Allgemeine Zeitung. Nr. 101. Augsburg, 10. April 1840.Deputirten aller Schattirungen der Linken und des linken Centrums waren dort beisammen. Der Conseilpräsident und Madame Thiers hatten sich ebenfalls eingefunden. (Commerce.) Man sagte heute in der Kammer, daß 80 Mitglieder der 221 entschlossen seyen, den Vorschlag des Hrn. v. Remilly zu unterstützen. Man sprach auch viel von der von einigen Mitgliedern der ministeriellen Linken entwickelten Beredsamkeit, um dem ehrenwerthen Deputirten zu beweisen, daß eine Zurücknahme seines Vorschlags passend seyn würde. Hr. v. Remilly beharrt dabei, und sein Vorschlag ist für Dienstag an der Tagesordnung in den Bureaux. - Der Conseilpräsident hat auf denselben Tag Gesetzesentwürfe über Eisenbahnen und transatlantische Schifffahrt angekündigt. Paris, 5 April. Es äußern sich in der Pairskammer Symptome, die an gewisse Epochen unter der Restauration erinnern. Das Gesetz über Expropriation im öffentlichen Interesse und der Beschluß der zweiten Kammer in Betreff der geheimen Gelder finden in diesem Collegium moderner Patricier sehr bittern Widerspruch. Die Ehre, die Bewilligung der geheimen Gelder zu bestreiten, soll insbesondere den beiden Pairs: Barthe und Merilhou vorbehalten seyn, was denn zu dem erbaulichen Schauspiele führen mag, daß die beiden verschriensten Ueberläufer des alten Carbonarismus sich zu Vorkämpfern der neuen Ultras, zu Vertretern der sogenannten conservativen Interessen gegen die "Revolution" des 1 März aufwerfen werden. Hinter den Schwierigkeiten, die man dem neuen Expropriationsgesetz entgegen hält, sieht unverkennbar die egoistische Berechnung der großen Gutsbesitzer hervor. Eines der Haupthindernisse, das die Ausführung aller öffentlichen bedeutenden Unternehmungen, Straßen, Eisenbahnen u. s. w. hemmt, ist die zähe Hartnäckigkeit, mit welcher das Privateigenthum die Eingriffe des Gemeinwohles abwehrt; neuere und neueste Beispiele dieser Art sind in allen Ländern, zuletzt am anstößigsten im Elsaß vorgekommen. Um diesen Uebelstand zu beseitigen, sollte den Unternehmern die Befugniß eingeräumt werden, gegen Hinterlegung der Entschädigungssumme sich in den provisorischen Besitz des entäußerten Grundstückes zu setzen. Die Prüfungscommission dieses Gesetzvorschlages aber in der Pairskammer hat sich mit Stimmeneinheit dagegen ausgesprochen. - In der Deputirtenkammer scheint die Commission, die über den außerordentlichen afrikanischen Credit zu berichten hat, die Idee einer beschränkten Besetzung von neuem anzuregen und sich daher gegen die begehrten Summen aussprechen zu wollen - eine Ansicht, die wohl vor dem deutlich ausgesprochenen Willen der Nation verschwinden muß, und die ein etwas begeisterter Vortrag des Ministerpräsidenten in der Kammer selbst ohne allen Zweifel aus dem Felde schlagen wird. Thiers ist hier ganz in seinem Elemente; bekanntlich hat er bereits im Jahr 1836 eine Rede in ähnlichem Sinne gehalten und großen Beifall geerntet. Allerdings hat Algier bis jetzt ungeheure Summen und kostbares Blut gekostet, und in diesem Augenblick wieder lodert der Kampf in lichten Flammen. Grund mehr, die Entwürfe Frankreichs und seine Herrschaft in Nordafrika in Nichts zu beschränken; das ist die einzige Logik, die hier nationalen Anklang findet, und welcher das neue Ministerium mehr als jedes andere nachleben muß. - Dem Publicum ist ein wichtiges Document vorgelegt worden, das