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Allgemeine Zeitung. Nr. 98. Augsburg, 7. April 1840.

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Marmier und die deutsche Litteratur.

II. Oeffentliche Thätigkeit und öffentlicher Geist in Deutschland.

(Beschluß.)

Hr. Marmier stellt uns die politische Tribune von Paris entgegen, um welche die französische Nation sich in unruhiger Bewegung versammle, und es ist nicht deutlich, ob er sich derselben gegen uns rühmen, oder es uns als einen Mangel an Thätigkeit anrechnen will, daß wir ihr keine entgegenstellen. Letzteres wäre bei der Lage von Deutschland eine Unmöglichkeit. Wir verkennen keineswegs, welcher mächtige Hebel des öffentlichen Geistes sie seyn kann, aber vor der Hand wenigstens hat sie sich in Paris als einen Hebel seiner Zerstörung erwiesen, und wir brauchen uns in die Darstellung dieses kläglichen Erfolgs nicht zu verbreiten, da die französischen Blätter selbst mit ihr angefüllt und unerschöpflich sind, den Untergang des öffentlichen Geistes, die Schlechtigkeit und Verwilderung, die Intriguen, die Faulheit und Albernheit aller jener publicistischen Effect- und Parteimacherei zu schildern, welche die schönste und erhabenste Sache der neuern Civilisation, nämlich die Entstehung, die Beleuchtung und Beschirmung des öffentlichen Rechts und Wohls durch die öffentliche Beredsamkeit, wenigstens an der Seine zu einem Skandal aller Verständigen und zu einer Beschämung derjenigen gemacht hat, welche, durch den stählernen Harnisch der Eitelkeit und Arroganz um die Brust, der Scham nicht unzugänglich sind. Es gibt allerdings noch Ehrenmänner in Frankreich, die von der Ueberzeugung erfüllt sind, daß es gerade auf diesem Punkt in ihrer Heimath radical anders und besser werden müsse, wenn man nicht auch des noch übrigen Restes von guter Gesinnung für das öffentliche Wohl daheim und der Achtung da draußen verlustig und durch ungegründete Ansprüche der nation la plus spirituelle, la plus cultivee et la plus civilisee den andern vollends zum Aergerniß und zum Gespötte werden will, und bei ihnen rathen wir Hrn. Marmier einzukehren, wenn es nicht zu spät ist, ihrer Belehrung noch ein offnes Ohr zu leihen, ehe ihm wieder beikommt, uns diesen Zustand des öffentlichen Geistes als eine Standarte des französischen Ruhmes und der Erhebung über uns entgegenzuhalten.

Anlangend unsere eigene Lage in publicistischer Hinsicht, so kann, im Fall man die Nation in Bezug auf ihre Thätigkeit beurtheilen will, es sich nicht so sehr nach dem fragen, was jene Lage ist, als wie die Nation sich in ihr nimmt, bewegt und handelt. Wir haben in Deutschland keinen Centralpunkt der Politik, der öffentlichen Thätigkeit, der Litteratur und der Wissenschaften. Das hat sein Uebles, es hat aber auch sein Gutes, was indeß unmöglich wäre Franzosen deutlich zu machen, welche die Einheit nicht in der Uebereinstimmung des Mannichfaltigen, sondern in der Einförmigkeit suchen, und durch die Revolution aus der amour de l'unite in die manie de l'uniforme gerathen sind.

