Allgemeine Zeitung. Nr. 117. Augsburg, 26. April 1840.sich der Damen der Pariser Halle, der Fratschlerinnen von Wien und der fabelhaft groben holländischen Marktweiber - ringt auch in der "Kothlacke" das schöne Geschlecht um des Schimpfens Preis. "Da hast' ein Kreuzer, häng' mir ein Maul an!" Diese Worte entzünden, schneller als Döblers Pistolenschuß seine sechzig Lichter, die Galle der Kothlacklerin. Das Pariser "faites la polissonne pour un petit sou!" wirkt nicht drastischer. Das männliche Geschlecht ist gutmüthiger, wenn schon sarkastisch; nur dann gefährlich, wenn es ein Frackl Branntwein im Kopfe hat, was zuweilen passirt. Ich war still gerührt, da ich einen Auflader von St. Nikolaus mit unendlicher Bonhomie zu einer Dame sagen hörte: "Geh'ns auf d' Seit'n, i tritt Ihnen sonst auf d' Klauen auffi!" Denn so wie nach Jägermund- und Brauch der Hase Löffel, Läufe und Blume, statt Ohren, Füßen und Schwänzlein hat, so weiß der "Kothlackler" nicht von Augen, sondern von "Becher" und "Brillen," nicht von Händen, sondern von "Tatzen," nicht von Beinen, sondern von "Grueggen," und was daher die "Klauen" bedeuten, wird der jetzt eingeweihte Leser wohl errathen; das ist Kinderei. Aber einem Andern, als eben einem Innsbrucker, möchte ich Millionen zum Preise setzen, daß er mir entziffere, was eine "Landtafel" ist? daß er mir sage, was auf die Frage: "Fetzlies', was hast' gessen?" die classische Antwort: "Eine Stadtraffel;" wohl bedeuten dürfte? - Dennoch antwortet die Antwort nur, daß Fetzliese eine Brennsuppe genossen hat. Ein kothlacklerischer Dandy sagt eleganter: "einen Wolkenbruch." - Wenn nun Einer oder Eine im edeln Zorn sagt: "Halt's Vaterunserloch, oder ich geb' dir eins auf die Landtafel, daß dir d' Provinzen wackelt!" (wackelt, nicht wackeln, denn d' Provinzen ist im Singular), so ists wieder nichts Anderes, als ob sie oder er sagte: "Halts Maul oder ich geb' dir eins ins Gesicht, daß dir der Leib schüttert!" - Wie farblos, wie theematt ist jedoch das ordinäre Deutsch gegen die malerische, plastische, pyramidalische lingua kothlakiana! - Um mich hier nicht allzu tief in sprachlichen Enthusiasmus einzulassen, bemerke ich nur noch, daß in St. Nikolaus das Schimpfwort: "Fackengrind"-"Schweinskopf" ein Duellforderndes ist, und daß - was den Kern jenes Volkes charakterisirt - ein jedes männlich oder weiblich Haupt desselben einen Beinamen führt, der den Familiennamen - so überhaupt einer vorhanden - völlig in Vergessenheit bringt. So findet man z. B. eher die Frau A. unter dem Namen "Roßkuh" oder das Fräulein B. als "Huderannele" aus der Menge heraus, als unter dem Namen ihrer resp. Herren Gemahls und Vaters. - Ein recht wohl gerathener männlicher Beiname ist unter andern:"Stationenjud," der beileibe keinen Juden bezeichnet, aber wohl einen häßlichen Kerl, der den jüdischen Henkersknechten auf Calvarienbergen ähnlich sieht. - Da ich just endigen will, fällt mir noch ein gar artiger Scherz kothlacklischer Schönen bei, den sie ehedem nicht ohne Glück anbrachten, sobald ein Mann, dem sie nicht wohl wollten - ein angesehener Stadtherr etwa - an ihnen vorüberging. Sie schickten dem Herrn eiligst eins oder zwei ihrer unsaubern Kinder nach, mit dem lauten Ruf: "Wastl, Sepperl, laufts, küßt's dem Herrn Vattern die Hand!" - - (Beschluß folgt.) Algier. Algier, 10 April. Der Augenblick des Aufbruchs der Armee nähert sich. Man erwartet hierzu nur noch die Ankunft der französischen