Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

einige Ateliers besuchte und dort entdeckte, welche Lecture unter den Ouvriers, dem kräftigsten Theile der unteren Classe, verbreitet wird. Dort fand ich nämlich mehrere neue Ausgaben von den Reden des alten Robespierre, auch von Marats Pamphleten, in Lieferungen zu zwei Sous, die Revolutionsgeschichte des Cabet, Cormenins giftige Libelle, Babeufs Lehre und Verschwörung von Buonarotti, Schriften, die wie nach Blut rochen; - und Lieder hörte ich singen, die in der Hölle gedichtet zu seyn schienen, und deren Refrains von der wildesten Aufregung zeugten. Nein, von den dämonischen Tönen, die in jenen Liedern walten, kann man sich in unserer zahmen Sphäre gar keinen Begriff machen; man muß dergleichen mit eigenen Ohren angehört haben, z. B. in jenen ungeheuren Werkstätten, wo Metalle verarbeitet werden, und die halbnackten, trotzigen Gestalten während des Singens mit dem großen eisernen Hammer den Tact schlagen auf den dröhnenden Amboß. Solches Accompagnement ist vom größten Effect, so wie auch die Beleuchtung, wenn die zornigen Funken aus der Oesse hervorsprühen. Nichts als Leidenschaft und Flamme! - Eine Frucht dieser Saat, droht aus Frankreichs Boden früh oder spät die Republik hervorzubrechen. Wir müssen, in der That, solcher Befürchtung Raum geben; aber wir sind zugleich überzeugt, daß jenes republicanische Regiment nimmermehr von langer Dauer seyn kann in der Heimath der Coketterie und der Eitelkeit. Und gesetzt auch, der Nationalcharakter der Franzosen wäre mit dem Republicanismus ganz vereinbar, so könnte doch die Republik, wie unsere Radicalen sie träumen, sich nicht lange halten. In dem Lebensprincip einer solchen Republik liegt schon der Keim ihres frühen Todes; in ihrer Blüthe muß sie sterben. Gleichviel von welcher Verfassung ein Staat sey, er erhält sich nicht bloß und allein durch den Gemeinsinn und den Patriotismus der Volksmasse, wie man gewöhnlich glaubt, sondern er erhält sich durch die Geistesmacht der großen Individualitäten, der ihn lenken. Nun aber wissen wir, daß in einer Republik der angedeuteten Art ein eifersüchtiger Gleichheitssinn herrscht, der alle ausgezeichneten Individualitäten immer zurückstößt, ja unmöglich macht, und daß also in Zeiten der Noth nur Gevatter Gerber und Wursthändler sich an die Spitze des Gemeinwesens stellen werden. Durch dieses Grundübel ihrer Natur müssen jene Republiken nothwendigerweise zu Grunde gehen, sobald sie mit energischen und von großen Individualitäten vertretenen Oligarchien und Autokratien in einen entscheidenden Kampf gerathen. Daß dieses aber stattfinden muß, sobald in Frankreich die Republik proclamirt würde unterliegt keinem Zweifel.

Das bedeutendste Organ der Republicaner ist die Revue du Progres. Louis Blanc, der Redacteur en chef, ist unstreitig der ausgezeichnetste Kopf seiner Partei. Von Statur ist er sehr klein, sieht fast aus wie ein Schuljunge, kleine rothe Bäckchen, fast gar kein Bart; aber mit dem Geiste überragt er alle seine Parteigenossen, und sein Blick dringt tief in die Abgründe, wo die socialen Fragen nisten und lauern. Er ist ein Mann, der eine große Zukunft hat, denn er begreift die Vergangenheit. Er ist, wie gesagt, der ausgezeichnetste Kopf seiner Partei, und ich habe mich nicht sehr verwundert, als ich diese Woche von der Dissidenz erfuhr, die zwischen ihm und seinen republicanischen Mitredactoren ausgebrochen. Louis Blanc hatte nämlich, bei Gelegenheit des Vautrin von Balzac, unumwunden erklärt, daß die Theatercensur nothwendig sey. Empört durch solchen gräuelhaften Ausspruch, solche antijacobinische Ketzerei, haben sich Felix Piat und August Luchet von der Redaction der Revue du Progres losgesagt. Beide sind nicht bloß Männer von ehrenvollem Charakter, sondern auch Schriftsteller von großem Talent; vor einigen Jahren schrieben sie gemeinsam ein Drama, welches von der Theatercensur unterdrückt wurde.

