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Allgemeine Zeitung. Nr. 102. Augsburg, 11. April 1840.

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Ungarn.

Wir finden in Nro. 84 der Allg. Zeitung einen Aufsatz über Ungarn, der mit dem Namen "Pulszky" unterzeichnet uns hoffen ließ, Aufschlüsse darin anzutreffen, die einer näheren Beachtung werth seyen. Diese haben wir zwar nicht gefunden, und die darin entwickelten Ansichten bieten wenig Belehrendes; nichtsdestoweniger wollen wir einige Betrachtungen an diesen Aufsatz anknüpfen, der, wenn er auch nicht die Argumente für sich hat, doch in Bezug auf seine Fassung zu loben ist. Wie alle Ungarn, wenn sie ihre Institutionen vertheidigen wollen, fängt auch Hr. v. Pulszky damit an, zu behaupten, Niemand von Allen, die über ungarische Zustände geschrieben, von Erschaffung der Welt bis auf den "berühmten Reisenden mit der Fürstenkrone", verstehen etwas davon. In mancher Beziehung mag er Recht haben. Schreiber dieser Zeilen hat 25 Jahre in Ungarn gelebt, und maßt sich dennoch nicht an, ein genügendes Licht in das Chaos ungarischer Verhältnisse zu bringen. Was aber jeder Myops sieht und nur die Eingebornen nicht sehen wollen, sind die daraus hervorgegangenen Resultate. Ueber diese sind alle Stimmen vollkommen einig. Hr. v. Pulszky versucht durch Humor über diese hinwegzugleiten, dieser Versuch ist aber unglücklich, und er hat Unrecht, sich an einen auf diesem Felde so überlegenen Gegner zu wagen, wie der fürstliche Reisende, der ihn in diesem Kampfe mit einem Griff erdrücken würde. Dazu müßte der verehrte Deputirte wenigstens von seinem Landsmann, dem Compilator Csaplovics, gelernt haben, der in einem Aufsatz im Hirnök über die Pia desideria ihren Verfasser fragte: "ob er nicht wisse, was man mit unberufenen Aerzten mache, die ihre Heilmittel aufdringen? Man zeigte ihnen die Thüre, und wenn sie nicht gehen, werfe man sie hinaus." So lange daher Hrn. v. Pulszky's Ironie, Humor und urbane Amönität in Sitte und Schrift nicht von gleicher Stärke, wie die des Hrn. v. Csaplovics ist, rathe ich ihm in meiner gutmüthigen Naivetät, seine humoristischen Bestrebungen lieber ganz fahren zu lassen, und auf dem Felde der Thatsachen stehen zu bleiben, wo ich ihm begegnen will.

Auch Hr. v. Pulszky greift beiher meine Pia desideria *) an, die überhaupt unter allen Aufsätzen über jenes Land, wenn auch nicht am gründlichsten widerlegt, doch am gründlichen angefeindet worden; ein schlagender Beweis, daß ihre Wirkung eine ungewöhnliche gewesen: diese Medicin des unberufenen Arztes hat gewirkt und wirkt immerfort; ihr Nutzen kann nicht mehr geläugnet werden, und es gilt ganz gleich, ob die Patienten sie gern oder ungern, mit oder ohne Vertrauen einnehmen. Auch Hr. v. Pulszky zieht ein saures Gesicht dazu. Von einem Manne seiner Art hätten wir gehofft, wir würden die darin angeführten Bauptungen durch ihn thatsächlich widerlegt sehen; eine solche Widerlegung ist uns indeß Hr. v. Pulszky wie unsere übrigen Gegner schuldig geblieben. C'est ainsi qu'on fait l'histoire!

