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Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840.

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Wissenschaftliches und Litterarisches aus Rußland.

(Beschluß.)

Die Reisen der Akademiker Hamel und Fritsche nach Deutschland, Frankreich und England hatten die vertrautere Bekanntschaft mit den neuesten wissenschaftlichen Entdeckungen, welche in der ganzen gebildeten Welt so viel Aufsehen erregt haben, mit den heliographischen Versuchen Daguerre's in Frankreich, Talbots in England und Ehrenbergs neuesten Entdeckungen in der mikroskopischen Infusorienwelt zum Gegenstand. Ihre Berichte setzen die Akademie in den Stand, sich jetzt ausführlicher mit diesen wichtigen Entdeckungen in Beziehung auf Rußland zu beschäftigen.

Noch hat ein für die staatswirthschaftlichen Interessen überaus wichtiger Gegenstand die Akademie in den letzten Monaten viel beschäftigt. Im letzten Decennium nahm man in mehreren Gegenden des Reichs eine sichtliche Abnahme des Wassers in den meisten unserer Ströme, vornehmlich in der Wolga, dem größten unter ihnen, wahr. Die Centraldirection der Wegeverbindungen, das Ministerium der Reichsdomänen und andere mehr oder minder bei dieser Erscheinung betheiligte Verwaltungsbehörden wurden von höchster Seite beauftragt, den Ursachen derselben genau nachzuforschen. Man schrieb sie im Allgemeinen der immer größern Abnahme und Lichtung der Wälder zu. Endlich ward dieser Gegenstand, begleitet von den Ansichten der bisher befragten Behörden, der Akademie zur Beurtheilung vorgelegt. Sie setzte dafür aus ihrer Mitte eine besondere Commission nieder, zu deren Berichterstatter der als Physiker so berühmte Akademiker Parrot gewählt wurde. Die Commission prüfte die ihr vorgelegte Frage zuerst theoretisch: welchen Einfluß Wälder auf Ströme überhaupt äußern; sie prüfte darauf genau die frühern über diese Erscheinung angestellten Beobachtungen, welche obige Behauptung zu bestätigen scheinen, untersuchte, bis zu welchem Grad sich dieser Einfluß der Wälder auf die Flüsse erstrecken kann, und hat jetzt für fortgesetzte künftige Beobachtungen einen Plan entworfen, bei dessen Ausführung man sich von der Wirklichkeit besagten Factums wird überzeugen und Mittel aufsuchen können, die den großen daraus hervorgehenden Nachtheil abwenden.

Endlich darf es bei Erwähnung des so gemeinnützig thätigen Wirkens der Akademie für Verbreitung der Nationalintelligenz hier nicht unbemerkt bleiben, daß in jedem Winter einige ihrer Glieder unentgeltliche Vorlesungen für ein größeres Publicum, hauptsächlich über solche wissenschaftliche Gegenstände halten, welche in die Sphäre der gewerbtreibenden und industriellen Classen einschlagen.

Die naturforschende Gesellschaft in Moskau läßt jetzt im Interesse ihrer Wissenschaft eine sehr interessante Reise durch eines ihrer Mitglieder, den Hofrath Kavelin, vollziehen. Derselbe hat sich bereits nach Orenburg begeben, geht von dort über Omsk und Semipalatinsk nach Barnaul, gedenkt den nächsten Frühling, der auf den Höhen des Altaygebirgs sehr spät eintritt, in der großen Kirgisenhorde zwischen Buchtarma und Semipalatinsk zuzubringen, und wird suchen, so weit es die Umstände erlauben, so tief als möglich in die Steppe einzudringen. Im Mai setzt er die Reise über das Altay- und sajanische Gebirg bis zum Jenissey fort und hofft damit den Sommer zuzubringen. Den Winter von 1840 und 1841 will er in Minussinsk oder Krasnojarsk verleben und von dort Ausflüge in die Umgegenden machen, um Thiere einzusammeln. Im Sommer 1841 gedenkt er die Reise weiter nach Osten fortzusetzen und wo möglich die Gebirgsketten längs der chinesischen Gränze zu verfolgen. Die Dauer dieser Reise ist auf zwei Jahre festgesetzt; ihre Kosten trägt die obgedachte Gesellschaft.

