Allgemeine Zeitung. Nr. 135. Augsburg, 14. Mai 1840.aber nichts anders als ein matter Ueberrest früherer Oppositionen, mit denen Thiers dem Anschein nach zu capituliren hat; er will selbstständig seyn, und sich durch seine Persönlichkeit, und nicht durch das linke Centrum (welches aber Nichts ist) zwischen Rechte und Linke neuen Schlags durchdrängen. Wird es ihm gelingen? Wenn es ihm gelingt, was hat er im Kopf und Herzen, was wird er machen? Das ist die Frage. - Gelingen wird es ihm allerdings, wenn ihn nicht etwa ganz unvorhergesehene Ereignisse - zu denen nicht die mindeste Wahrscheinlichkeit vorliegt - überrumpeln sollten. Wenn es ihm aber gelingt, was dann? Daß Hr. Thiers ein Mann von Geist, Witz und Ressourcen ist, das weiß Jeder. Seine politischen Gegner sehen in ihm einen Retz oder auch einen Calonne; die ihn am höchsten stehen, machen ihn zu einer Art Talleyrand; die ihn hassen, wandeln ihn um in einen Cardinal Dubois; er selbst möchte gerne eine Mischung abgeben von Mazarin und Richelieu, die Feinheit des einen, die Kraft des andern verbindend. Aber das sind Alles Einbildungen seiner Freunde, seiner Feinde oder seiner selbst. Seine Beredsamkeit strömt nicht aus voller Quelle wie die des Berryer; ist nicht edel und gedankenvoll, auch nicht so vag und unbestimmt wie die des Lamartine; ist nicht methodisch geordnet, gedrängt classificirt wie die des Guizot; sie hat weder Feuer noch Schwung, noch ist sie scharf markirt in Bestimmungen; sie ist aber voltairisch plan, licht, etwas breit, aber gescheidt, manchmal überraschend, conversationsartig, oft nicht ohne Schwung; nimmer großartig und bedeutend, zeigt sie doch einen umsichtigen, beweglichen, lebendigen Kopf voller Comprehension. Sollten diese Talente wahre Plane und in sich geschlossene Ansichten über In- und Ausland verdecken? oder ist es nur ein geistreiches Spiel mit Gedanken, Einsichten, sogar Ideen? Das Klügste ist eine vollkommene Skepsis, die übrigens schon unter seinen gemäßigtern Gegnern der Kammer um sich greifend, ihm erlaubt, sich ein Terrain zu präpariren, wo er denn endlich das der Welt versprochene Schauspiel der Entwickelung einer höhern Geisteskraft geben kann, wenn er sie wirklich besitzt. Toulon, 6 Mai. Das Dampfboot Chimere ist mit Nachrichten aus Algier vom 2 Mai eingetroffen. Die Armee ist in drei Colonnen nach Miliana aufgebrochen. Die erste Colonne unter dem Commando des Herzogs von Orleans folgte der Richtung der Atlaskette, die zweite unter dem Marschall Valee zog mitten durch die Ebene Metidscha, die dritte, bei welcher der berühmte Obrist Lamoriciere sich befindet, marschirte an dem Südrand des Sahel hinab. Vor dem Aufbruch der Armee von Belida hat der Marschall Valee folgenden Tagsbefehl bekannt gemacht: "Soldaten! Der Feldzug von 1840 beginnt. Er wird ruhmvoll enden, wie alle früheren. Euer Muth und eure Anstrengungen werden Frankreich die Stämme unterwerfen, die sich noch weigern, seine Souveränetät anzuerkennen, und ihr werdet den verwegenen Häuptling züchtigen, welcher die Verträge gebrochen hat, die seine Macht begründeten. Soldaten! Der Thronerbe wollte von neuem Theil nehmen an euren Arbeiten und Gefahren. Ihr werdet euch würdig zeigen, unter den Augen der beiden Söhne eures Königs zu fechten, und wie in Constantine, wie bei den Eisenpforten, wie in so vielen andern Gefechten werden eure Fahnen siegreich wehen im Thale des Schelif!" Die Armee stieß auf den Feind nahe bei dem Kubbar-el-Rummiah. Der Kampf war heiß. Man spricht von 800 getödteten Feinden, was wohl übertrieben ist. Der Herzog von Aumale griff an der Spitze der Cavallerie wie ein Löwe an. Das Wetter ist sehr günstig, die Hitze aber bereits ziemlich groß. Alles läßt einen günstigen Ausgang des Feldzugs