Allgemeine Zeitung. Nr. 111. Augsburg, 20. April 1840.er habe aus den Vorgängen seit seinem letzten Austritt aus dem Cabinet sich von der Unmöglichkeit überzeugt, worin sich jedes Ministerium befinde, mit dem sogenannten gouvernement personnel auszukommen und zu regieren. Dasselbe sey nur dann haltbar, wenn es im Einklange mit der Deputirtenkammer handle. Dieser Zusatz wurde durch einen der Gäste der hohen Person hinterbracht; seitdem behandelt letztere den Hrn. Thiers mit weit mehr Zuvorkommenheit als früher, woraus man schließt, dieselbe setze in Hrn. Thiers das Vertrauen, er werde es durch seine Gewandtheit dahin bringen, sich die Stimmen einer bedeutenden Majorität in der Deputirtenkammer zu versichern, und so doch das gouvernement personnel zu handhaben. Die beiden vorstehenden Thatsachen lassen allerdings auf eine Sinnesänderung des Hrn. Thiers schließen - vorausgesetzt, daß er beim Eintritt ins Cabinet die Absicht hegte, parlamentarisch und im Sinne der Linken zu regieren. Das Journal des Debats betrachtet diese Sinnesänderung als etwas Ausgemachtes, und gibt dem Hrn. Conseilspräsidenten seine Lobsprüche hierüber; derselbe wäre also der Zustimmung der 163 versichert; wie es ihm mit der Linken ergehen wird, muß die Folge lehren. Paris, 15 April. Es war vorherzusehen, daß die Verhandlungen der Pairskammer über die geheimen Fonds nur dazu dienen würden, die Schwäche der Schwachen und die Stärke der Starken in helleres Licht zu stellen. Dieß ist immer das Resultat, wenn die Schwachen und Gebrechlichen mit den Athleten ringen. Es sind Leute als Kämpfer aufgetreten, die nicht stehen, andere, die nicht gehen, und noch andere, die nicht sehen konnten. Einer behauptete, auf die Autorität der Presse und des Journal des Debats hin, seit dem Eintritt des gegenwärtigen Ministeriums habe sich die Deputirtenkammer in einen ordentlichen Convent verwandelt. Ein anderer rief dem Ministerium zu, es solle sein Haupt nicht unter das Joch der englischen Allianz beugen. Ein dritter behauptete geradezu: die Allianz mit England sey Frankreichs unwürdig. Hr. Thiers hatte länger als eine Stunde mit der ihm eigenen Klarheit über die Entstehung und Gesinnung, über das System und die Tendenz des Ministeriums gesprochen, und sich offen und ausführlich darüber erklärt, was er unter einem parlamentarischen Ministerium verstehe, nämlich ein aus einer freien Majorität des Parlaments hervorgegangenes, in Folge seiner independenten politischen Meinung zur Gewalt gelangtes, das die Gewalt niederzulegen entschlossen sey, sobald es nicht mehr seiner politischen Ueberzeugung gemäß regieren könne. Nach Beendigung seiner meisterhaften Rede, welcher mehr als ein duzendmal die Kammer - ob sie wollte oder nicht - ihren lauten Beifall bezeugen mußte, trat Hr. Bordeau, ein alter abgenutzter bureaukratischer Minister aus der Restaurationszeit, auf, und fragte: was denn eigentlich Hr. Thiers unter einem parlamentarischen Ministerium verstehe? So umsichtig und nachsichtig, gerecht und billig, klug und bescheiden sich Hr. Thiers in seiner Rede über alle Parteien und Persönlichkeiten ausgesprochen hatte, konnte er doch nicht umhin, diesem Hrn. Bourdeau zu verstehen zu geben, wie er zweifle, ob er mit irgend einem Erfolg sich dazu hergäbe, abermals eine Stunde lang zu wiederholen, was er in der verflossenen Stunde gesagt. Merkwürdig ist dagegen, daß ein Glied der legitimistischen Partei in gleichem Geist wie Hr. Berryer in der andern Kammer - nämlich im nationalen - und wenn nicht mit gleichem, doch mit ausgezeichnetem Erfolg über diese Frage gesprochen hat. Die Tendenz der Rede des Herzogs von Noailles ging dahin, zu beweisen, daß nicht die Allianz mit England, sondern die mit Rußland dem französischen Interesse convenire. Der Herzog stützte sein Argument auf die Verhältnisse des Handels und der Seemacht, und er hat auch ganz recht, daß die Interessen Rußlands und Frankreichs, was die ägyptische Frage und den Handelsweg nach Ostindien betrifft, vollkommen mit einander im Einklang stehen, und denen von England direct entgegen gesetzt sind. Hr. Thiers wußte aber dem Herzog mit der ihm eigenen Sagacität und Bündigkeit darzuthun, daß es sich jetzt noch nicht um die Eroberung und Vertheidigung von Aegypten und den Handelsweg handle; daß England vor der Hand nur dahin strebe, den status quo zu erhalten, was vorerst auch die einzige Absicht Frankreichs seyn müsse; daß Allianzen nicht für ewige Zeiten, sondern wie die zeitweiligen Umstände und Verhältnisse es mit sich brächten, abgeschlossen würden; daß zur Zeit die Interessen und Bestrebungen Frankreichs und Englands in Hinsicht auf das Verfassungsprincip eins und dasselbe seyen; daß man der Allianz dieser beiden Mächte die Aufrechthaltung des Friedens während der verflossenen zehn Jahre zu danken habe; daß sie allein auch künftig, so lange sie daure, Europa den Frieden verbürgen könne, daß er aber keinen Augenblick anstehen würde, diese Allianz zu verlassen und eine andere zu suchen, sobald England den status quo zu verletzen Miene machte. Diese Erklärung schlägt alle Einwendungen, beruhigt alle Gemüther, und dient zugleich England als ein Fingerzeig, wie weit die Freundschaft Frankreichs gegen England geht. Zum Schluß bewies Hr. Villemain hier, wie Hr. Lamartine im Unterhaus, wie sehr die Leidenschaft auch die größten Talente stupidisirt. Italien. In einem Schreiben des Commerce aus Neapel vom 5 April wird die schlagfertige neapolitanische Seemacht wohl sehr übertrieben auf 47 Kriegsschiffe, worunter 12 Linienschiffe und 15 Fregatten, angegeben. In demselben Schreiben heißt es: "Die Intervention des ganzen diplomatischen Corps wird die Ausführung der Drohungen des Hrn. Temple wohl verhindern. Namentlich haben die Gesandten Oesterreichs und Rußlands im Namen ihrer Regierungen erklärt, daß sie, bei ihrer Verpflichtung den Handel der Unterthanen ihrer Regierungen zu schützen, nicht dulden würden, daß England die neapolitanischen Häfen um einer so geringfügigen Ursache willen blokire. Die Sprache dieser beiden Gesandten verletzte besonders die Eitelkeit des Hrn. Temple, welcher aus sehr schlecht angebrachtem Nationalstolz sich fortwährend das Ansehen gibt, als habe Großbritannien nicht nöthig, auf den Rath der übrigen Mächte zu hören." Turin, 14 April. Nach den letzten Meldungen aus Neapel war der Stand der Schwefelmonopols-Angelegenheit äußerst besorgnißerregend. Hr. Temple hatte an Admiral Stopford die lakonische Zuschrift geschickt: "Da alle Unterhandlungen mit dem königl. Hofe zu Neapel zu keinem Resultat geführt hätten, so sey die Reihe an ihm, seinen Instructionen gemäß zu handeln." Man ist hier bange, welche Ausdehnung die ohne Zweifel eintretenden Zwangsmaaßregeln erhalten und wünscht sehnlich, daß der König von Neapel nachgebe und sich mit der englischen Regierung in Güte verständige. Rom, 11 April. Aus Neapel erfahren wir, daß der bei der dortigen großbritannischen Gesandtschaft angestellte Secretär, John Kennedy, von