Während die Friedenszeit, deren wir jetzt genießen, sehr günstig ist für die Verbreitung der republicanischen Lehren, löst sie unter den Republicanern selbst alle Bande der Einigkeit; der argwöhnische Geist dieser Leute muß durch die That beschäftigt werden, sonst geräth er in spitzfindige Discussionen und Zwistreden, die in bittere Feindschaften ausarten. Sie haben wenig Liebe für ihre Freunde und sehr viel Haß für diejenigen, die durch die Gewalt des fortschreitenden Nachdenkens sich einer entgegengesetzten Ansicht zuneigen. Mit einer Beschuldigung des Ehrgeizes, wo nicht gar der Bestechlichkeit, sind sie alsdann sehr freigebig. In ihrer Beschränktheit pflegen sie nie zu begreifen, daß ihre frühern Bundesgenossen manchmal durch Meinungsverschiedenheit gezwungen werden, sich von ihnen zu entfernen. Unfähig die rationellen Gründe solcher Entfernung zu ahnen, schreien sie gleich über pecuniäre Motive. Dieses Geschrei ist charakteristisch. Die Republicaner haben sich nun einmal mit dem Gelde aufs feindlichste überworfen, Alles, was ihnen Schlimmes begegnet, wird dem Einfluß des Geldes zugeschrieben; und in der That, das Geld dient ihren Gegnern als Barricade, als Schutz und Wehr, ja das Geld ist vielleicht ihr eigentlicher Gegner, der heutige Pitt, der heutige Coburg, und sie schimpfen darauf in altsansculottischer Weise. Im Grunde leitet sie ein richtiger Instinct. Von jener neuen Doctrin, die alle socialen Fragen von einem höhern Gesichtspunkt betrachtet, und von dem banalen Republicanismus sich eben so glänzend unterscheidet wie ein kaiserliches Purpurgewand von einem grauen Gleichheitskittel, davon haben unsere Republicaner wenig zu fürchten; denn wie sie selber ist auch die große Menge noch sehr entfernt von jener Doctrin. Die große Menge, der hohe und niedere Plebs, der edle Bürgerstand, der bürgerliche Adel, sämmtliche Honoratioren der lieben Mittelmäßigkeit, begreifen ganz gut den Republicanismus - eine Lehre, wozu nicht viel Vorkenntnisse gehören, die zugleich allen ihren Kleingefühlen und Verflachungsgedanken zusagt, und die sie auch öffentlich bekennen würden, geriethen sie nicht dadurch in einen Conflict mit dem Gelde. Jeder Thaler ist ein tapferer Bekämpfer des Republicanismus, und jeder Ducaten ein Achilles. Ein Republicaner haßt das Geld mit großem Recht, und wird er dieses Feindes habhaft, ach! So ist der Sieg noch schlimmer als eine Niederlage: der Republicaner, der sich des Geldes bemächtigte, hat aufgehört ein Republicaner zu seyn!

