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Allgemeine Zeitung. Nr. 111. Augsburg, 20. April 1840.

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Dieser Artikel könnte leicht zu der Mißdeutung führen, das Criminalgericht von Ancona, das den englischen Matrosen wegen unfreiwilligen Todschlags, oder vielmehr wegen unfreiwilliger tödtlicher Verwundung, nur zu einjähriger Zuchthausstrafe verurtheilte, habe sich bei Abfassung seines Urtheils von Rücksichten leiten lassen, die, wie zweckmäßig sie in politischem Betracht auch mitunter erscheinen mögen, doch bei Handhabung der Gerechtigkeitspflege jederzeit und unter allen Umständen verwerflich sind, oder als habe gar das Erscheinen einer englischen Kriegsbrigg dem gerichtlichen Urtheilsspruch seinen Ausschlag gegeben. Indessen scheint der Correspondent nur sehr oberflächlich von dem wahren Sachverhältniß unterrichtet gewesen zu seyn. Es ist nämlich kein Schiffscapitän durch Schläge so zugerichtet worden, daß er seinen Geist aufgegeben, wohl aber erhielt vor einiger Zeit der Steuermann eines hiesigen kleinen Handelsschiffes in einer Schlägerei, die zwischen italienischen und englischen Matrosen stattfand, eine tödtliche Kopfwunde, an welcher er am zweiten Tage starb. Es walteten allerdings sehr wesentlich mildernde Gründe zu Gunsten des englischen Matrosen ob, wozu unter Anderm mit in Anschlag zu bringen ist, daß er bereits selbst eine Wunde und eine Contusion davon getragen hatte, und nur vertheidigungsweise handelte. Aber auch die erkannte einjährige Zuchthausstrafe hat der Engländer nicht einmal angetreten, sondern sie ist ihm auf Ansuchen der Verwandten des Erschlagenen aus landesherrlicher Gnade erlassen worden, wogegen das Criminalgericht auch das Verfahren gegen die hiesigen Unterthanen, die in der Schlägerei verwickelt waren, auf Ansuchen der englischen Behörde hat fallen lassen. Was nun aber das Erscheinen der englischen Kriegsbrigg im hiesigen Hafen betrifft, so ist es nicht in Abrede zu stellen, daß der Lord Obercommissär der ionischen Inseln gescheidter gehandelt haben dürfte, wenn er das Kriegsschiff nicht hierher gesandt hätte. Es sollte den englischen Handel beschützen, der aber durch eine Matrosenrauferei wohl kaum als gefährdet betrachtet werden konnte. Unsinnig dürfte es aber vollends seyn, auch nur wähnen zu wollen, daß eine Brigg von 16 Kanonen mit hundert Mann Besatzung eine drohende Stellung einnehmen könnte gegen eine Stadt, die eine Garnison von mehr als tausend Mann zählt, deren Festungswerke von einer hinreichenden Zahl von Feuerschlünden vertheidigt werden, und deren Commandant sich wohl kaum durch eine ganze Flotte einschüchtern lassen dürfte.

Schweiz.

