Allgemeine Zeitung. Nr. 111. Augsburg, 20. April 1840.Hrn. v. Broglie ein Dementi gebe. Ueberhaupt wisse der Hr. Conseilpräsident die Schwierigkeiten mehr zu umgehen als zu lösen; vor der Commission habe er ganz anders gesprochen, als vor der vollen Kammer. (Murren.) Er gibt einige Stellen zur Vergleichung, und stellt dann auch "die alten und die neuen Theorien" des Hrn. Conseilpräsidenten gegen einander. Seit drei Jahren verkündigten die Freunde des Hrn. Thiers das Kommen des neuen Messias. Er schildert den glänzenden Kampf, den Thiers in der Opposition gekämpft, um zur Gewalt zu gelangen. Jetzt aber, wenn er ein Vertrauensvotum verlange, müsse man wissen, was er weiter wolle. Noch sey darüber keine klare Erläuterung gegeben, und bei dem schweren Widerspruch, in welchem die Antecedentien des Hrn. Thiers untereinander liegen, könne doch aus ihnen kein Motiv des Vertrauens erwachsen. Die Rolle des Versöhners sey gar schön, aber schwerlich tauge sie für einen Vorkämpfer der Parteien. Ein Ministerium, aus Einer Partei hervorgegangen, erscheine als Sieger über die andern, nicht als ihr Versöhner. Bald werde es durch die Gewalt der Dinge sich gezwungen sehen, eine allgemeine Wahl anzuordnen, eine Maaßregel, deren Gefahren der Redner mit den grellesten Farben malt. Hr. Cousin, Minister des öffentlichen Unterrichts, besteigt nach Hrn. Merilhou die Tribune. Er erinnert den jetzt so conservativ gesinnten Pair (der einst in der Deputirtenkammer zu den liberalsten Sprechern gehört hatte), wie gehässig es wäre, nach allen Seiten eine solche Antecedentienpolemik anzuknüpfen, besonders mit jener listigen Gewandtheit des Ausdrucks, die Hr. Merilhou mit weit mehr Recht sich selbst als dem neuen Conseilpräsidenten hätte zuschreiben sollen. Hr. Merilhou habe sich bemüht, das Cabinet von seinem Präsidenten zu trennen; die Mitglieder dieses Cabinets wiesen aber diese Unterscheidung zurück; sie seyen alle völlig einig und verwerfen das Lob, das man ihnen auf Kosten des Chefs des Ministeriums zuschieben wolle. Man werfe dem Cabinet vor, daß es aus der Opposition hervorgehe; aber woraus anders als aus der Opposition sey das Cabinet Casimir Periers, oder das Ministerium des 12 Mai hervorgegangen? Sey es überhaupt möglich, daß ein wirkliches, politisches Cabinet aus anderer Quelle als den parlamentarischen Kämpfen entspringe? Wären die Parteien in so bitterer Aufregung gegen einander, wie Hr. Merilhou sie geschildert, so wäre die Amnestie eine unsinnige Maaßregel gewesen, während seit drei Jahren die Minister eine immer beträchtlichere Verminderung der geheimen Fonds vorschlagen, als Zeichen der immer größern Beruhigung der Gemüther. Das Cabinet werde es sich, statt zum Vergehen, vielmehr zum Ruhme anrechnen, unter Einer Fahne Männer zu vereinen, die sich bisher entgegen gestanden. Es gebe keine vollkommene Unverrückbarkeit der Meinungen. Man finde Beispiele, daß Männer auf der äußersten Linken gestanden, und stufenweise zu den gouvernementalen Doctrinen vorgerückt seyen, so daß sie sich zuletzt an der Spitze der Conservativen befunden hätten. Der wahre Staatsmann thue jeden Tag, was der Tag fordere. Als die Parteien in den Straßen aufeinander gestoßen, da hätten er (Cousin) und der Conseilpräsident durch die That gezeigt, welcher Gesinnung sie seyen. Wo aber seyen damals die jetzigen Conservativen gewesen? (Unterbrechung. Reclamationen.) Er verberge sich die Schwierigkeiten