Wie die Sympathie, die der Republicanismus erregt, dennoch durch die Geldinteressen beständig niedergehalten wird, bemerkte ich dieser Tage im Gespräche mit einem sehr aufgeklärten Bankier, der im größten Eifer zu mir sagte: "Wer bestreitet denn die Vorzüge der republicanischen Verfassung? Ich selber bin manchmal ganz Republicaner. Sehen Sie, stecke ich die Hand in die rechte Hosentasche, worin mein Geld ist, so macht die Berührung mit dem kalten Metall mich zittern, ich fürchte für mein Eigenthum, und ich fühle mich monarchisch gesinnt; stecke ich hingegen die Hand in die linke Hosentasche, welche leer ist, dann schwindet gleich alle Furcht, und ich pfeife lustig die Marseillaise und ich stimme für die Republik!" - Der aufgeklärte Bankier, der mir dieses sagte, ist weder der große Baron v. Rothschild, noch der kleine Hr. Königswärter; kaum bedürfte es noch dieser besondern Bemerkung, da ersterer, wie jeder weiß, so viel Geld hat, daß seine beiden Taschen davon voll sind, während der andere zu wenig

einige Ateliers besuchte und dort entdeckte, welche Lecture unter den Ouvriers, dem kräftigsten Theile der unteren Classe, verbreitet wird. Dort fand ich nämlich mehrere neue Ausgaben von den Reden des alten Robespierre, auch von Marats Pamphleten, in Lieferungen zu zwei Sous, die Revolutionsgeschichte des Cabet, Cormenins giftige Libelle, Babeufs Lehre und Verschwörung von Buonarotti, Schriften, die wie nach Blut rochen; – und Lieder hörte ich singen, die in der Hölle gedichtet zu seyn schienen, und deren Refrains von der wildesten Aufregung zeugten. Nein, von den dämonischen Tönen, die in jenen Liedern walten, kann man sich in unserer zahmen Sphäre gar keinen Begriff machen; man muß dergleichen mit eigenen Ohren angehört haben, z. B. in jenen ungeheuren Werkstätten, wo Metalle verarbeitet werden, und die halbnackten, trotzigen Gestalten während des Singens mit dem großen eisernen Hammer den Tact schlagen auf den dröhnenden Amboß. Solches Accompagnement ist vom größten Effect, so wie auch die Beleuchtung, wenn die zornigen Funken aus der Oesse hervorsprühen. Nichts als Leidenschaft und Flamme! – Eine Frucht dieser Saat, droht aus Frankreichs Boden früh oder spät die Republik hervorzubrechen. Wir müssen, in der That, solcher Befürchtung Raum geben; aber wir sind zugleich überzeugt, daß jenes republicanische Regiment nimmermehr von langer Dauer seyn kann in der Heimath der Coketterie und der Eitelkeit. Und gesetzt auch, der Nationalcharakter der Franzosen wäre mit dem Republicanismus ganz vereinbar, so könnte doch die Republik, wie unsere Radicalen sie träumen, sich nicht lange halten. In dem Lebensprincip einer solchen Republik liegt schon der Keim ihres frühen Todes; in ihrer Blüthe muß sie sterben. Gleichviel von welcher Verfassung ein Staat sey, er erhält sich nicht bloß und allein durch den Gemeinsinn und den Patriotismus der Volksmasse, wie man gewöhnlich glaubt, sondern er erhält sich durch die Geistesmacht der großen Individualitäten, der ihn lenken. Nun aber wissen wir, daß in einer Republik der angedeuteten Art ein eifersüchtiger Gleichheitssinn herrscht, der alle ausgezeichneten Individualitäten immer zurückstößt, ja unmöglich macht, und daß also in Zeiten der Noth nur Gevatter Gerber und Wursthändler sich an die Spitze des Gemeinwesens stellen werden. Durch dieses Grundübel ihrer Natur müssen jene Republiken nothwendigerweise zu Grunde gehen, sobald sie mit energischen und von großen Individualitäten vertretenen Oligarchien und Autokratien in einen entscheidenden Kampf gerathen. Daß dieses aber stattfinden muß, sobald in Frankreich die Republik proclamirt würde unterliegt keinem Zweifel.

Das bedeutendste Organ der Republicaner ist die Revue du Progrès. Louis Blanc, der Redacteur en chef, ist unstreitig der ausgezeichnetste Kopf seiner Partei. Von Statur ist er sehr klein, sieht fast aus wie ein Schuljunge, kleine rothe Bäckchen, fast gar kein Bart; aber mit dem Geiste überragt er alle seine Parteigenossen, und sein Blick dringt tief in die Abgründe, wo die socialen Fragen nisten und lauern. Er ist ein Mann, der eine große Zukunft hat, denn er begreift die Vergangenheit. Er ist, wie gesagt, der ausgezeichnetste Kopf seiner Partei, und ich habe mich nicht sehr verwundert, als ich diese Woche von der Dissidenz erfuhr, die zwischen ihm und seinen republicanischen Mitredactoren ausgebrochen. Louis Blanc hatte nämlich, bei Gelegenheit des Vautrin von Balzac, unumwunden erklärt, daß die Theatercensur nothwendig sey. Empört durch solchen gräuelhaften Ausspruch, solche antijacobinische Ketzerei, haben sich Felix Piat und August Luchet von der Redaction der Revue du Progrès losgesagt. Beide sind nicht bloß Männer von ehrenvollem Charakter, sondern auch Schriftsteller von großem Talent; vor einigen Jahren schrieben sie gemeinsam ein Drama, welches von der Theatercensur unterdrückt wurde.