Wir haben die Preßfreiheit über publicistische und politische Gegenstände nicht, selbst die Angelegenheiten des Bundes können durch die Presse nicht behandelt werden, und es ist nicht dieses Orts, das in Abrede zu stellen, noch weniger uns dessen zu rühmen; aber eine andere Frage ist, ob durch diese Beschränkung der öffentliche Geist in Deutschland beschränkt, ob er durch sie aus der Behandlung öffentlicher Dinge zurückgewiesen oder in enge Gränzen eingeschlossen, in Folge davon schwächer geworden und seine innere Energie verloren hat. An Eines nur will ich erinnern. Als Lord Castlereagh, der durch die Erfolge der verbündeten Waffen nach Deutschland und zuletzt nach Wien war geführt worden, aus dem Innern unserer damals noch sehr verworrenen Zustände in sein freies und glückliches Vaterland zurückgekehrt war, gab er uns im Jahr 1815 im Parlament, als von der Lage Deutschlands und den Beschränkungen die Rede war, die damals begannen, das Zeugniß: "Deutschland darf nicht nach dem beurtheilt werden, was bei uns als Mittel des öffentlichen Geistes betrachtet wird. Es hat weder die Geschwornen, noch hat es die Freiheit der Presse, noch die Einheit der Macht, noch eine berathende und gesetzgebende Nationalversammlung; aber gleichwohl ist kein Volk, in welchem Unterricht und Bildung verbreiteter, die Einsicht in die allgemeinen Angelegenheiten gesunder und der öffentliche Geist stärker ist (?), als unter den deutschen Völkern." Es scheint mir, daß Deutschland auch jetzt nicht unter dieses Lob herabgesunken ist. Auch hierüber wäre vergeblich mit einem Franzosen zu rechten, der von dem politischen Verstande des Engländers und von seiner Fähigkeit, fremde Zustände unbefangen aufzufassen und in ihrer eigenen Art zu beurtheilen, keine Ahnung, sondern nur die nicht beneidenswerthe Gewandtheit hat, alles Fremde unter den verzogenen Gesichtspunkt der eigenen Beschränktheit zu bringen und in eine Caricatur dessen zu verwandeln, was er bei sich groß und schön und der Nachahmung würdig findet; doch wird es wenigstens zur allgemeinen Abwehr dienen, wenn wir an einige Aeußerungen dieses öffentlichen Geistes erinnern, die seine Dauer und seine Lebenskräftigkeit beweisen. Wir haben keine gemeinsame Rednerbühne, aber wir haben öffentliche Tribunen in München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Kassel, und ein jeder kann aus ihren Verhandlungen wahrnehmen, daß, ungeachtet ihre Sphäre eine beschränkte ist, gleichwohl in ihr für Gesetzgebung, für Verwaltung, Unterricht und Bildung, für die Erweiterung der Quellen der öffentlichen Wohlfahrt mehr geschehen ist, als je zu Paris. Gilt es aber den Zustand des öffentlichen Rechts zu vertheidigen, so hat dieser öffentliche Geist sich eben so wenig unwirksam erwiesen. Was in Hannover seit 1837 geschehen ist, und was auf Veranlassung jener traurigen Ereignisse für die Sache, die dort verfochten wird, außer Hannover geschieht, sey es in den Cabinetten und zur Vertretung des Rechts beim Bundestage, sey es in den einzelnen Ständeversammlungen, sollte doch auch dem Befangenen klar machen, daß Deutschland nicht in politische Apathie versunken ist, und über der "Arbeit der Feder" oder der Aufführung der Ballen und Berge seiner Litteratur die Arbeit an seinem öffentlichen Recht und die Aufführung der zu seinem Schutze nothwendigen Bollwerke nicht vergißt und versäumt. Selbst das Gebiet der publicistischen Litteratur ist für Behandlung und Lösung der großen und wichtigen Fragen dieser Zeit nicht ohne Bedeutung und ohne Erfolg, und was bei beschränkten Verhältnissen hier gleichwohl geleistet wird, wäre wohl geeignet, die Vermuthung zu begründen, daß man hier auf festem und sicherm Boden steht, der jede Frucht, die ihm anvertraut wird, rasch entwickelt und zeitigt. Hat denn Europa viele Blätter, hat namentlich Frankreich auch nur Eines, welches sich an Umfang, Gründlichkeit und Unparteilichkeit auf dem Gebiete der Politik mit der Allg. Zeitung vergleichen kann, die ich hier wohl nennen darf, da ich an ihrer Redaction entfernt keinen Theil habe und auch nur das

Marmier und die deutsche Litteratur.

