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Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840.

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Geist hat, als daß er irgend zu erklären müßte, warum er zwanzigmal des Tags abwechselnd Royalist und Republicaner ist.

Wie die Republicaner, sind auch die Legitimisten beschäftigt, die jetzige Friedenszeit zur Aussaat zu benutzen, und besonders in den stillen Boden der Provinz streuen sie den Saamen, woraus ihr Heil erblühen soll. Das Meiste erwarten sie von der Propaganda, die, durch Erziehungsanstalten und Bearbeitung des Landvolks, die Autorität der Kirche wieder herzustellen trachtet. Mit dem Glauben der Väter sollen auch die Rechte der Väter wieder zu Ansehen kommen. Man sieht daher Frauen von der adeligsten Geburt, die, gleichsam als Ladies patronesses der Religion, ihre devoten Gesinnungen zur Schau tragen, überall Seelen für den Himmel anwerben, und durch ihr elegantes Beispiel die ganze vornehme Welt in die Kirchen locken. Auch waren die Kirchen nie voller als letzte Ostern. Besonders nach Saint-Roche und Notre-Dame-de-Lorette drängte sich die geputzte Andacht; hier glänzten die schwärmerisch schönsten Toiletten, hier reichte der fromme Dandy das Weihwasser mit weißen Glacehandschuhen, hier beteten die Grazien. Wird dieß lange währen? Wird diese Religiosität, wenn sie die Vogue der Mode gewinnt, nicht auch dem schnellen Wechsel der Mode unterworfen seyn? Ist diese Röthe ein Zeichen der Gesundheit?...

Die Drachenzähne, welche von Republicanern und Legitimisten gesäet werden, kennen wir jetzt, und es wird uns nicht überraschen, wenn sie einst als geharnischte Kämpen aus dem Boden hervorstürmen, und sich unter einander würgen, oder auch mit einander fraternisiren. Ja letzteres ist möglich, gibt es doch hier einen entsetzlichen Priester, der, durch seine blutdürstigen Glaubensworte, die Männer des Scheiterhaufens mit den Männern der Guillotine zu verbünden hofft.

Unterdessen sind alle Augen auf das Schauspiel gerichtet, das auf Frankreichs Oberfläche, durch mehr oder minder oberflächliche Acteure, tragirt wird. Ich spreche von der Kammer und dem Ministerium. Die Stimmung der ersteren, so wie die Erhaltung des letztern, ist gewiß von der größten Wichtigkeit, denn der Hader in der Kammer und der Sturz des Thiers könnten eine Katastrophe beschleunigen, die bald näher, bald ferner zu treten scheint. Einem solchen Ausbruch so lange als möglich vorzubeugen, ist die Aufgabe unserer jetzigen Staatslenker. Daß sie nichts anders wollen, nichts anders hoffen, daß sie die endliche "Götterdämmerung" voraussehen, verräth sich in allen ihren Handlungen, in allen ihren Worten. Mit fast naiver Ehrlichkeit gestand Thiers in einer seiner letzten Reden, wie wenig er der nächsten Zukunft traue, und wie man von Tag zu Tag sich hinfristen müsse; er hat ein feines Ohr, und hört schon das Geheul des Wolfes Fenris, der das Reich der Hela verkündigt. Wird ihn die Verzweiflung über das Unabwendbare nicht mal plötzlich zu einer allzu heftigen Handlung hinreißen? Seine Gegner flüstern sich dergleichen ins Ohr. Hingegen seine Freunde bemerken an ihm eine täglich zunehmende Milde. Der Mann lebt im Gefühl seiner ernsthaften Pflichten, seiner Verantwortlichkeit gegen Mitwelt und Nachwelt, und er wird dem Tumult der Tagesleidenschaften immer die kluge Ruhe des Staatsmanns entgegensetzen.

Italien.