Der geringe Widerstand, welchen die Unterwalliser auf ihrem Zuge gegen Oberwallis fanden, ist schwer zu erklären. Die Zahl der Bevölkerung ist beiderseits ungefähr gleich, die Organisation der Milizen dieselbe. Den Oberwallisern war es überdieß leichter, zu einer Erhebung in Masse sich vorzubereiten. Von fremdem Beistand kennt man nur den, welchen die Gränzbevölkerung von Waadt den Unterwallisern leistete; dieser Beistand beschränkte sich aber bloß auf eine Sendung von Brod. Die Oberwalliser der Feigheit bezichtigen, wäre lächerlich. Es ist dieß eine ganz kriegerische Bevölkerung, welche den auswärtigen Anwerbungen besonders viele Mannschaft liefert und durch die heldenmüthige Vertheidigung ihres Gebiets gegen die französischen Divisionen im Jahre 1798 sich einen verdienten Ruf des Muths und der Ausdauer erworben hat. Wie konnten nun so tapfere Männer so treffliche Stellungen räumen vor einem Landsturm ihrer ehemaligen Unterthanen? Man kann sich dieß nur durch das Mißtrauen, die Uneinigkeit, die Schwäche des Entschlusses erklären. Und in der That war das Interesse des Volks in diesem Streite ganz unbedeutend. Was lag den Bauern von Oberwallis, deren Religion und Sitten dieselben, wie in Unterwallis sind, an dem Uebergewicht ihrer Zehnen in der Nationalrepräsentation? Diese Frage hätte Gegenstand einer ernsten Debatte nur werden können, wenn die moralische Tendenz oder die ökonomische Leitung beider Bevölkerungen eine verschiedene wäre, was aber nicht der Fall ist. Das einzige, was Oberwallis bestimmt verlangte, war, das Uebergewicht seiner einflußreichen Familien über die von Unterwallis. Es war demnach einzig ihr Privatvortheil, welchen die Herren vom Oberwallis vertheidigten, indem sie der repräsentativen Gleichheit sich widersetzten oder dieselbe neutralisirten. Dieß merkten am Ende die Oberwalliser Bauern. Dieß erklärt auch ihre geringe Zahl auf dem Schlachtfeld und die Schwäche ihres Widerstandes. Uebrigens würde man sich täuschen, wenn man den von den Unterwallisern errungenen Sieg als einen Triumph der Principien der Ultrademokratie betrachten wollte; es ist vielmehr ein Sieg der Gesetzlichkeit. Daß der Radicalismus über das auf dem Fuß der Gleichheit der Rechte reconstituirte Wallis wenig vermag, dieß beweist sowohl die gemäßigte Haltung seiner Führer, selbst mit den Waffen in der Hand, als auch die Willfährigkeit des Volks, sich der Leitung seiner Führer, welche durch ihre gesellschaftliche Stellung, wie durch ihre Principien in den Reihen der gemäßigten Männer stehen, zu überlassen, endlich auch die Sprache und das Benehmen der Radicalen selbst.

Die Schweiz bietet gegenwärtig ein seltsames Schauspiel dar. Eine Regierung, die aus einer blutigen Insurrection hervorgegangen, ist gleich am ersten Tag durch das Recht der Geburt zur Leitung der Angelegenheiten der ganzen Schweiz berufen. Alle Kantone erkennen sie an, aber wenn sie befiehlt, wird ihr nicht gehorcht. Das Directorium will lieber die Weigerung von Bern und Waadt stillschweigend hinunterschlucken, als die Tagsatzung berufen, und gleichwohl lebt inmitten dieser Anarchie, wo die Centralgewalt nichts ist, während die Kantonalregierungen mit Mühe ihr Daseyn fristen, Jedermann in großer Sicherheit; der Bürgerkrieg selbst verliert seinen Schrecken, die öffentlichen Anstalten verbessern sich und die Civilisation macht Fortschritte. Die Gegenwart ist ungewiß und getrübt, lebt aber von den religiösen Erinnerungen der Vergangenheit und der noch mächtigern Hoffnung einer bessern Zukunft.

Ein neues politisches Journal, der Verbreitung der gemäßigten Meinungen gewidmet, ist in Lausanne erschienen. Es wird zweimal wöchentlich, an denselben Tagen, wie die beiden andern, ausgegeben. Der Hauptredacteur dieses neuen lattes wird wahrscheinlich Professor Monnard seyn. Dieses Journal scheint es sich zur Regel gemacht zu haben, jede directe Polemik zu vermeiden, obwohl seine Tendenz im Allgemeinen durchaus polemisch ist, denn es wurde ganz eigentlich gegründet, um den Nouvelliste Vaudois, ein Journal des Staatsraths Druey, zu bekämpfen. Die Doctrinen des Ultraradicalismus haben im Kanton Waadt noch keineswegs die Majorität auf ihrer Seite; sie machen aber, scheint mir, Fortschritte. Der Nouvelliste predigt sie seit einiger Zeit so beharrlich und in so umfassender Richtung, daß er nicht verfehlen kann, Eindruck auf die Jugend zu machen, welche stets geneigter ist, die logischen Schlüsse aus einem Princip zu ziehen, als das Princip selbst einer Kritik zu unterwerfen. Um diese Propaganda zu bekämpfen, muß die gemäßigte Partei sich auf gleiche Höhe stellen. Das dritte Journal des Kantons Waadt, die Gazette de Lausanne, welche viel verbreiteter, als die beiden andern ist, enthält sehr selten räsonnirende Artikel, hat keine Principien und übertreibt bei entscheidenden Gelegenheiten stets die Meinung der Masse, welcher Art diese Meinung auch sey.

