Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 135. Augsburg, 14. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Haus der Gemeinen, Sitzung vom 7 Mai. Die Versammlung wenig besucht und durch nichts bemerkenswerth, als durch Einreichung einer großen Menge Bittschriften, darunter 70 von O'Connell gegen Lord Stanley's irische Wählerbill; eine einzige dieser Bittschriften, aus Leinster, hervorgegangen aus einem großen Meeting vom 29 April, enthält 100,000 Unterschriften.

Die vorgestern erwähnte Rede Lord John Russells bei Vorbringung der Bill über Wahlverbesserung in England lautet in kurzem Auszuge wie folgt: "Das Wahlregistrirungsverfahren, das die Regierung vorschlägt, hat keineswegs den Zweck, das Stimmrecht auf eine Menge neuer, vielleicht nicht ganz würdiger Wähler auszudehnen, sondern beabsichtigt nur, einmal, jenes Recht denjenigen Bürgern, die es bereits gesetzmäßig besitzen, vollkommen zu sichern und in seiner Ausübung möglichst zu erleichtern, und zweitens, auch allen vernünftigen Ansprüchen englischer Unterthanen an jenes Recht einen deutlichen und bequemen Weg der Prüfung und Anerkennung darzubieten. Denn gewiß muß man, im Sinne des öffentlichen Wohls, wünschen, daß ein jeder solcher Anspruch nicht wie ein Versuch zur Störung des gemeinen Nutzens, sondern vielmehr wie ein Versuch zur Beförderung desselben angesehen und behandelt werde. Nach diesen Grundsätzen bring' ich zwei neue Gesetze in Vorschlag, eines über die Ernennung eines permanenten aus 15 Anwälten (barristers) bestehenden Untersuchungsgerichtshofs für Wahlrecht und Wahlansprüche, und eins über die genauere Bestimmung des bei den Wählern erforderlichen Steuernbetrags. Was die erste Bill, den Vorschlag zur Ernennung eines neuen Wahlgerichtshofes, betrifft, so soll diese Ernennung den vielen Unbequemlichkeiten und Plackereien ein Ende machen, denen die Wähler durch das jetzige Untersuchungsverfahren ausgesetzt sind. Denn indem die jetzt jährlich neuerwählten 174 Anwälte theils unter sich, theils auch mit ihren Vorgängern in keiner ordentlichen Uebereinstimmung stehen, sieht sich der Wähler genöthigt, sein Wahlrecht nicht nur alle Jahr wieder von neuem, sondern auch oft in demselben Jahr vor verschiedenen Anwälten von neuem zu beweisen, und gibt, bei großer Entfernung seiner Grundbesitze von einander, oft lieber sein an einen solchen entfernten Grundbesitz geknüpftes Wahlrecht ganz auf, als daß er, zur wiederholten Darthuung desselben, sich erst noch einer langen kostspieligen Reise unterziehe. Ja, es ist vorgekommen, daß Gegner des entfernten Wählenden, auf dessen Reisescheu rechnend, eine Menge von Scheingründen gegen das ihm zustehende Wahlrecht erhoben, die sie, wenn er nun dennoch eintraf, augenblicklich wieder zurücknahmen. Der permanente Untersuchungsgerichtshof, den ich, um solchen Uebeln abzuhelfen, nun also vorschlage, würde aus einer kleinen fixen Anzahl, ungefähr aus 15, Untersuchungsanwälten bestehen, von denen, zur Entscheidung streitiger Fälle, 12 jeder einen ihm bestimmten Bezirk bereisen, 3 ein stehendes Appellationsgericht bilden sollten. Als Grund für neue Untersuchung bei einmal zuerkanntem Rechte dürften nur förmlich eingereichte Einsprüche oder entschiedene Veränderungen in des Wählers äußerer Lage angesehen werden; der Ausspruch des einzelnen Anwalts müßte bei factischen Fragen entscheidend seyn, und nur bei gesetzbetreffenden Fragen den Appell zulassen. Uebrigens muß dann jedenfalls von diesem ersten Appellationsgerichte noch ein zweiter Appell an das Haus selbst stattfinden dürfen. Hinsichtlich der Ernennung jener fünfzehn Registrirungsanwälte, meine ich, daß selbige zunächst von den Richtern, die bis jetzt auch die 174 Anwälte ernannten, ausgehen müsse, und zwar so, daß jeder der 15 Richter drei Candidaten vorschlüge; von diesen 45 Candidaten aber solle dann der Sprecher des Hauses die fünfzehn wirklichen Anwälte auswählen. - Meine zweite Bill enthält nur wenige und auch diese schon meistens aus frühern Bills bekannte Bestimmungen, hinsichtlich des Schätzens gewisser das Stimmrecht bedingenden Leistungen, nämlich folgende: 1) in Wahlorten (boroughs) sollen von den erforderlichen 10 Pf. wenigstens 5 Pf. in Hauseigenthum bestehen; 2) in Grafschaften sollen vereinte Besitzer eines hinreichenden Eigenthums jeder so stimmen dürfen als sie in Boroughs thun; 3) das Bezahlthaben einer directen oder Armensteuer soll nicht nothwendig seyn, wenn sie nicht wenigstens sechs Monate vor der Wahl fällig war; 4) Niemand soll seine Stimme in einer Wahl deßhalb verlieren, weil er seit der letzten Wahl seinen Aufenthalt geändert hat." - (Letztere Bill nennt die Times eine Wiederholung der früheren von den Radicalen unternommenen Versuche alles ihnen in der Reformbill noch Unbequeme nach und nach abzuschaffen.) Wir haben schon berichtet, daß das Haus die Einbringung beider Bills gestattete.