der Gegenwart nicht: im Innern die Herstellung des Ansehens der Gewalt, nach außen die Zukunft des Orients - Schwierigkeiten, die das Genie eines Pitt fordern! - (Hr. Viennet ergriff das Wort, als die Post abging.) (Siecle.) Man versicherte diesen Abend, daß im Laufe des Tags (14) in Paris angekommene Briefe die Nachricht gebracht hätten, daß die Feindseligkeiten zwischen England und dem Königreich beider Sicilien erklärt seyen. Die englische, von Lord Stopford befehligte Flotte hätte den förmlichen Befehl erhalten, die neapolitanischen Schiffe zu capern. Paris, 9 April. Hr. Thiers fängt an Thätigkeit im auswärtigen Departement zu entwickeln. Er hat an alle Missionen im Auslande Instructionen ergehen lassen, die in Form eines Circulars abgefaßt sind. Diese schreiben den diplomatischen Agenten vor, so viel als möglich Verhandlungen zu vermeiden, wenig zu sprechen, noch weniger zu schreiben, nur zu hören und zu beobachten, und bei großen Vorkommnissen ihn von denselben und ihren Beobachtungen zu unterrichten dann der Direction gewärtig zu seyn, die zu geben er sich beeilen werde, und die genau und mit Nachdruck zu befolgen er ihnen einschärfe. Thiers will dadurch sich erst ordentlich orientiren, und sorgfältig vermeiden, durch Unachtsamkeit oder zu großen Diensteifer der Agenten sich in seinen Bewegungen von vornherein gehemmt oder seine höchst delicate Stellung noch schwieriger gemacht zu sehen. Hat er sich einmal herausgefunden und kennt er alle Tendenzen und Hebel der fremden Mächte genau, dann wird er wohl mehr hervortreten und sich gradatim nach außen bemerkbar machen. So unternehmend er auch sonst ist und so wenig Wesens er aus Schwierigkeiten macht, so hat er doch vor dem Ausland eine gewisse Scheu, weil er nur zu gut weiß, daß von der Art, wie er dasselbe behandeln kann oder darf, die Befestigung seiner Administration vielfach abhängt. Er wird daher nicht exigent seyn, um nicht Besorgnisse zu erregen, die ihm einen großen und zwar den gediegensten Theil der Franzosen so entfremden würden, als sie ihn bei den Mächten schlecht anschreiben müßten. Er wird aber auch, wenn es die Noth erfordert, sehr bestimmt vorgehen, und dem Vorwurf ausweichen, Schwäche in irgend einem Fall gegen das Ausland gezeigt zu haben. Hierauf möchte wohl hauptsächlich der Gang des neuen Conseilpräsidenten in seinen Berührungen mit den fremden Mächten vorerst beruhen. Paris, 14 April. Außer der in meinem letzten Briefe bezeichneten Stelle des Berichtes des Herzogs v. Broglie in der Pairskammer wird noch eine andere Stelle dieses Documents als bedeutungsvoll betrachtet, die, wonach alle Meinungsverschiedenheit in der Politik der Frankreichs Ruder führenden Personen weggefallen sey. Da Hr. Thiers Einsicht dieses Berichts vor seiner Vorlesung erhalten hatte, so schließt man aus jener Stelle, Hr. Thiers habe sich mit einer hohen Person ganz vereinigt, und werde von nun an einzig nach deren Willen regieren, d. h. das gouvernement personnel fortsetzen. - Ich theile Ihnen hier eine Thatsache mit, von der man mir schon vor fünf bis sechs Tagen gesprochen hatte, von deren Wahrheit ich aber erst heute vollständig vergewissert worden bin. Kürzlich ließ eine hohe Person den Grafen Mole wieder zu sich berufen, und fragte ihn, ob er sein Ministerium bereit habe? Die Antwort war bejahend, jedoch unter der Bedingung, daß sogleich nach dem Eintritt des neuen Cabinets die Kammer aufgelöst