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Allgemeine Zeitung. Nr. 118. Augsburg, 27. April 1840.

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ist. Dann ist das Mopperlspiel wieder orientalisch, indem es an Werktagabenden gern auf Verlangen in den Häusern der Schaulustigen sich einfindet, gleichwie die Almehs Aegyptens, Ostindiens Bajaderen, und die mimischen Künstler im Reiche der Mitte. Ich habe zwei dieser Mopperlspiele besucht. Das nobelste ist "Außer der Brücke," zu dem man auf höchst wundervollen Vorsichtswegen gelangt, die in einen Kartoffelkeller einmünden; und in diesem Keller steht die Bühne, sitzt und steht das Publicum, und es ist dort der Finsterniß Purpurmantel allen Illusionen sehr günstig. Ueber dem Vorhang des niedlichen Miniaturtheaters ist mit großen Buchstaben zu lesen: "Waranet'n Theater." Wer zweifelt bei dieser genialen Umgestaltung des veralteten Worts "Marionetten" in "Waranet'n" an der Nachbarschaft der Kothlacke? Vom Spiel der Acteurs kann ich nicht viel sagen, denn ich kam gerade zur letzten Scene des "Zauberrings," der sehr schön gewesen seyn muß, weil Jung und Alt der Zuschauer sehr vergnügt war. Doch schien mir der Kasperl brillant, der Amoroso mit hochdeutschem überschwänglichem Dialekt schmelzend, und die Prinzessin herrlich geschmückt, der Zauberer sehr convenabel costumirt. Ueberraschend war mir die seltene Gefälligkeit des Unternehmers und seiner Familie. Diese letztere wollte anfänglich nicht einmal meine sechs Kreuzer annehmen, "weil das Stück schon zu Ende gehe" - in Paris wäre dergleichen unerhört - und weil ich dennoch mein Opfer auf den Altar der Kunst niederzulegen beharrte, brachte die Familie den aufspielenden Familienvater dazu, schnell noch ein Nachspiel loszulassen. Ich muß sagen, daß der Waranet'n-Director nicht zögerte, und daß er seine Aufgabe würdig gelöst hat. Darum sey er wie billig der europäischen Berücksichtigung empfohlen! - Könnte ich nur Gleiches von dem andern Mopperlspiel sagen, das ich in der Stadt besucht habe! Respect vor dem Stücke; es war ein patriotisches (von 1809) Hofer-Stück von dem gediegenen Volksdichter Veit Angetti - aber mit den Acteurs war's an selbigem Abend nicht richtig. Obgleich von Holz, hatten sie nicht gut memorirt, der Souffleur war zu laut, die Decorationen klappten nicht, des Maschinisten Hand fuhr stets aus den Wolken hernieder, bei einem Haare wäre das Proscenium total eingefallen und hätte Weiber und Kinder unter seinem Schutt begraben, das Schießen kam zu früh, der Jubel zu früh, die Herren declamirten die Damenrollen, die Damen agirten die Helden - mit Einem Wort: mir war, als säße ich vor den Lampen eines Menschentheaters, vor Schauspielern von Fleisch und Bein, und nicht vor einem friedlichen Mopperlspiel.

Eine ungleich bessere Unterhaltung gewähren im Sommer die im Freien erbauten Bauerntheater in Hötting und Pradl. Diese Belustigung ist so innig mit den Gewohnheiten und dem Sommerleben der hiesigen Landleute verwachsen, daß der Zeitpunkt ihres Ursprungs schwer anzugeben wäre. Dieses Theaterwesen schreitet mit feierlicher Ordnung seines Wegs dahin, obgleich es in sich die Oper - Prologus und Chöre - die Pantomime - lebende Bilder der vorkommenden Handlung - und das eigentliche Schauspiel vereinigt. Lewald hat, soviel ich mich erinnere, diese Theater gehörig beschrieben, und ich verweise darauf; aber von einem Theater, das nach Lewalds Angabe nur mit weiblichen Mitgliedern besetzt gewesen seyn und in Büchsenhausen bestanden haben soll, habe ich nichts vernommen; kein Mensch wollte davon wissen.