Der Constitutionnel, der für das Organ des Ministeriums gilt, enthält über den Streit zwischen England und Neapel folgenden Artikel: "Der Titel, französische Compagnie, welchen die Besitzer des Schwefelmonopols in Sicilien sich angemaßt haben, ist darauf berechnet, den Irrthum zu erhalten, als repräsentire sie ein französisches Interesse. Es ist aber gerade das Gegentheil der Fall, denn Frankreich hat ein dringendes Interesse, daß die Frage zu Gunsten der Handelsfreiheit gelöst werde. Wenige Zahlen reichen hin, dieß zu beweisen. Frankreich erhält aus Sicilien jährlich etwa 300,000 Centner Schwefel, welche größtentheils in den Manufacturen chemischer Producte verwendet werden. Bevor das Monopol eingeführt worden, schwankte der Preis des Schwefels zwischen 11 Fr. 20 C. und 12 Fr. pr. 100 Kilogr., was also eine Summe von etwa 3,600,000 Fr. für den jährlichen Bedarf Frankreichs ausmachte. Seit der Einführung des Monopols ist der Preis auf 27 Fr. 50 C. gestiegen, und die Absicht der Compagnie war, ihn bis auf 30 Fr. hinaufzutreiben. Zu diesem Preis betrug die jährliche Consumtion Frankreichs 9 Millionen Fr., also 5,400,000 Fr. mehr, als vor der Einführung des Monopols. Offenbar hat demnach der Handel Frankreichs kein Interesse dabei, einen Zustand der Dinge zu verlängern, der ihn zwingt, neun Millionen für einen Artikel auszugeben, den er früher mit 3,600,000 Fr. bestritten. Zur Vertheidigung des Monopols wurde angeführt, daß es einige Regelmäßigkeit in den Preisen herzustellen trachte und den Handel gegen die Schwankungen bei einer freien Concurrenz schütze. Dieses Argument ist aber nicht haltbar. Wollte man es gelten lassen, so müßte man alle Handelsartikel, nicht bloß jenen einzigen, einem Tarif unterwerfen und die Preise festsetzen. Kein Kaufmann wird sich zu solchen Theorien bekennen. Gegen das Schwefelmonopol wurde von verschiedenen Seiten kräftig protestirt. Die Fabriken von sechs französischen Departements haben erklärt, daß der gesteigerte Preis jenes Rohstoffs für den Consumenten ein Unglück sey, möge nun ein auswärtiges Interesse oder eine Privatspeculation die Steuer auferlegen. Der Tag, an welchem das Schwefelmonopol ein Ende nimmt, wird ein wahrer Triumph für die Industriezweige seyn, welche bei dieser Frage interessirt sind. Das Interesse der französischen Industrie steht daher weit mehr auf Seite Englands, als auf Seite Neapels. Einige sehr achtbare französische Bankiers haben sich bei den Geschäften jener Compagnie mit einer bedeutenden Summe betheiligt und wir dürfen ihre rechtmäßigen Interessen nicht etwa aus dem Auge verlieren, weil es Speculanten sind. Ihre Lage erweckt aber ohnehin Theilnahme genug, ohne daß man irrige Ansichten mit in die Sache zu mischen und die öffentliche Meinung durch Aufrufe an die Nationalehre und die Nationalinteressen mißleiten zu suchen braucht. Die französischen Speculanten, welche bei dem Schwefelmonopol betheiligt sind und einen Contract bona fide abgeschlossen, der sie große Opfer gekostet hat, werden bei einem Vergleich weder vergessen noch geopfert werden. Es ist aber nothwendig, daß sie die Frage nicht verwirren und nicht Privat- und öffentliche Interessen miteinander verwechseln." Der Constitutionnel fügt bei, daß, einem allenthalben verbreiteten Gerücht zufolge, die Compagnie sich freiwillig erboten habe, das Monopol aufzugeben und die Frage der ihr schuldigen Entschädigung den Mächten überlasse. Der Ausgangzoll des Schwefels soll auf 15 Carlini herabgesetzt werden. (?)