auf die rechtliche gewissenhafte Verwaltung der öffentlichen Aemter höchst wohlthätigen Einfluß zu üben berufen ist: der Staatsrath legt einen Rechenschaftsbericht seiner Zusammensetzung, seiner Competenztheile und seiner Thätigkeit vor, er weist nach, welche Veränderungen in den letzten 40 Jahren in seinem Innern vorgegangen sind, und bezeichnet seine Theilnahme an der Gesetzgebung, er nennt seine Untersuchungen im Gebiete der Conflicte und der contentiösen Verwaltungssachen u. s. w., so daß die öffentliche Prüfung mit völliger Sachkenntniß ausgerüstet ist. Dieses verdienstliche Beispiel hat alsbald Nachahmung gefunden bei dem Oberstudienrath (conseil royal de l'instruction publique), der auf den Vorschlag des Ministers, Cousin, beschlossen hat, einen Bericht über seine Amtsthätigkeit seit 1830 zu fertigen und öffentlich bekannt zu machen. Paris, 5 April. Das Unerhörte geschieht in diesen Tagen: die Pairskammer ist widerbellisch gegen das Ministerium, und das Centrum will reformiren. Um zugleich die Nothwendigkeit der Reform an den Tag zu legen, theilen sich die Getreuen der frühern Ministerien in zwei Hälften: in diejenigen, welche bisher ihr Deputirtenamt zu ihrer Beförderung im Staatsamt, und in diejenigen, welche es als Mittel benützten, von den Ministern gewinnreiche Contracte und sonstige Geldvortheile zu erlangen. Die Staatsbeamten corrumpiren die Kammer, sagen die einen. Nein, die Contractmänner corrumpiren die Kammer, sagen die andern. Das Publicum fragt boshaft: was bisher diese Conservativen conservirt hätten? Was anders als die Corruption? Es geht aber wohl hier wie immer: wo gewisse Leute uneins werden, kommen ehrliche Leute zu ihrem Eigenthum. Es ist klar, sagen die Vernünftigen und die Wohldenkenden, daß eine solche Kammer nicht bestehen kann. Es ist aber auch klar, daß, um zu einer andern und bessern Kammer zu gelangen, andere Wähler auftreten müssen. Eine Reform des Wahlgesetzes, hervorgerufen durch die edelmüthigen Conservativen selbst, ist demnach das Ende vom Lied. Dieß stimmt nicht übel mit dem Vortheil des neuen Ministeriums, das durch seine Talente und seine kräftige Thätigkeit bei der Nation von Tag zu Tag größeres Vertrauen sich erwirbt. Belgien. Brüssel, 3 April. Seit langer Zeit hat nichts die Gemüther so sehr in Gährung gesetzt, als der Gegenstand der gestrigen Sitzung der Repräsentantenkammer. Es scheint, daß noch bis kurz vor der Eröffnung der Sitzung unter denjenigen, welche sich die Aufrechthaltung des gegenwärtigen Ministeriums angelegen seyn lassen, einige Unsicherheit über die Fassung herrschte, die man der Motion geben wollte, durch deren Annahme dieses Ziel erreicht werden soll. Diese lautet nun, so wie sie in der Kammer vorgelesen worden, dahin, daß der König im Laufe des gegenwärtigen Jahrs solche Officiere, die seit dem Abschlusse des Friedens in Nicht-Activität versetzt worden, pensioniren dürfe, auch wenn sonst die Umstände nicht den über die Pensionirung bestehenden gesetzlichen Bestimmungen entsprechen; und daß die auf solche Weise pensionirten Officiere die Uniform nur mit specieller Erlaubniß des Kriegsministers sollen tragen dürfen. Im Grunde ist nur General Vandersmissen in dem Falle, der hier vorausgesetzt wird; man hätte ihn ebensowohl mit Namen nennen können. Wie hängt nun dieser Antrag mit dem früher Verhandelten zusammen? Die Kammer hat dem General den Gehalt als solchen verweigert; sie