Der Tiroler Bauer hat viel Geschick zum Schauspieler; er hat Sinn für scenische Einrichtungen, für Gruppirung u. dgl. Gewohnt, keck und hurtig durchs Leben zu gehen, ist er nicht blöde, selbstgefällig seine Künste vor aller Welt zu zeigen. Er besitzt die Gabe zu copiren im höchsten Grade. Sein Gesicht ist beweglich, seine Gebärde nicht linkisch, er liebt öffentliche Declamation. In der Nähe der Hauptstadt wohnhaft, hat er Gelegenheit dann und wann das Nationaltheater zu besuchen, und den Leuten vom Fach etwas abzulernen. Abgesehen von der seltnern Uebung und der mangelhaftern Sprache, machen einige jener Landkünstler ihre Sachen nicht um Vieles schlechter als mittelmäßige Schauspieler in der Stadt. Die Bauern in der Nähe von Innsbruck sind überhaupt an Verstand und Fassungskraft nicht die letzten; in der Verschmitztheit werden sie vielleicht nur von den Zillerthalern übertroffen. Höflichkeit ist eben ihre Sache nicht; wo sie sich namentlich an Städtern reiben können, unterlassen sie es nicht; aber irgend eine Grobheit, einen Verstoß auf pfiffige Weise zu entschuldigen, eine impertinente Zudringlichkeit zu motiviren, versteht kein Mensch in der weiten Welt besser, als sie. Ein Beispiel von der letztbenannten Geschicklichkeit stehe hier; es ist die drolligste und naivste Lüge, die mir jemals aufgestoßen. Von einem Spaziergang kommend, begegne ich in der Nähe der Stadt einem langgewachsenen hagern Mann in ganz guter Bauernkleidung mit schlauem Gesicht und blonden Haaren, der wohlgemuth ausschreitet, aber nichtsdestoweniger - nachdem er schon einige Schritte an mir vorüber - umkehrt und mich resolut anbettelt. "Warum bettelst du?" frage ich ihn. Er antwortet: der Schauer (Hagel) habe seine Felder verwüstet. - "Woher bist du?" - Von Arams. - "Pah, dir wird der Schauer eben nicht gar viel zerschlagen haben!" - Wenn auch nicht mir, versetzt er biederherzig, so doch Andern, und ich bettle eigentlich nicht für mich, sondern für eine arme Familie mit fünf Kindern, deren Vormund ich bin. - Diese heillos lächerliche Lüge machte mich lachen, und eine ansehnlichere Gabe als wohl sonst fiel in den Hut des wackern Vormunds, der seine Pflichten in so überschwenglichem Maaß erfüllte. Man fände kein Ende, wollte man alle Anekdoten gleichen Schlags, die jeder Tag bringt, aufspießen wie flüchtige Schmetterlinge. Die Weiber und Töchter dieser Leute scheinen den gewöhnlichen Weiberwitz zu besitzen, aber ein Mehreres nicht; nicht einmal eine leidliche Schönheit. Wie sollte aber auch der Reiz des Weibes aufkommen unter dem häßlichen Costume dieser Bäuerinnen? Wie sollte ein heller Verstand gerathen unter den erschrecklichen Schwatzerhauben, die das Gräßlichste sind, was in der schlaflosesten Nacht der boshafte Dämon des absolutesten Ungeschmacks erfinden konnte?

Schweiz.

Die Kantone der Schweiz haben einer um den andern ihre religiöse Bewegung, ein jeder in seiner eigenthümlichen Weise. Jetzt ist die Reihe an den Kanton Schaffhausen gekommen, der sonst ein politisches Stilleben führte, das nur dann und wann durch einen Nothschrei über die betrübten commerciellen Verhältnisse des Kantons unterbrochen wird. Schaffhausen ist streng protestantisch. Nur unter ziemlich beschränkenden Bedingungen ist in der neuesten Zeit der kleinen katholischen Gemeinde daselbst eine selbstständigere kirchliche Existenz eingeräumt worden; aber selbst die nicht sehr weit reichende Gewährung hat das Mißtrauen des Volks aufgeregt. Dieses richtete sich besonders gegen den Antistes der protestantischen Kirche, Friedrich Hurter. Schon lange war Hurter in den Klöstern und bei der katholischen Geistlichkeit nahe und fern wohl angesehen. Er ist der Verfasser der geistvollen und gelehrten Geschichte des Papstes Innocenz III. Seiner Vorliebe für den Katholicismus hatte er wohl auch die glänzende