London aus seinen Abschied von diesem Posten erhalten. Er wird beschuldigt, gleich zu Anfang des Schwefelmonopols, in Abwesenheit des Gesandten, nicht energisch genug im Interesse von England gehandelt zu haben. Ferner will man hier Nachricht haben, es sey bereits von Malta aus eine Abtheilung der englischen Flotte ausgelaufen, um auf er habe aus den Vorgängen seit seinem letzten Austritt aus dem Cabinet sich von der Unmöglichkeit überzeugt, worin sich jedes Ministerium befinde, mit dem sogenannten gouvernement personnel auszukommen und zu regieren. Dasselbe sey nur dann haltbar, wenn es im Einklange mit der Deputirtenkammer handle. Dieser Zusatz wurde durch einen der Gäste der hohen Person hinterbracht; seitdem behandelt letztere den Hrn. Thiers mit weit mehr Zuvorkommenheit als früher, woraus man schließt, dieselbe setze in Hrn. Thiers das Vertrauen, er werde es durch seine Gewandtheit dahin bringen, sich die Stimmen einer bedeutenden Majorität in der Deputirtenkammer zu versichern, und so doch das gouvernement personnel zu handhaben. Die beiden vorstehenden Thatsachen lassen allerdings auf eine Sinnesänderung des Hrn. Thiers schließen – vorausgesetzt, daß er beim Eintritt ins Cabinet die Absicht hegte, parlamentarisch und im Sinne der Linken zu regieren. Das Journal des Débats betrachtet diese Sinnesänderung als etwas Ausgemachtes, und gibt dem Hrn. Conseilspräsidenten seine Lobsprüche hierüber; derselbe wäre also der Zustimmung der 163 versichert; wie es ihm mit der Linken ergehen wird, muß die Folge lehren. Paris, 15 April. Es war vorherzusehen, daß die Verhandlungen der Pairskammer über die geheimen Fonds nur dazu dienen würden, die Schwäche der Schwachen und die Stärke der Starken in helleres Licht zu stellen. Dieß ist immer das Resultat, wenn die Schwachen und Gebrechlichen mit den Athleten ringen. Es sind Leute als Kämpfer aufgetreten, die nicht stehen, andere, die nicht gehen, und noch andere, die nicht sehen konnten. Einer behauptete, auf die Autorität der Presse und des Journal des Débats hin, seit dem Eintritt des gegenwärtigen Ministeriums habe sich die Deputirtenkammer in einen ordentlichen Convent verwandelt. Ein anderer rief dem Ministerium zu, es solle sein Haupt nicht unter das Joch der englischen Allianz beugen. Ein dritter behauptete geradezu: die Allianz mit England sey Frankreichs unwürdig. Hr. Thiers hatte länger als eine Stunde mit der ihm eigenen Klarheit über die Entstehung und Gesinnung, über das System und die Tendenz des Ministeriums gesprochen, und sich offen und ausführlich darüber erklärt, was er unter einem parlamentarischen Ministerium verstehe, nämlich ein aus einer freien Majorität des Parlaments hervorgegangenes, in Folge seiner independenten politischen Meinung zur Gewalt gelangtes, das die Gewalt niederzulegen entschlossen sey, sobald es nicht mehr seiner politischen Ueberzeugung gemäß regieren könne. Nach Beendigung seiner meisterhaften Rede, welcher mehr als ein duzendmal die Kammer – ob sie wollte oder nicht – ihren lauten Beifall bezeugen mußte, trat Hr. Bordeau, ein alter abgenutzter bureaukratischer Minister aus der Restaurationszeit, auf, und fragte: was denn eigentlich Hr. Thiers unter einem parlamentarischen Ministerium verstehe? So umsichtig und nachsichtig, gerecht und billig, klug und bescheiden sich Hr. Thiers in seiner Rede über alle Parteien und Persönlichkeiten ausgesprochen hatte, konnte er doch nicht umhin, diesem Hrn. Bourdeau zu verstehen zu geben, wie er