Prinzen. *)*) Für den Marschall Valee ist die Gefahr einer Absetzung für den Augenblick vorüber. Er wird Gouverneur von Algier bleiben, wenigstens bis zum Ende des Feldzugs; denn das Ministerium meint, es sey nicht wohl schicklich, daß der Thronerbe unter einem Generallieutenant den Feldzug mache, und unter den Marschällen findet sich eben kein Candidat, der mit Thätigkeit und Landeskenntniß zugleich die Sympathien der Staatsgewalt auf seiner Seite hätte. - Abd-El-Kader ist über Alles, was vorgeht, gut unterrichtet und bereitet sich zum Widerstand. Er hat in der Umgegend von Miliana gegen 15,000 Mann versammelt, und allem Anschein nach wird er ein ernstes Treffen liefern, nicht um die Stadt zu vertheidigen, denn er hat die Absicht, alle Städte, welche auf seiner ersten Vertheidigungslinie stehen, zu räumen, wohl aber wird er uns auf irgend einem Punkt erwarten, wie bei dem Engpaß von Sbihha, wo das Terrain ihn begünstigt; dort wird er das Loos der Waffen versuchen. Es liegt in des Emirs Interesse, daß die Sache sich auf die eine oder die andere Art entscheide, denn der gegenwärtige Zustand ist für die Araber unerträglich. Das Verbot des Handels mit den Franzosen, auf welches der Emir so große Hoffnung gesetzt, hatte gerade das entgegengesetzte Resultat, das er erwartete. Denn bei der Unterbrechung unserer Verbindungen mit dem Innern, versahen wir uns zur See mit allen Bedürfnissen, während die Araber an vielen Artikeln, die sie in den Städten einkauften, Mangel leiden; es fehlt ihnen sogar an dem nöthigen Stoff, ihre Todten einzuhüllen. Die Ueberzeugung der Araber, daß sie uns nicht aushungern können, sondern vielmehr der Handelsverbindungen mit uns zu ihrem eigenen Wohlseyn nöthig haben, dürfte bei dem bevorstehenden Krieg nicht ohne Einfluß bleiben. Abd-El-Kader, der zu klug ist, um dieß nicht einzusehen, sucht die Araber durch feurige Proclamationen, die an seine Fanfararonaden während unsers Feldzugs gegen Mascara erinnern, von dergleichen Betrachtungen abzuhalten und ihre glühende Einbildungskraft zu beschäftigen. So zum Beispiel spricht er von einem Monument, das er auf dem hohen Berge Dschibel-Zackar bei Miliana aus den Gebeinen der Franzosen erbauen wolle, welche er unfehlbar alle tödten werde. Er versichert, die Niederlage am 31 December sey nur erfolgt, weil man seine Befehle mißachtet habe. Sobald er die Bewegungen in eigener Person leiten werde, müßte der Sieg sich für die Araber erklären. - Die Besatzung Scherschels fängt an, etwas beunruhigt zu werden, doch waren die Angriffe noch nicht sehr ernst. An der verfallenen Ringmauer der alten Julia Cäsarea wurde eine Reihe von Blockhäusern errichtet, wodurch Stadt und Garten geschützt werden. - Der Gouverneur hat den Mitgliedern der wissenschaftlichen Commission die Reise nach Scherschel untersagt. Inzwischen zerstören die französischen Ingenieure dort die epigraphischen Monumente, die Mosaiken etc., um Festungswerke daraus zu machen. Der Marschall Valee befolgt nicht das schöne Beispiel Napoleons in Aegypten: es ist unmöglich, sich gegen die Wissenschaft feindlicher zu zeigen, als dieser Gouverneur gethan. Ueberhaupt ist ihm jede Maaßregel, die nicht zum Avancement seines Eidams, des Obristen de Salles, dient, verhaßt oder wenigstens völlig gleichgültig. *) Das Schreiben ist um drei Tage älter, als die Nachrichten aus Algier, welche wir über Toulon erhielten und die bereits die Ankunft der Prinzen meldeten.