ist. Dann ist das Mopperlspiel wieder orientalisch, indem es an Werktagabenden gern auf Verlangen in den Häusern der Schaulustigen sich einfindet, gleichwie die Almehs Aegyptens, Ostindiens Bajaderen, und die mimischen Künstler im Reiche der Mitte. Ich habe zwei dieser Mopperlspiele besucht. Das nobelste ist „Außer der Brücke,“ zu dem man auf höchst wundervollen Vorsichtswegen gelangt, die in einen Kartoffelkeller einmünden; und in diesem Keller steht die Bühne, sitzt und steht das Publicum, und es ist dort der Finsterniß Purpurmantel allen Illusionen sehr günstig. Ueber dem Vorhang des niedlichen Miniaturtheaters ist mit großen Buchstaben zu lesen: „Waranet'n Theater.“ Wer zweifelt bei dieser genialen Umgestaltung des veralteten Worts „Marionetten“ in „Waranet'n“ an der Nachbarschaft der Kothlacke? Vom Spiel der Acteurs kann ich nicht viel sagen, denn ich kam gerade zur letzten Scene des „Zauberrings,“ der sehr schön gewesen seyn muß, weil Jung und Alt der Zuschauer sehr vergnügt war. Doch schien mir der Kasperl brillant, der Amoroso mit hochdeutschem überschwänglichem Dialekt schmelzend, und die Prinzessin herrlich geschmückt, der Zauberer sehr convenabel costumirt. Ueberraschend war mir die seltene Gefälligkeit des Unternehmers und seiner Familie. Diese letztere wollte anfänglich nicht einmal meine sechs Kreuzer annehmen, „weil das Stück schon zu Ende gehe“ – in Paris wäre dergleichen unerhört – und weil ich dennoch mein Opfer auf den Altar der Kunst niederzulegen beharrte, brachte die Familie den aufspielenden Familienvater dazu, schnell noch ein Nachspiel loszulassen. Ich muß sagen, daß der Waranet'n-Director nicht zögerte, und daß er seine Aufgabe würdig gelöst hat. Darum sey er wie billig der europäischen Berücksichtigung empfohlen! – Könnte ich nur Gleiches von dem andern Mopperlspiel sagen, das ich in der Stadt besucht habe! Respect vor dem Stücke; es war ein patriotisches (von 1809) Hofer-Stück von dem gediegenen Volksdichter Veit Angetti – aber mit den Acteurs war's an selbigem Abend nicht richtig. Obgleich von Holz, hatten sie nicht gut memorirt, der Souffleur war zu laut, die Decorationen klappten nicht, des Maschinisten Hand fuhr stets aus den Wolken hernieder, bei einem Haare wäre das Proscenium total eingefallen und hätte Weiber und Kinder unter seinem Schutt begraben, das Schießen kam zu früh, der Jubel zu früh, die Herren declamirten die Damenrollen, die Damen agirten die Helden – mit Einem Wort: mir war, als säße ich vor den Lampen eines Menschentheaters, vor Schauspielern von Fleisch und Bein, und nicht vor einem friedlichen Mopperlspiel.

Eine ungleich bessere Unterhaltung gewähren im Sommer die im Freien erbauten Bauerntheater in Hötting und Pradl. Diese Belustigung ist so innig mit den Gewohnheiten und dem Sommerleben der hiesigen Landleute verwachsen, daß der Zeitpunkt ihres Ursprungs schwer anzugeben wäre. Dieses Theaterwesen schreitet mit feierlicher Ordnung seines Wegs dahin, obgleich es in sich die Oper – Prologus und Chöre – die Pantomime – lebende Bilder der vorkommenden Handlung – und das eigentliche Schauspiel vereinigt. Lewald hat, soviel ich mich erinnere, diese Theater gehörig beschrieben, und ich verweise darauf; aber von einem Theater, das nach Lewalds Angabe nur mit weiblichen Mitgliedern besetzt gewesen seyn und in Büchsenhausen bestanden haben soll, habe ich nichts vernommen; kein Mensch wollte davon wissen.