II. Oeffentliche Thätigkeit und öffentlicher Geist in Deutschland.

(Beschluß.)

Hr. Marmier stellt uns die politische Tribune von Paris entgegen, um welche die französische Nation sich in unruhiger Bewegung versammle, und es ist nicht deutlich, ob er sich derselben gegen uns rühmen, oder es uns als einen Mangel an Thätigkeit anrechnen will, daß wir ihr keine entgegenstellen. Letzteres wäre bei der Lage von Deutschland eine Unmöglichkeit. Wir verkennen keineswegs, welcher mächtige Hebel des öffentlichen Geistes sie seyn kann, aber vor der Hand wenigstens hat sie sich in Paris als einen Hebel seiner Zerstörung erwiesen, und wir brauchen uns in die Darstellung dieses kläglichen Erfolgs nicht zu verbreiten, da die französischen Blätter selbst mit ihr angefüllt und unerschöpflich sind, den Untergang des öffentlichen Geistes, die Schlechtigkeit und Verwilderung, die Intriguen, die Faulheit und Albernheit aller jener publicistischen Effect- und Parteimacherei zu schildern, welche die schönste und erhabenste Sache der neuern Civilisation, nämlich die Entstehung, die Beleuchtung und Beschirmung des öffentlichen Rechts und Wohls durch die öffentliche Beredsamkeit, wenigstens an der Seine zu einem Skandal aller Verständigen und zu einer Beschämung derjenigen gemacht hat, welche, durch den stählernen Harnisch der Eitelkeit und Arroganz um die Brust, der Scham nicht unzugänglich sind. Es gibt allerdings noch Ehrenmänner in Frankreich, die von der Ueberzeugung erfüllt sind, daß es gerade auf diesem Punkt in ihrer Heimath radical anders und besser werden müsse, wenn man nicht auch des noch übrigen Restes von guter Gesinnung für das öffentliche Wohl daheim und der Achtung da draußen verlustig und durch ungegründete Ansprüche der nation la plus spirituelle, la plus cultivée et la plus civilisée den andern vollends zum Aergerniß und zum Gespötte werden will, und bei ihnen rathen wir Hrn. Marmier einzukehren, wenn es nicht zu spät ist, ihrer Belehrung noch ein offnes Ohr zu leihen, ehe ihm wieder beikommt, uns diesen Zustand des öffentlichen Geistes als eine Standarte des französischen Ruhmes und der Erhebung über uns entgegenzuhalten.

Anlangend unsere eigene Lage in publicistischer Hinsicht, so kann, im Fall man die Nation in Bezug auf ihre Thätigkeit beurtheilen will, es sich nicht so sehr nach dem fragen, was jene Lage ist, als wie die Nation sich in ihr nimmt, bewegt und handelt. Wir haben in Deutschland keinen Centralpunkt der Politik, der öffentlichen Thätigkeit, der Litteratur und der Wissenschaften. Das hat sein Uebles, es hat aber auch sein Gutes, was indeß unmöglich wäre Franzosen deutlich zu machen, welche die Einheit nicht in der Uebereinstimmung des Mannichfaltigen, sondern in der Einförmigkeit suchen, und durch die Revolution aus der amour de l'unité in die manie de l'uniforme gerathen sind.