Hr. v. Pulszky erzählt: einige kühne Gelehrte hätten mit Staunen an der Donau das constitutionelle Treiben eines ihnen unbekannten Volks entdeckt, und sogleich die Welt von den ehrwürdigen Institutionen Ungarns in der Weise der französischen Feuilletons in Kenntniß gesetzt. Er irrt vollkommen. Wenn sich die kühnen Gelehrten über etwas verwunderten, so war es über den Mangel an Ehrwürdigem und über das inconstitutionelle Treiben statt des gehofften constitutionellen, das sie, trotz einer tausendjährigen Praxis, vorfanden. Sie verwunderten sich, daß in einem constitutionellen Lande noch Begriffe, Gesetze und Einrichtungen vorhanden seyen, die, wenn in einem absoluten angetroffen, in heutiger Zeit die Stimme jeder Opposition, und zwar mit Recht, als den Inbegriff aller Barbarei und Willkür brandmarken würde. Nicht daß die ungarischen Liberalen ihre Stellung geändert, daß sie nie eine liberale Stellung gehabt, müßte der fürstliche Reisende beklagt haben. Was die Opposition in Ungarn liberal nennt, würde in den meisten Fällen in der ganzen übrigen Welt Absolutismus der Privilegirten, nicht Tyrannei eines Einzelnen, wohl aber Tyrannei einer Partei genannt werden.

Niemand habe (erzählt Hr. v. Pulszky) die eigentliche Bedeutung der Bewegung in Ungarn, den Kampf um die Nationalität, in welcher der Geist des Orients fortlebt, erfaßt? Keiner habe die Bestrebungen des Adels, seine Privilegien nach und nach auf alle Bewohner gleichmäßig auszudehnen, eines Blicks gewürdigt? Nicht die Ursache der Bewegung noch die Bewegung selbst, nur die Abnormitäten, nicht den Sturm, nicht das prachtvoll wogende Meer, nur den schmutzigen Schaum, der auf den Wellen schwimmt, hätten alle diese scharfsinnigen Beobachter in Ungarn erblickt? - Was die Nationalität anlangt und alles, was geeignet ist, sie zu heben und zu erhalten, alles, was den ungarischen Namen glorreich machen kann in künftiger Zeit: Sprache, geschichtliche Wurzel, aus ihr hervorgehende freie, selbstständige Verfassung, hat an mir in jeder Zeit einen warmen, aufrichtigen und unumwundenen Vertheidiger in diesen Blättern gefunden. Was aber den darin fortlebenden Geist des Orients betrifft, so gestehe ich offen, daß es gerade dieser, den Begriffen einer barbarischen Völkerwanderung angehörige, mit dem Lichte christlicher und philosophischer Bildung nicht vereinbarliche, der Zeit und den Verhältnissen, in denen wir leben, nicht analoge Geist ist, den ich mit allen mir zu Gebote stehenden Kräften bekämpfe. Oder hat Hrn. v. Pulszky vielleicht nur eine humoristische Laune angewandelt, als er den Satz niederschrieb, und hat er europäischen Lesern weiß machen wollen, die Erhaltung eines solchen Geistes sey für heutige Civilisation etwas Wünschenswerthes, für die ungarische Nation Rühmliches?

Doch gehen wir weiter. Was der Adel an Privilegien den andern Ständen in Ungarn freiwillig gegeben, ist nicht viel, desto mehr, was er ihnen genommen hat. Wir haben seiner Zeit in den piis desideriis uns darüber ausgesprochen, wie wenig im Grunde den Bauern mit den ihnen gemachten Zugeständnissen gedient ist; dennoch verkennen wir das Verdienstliche der Absicht keineswegs. Wenn aber Hr. v. Pulszky erzählt, der Adel ginge damit um, nach und nach alle Bewohner des Landes an seinen Privilegien gleichmäßigen Antheil nehmen zu lassen, so ist das eine arge Rotomontade. Ein Privilegium, gleichmäßig auf Alle ausgedehnt, ist ein Privilegium gewesen. Und das wollte der ungarische Adel wirklich? Seine Privilegien aufgeben zum Heil Aller? In der That, wir hätten dem ungarischen Adel diesen Humor nicht zugetraut, zumal wenn wir bedenken, in welchem engen und ungesetzlichen Geist angemaßter Suprematie der dritte Stand den vierten vom Landtage verdrängt. Hr. v. Pulszky, ein so guter Kopf er auch

*) Hr. v. Pulszky verzeihe mir den lateinischen Titel aus der gravitätischen Perrückenzeit, an dem am allerwenigsten ein Ungar Aergerniß nehmen sollte. Ist es doch erst sehr kurze Zeit, daß Latein in Ungarn "perruque" ist.
Ungarn.