zweifle, ob er mit irgend einem Erfolg sich dazu hergäbe, abermals eine Stunde lang zu wiederholen, was er in der verflossenen Stunde gesagt. Merkwürdig ist dagegen, daß ein Glied der legitimistischen Partei in gleichem Geist wie Hr. Berryer in der andern Kammer – nämlich im nationalen – und wenn nicht mit gleichem, doch mit ausgezeichnetem Erfolg über diese Frage gesprochen hat. Die Tendenz der Rede des Herzogs von Noailles ging dahin, zu beweisen, daß nicht die Allianz mit England, sondern die mit Rußland dem französischen Interesse convenire. Der Herzog stützte sein Argument auf die Verhältnisse des Handels und der Seemacht, und er hat auch ganz recht, daß die Interessen Rußlands und Frankreichs, was die ägyptische Frage und den Handelsweg nach Ostindien betrifft, vollkommen mit einander im Einklang stehen, und denen von England direct entgegen gesetzt sind. Hr. Thiers wußte aber dem Herzog mit der ihm eigenen Sagacität und Bündigkeit darzuthun, daß es sich jetzt noch nicht um die Eroberung und Vertheidigung von Aegypten und den Handelsweg handle; daß England vor der Hand nur dahin strebe, den status quo zu erhalten, was vorerst auch die einzige Absicht Frankreichs seyn müsse; daß Allianzen nicht für ewige Zeiten, sondern wie die zeitweiligen Umstände und Verhältnisse es mit sich brächten, abgeschlossen würden; daß zur Zeit die Interessen und Bestrebungen Frankreichs und Englands in Hinsicht auf das Verfassungsprincip eins und dasselbe seyen; daß man der Allianz dieser beiden Mächte die Aufrechthaltung des Friedens während der verflossenen zehn Jahre zu danken habe; daß sie allein auch künftig, so lange sie daure, Europa den Frieden verbürgen könne, daß er aber keinen Augenblick anstehen würde, diese Allianz zu verlassen und eine andere zu suchen, sobald England den status quo zu verletzen Miene machte. Diese Erklärung schlägt alle Einwendungen, beruhigt alle Gemüther, und dient zugleich England als ein Fingerzeig, wie weit die Freundschaft Frankreichs gegen England geht. Zum Schluß bewies Hr. Villemain hier, wie Hr. Lamartine im Unterhaus, wie sehr die Leidenschaft auch die größten Talente stupidisirt. Italien. In einem Schreiben des Commerce aus Neapel vom 5 April wird die schlagfertige neapolitanische Seemacht wohl sehr übertrieben auf 47 Kriegsschiffe, worunter 12 Linienschiffe und 15 Fregatten, angegeben. In demselben Schreiben heißt es: „Die Intervention des ganzen diplomatischen Corps wird die Ausführung der Drohungen des Hrn. Temple wohl verhindern. Namentlich haben die Gesandten Oesterreichs und Rußlands im Namen ihrer Regierungen erklärt, daß sie, bei ihrer Verpflichtung den Handel der Unterthanen ihrer Regierungen zu schützen, nicht dulden würden, daß England die neapolitanischen Häfen um einer so geringfügigen Ursache willen blokire. Die Sprache dieser beiden Gesandten verletzte besonders die Eitelkeit des Hrn. Temple, welcher aus sehr schlecht angebrachtem Nationalstolz sich fortwährend das Ansehen gibt, als habe Großbritannien nicht nöthig, auf den Rath der übrigen Mächte zu hören.“ Turin, 14 April. Nach den letzten Meldungen aus Neapel war der Stand der Schwefelmonopols-Angelegenheit äußerst besorgnißerregend. Hr. Temple hatte an Admiral Stopford die lakonische Zuschrift geschickt: „Da alle Unterhandlungen mit dem königl. Hofe zu Neapel zu keinem Resultat geführt hätten, so sey die Reihe an ihm, seinen Instructionen gemäß zu handeln.