Dieser Artikel könnte leicht zu der Mißdeutung führen, das Criminalgericht von Ancona, das den englischen Matrosen wegen unfreiwilligen Todschlags, oder vielmehr wegen unfreiwilliger tödtlicher Verwundung, nur zu einjähriger Zuchthausstrafe verurtheilte, habe sich bei Abfassung seines Urtheils von Rücksichten leiten lassen, die, wie zweckmäßig sie in politischem Betracht auch mitunter erscheinen mögen, doch bei Handhabung der Gerechtigkeitspflege jederzeit und unter allen Umständen verwerflich sind, oder als habe gar das Erscheinen einer englischen Kriegsbrigg dem gerichtlichen Urtheilsspruch seinen Ausschlag gegeben. Indessen scheint der Correspondent nur sehr oberflächlich von dem wahren Sachverhältniß unterrichtet gewesen zu seyn. Es ist nämlich kein Schiffscapitän durch Schläge so zugerichtet worden, daß er seinen Geist aufgegeben, wohl aber erhielt vor einiger Zeit der Steuermann eines hiesigen kleinen Handelsschiffes in einer Schlägerei, die zwischen italienischen und englischen Matrosen stattfand, eine tödtliche Kopfwunde, an welcher er am zweiten Tage starb. Es walteten allerdings sehr wesentlich mildernde Gründe zu Gunsten des englischen Matrosen ob, wozu unter Anderm mit in Anschlag zu bringen ist, daß er bereits selbst eine Wunde und eine Contusion davon getragen hatte, und nur vertheidigungsweise handelte. Aber auch die erkannte einjährige Zuchthausstrafe hat der Engländer nicht einmal angetreten, sondern sie ist ihm auf Ansuchen der Verwandten des Erschlagenen aus landesherrlicher Gnade erlassen worden, wogegen das Criminalgericht auch das Verfahren gegen die hiesigen Unterthanen, die in der Schlägerei verwickelt waren, auf Ansuchen der englischen Behörde hat fallen lassen. Was nun aber das Erscheinen der englischen Kriegsbrigg im hiesigen Hafen betrifft, so ist es nicht in Abrede zu stellen, daß der Lord Obercommissär der ionischen Inseln gescheidter gehandelt haben dürfte, wenn er das Kriegsschiff nicht hierher gesandt hätte. Es sollte den englischen Handel beschützen, der aber durch eine Matrosenrauferei wohl kaum als gefährdet betrachtet werden konnte. Unsinnig dürfte es aber vollends seyn, auch nur wähnen zu wollen, daß eine Brigg von 16 Kanonen mit hundert Mann Besatzung eine drohende Stellung einnehmen könnte gegen eine Stadt, die eine Garnison von mehr als tausend Mann zählt, deren Festungswerke von einer hinreichenden Zahl von Feuerschlünden vertheidigt werden, und deren Commandant sich wohl kaum durch eine ganze Flotte einschüchtern lassen dürfte.

Schweiz.