konnte ihm aber, so wenig als das Ministerium, seinen Rang nehmen, vielmehr war der General berechtigt, auf die Verfassung gestützt, gegen diese Gehaltsverweigerung Klage einzuleiten, was dann nothwendig zur Wiederaufnahme des politischen Processes führen würde, dem man eben vorbeugen will. Die Kammer hat also nur eine halbe Maaßregel ergriffen, und, rechtlich beurtheilt, ihre Befugnisse überschritten, weil es ihr nicht zustehen kann, die Emolumente einer Stelle zu supprimiren, die sie nicht berechtigt ist, dem Inhaber derselben zu Deputirten aller Schattirungen der Linken und des linken Centrums waren dort beisammen. Der Conseilpräsident und Madame Thiers hatten sich ebenfalls eingefunden. (Commerce.) Man sagte heute in der Kammer, daß 80 Mitglieder der 221 entschlossen seyen, den Vorschlag des Hrn. v. Remilly zu unterstützen. Man sprach auch viel von der von einigen Mitgliedern der ministeriellen Linken entwickelten Beredsamkeit, um dem ehrenwerthen Deputirten zu beweisen, daß eine Zurücknahme seines Vorschlags passend seyn würde. Hr. v. Remilly beharrt dabei, und sein Vorschlag ist für Dienstag an der Tagesordnung in den Bureaux. – Der Conseilpräsident hat auf denselben Tag Gesetzesentwürfe über Eisenbahnen und transatlantische Schifffahrt angekündigt. Paris, 5 April. Es äußern sich in der Pairskammer Symptome, die an gewisse Epochen unter der Restauration erinnern. Das Gesetz über Expropriation im öffentlichen Interesse und der Beschluß der zweiten Kammer in Betreff der geheimen Gelder finden in diesem Collegium moderner Patricier sehr bittern Widerspruch. Die Ehre, die Bewilligung der geheimen Gelder zu bestreiten, soll insbesondere den beiden Pairs: Barthe und Mérilhou vorbehalten seyn, was denn zu dem erbaulichen Schauspiele führen mag, daß die beiden verschriensten Ueberläufer des alten Carbonarismus sich zu Vorkämpfern der neuen Ultras, zu Vertretern der sogenannten conservativen Interessen gegen die „Revolution“ des 1 März aufwerfen werden. Hinter den Schwierigkeiten, die man dem neuen Expropriationsgesetz entgegen hält, sieht unverkennbar die egoistische Berechnung der großen Gutsbesitzer hervor. Eines der Haupthindernisse, das die Ausführung aller öffentlichen bedeutenden Unternehmungen, Straßen, Eisenbahnen u. s. w. hemmt, ist die zähe Hartnäckigkeit, mit welcher das Privateigenthum die Eingriffe des Gemeinwohles abwehrt; neuere und neueste Beispiele dieser Art sind in allen Ländern, zuletzt am anstößigsten im Elsaß vorgekommen. Um diesen Uebelstand zu beseitigen, sollte den Unternehmern die Befugniß eingeräumt werden, gegen Hinterlegung der Entschädigungssumme sich in den provisorischen Besitz des entäußerten Grundstückes zu setzen. Die Prüfungscommission dieses Gesetzvorschlages aber in der Pairskammer hat sich mit Stimmeneinheit dagegen ausgesprochen. – In der Deputirtenkammer scheint die Commission, die über den außerordentlichen afrikanischen Credit zu berichten hat, die Idee einer beschränkten Besetzung von neuem anzuregen und sich daher gegen die begehrten Summen aussprechen zu wollen – eine Ansicht, die wohl vor dem deutlich ausgesprochenen Willen der Nation verschwinden muß, und die ein etwas begeisterter Vortrag des Ministerpräsidenten in der Kammer selbst ohne allen Zweifel aus dem Felde schlagen wird. Thiers ist hier ganz in seinem Elemente; bekanntlich hat er bereits im Jahr 1836 eine Rede in ähnlichem