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Allgemeine Zeitung. Nr. 122. Augsburg, 1. Mai 1840.

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Die Abtheilung der Wüste, in welche wir von hier aus eindringen sollten, und die sich bis zum rothen Meer erstreckt, wird nur von wenigen wandernden Beduinenstämmen bewohnt, die bloß nominell unter der Oberherrschaft Mehemed Ali's stehen, und folglich alle Reisenden noch als gute Beute ansehen. Die Sicherheit, die man so vollständig in den Staaten des ägyptischen Herrschers genießt, hört also hier auf, und der Schech Bischir kündigte uns an, daß ein Anfall von Räubern möglich sey, wir daher unsere Waffen in Bereitschaft halten möchten. Zugleich bot er mir an, jetzt meinen Dromedar, auf dem wir Europäer uns immer in einer etwas unbehülflichen Lage befinden, mit seiner, bisher von einem Diener an der Hand geführten Stute zu vertauschen, was ich dankbar annahm. Gegen 5 Uhr Abends machten wir uns auf den Weg, und erreichten bald eine herrliche Plaine, die, so weit das Auge reichte, mit hohem Binsengras, Gruppen niedriger Akazien und Mimosenbüschen bedeckt war; in blauer Ferne vor uns stiegen einzelne, bald spitz, bald tafelförmig, bald gezackt geformte Berge empor, und der Anblick des ganzen Landes bis an ihren Fuß zeigte deutlich, daß einst hier allgemeine Cultur geherrscht haben müsse, deren Spuren, trotz der Austrocknung alter Canäle und Versandung der Brunnen, nach Jahrtausenden noch sichtbar bleiben, während ein überall verbreiteter Untergrund von Wasser allein die verwilderte Fruchtbarkeit erhalten kann, welche uns noch jetzt umgab. Der Himmel war bewölkt, was die Hitze sehr minderte, die Nacht aber auch so stockfinster werden ließ, daß nur Araber mit ihrem Hunde-Instinct, den man füglich ihren sechsten Sinn nennen könnte, den Weg aufzufinden im Stande waren.

Unser Marsch in dieser Dunkelheit, der keiner Karawanenstraße mehr folgte, sondern quer durch die hohen Binsen ging, hatte bereits einige Stunden angedauert, als unsere Leute plötzlich anhielten, weil jener sechste Sinn, Gott weiß wie, inne geworden war, daß seitwärts in einem struppigen Gebüsch Menschen lagerten. Der Lieutenant des Schechs rief sie sogleich an, frug, wer sie wären und was sie hier machten? Doch ehe ich weiter erzähle, muß ich des Schech Bischirs Gefolge kürzlich beschreiben. Es waren ihrer, wie gesagt, nur acht, aber allem Anschein nach höchst zuverlässige Leute, sämmtlich schwarz wie ihr Herr, stark und muskulös gebaut (was man um so leichter beurtheilen konnte, da sie fast nackt waren) und von markanten, aber nicht unangenehmen Gesichtszügen. Eine Binde um den Leib und ein Tuch um den Kopf gewickelt, nebst Sandalen an den Füßen, componirte, außer den Waffen, ihren ganzen Anzug. Nur der Lieutenant trug darüber noch eine Art weiter blauer Blouse, und der Schech den faltenreichen, weißen Mantel mit rothen Streifen eingefaßt, der der römischen Toga so ähnlich sieht, mit einem sehr voluminösen Turban von gleicher Farbe auf dem Haupte. Alle ritten weiße Dromedare von der ausgezeichneten eignen Zucht des Schechs, der seine größten Besitzungen in Berber hat, wo das Gebiet der Tischary-Araber beginnt, deren Dromedare an Güte nur denen aus Nedschdi weichen. Sämmtliche Leute waren sehr vollständig nach Landesart bewaffnet, d. h. jeder hatte einen Wurfspieß, ein großes ovales Schild aus Krokodil- oder Hippopotamushaut, durch das nur eine Büchsenkugel dringt, einen Dolch am Oberarm befestigt, und ein langes gerades Ritterschwert mit dem Griff in Kreuzesform über die Schulter gehangen, wie ich es schon früher beschrieben. Flinten scheinen hier nicht üblich, und was davon ehemals existirt haben mag, ist den von Mehemed Ali's Truppen unterworfenen Arabern weggenommen worden. Es gab kein Feuergewehr unter der ganzen Truppe, als ein paar alterthümliche europäische Pistolen, die dem Schech gehörten, und die sein Leibdiener nebst einer durch Riemen befestigten kleinen Patrontasche im Gürtel trug. Alle waren vortreffliche Reiter und wußten ihre Dromedare so geschickt zu regieren, daß die Schnelligkeit und Gewandtheit ihrer Bewegungen denen der Pferde nicht viel nachgab, während dagegen meine Suite nur sehr mühsam mit ihren Thieren zurecht kam, die aber auch von weit schlechterer Beschaffenheit waren. Dieß veranlaßte denn häufig unwillkommenen Aufenthalt, um die Traineurs wieder heranzubringen.