Der geringe Widerstand, welchen die Unterwalliser auf ihrem Zuge gegen Oberwallis fanden, ist schwer zu erklären. Die Zahl der Bevölkerung ist beiderseits ungefähr gleich, die Organisation der Milizen dieselbe. Den Oberwallisern war es überdieß leichter, zu einer Erhebung in Masse sich vorzubereiten. Von fremdem Beistand kennt man nur den, welchen die Gränzbevölkerung von Waadt den Unterwallisern leistete; dieser Beistand beschränkte sich aber bloß auf eine Sendung von Brod. Die Oberwalliser der Feigheit bezichtigen, wäre lächerlich. Es ist dieß eine ganz kriegerische Bevölkerung, welche den auswärtigen Anwerbungen besonders viele Mannschaft liefert und durch die heldenmüthige Vertheidigung ihres Gebiets gegen die französischen Divisionen im Jahre 1798 sich einen verdienten Ruf des Muths und der Ausdauer erworben hat. Wie konnten nun so tapfere Männer so treffliche Stellungen räumen vor einem Landsturm ihrer ehemaligen Unterthanen? Man kann sich dieß nur durch das Mißtrauen, die Uneinigkeit, die Schwäche des Entschlusses erklären. Und in der That war das Interesse des Volks in diesem Streite ganz unbedeutend. Was lag den Bauern von Oberwallis, deren Religion und Sitten dieselben, wie in Unterwallis sind, an dem Uebergewicht ihrer Zehnen in der Nationalrepräsentation? Diese Frage hätte Gegenstand einer ernsten Debatte nur werden können, wenn die moralische Tendenz oder die ökonomische Leitung beider Bevölkerungen eine verschiedene wäre, was aber nicht der Fall ist. Das einzige, was Oberwallis bestimmt verlangte, war, das Uebergewicht seiner einflußreichen Familien über die von Unterwallis. Es war demnach einzig ihr Privatvortheil, welchen die Herren vom Oberwallis vertheidigten, indem sie der repräsentativen Gleichheit sich widersetzten oder dieselbe neutralisirten. Dieß merkten am Ende die Oberwalliser Bauern. Dieß erklärt auch ihre geringe Zahl auf dem Schlachtfeld und die Schwäche ihres Widerstandes. Uebrigens würde man sich täuschen, wenn man den von den Unterwallisern errungenen Sieg als einen Triumph der Principien der Ultrademokratie betrachten wollte; es ist vielmehr ein Sieg der Gesetzlichkeit. Daß der Radicalismus über das auf dem Fuß der Gleichheit der Rechte reconstituirte Wallis wenig vermag, dieß beweist sowohl die gemäßigte Haltung seiner Führer, selbst mit den Waffen in der Hand, als auch die Willfährigkeit des Volks, sich der Leitung seiner Führer, welche durch ihre gesellschaftliche Stellung, wie durch ihre Principien in den Reihen der gemäßigten Männer stehen, zu überlassen, endlich auch die Sprache und das Benehmen der Radicalen selbst.

Die Schweiz bietet gegenwärtig ein seltsames Schauspiel dar. Eine Regierung, die aus einer blutigen Insurrection hervorgegangen, ist gleich am ersten Tag durch das Recht der Geburt zur Leitung der Angelegenheiten der ganzen Schweiz berufen. Alle Kantone erkennen sie an, aber wenn sie befiehlt, wird ihr nicht gehorcht. Das Directorium will lieber die Weigerung von Bern und Waadt stillschweigend hinunterschlucken, als die Tagsatzung berufen, und gleichwohl lebt inmitten dieser Anarchie, wo die Centralgewalt nichts ist, während die Kantonalregierungen mit Mühe ihr Daseyn fristen, Jedermann in großer Sicherheit; der Bürgerkrieg selbst verliert seinen Schrecken, die öffentlichen Anstalten verbessern sich und die Civilisation macht Fortschritte. Die Gegenwart ist ungewiß und getrübt, lebt aber von den religiösen Erinnerungen der Vergangenheit und der noch mächtigern Hoffnung einer bessern Zukunft.

Ein neues politisches Journal, der Verbreitung der gemäßigten Meinungen gewidmet, ist in Lausanne erschienen. Es wird zweimal wöchentlich, an denselben Tagen, wie die beiden andern, ausgegeben. Der Hauptredacteur dieses neuen lattes wird wahrscheinlich Professor Monnard seyn. Dieses Journal scheint es sich zur Regel gemacht zu haben, jede directe Polemik zu vermeiden, obwohl seine Tendenz im Allgemeinen durchaus polemisch ist, denn es wurde ganz eigentlich gegründet, um den Nouvelliste Vaudois, ein Journal des Staatsraths Druey, zu bekämpfen. Die Doctrinen des Ultraradicalismus haben im Kanton Waadt noch keineswegs die Majorität auf ihrer Seite; sie machen aber, scheint mir, Fortschritte. Der Nouvelliste predigt sie seit einiger Zeit so beharrlich und in so umfassender Richtung, daß er nicht verfehlen kann, Eindruck auf die Jugend zu machen, welche stets geneigter ist, die logischen Schlüsse aus einem Princip zu ziehen, als das Princip selbst einer Kritik zu unterwerfen. Um diese Propaganda zu bekämpfen, muß die gemäßigte Partei sich auf gleiche Höhe stellen. Das dritte Journal des Kantons Waadt, die Gazette de Lausanne, welche viel verbreiteter, als die beiden andern ist, enthält sehr selten räsonnirende Artikel, hat keine Principien und übertreibt bei entscheidenden Gelegenheiten stets die Meinung der Masse, welcher Art diese Meinung auch sey.