hoffen. Belgien. Brüssel, 6 Mai. Die Repräsentanten haben das Amnestiegesetz mit dem von der Centralsection vorgeschlagenen Zusatze "insofern es nöthig" angenommen; der Zweifel über den Sinn des 20sten Artikels des Friedensvertrags besteht also nach wie vor, und die Majorität vom 14 März, die gegen die abgetretenen Minister behauptet, er sey nicht auf Belgien anwendbar, nur ein besonderes Amnestiegesetz hätte den Vandersmissen freisprechen können, hat den früher errungenen Vortheil hiemit verloren; denn ist einmal zugegeben, daß die Frage zweifelhaft sey, so handelten die früheren Minister ganz dem in solchen Fällen geltenden Grundsatz gemäß, und es entsprach auch ganz der Würde der Regierung und der königlichen Prärogative, den fraglichen Artikel zu Gunsten Vandersmissens zu deuten. Das abgetretene Cabinet steht also im Wesentlichen gerechtfertigt. Das Amnestiegesetz war das erste Gesetz, welches das Ministerium in die Kammer gebracht; es verdankte dazu derselben parlamentarischen Krisis, die das neue Cabinet hervorgerufen, seine Entstehung. Die Abstimmung über dasselbe mußte somit der Probestein der Stellung der neuen Minister in der Kammer werden. Diese haben aber nicht den Muth gehabt, eine Probe zu bestehen; der Majorität, welcher sie ihre Portefeuilles verdanken, hat es ebenfalls an Muth gebrochen, ihre frühere Ansicht zu behaupten, und so haben beide sich ein Amendement gefallen lassen, das die Lorbeeren vom 14 März welken macht. Unter solchen Umständen können weder Kammer noch Ministerium in der Achtung gewinnen. Die an sich schon unbedeutende Majorität vom 14 März (43 gegen 38) hat nun vollends ihre Bedeutung verloren, und dennoch hat man zu Gunsten dieser Majorität ein Recht aufgegeben, welches das abgetretene Ministerium für die Krone vindicirte, das Recht nämlich der Interpretation diplomatischer Verträge in ihren, die königliche Prärogative so ganz besonders berührenden Bestimmungen über Amnestie und Niederschlagung politischer Proceduren. Zugleich hat ein königlicher Beschluß einen früheren Beschluß, der einen großmüthigen Begnadigungsact enthielt, mit der Erklärung widerrufen müssen, letzterer habe auf einem Irrthum beruht. Kann man gleich den Männern, welche die Hauptposten in dem neuen Cabinet bekleiden, weder Talent noch Charakter absprechen, so ist doch die Macht der Umstände stärker; sie tragen die Gebrechen ihres Ursprungs an sich. Wie können Minister sich versprechen, die Regierung stärker zu begründen, wenn sie ihre Hauptstütze gerade bei denen suchen müssen, deren Geschäft seit dem Anfang der neuen Ordnung es gewesen ist, die Centralgewalt so viel wie möglich zu schwächen? Schmeichelt sich das neue Cabinet, diesen Liberalismus zu bekehren, und einer gouvernementalen Disciplin zu unterwerfen, so tragen dagegen die liberalen Blätter Sorge dafür, hiegegen einmal über das andere zu protestiren, und erklären, wie dieses das "Journal de Liege" in dürren Worten ausspricht: "nur weil die Minister zu der Hoffnung berechtigt, daß sie ihre Grundsätze im Sinne des Liberalismus geändert, sey es ihnen möglich geworden, Minister zu werden; fände man sich in dieser Hoffnung getäuscht, so würde man sie gleich aufgeben, und zur alten Opposition zurückkehren." Niederlande. Aus dem Haag, 7 Mai. Die zweite Kammer der Generalstaaten hielt gestern wieder Sitzung, in welcher die Centralabtheilung ihren Bericht über die Budgets erstatten sollte, was aber unterblieb, da der Bericht bereits gedruckt war und also gleich zur Kenntnißnahme der Kammermitglieder gebracht werden konnte. Der Secretär verlas indessen doch die Schlußstellen aber nichts anders als ein matter Ueberrest früherer Oppositionen, mit denen Thiers dem Anschein nach zu capituliren hat; er will