Während die Friedenszeit, deren wir jetzt genießen, sehr günstig ist für die Verbreitung der republicanischen Lehren, löst sie unter den Republicanern selbst alle Bande der Einigkeit; der argwöhnische Geist dieser Leute muß durch die That beschäftigt werden, sonst geräth er in spitzfindige Discussionen und Zwistreden, die in bittere Feindschaften ausarten. Sie haben wenig Liebe für ihre Freunde und sehr viel Haß für diejenigen, die durch die Gewalt des fortschreitenden Nachdenkens sich einer entgegengesetzten Ansicht zuneigen. Mit einer Beschuldigung des Ehrgeizes, wo nicht gar der Bestechlichkeit, sind sie alsdann sehr freigebig. In ihrer Beschränktheit pflegen sie nie zu begreifen, daß ihre frühern Bundesgenossen manchmal durch Meinungsverschiedenheit gezwungen werden, sich von ihnen zu entfernen. Unfähig die rationellen Gründe solcher Entfernung zu ahnen, schreien sie gleich über pecuniäre Motive. Dieses Geschrei ist charakteristisch. Die Republicaner haben sich nun einmal mit dem Gelde aufs feindlichste überworfen, Alles, was ihnen Schlimmes begegnet, wird dem Einfluß des Geldes zugeschrieben; und in der That, das Geld dient ihren Gegnern als Barricade, als Schutz und Wehr, ja das Geld ist vielleicht ihr eigentlicher Gegner, der heutige Pitt, der heutige Coburg, und sie schimpfen darauf in altsansculottischer Weise. Im Grunde leitet sie ein richtiger Instinct. Von jener neuen Doctrin, die alle socialen Fragen von einem höhern Gesichtspunkt betrachtet, und von dem banalen Republicanismus sich eben so glänzend unterscheidet wie ein kaiserliches Purpurgewand von einem grauen Gleichheitskittel, davon haben unsere Republicaner wenig zu fürchten; denn wie sie selber ist auch die große Menge noch sehr entfernt von jener Doctrin. Die große Menge, der hohe und niedere Plebs, der edle Bürgerstand, der bürgerliche Adel, sämmtliche Honoratioren der lieben Mittelmäßigkeit, begreifen ganz gut den Republicanismus – eine Lehre, wozu nicht viel Vorkenntnisse gehören, die zugleich allen ihren Kleingefühlen und Verflachungsgedanken zusagt, und die sie auch öffentlich bekennen würden, geriethen sie nicht dadurch in einen Conflict mit dem Gelde. Jeder Thaler ist ein tapferer Bekämpfer des Republicanismus, und jeder Ducaten ein Achilles. Ein Republicaner haßt das Geld mit großem Recht, und wird er dieses Feindes habhaft, ach! So ist der Sieg noch schlimmer als eine Niederlage: der Republicaner, der sich des Geldes bemächtigte, hat aufgehört ein Republicaner zu seyn!

Wie die Sympathie, die der Republicanismus erregt, dennoch durch die Geldinteressen beständig niedergehalten wird, bemerkte ich dieser Tage im Gespräche mit einem sehr aufgeklärten Bankier, der im größten Eifer zu mir sagte: „Wer bestreitet denn die Vorzüge der republicanischen Verfassung? Ich selber bin manchmal ganz Republicaner. Sehen Sie, stecke ich die Hand in die rechte Hosentasche, worin mein Geld ist, so macht die Berührung mit dem kalten Metall mich zittern, ich fürchte für mein Eigenthum, und ich fühle mich monarchisch gesinnt; stecke ich hingegen die Hand in die linke Hosentasche, welche leer ist, dann schwindet gleich alle Furcht, und ich pfeife lustig die Marseillaise und ich stimme für die Republik!“ – Der aufgeklärte Bankier, der mir dieses sagte, ist weder der große Baron v. Rothschild, noch der kleine Hr. Königswärter; kaum bedürfte es noch dieser besondern Bemerkung, da ersterer, wie jeder weiß, so viel Geld hat, daß seine beiden Taschen davon voll sind, während der andere zu wenig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0011" n="1019"/>