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Dieser Artikel könnte leicht zu der Mißdeutung führen, das Criminalgericht von Ancona, das den englischen Matrosen wegen unfreiwilligen Todschlags, oder vielmehr wegen unfreiwilliger tödtlicher Verwundung, nur zu einjähriger Zuchthausstrafe verurtheilte, habe sich bei Abfassung seines Urtheils von Rücksichten leiten lassen, die, wie zweckmäßig sie in politischem Betracht auch mitunter erscheinen mögen, doch bei Handhabung der Gerechtigkeitspflege jederzeit und unter allen Umständen verwerflich sind, oder als habe gar das Erscheinen einer englischen Kriegsbrigg dem gerichtlichen Urtheilsspruch seinen Ausschlag gegeben. Indessen scheint der Correspondent nur sehr oberflächlich von dem wahren Sachverhältniß unterrichtet gewesen zu seyn. Es ist nämlich kein Schiffscapitän durch Schläge so zugerichtet worden, daß er seinen Geist aufgegeben, wohl aber erhielt vor einiger Zeit der Steuermann eines hiesigen kleinen Handelsschiffes in einer Schlägerei, die zwischen italienischen und englischen Matrosen stattfand, eine tödtliche Kopfwunde, an welcher er am zweiten Tage starb. Es walteten allerdings sehr wesentlich mildernde Gründe zu Gunsten des englischen Matrosen ob, wozu unter Anderm mit in Anschlag zu bringen ist, daß er bereits selbst eine Wunde und eine Contusion davon getragen hatte, und nur vertheidigungsweise handelte. Aber auch die erkannte einjährige Zuchthausstrafe hat der Engländer nicht einmal angetreten, sondern sie ist ihm auf Ansuchen der Verwandten des Erschlagenen aus landesherrlicher Gnade erlassen worden, wogegen das Criminalgericht auch das Verfahren gegen die hiesigen Unterthanen, die in der Schlägerei verwickelt waren, auf Ansuchen der englischen Behörde hat fallen lassen. Was nun aber das Erscheinen der englischen Kriegsbrigg im hiesigen Hafen betrifft, so ist es nicht in Abrede zu stellen, daß der Lord Obercommissär der ionischen Inseln gescheidter gehandelt haben dürfte, wenn er das Kriegsschiff nicht hierher gesandt hätte. Es sollte den englischen Handel beschützen, der aber durch eine Matrosenrauferei wohl kaum als gefährdet betrachtet werden konnte. Unsinnig dürfte es aber vollends seyn, auch nur wähnen zu wollen, daß eine Brigg von 16 Kanonen mit hundert Mann Besatzung eine drohende Stellung einnehmen könnte gegen eine Stadt, die eine Garnison von mehr als tausend Mann zählt, deren Festungswerke von einer hinreichenden Zahl von Feuerschlünden vertheidigt werden, und deren Commandant sich wohl kaum durch eine ganze Flotte einschüchtern lassen dürfte.</p><lb/>
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[0884/0012] Dieser Artikel könnte leicht zu der Mißdeutung führen, das Criminalgericht von Ancona, das den englischen Matrosen wegen unfreiwilligen Todschlags, oder vielmehr wegen unfreiwilliger tödtlicher Verwundung, nur zu einjähriger Zuchthausstrafe verurtheilte, habe sich bei Abfassung seines Urtheils von Rücksichten leiten lassen, die, wie zweckmäßig sie in politischem Betracht auch mitunter erscheinen mögen, doch bei Handhabung der Gerechtigkeitspflege jederzeit und unter allen Umständen verwerflich sind, oder als habe gar das Erscheinen einer englischen Kriegsbrigg dem gerichtlichen Urtheilsspruch seinen Ausschlag gegeben. Indessen scheint der Correspondent nur sehr oberflächlich von dem wahren Sachverhältniß unterrichtet gewesen zu seyn. Es ist nämlich kein Schiffscapitän