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Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840.

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ausgezeichnetern Talente der Nation begann und nach Verlauf von sechs Jahren mit 24 Bänden beendet seyn sollte, ist zu allgemeinem Bedauern im vergangenen Jahr in Folge verunglückter Buchhändlerspeculation mit dem 18ten Band ins Stocken gerathen; doch darf man auf seine Fortsetzung hoffen.

Bertholds Myopodiorthotikon.

Die am 6 d. M. der königlichen Societät der Wissenschaften mitgetheilte Methode des Professors Berthold, mittelst seines Myopodiorthotikon die Kurzsichtigkeit zu heilen und zu verhüten, ist so eben im 66sten Stück der Göttinger gel. Anzeigen veröffentlicht worden. Dieselbe beruht darauf, die mutationes oculi internae, d. i. das Accommodationsvermögen des Auges für die Nähe und Ferne der bei den Myopen zu starken physischen Brechungskraft der durchsichtigen Augentheile anzupassen. Um nun dieses Vermögen zur dauernden Beseitigung oder Verminderung der Myopie zu reguliren, geht Professor Berthold von dem Princip aus, daß es, wie jede auf Willkür beruhende Körperbewegung, durch Uebung gestärkt werden könne, wenn diese längere Zeit hindurch fortgesetzt wird, und wenn nicht gleichzeitig Umstände einwirken, wodurch die in Folge der Uebung gewonnene Stärkung wieder verloren geht. Zur Erreichung dieses Zweckes hat er das Myopodiorthotikon construirt, das die Beschäftigung des Lesens sowohl als auch des Schreibens gestattet, ja sogar ist Lesen und Schreiben die zweckmäßigste Beschäftigung, um mittelst jenes Instruments die Myopie zu beseitigen. Der Apparat besteht aus einem auf einen beliebigen Tisch zu stellenden Pult, zur Unterlage des zum Lesen dienenden Buchs. Das Pult ist auf einem ungefähr gleich großen Grundbrett mit seiner vordern Seite mittelst Scharniere beweglich. Vom hintern Theil des Pults steigt jederseits eine Schraube in die Höhe, welche durch einen beweglichen Querbalken hindurch geht, der mittelst einer Mutter hinauf und herab bewegt werden kann. Durch die Mitte des Querbalkens ist ein Horizontalloch durchgestemmt zur Aufnahme eines an seinem vordern Ende etwas in die Höhe strebenden Nasensteges zur Anlehnung des obern Theils der Nasenwurzel. Mittelst der Beweglichkeit des Pults auf dem Grundbrett, des Querbalkens an den Seitenschrauben und des Nasensteges im Querbalken kann man den Apparat so richten, daß das zum Lesen dienende Buch die zum Sehen zweckmäßigste Lage und Stellung gegen das Auge erhält. Ist nun anfangs die Entfernung der Spitze des Nasensteges vom Pult so groß, daß der Kurzsichtige ein aufgelegtes Buch deutlich und bequem lesen kann, so wird durch eine Viertel-, halbe bis ganze Drehung der Schraubenmutter diese Entfernung nach und nach vergrößert. Besonders hat man sich vor einer zu rasch fortschreitenden Entfernung zu hüten, weil derselben das Accommodationsvermögen des Auges in seiner Gewinnung an Stärke nicht folgen kann, weßhalb gewöhnlich nur alle 1-2-3-4 Tage eine Drehung der Schraubenmütter vorgenommen werden darf. Ueberhaupt wird das ganz langsame, nicht übereilte Fortschreiten als die Hauptbedingung zur sichern und glücklichen Cur betrachtet. Durch verschiedene Maaßstäbe an dem Instrument wird es möglich, dasselbe zum Lesen von verschiedenen, mit verschiedener, kleinerer oder größerer Schrift gedruckten Büchern zu gebrauchen. Es wird ein Fall mitgetheilt, daß ein Mann von 26 Jahren binnen nicht völlig vier Monaten durch den Gebrauch des Instruments dahin gelangte, ein Buch aus einer Entfernung von 11 1/4 Zoll vollkommen bequem und deutlich zu lesen, welches er vorher nicht aus einer größern Ferne als 5 Zoll deutlich und bequem zu lesen im Stande war.