Frankreich.

Der König der Belgier ist am 7 Mai wieder nach Brüssel zurückgereist.

Die Armee hat einen empfindlichen Verlust durch den Tod des Generallieutenants Vicomte Rogniat erlitten. Er war Präsident des Comite's des Geniewesens, Mitglied der Pairskammer, der Akademie der Wissenschaften u. s. w. Er starb am 8 Mai nach einer kurzen Krankheit in seinem 64sten Jahre. Noch vor wenigen Tagen hatte er aus Anlaß des Gesetzes, die Einführung der Percussionsflinten betreffend, in der Pairskammer eine wichtige Rede gehalten.

Alle Blätter legen Bedeutung auf die Sprache, mit welcher dießmal der Vertreter des Erzbisthums von Paris, Abbe Affre, dem König bei seinem Namensfeste begrüßte: "Ihre Sorgfalt für die Interessen der Religion (sagte er zu dem Monarchen) hat Ihnen unsern und den Dank aller französischen Katholiken erworben. Wir fühlen uns glücklich, Ihnen die Versicherung darbringen zu können, daß zu keiner Zeit der Clerus besser erkannt hat, von welcher Art seine Hingebung für jenes vielgeliebte Frankreich seyn müsse, das uns nie unempfindlich finden wird für seinen Ruhm, seine Wohlfahrt und alle Wechselfälle seiner guten und seiner bösen Geschicke. Um ihm mit Eifer und mit Liebe zu dienen, wünschen wir nicht das, was andere Wohlthaten nennen, wir aber als schwere Gefahr bringend fürchten. Die Reichthümer der Geistlichkeit und ihre politischen Einflüsse, welche hervorragende Tugend so oft zum Glück der Gesellschaft, zum doppelten Ruhme der Kirche und des Staates anwandten, trugen eben so häufig dazu bei, ein Amt zu lähmen, das, wenn es mit Erfolg geübt werden soll, die größte Selbstverläugnung erheischt. Jene Selbstverläugnung wird uns eine theure Pflicht seyn, wenn sie uns dazu hilft, den dreifachen Beruf, den wir von unserm göttlichen Meister erhielten, zu erfüllen: den Armen zu trösten, Herz und Geist der Jugend zu bilden, und in Aller Gemüth jenen Frieden, jenes christliche Wohlwollen zu prägen, wodurch politische Erschütterungen gestillt oder verhütet werden. Einzig im Interesse einer so heiligen Aufgabe trachten wir nach der zur Erfüllung derselben nöthigen evangelischen Freiheit. Mögen diese Gefühle, deren volle Aufrichtigkeit Gott kennt, sich immer klarer zu Tag stellen! Mögen sie uns dazu dienen, den edelsten Ehrgeiz, der unsere Herzen bewegen kann, zu befriedigen, nämlich ein Band zu seyn, das um so stärker, je uneigennütziger es ist, zwischen allen Mitgliedern einer Gesellschaft, in welcher wir nur Freunde und Brüder erblicken!" -

Haus der Gemeinen, Sitzung vom 7 Mai. Die Versammlung wenig besucht und durch nichts bemerkenswerth, als durch Einreichung einer großen Menge Bittschriften, darunter 70 von O'Connell gegen Lord Stanley's irische Wählerbill; eine einzige dieser Bittschriften, aus Leinster, hervorgegangen aus einem großen Meeting vom 29 April, enthält 100,000 Unterschriften.