Geist hat, als daß er irgend zu erklären müßte, warum er zwanzigmal des Tags abwechselnd Royalist und Republicaner ist.

Wie die Republicaner, sind auch die Legitimisten beschäftigt, die jetzige Friedenszeit zur Aussaat zu benutzen, und besonders in den stillen Boden der Provinz streuen sie den Saamen, woraus ihr Heil erblühen soll. Das Meiste erwarten sie von der Propaganda, die, durch Erziehungsanstalten und Bearbeitung des Landvolks, die Autorität der Kirche wieder herzustellen trachtet. Mit dem Glauben der Väter sollen auch die Rechte der Väter wieder zu Ansehen kommen. Man sieht daher Frauen von der adeligsten Geburt, die, gleichsam als Ladies patronesses der Religion, ihre devoten Gesinnungen zur Schau tragen, überall Seelen für den Himmel anwerben, und durch ihr elegantes Beispiel die ganze vornehme Welt in die Kirchen locken. Auch waren die Kirchen nie voller als letzte Ostern. Besonders nach Saint-Roche und Notre-Dame-de-Lorette drängte sich die geputzte Andacht; hier glänzten die schwärmerisch schönsten Toiletten, hier reichte der fromme Dandy das Weihwasser mit weißen Glacéhandschuhen, hier beteten die Grazien. Wird dieß lange währen? Wird diese Religiosität, wenn sie die Vogue der Mode gewinnt, nicht auch dem schnellen Wechsel der Mode unterworfen seyn? Ist diese Röthe ein Zeichen der Gesundheit?...

Die Drachenzähne, welche von Republicanern und Legitimisten gesäet werden, kennen wir jetzt, und es wird uns nicht überraschen, wenn sie einst als geharnischte Kämpen aus dem Boden hervorstürmen, und sich unter einander würgen, oder auch mit einander fraternisiren. Ja letzteres ist möglich, gibt es doch hier einen entsetzlichen Priester, der, durch seine blutdürstigen Glaubensworte, die Männer des Scheiterhaufens mit den Männern der Guillotine zu verbünden hofft.

Unterdessen sind alle Augen auf das Schauspiel gerichtet, das auf Frankreichs Oberfläche, durch mehr oder minder oberflächliche Acteure, tragirt wird. Ich spreche von der Kammer und dem Ministerium. Die Stimmung der ersteren, so wie die Erhaltung des letztern, ist gewiß von der größten Wichtigkeit, denn der Hader in der Kammer und der Sturz des Thiers könnten eine Katastrophe beschleunigen, die bald näher, bald ferner zu treten scheint. Einem solchen Ausbruch so lange als möglich vorzubeugen, ist die Aufgabe unserer jetzigen Staatslenker. Daß sie nichts anders wollen, nichts anders hoffen, daß sie die endliche „Götterdämmerung“ voraussehen, verräth sich in allen ihren Handlungen, in allen ihren Worten. Mit fast naiver Ehrlichkeit gestand Thiers in einer seiner letzten Reden, wie wenig er der nächsten Zukunft traue, und wie man von Tag zu Tag sich hinfristen müsse; er hat ein feines Ohr, und hört schon das Geheul des Wolfes Fenris, der das Reich der Hela verkündigt. Wird ihn die Verzweiflung über das Unabwendbare nicht mal plötzlich zu einer allzu heftigen Handlung hinreißen? Seine Gegner flüstern sich dergleichen ins Ohr. Hingegen seine Freunde bemerken an ihm eine täglich zunehmende Milde. Der Mann lebt im Gefühl seiner ernsthaften Pflichten, seiner Verantwortlichkeit gegen Mitwelt und Nachwelt, und er wird dem Tumult der Tagesleidenschaften immer die kluge Ruhe des Staatsmanns entgegensetzen.

Italien.