Die Vorsichtsmaaßregeln beim Gebrauch des Apparats und die etwa dabei nöthige diätetische Pflege und ärztliche Behandlung des Auges sind in der Abhandlung weiter auseinander gesetzt. "Der Anwendung des Myopodiorthotikon, heißt es am Schluß, steht kein Hinderniß entgegen; das Kind, wie der Knabe, Jüngling und Erwachsene, das weibliche wie das männliche Geschlecht, der Gelehrte wie der Künstler wird davon mit Nutzen Gebrauch machen können, obwohl man sich nicht verhehlen darf, daß in den frühern Jahren des Lebens schnellerer Erfolg von der Cur zu erwarten ist, als in den spätern, vorgerücktern, und daß die Dauer der Anwendung mit den Graden der Kurzsichtigkeit in directem Verhältniß steht. Daß die Cur übrigens einige Abänderung in der gewöhnlichen auf die Gesichtsbeschäftigung sich beziehenden Lebensweise nothwendig macht, kann kein Einwurf gegen dieselbe seyn, indem ja Entfernung der Krankheitsursachen als allgemeinster therapeutischer Grundsatz gilt; dennoch darf auch diese Cur bestimmte, die Myopie begünstigende Momente ausschließen, andere hingegen anempfehlen. Ist doch das mit Rückgrats- oder Extremitätenkrümmungen behaftete Kind unter Umständen im Streckapparat zu liegen gezwungen, wodurch es in seinen Beschäftigungen, im Unterricht, in seiner physischen und psychischen Erziehung überhaupt bei weitem mehr beeinträchtigt wird, als es bei der Heilung der Myopie nach jener Methode möglich ist. Ja sogar wird diese Curart, da der Kopf dabei aufrecht erhalten und zweckmäßig unterstützt wird, gegen Neigung zu bestimmten Rückgratskrümmungen, so wie gegen den Nachtheil eines durch übermäßiges Vorhängen des Kopfs gegen diesen begünstigten Congestionszustand von Nutzen seyn müssen. Zu welchen Vortheilen aber die Verminderung oder Beseitigung der Kurzsichtigkeit führt, wie dadurch die Auswahl bestimmter Geschäfte größer, der Myops aber zu gewissen Beschäftigungen erst befähigt wird, bedarf wohl einer weitern Erwähnung eben so wenig, als daß man im Stande ist, durch zeitige Anwendung des Instruments bei solchen Kindern, denen, etwa weil ihre Eltern an Myopie leiden, eine Neigung zu diesem Sehefehler inn wohnt, demselben schicklich vorzubeugen. Ja sogar ließe sich in letzterer Hinsicht von dem Apparat eine Anwendung im Großen machen, wenn derselbe in Schulen und überhaupt in öffentlichen Unterrichtsanstalten eingerichtet würde. Zu dem Ende müßten die an Kurzsichtigkeit Leidenden, so wie die dazu geneigten Kinder von den gutsehenden gesondert und an einen besondern Tisch zusammengesetzt werden. Dieser Tisch würde durch Seitenschrauben und Querbalken zu einem gemeinschaftlichen Myopodiorthotikon umgewandelt und mittelst der am vordern Ende etwas stärker in die Höhe strebenden Nasenstege den einzelnen Kindern, entsprechend der jedesmaligen Sehweite, angepaßt. Nur hiedurch, aber nicht durch den in den Schulen ab und an erschallenden, wenn auch mitunter durch einen physischen Nachdruck geschärften Ruf "Kopf zurück!" wird es möglich seyn, das so allgemein herrschende Leiden der Kurzsichtigkeit im Allgemeinen und im Keime zu ersticken." Dazu dürfte aber wohl die Mitwirkung der Regierungen, welche die Einführung solcher Vorrichtungen in öffentlichen Schulen und Unterrichtsanstalten den Vorstehern derselben zur Pflicht machen müßten, erforderlich seyn.

Die Extreme in Frankreich.