Wir finden in Nro. 84 der Allg. Zeitung einen Aufsatz über Ungarn, der mit dem Namen „Pulszky“ unterzeichnet uns hoffen ließ, Aufschlüsse darin anzutreffen, die einer näheren Beachtung werth seyen. Diese haben wir zwar nicht gefunden, und die darin entwickelten Ansichten bieten wenig Belehrendes; nichtsdestoweniger wollen wir einige Betrachtungen an diesen Aufsatz anknüpfen, der, wenn er auch nicht die Argumente für sich hat, doch in Bezug auf seine Fassung zu loben ist. Wie alle Ungarn, wenn sie ihre Institutionen vertheidigen wollen, fängt auch Hr. v. Pulszky damit an, zu behaupten, Niemand von Allen, die über ungarische Zustände geschrieben, von Erschaffung der Welt bis auf den „berühmten Reisenden mit der Fürstenkrone“, verstehen etwas davon. In mancher Beziehung mag er Recht haben. Schreiber dieser Zeilen hat 25 Jahre in Ungarn gelebt, und maßt sich dennoch nicht an, ein genügendes Licht in das Chaos ungarischer Verhältnisse zu bringen. Was aber jeder Myops sieht und nur die Eingebornen nicht sehen wollen, sind die daraus hervorgegangenen Resultate. Ueber diese sind alle Stimmen vollkommen einig. Hr. v. Pulszky versucht durch Humor über diese hinwegzugleiten, dieser Versuch ist aber unglücklich, und er hat Unrecht, sich an einen auf diesem Felde so überlegenen Gegner zu wagen, wie der fürstliche Reisende, der ihn in diesem Kampfe mit einem Griff erdrücken würde. Dazu müßte der verehrte Deputirte wenigstens von seinem Landsmann, dem Compilator Csaplovics, gelernt haben, der in einem Aufsatz im Hirnök über die Pia desideria ihren Verfasser fragte: „ob er nicht wisse, was man mit unberufenen Aerzten mache, die ihre Heilmittel aufdringen? Man zeigte ihnen die Thüre, und wenn sie nicht gehen, werfe man sie hinaus.“ So lange daher Hrn. v. Pulszky's Ironie, Humor und urbane Amönität in Sitte und Schrift nicht von gleicher Stärke, wie die des Hrn. v. Csaplovics ist, rathe ich ihm in meiner gutmüthigen Naivetät, seine humoristischen Bestrebungen lieber ganz fahren zu lassen, und auf dem Felde der Thatsachen stehen zu bleiben, wo ich ihm begegnen will.

Auch Hr. v. Pulszky greift beiher meine Pia desideria *) an, die überhaupt unter allen Aufsätzen über jenes Land, wenn auch nicht am gründlichsten widerlegt, doch am gründlichen angefeindet worden; ein schlagender Beweis, daß ihre Wirkung eine ungewöhnliche gewesen: diese Medicin des unberufenen Arztes hat gewirkt und wirkt immerfort; ihr Nutzen kann nicht mehr geläugnet werden, und es gilt ganz gleich, ob die Patienten sie gern oder ungern, mit oder ohne Vertrauen einnehmen. Auch Hr. v. Pulszky zieht ein saures Gesicht dazu. Von einem Manne seiner Art hätten wir gehofft, wir würden die darin angeführten Bauptungen durch ihn thatsächlich widerlegt sehen; eine solche Widerlegung ist uns indeß Hr. v. Pulszky wie unsere übrigen Gegner schuldig geblieben. C'est ainsi qu'on fait l'histoire!