einige Ateliers besuchte und dort entdeckte, welche Lecture unter den Ouvriers, dem kräftigsten Theile der unteren Classe, verbreitet wird. Dort fand ich nämlich mehrere neue Ausgaben von den Reden des alten Robespierre, auch von Marats Pamphleten, in Lieferungen zu zwei Sous, die Revolutionsgeschichte des Cabet, Cormenins giftige Libelle, Babeufs Lehre und Verschwörung von Buonarotti, Schriften, die wie nach Blut rochen; &#x2013; und Lieder hörte ich singen, die in der Hölle gedichtet zu seyn schienen, und deren Refrains von der wildesten Aufregung zeugten. Nein, von den dämonischen Tönen, die in jenen Liedern walten, kann man sich in unserer zahmen Sphäre gar keinen Begriff machen; man muß dergleichen mit eigenen Ohren angehört haben, z. B. in jenen ungeheuren Werkstätten, wo Metalle verarbeitet werden, und die halbnackten, trotzigen Gestalten während des Singens mit dem großen eisernen Hammer den Tact schlagen auf den dröhnenden Amboß. Solches Accompagnement ist vom größten Effect, so wie auch die Beleuchtung, wenn die zornigen Funken aus der Oesse hervorsprühen. Nichts als Leidenschaft und Flamme! &#x2013; Eine Frucht dieser Saat, droht aus Frankreichs Boden früh oder spät die Republik hervorzubrechen. Wir müssen, in der That, solcher Befürchtung Raum geben; aber wir sind zugleich überzeugt, daß jenes republicanische Regiment nimmermehr von langer Dauer seyn kann in der Heimath der Coketterie und der Eitelkeit. Und gesetzt auch, der Nationalcharakter der Franzosen wäre mit dem Republicanismus ganz vereinbar, so könnte doch die Republik, wie unsere Radicalen sie träumen, sich nicht lange halten. In dem Lebensprincip einer solchen Republik liegt schon der Keim ihres frühen Todes; in ihrer Blüthe muß sie sterben. Gleichviel von welcher Verfassung ein Staat sey, er erhält sich nicht bloß und allein durch den Gemeinsinn und den Patriotismus der Volksmasse, wie man gewöhnlich glaubt, sondern er erhält sich durch die Geistesmacht der großen Individualitäten, der ihn lenken. Nun aber wissen wir, daß in einer Republik der angedeuteten Art ein eifersüchtiger Gleichheitssinn herrscht, der alle ausgezeichneten Individualitäten immer zurückstößt, ja unmöglich macht, und daß also in Zeiten der Noth nur Gevatter Gerber und Wursthändler sich an die Spitze des Gemeinwesens stellen werden. Durch dieses Grundübel ihrer Natur müssen jene Republiken nothwendigerweise zu Grunde gehen, sobald sie mit energischen und von großen Individualitäten vertretenen Oligarchien und Autokratien in einen entscheidenden Kampf gerathen. Daß dieses aber stattfinden muß, sobald in Frankreich die Republik proclamirt würde unterliegt keinem Zweifel.</p><lb/>
          <p>Das bedeutendste Organ der Republicaner ist die Revue du Progrès. Louis Blanc, der Redacteur en chef, ist unstreitig der ausgezeichnetste Kopf seiner Partei. Von Statur ist er sehr klein, sieht fast aus wie ein Schuljunge, kleine rothe Bäckchen, fast gar kein Bart; aber mit dem Geiste überragt er alle seine Parteigenossen, und sein Blick dringt tief in die Abgründe, wo die socialen Fragen nisten und lauern. Er ist ein Mann, der eine große Zukunft hat, denn er begreift die Vergangenheit. Er ist, wie gesagt, der ausgezeichnetste Kopf seiner Partei, und ich habe mich nicht sehr verwundert, als ich diese Woche von der Dissidenz erfuhr, die zwischen ihm und seinen republicanischen Mitredactoren ausgebrochen. Louis Blanc hatte nämlich, bei Gelegenheit des Vautrin von Balzac, unumwunden erklärt, daß die Theatercensur nothwendig sey. Empört durch solchen gräuelhaften Ausspruch, solche antijacobinische Ketzerei, haben sich Felix Piat und August Luchet von der Redaction der Revue du Progrès losgesagt. Beide sind nicht bloß Männer von ehrenvollem Charakter, sondern auch Schriftsteller von großem Talent; vor einigen Jahren schrieben sie gemeinsam ein Drama, welches von der Theatercensur unterdrückt wurde.</p><lb/>