Wir haben die Preßfreiheit über publicistische und politische Gegenstände nicht, selbst die Angelegenheiten des Bundes können durch die Presse nicht behandelt werden, und es ist nicht dieses Orts, das in Abrede zu stellen, noch weniger uns dessen zu rühmen; aber eine andere Frage ist, ob durch diese Beschränkung der öffentliche Geist in Deutschland beschränkt, ob er durch sie aus der Behandlung öffentlicher Dinge zurückgewiesen oder in enge Gränzen eingeschlossen, in Folge davon schwächer geworden und seine innere Energie verloren hat. An Eines nur will ich erinnern. Als Lord Castlereagh, der durch die Erfolge der verbündeten Waffen nach Deutschland und zuletzt nach Wien war geführt worden, aus dem Innern unserer damals noch sehr verworrenen Zustände in sein freies und glückliches Vaterland zurückgekehrt war, gab er uns im Jahr 1815 im Parlament, als von der Lage Deutschlands und den Beschränkungen die Rede war, die damals begannen, das Zeugniß: „Deutschland darf nicht nach dem beurtheilt werden, was bei uns als Mittel des öffentlichen Geistes betrachtet wird. Es hat weder die Geschwornen, noch hat es die Freiheit der Presse, noch die Einheit der Macht, noch eine berathende und gesetzgebende Nationalversammlung; aber gleichwohl ist kein Volk, in welchem Unterricht und Bildung verbreiteter, die Einsicht in die allgemeinen Angelegenheiten gesunder und der öffentliche Geist stärker ist (?), als unter den deutschen Völkern.“ Es scheint mir, daß Deutschland auch jetzt nicht unter dieses Lob herabgesunken ist. Auch hierüber wäre vergeblich mit einem Franzosen zu rechten, der von dem politischen Verstande des Engländers und von seiner Fähigkeit, fremde Zustände unbefangen aufzufassen und in ihrer eigenen Art zu beurtheilen, keine Ahnung, sondern nur die nicht beneidenswerthe Gewandtheit hat, alles Fremde unter den verzogenen Gesichtspunkt der eigenen Beschränktheit zu bringen und in eine Caricatur dessen zu verwandeln, was er bei sich groß und schön und der Nachahmung würdig findet; doch wird es wenigstens zur allgemeinen Abwehr dienen, wenn wir an einige Aeußerungen dieses öffentlichen Geistes erinnern, die seine Dauer und seine Lebenskräftigkeit beweisen. Wir haben keine gemeinsame Rednerbühne, aber wir haben öffentliche Tribunen in München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Kassel, und ein jeder kann aus ihren Verhandlungen wahrnehmen, daß, ungeachtet ihre Sphäre eine beschränkte ist, gleichwohl in ihr für Gesetzgebung, für Verwaltung, Unterricht und Bildung, für die Erweiterung der Quellen der öffentlichen Wohlfahrt mehr geschehen ist, als je zu Paris. Gilt es aber den Zustand des öffentlichen Rechts zu vertheidigen, so hat dieser öffentliche Geist sich eben so wenig unwirksam erwiesen. Was in Hannover seit 1837 geschehen ist, und was auf Veranlassung jener traurigen Ereignisse für die Sache, die dort verfochten wird, außer Hannover geschieht, sey es in den Cabinetten und zur Vertretung des Rechts beim Bundestage, sey es in den einzelnen Ständeversammlungen, sollte doch auch dem Befangenen klar machen, daß Deutschland nicht in politische Apathie versunken ist, und über der „Arbeit der Feder“ oder der Aufführung der Ballen und Berge seiner Litteratur die Arbeit an seinem öffentlichen Recht und die Aufführung der zu seinem Schutze nothwendigen Bollwerke nicht vergißt und versäumt. Selbst das Gebiet der publicistischen Litteratur ist für Behandlung und Lösung der großen und wichtigen Fragen dieser Zeit nicht ohne Bedeutung und ohne Erfolg, und was bei beschränkten Verhältnissen hier gleichwohl geleistet wird, wäre wohl geeignet, die Vermuthung zu begründen, daß man hier auf festem und sicherm Boden steht, der jede Frucht, die ihm anvertraut wird, rasch entwickelt und zeitigt. Hat denn Europa viele Blätter, hat namentlich Frankreich auch nur Eines, welches sich an Umfang, Gründlichkeit und Unparteilichkeit auf dem Gebiete der Politik mit der Allg. Zeitung vergleichen kann, die ich hier wohl nennen darf, da ich an ihrer Redaction entfernt keinen Theil habe und auch nur das