werde. Es wurde hierauf bemerkt, die Auflösung müsse bis nach dem Schlusse der Session verschoben werden. Graf Mole erklärte, die Erfahrung lehre, daß eine Auflösung zwischen zwei Sessionen nie dem Ministerium Vortheil bringe; im Fall solche bis dahin verschoben werden solle, könne er sich nicht zur Uebernahme der Geschäfte verstehen. So zerschlugen sich die Unterhandlungen. Hierauf versammelte Graf Mole bei einem Mittagsessen seine politischen Freunde, und äußerte ihnen, wie für den Augenblick nur Geduld nöthig sey; er setzte übrigens hinzu, Hrn. v. Broglie ein Dementi gebe. Ueberhaupt wisse der Hr. Conseilpräsident die Schwierigkeiten mehr zu umgehen als zu lösen; vor der Commission habe er ganz anders gesprochen, als vor der vollen Kammer. (Murren.) Er gibt einige Stellen zur Vergleichung, und stellt dann auch „die alten und die neuen Theorien“ des Hrn. Conseilpräsidenten gegen einander. Seit drei Jahren verkündigten die Freunde des Hrn. Thiers das Kommen des neuen Messias. Er schildert den glänzenden Kampf, den Thiers in der Opposition gekämpft, um zur Gewalt zu gelangen. Jetzt aber, wenn er ein Vertrauensvotum verlange, müsse man wissen, was er weiter wolle. Noch sey darüber keine klare Erläuterung gegeben, und bei dem schweren Widerspruch, in welchem die Antecedentien des Hrn. Thiers untereinander liegen, könne doch aus ihnen kein Motiv des Vertrauens erwachsen. Die Rolle des Versöhners sey gar schön, aber schwerlich tauge sie für einen Vorkämpfer der Parteien. Ein Ministerium, aus Einer Partei hervorgegangen, erscheine als Sieger über die andern, nicht als ihr Versöhner. Bald werde es durch die Gewalt der Dinge sich gezwungen sehen, eine allgemeine Wahl anzuordnen, eine Maaßregel, deren Gefahren der Redner mit den grellesten Farben malt. Hr. Cousin, Minister des öffentlichen Unterrichts, besteigt nach Hrn. Merilhou die Tribune. Er erinnert den jetzt so conservativ gesinnten Pair (der einst in der Deputirtenkammer zu den liberalsten Sprechern gehört hatte), wie gehässig es wäre, nach allen Seiten eine solche Antecedentienpolemik anzuknüpfen, besonders mit jener listigen Gewandtheit des Ausdrucks, die Hr. Merilhou mit weit mehr Recht sich selbst als dem neuen Conseilpräsidenten hätte zuschreiben sollen. Hr. Merilhou habe sich bemüht, das Cabinet von seinem Präsidenten zu trennen; die Mitglieder dieses Cabinets wiesen aber diese Unterscheidung zurück; sie seyen alle völlig einig und verwerfen das Lob, das man ihnen auf Kosten des Chefs des Ministeriums zuschieben wolle. Man werfe dem Cabinet vor, daß es aus der Opposition hervorgehe; aber woraus anders als aus der Opposition sey das Cabinet Casimir Periers, oder das Ministerium des 12 Mai hervorgegangen? Sey es überhaupt möglich, daß ein wirkliches, politisches Cabinet aus anderer Quelle als den parlamentarischen Kämpfen entspringe? Wären die Parteien in so bitterer Aufregung gegen einander, wie Hr. Merilhou sie geschildert, so wäre die Amnestie eine unsinnige Maaßregel gewesen, während seit drei Jahren die Minister eine immer beträchtlichere Verminderung der geheimen Fonds vorschlagen, als Zeichen der immer größern Beruhigung der Gemüther. Das Cabinet werde es sich, statt zum Vergehen, vielmehr zum Ruhme anrechnen, unter Einer Fahne Männer zu vereinen, die sich bisher entgegen gestanden. Es gebe keine vollkommene Unverrückbarkeit der Meinungen. Man finde Beispiele, daß Männer auf der äußersten Linken