“ Man ist hier bange, welche Ausdehnung die ohne Zweifel eintretenden Zwangsmaaßregeln erhalten und wünscht sehnlich, daß der König von Neapel nachgebe und sich mit der englischen Regierung in Güte verständige. Rom, 11 April. Aus Neapel erfahren wir, daß der bei der dortigen großbritannischen Gesandtschaft angestellte Secretär, John Kennedy, von London aus seinen Abschied von diesem Posten erhalten. Er wird beschuldigt, gleich zu Anfang des Schwefelmonopols, in Abwesenheit des Gesandten, nicht energisch genug im Interesse von England gehandelt zu haben. Ferner will man hier Nachricht haben, es sey bereits von Malta aus eine Abtheilung der englischen Flotte ausgelaufen, um auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="0885"/> er habe aus den Vorgängen seit seinem letzten Austritt aus dem Cabinet sich von der Unmöglichkeit überzeugt, worin sich jedes Ministerium befinde, mit dem sogenannten gouvernement personnel auszukommen und zu regieren. Dasselbe sey nur dann haltbar, wenn es im Einklange mit der Deputirtenkammer handle. Dieser Zusatz wurde durch einen der Gäste der hohen Person hinterbracht; seitdem behandelt letztere den Hrn. Thiers mit weit mehr Zuvorkommenheit als früher, woraus man schließt, dieselbe setze in Hrn. Thiers das Vertrauen, er werde es durch seine Gewandtheit dahin bringen, sich die Stimmen einer bedeutenden Majorität in der Deputirtenkammer zu versichern, und so doch das gouvernement personnel zu handhaben. Die beiden vorstehenden Thatsachen lassen allerdings auf eine Sinnesänderung des Hrn. Thiers schließen – vorausgesetzt, daß er beim Eintritt ins Cabinet die Absicht hegte, parlamentarisch und im Sinne der Linken zu regieren. Das Journal des Débats betrachtet diese Sinnesänderung als etwas Ausgemachtes, und gibt dem Hrn. 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Ein anderer rief dem Ministerium zu, es solle sein Haupt nicht unter das Joch der englischen Allianz beugen. Ein dritter behauptete geradezu: die Allianz mit England sey Frankreichs unwürdig. Hr. Thiers hatte länger als eine Stunde mit der ihm eigenen Klarheit über die Entstehung und Gesinnung, über das System und die Tendenz des Ministeriums gesprochen, und sich offen und ausführlich darüber erklärt, was er unter einem parlamentarischen Ministerium verstehe, nämlich ein aus einer freien Majorität des Parlaments hervorgegangenes, in Folge seiner independenten politischen Meinung zur Gewalt gelangtes, das die Gewalt niederzulegen entschlossen sey, sobald es nicht mehr seiner politischen Ueberzeugung gemäß regieren könne. Nach Beendigung seiner meisterhaften Rede, welcher mehr als ein duzendmal die Kammer – ob sie wollte oder nicht – ihren lauten Beifall bezeugen mußte, trat Hr. Bordeau, ein alter abgenutzter bureaukratischer Minister aus der Restaurationszeit, auf, und fragte: was denn eigentlich Hr. Thiers unter einem parlamentarischen Ministerium verstehe? So umsichtig und nachsichtig, gerecht und billig, klug und bescheiden sich Hr. Thiers in seiner Rede über alle Parteien und Persönlichkeiten ausgesprochen hatte, konnte er doch nicht umhin, diesem Hrn. Bourdeau zu verstehen zu geben, wie er zweifle, ob er mit irgend einem Erfolg sich dazu hergäbe, abermals eine Stunde lang zu wiederholen, was er in der verflossenen Stunde gesagt. Merkwürdig ist dagegen, daß ein Glied der legitimistischen Partei in gleichem Geist wie Hr. Berryer in der andern Kammer – nämlich im nationalen – und wenn nicht mit gleichem, doch mit ausgezeichnetem Erfolg über diese Frage gesprochen hat. Die Tendenz der