Sinne gehalten und großen Beifall geerntet. Allerdings hat Algier bis jetzt ungeheure Summen und kostbares Blut gekostet, und in diesem Augenblick wieder lodert der Kampf in lichten Flammen. Grund mehr, die Entwürfe Frankreichs und seine Herrschaft in Nordafrika in Nichts zu beschränken; das ist die einzige Logik, die hier nationalen Anklang findet, und welcher das neue Ministerium mehr als jedes andere nachleben muß. – Dem Publicum ist ein wichtiges Document vorgelegt worden, das auf die rechtliche gewissenhafte Verwaltung der öffentlichen Aemter höchst wohlthätigen Einfluß zu üben berufen ist: der Staatsrath legt einen Rechenschaftsbericht seiner Zusammensetzung, seiner Competenztheile und seiner Thätigkeit vor, er weist nach, welche Veränderungen in den letzten 40 Jahren in seinem Innern vorgegangen sind, und bezeichnet seine Theilnahme an der Gesetzgebung, er nennt seine Untersuchungen im Gebiete der Conflicte und der contentiösen Verwaltungssachen u. s. w., so daß die öffentliche Prüfung mit völliger Sachkenntniß ausgerüstet ist. Dieses verdienstliche Beispiel hat alsbald Nachahmung gefunden bei dem Oberstudienrath (conseil royal de l'instruction publique), der auf den Vorschlag des Ministers, Cousin, beschlossen hat, einen Bericht über seine Amtsthätigkeit seit 1830 zu fertigen und öffentlich bekannt zu machen. Paris, 5 April. Das Unerhörte geschieht in diesen Tagen: die Pairskammer ist widerbellisch gegen das Ministerium, und das Centrum will reformiren. Um zugleich die Nothwendigkeit der Reform an den Tag zu legen, theilen sich die Getreuen der frühern Ministerien in zwei Hälften: in diejenigen, welche bisher ihr Deputirtenamt zu ihrer Beförderung im Staatsamt, und in diejenigen, welche es als Mittel benützten, von den Ministern gewinnreiche Contracte und sonstige Geldvortheile zu erlangen. Die Staatsbeamten corrumpiren die Kammer, sagen die einen. Nein, die Contractmänner corrumpiren die Kammer, sagen die andern. Das Publicum fragt boshaft: was bisher diese Conservativen conservirt hätten? Was anders als die Corruption? Es geht aber wohl hier wie immer: wo gewisse Leute uneins werden, kommen ehrliche Leute zu ihrem Eigenthum. Es ist klar, sagen die Vernünftigen und die Wohldenkenden, daß eine solche Kammer nicht bestehen kann. Es ist aber auch klar, daß, um zu einer andern und bessern Kammer zu gelangen, andere Wähler auftreten müssen. Eine Reform des Wahlgesetzes, hervorgerufen durch die edelmüthigen Conservativen selbst, ist demnach das Ende vom Lied. Dieß stimmt nicht übel mit dem Vortheil des neuen Ministeriums, das durch seine Talente und seine kräftige Thätigkeit bei der Nation von Tag zu Tag größeres Vertrauen sich erwirbt. Belgien. Brüssel, 3 April. Seit langer Zeit hat nichts die Gemüther so sehr in Gährung gesetzt, als der Gegenstand der gestrigen Sitzung der Repräsentantenkammer. Es scheint, daß noch bis kurz vor der Eröffnung der Sitzung unter denjenigen, welche sich die Aufrechthaltung des gegenwärtigen Ministeriums angelegen seyn lassen, einige Unsicherheit über die Fassung herrschte, die man der Motion geben wollte, durch deren Annahme dieses Ziel erreicht werden soll. Diese lautet nun, so wie sie in der Kammer vorgelesen worden, dahin, daß der König im Laufe des gegenwärtigen Jahrs solche Officiere, die seit dem Abschlusse des Friedens in Nicht-Activität versetzt worden, pensioniren dürfe, auch wenn sonst