gestanden, und stufenweise zu den gouvernementalen Doctrinen vorgerückt seyen, so daß sie sich zuletzt an der Spitze der Conservativen befunden hätten. Der wahre Staatsmann thue jeden Tag, was der Tag fordere. Als die Parteien in den Straßen aufeinander gestoßen, da hätten er (Cousin) und der Conseilpräsident durch die That gezeigt, welcher Gesinnung sie seyen. Wo aber seyen damals die jetzigen Conservativen gewesen? (Unterbrechung. Reclamationen.) Er verberge sich die Schwierigkeiten der Gegenwart nicht: im Innern die Herstellung des Ansehens der Gewalt, nach außen die Zukunft des Orients – Schwierigkeiten, die das Genie eines Pitt fordern! – (Hr. Viennet ergriff das Wort, als die Post abging.) (Siècle.) Man versicherte diesen Abend, daß im Laufe des Tags (14) in Paris angekommene Briefe die Nachricht gebracht hätten, daß die Feindseligkeiten zwischen England und dem Königreich beider Sicilien erklärt seyen. Die englische, von Lord Stopford befehligte Flotte hätte den förmlichen Befehl erhalten, die neapolitanischen Schiffe zu capern. Paris, 9 April. Hr. Thiers fängt an Thätigkeit im auswärtigen Departement zu entwickeln. Er hat an alle Missionen im Auslande Instructionen ergehen lassen, die in Form eines Circulars abgefaßt sind. Diese schreiben den diplomatischen Agenten vor, so viel als möglich Verhandlungen zu vermeiden, wenig zu sprechen, noch weniger zu schreiben, nur zu hören und zu beobachten, und bei großen Vorkommnissen ihn von denselben und ihren Beobachtungen zu unterrichten dann der Direction gewärtig zu seyn, die zu geben er sich beeilen werde, und die genau und mit Nachdruck zu befolgen er ihnen einschärfe. Thiers will dadurch sich erst ordentlich orientiren, und sorgfältig vermeiden, durch Unachtsamkeit oder zu großen Diensteifer der Agenten sich in seinen Bewegungen von vornherein gehemmt oder seine höchst delicate Stellung noch schwieriger gemacht zu sehen. Hat er sich einmal herausgefunden und kennt er alle Tendenzen und Hebel der fremden Mächte genau, dann wird er wohl mehr hervortreten und sich gradatim nach außen bemerkbar machen. So unternehmend er auch sonst ist und so wenig Wesens er aus Schwierigkeiten macht, so hat er doch vor dem Ausland eine gewisse Scheu, weil er nur zu gut weiß, daß von der Art, wie er dasselbe behandeln kann oder darf, die Befestigung seiner Administration vielfach abhängt. Er wird daher nicht exigent seyn, um nicht Besorgnisse zu erregen, die ihm einen großen und zwar den gediegensten Theil der Franzosen so entfremden würden, als sie ihn bei den Mächten schlecht anschreiben müßten. Er wird aber auch, wenn es die Noth erfordert, sehr bestimmt vorgehen, und dem Vorwurf ausweichen, Schwäche in irgend einem Fall gegen das Ausland gezeigt zu haben. Hierauf möchte wohl hauptsächlich der Gang des neuen Conseilpräsidenten in seinen Berührungen mit den fremden Mächten vorerst beruhen. Paris, 14 April. Außer der in meinem letzten Briefe bezeichneten Stelle des Berichtes des Herzogs v. Broglie in der Pairskammer wird noch eine andere Stelle dieses Documents als bedeutungsvoll betrachtet, die, wonach alle Meinungsverschiedenheit in der Politik der Frankreichs Ruder führenden Personen weggefallen sey. Da Hr. Thiers Einsicht dieses Berichts vor seiner Vorlesung erhalten hatte, so schließt man aus jener Stelle, Hr. Thiers habe sich mit einer hohen Person ganz vereinigt, und werde von nun an einzig nach deren Willen