sich der Damen der Pariser Halle, der Fratschlerinnen von Wien und der fabelhaft groben holländischen Marktweiber – ringt auch in der „Kothlacke“ das schöne Geschlecht um des Schimpfens Preis. „Da hast' ein Kreuzer, häng' mir ein Maul an!“ Diese Worte entzünden, schneller als Döblers Pistolenschuß seine sechzig Lichter, die Galle der Kothlacklerin. Das Pariser „faites la polissonne pour un petit sou!“ wirkt nicht drastischer. Das männliche Geschlecht ist gutmüthiger, wenn schon sarkastisch; nur dann gefährlich, wenn es ein Frackl Branntwein im Kopfe hat, was zuweilen passirt. Ich war still gerührt, da ich einen Auflader von St. Nikolaus mit unendlicher Bonhomie zu einer Dame sagen hörte: „Geh'ns auf d' Seit'n, i tritt Ihnen sonst auf d' Klauen auffi!“ Denn so wie nach Jägermund- und Brauch der Hase Löffel, Läufe und Blume, statt Ohren, Füßen und Schwänzlein hat, so weiß der „Kothlackler“ nicht von Augen, sondern von „Becher“ und „Brillen,“ nicht von Händen, sondern von „Tatzen,“ nicht von Beinen, sondern von „Grueggen,“ und was daher die „Klauen“ bedeuten, wird der jetzt eingeweihte Leser wohl errathen; das ist Kinderei. Aber einem Andern, als eben einem Innsbrucker, möchte ich Millionen zum Preise setzen, daß er mir entziffere, was eine „Landtafel“ ist? daß er mir sage, was auf die Frage: „Fetzlies', was hast' gessen?“ die classische Antwort: „Eine Stadtraffel;“ wohl bedeuten dürfte? – Dennoch antwortet die Antwort nur, daß Fetzliese eine Brennsuppe genossen hat. Ein kothlacklerischer Dandy sagt eleganter: „einen Wolkenbruch.“ – Wenn nun Einer oder Eine im edeln Zorn sagt: „Halt's Vaterunserloch, oder ich geb' dir eins auf die Landtafel, daß dir d' Provinzen wackelt!“ (wackelt, nicht wackeln, denn d' Provinzen ist im Singular), so ists wieder nichts Anderes, als ob sie oder er sagte: „Halts Maul oder ich geb' dir eins ins Gesicht, daß dir der Leib schüttert!“ – Wie farblos, wie theematt ist jedoch das ordinäre Deutsch gegen die malerische, plastische, pyramidalische lingua kothlakiana! – Um mich hier nicht allzu tief in sprachlichen Enthusiasmus einzulassen, bemerke ich nur noch, daß in St. Nikolaus das Schimpfwort: „Fackengrind“-„Schweinskopf“ ein Duellforderndes ist, und daß – was den Kern jenes Volkes charakterisirt – ein jedes männlich oder weiblich Haupt desselben einen Beinamen führt, der den Familiennamen – so überhaupt einer vorhanden – völlig in Vergessenheit bringt. So findet man z. B. eher die Frau A. unter dem Namen „Roßkuh“ oder das Fräulein B. als „Huderannele“ aus der Menge heraus, als unter dem Namen ihrer resp. Herren Gemahls und Vaters. – Ein recht wohl gerathener männlicher Beiname ist unter andern:„Stationenjud,“ der beileibe keinen Juden bezeichnet, aber wohl einen häßlichen Kerl, der den jüdischen Henkersknechten auf Calvarienbergen ähnlich sieht. – Da ich just endigen will, fällt mir noch ein gar artiger Scherz kothlacklischer Schönen bei, den sie ehedem nicht ohne Glück anbrachten, sobald ein Mann, dem sie nicht wohl wollten – ein angesehener Stadtherr etwa – an ihnen vorüberging. Sie schickten dem Herrn eiligst eins oder zwei ihrer unsaubern Kinder nach, mit dem lauten Ruf: „Wastl, Sepperl, laufts, küßt's dem Herrn Vattern die Hand!