die Umstände nicht den über die Pensionirung bestehenden gesetzlichen Bestimmungen entsprechen; und daß die auf solche Weise pensionirten Officiere die Uniform nur mit specieller Erlaubniß des Kriegsministers sollen tragen dürfen. Im Grunde ist nur General Vandersmissen in dem Falle, der hier vorausgesetzt wird; man hätte ihn ebensowohl mit Namen nennen können. Wie hängt nun dieser Antrag mit dem früher Verhandelten zusammen? Die Kammer hat dem General den Gehalt als solchen verweigert; sie konnte ihm aber, so wenig als das Ministerium, seinen Rang nehmen, vielmehr war der General berechtigt, auf die Verfassung gestützt, gegen diese Gehaltsverweigerung Klage einzuleiten, was dann nothwendig zur Wiederaufnahme des politischen Processes führen würde, dem man eben vorbeugen will. Die Kammer hat also nur eine halbe Maaßregel ergriffen, und, rechtlich beurtheilt, ihre Befugnisse überschritten, weil es ihr nicht zustehen kann, die Emolumente einer Stelle zu supprimiren, die sie nicht berechtigt ist, dem Inhaber derselben zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0003" n="0803"/> Deputirten aller Schattirungen der Linken und des linken Centrums waren dort beisammen. Der Conseilpräsident und Madame Thiers hatten sich ebenfalls eingefunden.</p><lb/> <p>(<hi rendition="#g">Commerce</hi>.) Man sagte heute in der Kammer, daß 80 Mitglieder der 221 entschlossen seyen, den Vorschlag des Hrn. v. 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Die Ehre, die Bewilligung der geheimen Gelder zu bestreiten, soll insbesondere den beiden Pairs: Barthe und Mérilhou vorbehalten seyn, was denn zu dem erbaulichen Schauspiele führen mag, daß die beiden verschriensten Ueberläufer des alten Carbonarismus sich zu Vorkämpfern der neuen Ultras, zu Vertretern der sogenannten conservativen Interessen gegen die „Revolution“ des 1 März aufwerfen werden. Hinter den Schwierigkeiten, die man dem neuen Expropriationsgesetz entgegen hält, sieht unverkennbar die egoistische Berechnung der großen Gutsbesitzer hervor. Eines der Haupthindernisse, das die Ausführung aller öffentlichen bedeutenden Unternehmungen, Straßen, Eisenbahnen u. s. w. hemmt, ist die zähe Hartnäckigkeit, mit welcher das Privateigenthum die Eingriffe des Gemeinwohles abwehrt; neuere und neueste Beispiele dieser Art sind in allen Ländern, zuletzt am anstößigsten im Elsaß vorgekommen. Um diesen Uebelstand zu beseitigen, sollte den Unternehmern die Befugniß eingeräumt werden, gegen Hinterlegung der Entschädigungssumme sich in den provisorischen Besitz des entäußerten Grundstückes zu setzen. Die Prüfungscommission dieses Gesetzvorschlages aber in der Pairskammer hat sich mit Stimmeneinheit dagegen ausgesprochen. – In der Deputirtenkammer scheint die Commission, die über den außerordentlichen afrikanischen Credit zu berichten hat, die Idee einer beschränkten Besetzung von neuem anzuregen und sich daher gegen die begehrten Summen aussprechen zu wollen – eine Ansicht, die wohl vor dem deutlich ausgesprochenen Willen der Nation verschwinden muß, und die ein etwas begeisterter Vortrag des Ministerpräsidenten in der Kammer selbst ohne allen Zweifel aus dem Felde schlagen wird. Thiers ist hier ganz in seinem Elemente; bekanntlich hat er bereits im Jahr 1836 eine Rede in ähnlichem Sinne gehalten und großen Beifall geerntet. Allerdings hat Algier bis jetzt ungeheure Summen und kostbares Blut gekostet, und