"Erzähle mir was du heute gesäet hast, und ich will dir voraussagen was du morgen ernten wirst!" An dieses Sprüchwort des kernichten Sancho dachte ich dieser Tage, als ich im Faubourg Saint-Marceau

ausgezeichnetern Talente der Nation begann und nach Verlauf von sechs Jahren mit 24 Bänden beendet seyn sollte, ist zu allgemeinem Bedauern im vergangenen Jahr in Folge verunglückter Buchhändlerspeculation mit dem 18ten Band ins Stocken gerathen; doch darf man auf seine Fortsetzung hoffen.

Bertholds Myopodiorthotikon.

Die am 6 d. M. der königlichen Societät der Wissenschaften mitgetheilte Methode des Professors Berthold, mittelst seines Myopodiorthotikon die Kurzsichtigkeit zu heilen und zu verhüten, ist so eben im 66sten Stück der Göttinger gel. Anzeigen veröffentlicht worden. Dieselbe beruht darauf, die mutationes oculi internae, d. i. das Accommodationsvermögen des Auges für die Nähe und Ferne der bei den Myopen zu starken physischen Brechungskraft der durchsichtigen Augentheile anzupassen. Um nun dieses Vermögen zur dauernden Beseitigung oder Verminderung der Myopie zu reguliren, geht Professor Berthold von dem Princip aus, daß es, wie jede auf Willkür beruhende Körperbewegung, durch Uebung gestärkt werden könne, wenn diese längere Zeit hindurch fortgesetzt wird, und wenn nicht gleichzeitig Umstände einwirken, wodurch die in Folge der Uebung gewonnene Stärkung wieder verloren geht. Zur Erreichung dieses Zweckes hat er das Myopodiorthotikon construirt, das die Beschäftigung des Lesens sowohl als auch des Schreibens gestattet, ja sogar ist Lesen und Schreiben die zweckmäßigste Beschäftigung, um mittelst jenes Instruments die Myopie zu beseitigen. Der Apparat besteht aus einem auf einen beliebigen Tisch zu stellenden Pult, zur Unterlage des zum Lesen dienenden Buchs. Das Pult ist auf einem ungefähr gleich großen Grundbrett mit seiner vordern Seite mittelst Scharniere beweglich. Vom hintern Theil des Pults steigt jederseits eine Schraube in die Höhe, welche durch einen beweglichen Querbalken hindurch geht, der mittelst einer Mutter hinauf und herab bewegt werden kann. Durch die Mitte des Querbalkens ist ein Horizontalloch durchgestemmt zur Aufnahme eines an seinem vordern Ende etwas in die Höhe strebenden Nasensteges zur Anlehnung des obern Theils der Nasenwurzel. Mittelst der Beweglichkeit des Pults auf dem Grundbrett, des Querbalkens an den Seitenschrauben und des Nasensteges im Querbalken kann man den Apparat so richten, daß das zum Lesen dienende Buch die zum Sehen zweckmäßigste Lage und Stellung gegen das Auge erhält. Ist nun anfangs die Entfernung der Spitze des Nasensteges vom Pult so groß, daß der Kurzsichtige ein aufgelegtes Buch deutlich und bequem lesen kann, so wird durch eine Viertel-, halbe bis ganze Drehung der Schraubenmutter diese Entfernung nach und nach vergrößert. Besonders hat man sich vor einer zu rasch fortschreitenden Entfernung zu hüten, weil derselben das Accommodationsvermögen des Auges in seiner Gewinnung an Stärke nicht folgen kann, weßhalb gewöhnlich nur alle 1-2-3-4 Tage eine Drehung der Schraubenmütter vorgenommen werden darf. Ueberhaupt wird das ganz langsame, nicht übereilte Fortschreiten als die Hauptbedingung zur sichern und glücklichen Cur betrachtet. Durch verschiedene Maaßstäbe an dem Instrument wird es möglich, dasselbe zum Lesen von verschiedenen, mit verschiedener, kleinerer oder größerer Schrift gedruckten Büchern zu gebrauchen. Es wird ein Fall mitgetheilt, daß ein Mann von 26 Jahren binnen nicht völlig vier Monaten durch den Gebrauch des Instruments dahin gelangte, ein Buch aus einer Entfernung von 11 1/4 Zoll vollkommen bequem und deutlich zu lesen, welches er vorher nicht aus einer größern Ferne als 5 Zoll deutlich und bequem zu lesen im Stande war.