Der Constitutionnel, der für das Organ des Ministeriums gilt, enthält über den Streit zwischen England und Neapel folgenden Artikel: „Der Titel, französische Compagnie, welchen die Besitzer des Schwefelmonopols in Sicilien sich angemaßt haben, ist darauf berechnet, den Irrthum zu erhalten, als repräsentire sie ein französisches Interesse. Es ist aber gerade das Gegentheil der Fall, denn Frankreich hat ein dringendes Interesse, daß die Frage zu Gunsten der Handelsfreiheit gelöst werde. Wenige Zahlen reichen hin, dieß zu beweisen. Frankreich erhält aus Sicilien jährlich etwa 300,000 Centner Schwefel, welche größtentheils in den Manufacturen chemischer Producte verwendet werden. Bevor das Monopol eingeführt worden, schwankte der Preis des Schwefels zwischen 11 Fr. 20 C. und 12 Fr. pr. 100 Kilogr., was also eine Summe von etwa 3,600,000 Fr. für den jährlichen Bedarf Frankreichs ausmachte. Seit der Einführung des Monopols ist der Preis auf 27 Fr. 50 C. gestiegen, und die Absicht der Compagnie war, ihn bis auf 30 Fr. hinaufzutreiben. Zu diesem Preis betrug die jährliche Consumtion Frankreichs 9 Millionen Fr., also 5,400,000 Fr. mehr, als vor der Einführung des Monopols. Offenbar hat demnach der Handel Frankreichs kein Interesse dabei, einen Zustand der Dinge zu verlängern, der ihn zwingt, neun Millionen für einen Artikel auszugeben, den er früher mit 3,600,000 Fr. bestritten. Zur Vertheidigung des Monopols wurde angeführt, daß es einige Regelmäßigkeit in den Preisen herzustellen trachte und den Handel gegen die Schwankungen bei einer freien Concurrenz schütze. Dieses Argument ist aber nicht haltbar. Wollte man es gelten lassen, so müßte man alle Handelsartikel, nicht bloß jenen einzigen, einem Tarif unterwerfen und die Preise festsetzen. Kein Kaufmann wird sich zu solchen Theorien bekennen. Gegen das Schwefelmonopol wurde von verschiedenen Seiten kräftig protestirt. Die Fabriken von sechs französischen Departements haben erklärt, daß der gesteigerte Preis jenes Rohstoffs für den Consumenten ein Unglück sey, möge nun ein auswärtiges Interesse oder eine Privatspeculation die Steuer auferlegen. Der Tag, an welchem das Schwefelmonopol ein Ende nimmt, wird ein wahrer Triumph für die Industriezweige seyn, welche bei dieser Frage interessirt sind. Das Interesse der französischen Industrie steht daher weit mehr auf Seite Englands, als auf Seite Neapels. Einige sehr achtbare französische Bankiers haben sich bei den Geschäften jener Compagnie mit einer bedeutenden Summe betheiligt und wir dürfen ihre rechtmäßigen Interessen nicht etwa aus dem Auge verlieren, weil es Speculanten sind. Ihre Lage erweckt aber ohnehin Theilnahme genug, ohne daß man irrige Ansichten mit in die Sache zu mischen und die öffentliche Meinung durch Aufrufe an die Nationalehre und die Nationalinteressen mißleiten zu suchen braucht. Die französischen Speculanten, welche bei dem Schwefelmonopol betheiligt sind und einen Contract bona fide abgeschlossen, der sie große Opfer gekostet hat, werden bei einem Vergleich weder vergessen noch geopfert werden. Es ist aber nothwendig, daß sie die Frage nicht verwirren und nicht Privat- und öffentliche Interessen miteinander verwechseln.“ Der Constitutionnel fügt bei, daß, einem allenthalben verbreiteten Gerücht zufolge, die Compagnie sich freiwillig erboten habe, das Monopol aufzugeben und die Frage der ihr schuldigen Entschädigung den Mächten überlasse. Der Ausgangzoll des Schwefels soll auf 15 Carlini herabgesetzt werden. (?)