“ – – (Beschluß folgt.) Algier. Algier, 10 April. Der Augenblick des Aufbruchs der Armee nähert sich. Man erwartet hierzu nur noch die Ankunft der französischen Prinzen. *)*) Für den Marschall Valée ist die Gefahr einer Absetzung für den Augenblick vorüber. Er wird Gouverneur von Algier bleiben, wenigstens bis zum Ende des Feldzugs; denn das Ministerium meint, es sey nicht wohl schicklich, daß der Thronerbe unter einem Generallieutenant den Feldzug mache, und unter den Marschällen findet sich eben kein Candidat, der mit Thätigkeit und Landeskenntniß zugleich die Sympathien der Staatsgewalt auf seiner Seite hätte. – Abd-El-Kader ist über Alles, was vorgeht, gut unterrichtet und bereitet sich zum Widerstand. Er hat in der Umgegend von Miliana gegen 15,000 Mann versammelt, und allem Anschein nach wird er ein ernstes Treffen liefern, nicht um die Stadt zu vertheidigen, denn er hat die Absicht, alle Städte, welche auf seiner ersten Vertheidigungslinie stehen, zu räumen, wohl aber wird er uns auf irgend einem Punkt erwarten, wie bei dem Engpaß von Sbihha, wo das Terrain ihn begünstigt; dort wird er das Loos der Waffen versuchen. Es liegt in des Emirs Interesse, daß die Sache sich auf die eine oder die andere Art entscheide, denn der gegenwärtige Zustand ist für die Araber unerträglich. Das Verbot des Handels mit den Franzosen, auf welches der Emir so große Hoffnung gesetzt, hatte gerade das entgegengesetzte Resultat, das er erwartete. Denn bei der Unterbrechung unserer Verbindungen mit dem Innern, versahen wir uns zur See mit allen Bedürfnissen, während die Araber an vielen Artikeln, die sie in den Städten einkauften, Mangel leiden; es fehlt ihnen sogar an dem nöthigen Stoff, ihre Todten einzuhüllen. Die Ueberzeugung der Araber, daß sie uns nicht aushungern können, sondern vielmehr der Handelsverbindungen mit uns zu ihrem eigenen Wohlseyn nöthig haben, dürfte bei dem bevorstehenden Krieg nicht ohne Einfluß bleiben. Abd-El-Kader, der zu klug ist, um dieß nicht einzusehen, sucht die Araber durch feurige Proclamationen, die an seine Fanfararonaden während unsers Feldzugs gegen Mascara erinnern, von dergleichen Betrachtungen abzuhalten und ihre glühende Einbildungskraft zu beschäftigen. So zum Beispiel spricht er von einem Monument, das er auf dem hohen Berge Dschibel-Zackar bei Miliana aus den Gebeinen der Franzosen erbauen wolle, welche er unfehlbar alle tödten werde. Er versichert, die Niederlage am 31 December sey nur erfolgt, weil man seine Befehle mißachtet habe. Sobald er die Bewegungen in eigener Person leiten werde, müßte der Sieg sich für die Araber erklären. – Die Besatzung Scherschels fängt an, etwas beunruhigt zu werden, doch waren die Angriffe noch nicht sehr ernst. An der verfallenen Ringmauer der alten Julia Cäsarea wurde eine Reihe von Blockhäusern errichtet, wodurch Stadt und Garten geschützt werden. – Der Gouverneur hat den Mitgliedern der wissenschaftlichen Commission die Reise nach Scherschel untersagt. Inzwischen zerstören die französischen Ingenieure dort die epigraphischen Monumente, die Mosaiken etc., um Festungswerke daraus zu machen. Der Marschall Valée befolgt nicht das schöne Beispiel Napoleons in Aegypten: es ist unmöglich, sich gegen die Wissenschaft feindlicher zu zeigen, als dieser Gouverneur gethan. Ueberhaupt ist ihm jede Maaßregel, die nicht zum Avancement seines Eidams, des Obristen de Salles, dient, verhaßt oder wenigstens völlig gleichgültig. *) Das Schreiben ist um drei Tage älter, als die Nachrichten aus Algier, welche wir über Toulon erhielten und die bereits die Ankunft der Prinzen meldeten.