Die Vorsichtsmaaßregeln beim Gebrauch des Apparats und die etwa dabei nöthige diätetische Pflege und ärztliche Behandlung des Auges sind in der Abhandlung weiter auseinander gesetzt. „Der Anwendung des Myopodiorthotikon, heißt es am Schluß, steht kein Hinderniß entgegen; das Kind, wie der Knabe, Jüngling und Erwachsene, das weibliche wie das männliche Geschlecht, der Gelehrte wie der Künstler wird davon mit Nutzen Gebrauch machen können, obwohl man sich nicht verhehlen darf, daß in den frühern Jahren des Lebens schnellerer Erfolg von der Cur zu erwarten ist, als in den spätern, vorgerücktern, und daß die Dauer der Anwendung mit den Graden der Kurzsichtigkeit in directem Verhältniß steht. Daß die Cur übrigens einige Abänderung in der gewöhnlichen auf die Gesichtsbeschäftigung sich beziehenden Lebensweise nothwendig macht, kann kein Einwurf gegen dieselbe seyn, indem ja Entfernung der Krankheitsursachen als allgemeinster therapeutischer Grundsatz gilt; dennoch darf auch diese Cur bestimmte, die Myopie begünstigende Momente ausschließen, andere hingegen anempfehlen. Ist doch das mit Rückgrats- oder Extremitätenkrümmungen behaftete Kind unter Umständen im Streckapparat zu liegen gezwungen, wodurch es in seinen Beschäftigungen, im Unterricht, in seiner physischen und psychischen Erziehung überhaupt bei weitem mehr beeinträchtigt wird, als es bei der Heilung der Myopie nach jener Methode möglich ist. Ja sogar wird diese Curart, da der Kopf dabei aufrecht erhalten und zweckmäßig unterstützt wird, gegen Neigung zu bestimmten Rückgratskrümmungen, so wie gegen den Nachtheil eines durch übermäßiges Vorhängen des Kopfs gegen diesen begünstigten Congestionszustand von Nutzen seyn müssen. Zu welchen Vortheilen aber die Verminderung oder Beseitigung der Kurzsichtigkeit führt, wie dadurch die Auswahl bestimmter Geschäfte größer, der Myops aber zu gewissen Beschäftigungen erst befähigt wird, bedarf wohl einer weitern Erwähnung eben so wenig, als daß man im Stande ist, durch zeitige Anwendung des Instruments bei solchen Kindern, denen, etwa weil ihre Eltern an Myopie leiden, eine Neigung zu diesem Sehefehler inn wohnt, demselben schicklich vorzubeugen. Ja sogar ließe sich in letzterer Hinsicht von dem Apparat eine Anwendung im Großen machen, wenn derselbe in Schulen und überhaupt in öffentlichen Unterrichtsanstalten eingerichtet würde. Zu dem Ende müßten die an Kurzsichtigkeit Leidenden, so wie die dazu geneigten Kinder von den gutsehenden gesondert und an einen besondern Tisch zusammengesetzt werden. Dieser Tisch würde durch Seitenschrauben und Querbalken zu einem gemeinschaftlichen Myopodiorthotikon umgewandelt und mittelst der am vordern Ende etwas stärker in die Höhe strebenden Nasenstege den einzelnen Kindern, entsprechend der jedesmaligen Sehweite, angepaßt. Nur hiedurch, aber nicht durch den in den Schulen ab und an erschallenden, wenn auch mitunter durch einen physischen Nachdruck geschärften Ruf „Kopf zurück!“ wird es möglich seyn, das so allgemein herrschende Leiden der Kurzsichtigkeit im Allgemeinen und im Keime zu ersticken.“ Dazu dürfte aber wohl die Mitwirkung der Regierungen, welche die Einführung solcher Vorrichtungen in öffentlichen Schulen und Unterrichtsanstalten den Vorstehern derselben zur Pflicht machen müßten, erforderlich seyn.

Die Extreme in Frankreich.