Hr. v. Pulszky erzählt: einige kühne Gelehrte hätten mit Staunen an der Donau das constitutionelle Treiben eines ihnen unbekannten Volks entdeckt, und sogleich die Welt von den ehrwürdigen Institutionen Ungarns in der Weise der französischen Feuilletons in Kenntniß gesetzt. Er irrt vollkommen. Wenn sich die kühnen Gelehrten über etwas verwunderten, so war es über den Mangel an Ehrwürdigem und über das inconstitutionelle Treiben statt des gehofften constitutionellen, das sie, trotz einer tausendjährigen Praxis, vorfanden. Sie verwunderten sich, daß in einem constitutionellen Lande noch Begriffe, Gesetze und Einrichtungen vorhanden seyen, die, wenn in einem absoluten angetroffen, in heutiger Zeit die Stimme jeder Opposition, und zwar mit Recht, als den Inbegriff aller Barbarei und Willkür brandmarken würde. Nicht daß die ungarischen Liberalen ihre Stellung geändert, daß sie nie eine liberale Stellung gehabt, müßte der fürstliche Reisende beklagt haben. Was die Opposition in Ungarn liberal nennt, würde in den meisten Fällen in der ganzen übrigen Welt Absolutismus der Privilegirten, nicht Tyrannei eines Einzelnen, wohl aber Tyrannei einer Partei genannt werden.

Niemand habe (erzählt Hr. v. Pulszky) die eigentliche Bedeutung der Bewegung in Ungarn, den Kampf um die Nationalität, in welcher der Geist des Orients fortlebt, erfaßt? Keiner habe die Bestrebungen des Adels, seine Privilegien nach und nach auf alle Bewohner gleichmäßig auszudehnen, eines Blicks gewürdigt? Nicht die Ursache der Bewegung noch die Bewegung selbst, nur die Abnormitäten, nicht den Sturm, nicht das prachtvoll wogende Meer, nur den schmutzigen Schaum, der auf den Wellen schwimmt, hätten alle diese scharfsinnigen Beobachter in Ungarn erblickt? – Was die Nationalität anlangt und alles, was geeignet ist, sie zu heben und zu erhalten, alles, was den ungarischen Namen glorreich machen kann in künftiger Zeit: Sprache, geschichtliche Wurzel, aus ihr hervorgehende freie, selbstständige Verfassung, hat an mir in jeder Zeit einen warmen, aufrichtigen und unumwundenen Vertheidiger in diesen Blättern gefunden. Was aber den darin fortlebenden Geist des Orients betrifft, so gestehe ich offen, daß es gerade dieser, den Begriffen einer barbarischen Völkerwanderung angehörige, mit dem Lichte christlicher und philosophischer Bildung nicht vereinbarliche, der Zeit und den Verhältnissen, in denen wir leben, nicht analoge Geist ist, den ich mit allen mir zu Gebote stehenden Kräften bekämpfe. Oder hat Hrn. v. Pulszky vielleicht nur eine humoristische Laune angewandelt, als er den Satz niederschrieb, und hat er europäischen Lesern weiß machen wollen, die Erhaltung eines solchen Geistes sey für heutige Civilisation etwas Wünschenswerthes, für die ungarische Nation Rühmliches?

Doch gehen wir weiter. Was der Adel an Privilegien den andern Ständen in Ungarn freiwillig gegeben, ist nicht viel, desto mehr, was er ihnen genommen hat. Wir haben seiner Zeit in den piis desideriis uns darüber ausgesprochen, wie wenig im Grunde den Bauern mit den ihnen gemachten Zugeständnissen gedient ist; dennoch verkennen wir das Verdienstliche der Absicht keineswegs. Wenn aber Hr. v. Pulszky erzählt, der Adel ginge damit um, nach und nach alle Bewohner des Landes an seinen Privilegien gleichmäßigen Antheil nehmen zu lassen, so ist das eine arge Rotomontade. Ein Privilegium, gleichmäßig auf Alle ausgedehnt, ist ein Privilegium gewesen. Und das wollte der ungarische Adel wirklich? Seine Privilegien aufgeben zum Heil Aller? In der That, wir hätten dem ungarischen Adel diesen Humor nicht zugetraut, zumal wenn wir bedenken, in welchem engen und ungesetzlichen Geist angemaßter Suprematie der dritte Stand den vierten vom Landtage verdrängt. Hr. v. Pulszky, ein so guter Kopf er auch