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Ich war still gerührt, da ich einen Auflader von St. Nikolaus mit unendlicher Bonhomie zu einer Dame sagen hörte: „Geh'ns auf d' Seit'n, i tritt Ihnen sonst auf d' Klauen auffi!“ Denn so wie nach Jägermund- und Brauch der Hase Löffel, Läufe und Blume, statt Ohren, Füßen und Schwänzlein hat, so weiß der „Kothlackler“ nicht von Augen, sondern von „Becher“ und „Brillen,“ nicht von Händen, sondern von „Tatzen,“ nicht von Beinen, sondern von „Grueggen,“ und was daher die „Klauen“ bedeuten, wird der jetzt eingeweihte Leser wohl errathen; das ist Kinderei. Aber einem Andern, als eben einem Innsbrucker, möchte ich Millionen zum Preise setzen, daß er mir entziffere, was eine „Landtafel“ ist? daß er mir sage, was auf die Frage: „Fetzlies', was hast' gessen?“ die classische Antwort: „Eine Stadtraffel;“ wohl bedeuten dürfte? – Dennoch antwortet die Antwort nur, daß Fetzliese eine Brennsuppe genossen hat. Ein kothlacklerischer Dandy sagt eleganter: „einen Wolkenbruch.“ – Wenn nun Einer oder Eine im edeln Zorn sagt: „Halt's Vaterunserloch, oder ich geb' dir eins auf die Landtafel, daß dir d' Provinzen wackelt!“ (wackelt, nicht wackeln, denn d' <hi rendition="#g">Provinzen</hi> ist im Singular), so ists wieder nichts Anderes, als ob sie oder er sagte: „Halts Maul oder ich geb' dir eins ins Gesicht, daß dir der Leib schüttert!“ – Wie farblos, wie theematt ist jedoch das ordinäre Deutsch gegen die malerische, plastische, pyramidalische lingua kothlakiana! – Um mich hier nicht allzu tief in sprachlichen Enthusiasmus einzulassen, bemerke ich nur noch, daß in St. Nikolaus das Schimpfwort: „Fackengrind“-„Schweinskopf“ ein Duellforderndes ist, und daß – was den Kern jenes Volkes charakterisirt – ein jedes männlich oder weiblich Haupt desselben einen Beinamen führt, der den Familiennamen – so überhaupt einer vorhanden – völlig in Vergessenheit bringt. So findet man z. B. eher die Frau A. unter dem Namen „Roßkuh“ oder das Fräulein B. als „Huderannele“ aus der Menge heraus, als unter dem Namen ihrer resp. Herren Gemahls und Vaters. – Ein recht wohl gerathener männlicher Beiname ist unter andern:„Stationenjud,“ der beileibe keinen Juden bezeichnet, aber wohl einen häßlichen Kerl, der den jüdischen Henkersknechten auf Calvarienbergen ähnlich sieht. – Da ich just endigen will, fällt mir noch ein gar artiger Scherz kothlacklischer Schönen bei, den sie ehedem nicht ohne Glück anbrachten, sobald ein Mann, dem sie nicht wohl wollten – ein angesehener Stadtherr etwa – an ihnen vorüberging. 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Er wird Gouverneur von Algier bleiben, wenigstens bis zum Ende des Feldzugs; denn das Ministerium meint, es sey nicht wohl schicklich, daß der Thronerbe unter einem Generallieutenant den Feldzug mache, und unter den Marschällen findet sich eben kein Candidat, der mit Thätigkeit und Landeskenntniß zugleich die Sympathien der Staatsgewalt auf seiner Seite hätte. – Abd-El-Kader ist über Alles, was vorgeht, gut unterrichtet und bereitet sich zum Widerstand. Er hat in der Umgegend von Miliana gegen 15,000 Mann versammelt, und allem