regieren, d. h. das gouvernement personnel fortsetzen. – Ich theile Ihnen hier eine Thatsache mit, von der man mir schon vor fünf bis sechs Tagen gesprochen hatte, von deren Wahrheit ich aber erst heute vollständig vergewissert worden bin. Kürzlich ließ eine hohe Person den Grafen Molé wieder zu sich berufen, und fragte ihn, ob er sein Ministerium bereit habe? Die Antwort war bejahend, jedoch unter der Bedingung, daß sogleich nach dem Eintritt des neuen Cabinets die Kammer aufgelöst werde. Es wurde hierauf bemerkt, die Auflösung müsse bis nach dem Schlusse der Session verschoben werden. Graf Molé erklärte, die Erfahrung lehre, daß eine Auflösung zwischen zwei Sessionen nie dem Ministerium Vortheil bringe; im Fall solche bis dahin verschoben werden solle, könne er sich nicht zur Uebernahme der Geschäfte verstehen. So zerschlugen sich die Unterhandlungen. 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Noch sey darüber keine klare Erläuterung gegeben, und bei dem schweren Widerspruch, in welchem die Antecedentien des Hrn. Thiers untereinander liegen, könne doch aus ihnen kein Motiv des Vertrauens erwachsen. Die Rolle des Versöhners sey gar schön, aber schwerlich tauge sie für einen Vorkämpfer der Parteien. Ein Ministerium, aus Einer Partei hervorgegangen, erscheine als Sieger über die andern, nicht als ihr Versöhner. Bald werde es durch die Gewalt der Dinge sich gezwungen sehen, eine allgemeine Wahl anzuordnen, eine Maaßregel, deren Gefahren der Redner mit den grellesten Farben malt. Hr. <hi rendition="#g">Cousin</hi>, Minister des öffentlichen Unterrichts, besteigt nach Hrn. Merilhou die Tribune. Er erinnert den jetzt so conservativ gesinnten Pair (der einst in der Deputirtenkammer zu den liberalsten Sprechern gehört hatte), wie gehässig es wäre, nach allen Seiten eine solche Antecedentienpolemik anzuknüpfen, besonders mit jener listigen Gewandtheit des Ausdrucks, die Hr. Merilhou mit weit mehr Recht sich selbst als dem neuen Conseilpräsidenten hätte zuschreiben sollen. Hr. Merilhou habe sich bemüht, das Cabinet von seinem Präsidenten zu trennen; die Mitglieder dieses Cabinets wiesen aber diese Unterscheidung zurück; sie seyen alle völlig einig und verwerfen das Lob, das man ihnen auf Kosten des Chefs des Ministeriums zuschieben wolle. Man werfe dem Cabinet vor, daß es aus der Opposition hervorgehe; aber woraus anders als aus der Opposition sey das Cabinet Casimir Periers, oder das Ministerium des 12 Mai hervorgegangen? Sey es überhaupt möglich, daß ein wirkliches, politisches Cabinet aus anderer Quelle als den parlamentarischen Kämpfen entspringe? Wären die Parteien in so bitterer Aufregung gegen einander, wie Hr. Merilhou sie geschildert, so wäre die Amnestie eine unsinnige Maaßregel gewesen, während seit drei Jahren die Minister eine immer beträchtlichere Verminderung der geheimen Fonds vorschlagen, als Zeichen der immer größern Beruhigung der Gemüther. Das Cabinet werde es sich, statt zum Vergehen, vielmehr zum Ruhme anrechnen, unter Einer Fahne Männer zu vereinen, die sich bisher entgegen gestanden. Es gebe keine vollkommene Unverrückbarkeit der Meinungen. Man finde Beispiele, daß Männer auf der äußersten Linken gestanden, und stufenweise zu den gouvernementalen Doctrinen vorgerückt seyen, so daß sie sich zuletzt an der Spitze der Conservativen befunden hätten. Der wahre Staatsmann thue jeden Tag, was der Tag fordere. Als die Parteien in den Straßen aufeinander gestoßen, da hätten er (Cousin) und der Conseilpräsident durch die That gezeigt, welcher Gesinnung sie seyen. Wo aber seyen damals die jetzigen Conservativen gewesen? (Unterbrechung. Reclamationen.) Er verberge sich die Schwierigkeiten der Gegenwart nicht: im Innern die Herstellung des Ansehens der Gewalt, nach außen die Zukunft des Orients – Schwierigkeiten, die das Genie eines Pitt fordern! – (Hr. <hi rendition="#g">Viennet</hi> ergriff das Wort, als die Post abging.)