Der Tiroler Bauer hat viel Geschick zum Schauspieler; er hat Sinn für scenische Einrichtungen, für Gruppirung u. dgl. Gewohnt, keck und hurtig durchs Leben zu gehen, ist er nicht blöde, selbstgefällig seine Künste vor aller Welt zu zeigen. Er besitzt die Gabe zu copiren im höchsten Grade. Sein Gesicht ist beweglich, seine Gebärde nicht linkisch, er liebt öffentliche Declamation. In der Nähe der Hauptstadt wohnhaft, hat er Gelegenheit dann und wann das Nationaltheater zu besuchen, und den Leuten vom Fach etwas abzulernen. Abgesehen von der seltnern Uebung und der mangelhaftern Sprache, machen einige jener Landkünstler ihre Sachen nicht um Vieles schlechter als mittelmäßige Schauspieler in der Stadt. Die Bauern in der Nähe von Innsbruck sind überhaupt an Verstand und Fassungskraft nicht die letzten; in der Verschmitztheit werden sie vielleicht nur von den Zillerthalern übertroffen. Höflichkeit ist eben ihre Sache nicht; wo sie sich namentlich an Städtern reiben können, unterlassen sie es nicht; aber irgend eine Grobheit, einen Verstoß auf pfiffige Weise zu entschuldigen, eine impertinente Zudringlichkeit zu motiviren, versteht kein Mensch in der weiten Welt besser, als sie. Ein Beispiel von der letztbenannten Geschicklichkeit stehe hier; es ist die drolligste und naivste Lüge, die mir jemals aufgestoßen. Von einem Spaziergang kommend, begegne ich in der Nähe der Stadt einem langgewachsenen hagern Mann in ganz guter Bauernkleidung mit schlauem Gesicht und blonden Haaren, der wohlgemuth ausschreitet, aber nichtsdestoweniger – nachdem er schon einige Schritte an mir vorüber – umkehrt und mich resolut anbettelt. „Warum bettelst du?“ frage ich ihn. Er antwortet: der Schauer (Hagel) habe seine Felder verwüstet. – „Woher bist du?“ – Von Arams. – „Pah, dir wird der Schauer eben nicht gar viel zerschlagen haben!“ – Wenn auch nicht mir, versetzt er biederherzig, so doch Andern, und ich bettle eigentlich nicht für mich, sondern für eine arme Familie mit fünf Kindern, deren Vormund ich bin. – Diese heillos lächerliche Lüge machte mich lachen, und eine ansehnlichere Gabe als wohl sonst fiel in den Hut des wackern Vormunds, der seine Pflichten in so überschwenglichem Maaß erfüllte. Man fände kein Ende, wollte man alle Anekdoten gleichen Schlags, die jeder Tag bringt, aufspießen wie flüchtige Schmetterlinge. Die Weiber und Töchter dieser Leute scheinen den gewöhnlichen Weiberwitz zu besitzen, aber ein Mehreres nicht; nicht einmal eine leidliche Schönheit. Wie sollte aber auch der Reiz des Weibes aufkommen unter dem häßlichen Costume dieser Bäuerinnen? Wie sollte ein heller Verstand gerathen unter den erschrecklichen Schwatzerhauben, die das Gräßlichste sind, was in der schlaflosesten Nacht der boshafte Dämon des absolutesten Ungeschmacks erfinden konnte?

Schweiz.

Die Kantone der Schweiz haben einer um den andern ihre religiöse Bewegung, ein jeder in seiner eigenthümlichen Weise. Jetzt ist die Reihe an den Kanton Schaffhausen gekommen, der sonst ein politisches Stilleben führte, das nur dann und wann durch einen Nothschrei über die betrübten commerciellen Verhältnisse des Kantons unterbrochen wird. Schaffhausen ist streng protestantisch. Nur unter ziemlich beschränkenden Bedingungen ist in der neuesten Zeit der kleinen katholischen Gemeinde daselbst eine selbstständigere kirchliche Existenz eingeräumt worden; aber selbst die nicht sehr weit reichende Gewährung hat das Mißtrauen des Volks aufgeregt. Dieses richtete sich besonders gegen den Antistes der protestantischen Kirche, Friedrich Hurter. Schon lange war Hurter in den Klöstern und bei der katholischen Geistlichkeit nahe und fern wohl angesehen. Er ist der Verfasser der geistvollen und gelehrten Geschichte des Papstes Innocenz III. Seiner Vorliebe für den Katholicismus hatte er wohl auch die glänzende