Rede des Herzogs von Noailles ging dahin, zu beweisen, daß nicht die Allianz mit England, sondern die mit Rußland dem französischen Interesse convenire. Der Herzog stützte sein Argument auf die Verhältnisse des Handels und der Seemacht, und er hat auch ganz recht, daß die Interessen Rußlands und Frankreichs, was die ägyptische Frage und den Handelsweg nach Ostindien betrifft, vollkommen mit einander im Einklang stehen, und denen von England direct entgegen gesetzt sind. Hr. Thiers wußte aber dem Herzog mit der ihm eigenen Sagacität und Bündigkeit darzuthun, daß es sich jetzt noch nicht um die Eroberung und Vertheidigung von Aegypten und den Handelsweg handle; daß England vor der Hand nur dahin strebe, den status quo zu erhalten, was vorerst auch die einzige Absicht Frankreichs seyn müsse; daß Allianzen nicht für ewige Zeiten, sondern wie die zeitweiligen Umstände und Verhältnisse es mit sich brächten, abgeschlossen würden; daß zur Zeit die Interessen und Bestrebungen Frankreichs und Englands in Hinsicht auf das Verfassungsprincip eins und dasselbe seyen; daß man der Allianz dieser beiden Mächte die Aufrechthaltung des Friedens während der verflossenen zehn Jahre zu danken habe; daß sie allein auch künftig, so lange sie daure, Europa den Frieden verbürgen könne, daß er aber keinen Augenblick anstehen würde, diese Allianz zu verlassen und eine andere zu suchen, sobald England den status quo zu verletzen Miene machte. Diese Erklärung schlägt alle Einwendungen, beruhigt alle Gemüther, und dient zugleich England als ein Fingerzeig, wie weit die Freundschaft Frankreichs gegen England geht. Zum Schluß bewies Hr. Villemain hier, wie Hr. Lamartine im Unterhaus, wie sehr die Leidenschaft auch die größten Talente stupidisirt.</p> </div> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/> <p>In einem Schreiben des <hi rendition="#g">Commerce</hi> aus <hi rendition="#b">Neapel</hi> vom 5 April wird die schlagfertige neapolitanische Seemacht wohl sehr übertrieben auf 47 Kriegsschiffe, worunter 12 Linienschiffe und 15 Fregatten, angegeben. In demselben Schreiben heißt es: „Die Intervention des ganzen diplomatischen Corps wird die Ausführung der Drohungen des Hrn. Temple wohl verhindern. Namentlich haben die Gesandten Oesterreichs und Rußlands im Namen ihrer Regierungen erklärt, daß sie, bei ihrer Verpflichtung den Handel der Unterthanen ihrer Regierungen zu schützen, nicht dulden würden, daß England die neapolitanischen Häfen um einer so geringfügigen Ursache willen blokire. Die Sprache dieser beiden Gesandten verletzte besonders die Eitelkeit des Hrn. Temple, welcher aus sehr schlecht angebrachtem Nationalstolz sich fortwährend das Ansehen gibt, als habe Großbritannien nicht nöthig, auf den Rath der übrigen Mächte zu hören.“</p><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Turin,</hi> 14 April.</dateline> <p> Nach den letzten Meldungen aus Neapel war der Stand der Schwefelmonopols-Angelegenheit äußerst besorgnißerregend. Hr. Temple hatte an Admiral Stopford die lakonische Zuschrift geschickt: „Da alle Unterhandlungen mit dem königl. 