Anschein nach wird er ein ernstes Treffen liefern, nicht um die Stadt zu vertheidigen, denn er hat die Absicht, alle Städte, welche auf seiner ersten Vertheidigungslinie stehen, zu räumen, wohl aber wird er uns auf irgend einem Punkt erwarten, wie bei dem Engpaß von Sbihha, wo das Terrain ihn begünstigt; dort wird er das Loos der Waffen versuchen. Es liegt in des Emirs Interesse, daß die Sache sich auf die eine oder die andere Art entscheide, denn der gegenwärtige Zustand ist für die Araber unerträglich. Das Verbot des Handels mit den Franzosen, auf welches der Emir so große Hoffnung gesetzt, hatte gerade das entgegengesetzte Resultat, das er erwartete. Denn bei der Unterbrechung unserer Verbindungen mit dem Innern, versahen wir uns zur See mit allen Bedürfnissen, während die Araber an vielen Artikeln, die sie in den Städten einkauften, Mangel leiden; es fehlt ihnen sogar an dem nöthigen Stoff, ihre Todten einzuhüllen. Die Ueberzeugung der Araber, daß sie uns nicht aushungern können, sondern vielmehr der Handelsverbindungen mit uns zu ihrem eigenen Wohlseyn nöthig haben, dürfte bei dem bevorstehenden Krieg nicht ohne Einfluß bleiben. Abd-El-Kader, der zu klug ist, um dieß nicht einzusehen, sucht die Araber durch feurige Proclamationen, die an seine Fanfararonaden während unsers Feldzugs gegen Mascara erinnern, von dergleichen Betrachtungen abzuhalten und ihre glühende Einbildungskraft zu beschäftigen. So zum Beispiel spricht er von einem Monument, das er auf dem hohen Berge Dschibel-Zackar bei Miliana aus den Gebeinen der Franzosen erbauen wolle, welche er unfehlbar alle tödten werde. Er versichert, die Niederlage am 31 December sey nur erfolgt, weil man seine Befehle mißachtet habe. Sobald er die Bewegungen in eigener Person leiten werde, müßte der Sieg sich für die Araber erklären. – Die Besatzung Scherschels fängt an, etwas beunruhigt zu werden, doch waren die Angriffe noch nicht sehr ernst. An der verfallenen Ringmauer der alten Julia Cäsarea wurde eine Reihe von Blockhäusern errichtet, wodurch Stadt und Garten geschützt werden. – Der Gouverneur hat den Mitgliedern der wissenschaftlichen Commission die Reise nach Scherschel untersagt. Inzwischen zerstören die französischen Ingenieure dort die epigraphischen Monumente, die Mosaiken etc., um Festungswerke daraus zu machen. Der Marschall Valée befolgt nicht das schöne Beispiel Napoleons in Aegypten: es ist unmöglich, sich gegen die Wissenschaft feindlicher zu zeigen, als dieser Gouverneur gethan. Ueberhaupt ist ihm jede Maaßregel, die nicht zum Avancement seines Eidams, des Obristen de Salles, dient, verhaßt oder wenigstens völlig gleichgültig.</p> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0933/0012]
sich der Damen der Pariser Halle, der Fratschlerinnen von Wien und der fabelhaft groben holländischen Marktweiber – ringt auch in der „Kothlacke“ das schöne Geschlecht um des Schimpfens Preis. „Da hast' ein Kreuzer, häng' mir ein Maul an!“ Diese Worte entzünden, schneller als Döblers Pistolenschuß seine sechzig Lichter, die Galle der Kothlacklerin. Das Pariser „faites la polissonne pour un petit sou!“ wirkt nicht drastischer.