„Erzähle mir was du heute gesäet hast, und ich will dir voraussagen was du morgen ernten wirst!“ An dieses Sprüchwort des kernichten Sancho dachte ich dieser Tage, als ich im Faubourg Saint-Marceau

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[1018/0010] ausgezeichnetern Talente der Nation begann und nach Verlauf von sechs Jahren mit 24 Bänden beendet seyn sollte, ist zu allgemeinem Bedauern im vergangenen Jahr in Folge verunglückter Buchhändlerspeculation mit dem 18ten Band ins Stocken gerathen; doch darf man auf seine Fortsetzung hoffen. Bertholds Myopodiorthotikon. _ Göttingen, 28 April. Die am 6 d. M. der königlichen Societät der Wissenschaften mitgetheilte Methode des Professors Berthold, mittelst seines Myopodiorthotikon die Kurzsichtigkeit zu heilen und zu verhüten, ist so eben im 66sten Stück der Göttinger gel. Anzeigen veröffentlicht worden. Dieselbe beruht darauf, die mutationes oculi internae, d. i. das Accommodationsvermögen des Auges für die Nähe und Ferne der bei den Myopen zu starken physischen Brechungskraft der durchsichtigen Augentheile anzupassen. Um nun dieses Vermögen zur dauernden Beseitigung oder Verminderung der Myopie zu reguliren, geht Professor Berthold von dem Princip aus, daß es, wie jede auf Willkür beruhende Körperbewegung, durch Uebung gestärkt werden könne, wenn diese längere Zeit hindurch fortgesetzt wird, und wenn nicht gleichzeitig Umstände einwirken, wodurch die in Folge der Uebung gewonnene Stärkung wieder verloren geht. Zur Erreichung dieses Zweckes hat er das Myopodiorthotikon construirt, das die Beschäftigung des Lesens sowohl als auch des Schreibens gestattet, ja sogar ist Lesen und Schreiben die zweckmäßigste Beschäftigung, um mittelst jenes Instruments die Myopie zu beseitigen. Der Apparat besteht aus einem auf einen beliebigen Tisch zu stellenden Pult, zur Unterlage des zum Lesen dienenden Buchs. Das Pult ist auf einem ungefähr gleich großen Grundbrett mit seiner vordern Seite mittelst Scharniere beweglich. Vom hintern Theil des Pults steigt jederseits eine Schraube in die Höhe, welche durch einen beweglichen Querbalken hindurch geht, der mittelst einer Mutter hinauf und herab bewegt werden kann. Durch die Mitte des Querbalkens ist ein Horizontalloch durchgestemmt zur Aufnahme eines an seinem vordern Ende etwas in die Höhe strebenden Nasensteges zur Anlehnung des obern Theils der Nasenwurzel. Mittelst der Beweglichkeit des Pults auf dem Grundbrett, des Querbalkens an den Seitenschrauben und des Nasensteges im Querbalken kann man den Apparat so richten, daß das zum Lesen dienende Buch die zum Sehen zweckmäßigste Lage und Stellung gegen das Auge erhält. Ist nun anfangs die Entfernung der Spitze des Nasensteges vom Pult so groß, daß der Kurzsichtige ein aufgelegtes Buch deutlich und bequem lesen kann, so wird durch eine Viertel-, halbe bis ganze Drehung der Schraubenmutter diese Entfernung nach und nach vergrößert. Besonders hat man sich vor einer zu rasch fortschreitenden Entfernung zu hüten, weil derselben das Accommodationsvermögen des Auges in seiner Gewinnung an Stärke nicht folgen kann, weßhalb gewöhnlich nur alle 1-2-3-4 Tage eine Drehung der Schraubenmütter vorgenommen werden darf. Ueberhaupt wird das ganz langsame, nicht übereilte Fortschreiten als die Hauptbedingung zur sichern und glücklichen Cur betrachtet. Durch verschiedene Maaßstäbe an dem Instrument wird es möglich, dasselbe zum Lesen von verschiedenen, mit verschiedener, kleinerer oder größerer Schrift gedruckten Büchern zu gebrauchen. Es wird ein Fall mitgetheilt, daß ein Mann von 26 Jahren binnen nicht völlig vier Monaten durch den Gebrauch des Instruments dahin gelangte, ein Buch aus einer Entfernung von 11 1/4 Zoll vollkommen bequem und deutlich zu lesen, welches er vorher nicht aus