selbstständig seyn, und sich durch seine Persönlichkeit, und nicht durch das linke Centrum (welches aber Nichts ist) zwischen Rechte und Linke neuen Schlags durchdrängen. Wird es ihm gelingen? Wenn es ihm gelingt, was hat er im Kopf und Herzen, was wird er machen? Das ist die Frage. – Gelingen wird es ihm allerdings, wenn ihn nicht etwa ganz unvorhergesehene Ereignisse – zu denen nicht die mindeste Wahrscheinlichkeit vorliegt – überrumpeln sollten. Wenn es ihm aber gelingt, was dann? Daß Hr. Thiers ein Mann von Geist, Witz und Ressourcen ist, das weiß Jeder. Seine politischen Gegner sehen in ihm einen Retz oder auch einen Calonne; die ihn am höchsten stehen, machen ihn zu einer Art Talleyrand; die ihn hassen, wandeln ihn um in einen Cardinal Dubois; er selbst möchte gerne eine Mischung abgeben von Mazarin und Richelieu, die Feinheit des einen, die Kraft des andern verbindend. Aber das sind Alles Einbildungen seiner Freunde, seiner Feinde oder seiner selbst. Seine Beredsamkeit strömt nicht aus voller Quelle wie die des Berryer; ist nicht edel und gedankenvoll, auch nicht so vag und unbestimmt wie die des Lamartine; ist nicht methodisch geordnet, gedrängt classificirt wie die des Guizot; sie hat weder Feuer noch Schwung, noch ist sie scharf markirt in Bestimmungen; sie ist aber voltairisch plan, licht, etwas breit, aber gescheidt, manchmal überraschend, conversationsartig, oft nicht ohne Schwung; nimmer großartig und bedeutend, zeigt sie doch einen umsichtigen, beweglichen, lebendigen Kopf voller Comprehension. Sollten diese Talente wahre Plane und in sich geschlossene Ansichten über In- und Ausland verdecken? oder ist es nur ein geistreiches Spiel mit Gedanken, Einsichten, sogar Ideen? Das Klügste ist eine vollkommene Skepsis, die übrigens schon unter seinen gemäßigtern Gegnern der Kammer um sich greifend, ihm erlaubt, sich ein Terrain zu präpariren, wo er denn endlich das der Welt versprochene Schauspiel der Entwickelung einer höhern Geisteskraft geben kann, wenn er sie wirklich besitzt. Toulon, 6 Mai. Das Dampfboot Chimère ist mit Nachrichten aus Algier vom 2 Mai eingetroffen. Die Armee ist in drei Colonnen nach Miliana aufgebrochen. Die erste Colonne unter dem Commando des Herzogs von Orleans folgte der Richtung der Atlaskette, die zweite unter dem Marschall Valée zog mitten durch die Ebene Metidscha, die dritte, bei welcher der berühmte Obrist Lamoricière sich befindet, marschirte an dem Südrand des Sahel hinab. Vor dem Aufbruch der Armee von Belida hat der Marschall Valée folgenden Tagsbefehl bekannt gemacht: „Soldaten! Der Feldzug von 1840 beginnt. Er wird ruhmvoll enden, wie alle früheren. Euer Muth und eure Anstrengungen werden Frankreich die Stämme unterwerfen, die sich noch weigern, seine Souveränetät anzuerkennen, und ihr werdet den verwegenen Häuptling züchtigen, welcher die Verträge gebrochen hat, die seine Macht begründeten. Soldaten! Der Thronerbe wollte von neuem Theil nehmen an euren Arbeiten und Gefahren. Ihr werdet euch würdig zeigen, unter den Augen der beiden Söhne eures Königs zu fechten, und wie in Constantine, wie bei den Eisenpforten, wie in so vielen andern Gefechten werden eure Fahnen siegreich wehen im Thale des Schelif!