Die vorgestern erwähnte Rede Lord John Russells bei Vorbringung der Bill über Wahlverbesserung in England lautet in kurzem Auszuge wie folgt: „Das Wahlregistrirungsverfahren, das die Regierung vorschlägt, hat keineswegs den Zweck, das Stimmrecht auf eine Menge neuer, vielleicht nicht ganz würdiger Wähler auszudehnen, sondern beabsichtigt nur, einmal, jenes Recht denjenigen Bürgern, die es bereits gesetzmäßig besitzen, vollkommen zu sichern und in seiner Ausübung möglichst zu erleichtern, und zweitens, auch allen vernünftigen Ansprüchen englischer Unterthanen an jenes Recht einen deutlichen und bequemen Weg der Prüfung und Anerkennung darzubieten. Denn gewiß muß man, im Sinne des öffentlichen Wohls, wünschen, daß ein jeder solcher Anspruch nicht wie ein Versuch zur Störung des gemeinen Nutzens, sondern vielmehr wie ein Versuch zur Beförderung desselben angesehen und behandelt werde. Nach diesen Grundsätzen bring' ich zwei neue Gesetze in Vorschlag, eines über die Ernennung eines permanenten aus 15 Anwälten (barristers) bestehenden Untersuchungsgerichtshofs für Wahlrecht und Wahlansprüche, und eins über die genauere Bestimmung des bei den Wählern erforderlichen Steuernbetrags. Was die erste Bill, den Vorschlag zur Ernennung eines neuen Wahlgerichtshofes, betrifft, so soll diese Ernennung den vielen Unbequemlichkeiten und Plackereien ein Ende machen, denen die Wähler durch das jetzige Untersuchungsverfahren ausgesetzt sind. Denn indem die jetzt jährlich neuerwählten 174 Anwälte theils unter sich, theils auch mit ihren Vorgängern in keiner ordentlichen Uebereinstimmung stehen, sieht sich der Wähler genöthigt, sein Wahlrecht nicht nur alle Jahr wieder von neuem, sondern auch oft in demselben Jahr vor verschiedenen Anwälten von neuem zu beweisen, und gibt, bei großer Entfernung seiner Grundbesitze von einander, oft lieber sein an einen solchen entfernten Grundbesitz geknüpftes Wahlrecht ganz auf, als daß er, zur wiederholten Darthuung desselben, sich erst noch einer langen kostspieligen Reise unterziehe. Ja, es ist vorgekommen, daß Gegner des entfernten Wählenden, auf dessen Reisescheu rechnend, eine Menge von Scheingründen gegen das ihm zustehende Wahlrecht erhoben, die sie, wenn er nun dennoch eintraf, augenblicklich wieder zurücknahmen. Der permanente Untersuchungsgerichtshof, den ich, um solchen Uebeln abzuhelfen, nun also vorschlage, würde aus einer kleinen fixen Anzahl, ungefähr aus 15, Untersuchungsanwälten bestehen, von denen, zur Entscheidung streitiger Fälle, 12 jeder einen ihm bestimmten Bezirk bereisen, 3 ein stehendes Appellationsgericht bilden sollten. Als Grund für neue Untersuchung bei einmal zuerkanntem Rechte dürften nur förmlich eingereichte Einsprüche oder entschiedene Veränderungen in des Wählers äußerer Lage angesehen werden; der Ausspruch des einzelnen Anwalts müßte bei factischen Fragen entscheidend seyn, und nur bei gesetzbetreffenden Fragen den Appell zulassen. Uebrigens muß dann jedenfalls von diesem ersten Appellationsgerichte noch ein zweiter Appell an das Haus selbst stattfinden dürfen. Hinsichtlich der Ernennung jener fünfzehn Registrirungsanwälte, meine ich, daß selbige zunächst von den Richtern, die bis jetzt auch die 174 Anwälte ernannten, ausgehen müsse, und zwar so, daß jeder der 15 Richter drei Candidaten vorschlüge; von diesen 45 Candidaten aber solle dann der Sprecher des Hauses die fünfzehn wirklichen Anwälte auswählen. – Meine zweite Bill enthält nur wenige und auch diese schon meistens aus frühern Bills bekannte Bestimmungen, hinsichtlich des Schätzens gewisser das Stimmrecht bedingenden Leistungen, nämlich folgende: 1) in Wahlorten (boroughs) sollen von den erforderlichen 10 Pf. wenigstens 5 Pf. in Hauseigenthum bestehen; 2) in Grafschaften sollen vereinte Besitzer eines hinreichenden Eigenthums jeder so stimmen dürfen als sie in Boroughs thun; 3) das Bezahlthaben einer directen oder Armensteuer soll nicht nothwendig seyn, wenn sie nicht wenigstens sechs Monate vor der Wahl fällig war; 4) Niemand soll seine Stimme in einer Wahl deßhalb verlieren, weil er seit der letzten Wahl seinen Aufenthalt geändert hat.“ – (Letztere Bill nennt die Times eine Wiederholung der früheren von den Radicalen unternommenen Versuche alles ihnen in der Reformbill noch Unbequeme nach und nach abzuschaffen.) Wir haben schon berichtet, daß das Haus die Einbringung beider Bills gestattete.

