dem man das Beiwort adelig geben könnte. Die erwähnten „weißen Mützen“ zählen Unadelige eben so gut wie Herren von zu ihren Mitgliedern; und der Prinz Albert endlich hat weder dieser, noch sonst irgend einer andern Verbindung jemals

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_097_18400406
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_097_18400406/6
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 97. Augsburg, 6. April 1840, S. 0774. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_097_18400406/6>, abgerufen am 29.04.2024.