Kaum also war die vorhin gemeldete Frage an die verdächtigen Fremden ergangen, als von einer tiefen Stimme die (uns schnell vom Dragoman übersetzte) Antwort erschallte: "Kommt nur heran, dann werdet ihr es erfahren."

Im Nu waren alle Dromedare des Schech Bischirs am Boden und ihre Reiter schon herabgesprungen, von denen jedoch vorsichtig zuerst nur die Hälfte mit gezogenen Schwertern und, von ihren Schilden gedeckt, in der Dunkelheit nach der Richtung des Schalls der gehörten Stimme vordrangen. Wir blieben ruhig mit gespannten Pistolen halten und erwarteten den weitern Verfolg, um nach Umständen mit zu agiren. In wenig Sekunden hörten wir, mit großem gegenseitigen Kampfgeschrei, mehrere mit den Schildern aufgefangene Schwerthiebe ertönen, und wollten, da es nun Ernst zu werden schien, ebenfalls vorrücken, als der Schech uns bat, dieß bis zum höchsten Nothfall zu versparen, worauf er nun selbst mit seinen übrigen Leuten der Melee zueilte. Seine lauten, drohenden Worte, die er den Streitenden zurief, schienen sogleich einen Waffenstillstand herbeizuführen (denn da wir nichts sahen, konnten wir uns nur der Ohren als Fühlhörner bedienen), das Geklirr der Waffen hörte auf, das Geschrei aber verdoppelte sich. Nach ungefähr fünf Minuten verstummte auch dieß plötzlich, alle die Unsrigen kamen hastig zurück, schwangen sich auf ihre Dromedare und eilten in kurzem Trabe mit uns davon. Auf unsere neugierigen Fragen erhielten wir zur Antwort, die Fremden hätten sich für reisende Dschellabs erklärt und vorgegeben, daß sie uns für Räuber gehalten. *) Der Schech setzte hinzu, daß er sich damit beruhigt habe, obgleich das Vorgeben erlogen sey, da hier gar kein Karawanenzug existire, wo Dschellabs angetroffen werden könnten. Es sey indeß besser, sich zu entfernen, weil man nicht wissen könne, ob nicht eine weit stärkere Anzahl in der Nähe sey, von denen jene nur ein vorgeschobener Posten gewesen. In der That fanden wir, nachdem wir noch nicht tausend Schritte weiter geritten waren, in einer sehr engen und schwierigen Passage durch unebenes, steiniges Terrain voller Dornen, einen zweiten Trupp ähnlicher Dschellabs, der aber wahrscheinlich nur wenig zahlreich war, da er bei dem Anruf unserer Spitze sogleich die Flucht ergriff. Ich hatte übrigens keinen Augenblick die mindeste Besorgniß für unsere Sicherheit, da wir uns auf die Treue der Escorte verlassen konnten, und die Menge unserer Feuergewehre gewiß, selbst gegen eine fünfmal überlegene Zahl, schnell den Sieg auf unsere Seite gebracht haben würde.

Eine Stunde später, nahe vor Mitternacht, und gerade als der Mond riesengroß und feurig am Horizont emporstieg, beleuchtete er vor uns die imposanten Ruinen von Mesaourat, in der Mitte eines geräumigen Thales gelegen, das einzelne Sandsteinberge von den barocksten Formen umgeben, in jener häufig vorkommenden Bildung dieser Gebirgsart, welche sie wie mit Thürmen, Mauern und Zinnen auf ihren Gipfeln gekrönt

*) Dschellab bedeutet eigentlich Kaufmann, da aber hier in der Regel Niemand reist, als um zu handeln, auch einen Reisenden. Am richtigsten würde man es mit wandernder Handelsmann übersetzen.