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[1020/0012] Geist hat, als daß er irgend zu erklären müßte, warum er zwanzigmal des Tags abwechselnd Royalist und Republicaner ist. Wie die Republicaner, sind auch die Legitimisten beschäftigt, die jetzige Friedenszeit zur Aussaat zu benutzen, und besonders in den stillen Boden der Provinz streuen sie den Saamen, woraus ihr Heil erblühen soll. Das Meiste erwarten sie von der Propaganda, die, durch Erziehungsanstalten und Bearbeitung des Landvolks, die Autorität der Kirche wieder herzustellen trachtet. Mit dem Glauben der Väter sollen auch die Rechte der Väter wieder zu Ansehen kommen. Man sieht daher Frauen von der adeligsten Geburt, die, gleichsam als Ladies patronesses der Religion, ihre devoten Gesinnungen zur Schau tragen, überall Seelen für den Himmel anwerben, und durch ihr elegantes Beispiel die ganze vornehme Welt in die Kirchen locken. Auch waren die Kirchen nie voller als letzte Ostern. Besonders nach Saint-Roche und Notre-Dame-de-Lorette drängte sich die geputzte Andacht; hier glänzten die schwärmerisch schönsten Toiletten, hier reichte der fromme Dandy das Weihwasser mit weißen Glacéhandschuhen, hier beteten die Grazien. Wird dieß lange währen? Wird diese Religiosität, wenn sie die Vogue der Mode gewinnt, nicht auch dem schnellen Wechsel der Mode unterworfen seyn? Ist diese Röthe ein Zeichen der Gesundheit?... Die Drachenzähne, welche von Republicanern und Legitimisten gesäet werden, kennen wir jetzt, und es wird uns nicht überraschen, wenn sie einst als geharnischte Kämpen aus dem Boden hervorstürmen, und sich unter einander würgen, oder auch mit einander fraternisiren. Ja letzteres ist möglich, gibt es doch hier einen entsetzlichen Priester, der, durch seine blutdürstigen Glaubensworte, die Männer des Scheiterhaufens mit den Männern der Guillotine zu verbünden hofft. Unterdessen sind alle Augen auf das Schauspiel gerichtet, das auf Frankreichs Oberfläche, durch mehr oder minder oberflächliche Acteure, tragirt wird. Ich spreche von der Kammer und dem Ministerium. Die Stimmung der ersteren, so wie die Erhaltung des letztern, ist gewiß von der größten Wichtigkeit, denn der Hader in der Kammer und der Sturz des Thiers könnten eine Katastrophe beschleunigen, die bald näher, bald ferner zu treten scheint. Einem solchen Ausbruch so lange als möglich vorzubeugen, ist die Aufgabe unserer jetzigen Staatslenker. Daß sie nichts anders wollen, nichts anders hoffen, daß sie die endliche „Götterdämmerung“ voraussehen, verräth sich in allen ihren Handlungen, in allen ihren Worten. Mit fast naiver Ehrlichkeit gestand Thiers in einer seiner letzten Reden, wie wenig er der nächsten Zukunft traue, und wie man von Tag zu Tag sich hinfristen müsse; er hat ein feines Ohr, und hört schon das Geheul des Wolfes Fenris, der das Reich der Hela verkündigt. Wird ihn die Verzweiflung über das Unabwendbare nicht mal plötzlich zu einer allzu heftigen Handlung hinreißen? Seine Gegner flüstern sich dergleichen ins Ohr. Hingegen seine Freunde bemerken an ihm eine täglich zunehmende Milde. Der Mann lebt im Gefühl seiner ernsthaften Pflichten, seiner Verantwortlichkeit gegen Mitwelt und Nachwelt, und er wird dem Tumult der Tagesleidenschaften immer die kluge Ruhe des Staatsmanns entgegensetzen. Italien. Der Constitutionnel, der für das Organ des Ministeriums gilt, enthält über den Streit zwischen England und Neapel folgenden Artikel: „Der Titel, französische Compagnie, welchen