In einem frühern Schreiben erwähnte ich einer wichtigen Erscheinung in unserer Nationalliteratur, der Vorlesungen über russische Grammatik und Litteratur, welche Hr. v. Gretsch, einer der ausgezeichnetsten Grammatiker und Sprachforscher unter den jetzt lebenden Russen, vor einem überaus zahlreichen und aus allen Ständen gemischten Publicum von Herren und Damen hielt. Es beweist dieß, wie sehr man jetzt bei uns bemüht ist, die bisher so vernachlässigte Landessprache gründlich zu erlernen. Es heißt, Hr. v. Gretsch wolle diese Vorlesungen später durch den Druck veröffentlichen. Sie werden gewiß in Erwägung ihres reichen und belehrenden Inhalts über die russische Sprache und Litteratur eine der wichtigsten und interessantesten Erscheinungen werden, welche die Nationallitteratur in neuester Zeit aufzuweisen hat.

Eben hat der 2te Band der Reiseskizzen des Hrn. v. Dawidow durch Griechenland und Kleinasien die Presse verlassen. Schon der erste Band zog bei seiner Erscheinung allgemeines Interesse auf sich, nicht minderes Lob wird dem zweiten Bande gezollt werden, der die Zugabe eines besondern Atlasses, Ansichten und Plane über bemerkenswerthe Gegenstände der vom Verfasser besuchten Länder enthält.

In der russisch periodischen Litteratur tauchten im Beginn dieses Jahres zwei neue bemerkenswerthe Erscheinungen auf: "der Leuchtthurm der gegenwärtigen Aufklärung und Cultur", von den HH. Korsakow und Buratschek herausgegeben. Werthvollere Aufsätze russischer Litteraten und Gelehrten, die auf einem andern Wege nicht so leicht für die Presse zugänglich werden dürften, sollen hier Aufnahme finden; dabei auch den wissenswerthesten Erscheinungen des Auslandes die gehörige Berücksichtigung geschenkt werden; das Pantheon für russische und europäische Dramaturgie, ein Repertoire ausschließlich für die Erzeugnisse der Nationalbühne, besteht schon seit dem vergangenen Jahr. Das europäische Pantheon enthält in seinem zweiten Monatsheft ein neues Trauerspiel des Barons Rosen: die Tochter des Zaars Johanns III, der Landesgeschichte entlehnt. Baron Rosen und Kukolnik nehmen unter den neuern russischen dramatischen Schriftstellern einen ehrenvollen Platz ein. Sie haben die Landesbühne schon mit vielen trefflichen, der russischen Geschichte entlehnten Stücken bereichert. Von der Feder des letztern sehen wir mit Ungeduld dem bereits vor längerer Zeit schon von ihm angekündigten neuen Drama: Patkul, jenem bekannten Martyrer unter Karl XII, entgegen.

Im Mai soll in der Buchhandlung Smirdins der zweite Band der hundert russischen Schriftsteller erscheinen. Der erste erschien im Mai vergangenen Jahres. Gleich dem ersten wird auch der zweite Band die bis jetzt noch nirgends im Druck erschienenen Erzeugnisse der russischen Classiker, sowohl der frühern als der gegenwärtigen, enthalten und dazu dem Inhalte der Aufsätze entlehnte Abbildungen und die Porträts der vorkommenden Schriftsteller, sämmtlich in Paris gravirt, liefern. Die im zweiten Bande benutzten Schriftsteller sind: Schischkow, Sagoskin, Krülow, Panajew, Kamensky, Massalsky, Nadeschdin, Weltmann, Werewkin und Bulgarin.

Das große Nationalwerk der russischen Litteratur, das Conversationslexikon, das im Jahr 1835 unter der Mitwirkung der

Wissenschaftliches und Litterarisches aus Rußland.