Die Abtheilung der Wüste, in welche wir von hier aus eindringen sollten, und die sich bis zum rothen Meer erstreckt, wird nur von wenigen wandernden Beduinenstämmen bewohnt, die bloß nominell unter der Oberherrschaft Mehemed Ali's stehen, und folglich alle Reisenden noch als gute Beute ansehen. Die Sicherheit, die man so vollständig in den Staaten des ägyptischen Herrschers genießt, hört also hier auf, und der Schech Bischir kündigte uns an, daß ein Anfall von Räubern möglich sey, wir daher unsere Waffen in Bereitschaft halten möchten. Zugleich bot er mir an, jetzt meinen Dromedar, auf dem wir Europäer uns immer in einer etwas unbehülflichen Lage befinden, mit seiner, bisher von einem Diener an der Hand geführten Stute zu vertauschen, was ich dankbar annahm. Gegen 5 Uhr Abends machten wir uns auf den Weg, und erreichten bald eine herrliche Plaine, die, so weit das Auge reichte, mit hohem Binsengras, Gruppen niedriger Akazien und Mimosenbüschen bedeckt war; in blauer Ferne vor uns stiegen einzelne, bald spitz, bald tafelförmig, bald gezackt geformte Berge empor, und der Anblick des ganzen Landes bis an ihren Fuß zeigte deutlich, daß einst hier allgemeine Cultur geherrscht haben müsse, deren Spuren, trotz der Austrocknung alter Canäle und Versandung der Brunnen, nach Jahrtausenden noch sichtbar bleiben, während ein überall verbreiteter Untergrund von Wasser allein die verwilderte Fruchtbarkeit erhalten kann, welche uns noch jetzt umgab. Der Himmel war bewölkt, was die Hitze sehr minderte, die Nacht aber auch so stockfinster werden ließ, daß nur Araber mit ihrem Hunde-Instinct, den man füglich ihren sechsten Sinn nennen könnte, den Weg aufzufinden im Stande waren.

Unser Marsch in dieser Dunkelheit, der keiner Karawanenstraße mehr folgte, sondern quer durch die hohen Binsen ging, hatte bereits einige Stunden angedauert, als unsere Leute plötzlich anhielten, weil jener sechste Sinn, Gott weiß wie, inne geworden war, daß seitwärts in einem struppigen Gebüsch Menschen lagerten. Der Lieutenant des Schechs rief sie sogleich an, frug, wer sie wären und was sie hier machten? Doch ehe ich weiter erzähle, muß ich des Schech Bischirs Gefolge kürzlich beschreiben. Es waren ihrer, wie gesagt, nur acht, aber allem Anschein nach höchst zuverlässige Leute, sämmtlich schwarz wie ihr Herr, stark und muskulös gebaut (was man um so leichter beurtheilen konnte, da sie fast nackt waren) und von markanten, aber nicht unangenehmen Gesichtszügen. Eine Binde um den Leib und ein Tuch um den Kopf gewickelt, nebst Sandalen an den Füßen, componirte, außer den Waffen, ihren ganzen Anzug. Nur der Lieutenant trug darüber noch eine Art weiter blauer Blouse, und der Schech den faltenreichen, weißen Mantel mit rothen Streifen eingefaßt, der der römischen Toga so ähnlich sieht, mit einem sehr voluminösen Turban von gleicher Farbe auf dem Haupte. Alle ritten weiße Dromedare von der ausgezeichneten eignen Zucht des Schechs, der seine größten Besitzungen in Berber hat, wo das Gebiet der Tischary-Araber beginnt, deren Dromedare an Güte nur denen aus Nedschdi weichen. Sämmtliche Leute waren sehr vollständig nach Landesart bewaffnet, d. h. jeder hatte einen Wurfspieß, ein großes ovales Schild aus Krokodil- oder Hippopotamushaut, durch das nur eine Büchsenkugel dringt, einen Dolch am Oberarm befestigt, und ein langes gerades Ritterschwert mit dem Griff in Kreuzesform über die Schulter gehangen, wie ich es schon früher beschrieben. Flinten scheinen hier nicht üblich, und was davon ehemals existirt haben mag, ist den von Mehemed Ali's Truppen unterworfenen Arabern weggenommen worden. Es gab kein Feuergewehr unter der ganzen Truppe, als ein paar alterthümliche europäische Pistolen, die dem Schech gehörten, und die sein Leibdiener nebst einer durch Riemen befestigten kleinen Patrontasche im Gürtel trug. Alle waren vortreffliche Reiter und wußten ihre Dromedare so geschickt zu regieren, daß die Schnelligkeit und Gewandtheit ihrer Bewegungen denen der Pferde nicht viel nachgab, während dagegen meine Suite nur sehr mühsam mit ihren Thieren zurecht kam, die aber auch von weit schlechterer Beschaffenheit waren. Dieß veranlaßte denn häufig unwillkommenen Aufenthalt, um die Traineurs wieder heranzubringen.