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[0777/0009] Marmier und die deutsche Litteratur. II. Oeffentliche Thätigkeit und öffentlicher Geist in Deutschland. (Beschluß.) Hr. Marmier stellt uns die politische Tribune von Paris entgegen, um welche die französische Nation sich in unruhiger Bewegung versammle, und es ist nicht deutlich, ob er sich derselben gegen uns rühmen, oder es uns als einen Mangel an Thätigkeit anrechnen will, daß wir ihr keine entgegenstellen. Letzteres wäre bei der Lage von Deutschland eine Unmöglichkeit. Wir verkennen keineswegs, welcher mächtige Hebel des öffentlichen Geistes sie seyn kann, aber vor der Hand wenigstens hat sie sich in Paris als einen Hebel seiner Zerstörung erwiesen, und wir brauchen uns in die Darstellung dieses kläglichen Erfolgs nicht zu verbreiten, da die französischen Blätter selbst mit ihr angefüllt und unerschöpflich sind, den Untergang des öffentlichen Geistes, die Schlechtigkeit und Verwilderung, die Intriguen, die Faulheit und Albernheit aller jener publicistischen Effect- und Parteimacherei zu schildern, welche die schönste und erhabenste Sache der neuern Civilisation, nämlich die Entstehung, die Beleuchtung und Beschirmung des öffentlichen Rechts und Wohls durch die öffentliche Beredsamkeit, wenigstens an der Seine zu einem Skandal aller Verständigen und zu einer Beschämung derjenigen gemacht hat, welche, durch den stählernen Harnisch der Eitelkeit und Arroganz um die Brust, der Scham nicht unzugänglich sind. Es gibt allerdings noch Ehrenmänner in Frankreich, die von der Ueberzeugung erfüllt sind, daß es gerade auf diesem Punkt in ihrer Heimath radical anders und besser werden müsse, wenn man nicht auch des noch übrigen Restes von guter Gesinnung für das öffentliche Wohl daheim und der Achtung da draußen verlustig und durch ungegründete Ansprüche der nation la plus spirituelle, la plus cultivée et la plus civilisée den andern vollends zum Aergerniß und zum Gespötte werden will, und bei ihnen rathen wir Hrn. Marmier einzukehren, wenn es nicht zu spät ist, ihrer Belehrung noch ein offnes Ohr zu leihen, ehe ihm wieder beikommt, uns diesen Zustand des öffentlichen Geistes als eine Standarte des französischen Ruhmes und der Erhebung über uns entgegenzuhalten. Anlangend unsere eigene Lage in publicistischer Hinsicht, so kann, im Fall man die Nation in Bezug auf ihre Thätigkeit beurtheilen will, es sich nicht so sehr nach dem fragen, was jene Lage ist, als wie die Nation sich in ihr nimmt, bewegt und handelt. Wir haben in Deutschland keinen Centralpunkt der Politik, der öffentlichen Thätigkeit, der Litteratur und der Wissenschaften. Das hat sein Uebles, es hat aber auch sein Gutes, was indeß unmöglich wäre Franzosen deutlich zu machen, welche die Einheit nicht in der Uebereinstimmung des Mannichfaltigen, sondern in der Einförmigkeit suchen, und durch die Revolution aus der amour de l'unité in die manie de l'uniforme gerathen sind. Wir haben die Preßfreiheit über publicistische und politische Gegenstände nicht, selbst die Angelegenheiten des Bundes können durch die Presse nicht behandelt werden, und es ist nicht dieses Orts, das in Abrede zu stellen, noch weniger uns dessen zu rühmen; aber eine andere Frage ist, ob durch diese Beschränkung der öffentliche Geist in Deutschland beschränkt, ob er durch sie aus der Behandlung öffentlicher Dinge zurückgewiesen oder in enge Gränzen eingeschlossen, in Folge davon schwächer geworden und seine innere Energie verloren hat. An Eines nur will ich erinnern. Als Lord Castlereagh, der durch die Erfolge der verbündeten Waffen nach Deutschland