(Beschluß.)

Die Reisen der Akademiker Hamel und Fritsche nach Deutschland, Frankreich und England hatten die vertrautere Bekanntschaft mit den neuesten wissenschaftlichen Entdeckungen, welche in der ganzen gebildeten Welt so viel Aufsehen erregt haben, mit den heliographischen Versuchen Daguerre's in Frankreich, Talbots in England und Ehrenbergs neuesten Entdeckungen in der mikroskopischen Infusorienwelt zum Gegenstand. Ihre Berichte setzen die Akademie in den Stand, sich jetzt ausführlicher mit diesen wichtigen Entdeckungen in Beziehung auf Rußland zu beschäftigen.

Noch hat ein für die staatswirthschaftlichen Interessen überaus wichtiger Gegenstand die Akademie in den letzten Monaten viel beschäftigt. Im letzten Decennium nahm man in mehreren Gegenden des Reichs eine sichtliche Abnahme des Wassers in den meisten unserer Ströme, vornehmlich in der Wolga, dem größten unter ihnen, wahr. Die Centraldirection der Wegeverbindungen, das Ministerium der Reichsdomänen und andere mehr oder minder bei dieser Erscheinung betheiligte Verwaltungsbehörden wurden von höchster Seite beauftragt, den Ursachen derselben genau nachzuforschen. Man schrieb sie im Allgemeinen der immer größern Abnahme und Lichtung der Wälder zu. Endlich ward dieser Gegenstand, begleitet von den Ansichten der bisher befragten Behörden, der Akademie zur Beurtheilung vorgelegt. Sie setzte dafür aus ihrer Mitte eine besondere Commission nieder, zu deren Berichterstatter der als Physiker so berühmte Akademiker Parrot gewählt wurde. Die Commission prüfte die ihr vorgelegte Frage zuerst theoretisch: welchen Einfluß Wälder auf Ströme überhaupt äußern; sie prüfte darauf genau die frühern über diese Erscheinung angestellten Beobachtungen, welche obige Behauptung zu bestätigen scheinen, untersuchte, bis zu welchem Grad sich dieser Einfluß der Wälder auf die Flüsse erstrecken kann, und hat jetzt für fortgesetzte künftige Beobachtungen einen Plan entworfen, bei dessen Ausführung man sich von der Wirklichkeit besagten Factums wird überzeugen und Mittel aufsuchen können, die den großen daraus hervorgehenden Nachtheil abwenden.

Endlich darf es bei Erwähnung des so gemeinnützig thätigen Wirkens der Akademie für Verbreitung der Nationalintelligenz hier nicht unbemerkt bleiben, daß in jedem Winter einige ihrer Glieder unentgeltliche Vorlesungen für ein größeres Publicum, hauptsächlich über solche wissenschaftliche Gegenstände halten, welche in die Sphäre der gewerbtreibenden und industriellen Classen einschlagen.

Die naturforschende Gesellschaft in Moskau läßt jetzt im Interesse ihrer Wissenschaft eine sehr interessante Reise durch eines ihrer Mitglieder, den Hofrath Kavelin, vollziehen. Derselbe hat sich bereits nach Orenburg begeben, geht von dort über Omsk und Semipalatinsk nach Barnaul, gedenkt den nächsten Frühling, der auf den Höhen des Altaygebirgs sehr spät eintritt, in der großen Kirgisenhorde zwischen Buchtarma und Semipalatinsk zuzubringen, und wird suchen, so weit es die Umstände erlauben, so tief als möglich in die Steppe einzudringen. Im Mai setzt er die Reise über das Altay- und sajanische Gebirg bis zum Jenissey fort und hofft damit den Sommer zuzubringen. Den Winter von 1840 und 1841 will er in Minussinsk oder Krasnojarsk verleben und von dort Ausflüge in die Umgegenden machen, um Thiere einzusammeln. Im Sommer 1841 gedenkt er die Reise weiter nach Osten fortzusetzen und wo möglich die Gebirgsketten längs der chinesischen Gränze zu verfolgen. Die Dauer dieser Reise ist auf zwei Jahre festgesetzt; ihre Kosten trägt die obgedachte Gesellschaft.