einer größern Ferne als 5 Zoll deutlich und bequem zu lesen im Stande war. Die Vorsichtsmaaßregeln beim Gebrauch des Apparats und die etwa dabei nöthige diätetische Pflege und ärztliche Behandlung des Auges sind in der Abhandlung weiter auseinander gesetzt. „Der Anwendung des Myopodiorthotikon, heißt es am Schluß, steht kein Hinderniß entgegen; das Kind, wie der Knabe, Jüngling und Erwachsene, das weibliche wie das männliche Geschlecht, der Gelehrte wie der Künstler wird davon mit Nutzen Gebrauch machen können, obwohl man sich nicht verhehlen darf, daß in den frühern Jahren des Lebens schnellerer Erfolg von der Cur zu erwarten ist, als in den spätern, vorgerücktern, und daß die Dauer der Anwendung mit den Graden der Kurzsichtigkeit in directem Verhältniß steht. Daß die Cur übrigens einige Abänderung in der gewöhnlichen auf die Gesichtsbeschäftigung sich beziehenden Lebensweise nothwendig macht, kann kein Einwurf gegen dieselbe seyn, indem ja Entfernung der Krankheitsursachen als allgemeinster therapeutischer Grundsatz gilt; dennoch darf auch diese Cur bestimmte, die Myopie begünstigende Momente ausschließen, andere hingegen anempfehlen. Ist doch das mit Rückgrats- oder Extremitätenkrümmungen behaftete Kind unter Umständen im Streckapparat zu liegen gezwungen, wodurch es in seinen Beschäftigungen, im Unterricht, in seiner physischen und psychischen Erziehung überhaupt bei weitem mehr beeinträchtigt wird, als es bei der Heilung der Myopie nach jener Methode möglich ist. Ja sogar wird diese Curart, da der Kopf dabei aufrecht erhalten und zweckmäßig unterstützt wird, gegen Neigung zu bestimmten Rückgratskrümmungen, so wie gegen den Nachtheil eines durch übermäßiges Vorhängen des Kopfs gegen diesen begünstigten Congestionszustand von Nutzen seyn müssen. Zu welchen Vortheilen aber die Verminderung oder Beseitigung der Kurzsichtigkeit führt, wie dadurch die Auswahl bestimmter Geschäfte größer, der Myops aber zu gewissen Beschäftigungen erst befähigt wird, bedarf wohl einer weitern Erwähnung eben so wenig, als daß man im Stande ist, durch zeitige Anwendung des Instruments bei solchen Kindern, denen, etwa weil ihre Eltern an Myopie leiden, eine Neigung zu diesem Sehefehler inn wohnt, demselben schicklich vorzubeugen. Ja sogar ließe sich in letzterer Hinsicht von dem Apparat eine Anwendung im Großen machen, wenn derselbe in Schulen und überhaupt in öffentlichen Unterrichtsanstalten eingerichtet würde. Zu dem Ende müßten die an Kurzsichtigkeit Leidenden, so wie die dazu geneigten Kinder von den gutsehenden gesondert und an einen besondern Tisch zusammengesetzt werden. Dieser Tisch würde durch Seitenschrauben und Querbalken zu einem gemeinschaftlichen Myopodiorthotikon umgewandelt und mittelst der am vordern Ende etwas stärker in die Höhe strebenden Nasenstege den einzelnen Kindern, entsprechend der jedesmaligen Sehweite, angepaßt. Nur hiedurch, aber nicht durch den in den Schulen ab und an erschallenden, wenn auch mitunter durch einen physischen Nachdruck geschärften Ruf „Kopf zurück!“ wird es möglich seyn, das so allgemein herrschende Leiden der Kurzsichtigkeit im Allgemeinen und im Keime zu ersticken.“ Dazu dürfte aber wohl die Mitwirkung der Regierungen, welche die Einführung solcher Vorrichtungen in öffentlichen Schulen und Unterrichtsanstalten den Vorstehern derselben zur Pflicht machen müßten, erforderlich seyn. Die Extreme in Frankreich. _ Paris, 30 April. „Erzähle mir was du heute gesäet hast, und ich will dir voraussagen was du morgen ernten wirst!“ An dieses Sprüchwort des kernichten Sancho dachte ich dieser Tage, als ich im Faubourg Saint-Marceau

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840, S. 1018. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_128_18400507/10>, abgerufen am 30.04.2024.