*) Hr. v. Pulszky verzeihe mir den lateinischen Titel aus der gravitätischen Perrückenzeit, an dem am allerwenigsten ein Ungar Aergerniß nehmen sollte. Ist es doch erst sehr kurze Zeit, daß Latein in Ungarn „perruque“ ist.
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[0809/0009] Ungarn. Wir finden in Nro. 84 der Allg. Zeitung einen Aufsatz über Ungarn, der mit dem Namen „Pulszky“ unterzeichnet uns hoffen ließ, Aufschlüsse darin anzutreffen, die einer näheren Beachtung werth seyen. Diese haben wir zwar nicht gefunden, und die darin entwickelten Ansichten bieten wenig Belehrendes; nichtsdestoweniger wollen wir einige Betrachtungen an diesen Aufsatz anknüpfen, der, wenn er auch nicht die Argumente für sich hat, doch in Bezug auf seine Fassung zu loben ist. Wie alle Ungarn, wenn sie ihre Institutionen vertheidigen wollen, fängt auch Hr. v. Pulszky damit an, zu behaupten, Niemand von Allen, die über ungarische Zustände geschrieben, von Erschaffung der Welt bis auf den „berühmten Reisenden mit der Fürstenkrone“, verstehen etwas davon. In mancher Beziehung mag er Recht haben. Schreiber dieser Zeilen hat 25 Jahre in Ungarn gelebt, und maßt sich dennoch nicht an, ein genügendes Licht in das Chaos ungarischer Verhältnisse zu bringen. Was aber jeder Myops sieht und nur die Eingebornen nicht sehen wollen, sind die daraus hervorgegangenen Resultate. Ueber diese sind alle Stimmen vollkommen einig. Hr. v. Pulszky versucht durch Humor über diese hinwegzugleiten, dieser Versuch ist aber unglücklich, und er hat Unrecht, sich an einen auf diesem Felde so überlegenen Gegner zu wagen, wie der fürstliche Reisende, der ihn in diesem Kampfe mit einem Griff erdrücken würde. Dazu müßte der verehrte Deputirte wenigstens von seinem Landsmann, dem Compilator Csaplovics, gelernt haben, der in einem Aufsatz im Hirnök über die Pia desideria ihren Verfasser fragte: „ob er nicht wisse, was man mit unberufenen Aerzten mache, die ihre Heilmittel aufdringen? Man zeigte ihnen die Thüre, und wenn sie nicht gehen, werfe man sie hinaus.“ So lange daher Hrn. v. Pulszky's Ironie, Humor und urbane Amönität in Sitte und Schrift nicht von gleicher Stärke, wie die des Hrn. v. Csaplovics ist, rathe ich ihm in meiner gutmüthigen Naivetät, seine humoristischen Bestrebungen lieber ganz fahren zu lassen, und auf dem Felde der Thatsachen stehen zu bleiben, wo ich ihm begegnen will. Auch Hr. v. Pulszky greift beiher meine Pia desideria *) an, die überhaupt unter allen Aufsätzen über jenes Land, wenn auch nicht am gründlichsten widerlegt, doch am gründlichen angefeindet worden; ein schlagender Beweis, daß ihre Wirkung eine ungewöhnliche gewesen: diese Medicin des unberufenen Arztes hat gewirkt und wirkt immerfort; ihr Nutzen kann nicht mehr geläugnet werden, und es gilt ganz gleich, ob die Patienten sie gern oder ungern, mit oder ohne Vertrauen einnehmen. Auch Hr. v. Pulszky zieht ein saures Gesicht dazu. Von einem Manne seiner Art hätten wir gehofft, wir würden die darin angeführten Bauptungen durch ihn thatsächlich widerlegt sehen; eine solche Widerlegung ist uns indeß Hr. v. Pulszky wie unsere übrigen Gegner schuldig geblieben. C'est ainsi qu'on fait l'histoire! Hr. v. Pulszky erzählt: einige kühne Gelehrte hätten mit Staunen an der Donau das constitutionelle Treiben eines ihnen unbekannten Volks entdeckt, und sogleich die Welt von den ehrwürdigen Institutionen Ungarns in der Weise der französischen Feuilletons in Kenntniß gesetzt. Er irrt vollkommen. Wenn sich die kühnen Gelehrten über etwas verwunderten, so war es über den Mangel an Ehrwürdigem und über das inconstitutionelle Treiben statt des gehofften constitutionellen, das sie, trotz einer