Frankreich.

Der König der Belgier ist am 7 Mai wieder nach Brüssel zurückgereist.

Die Armee hat einen empfindlichen Verlust durch den Tod des Generallieutenants Vicomte Rogniat erlitten. Er war Präsident des Comité's des Geniewesens, Mitglied der Pairskammer, der Akademie der Wissenschaften u. s. w. Er starb am 8 Mai nach einer kurzen Krankheit in seinem 64sten Jahre. Noch vor wenigen Tagen hatte er aus Anlaß des Gesetzes, die Einführung der Percussionsflinten betreffend, in der Pairskammer eine wichtige Rede gehalten.

Alle Blätter legen Bedeutung auf die Sprache, mit welcher dießmal der Vertreter des Erzbisthums von Paris, Abbé Affre, dem König bei seinem Namensfeste begrüßte: „Ihre Sorgfalt für die Interessen der Religion (sagte er zu dem Monarchen) hat Ihnen unsern und den Dank aller französischen Katholiken erworben. Wir fühlen uns glücklich, Ihnen die Versicherung darbringen zu können, daß zu keiner Zeit der Clerus besser erkannt hat, von welcher Art seine Hingebung für jenes vielgeliebte Frankreich seyn müsse, das uns nie unempfindlich finden wird für seinen Ruhm, seine Wohlfahrt und alle Wechselfälle seiner guten und seiner bösen Geschicke. Um ihm mit Eifer und mit Liebe zu dienen, wünschen wir nicht das, was andere Wohlthaten nennen, wir aber als schwere Gefahr bringend fürchten. Die Reichthümer der Geistlichkeit und ihre politischen Einflüsse, welche hervorragende Tugend so oft zum Glück der Gesellschaft, zum doppelten Ruhme der Kirche und des Staates anwandten, trugen eben so häufig dazu bei, ein Amt zu lähmen, das, wenn es mit Erfolg geübt werden soll, die größte Selbstverläugnung erheischt. Jene Selbstverläugnung wird uns eine theure Pflicht seyn, wenn sie uns dazu hilft, den dreifachen Beruf, den wir von unserm göttlichen Meister erhielten, zu erfüllen: den Armen zu trösten, Herz und Geist der Jugend zu bilden, und in Aller Gemüth jenen Frieden, jenes christliche Wohlwollen zu prägen, wodurch politische Erschütterungen gestillt oder verhütet werden. Einzig im Interesse einer so heiligen Aufgabe trachten wir nach der zur Erfüllung derselben nöthigen evangelischen Freiheit. Mögen diese Gefühle, deren volle Aufrichtigkeit Gott kennt, sich immer klarer zu Tag stellen! Mögen sie uns dazu dienen, den edelsten Ehrgeiz, der unsere Herzen bewegen kann, zu befriedigen, nämlich ein Band zu seyn, das um so stärker, je uneigennütziger es ist, zwischen allen Mitgliedern einer Gesellschaft, in welcher wir nur Freunde und Brüder erblicken!“ –

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0003" n="1075"/>
          <p><hi rendition="#g">Haus der Gemeinen</hi>, Sitzung vom 7 Mai. Die Versammlung wenig besucht und durch nichts bemerkenswerth, als durch Einreichung einer großen Menge Bittschriften, darunter 70 von O'Connell gegen Lord Stanley's irische Wählerbill; eine einzige dieser Bittschriften, aus Leinster, hervorgegangen aus einem großen Meeting vom 29 April, enthält 100,000 Unterschriften.</p><lb/>
          <p>Die vorgestern erwähnte Rede Lord John <hi rendition="#g">Russells</hi> bei Vorbringung der Bill über Wahlverbesserung in England lautet in kurzem Auszuge wie folgt: &#x201E;Das Wahlregistrirungsverfahren, das die Regierung vorschlägt, hat keineswegs den Zweck, das Stimmrecht auf eine Menge neuer, vielleicht nicht ganz würdiger Wähler auszudehnen, sondern beabsichtigt nur, einmal, jenes Recht denjenigen Bürgern, die es bereits gesetzmäßig besitzen, vollkommen zu sichern und in seiner Ausübung möglichst zu erleichtern, und zweitens, auch allen vernünftigen Ansprüchen