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er habe aus den Vorgängen seit seinem letzten Austritt aus dem Cabinet sich von der Unmöglichkeit überzeugt, worin sich jedes Ministerium befinde, mit dem sogenannten gouvernement personnel auszukommen und zu regieren. Dasselbe sey nur dann haltbar, wenn es im Einklange mit der Deputirtenkammer handle. Dieser Zusatz wurde durch einen der Gäste der hohen Person hinterbracht; seitdem behandelt letztere den Hrn. Thiers mit weit mehr Zuvorkommenheit als früher, woraus man schließt, dieselbe setze in Hrn. Thiers das Vertrauen, er werde es durch seine Gewandtheit dahin bringen, sich die Stimmen einer bedeutenden Majorität in der Deputirtenkammer zu versichern, und so doch das gouvernement personnel zu handhaben. Die beiden vorstehenden Thatsachen lassen allerdings auf eine Sinnesänderung des Hrn. Thiers schließen – vorausgesetzt, daß er beim Eintritt ins Cabinet die Absicht hegte, parlamentarisch und im Sinne der Linken zu regieren. Das Journal des Débats betrachtet diese Sinnesänderung als etwas Ausgemachtes, und gibt dem Hrn. Conseilspräsidenten seine Lobsprüche hierüber; derselbe wäre also der Zustimmung der 163 versichert; wie es ihm mit der Linken ergehen wird, muß die Folge lehren.
_ Paris, 15 April. Es war vorherzusehen, daß die Verhandlungen der Pairskammer über die geheimen Fonds nur dazu dienen würden, die Schwäche der Schwachen und die Stärke der Starken in helleres Licht zu stellen. Dieß ist immer das Resultat, wenn die Schwachen und Gebrechlichen mit den Athleten ringen. Es sind Leute als Kämpfer aufgetreten, die nicht stehen, andere, die nicht gehen, und noch andere, die nicht sehen konnten. Einer behauptete, auf die Autorität der Presse und des Journal des Débats hin, seit dem Eintritt des gegenwärtigen Ministeriums habe sich die Deputirtenkammer in einen ordentlichen Convent verwandelt. Ein anderer rief dem Ministerium zu, es solle sein Haupt nicht unter das Joch der englischen Allianz beugen. Ein dritter behauptete geradezu: die Allianz mit England sey Frankreichs unwürdig. Hr. Thiers hatte länger als eine Stunde mit der ihm eigenen Klarheit über die Entstehung und Gesinnung, über das System und die Tendenz des Ministeriums gesprochen, und sich offen und ausführlich darüber erklärt, was er unter einem parlamentarischen Ministerium verstehe, nämlich ein aus einer freien Majorität des Parlaments hervorgegangenes, in Folge seiner independenten politischen Meinung zur Gewalt gelangtes, das die Gewalt niederzulegen entschlossen sey, sobald es nicht mehr seiner politischen Ueberzeugung gemäß regieren könne. Nach Beendigung seiner meisterhaften Rede, welcher mehr als ein duzendmal die Kammer – ob sie wollte oder nicht – ihren lauten Beifall bezeugen mußte, trat Hr. Bordeau, ein alter abgenutzter bureaukratischer Minister aus der Restaurationszeit, auf, und fragte: was denn eigentlich Hr. Thiers unter einem parlamentarischen Ministerium verstehe? So umsichtig und nachsichtig, gerecht und billig, klug und bescheiden sich Hr. Thiers in seiner Rede über alle Parteien und Persönlichkeiten ausgesprochen hatte, konnte er doch nicht umhin, diesem Hrn. Bourdeau zu verstehen zu geben, wie er zweifle, ob er mit irgend einem Erfolg sich dazu hergäbe, abermals eine Stunde lang zu wiederholen, was er in der verflossenen Stunde gesagt. Merkwürdig ist dagegen, daß ein Glied der legitimistischen Partei in gleichem Geist wie Hr. Berryer in der andern Kammer – nämlich im nationalen – und wenn nicht mit gleichem, doch mit ausgezeichnetem Erfolg über diese Frage gesprochen hat. Die Tendenz der Rede des Herzogs von Noailles ging dahin, zu beweisen, daß nicht die Allianz mit England, sondern die mit Rußland dem französischen Interesse convenire. Der Herzog stützte sein Argument auf die Verhältnisse des Handels und der Seemacht, und er hat auch ganz recht, daß die