Kaum also war die vorhin gemeldete Frage an die verdächtigen Fremden ergangen, als von einer tiefen Stimme die (uns schnell vom Dragoman übersetzte) Antwort erschallte: „Kommt nur heran, dann werdet ihr es erfahren.“

Im Nu waren alle Dromedare des Schech Bischirs am Boden und ihre Reiter schon herabgesprungen, von denen jedoch vorsichtig zuerst nur die Hälfte mit gezogenen Schwertern und, von ihren Schilden gedeckt, in der Dunkelheit nach der Richtung des Schalls der gehörten Stimme vordrangen. Wir blieben ruhig mit gespannten Pistolen halten und erwarteten den weitern Verfolg, um nach Umständen mit zu agiren. In wenig Sekunden hörten wir, mit großem gegenseitigen Kampfgeschrei, mehrere mit den Schildern aufgefangene Schwerthiebe ertönen, und wollten, da es nun Ernst zu werden schien, ebenfalls vorrücken, als der Schech uns bat, dieß bis zum höchsten Nothfall zu versparen, worauf er nun selbst mit seinen übrigen Leuten der Mêlée zueilte. Seine lauten, drohenden Worte, die er den Streitenden zurief, schienen sogleich einen Waffenstillstand herbeizuführen (denn da wir nichts sahen, konnten wir uns nur der Ohren als Fühlhörner bedienen), das Geklirr der Waffen hörte auf, das Geschrei aber verdoppelte sich. Nach ungefähr fünf Minuten verstummte auch dieß plötzlich, alle die Unsrigen kamen hastig zurück, schwangen sich auf ihre Dromedare und eilten in kurzem Trabe mit uns davon. Auf unsere neugierigen Fragen erhielten wir zur Antwort, die Fremden hätten sich für reisende Dschellabs erklärt und vorgegeben, daß sie uns für Räuber gehalten. *) Der Schech setzte hinzu, daß er sich damit beruhigt habe, obgleich das Vorgeben erlogen sey, da hier gar kein Karawanenzug existire, wo Dschellabs angetroffen werden könnten. Es sey indeß besser, sich zu entfernen, weil man nicht wissen könne, ob nicht eine weit stärkere Anzahl in der Nähe sey, von denen jene nur ein vorgeschobener Posten gewesen. In der That fanden wir, nachdem wir noch nicht tausend Schritte weiter geritten waren, in einer sehr engen und schwierigen Passage durch unebenes, steiniges Terrain voller Dornen, einen zweiten Trupp ähnlicher Dschellabs, der aber wahrscheinlich nur wenig zahlreich war, da er bei dem Anruf unserer Spitze sogleich die Flucht ergriff. Ich hatte übrigens keinen Augenblick die mindeste Besorgniß für unsere Sicherheit, da wir uns auf die Treue der Escorte verlassen konnten, und die Menge unserer Feuergewehre gewiß, selbst gegen eine fünfmal überlegene Zahl, schnell den Sieg auf unsere Seite gebracht haben würde.

Eine Stunde später, nahe vor Mitternacht, und gerade als der Mond riesengroß und feurig am Horizont emporstieg, beleuchtete er vor uns die imposanten Ruinen von Mesaourat, in der Mitte eines geräumigen Thales gelegen, das einzelne Sandsteinberge von den barocksten Formen umgeben, in jener häufig vorkommenden Bildung dieser Gebirgsart, welche sie wie mit Thürmen, Mauern und Zinnen auf ihren Gipfeln gekrönt