in diesem Augenblick wieder lodert der Kampf in lichten Flammen. Grund mehr, die Entwürfe Frankreichs und seine Herrschaft in Nordafrika in Nichts zu beschränken; das ist die einzige Logik, die hier nationalen Anklang findet, und welcher das neue Ministerium mehr als jedes andere nachleben muß. – Dem Publicum ist ein wichtiges Document vorgelegt worden, das auf die rechtliche gewissenhafte Verwaltung der öffentlichen Aemter höchst wohlthätigen Einfluß zu üben berufen ist: der Staatsrath legt einen Rechenschaftsbericht seiner Zusammensetzung, seiner Competenztheile und seiner Thätigkeit vor, er weist nach, welche Veränderungen in den letzten 40 Jahren in seinem Innern vorgegangen sind, und bezeichnet seine Theilnahme an der Gesetzgebung, er nennt seine Untersuchungen im Gebiete der Conflicte und der contentiösen Verwaltungssachen u. s. w., so daß die öffentliche Prüfung mit völliger Sachkenntniß ausgerüstet ist. Dieses verdienstliche Beispiel hat alsbald Nachahmung gefunden bei dem Oberstudienrath (conseil royal de l'instruction publique), der auf den Vorschlag des Ministers, Cousin, beschlossen hat, einen Bericht über seine Amtsthätigkeit seit 1830 zu fertigen und öffentlich bekannt zu machen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <byline> <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 5 April.</dateline> <p> Das Unerhörte geschieht in diesen Tagen: die Pairskammer ist widerbellisch gegen das Ministerium, und das Centrum will reformiren. Um zugleich die Nothwendigkeit der Reform an den Tag zu legen, theilen sich die Getreuen der frühern Ministerien in zwei Hälften: in diejenigen, welche bisher ihr Deputirtenamt zu ihrer Beförderung im Staatsamt, und in diejenigen, welche es als Mittel benützten, von den Ministern gewinnreiche Contracte und sonstige Geldvortheile zu erlangen. Die Staatsbeamten corrumpiren die Kammer, sagen die einen. Nein, die Contractmänner corrumpiren die Kammer, sagen die andern. Das Publicum fragt boshaft: was bisher diese Conservativen conservirt hätten? Was anders als die Corruption? Es geht aber wohl hier wie immer: wo gewisse Leute uneins werden, kommen ehrliche Leute zu ihrem Eigenthum. Es ist klar, sagen die Vernünftigen und die Wohldenkenden, daß eine solche Kammer nicht bestehen kann. Es ist aber auch klar, daß, um zu einer andern und bessern Kammer zu gelangen, andere Wähler auftreten müssen. Eine Reform des Wahlgesetzes, hervorgerufen durch die edelmüthigen Conservativen selbst, ist demnach das Ende vom Lied. 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Die Kammer hat dem General den Gehalt als solchen verweigert; sie konnte ihm aber, so wenig als das Ministerium, seinen Rang nehmen, vielmehr war der General berechtigt, auf die Verfassung gestützt, gegen diese Gehaltsverweigerung Klage einzuleiten, was dann nothwendig zur Wiederaufnahme des politischen Processes führen würde, dem man eben vorbeugen will. Die Kammer hat also nur eine halbe Maaßregel ergriffen, und, rechtlich beurtheilt, ihre Befugnisse überschritten, weil es ihr nicht zustehen kann, die Emolumente einer Stelle zu supprimiren, die sie nicht berechtigt ist, dem Inhaber derselben zu<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0803/0003]
Deputirten aller Schattirungen der Linken und des linken Centrums waren dort beisammen. Der Conseilpräsident und Madame Thiers hatten sich ebenfalls eingefunden.