englischer Unterthanen an jenes Recht einen deutlichen und bequemen Weg der Prüfung und Anerkennung darzubieten. Denn gewiß muß man, im Sinne des öffentlichen Wohls, wünschen, daß ein jeder solcher Anspruch nicht wie ein Versuch zur Störung des gemeinen Nutzens, sondern vielmehr wie ein Versuch zur Beförderung desselben angesehen und behandelt werde. Nach diesen Grundsätzen bring' ich zwei neue Gesetze in Vorschlag, eines über die Ernennung eines permanenten aus 15 Anwälten (barristers) bestehenden Untersuchungsgerichtshofs für Wahlrecht und Wahlansprüche, und eins über die genauere Bestimmung des bei den Wählern erforderlichen Steuernbetrags. Was die erste Bill, den Vorschlag zur Ernennung eines neuen Wahlgerichtshofes, betrifft, so soll diese Ernennung den vielen Unbequemlichkeiten und Plackereien ein Ende machen, denen die Wähler durch das jetzige Untersuchungsverfahren ausgesetzt sind. Denn indem die jetzt jährlich neuerwählten 174 Anwälte theils unter sich, theils auch mit ihren Vorgängern in keiner ordentlichen Uebereinstimmung stehen, sieht sich der Wähler genöthigt, sein Wahlrecht nicht nur alle Jahr wieder von neuem, sondern auch oft in demselben Jahr vor verschiedenen Anwälten von neuem zu beweisen, und gibt, bei großer Entfernung seiner Grundbesitze von einander, oft lieber sein an einen solchen entfernten Grundbesitz geknüpftes Wahlrecht ganz auf, als daß er, zur wiederholten Darthuung desselben, sich erst noch einer langen kostspieligen Reise unterziehe. Ja, es ist vorgekommen, daß Gegner des entfernten Wählenden, auf dessen Reisescheu rechnend, eine Menge von Scheingründen gegen das ihm zustehende Wahlrecht erhoben, die sie, wenn er nun dennoch eintraf, augenblicklich wieder zurücknahmen. Der permanente Untersuchungsgerichtshof, den ich, um solchen Uebeln abzuhelfen, nun also vorschlage, würde aus einer kleinen fixen Anzahl, ungefähr aus 15, Untersuchungsanwälten bestehen, von denen, zur Entscheidung streitiger Fälle, 12 jeder einen ihm bestimmten Bezirk bereisen, 3 ein stehendes Appellationsgericht bilden sollten. Als Grund für neue Untersuchung bei einmal zuerkanntem Rechte dürften nur förmlich eingereichte Einsprüche oder entschiedene Veränderungen in des Wählers äußerer Lage angesehen werden; der Ausspruch des einzelnen Anwalts müßte bei factischen Fragen entscheidend seyn, und nur bei gesetzbetreffenden Fragen den Appell zulassen. Uebrigens muß dann jedenfalls von diesem ersten Appellationsgerichte noch ein zweiter Appell an das Haus selbst stattfinden dürfen. Hinsichtlich der Ernennung jener fünfzehn Registrirungsanwälte, meine ich, daß selbige zunächst von den Richtern, die bis jetzt auch die 174 Anwälte ernannten, ausgehen müsse, und zwar so, daß jeder der 15 Richter drei Candidaten vorschlüge; von diesen 45 Candidaten aber solle dann der <hi rendition="#g">Sprecher</hi> des Hauses die fünfzehn wirklichen Anwälte auswählen. &#x2013; Meine zweite Bill enthält nur wenige und auch diese schon meistens aus frühern Bills bekannte Bestimmungen, hinsichtlich des Schätzens gewisser das Stimmrecht bedingenden Leistungen, nämlich folgende: 1) in Wahlorten (boroughs) sollen von den erforderlichen 10 Pf. wenigstens 5 Pf. in Hauseigenthum bestehen; 2) in Grafschaften sollen vereinte Besitzer eines hinreichenden Eigenthums jeder so stimmen dürfen als sie in Boroughs thun; 3) das Bezahlthaben einer directen oder Armensteuer soll nicht nothwendig seyn, wenn sie nicht wenigstens sechs Monate vor der Wahl fällig war; 4) Niemand soll seine Stimme in einer Wahl deßhalb verlieren, weil er seit der letzten Wahl seinen Aufenthalt geändert hat.&#x201C; &#x2013; (Letztere Bill nennt die <hi rendition="#g">Times</hi> eine Wiederholung der früheren von den Radicalen unternommenen Versuche alles ihnen in der Reformbill noch Unbequeme nach und nach abzuschaffen.) Wir haben schon berichtet, daß das Haus die Einbringung beider Bills gestattete.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 9 Mai.</dateline>