In einem frühern Schreiben erwähnte ich einer wichtigen Erscheinung in unserer Nationalliteratur, der Vorlesungen über russische Grammatik und Litteratur, welche Hr. v. Gretsch, einer der ausgezeichnetsten Grammatiker und Sprachforscher unter den jetzt lebenden Russen, vor einem überaus zahlreichen und aus allen Ständen gemischten Publicum von Herren und Damen hielt. Es beweist dieß, wie sehr man jetzt bei uns bemüht ist, die bisher so vernachlässigte Landessprache gründlich zu erlernen. Es heißt, Hr. v. Gretsch wolle diese Vorlesungen später durch den Druck veröffentlichen. Sie werden gewiß in Erwägung ihres reichen und belehrenden Inhalts über die russische Sprache und Litteratur eine der wichtigsten und interessantesten Erscheinungen werden, welche die Nationallitteratur in neuester Zeit aufzuweisen hat.

Eben hat der 2te Band der Reiseskizzen des Hrn. v. Dawidow durch Griechenland und Kleinasien die Presse verlassen. Schon der erste Band zog bei seiner Erscheinung allgemeines Interesse auf sich, nicht minderes Lob wird dem zweiten Bande gezollt werden, der die Zugabe eines besondern Atlasses, Ansichten und Plane über bemerkenswerthe Gegenstände der vom Verfasser besuchten Länder enthält.

In der russisch periodischen Litteratur tauchten im Beginn dieses Jahres zwei neue bemerkenswerthe Erscheinungen auf: „der Leuchtthurm der gegenwärtigen Aufklärung und Cultur“, von den HH. Korsakow und Buratschek herausgegeben. Werthvollere Aufsätze russischer Litteraten und Gelehrten, die auf einem andern Wege nicht so leicht für die Presse zugänglich werden dürften, sollen hier Aufnahme finden; dabei auch den wissenswerthesten Erscheinungen des Auslandes die gehörige Berücksichtigung geschenkt werden; das Pantheon für russische und europäische Dramaturgie, ein Repertoire ausschließlich für die Erzeugnisse der Nationalbühne, besteht schon seit dem vergangenen Jahr. Das europäische Pantheon enthält in seinem zweiten Monatsheft ein neues Trauerspiel des Barons Rosen: die Tochter des Zaars Johanns III, der Landesgeschichte entlehnt. Baron Rosen und Kukolnik nehmen unter den neuern russischen dramatischen Schriftstellern einen ehrenvollen Platz ein. Sie haben die Landesbühne schon mit vielen trefflichen, der russischen Geschichte entlehnten Stücken bereichert. Von der Feder des letztern sehen wir mit Ungeduld dem bereits vor längerer Zeit schon von ihm angekündigten neuen Drama: Patkul, jenem bekannten Martyrer unter Karl XII, entgegen.

Im Mai soll in der Buchhandlung Smirdins der zweite Band der hundert russischen Schriftsteller erscheinen. Der erste erschien im Mai vergangenen Jahres. Gleich dem ersten wird auch der zweite Band die bis jetzt noch nirgends im Druck erschienenen Erzeugnisse der russischen Classiker, sowohl der frühern als der gegenwärtigen, enthalten und dazu dem Inhalte der Aufsätze entlehnte Abbildungen und die Porträts der vorkommenden Schriftsteller, sämmtlich in Paris gravirt, liefern. Die im zweiten Bande benutzten Schriftsteller sind: Schischkow, Sagoskin, Krülow, Panajew, Kamensky, Massalsky, Nadeschdin, Weltmann, Werewkin und Bulgarin.