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_ Paris, 5 April. Es äußern sich in der Pairskammer Symptome, die an gewisse Epochen unter der Restauration erinnern. Das Gesetz über Expropriation im öffentlichen Interesse und der Beschluß der zweiten Kammer in Betreff der geheimen Gelder finden in diesem Collegium moderner Patricier sehr bittern Widerspruch. Die Ehre, die Bewilligung der geheimen Gelder zu bestreiten, soll insbesondere den beiden Pairs: Barthe und Mérilhou vorbehalten seyn, was denn zu dem erbaulichen Schauspiele führen mag, daß die beiden verschriensten Ueberläufer des alten Carbonarismus sich zu Vorkämpfern der neuen Ultras, zu Vertretern der sogenannten conservativen Interessen gegen die „Revolution“ des 1 März aufwerfen werden. Hinter den Schwierigkeiten, die man dem neuen Expropriationsgesetz entgegen hält, sieht unverkennbar die egoistische Berechnung der großen Gutsbesitzer hervor. Eines der Haupthindernisse, das die Ausführung aller öffentlichen bedeutenden Unternehmungen, Straßen, Eisenbahnen u. s. w. hemmt, ist die zähe Hartnäckigkeit, mit welcher das Privateigenthum die Eingriffe des Gemeinwohles abwehrt; neuere und neueste Beispiele dieser Art sind in allen Ländern, zuletzt am anstößigsten im Elsaß vorgekommen. Um diesen Uebelstand zu beseitigen, sollte den Unternehmern die Befugniß eingeräumt werden, gegen Hinterlegung der Entschädigungssumme sich in den provisorischen Besitz des entäußerten Grundstückes zu setzen. Die Prüfungscommission dieses Gesetzvorschlages aber in der Pairskammer hat sich mit Stimmeneinheit dagegen ausgesprochen. – In der Deputirtenkammer scheint die Commission, die über den außerordentlichen afrikanischen Credit zu berichten hat, die Idee einer beschränkten Besetzung von neuem anzuregen und sich daher gegen die begehrten Summen aussprechen zu wollen – eine Ansicht, die wohl vor dem deutlich ausgesprochenen Willen der Nation verschwinden muß, und die ein etwas begeisterter Vortrag des Ministerpräsidenten in der Kammer selbst ohne allen Zweifel aus dem Felde schlagen wird. Thiers ist hier ganz in seinem Elemente; bekanntlich hat er bereits im Jahr 1836 eine Rede in ähnlichem Sinne gehalten und großen Beifall geerntet. Allerdings hat Algier bis jetzt ungeheure Summen und kostbares Blut gekostet, und in diesem Augenblick wieder lodert der Kampf in lichten Flammen. Grund mehr, die Entwürfe Frankreichs und seine Herrschaft in Nordafrika in Nichts zu beschränken; das ist die einzige Logik, die hier nationalen Anklang findet, und welcher das neue Ministerium mehr als jedes andere nachleben muß. – Dem Publicum ist ein wichtiges Document vorgelegt worden, das auf die rechtliche gewissenhafte Verwaltung der öffentlichen Aemter höchst wohlthätigen Einfluß zu üben berufen ist: der Staatsrath legt einen Rechenschaftsbericht seiner Zusammensetzung, seiner Competenztheile und seiner Thätigkeit vor, er weist nach, welche Veränderungen in den letzten 40 Jahren in seinem Innern vorgegangen sind, und bezeichnet seine Theilnahme an der Gesetzgebung, er nennt seine Untersuchungen im Gebiete der Conflicte und der contentiösen Verwaltungssachen u. s. w., so daß die öffentliche Prüfung mit völliger Sachkenntniß ausgerüstet ist. Dieses verdienstliche Beispiel hat alsbald Nachahmung gefunden bei dem Oberstudienrath (conseil royal de l'instruction publique), der auf den Vorschlag des Ministers, Cousin, beschlossen hat, einen Bericht über seine Amtsthätigkeit seit 1830 zu fertigen und öffentlich bekannt zu machen.