durch Schläge so zugerichtet worden, daß er seinen Geist aufgegeben, wohl aber erhielt vor einiger Zeit der Steuermann eines hiesigen kleinen Handelsschiffes in einer Schlägerei, die zwischen italienischen und englischen Matrosen stattfand, eine tödtliche Kopfwunde, an welcher er am zweiten Tage starb. Es walteten allerdings sehr wesentlich mildernde Gründe zu Gunsten des englischen Matrosen ob, wozu unter Anderm mit in Anschlag zu bringen ist, daß er bereits selbst eine Wunde und eine Contusion davon getragen hatte, und nur vertheidigungsweise handelte. Aber auch die erkannte einjährige Zuchthausstrafe hat der Engländer nicht einmal angetreten, sondern sie ist ihm auf Ansuchen der Verwandten des Erschlagenen aus landesherrlicher Gnade erlassen worden, wogegen das Criminalgericht auch das Verfahren gegen die hiesigen Unterthanen, die in der Schlägerei verwickelt waren, auf Ansuchen der englischen Behörde hat fallen lassen. Was nun aber das Erscheinen der englischen Kriegsbrigg im hiesigen Hafen betrifft, so ist es nicht in Abrede zu stellen, daß der Lord Obercommissär der ionischen Inseln gescheidter gehandelt haben dürfte, wenn er das Kriegsschiff nicht hierher gesandt hätte. Es sollte den englischen Handel beschützen, der aber durch eine Matrosenrauferei wohl kaum als gefährdet betrachtet werden konnte. Unsinnig dürfte es aber vollends seyn, auch nur wähnen zu wollen, daß eine Brigg von 16 Kanonen mit hundert Mann Besatzung eine drohende Stellung einnehmen könnte gegen eine Stadt, die eine Garnison von mehr als tausend Mann zählt, deren Festungswerke von einer hinreichenden Zahl von Feuerschlünden vertheidigt werden, und deren Commandant sich wohl kaum durch eine ganze Flotte einschüchtern lassen dürfte. Schweiz. _ Vom Genfer See, 8 April. Der geringe Widerstand, welchen die Unterwalliser auf ihrem Zuge gegen Oberwallis fanden, ist schwer zu erklären. Die Zahl der Bevölkerung ist beiderseits ungefähr gleich, die Organisation der Milizen dieselbe. Den Oberwallisern war es überdieß leichter, zu einer Erhebung in Masse sich vorzubereiten. Von fremdem Beistand kennt man nur den, welchen die Gränzbevölkerung von Waadt den Unterwallisern leistete; dieser Beistand beschränkte sich aber bloß auf eine Sendung von Brod. Die Oberwalliser der Feigheit bezichtigen, wäre lächerlich. Es ist dieß eine ganz kriegerische Bevölkerung, welche den auswärtigen Anwerbungen besonders viele Mannschaft liefert und durch die heldenmüthige Vertheidigung ihres Gebiets gegen die französischen Divisionen im Jahre 1798 sich einen verdienten Ruf des Muths und der Ausdauer erworben hat. Wie konnten nun so tapfere Männer so treffliche Stellungen räumen vor einem Landsturm ihrer ehemaligen Unterthanen? Man kann sich dieß nur durch das Mißtrauen, die Uneinigkeit, die Schwäche des Entschlusses erklären. Und in der That war das Interesse des Volks in diesem Streite ganz unbedeutend. Was lag den Bauern von Oberwallis, deren Religion und Sitten dieselben, wie in Unterwallis sind, an dem Uebergewicht ihrer Zehnen in der Nationalrepräsentation? Diese Frage hätte Gegenstand einer ernsten Debatte nur werden können, wenn die moralische Tendenz oder die ökonomische Leitung beider Bevölkerungen eine verschiedene wäre, was aber nicht der Fall ist. Das einzige, was Oberwallis bestimmt verlangte, war, das Uebergewicht seiner einflußreichen Familien über die von Unterwallis. Es war demnach einzig ihr