</p><lb/> <p>(<hi rendition="#g">Siècle</hi>.) Man versicherte diesen Abend, daß im Laufe des Tags (14) in Paris angekommene Briefe die Nachricht gebracht hätten, daß die Feindseligkeiten zwischen England und dem Königreich beider Sicilien erklärt seyen. Die englische, von Lord Stopford befehligte Flotte hätte den förmlichen Befehl erhalten, die neapolitanischen Schiffe zu capern.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 9 April.</dateline> <p> Hr. Thiers fängt an Thätigkeit im auswärtigen Departement zu entwickeln. 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So unternehmend er auch sonst ist und so wenig Wesens er aus Schwierigkeiten macht, so hat er doch vor dem Ausland eine gewisse Scheu, weil er nur zu gut weiß, daß von der Art, wie er dasselbe behandeln kann oder darf, die Befestigung seiner Administration vielfach abhängt. Er wird daher nicht exigent seyn, um nicht Besorgnisse zu erregen, die ihm einen großen und zwar den gediegensten Theil der Franzosen so entfremden würden, als sie ihn bei den Mächten schlecht anschreiben müßten. Er wird aber auch, wenn es die Noth erfordert, sehr bestimmt vorgehen, und dem Vorwurf ausweichen, Schwäche in irgend einem Fall gegen das Ausland gezeigt zu haben. 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Thiers habe sich mit einer hohen Person ganz vereinigt, und werde von nun an einzig nach deren Willen regieren, d. h. das gouvernement personnel fortsetzen. – Ich theile Ihnen hier eine Thatsache mit, von der man mir schon vor fünf bis sechs Tagen gesprochen hatte, von deren Wahrheit ich aber erst heute vollständig vergewissert worden bin. Kürzlich ließ eine hohe Person den Grafen Molé wieder zu sich berufen, und fragte ihn, ob er sein Ministerium bereit habe? Die Antwort war bejahend, jedoch unter der Bedingung, daß sogleich nach dem Eintritt des neuen Cabinets die Kammer aufgelöst werde. Es wurde hierauf bemerkt, die Auflösung müsse bis nach dem Schlusse der Session verschoben werden. Graf Molé erklärte, die Erfahrung lehre, daß eine Auflösung zwischen zwei Sessionen nie dem Ministerium Vortheil bringe; im Fall solche bis dahin verschoben werden solle, könne er sich nicht zur Uebernahme der Geschäfte verstehen. So zerschlugen sich die Unterhandlungen. 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Hrn. v. Broglie ein Dementi gebe. Ueberhaupt wisse der Hr. Conseilpräsident die Schwierigkeiten mehr zu umgehen als zu lösen; vor der Commission habe er ganz anders gesprochen, als vor der vollen Kammer. (Murren.) Er gibt einige Stellen zur Vergleichung, und stellt dann auch „die alten und die neuen Theorien“ des Hrn. Conseilpräsidenten gegen einander. Seit drei Jahren verkündigten die Freunde des Hrn. Thiers das Kommen des neuen Messias. Er schildert den glänzenden Kampf, den Thiers in der Opposition gekämpft, um zur Gewalt zu gelangen. Jetzt aber, wenn er ein Vertrauensvotum verlange, müsse man