          <p>Während die Friedenszeit, deren wir jetzt genießen, sehr günstig ist für die Verbreitung der republicanischen Lehren, löst sie unter den Republicanern selbst alle Bande der Einigkeit; der argwöhnische Geist dieser Leute muß durch die That beschäftigt werden, sonst geräth er in spitzfindige Discussionen und Zwistreden, die in bittere Feindschaften ausarten. Sie haben wenig Liebe für ihre Freunde und sehr viel Haß für diejenigen, die durch die Gewalt des fortschreitenden Nachdenkens sich einer entgegengesetzten Ansicht zuneigen. Mit einer Beschuldigung des Ehrgeizes, wo nicht gar der Bestechlichkeit, sind sie alsdann sehr freigebig. In ihrer Beschränktheit pflegen sie nie zu begreifen, daß ihre frühern Bundesgenossen manchmal durch Meinungsverschiedenheit gezwungen werden, sich von ihnen zu entfernen. Unfähig die rationellen Gründe solcher Entfernung zu ahnen, schreien sie gleich über pecuniäre Motive. Dieses Geschrei ist charakteristisch. Die Republicaner haben sich nun einmal mit dem Gelde aufs feindlichste überworfen, Alles, was ihnen Schlimmes begegnet, wird dem Einfluß des Geldes zugeschrieben; und in der That, das Geld dient ihren Gegnern als Barricade, als Schutz und Wehr, ja das Geld ist vielleicht ihr eigentlicher Gegner, der heutige Pitt, der heutige Coburg, und sie schimpfen darauf in altsansculottischer Weise. Im Grunde leitet sie ein richtiger Instinct. Von jener neuen Doctrin, die alle socialen Fragen von einem höhern Gesichtspunkt betrachtet, und von dem banalen Republicanismus sich eben so glänzend unterscheidet wie ein kaiserliches Purpurgewand von einem grauen Gleichheitskittel, davon haben unsere Republicaner wenig zu fürchten; denn wie sie selber ist auch die große Menge noch sehr entfernt von jener Doctrin. Die große Menge, der hohe und niedere Plebs, der edle Bürgerstand, der bürgerliche Adel, sämmtliche Honoratioren der lieben Mittelmäßigkeit, begreifen ganz gut den Republicanismus &#x2013; eine Lehre, wozu nicht viel Vorkenntnisse gehören, die zugleich allen ihren Kleingefühlen und Verflachungsgedanken zusagt, und die sie auch öffentlich bekennen würden, geriethen sie nicht dadurch in einen Conflict mit dem Gelde. Jeder Thaler ist ein tapferer Bekämpfer des Republicanismus, und jeder Ducaten ein Achilles. Ein Republicaner haßt das Geld mit großem Recht, und wird er dieses Feindes habhaft, ach! So ist der Sieg noch schlimmer als eine Niederlage: der Republicaner, der sich des Geldes bemächtigte, hat aufgehört ein Republicaner zu seyn!</p><lb/>
          <p>Wie die Sympathie, die der Republicanismus erregt, dennoch durch die Geldinteressen beständig niedergehalten wird, bemerkte ich dieser Tage im Gespräche mit einem sehr aufgeklärten Bankier, der im größten Eifer zu mir sagte: &#x201E;Wer bestreitet denn die Vorzüge der republicanischen Verfassung? Ich selber bin manchmal ganz Republicaner. Sehen Sie, stecke ich die Hand in die rechte Hosentasche, worin mein Geld ist, so macht die Berührung mit dem kalten Metall mich zittern, ich fürchte für mein Eigenthum, und ich fühle mich monarchisch gesinnt; stecke ich hingegen die Hand in die linke Hosentasche, welche leer ist, dann schwindet gleich alle Furcht, und ich pfeife lustig die Marseillaise und ich stimme für die Republik!