tausendjährigen Praxis, vorfanden. Sie verwunderten sich, daß in einem constitutionellen Lande noch Begriffe, Gesetze und Einrichtungen vorhanden seyen, die, wenn in einem absoluten angetroffen, in heutiger Zeit die Stimme jeder Opposition, und zwar mit Recht, als den Inbegriff aller Barbarei und Willkür brandmarken würde. Nicht daß die ungarischen Liberalen ihre Stellung geändert, daß sie nie eine liberale Stellung gehabt, müßte der fürstliche Reisende beklagt haben. Was die Opposition in Ungarn liberal nennt, würde in den meisten Fällen in der ganzen übrigen Welt Absolutismus der Privilegirten, nicht Tyrannei eines Einzelnen, wohl aber Tyrannei einer Partei genannt werden. Niemand habe (erzählt Hr. v. Pulszky) die eigentliche Bedeutung der Bewegung in Ungarn, den Kampf um die Nationalität, in welcher der Geist des Orients fortlebt, erfaßt? Keiner habe die Bestrebungen des Adels, seine Privilegien nach und nach auf alle Bewohner gleichmäßig auszudehnen, eines Blicks gewürdigt? Nicht die Ursache der Bewegung noch die Bewegung selbst, nur die Abnormitäten, nicht den Sturm, nicht das prachtvoll wogende Meer, nur den schmutzigen Schaum, der auf den Wellen schwimmt, hätten alle diese scharfsinnigen Beobachter in Ungarn erblickt? – Was die Nationalität anlangt und alles, was geeignet ist, sie zu heben und zu erhalten, alles, was den ungarischen Namen glorreich machen kann in künftiger Zeit: Sprache, geschichtliche Wurzel, aus ihr hervorgehende freie, selbstständige Verfassung, hat an mir in jeder Zeit einen warmen, aufrichtigen und unumwundenen Vertheidiger in diesen Blättern gefunden. Was aber den darin fortlebenden Geist des Orients betrifft, so gestehe ich offen, daß es gerade dieser, den Begriffen einer barbarischen Völkerwanderung angehörige, mit dem Lichte christlicher und philosophischer Bildung nicht vereinbarliche, der Zeit und den Verhältnissen, in denen wir leben, nicht analoge Geist ist, den ich mit allen mir zu Gebote stehenden Kräften bekämpfe. Oder hat Hrn. v. Pulszky vielleicht nur eine humoristische Laune angewandelt, als er den Satz niederschrieb, und hat er europäischen Lesern weiß machen wollen, die Erhaltung eines solchen Geistes sey für heutige Civilisation etwas Wünschenswerthes, für die ungarische Nation Rühmliches? Doch gehen wir weiter. Was der Adel an Privilegien den andern Ständen in Ungarn freiwillig gegeben, ist nicht viel, desto mehr, was er ihnen genommen hat. Wir haben seiner Zeit in den piis desideriis uns darüber ausgesprochen, wie wenig im Grunde den Bauern mit den ihnen gemachten Zugeständnissen gedient ist; dennoch verkennen wir das Verdienstliche der Absicht keineswegs. Wenn aber Hr. v. Pulszky erzählt, der Adel ginge damit um, nach und nach alle Bewohner des Landes an seinen Privilegien gleichmäßigen Antheil nehmen zu lassen, so ist das eine arge Rotomontade. Ein Privilegium, gleichmäßig auf Alle ausgedehnt, ist ein Privilegium gewesen. Und das wollte der ungarische Adel wirklich? Seine Privilegien aufgeben zum Heil Aller? In der That, wir hätten dem ungarischen Adel diesen Humor nicht zugetraut, zumal wenn wir bedenken, in welchem engen und ungesetzlichen Geist angemaßter Suprematie der dritte Stand den vierten vom Landtage verdrängt. Hr. v. Pulszky, ein so guter Kopf er auch *) Hr. v. Pulszky verzeihe mir den lateinischen Titel aus der gravitätischen Perrückenzeit, an dem am allerwenigsten ein Ungar Aergerniß nehmen sollte. Ist es doch erst sehr kurze Zeit, daß Latein in Ungarn „perruque“ ist.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 102. Augsburg, 11. April 1840, S. 0809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_102_18400411/9>, abgerufen am 03.12.2024.