wissen, was er weiter wolle. Noch sey darüber keine klare Erläuterung gegeben, und bei dem schweren Widerspruch, in welchem die Antecedentien des Hrn. Thiers untereinander liegen, könne doch aus ihnen kein Motiv des Vertrauens erwachsen. Die Rolle des Versöhners sey gar schön, aber schwerlich tauge sie für einen Vorkämpfer der Parteien. Ein Ministerium, aus Einer Partei hervorgegangen, erscheine als Sieger über die andern, nicht als ihr Versöhner. Bald werde es durch die Gewalt der Dinge sich gezwungen sehen, eine allgemeine Wahl anzuordnen, eine Maaßregel, deren Gefahren der Redner mit den grellesten Farben malt. Hr. Cousin, Minister des öffentlichen Unterrichts, besteigt nach Hrn. Merilhou die Tribune. Er erinnert den jetzt so conservativ gesinnten Pair (der einst in der Deputirtenkammer zu den liberalsten Sprechern gehört hatte), wie gehässig es wäre, nach allen Seiten eine solche Antecedentienpolemik anzuknüpfen, besonders mit jener listigen Gewandtheit des Ausdrucks, die Hr. Merilhou mit weit mehr Recht sich selbst als dem neuen Conseilpräsidenten hätte zuschreiben sollen. Hr. Merilhou habe sich bemüht, das Cabinet von seinem Präsidenten zu trennen; die Mitglieder dieses Cabinets wiesen aber diese Unterscheidung zurück; sie seyen alle völlig einig und verwerfen das Lob, das man ihnen auf Kosten des Chefs des Ministeriums zuschieben wolle. Man werfe dem Cabinet vor, daß es aus der Opposition hervorgehe; aber woraus anders als aus der Opposition sey das Cabinet Casimir Periers, oder das Ministerium des 12 Mai hervorgegangen? Sey es überhaupt möglich, daß ein wirkliches, politisches Cabinet aus anderer Quelle als den parlamentarischen Kämpfen entspringe? Wären die Parteien in so bitterer Aufregung gegen einander, wie Hr. Merilhou sie geschildert, so wäre die Amnestie eine unsinnige Maaßregel gewesen, während seit drei Jahren die Minister eine immer beträchtlichere Verminderung der geheimen Fonds vorschlagen, als Zeichen der immer größern Beruhigung der Gemüther. Das Cabinet werde es sich, statt zum Vergehen, vielmehr zum Ruhme anrechnen, unter Einer Fahne Männer zu vereinen, die sich bisher entgegen gestanden. Es gebe keine vollkommene Unverrückbarkeit der Meinungen. Man finde Beispiele, daß Männer auf der äußersten Linken gestanden, und stufenweise zu den gouvernementalen Doctrinen vorgerückt seyen, so daß sie sich zuletzt an der Spitze der Conservativen befunden hätten. Der wahre Staatsmann thue jeden Tag, was der Tag fordere. Als die Parteien in den Straßen aufeinander gestoßen, da hätten er (Cousin) und der Conseilpräsident durch die That gezeigt, welcher Gesinnung sie seyen. Wo aber seyen damals die jetzigen Conservativen gewesen? (Unterbrechung. Reclamationen.) Er verberge sich die Schwierigkeiten der Gegenwart nicht: im Innern die Herstellung des Ansehens der Gewalt, nach außen die Zukunft des Orients – Schwierigkeiten, die das Genie eines Pitt fordern! – (Hr. Viennet ergriff das Wort, als die Post abging.)
(Siècle.) Man versicherte diesen Abend, daß im Laufe des Tags (14) in Paris angekommene Briefe die Nachricht gebracht hätten, daß die Feindseligkeiten zwischen England und dem Königreich beider Sicilien erklärt seyen. Die englische, von Lord Stopford befehligte Flotte hätte den förmlichen Befehl erhalten, die neapolitanischen Schiffe zu capern.