und zuletzt nach Wien war geführt worden, aus dem Innern unserer damals noch sehr verworrenen Zustände in sein freies und glückliches Vaterland zurückgekehrt war, gab er uns im Jahr 1815 im Parlament, als von der Lage Deutschlands und den Beschränkungen die Rede war, die damals begannen, das Zeugniß: „Deutschland darf nicht nach dem beurtheilt werden, was bei uns als Mittel des öffentlichen Geistes betrachtet wird. Es hat weder die Geschwornen, noch hat es die Freiheit der Presse, noch die Einheit der Macht, noch eine berathende und gesetzgebende Nationalversammlung; aber gleichwohl ist kein Volk, in welchem Unterricht und Bildung verbreiteter, die Einsicht in die allgemeinen Angelegenheiten gesunder und der öffentliche Geist stärker ist (?), als unter den deutschen Völkern.“ Es scheint mir, daß Deutschland auch jetzt nicht unter dieses Lob herabgesunken ist. Auch hierüber wäre vergeblich mit einem Franzosen zu rechten, der von dem politischen Verstande des Engländers und von seiner Fähigkeit, fremde Zustände unbefangen aufzufassen und in ihrer eigenen Art zu beurtheilen, keine Ahnung, sondern nur die nicht beneidenswerthe Gewandtheit hat, alles Fremde unter den verzogenen Gesichtspunkt der eigenen Beschränktheit zu bringen und in eine Caricatur dessen zu verwandeln, was er bei sich groß und schön und der Nachahmung würdig findet; doch wird es wenigstens zur allgemeinen Abwehr dienen, wenn wir an einige Aeußerungen dieses öffentlichen Geistes erinnern, die seine Dauer und seine Lebenskräftigkeit beweisen. Wir haben keine gemeinsame Rednerbühne, aber wir haben öffentliche Tribunen in München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Kassel, und ein jeder kann aus ihren Verhandlungen wahrnehmen, daß, ungeachtet ihre Sphäre eine beschränkte ist, gleichwohl in ihr für Gesetzgebung, für Verwaltung, Unterricht und Bildung, für die Erweiterung der Quellen der öffentlichen Wohlfahrt mehr geschehen ist, als je zu Paris. Gilt es aber den Zustand des öffentlichen Rechts zu vertheidigen, so hat dieser öffentliche Geist sich eben so wenig unwirksam erwiesen. Was in Hannover seit 1837 geschehen ist, und was auf Veranlassung jener traurigen Ereignisse für die Sache, die dort verfochten wird, außer Hannover geschieht, sey es in den Cabinetten und zur Vertretung des Rechts beim Bundestage, sey es in den einzelnen Ständeversammlungen, sollte doch auch dem Befangenen klar machen, daß Deutschland nicht in politische Apathie versunken ist, und über der „Arbeit der Feder“ oder der Aufführung der Ballen und Berge seiner Litteratur die Arbeit an seinem öffentlichen Recht und die Aufführung der zu seinem Schutze nothwendigen Bollwerke nicht vergißt und versäumt. Selbst das Gebiet der publicistischen Litteratur ist für Behandlung und Lösung der großen und wichtigen Fragen dieser Zeit nicht ohne Bedeutung und ohne Erfolg, und was bei beschränkten Verhältnissen hier gleichwohl geleistet wird, wäre wohl geeignet, die Vermuthung zu begründen, daß man hier auf festem und sicherm Boden steht, der jede Frucht, die ihm anvertraut wird, rasch entwickelt und zeitigt. Hat denn Europa viele Blätter, hat namentlich Frankreich auch nur Eines, welches sich an Umfang, Gründlichkeit und Unparteilichkeit auf dem Gebiete der Politik mit der Allg. Zeitung vergleichen kann, die ich hier wohl nennen darf, da ich an ihrer Redaction entfernt keinen Theil habe und auch nur das

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 98. Augsburg, 7. April 1840, S. 0777. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_098_18400407/9>, abgerufen am 09.11.2024.