Privatvortheil, welchen die Herren vom Oberwallis vertheidigten, indem sie der repräsentativen Gleichheit sich widersetzten oder dieselbe neutralisirten. Dieß merkten am Ende die Oberwalliser Bauern. Dieß erklärt auch ihre geringe Zahl auf dem Schlachtfeld und die Schwäche ihres Widerstandes. Uebrigens würde man sich täuschen, wenn man den von den Unterwallisern errungenen Sieg als einen Triumph der Principien der Ultrademokratie betrachten wollte; es ist vielmehr ein Sieg der Gesetzlichkeit. Daß der Radicalismus über das auf dem Fuß der Gleichheit der Rechte reconstituirte Wallis wenig vermag, dieß beweist sowohl die gemäßigte Haltung seiner Führer, selbst mit den Waffen in der Hand, als auch die Willfährigkeit des Volks, sich der Leitung seiner Führer, welche durch ihre gesellschaftliche Stellung, wie durch ihre Principien in den Reihen der gemäßigten Männer stehen, zu überlassen, endlich auch die Sprache und das Benehmen der Radicalen selbst. Die Schweiz bietet gegenwärtig ein seltsames Schauspiel dar. Eine Regierung, die aus einer blutigen Insurrection hervorgegangen, ist gleich am ersten Tag durch das Recht der Geburt zur Leitung der Angelegenheiten der ganzen Schweiz berufen. Alle Kantone erkennen sie an, aber wenn sie befiehlt, wird ihr nicht gehorcht. Das Directorium will lieber die Weigerung von Bern und Waadt stillschweigend hinunterschlucken, als die Tagsatzung berufen, und gleichwohl lebt inmitten dieser Anarchie, wo die Centralgewalt nichts ist, während die Kantonalregierungen mit Mühe ihr Daseyn fristen, Jedermann in großer Sicherheit; der Bürgerkrieg selbst verliert seinen Schrecken, die öffentlichen Anstalten verbessern sich und die Civilisation macht Fortschritte. Die Gegenwart ist ungewiß und getrübt, lebt aber von den religiösen Erinnerungen der Vergangenheit und der noch mächtigern Hoffnung einer bessern Zukunft. Ein neues politisches Journal, der Verbreitung der gemäßigten Meinungen gewidmet, ist in Lausanne erschienen. Es wird zweimal wöchentlich, an denselben Tagen, wie die beiden andern, ausgegeben. Der Hauptredacteur dieses neuen lattes wird wahrscheinlich Professor Monnard seyn. Dieses Journal scheint es sich zur Regel gemacht zu haben, jede directe Polemik zu vermeiden, obwohl seine Tendenz im Allgemeinen durchaus polemisch ist, denn es wurde ganz eigentlich gegründet, um den Nouvelliste Vaudois, ein Journal des Staatsraths Druey, zu bekämpfen. Die Doctrinen des Ultraradicalismus haben im Kanton Waadt noch keineswegs die Majorität auf ihrer Seite; sie machen aber, scheint mir, Fortschritte. Der Nouvelliste predigt sie seit einiger Zeit so beharrlich und in so umfassender Richtung, daß er nicht verfehlen kann, Eindruck auf die Jugend zu machen, welche stets geneigter ist, die logischen Schlüsse aus einem Princip zu ziehen, als das Princip selbst einer Kritik zu unterwerfen. Um diese Propaganda zu bekämpfen, muß die gemäßigte Partei sich auf gleiche Höhe stellen. Das dritte Journal des Kantons Waadt, die Gazette de Lausanne, welche viel verbreiteter, als die beiden andern ist, enthält sehr selten räsonnirende Artikel, hat keine Principien und übertreibt bei entscheidenden Gelegenheiten stets die Meinung der Masse, welcher Art diese Meinung auch sey.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 111. Augsburg, 20. April 1840, S. 0884. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_111_18400420/12>, abgerufen am 23.11.2024.