&#x201C; &#x2013; Der aufgeklärte Bankier, der mir dieses sagte, ist weder der große Baron v. Rothschild, noch der kleine Hr. Königswärter; kaum bedürfte es noch dieser besondern Bemerkung, da ersterer, wie jeder weiß, so viel Geld hat, daß seine beiden Taschen davon voll sind, während der andere zu wenig<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1019/0011] einige Ateliers besuchte und dort entdeckte, welche Lecture unter den Ouvriers, dem kräftigsten Theile der unteren Classe, verbreitet wird. Dort fand ich nämlich mehrere neue Ausgaben von den Reden des alten Robespierre, auch von Marats Pamphleten, in Lieferungen zu zwei Sous, die Revolutionsgeschichte des Cabet, Cormenins giftige Libelle, Babeufs Lehre und Verschwörung von Buonarotti, Schriften, die wie nach Blut rochen; – und Lieder hörte ich singen, die in der Hölle gedichtet zu seyn schienen, und deren Refrains von der wildesten Aufregung zeugten. Nein, von den dämonischen Tönen, die in jenen Liedern walten, kann man sich in unserer zahmen Sphäre gar keinen Begriff machen; man muß dergleichen mit eigenen Ohren angehört haben, z. B. in jenen ungeheuren Werkstätten, wo Metalle verarbeitet werden, und die halbnackten, trotzigen Gestalten während des Singens mit dem großen eisernen Hammer den Tact schlagen auf den dröhnenden Amboß. Solches Accompagnement ist vom größten Effect, so wie auch die Beleuchtung, wenn die zornigen Funken aus der Oesse hervorsprühen. Nichts als Leidenschaft und Flamme! – Eine Frucht dieser Saat, droht aus Frankreichs Boden früh oder spät die Republik hervorzubrechen. Wir müssen, in der That, solcher Befürchtung Raum geben; aber wir sind zugleich überzeugt, daß jenes republicanische Regiment nimmermehr von langer Dauer seyn kann in der Heimath der Coketterie und der Eitelkeit. Und gesetzt auch, der Nationalcharakter der Franzosen wäre mit dem Republicanismus ganz vereinbar, so könnte doch die Republik, wie unsere Radicalen sie träumen, sich nicht lange halten. In dem Lebensprincip einer solchen Republik liegt schon der Keim ihres frühen Todes; in ihrer Blüthe muß sie sterben. Gleichviel von welcher Verfassung ein Staat sey, er erhält sich nicht bloß und allein durch den Gemeinsinn und den Patriotismus der Volksmasse, wie man gewöhnlich glaubt, sondern er erhält sich durch die Geistesmacht der großen Individualitäten, der ihn lenken. Nun aber wissen wir, daß in einer Republik der angedeuteten Art ein eifersüchtiger Gleichheitssinn herrscht, der alle ausgezeichneten Individualitäten immer zurückstößt, ja unmöglich macht, und daß also in Zeiten der Noth nur Gevatter Gerber und Wursthändler sich an die Spitze des Gemeinwesens stellen werden. Durch dieses Grundübel ihrer Natur müssen jene Republiken nothwendigerweise zu Grunde gehen, sobald sie mit energischen und von großen Individualitäten vertretenen Oligarchien und Autokratien in einen entscheidenden Kampf gerathen. Daß dieses aber stattfinden muß, sobald in Frankreich die Republik proclamirt würde unterliegt keinem Zweifel. Das bedeutendste Organ der Republicaner ist die Revue du Progrès. Louis Blanc, der Redacteur en chef, ist unstreitig der ausgezeichnetste Kopf seiner Partei. Von Statur ist er sehr klein, sieht fast aus wie ein Schuljunge, kleine rothe Bäckchen, fast gar kein Bart; aber mit dem Geiste überragt er alle seine Parteigenossen, und sein Blick dringt tief in die Abgründe, wo die socialen Fragen nisten und lauern. Er ist ein Mann, der eine große Zukunft hat, denn er begreift die Vergangenheit. Er ist, wie gesagt, der ausgezeichnetste Kopf seiner Partei, und ich habe mich nicht sehr verwundert, als ich diese Woche von der Dissidenz erfuhr, die zwischen ihm und seinen republicanischen Mitredactoren ausgebrochen. Louis Blanc hatte nämlich, bei Gelegenheit des Vautrin von Balzac, unumwunden erklärt, daß die Theatercensur nothwendig sey. Empört durch solchen gräuelhaften Ausspruch, solche antijacobinische Ketzerei, haben sich Felix Piat und August Luchet von der Redaction der Revue du Progrès losgesagt. Beide sind nicht bloß Männer von ehrenvollem Charakter, sondern auch Schriftsteller von großem Talent; vor einigen Jahren schrieben sie gemeinsam ein Drama, welches von der Theatercensur unterdrückt wurde. Während die Friedenszeit, deren wir jetzt