_ Paris, 5 April. Das Unerhörte geschieht in diesen Tagen: die Pairskammer ist widerbellisch gegen das Ministerium, und das Centrum will reformiren. Um zugleich die Nothwendigkeit der Reform an den Tag zu legen, theilen sich die Getreuen der frühern Ministerien in zwei Hälften: in diejenigen, welche bisher ihr Deputirtenamt zu ihrer Beförderung im Staatsamt, und in diejenigen, welche es als Mittel benützten, von den Ministern gewinnreiche Contracte und sonstige Geldvortheile zu erlangen. Die Staatsbeamten corrumpiren die Kammer, sagen die einen. Nein, die Contractmänner corrumpiren die Kammer, sagen die andern. Das Publicum fragt boshaft: was bisher diese Conservativen conservirt hätten? Was anders als die Corruption? Es geht aber wohl hier wie immer: wo gewisse Leute uneins werden, kommen ehrliche Leute zu ihrem Eigenthum. Es ist klar, sagen die Vernünftigen und die Wohldenkenden, daß eine solche Kammer nicht bestehen kann. Es ist aber auch klar, daß, um zu einer andern und bessern Kammer zu gelangen, andere Wähler auftreten müssen. Eine Reform des Wahlgesetzes, hervorgerufen durch die edelmüthigen Conservativen selbst, ist demnach das Ende vom Lied. Dieß stimmt nicht übel mit dem Vortheil des neuen Ministeriums, das durch seine Talente und seine kräftige Thätigkeit bei der Nation von Tag zu Tag größeres Vertrauen sich erwirbt.
Belgien.
_ Brüssel, 3 April. Seit langer Zeit hat nichts die Gemüther so sehr in Gährung gesetzt, als der Gegenstand der gestrigen Sitzung der Repräsentantenkammer. Es scheint, daß noch bis kurz vor der Eröffnung der Sitzung unter denjenigen, welche sich die Aufrechthaltung des gegenwärtigen Ministeriums angelegen seyn lassen, einige Unsicherheit über die Fassung herrschte, die man der Motion geben wollte, durch deren Annahme dieses Ziel erreicht werden soll. Diese lautet nun, so wie sie in der Kammer vorgelesen worden, dahin, daß der König im Laufe des gegenwärtigen Jahrs solche Officiere, die seit dem Abschlusse des Friedens in Nicht-Activität versetzt worden, pensioniren dürfe, auch wenn sonst die Umstände nicht den über die Pensionirung bestehenden gesetzlichen Bestimmungen entsprechen; und daß die auf solche Weise pensionirten Officiere die Uniform nur mit specieller Erlaubniß des Kriegsministers sollen tragen dürfen. Im Grunde ist nur General Vandersmissen in dem Falle, der hier vorausgesetzt wird; man hätte ihn ebensowohl mit Namen nennen können. Wie hängt nun dieser Antrag mit dem früher Verhandelten zusammen? Die Kammer hat dem General den Gehalt als solchen verweigert; sie konnte ihm aber, so wenig als das Ministerium, seinen Rang nehmen, vielmehr war der General berechtigt, auf die Verfassung gestützt, gegen diese Gehaltsverweigerung Klage einzuleiten, was dann nothwendig zur Wiederaufnahme des politischen Processes führen würde, dem man eben vorbeugen will. Die Kammer hat also nur eine halbe Maaßregel ergriffen, und, rechtlich beurtheilt, ihre Befugnisse überschritten, weil es ihr nicht zustehen kann, die Emolumente einer Stelle zu supprimiren, die sie nicht berechtigt ist, dem Inhaber derselben zu
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
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