Das große Nationalwerk der russischen Litteratur, das Conversationslexikon, das im Jahr 1835 unter der Mitwirkung der

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[1017/0009] Wissenschaftliches und Litterarisches aus Rußland. (Beschluß.) Die Reisen der Akademiker Hamel und Fritsche nach Deutschland, Frankreich und England hatten die vertrautere Bekanntschaft mit den neuesten wissenschaftlichen Entdeckungen, welche in der ganzen gebildeten Welt so viel Aufsehen erregt haben, mit den heliographischen Versuchen Daguerre's in Frankreich, Talbots in England und Ehrenbergs neuesten Entdeckungen in der mikroskopischen Infusorienwelt zum Gegenstand. Ihre Berichte setzen die Akademie in den Stand, sich jetzt ausführlicher mit diesen wichtigen Entdeckungen in Beziehung auf Rußland zu beschäftigen. Noch hat ein für die staatswirthschaftlichen Interessen überaus wichtiger Gegenstand die Akademie in den letzten Monaten viel beschäftigt. Im letzten Decennium nahm man in mehreren Gegenden des Reichs eine sichtliche Abnahme des Wassers in den meisten unserer Ströme, vornehmlich in der Wolga, dem größten unter ihnen, wahr. Die Centraldirection der Wegeverbindungen, das Ministerium der Reichsdomänen und andere mehr oder minder bei dieser Erscheinung betheiligte Verwaltungsbehörden wurden von höchster Seite beauftragt, den Ursachen derselben genau nachzuforschen. Man schrieb sie im Allgemeinen der immer größern Abnahme und Lichtung der Wälder zu. Endlich ward dieser Gegenstand, begleitet von den Ansichten der bisher befragten Behörden, der Akademie zur Beurtheilung vorgelegt. Sie setzte dafür aus ihrer Mitte eine besondere Commission nieder, zu deren Berichterstatter der als Physiker so berühmte Akademiker Parrot gewählt wurde. Die Commission prüfte die ihr vorgelegte Frage zuerst theoretisch: welchen Einfluß Wälder auf Ströme überhaupt äußern; sie prüfte darauf genau die frühern über diese Erscheinung angestellten Beobachtungen, welche obige Behauptung zu bestätigen scheinen, untersuchte, bis zu welchem Grad sich dieser Einfluß der Wälder auf die Flüsse erstrecken kann, und hat jetzt für fortgesetzte künftige Beobachtungen einen Plan entworfen, bei dessen Ausführung man sich von der Wirklichkeit besagten Factums wird überzeugen und Mittel aufsuchen können, die den großen daraus hervorgehenden Nachtheil abwenden. Endlich darf es bei Erwähnung des so gemeinnützig thätigen Wirkens der Akademie für Verbreitung der Nationalintelligenz hier nicht unbemerkt bleiben, daß in jedem Winter einige ihrer Glieder unentgeltliche Vorlesungen für ein größeres Publicum, hauptsächlich über solche wissenschaftliche Gegenstände halten, welche in die Sphäre der gewerbtreibenden und industriellen Classen einschlagen. Die naturforschende Gesellschaft in Moskau läßt jetzt im Interesse ihrer Wissenschaft eine sehr interessante Reise durch eines ihrer Mitglieder, den Hofrath Kavelin, vollziehen. Derselbe hat sich bereits nach Orenburg begeben, geht von dort über Omsk und Semipalatinsk nach Barnaul, gedenkt den nächsten Frühling, der auf den Höhen des Altaygebirgs sehr spät eintritt, in der großen Kirgisenhorde zwischen Buchtarma und Semipalatinsk zuzubringen, und wird suchen, so weit es die Umstände erlauben, so tief als möglich in die Steppe einzudringen. Im Mai setzt er die Reise über das Altay- und sajanische Gebirg bis zum Jenissey fort und hofft damit den Sommer zuzubringen. Den Winter von 1840 und 1841 will er in Minussinsk oder Krasnojarsk verleben und von dort Ausflüge in die Umgegenden machen, um Thiere einzusammeln. Im Sommer 1841 gedenkt er die Reise weiter nach