die Besitzer des Schwefelmonopols in Sicilien sich angemaßt haben, ist darauf berechnet, den Irrthum zu erhalten, als repräsentire sie ein französisches Interesse. Es ist aber gerade das Gegentheil der Fall, denn Frankreich hat ein dringendes Interesse, daß die Frage zu Gunsten der Handelsfreiheit gelöst werde. Wenige Zahlen reichen hin, dieß zu beweisen. Frankreich erhält aus Sicilien jährlich etwa 300,000 Centner Schwefel, welche größtentheils in den Manufacturen chemischer Producte verwendet werden. Bevor das Monopol eingeführt worden, schwankte der Preis des Schwefels zwischen 11 Fr. 20 C. und 12 Fr. pr. 100 Kilogr., was also eine Summe von etwa 3,600,000 Fr. für den jährlichen Bedarf Frankreichs ausmachte. Seit der Einführung des Monopols ist der Preis auf 27 Fr. 50 C. gestiegen, und die Absicht der Compagnie war, ihn bis auf 30 Fr. hinaufzutreiben. Zu diesem Preis betrug die jährliche Consumtion Frankreichs 9 Millionen Fr., also 5,400,000 Fr. mehr, als vor der Einführung des Monopols. Offenbar hat demnach der Handel Frankreichs kein Interesse dabei, einen Zustand der Dinge zu verlängern, der ihn zwingt, neun Millionen für einen Artikel auszugeben, den er früher mit 3,600,000 Fr. bestritten. Zur Vertheidigung des Monopols wurde angeführt, daß es einige Regelmäßigkeit in den Preisen herzustellen trachte und den Handel gegen die Schwankungen bei einer freien Concurrenz schütze. Dieses Argument ist aber nicht haltbar. Wollte man es gelten lassen, so müßte man alle Handelsartikel, nicht bloß jenen einzigen, einem Tarif unterwerfen und die Preise festsetzen. Kein Kaufmann wird sich zu solchen Theorien bekennen. Gegen das Schwefelmonopol wurde von verschiedenen Seiten kräftig protestirt. Die Fabriken von sechs französischen Departements haben erklärt, daß der gesteigerte Preis jenes Rohstoffs für den Consumenten ein Unglück sey, möge nun ein auswärtiges Interesse oder eine Privatspeculation die Steuer auferlegen. Der Tag, an welchem das Schwefelmonopol ein Ende nimmt, wird ein wahrer Triumph für die Industriezweige seyn, welche bei dieser Frage interessirt sind. Das Interesse der französischen Industrie steht daher weit mehr auf Seite Englands, als auf Seite Neapels. Einige sehr achtbare französische Bankiers haben sich bei den Geschäften jener Compagnie mit einer bedeutenden Summe betheiligt und wir dürfen ihre rechtmäßigen Interessen nicht etwa aus dem Auge verlieren, weil es Speculanten sind. Ihre Lage erweckt aber ohnehin Theilnahme genug, ohne daß man irrige Ansichten mit in die Sache zu mischen und die öffentliche Meinung durch Aufrufe an die Nationalehre und die Nationalinteressen mißleiten zu suchen braucht. Die französischen Speculanten, welche bei dem Schwefelmonopol betheiligt sind und einen Contract bona fide abgeschlossen, der sie große Opfer gekostet hat, werden bei einem Vergleich weder vergessen noch geopfert werden. Es ist aber nothwendig, daß sie die Frage nicht verwirren und nicht Privat- und öffentliche Interessen miteinander verwechseln.“ Der Constitutionnel fügt bei, daß, einem allenthalben verbreiteten Gerücht zufolge, die Compagnie sich freiwillig erboten habe, das Monopol aufzugeben und die Frage der ihr schuldigen Entschädigung den Mächten überlasse. Der Ausgangzoll des Schwefels soll auf 15 Carlini herabgesetzt werden. (?)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840, S. 1020. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_128_18400507/12>, abgerufen am 30.04.2024.