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[0940/0012] ist. Dann ist das Mopperlspiel wieder orientalisch, indem es an Werktagabenden gern auf Verlangen in den Häusern der Schaulustigen sich einfindet, gleichwie die Almehs Aegyptens, Ostindiens Bajaderen, und die mimischen Künstler im Reiche der Mitte. Ich habe zwei dieser Mopperlspiele besucht. Das nobelste ist „Außer der Brücke,“ zu dem man auf höchst wundervollen Vorsichtswegen gelangt, die in einen Kartoffelkeller einmünden; und in diesem Keller steht die Bühne, sitzt und steht das Publicum, und es ist dort der Finsterniß Purpurmantel allen Illusionen sehr günstig. Ueber dem Vorhang des niedlichen Miniaturtheaters ist mit großen Buchstaben zu lesen: „Waranet'n Theater.“ Wer zweifelt bei dieser genialen Umgestaltung des veralteten Worts „Marionetten“ in „Waranet'n“ an der Nachbarschaft der Kothlacke? Vom Spiel der Acteurs kann ich nicht viel sagen, denn ich kam gerade zur letzten Scene des „Zauberrings,“ der sehr schön gewesen seyn muß, weil Jung und Alt der Zuschauer sehr vergnügt war. Doch schien mir der Kasperl brillant, der Amoroso mit hochdeutschem überschwänglichem Dialekt schmelzend, und die Prinzessin herrlich geschmückt, der Zauberer sehr convenabel costumirt. Ueberraschend war mir die seltene Gefälligkeit des Unternehmers und seiner Familie. Diese letztere wollte anfänglich nicht einmal meine sechs Kreuzer annehmen, „weil das Stück schon zu Ende gehe“ – in Paris wäre dergleichen unerhört – und weil ich dennoch mein Opfer auf den Altar der Kunst niederzulegen beharrte, brachte die Familie den aufspielenden Familienvater dazu, schnell noch ein Nachspiel loszulassen. Ich muß sagen, daß der Waranet'n-Director nicht zögerte, und daß er seine Aufgabe würdig gelöst hat. Darum sey er wie billig der europäischen Berücksichtigung empfohlen! – Könnte ich nur Gleiches von dem andern Mopperlspiel sagen, das ich in der Stadt besucht habe! Respect vor dem Stücke; es war ein patriotisches (von 1809) Hofer-Stück von dem gediegenen Volksdichter Veit Angetti – aber mit den Acteurs war's an selbigem Abend nicht richtig. Obgleich von Holz, hatten sie nicht gut memorirt, der Souffleur war zu laut, die Decorationen klappten nicht, des Maschinisten Hand fuhr stets aus den Wolken hernieder, bei einem Haare wäre das Proscenium total eingefallen und hätte Weiber und Kinder unter seinem Schutt begraben, das Schießen kam zu früh, der Jubel zu früh, die Herren declamirten die Damenrollen, die Damen agirten die Helden – mit Einem Wort: mir war, als säße ich vor den Lampen eines Menschentheaters, vor Schauspielern von Fleisch und Bein, und nicht vor einem friedlichen Mopperlspiel. Eine ungleich bessere Unterhaltung gewähren im Sommer die im Freien erbauten Bauerntheater in Hötting und Pradl. Diese Belustigung ist so innig mit den Gewohnheiten und dem Sommerleben der hiesigen Landleute verwachsen, daß der Zeitpunkt ihres Ursprungs schwer anzugeben wäre. Dieses Theaterwesen schreitet mit feierlicher Ordnung seines Wegs dahin, obgleich es in sich die Oper – Prologus und Chöre – die Pantomime – lebende Bilder der vorkommenden Handlung – und das eigentliche Schauspiel vereinigt. Lewald hat, soviel ich mich erinnere, diese Theater gehörig beschrieben, und ich verweise darauf; aber von einem Theater, das nach Lewalds Angabe nur mit weiblichen Mitgliedern besetzt gewesen seyn und in Büchsenhausen bestanden haben soll, habe ich nichts vernommen; kein Mensch wollte davon wissen. Der Tiroler Bauer hat viel Geschick zum Schauspieler; er hat Sinn für scenische Einrichtungen, für Gruppirung u. dgl. Gewohnt, keck und hurtig durchs Leben zu gehen, ist er nicht blöde, selbstgefällig seine Künste vor aller Welt zu zeigen. Er besitzt die Gabe zu copiren im