Osten fortzusetzen und wo möglich die Gebirgsketten längs der chinesischen Gränze zu verfolgen. Die Dauer dieser Reise ist auf zwei Jahre festgesetzt; ihre Kosten trägt die obgedachte Gesellschaft. In einem frühern Schreiben erwähnte ich einer wichtigen Erscheinung in unserer Nationalliteratur, der Vorlesungen über russische Grammatik und Litteratur, welche Hr. v. Gretsch, einer der ausgezeichnetsten Grammatiker und Sprachforscher unter den jetzt lebenden Russen, vor einem überaus zahlreichen und aus allen Ständen gemischten Publicum von Herren und Damen hielt. Es beweist dieß, wie sehr man jetzt bei uns bemüht ist, die bisher so vernachlässigte Landessprache gründlich zu erlernen. Es heißt, Hr. v. Gretsch wolle diese Vorlesungen später durch den Druck veröffentlichen. Sie werden gewiß in Erwägung ihres reichen und belehrenden Inhalts über die russische Sprache und Litteratur eine der wichtigsten und interessantesten Erscheinungen werden, welche die Nationallitteratur in neuester Zeit aufzuweisen hat. Eben hat der 2te Band der Reiseskizzen des Hrn. v. Dawidow durch Griechenland und Kleinasien die Presse verlassen. Schon der erste Band zog bei seiner Erscheinung allgemeines Interesse auf sich, nicht minderes Lob wird dem zweiten Bande gezollt werden, der die Zugabe eines besondern Atlasses, Ansichten und Plane über bemerkenswerthe Gegenstände der vom Verfasser besuchten Länder enthält. In der russisch periodischen Litteratur tauchten im Beginn dieses Jahres zwei neue bemerkenswerthe Erscheinungen auf: „der Leuchtthurm der gegenwärtigen Aufklärung und Cultur“, von den HH. Korsakow und Buratschek herausgegeben. Werthvollere Aufsätze russischer Litteraten und Gelehrten, die auf einem andern Wege nicht so leicht für die Presse zugänglich werden dürften, sollen hier Aufnahme finden; dabei auch den wissenswerthesten Erscheinungen des Auslandes die gehörige Berücksichtigung geschenkt werden; das Pantheon für russische und europäische Dramaturgie, ein Repertoire ausschließlich für die Erzeugnisse der Nationalbühne, besteht schon seit dem vergangenen Jahr. Das europäische Pantheon enthält in seinem zweiten Monatsheft ein neues Trauerspiel des Barons Rosen: die Tochter des Zaars Johanns III, der Landesgeschichte entlehnt. Baron Rosen und Kukolnik nehmen unter den neuern russischen dramatischen Schriftstellern einen ehrenvollen Platz ein. Sie haben die Landesbühne schon mit vielen trefflichen, der russischen Geschichte entlehnten Stücken bereichert. Von der Feder des letztern sehen wir mit Ungeduld dem bereits vor längerer Zeit schon von ihm angekündigten neuen Drama: Patkul, jenem bekannten Martyrer unter Karl XII, entgegen. Im Mai soll in der Buchhandlung Smirdins der zweite Band der hundert russischen Schriftsteller erscheinen. Der erste erschien im Mai vergangenen Jahres. Gleich dem ersten wird auch der zweite Band die bis jetzt noch nirgends im Druck erschienenen Erzeugnisse der russischen Classiker, sowohl der frühern als der gegenwärtigen, enthalten und dazu dem Inhalte der Aufsätze entlehnte Abbildungen und die Porträts der vorkommenden Schriftsteller, sämmtlich in Paris gravirt, liefern. Die im zweiten Bande benutzten Schriftsteller sind: Schischkow, Sagoskin, Krülow, Panajew, Kamensky, Massalsky, Nadeschdin, Weltmann, Werewkin und Bulgarin. Das große Nationalwerk der russischen Litteratur, das Conversationslexikon, das im Jahr 1835 unter der Mitwirkung der

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 128. Augsburg, 7. Mai 1840, S. 1017. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_128_18400507/9>, abgerufen am 30.04.2024.