Das männliche Geschlecht ist gutmüthiger, wenn schon sarkastisch; nur dann gefährlich, wenn es ein Frackl Branntwein im Kopfe hat, was zuweilen passirt. Ich war still gerührt, da ich einen Auflader von St. Nikolaus mit unendlicher Bonhomie zu einer Dame sagen hörte: „Geh'ns auf d' Seit'n, i tritt Ihnen sonst auf d' Klauen auffi!“ Denn so wie nach Jägermund- und Brauch der Hase Löffel, Läufe und Blume, statt Ohren, Füßen und Schwänzlein hat, so weiß der „Kothlackler“ nicht von Augen, sondern von „Becher“ und „Brillen,“ nicht von Händen, sondern von „Tatzen,“ nicht von Beinen, sondern von „Grueggen,“ und was daher die „Klauen“ bedeuten, wird der jetzt eingeweihte Leser wohl errathen; das ist Kinderei. Aber einem Andern, als eben einem Innsbrucker, möchte ich Millionen zum Preise setzen, daß er mir entziffere, was eine „Landtafel“ ist? daß er mir sage, was auf die Frage: „Fetzlies', was hast' gessen?“ die classische Antwort: „Eine Stadtraffel;“ wohl bedeuten dürfte? – Dennoch antwortet die Antwort nur, daß Fetzliese eine Brennsuppe genossen hat. Ein kothlacklerischer Dandy sagt eleganter: „einen Wolkenbruch.“ – Wenn nun Einer oder Eine im edeln Zorn sagt: „Halt's Vaterunserloch, oder ich geb' dir eins auf die Landtafel, daß dir d' Provinzen wackelt!“ (wackelt, nicht wackeln, denn d' Provinzen ist im Singular), so ists wieder nichts Anderes, als ob sie oder er sagte: „Halts Maul oder ich geb' dir eins ins Gesicht, daß dir der Leib schüttert!“ – Wie farblos, wie theematt ist jedoch das ordinäre Deutsch gegen die malerische, plastische, pyramidalische lingua kothlakiana! – Um mich hier nicht allzu tief in sprachlichen Enthusiasmus einzulassen, bemerke ich nur noch, daß in St. Nikolaus das Schimpfwort: „Fackengrind“-„Schweinskopf“ ein Duellforderndes ist, und daß – was den Kern jenes Volkes charakterisirt – ein jedes männlich oder weiblich Haupt desselben einen Beinamen führt, der den Familiennamen – so überhaupt einer vorhanden – völlig in Vergessenheit bringt. So findet man z. B. eher die Frau A. unter dem Namen „Roßkuh“ oder das Fräulein B. als „Huderannele“ aus der Menge heraus, als unter dem Namen ihrer resp. Herren Gemahls und Vaters. – Ein recht wohl gerathener männlicher Beiname ist unter andern:„Stationenjud,“ der beileibe keinen Juden bezeichnet, aber wohl einen häßlichen Kerl, der den jüdischen Henkersknechten auf Calvarienbergen ähnlich sieht. – Da ich just endigen will, fällt mir noch ein gar artiger Scherz kothlacklischer Schönen bei, den sie ehedem nicht ohne Glück anbrachten, sobald ein Mann, dem sie nicht wohl wollten – ein angesehener Stadtherr etwa – an ihnen vorüberging. Sie schickten dem Herrn eiligst eins oder zwei ihrer unsaubern Kinder nach, mit dem lauten Ruf: „Wastl, Sepperl, laufts, küßt's dem Herrn Vattern die Hand!“ – –
(Beschluß folgt.)
Algier.