          <p/><lb/>
          <p>Der König der Belgier ist am 7 Mai wieder nach Brüssel zurückgereist.</p><lb/>
          <p>Die Armee hat einen empfindlichen Verlust durch den Tod des Generallieutenants Vicomte Rogniat erlitten. Er war Präsident des Comité's des Geniewesens, Mitglied der Pairskammer, der Akademie der Wissenschaften u. s. w. Er starb am 8 Mai nach einer kurzen Krankheit in seinem 64sten Jahre. Noch vor wenigen Tagen hatte er aus Anlaß des Gesetzes, die Einführung der Percussionsflinten betreffend, in der Pairskammer eine wichtige Rede gehalten.</p><lb/>
          <p>Alle Blätter legen Bedeutung auf die Sprache, mit welcher dießmal der Vertreter des Erzbisthums von Paris, Abbé Affre, dem König bei seinem Namensfeste begrüßte: &#x201E;Ihre Sorgfalt für die Interessen der Religion (sagte er zu dem Monarchen) hat Ihnen unsern und den Dank aller französischen Katholiken erworben. Wir fühlen uns glücklich, Ihnen die Versicherung darbringen zu können, daß zu keiner Zeit der Clerus besser erkannt hat, von welcher Art seine Hingebung für jenes vielgeliebte Frankreich seyn müsse, das uns nie unempfindlich finden wird für seinen Ruhm, seine Wohlfahrt und alle Wechselfälle seiner guten und seiner bösen Geschicke. Um ihm mit Eifer und mit Liebe zu dienen, wünschen wir nicht das, was andere Wohlthaten nennen, wir aber als schwere Gefahr bringend fürchten. Die Reichthümer der Geistlichkeit und ihre politischen Einflüsse, welche hervorragende Tugend so oft zum Glück der Gesellschaft, zum doppelten Ruhme der Kirche und des Staates anwandten, trugen eben so häufig dazu bei, ein Amt zu lähmen, das, wenn es mit Erfolg geübt werden soll, die größte Selbstverläugnung erheischt. Jene Selbstverläugnung wird uns eine theure Pflicht seyn, wenn sie uns dazu hilft, den dreifachen Beruf, den wir von unserm göttlichen Meister erhielten, zu erfüllen: den Armen zu trösten, Herz und Geist der Jugend zu bilden, und in Aller Gemüth jenen Frieden, jenes christliche Wohlwollen zu prägen, wodurch politische Erschütterungen gestillt oder verhütet werden. Einzig im Interesse einer so heiligen Aufgabe trachten wir nach der zur Erfüllung derselben nöthigen evangelischen Freiheit. Mögen diese Gefühle, deren volle Aufrichtigkeit Gott kennt, sich immer klarer zu Tag stellen! Mögen sie uns dazu dienen, den edelsten Ehrgeiz, der unsere Herzen bewegen kann, zu befriedigen, nämlich ein Band zu seyn, das um so stärker, je uneigennütziger es ist, zwischen allen Mitgliedern einer Gesellschaft, in welcher wir nur Freunde und Brüder erblicken!&#x201C; &#x2013;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1075/0003] Haus der Gemeinen, Sitzung vom 7 Mai. Die Versammlung wenig besucht und durch nichts bemerkenswerth, als durch Einreichung einer großen Menge Bittschriften, darunter 70 von O'Connell gegen Lord Stanley's irische Wählerbill; eine einzige dieser Bittschriften, aus Leinster, hervorgegangen aus einem großen Meeting vom 29 April, enthält 100,000 Unterschriften. Die vorgestern erwähnte Rede Lord John Russells bei Vorbringung der Bill über Wahlverbesserung in England lautet