Interessen Rußlands und Frankreichs, was die ägyptische Frage und den Handelsweg nach Ostindien betrifft, vollkommen mit einander im Einklang stehen, und denen von England direct entgegen gesetzt sind. Hr. Thiers wußte aber dem Herzog mit der ihm eigenen Sagacität und Bündigkeit darzuthun, daß es sich jetzt noch nicht um die Eroberung und Vertheidigung von Aegypten und den Handelsweg handle; daß England vor der Hand nur dahin strebe, den status quo zu erhalten, was vorerst auch die einzige Absicht Frankreichs seyn müsse; daß Allianzen nicht für ewige Zeiten, sondern wie die zeitweiligen Umstände und Verhältnisse es mit sich brächten, abgeschlossen würden; daß zur Zeit die Interessen und Bestrebungen Frankreichs und Englands in Hinsicht auf das Verfassungsprincip eins und dasselbe seyen; daß man der Allianz dieser beiden Mächte die Aufrechthaltung des Friedens während der verflossenen zehn Jahre zu danken habe; daß sie allein auch künftig, so lange sie daure, Europa den Frieden verbürgen könne, daß er aber keinen Augenblick anstehen würde, diese Allianz zu verlassen und eine andere zu suchen, sobald England den status quo zu verletzen Miene machte. Diese Erklärung schlägt alle Einwendungen, beruhigt alle Gemüther, und dient zugleich England als ein Fingerzeig, wie weit die Freundschaft Frankreichs gegen England geht. Zum Schluß bewies Hr. Villemain hier, wie Hr. Lamartine im Unterhaus, wie sehr die Leidenschaft auch die größten Talente stupidisirt.
Italien.
In einem Schreiben des Commerce aus Neapel vom 5 April wird die schlagfertige neapolitanische Seemacht wohl sehr übertrieben auf 47 Kriegsschiffe, worunter 12 Linienschiffe und 15 Fregatten, angegeben. In demselben Schreiben heißt es: „Die Intervention des ganzen diplomatischen Corps wird die Ausführung der Drohungen des Hrn. Temple wohl verhindern. Namentlich haben die Gesandten Oesterreichs und Rußlands im Namen ihrer Regierungen erklärt, daß sie, bei ihrer Verpflichtung den Handel der Unterthanen ihrer Regierungen zu schützen, nicht dulden würden, daß England die neapolitanischen Häfen um einer so geringfügigen Ursache willen blokire. Die Sprache dieser beiden Gesandten verletzte besonders die Eitelkeit des Hrn. Temple, welcher aus sehr schlecht angebrachtem Nationalstolz sich fortwährend das Ansehen gibt, als habe Großbritannien nicht nöthig, auf den Rath der übrigen Mächte zu hören.“
_ Turin, 14 April. Nach den letzten Meldungen aus Neapel war der Stand der Schwefelmonopols-Angelegenheit äußerst besorgnißerregend. Hr. Temple hatte an Admiral Stopford die lakonische Zuschrift geschickt: „Da alle Unterhandlungen mit dem königl. Hofe zu Neapel zu keinem Resultat geführt hätten, so sey die Reihe an ihm, seinen Instructionen gemäß zu handeln.“ Man ist hier bange, welche Ausdehnung die ohne Zweifel eintretenden Zwangsmaaßregeln erhalten und wünscht sehnlich, daß der König von Neapel nachgebe und sich mit der englischen Regierung in Güte verständige.
_ Rom, 11 April. Aus Neapel erfahren wir, daß der bei der dortigen großbritannischen Gesandtschaft angestellte Secretär, John Kennedy, von London aus seinen Abschied von diesem Posten erhalten. Er wird beschuldigt, gleich zu Anfang des Schwefelmonopols, in Abwesenheit des Gesandten, nicht energisch genug im Interesse von England gehandelt zu haben. Ferner will man hier Nachricht haben, es sey bereits von Malta aus eine Abtheilung der englischen Flotte ausgelaufen, um auf
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