_ Algier, 10 April. Der Augenblick des Aufbruchs der Armee nähert sich. Man erwartet hierzu nur noch die Ankunft der französischen Prinzen. *) *) Für den Marschall Valée ist die Gefahr einer Absetzung für den Augenblick vorüber. Er wird Gouverneur von Algier bleiben, wenigstens bis zum Ende des Feldzugs; denn das Ministerium meint, es sey nicht wohl schicklich, daß der Thronerbe unter einem Generallieutenant den Feldzug mache, und unter den Marschällen findet sich eben kein Candidat, der mit Thätigkeit und Landeskenntniß zugleich die Sympathien der Staatsgewalt auf seiner Seite hätte. – Abd-El-Kader ist über Alles, was vorgeht, gut unterrichtet und bereitet sich zum Widerstand. Er hat in der Umgegend von Miliana gegen 15,000 Mann versammelt, und allem Anschein nach wird er ein ernstes Treffen liefern, nicht um die Stadt zu vertheidigen, denn er hat die Absicht, alle Städte, welche auf seiner ersten Vertheidigungslinie stehen, zu räumen, wohl aber wird er uns auf irgend einem Punkt erwarten, wie bei dem Engpaß von Sbihha, wo das Terrain ihn begünstigt; dort wird er das Loos der Waffen versuchen. Es liegt in des Emirs Interesse, daß die Sache sich auf die eine oder die andere Art entscheide, denn der gegenwärtige Zustand ist für die Araber unerträglich. Das Verbot des Handels mit den Franzosen, auf welches der Emir so große Hoffnung gesetzt, hatte gerade das entgegengesetzte Resultat, das er erwartete. Denn bei der Unterbrechung unserer Verbindungen mit dem Innern, versahen wir uns zur See mit allen Bedürfnissen, während die Araber an vielen Artikeln, die sie in den Städten einkauften, Mangel leiden; es fehlt ihnen sogar an dem nöthigen Stoff, ihre Todten einzuhüllen. Die Ueberzeugung der Araber, daß sie uns nicht aushungern können, sondern vielmehr der Handelsverbindungen mit uns zu ihrem eigenen Wohlseyn nöthig haben, dürfte bei dem bevorstehenden Krieg nicht ohne Einfluß bleiben. Abd-El-Kader, der zu klug ist, um dieß nicht einzusehen, sucht die Araber durch feurige Proclamationen, die an seine Fanfararonaden während unsers Feldzugs gegen Mascara erinnern, von dergleichen Betrachtungen abzuhalten und ihre glühende Einbildungskraft zu beschäftigen. So zum Beispiel spricht er von einem Monument, das er auf dem hohen Berge Dschibel-Zackar bei Miliana aus den Gebeinen der Franzosen erbauen wolle, welche er unfehlbar alle tödten werde. Er versichert, die Niederlage am 31 December sey nur erfolgt, weil man seine Befehle mißachtet habe. Sobald er die Bewegungen in eigener Person leiten werde, müßte der Sieg sich für die Araber erklären. – Die Besatzung Scherschels fängt an, etwas beunruhigt zu werden, doch waren die Angriffe noch nicht sehr ernst. An der verfallenen Ringmauer der alten Julia Cäsarea wurde eine Reihe von Blockhäusern errichtet, wodurch Stadt und Garten geschützt werden. – Der Gouverneur hat den Mitgliedern der wissenschaftlichen Commission die Reise nach Scherschel untersagt. Inzwischen zerstören die französischen Ingenieure dort die epigraphischen Monumente, die Mosaiken etc., um Festungswerke daraus zu machen. Der Marschall Valée befolgt nicht das schöne Beispiel Napoleons in Aegypten: es ist unmöglich, sich gegen die Wissenschaft feindlicher zu zeigen, als dieser Gouverneur gethan. Ueberhaupt ist ihm jede Maaßregel, die nicht zum Avancement seines Eidams, des Obristen de Salles, dient, verhaßt oder wenigstens völlig gleichgültig.
*) Das Schreiben ist um drei Tage älter, als die Nachrichten aus Algier, welche wir über Toulon erhielten und die bereits die Ankunft der Prinzen meldeten.
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