in kurzem Auszuge wie folgt: „Das Wahlregistrirungsverfahren, das die Regierung vorschlägt, hat keineswegs den Zweck, das Stimmrecht auf eine Menge neuer, vielleicht nicht ganz würdiger Wähler auszudehnen, sondern beabsichtigt nur, einmal, jenes Recht denjenigen Bürgern, die es bereits gesetzmäßig besitzen, vollkommen zu sichern und in seiner Ausübung möglichst zu erleichtern, und zweitens, auch allen vernünftigen Ansprüchen englischer Unterthanen an jenes Recht einen deutlichen und bequemen Weg der Prüfung und Anerkennung darzubieten. Denn gewiß muß man, im Sinne des öffentlichen Wohls, wünschen, daß ein jeder solcher Anspruch nicht wie ein Versuch zur Störung des gemeinen Nutzens, sondern vielmehr wie ein Versuch zur Beförderung desselben angesehen und behandelt werde. Nach diesen Grundsätzen bring' ich zwei neue Gesetze in Vorschlag, eines über die Ernennung eines permanenten aus 15 Anwälten (barristers) bestehenden Untersuchungsgerichtshofs für Wahlrecht und Wahlansprüche, und eins über die genauere Bestimmung des bei den Wählern erforderlichen Steuernbetrags. Was die erste Bill, den Vorschlag zur Ernennung eines neuen Wahlgerichtshofes, betrifft, so soll diese Ernennung den vielen Unbequemlichkeiten und Plackereien ein Ende machen, denen die Wähler durch das jetzige Untersuchungsverfahren ausgesetzt sind. Denn indem die jetzt jährlich neuerwählten 174 Anwälte theils unter sich, theils auch mit ihren Vorgängern in keiner ordentlichen Uebereinstimmung stehen, sieht sich der Wähler genöthigt, sein Wahlrecht nicht nur alle Jahr wieder von neuem, sondern auch oft in demselben Jahr vor verschiedenen Anwälten von neuem zu beweisen, und gibt, bei großer Entfernung seiner Grundbesitze von einander, oft lieber sein an einen solchen entfernten Grundbesitz geknüpftes Wahlrecht ganz auf, als daß er, zur wiederholten Darthuung desselben, sich erst noch einer langen kostspieligen Reise unterziehe. Ja, es ist vorgekommen, daß Gegner des entfernten Wählenden, auf dessen Reisescheu rechnend, eine Menge von Scheingründen gegen das ihm zustehende Wahlrecht erhoben, die sie, wenn er nun dennoch eintraf, augenblicklich wieder zurücknahmen. Der permanente Untersuchungsgerichtshof, den ich, um solchen Uebeln abzuhelfen, nun also vorschlage, würde aus einer kleinen fixen Anzahl, ungefähr aus 15, Untersuchungsanwälten bestehen, von denen, zur Entscheidung streitiger Fälle, 12 jeder einen ihm bestimmten Bezirk bereisen, 3 ein stehendes Appellationsgericht bilden sollten. Als Grund für neue Untersuchung bei einmal zuerkanntem Rechte dürften nur förmlich eingereichte Einsprüche oder entschiedene Veränderungen in des Wählers äußerer Lage angesehen werden; der Ausspruch des einzelnen Anwalts müßte bei factischen Fragen entscheidend seyn, und nur bei gesetzbetreffenden Fragen den Appell zulassen. Uebrigens muß dann jedenfalls von diesem ersten Appellationsgerichte noch ein zweiter Appell an das Haus selbst stattfinden dürfen. Hinsichtlich der Ernennung jener fünfzehn Registrirungsanwälte, meine ich, daß selbige zunächst von den Richtern, die bis jetzt auch die 174 Anwälte ernannten, ausgehen müsse, und zwar so, daß jeder der 15 Richter drei Candidaten vorschlüge; von diesen 45 Candidaten aber solle dann der Sprecher des Hauses die fünfzehn wirklichen Anwälte auswählen. – Meine zweite Bill enthält nur wenige und auch diese schon meistens aus frühern Bills bekannte Bestimmungen, hinsichtlich des Schätzens gewisser das Stimmrecht bedingenden Leistungen, nämlich folgende: 1) in Wahlorten (boroughs) sollen von den erforderlichen 10 Pf. wenigstens 5 Pf. in Hauseigenthum bestehen; 2) in Grafschaften sollen vereinte Besitzer eines hinreichenden Eigenthums jeder so stimmen dürfen als sie in Boroughs thun; 3) das Bezahlthaben einer directen oder Armensteuer soll nicht nothwendig seyn, wenn sie nicht wenigstens sechs Monate vor der Wahl fällig war; 4) Niemand soll seine Stimme in einer Wahl deßhalb verlieren, weil er seit der letzten Wahl seinen Aufenthalt geändert hat.