*) Dschellab bedeutet eigentlich Kaufmann, da aber hier in der Regel Niemand reist, als um zu handeln, auch einen Reisenden. Am richtigsten würde man es mit wandernder Handelsmann übersetzen.
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[0970/0010] Die Abtheilung der Wüste, in welche wir von hier aus eindringen sollten, und die sich bis zum rothen Meer erstreckt, wird nur von wenigen wandernden Beduinenstämmen bewohnt, die bloß nominell unter der Oberherrschaft Mehemed Ali's stehen, und folglich alle Reisenden noch als gute Beute ansehen. Die Sicherheit, die man so vollständig in den Staaten des ägyptischen Herrschers genießt, hört also hier auf, und der Schech Bischir kündigte uns an, daß ein Anfall von Räubern möglich sey, wir daher unsere Waffen in Bereitschaft halten möchten. Zugleich bot er mir an, jetzt meinen Dromedar, auf dem wir Europäer uns immer in einer etwas unbehülflichen Lage befinden, mit seiner, bisher von einem Diener an der Hand geführten Stute zu vertauschen, was ich dankbar annahm. Gegen 5 Uhr Abends machten wir uns auf den Weg, und erreichten bald eine herrliche Plaine, die, so weit das Auge reichte, mit hohem Binsengras, Gruppen niedriger Akazien und Mimosenbüschen bedeckt war; in blauer Ferne vor uns stiegen einzelne, bald spitz, bald tafelförmig, bald gezackt geformte Berge empor, und der Anblick des ganzen Landes bis an ihren Fuß zeigte deutlich, daß einst hier allgemeine Cultur geherrscht haben müsse, deren Spuren, trotz der Austrocknung alter Canäle und Versandung der Brunnen, nach Jahrtausenden noch sichtbar bleiben, während ein überall verbreiteter Untergrund von Wasser allein die verwilderte Fruchtbarkeit erhalten kann, welche uns noch jetzt umgab. Der Himmel war bewölkt, was die Hitze sehr minderte, die Nacht aber auch so stockfinster werden ließ, daß nur Araber mit ihrem Hunde-Instinct, den man füglich ihren sechsten Sinn nennen könnte, den Weg aufzufinden im Stande waren. Unser Marsch in dieser Dunkelheit, der keiner Karawanenstraße mehr folgte, sondern quer durch die hohen Binsen ging, hatte bereits einige Stunden angedauert, als unsere Leute plötzlich anhielten, weil jener sechste Sinn, Gott weiß wie, inne geworden war, daß seitwärts in einem struppigen Gebüsch Menschen lagerten. Der Lieutenant des Schechs rief sie sogleich an, frug, wer sie wären und was sie hier machten? Doch ehe ich weiter erzähle, muß ich des Schech Bischirs Gefolge kürzlich beschreiben. Es waren ihrer, wie gesagt, nur acht, aber allem Anschein nach höchst zuverlässige Leute, sämmtlich schwarz wie ihr Herr, stark und muskulös gebaut (was man um so leichter beurtheilen konnte, da sie fast nackt waren) und von markanten, aber nicht unangenehmen Gesichtszügen. Eine Binde um den Leib und ein Tuch um den Kopf gewickelt, nebst Sandalen an den Füßen, componirte, außer den Waffen, ihren ganzen Anzug. Nur der Lieutenant trug darüber noch eine Art weiter blauer Blouse, und der Schech den faltenreichen, weißen Mantel mit rothen Streifen eingefaßt, der der römischen Toga so ähnlich sieht, mit einem sehr voluminösen Turban von gleicher Farbe auf dem Haupte. Alle ritten weiße Dromedare von der ausgezeichneten eignen Zucht des Schechs, der seine größten Besitzungen in Berber hat, wo das Gebiet der Tischary-Araber beginnt, deren Dromedare an Güte nur denen aus Nedschdi weichen. Sämmtliche Leute waren sehr vollständig nach Landesart bewaffnet, d. h. jeder hatte einen Wurfspieß, ein großes ovales Schild aus Krokodil- oder Hippopotamushaut, durch das nur eine Büchsenkugel dringt, einen Dolch am Oberarm befestigt, und ein langes gerades Ritterschwert mit dem Griff in Kreuzesform über die Schulter gehangen, wie ich es schon früher beschrieben. Flinten scheinen hier nicht üblich, und was davon ehemals existirt haben mag, ist den von Mehemed Ali's Truppen unterworfenen Arabern weggenommen worden. Es gab kein Feuergewehr unter der ganzen