genießen, sehr günstig ist für die Verbreitung der republicanischen Lehren, löst sie unter den Republicanern selbst alle Bande der Einigkeit; der argwöhnische Geist dieser Leute muß durch die That beschäftigt werden, sonst geräth er in spitzfindige Discussionen und Zwistreden, die in bittere Feindschaften ausarten. Sie haben wenig Liebe für ihre Freunde und sehr viel Haß für diejenigen, die durch die Gewalt des fortschreitenden Nachdenkens sich einer entgegengesetzten Ansicht zuneigen. Mit einer Beschuldigung des Ehrgeizes, wo nicht gar der Bestechlichkeit, sind sie alsdann sehr freigebig. In ihrer Beschränktheit pflegen sie nie zu begreifen, daß ihre frühern Bundesgenossen manchmal durch Meinungsverschiedenheit gezwungen werden, sich von ihnen zu entfernen. Unfähig die rationellen Gründe solcher Entfernung zu ahnen, schreien sie gleich über pecuniäre Motive. Dieses Geschrei ist charakteristisch. Die Republicaner haben sich nun einmal mit dem Gelde aufs feindlichste überworfen, Alles, was ihnen Schlimmes begegnet, wird dem Einfluß des Geldes zugeschrieben; und in der That, das Geld dient ihren Gegnern als Barricade, als Schutz und Wehr, ja das Geld ist vielleicht ihr eigentlicher Gegner, der heutige Pitt, der heutige Coburg, und sie schimpfen darauf in altsansculottischer Weise. Im Grunde leitet sie ein richtiger Instinct. Von jener neuen Doctrin, die alle socialen Fragen von einem höhern Gesichtspunkt betrachtet, und von dem banalen Republicanismus sich eben so glänzend unterscheidet wie ein kaiserliches Purpurgewand von einem grauen Gleichheitskittel, davon haben unsere Republicaner wenig zu fürchten; denn wie sie selber ist auch die große Menge noch sehr entfernt von jener Doctrin. Die große Menge, der hohe und niedere Plebs, der edle Bürgerstand, der bürgerliche Adel, sämmtliche Honoratioren der lieben Mittelmäßigkeit, begreifen ganz gut den Republicanismus – eine Lehre, wozu nicht viel Vorkenntnisse gehören, die zugleich allen ihren Kleingefühlen und Verflachungsgedanken zusagt, und die sie auch öffentlich bekennen würden, geriethen sie nicht dadurch in einen Conflict mit dem Gelde. Jeder Thaler ist ein tapferer Bekämpfer des Republicanismus, und jeder Ducaten ein Achilles. Ein Republicaner haßt das Geld mit großem Recht, und wird er dieses Feindes habhaft, ach! So ist der Sieg noch schlimmer als eine Niederlage: der Republicaner, der sich des Geldes bemächtigte, hat aufgehört ein Republicaner zu seyn! Wie die Sympathie, die der Republicanismus erregt, dennoch durch die Geldinteressen beständig niedergehalten wird, bemerkte ich dieser Tage im Gespräche mit einem sehr aufgeklärten Bankier, der im größten Eifer zu mir sagte: „Wer bestreitet denn die Vorzüge der republicanischen Verfassung? Ich selber bin manchmal ganz Republicaner. Sehen Sie, stecke ich die Hand in die rechte Hosentasche, worin mein Geld ist, so macht die Berührung mit dem kalten Metall mich zittern, ich fürchte für mein Eigenthum, und ich fühle mich monarchisch gesinnt; stecke ich hingegen die Hand in die linke Hosentasche, welche leer ist, dann schwindet gleich alle Furcht, und ich pfeife lustig die Marseillaise und ich stimme für die Republik!“ – Der aufgeklärte Bankier, der mir dieses sagte, ist weder der große Baron v. Rothschild, noch der kleine Hr. Königswärter; kaum bedürfte es noch dieser besondern Bemerkung, da ersterer, wie jeder weiß, so viel Geld hat, daß seine beiden Taschen davon voll sind, während der andere zu wenig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_128_18400507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_128_18400507/11
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840, S. 1019. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_128_18400507/11>, abgerufen am 30.04.2024.