“ – (Letztere Bill nennt die Times eine Wiederholung der früheren von den Radicalen unternommenen Versuche alles ihnen in der Reformbill noch Unbequeme nach und nach abzuschaffen.) Wir haben schon berichtet, daß das Haus die Einbringung beider Bills gestattete. Frankreich. _ Paris, 9 Mai. Der König der Belgier ist am 7 Mai wieder nach Brüssel zurückgereist. Die Armee hat einen empfindlichen Verlust durch den Tod des Generallieutenants Vicomte Rogniat erlitten. Er war Präsident des Comité's des Geniewesens, Mitglied der Pairskammer, der Akademie der Wissenschaften u. s. w. Er starb am 8 Mai nach einer kurzen Krankheit in seinem 64sten Jahre. Noch vor wenigen Tagen hatte er aus Anlaß des Gesetzes, die Einführung der Percussionsflinten betreffend, in der Pairskammer eine wichtige Rede gehalten. Alle Blätter legen Bedeutung auf die Sprache, mit welcher dießmal der Vertreter des Erzbisthums von Paris, Abbé Affre, dem König bei seinem Namensfeste begrüßte: „Ihre Sorgfalt für die Interessen der Religion (sagte er zu dem Monarchen) hat Ihnen unsern und den Dank aller französischen Katholiken erworben. Wir fühlen uns glücklich, Ihnen die Versicherung darbringen zu können, daß zu keiner Zeit der Clerus besser erkannt hat, von welcher Art seine Hingebung für jenes vielgeliebte Frankreich seyn müsse, das uns nie unempfindlich finden wird für seinen Ruhm, seine Wohlfahrt und alle Wechselfälle seiner guten und seiner bösen Geschicke. Um ihm mit Eifer und mit Liebe zu dienen, wünschen wir nicht das, was andere Wohlthaten nennen, wir aber als schwere Gefahr bringend fürchten. Die Reichthümer der Geistlichkeit und ihre politischen Einflüsse, welche hervorragende Tugend so oft zum Glück der Gesellschaft, zum doppelten Ruhme der Kirche und des Staates anwandten, trugen eben so häufig dazu bei, ein Amt zu lähmen, das, wenn es mit Erfolg geübt werden soll, die größte Selbstverläugnung erheischt. Jene Selbstverläugnung wird uns eine theure Pflicht seyn, wenn sie uns dazu hilft, den dreifachen Beruf, den wir von unserm göttlichen Meister erhielten, zu erfüllen: den Armen zu trösten, Herz und Geist der Jugend zu bilden, und in Aller Gemüth jenen Frieden, jenes christliche Wohlwollen zu prägen, wodurch politische Erschütterungen gestillt oder verhütet werden. Einzig im Interesse einer so heiligen Aufgabe trachten wir nach der zur Erfüllung derselben nöthigen evangelischen Freiheit. Mögen diese Gefühle, deren volle Aufrichtigkeit Gott kennt, sich immer klarer zu Tag stellen! Mögen sie uns dazu dienen, den edelsten Ehrgeiz, der unsere Herzen bewegen kann, zu befriedigen, nämlich ein Band zu seyn, das um so stärker, je uneigennütziger es ist, zwischen allen Mitgliedern einer Gesellschaft, in welcher wir nur Freunde und Brüder erblicken!“ –

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_135_18400514
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_135_18400514/3
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 135. Augsburg, 14. Mai 1840, S. 1075. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_135_18400514/3>, abgerufen am 28.04.2024.