Truppe, als ein paar alterthümliche europäische Pistolen, die dem Schech gehörten, und die sein Leibdiener nebst einer durch Riemen befestigten kleinen Patrontasche im Gürtel trug. Alle waren vortreffliche Reiter und wußten ihre Dromedare so geschickt zu regieren, daß die Schnelligkeit und Gewandtheit ihrer Bewegungen denen der Pferde nicht viel nachgab, während dagegen meine Suite nur sehr mühsam mit ihren Thieren zurecht kam, die aber auch von weit schlechterer Beschaffenheit waren. Dieß veranlaßte denn häufig unwillkommenen Aufenthalt, um die Traineurs wieder heranzubringen. Kaum also war die vorhin gemeldete Frage an die verdächtigen Fremden ergangen, als von einer tiefen Stimme die (uns schnell vom Dragoman übersetzte) Antwort erschallte: „Kommt nur heran, dann werdet ihr es erfahren.“ Im Nu waren alle Dromedare des Schech Bischirs am Boden und ihre Reiter schon herabgesprungen, von denen jedoch vorsichtig zuerst nur die Hälfte mit gezogenen Schwertern und, von ihren Schilden gedeckt, in der Dunkelheit nach der Richtung des Schalls der gehörten Stimme vordrangen. Wir blieben ruhig mit gespannten Pistolen halten und erwarteten den weitern Verfolg, um nach Umständen mit zu agiren. In wenig Sekunden hörten wir, mit großem gegenseitigen Kampfgeschrei, mehrere mit den Schildern aufgefangene Schwerthiebe ertönen, und wollten, da es nun Ernst zu werden schien, ebenfalls vorrücken, als der Schech uns bat, dieß bis zum höchsten Nothfall zu versparen, worauf er nun selbst mit seinen übrigen Leuten der Mêlée zueilte. Seine lauten, drohenden Worte, die er den Streitenden zurief, schienen sogleich einen Waffenstillstand herbeizuführen (denn da wir nichts sahen, konnten wir uns nur der Ohren als Fühlhörner bedienen), das Geklirr der Waffen hörte auf, das Geschrei aber verdoppelte sich. Nach ungefähr fünf Minuten verstummte auch dieß plötzlich, alle die Unsrigen kamen hastig zurück, schwangen sich auf ihre Dromedare und eilten in kurzem Trabe mit uns davon. Auf unsere neugierigen Fragen erhielten wir zur Antwort, die Fremden hätten sich für reisende Dschellabs erklärt und vorgegeben, daß sie uns für Räuber gehalten. *) Der Schech setzte hinzu, daß er sich damit beruhigt habe, obgleich das Vorgeben erlogen sey, da hier gar kein Karawanenzug existire, wo Dschellabs angetroffen werden könnten. Es sey indeß besser, sich zu entfernen, weil man nicht wissen könne, ob nicht eine weit stärkere Anzahl in der Nähe sey, von denen jene nur ein vorgeschobener Posten gewesen. In der That fanden wir, nachdem wir noch nicht tausend Schritte weiter geritten waren, in einer sehr engen und schwierigen Passage durch unebenes, steiniges Terrain voller Dornen, einen zweiten Trupp ähnlicher Dschellabs, der aber wahrscheinlich nur wenig zahlreich war, da er bei dem Anruf unserer Spitze sogleich die Flucht ergriff. Ich hatte übrigens keinen Augenblick die mindeste Besorgniß für unsere Sicherheit, da wir uns auf die Treue der Escorte verlassen konnten, und die Menge unserer Feuergewehre gewiß, selbst gegen eine fünfmal überlegene Zahl, schnell den Sieg auf unsere Seite gebracht haben würde. Eine Stunde später, nahe vor Mitternacht, und gerade als der Mond riesengroß und feurig am Horizont emporstieg, beleuchtete er vor uns die imposanten Ruinen von Mesaourat, in der Mitte eines geräumigen Thales gelegen, das einzelne Sandsteinberge von den barocksten Formen umgeben, in jener häufig vorkommenden Bildung dieser Gebirgsart, welche sie wie mit Thürmen, Mauern und Zinnen auf ihren Gipfeln gekrönt *) Dschellab bedeutet eigentlich Kaufmann, da aber hier in der Regel Niemand reist, als um zu handeln, auch einen Reisenden. Am richtigsten würde man es mit wandernder Handelsmann übersetzen.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 122. Augsburg, 1. Mai 1840, S. 0970. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_122_18400501/10>, abgerufen am 03.12.2024.