_ Paris, 9 April. Hr. Thiers fängt an Thätigkeit im auswärtigen Departement zu entwickeln. Er hat an alle Missionen im Auslande Instructionen ergehen lassen, die in Form eines Circulars abgefaßt sind. Diese schreiben den diplomatischen Agenten vor, so viel als möglich Verhandlungen zu vermeiden, wenig zu sprechen, noch weniger zu schreiben, nur zu hören und zu beobachten, und bei großen Vorkommnissen ihn von denselben und ihren Beobachtungen zu unterrichten dann der Direction gewärtig zu seyn, die zu geben er sich beeilen werde, und die genau und mit Nachdruck zu befolgen er ihnen einschärfe. Thiers will dadurch sich erst ordentlich orientiren, und sorgfältig vermeiden, durch Unachtsamkeit oder zu großen Diensteifer der Agenten sich in seinen Bewegungen von vornherein gehemmt oder seine höchst delicate Stellung noch schwieriger gemacht zu sehen. Hat er sich einmal herausgefunden und kennt er alle Tendenzen und Hebel der fremden Mächte genau, dann wird er wohl mehr hervortreten und sich gradatim nach außen bemerkbar machen. So unternehmend er auch sonst ist und so wenig Wesens er aus Schwierigkeiten macht, so hat er doch vor dem Ausland eine gewisse Scheu, weil er nur zu gut weiß, daß von der Art, wie er dasselbe behandeln kann oder darf, die Befestigung seiner Administration vielfach abhängt. Er wird daher nicht exigent seyn, um nicht Besorgnisse zu erregen, die ihm einen großen und zwar den gediegensten Theil der Franzosen so entfremden würden, als sie ihn bei den Mächten schlecht anschreiben müßten. Er wird aber auch, wenn es die Noth erfordert, sehr bestimmt vorgehen, und dem Vorwurf ausweichen, Schwäche in irgend einem Fall gegen das Ausland gezeigt zu haben. Hierauf möchte wohl hauptsächlich der Gang des neuen Conseilpräsidenten in seinen Berührungen mit den fremden Mächten vorerst beruhen.
_ Paris, 14 April. Außer der in meinem letzten Briefe bezeichneten Stelle des Berichtes des Herzogs v. Broglie in der Pairskammer wird noch eine andere Stelle dieses Documents als bedeutungsvoll betrachtet, die, wonach alle Meinungsverschiedenheit in der Politik der Frankreichs Ruder führenden Personen weggefallen sey. Da Hr. Thiers Einsicht dieses Berichts vor seiner Vorlesung erhalten hatte, so schließt man aus jener Stelle, Hr. Thiers habe sich mit einer hohen Person ganz vereinigt, und werde von nun an einzig nach deren Willen regieren, d. h. das gouvernement personnel fortsetzen. – Ich theile Ihnen hier eine Thatsache mit, von der man mir schon vor fünf bis sechs Tagen gesprochen hatte, von deren Wahrheit ich aber erst heute vollständig vergewissert worden bin. Kürzlich ließ eine hohe Person den Grafen Molé wieder zu sich berufen, und fragte ihn, ob er sein Ministerium bereit habe? Die Antwort war bejahend, jedoch unter der Bedingung, daß sogleich nach dem Eintritt des neuen Cabinets die Kammer aufgelöst werde. Es wurde hierauf bemerkt, die Auflösung müsse bis nach dem Schlusse der Session verschoben werden. Graf Molé erklärte, die Erfahrung lehre, daß eine Auflösung zwischen zwei Sessionen nie dem Ministerium Vortheil bringe; im Fall solche bis dahin verschoben werden solle, könne er sich nicht zur Uebernahme der Geschäfte verstehen. So zerschlugen sich die Unterhandlungen. Hierauf versammelte Graf Molé bei einem Mittagsessen seine politischen Freunde, und äußerte ihnen, wie für den Augenblick nur Geduld nöthig sey; er setzte übrigens hinzu,
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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