höchsten Grade. Sein Gesicht ist beweglich, seine Gebärde nicht linkisch, er liebt öffentliche Declamation. In der Nähe der Hauptstadt wohnhaft, hat er Gelegenheit dann und wann das Nationaltheater zu besuchen, und den Leuten vom Fach etwas abzulernen. Abgesehen von der seltnern Uebung und der mangelhaftern Sprache, machen einige jener Landkünstler ihre Sachen nicht um Vieles schlechter als mittelmäßige Schauspieler in der Stadt. Die Bauern in der Nähe von Innsbruck sind überhaupt an Verstand und Fassungskraft nicht die letzten; in der Verschmitztheit werden sie vielleicht nur von den Zillerthalern übertroffen. Höflichkeit ist eben ihre Sache nicht; wo sie sich namentlich an Städtern reiben können, unterlassen sie es nicht; aber irgend eine Grobheit, einen Verstoß auf pfiffige Weise zu entschuldigen, eine impertinente Zudringlichkeit zu motiviren, versteht kein Mensch in der weiten Welt besser, als sie. Ein Beispiel von der letztbenannten Geschicklichkeit stehe hier; es ist die drolligste und naivste Lüge, die mir jemals aufgestoßen. Von einem Spaziergang kommend, begegne ich in der Nähe der Stadt einem langgewachsenen hagern Mann in ganz guter Bauernkleidung mit schlauem Gesicht und blonden Haaren, der wohlgemuth ausschreitet, aber nichtsdestoweniger – nachdem er schon einige Schritte an mir vorüber – umkehrt und mich resolut anbettelt. „Warum bettelst du?“ frage ich ihn. Er antwortet: der Schauer (Hagel) habe seine Felder verwüstet. – „Woher bist du?“ – Von Arams. – „Pah, dir wird der Schauer eben nicht gar viel zerschlagen haben!“ – Wenn auch nicht mir, versetzt er biederherzig, so doch Andern, und ich bettle eigentlich nicht für mich, sondern für eine arme Familie mit fünf Kindern, deren Vormund ich bin. – Diese heillos lächerliche Lüge machte mich lachen, und eine ansehnlichere Gabe als wohl sonst fiel in den Hut des wackern Vormunds, der seine Pflichten in so überschwenglichem Maaß erfüllte. Man fände kein Ende, wollte man alle Anekdoten gleichen Schlags, die jeder Tag bringt, aufspießen wie flüchtige Schmetterlinge. Die Weiber und Töchter dieser Leute scheinen den gewöhnlichen Weiberwitz zu besitzen, aber ein Mehreres nicht; nicht einmal eine leidliche Schönheit. Wie sollte aber auch der Reiz des Weibes aufkommen unter dem häßlichen Costume dieser Bäuerinnen? Wie sollte ein heller Verstand gerathen unter den erschrecklichen Schwatzerhauben, die das Gräßlichste sind, was in der schlaflosesten Nacht der boshafte Dämon des absolutesten Ungeschmacks erfinden konnte? Schweiz. _ Aus der Schweiz, 15 April. Die Kantone der Schweiz haben einer um den andern ihre religiöse Bewegung, ein jeder in seiner eigenthümlichen Weise. Jetzt ist die Reihe an den Kanton Schaffhausen gekommen, der sonst ein politisches Stilleben führte, das nur dann und wann durch einen Nothschrei über die betrübten commerciellen Verhältnisse des Kantons unterbrochen wird. Schaffhausen ist streng protestantisch. Nur unter ziemlich beschränkenden Bedingungen ist in der neuesten Zeit der kleinen katholischen Gemeinde daselbst eine selbstständigere kirchliche Existenz eingeräumt worden; aber selbst die nicht sehr weit reichende Gewährung hat das Mißtrauen des Volks aufgeregt. Dieses richtete sich besonders gegen den Antistes der protestantischen Kirche, Friedrich Hurter. Schon lange war Hurter in den Klöstern und bei der katholischen Geistlichkeit nahe und fern wohl angesehen. Er ist der Verfasser der geistvollen und gelehrten Geschichte des Papstes Innocenz III. Seiner Vorliebe für den Katholicismus hatte er wohl auch die glänzende

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 118. Augsburg, 27. April 1840, S. 0940. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_118_18400427/12>, abgerufen am 29.04.2024.