“ Die Armee stieß auf den Feind nahe bei dem Kubbar-el-Rummiah. Der Kampf war heiß. Man spricht von 800 getödteten Feinden, was wohl übertrieben ist. Der Herzog von Aumale griff an der Spitze der Cavallerie wie ein Löwe an. Das Wetter ist sehr günstig, die Hitze aber bereits ziemlich groß. Alles läßt einen günstigen Ausgang des Feldzugs hoffen. Belgien. Brüssel, 6 Mai. Die Repräsentanten haben das Amnestiegesetz mit dem von der Centralsection vorgeschlagenen Zusatze „insofern es nöthig“ angenommen; der Zweifel über den Sinn des 20sten Artikels des Friedensvertrags besteht also nach wie vor, und die Majorität vom 14 März, die gegen die abgetretenen Minister behauptet, er sey nicht auf Belgien anwendbar, nur ein besonderes Amnestiegesetz hätte den Vandersmissen freisprechen können, hat den früher errungenen Vortheil hiemit verloren; denn ist einmal zugegeben, daß die Frage zweifelhaft sey, so handelten die früheren Minister ganz dem in solchen Fällen geltenden Grundsatz gemäß, und es entsprach auch ganz der Würde der Regierung und der königlichen Prärogative, den fraglichen Artikel zu Gunsten Vandersmissens zu deuten. Das abgetretene Cabinet steht also im Wesentlichen gerechtfertigt. Das Amnestiegesetz war das erste Gesetz, welches das Ministerium in die Kammer gebracht; es verdankte dazu derselben parlamentarischen Krisis, die das neue Cabinet hervorgerufen, seine Entstehung. Die Abstimmung über dasselbe mußte somit der Probestein der Stellung der neuen Minister in der Kammer werden. Diese haben aber nicht den Muth gehabt, eine Probe zu bestehen; der Majorität, welcher sie ihre Portefeuilles verdanken, hat es ebenfalls an Muth gebrochen, ihre frühere Ansicht zu behaupten, und so haben beide sich ein Amendement gefallen lassen, das die Lorbeeren vom 14 März welken macht. Unter solchen Umständen können weder Kammer noch Ministerium in der Achtung gewinnen. Die an sich schon unbedeutende Majorität vom 14 März (43 gegen 38) hat nun vollends ihre Bedeutung verloren, und dennoch hat man zu Gunsten dieser Majorität ein Recht aufgegeben, welches das abgetretene Ministerium für die Krone vindicirte, das Recht nämlich der Interpretation diplomatischer Verträge in ihren, die königliche Prärogative so ganz besonders berührenden Bestimmungen über Amnestie und Niederschlagung politischer Proceduren. Zugleich hat ein königlicher Beschluß einen früheren Beschluß, der einen großmüthigen Begnadigungsact enthielt, mit der Erklärung widerrufen müssen, letzterer habe auf einem Irrthum beruht. Kann man gleich den Männern, welche die Hauptposten in dem neuen Cabinet bekleiden, weder Talent noch Charakter absprechen, so ist doch die Macht der Umstände stärker; sie tragen die Gebrechen ihres Ursprungs an sich. Wie können Minister sich versprechen, die Regierung stärker zu begründen, wenn sie ihre Hauptstütze gerade bei denen suchen müssen, deren Geschäft seit dem Anfang der neuen Ordnung es gewesen ist, die Centralgewalt so viel wie möglich zu schwächen? Schmeichelt sich das neue Cabinet, diesen Liberalismus zu bekehren, und einer gouvernementalen Disciplin zu unterwerfen, so tragen dagegen die liberalen Blätter Sorge dafür, hiegegen einmal über das andere zu protestiren, und erklären, wie dieses das „Journal de Liege“ in dürren Worten ausspricht: „nur weil die Minister zu der Hoffnung berechtigt, daß sie ihre Grundsätze im Sinne des Liberalismus geändert, sey es ihnen möglich geworden, Minister zu werden; fände man sich in dieser Hoffnung getäuscht, so würde man sie gleich aufgeben, und zur alten Opposition zurückkehren.“ Niederlande. Aus dem Haag, 7 Mai. Die zweite Kammer der Generalstaaten hielt gestern wieder Sitzung, in welcher die Centralabtheilung ihren Bericht über die Budgets erstatten sollte, was aber unterblieb, da der Bericht bereits gedruckt war und also gleich zur Kenntnißnahme der Kammermitglieder gebracht werden konnte. Der Secretär verlas indessen doch die Schlußstellen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0006" n="1078"/> aber nichts anders als ein matter Ueberrest früherer Oppositionen, mit denen Thiers dem Anschein nach zu capituliren hat; er will selbstständig seyn, und sich durch seine Persönlichkeit, und nicht durch das linke Centrum (welches aber Nichts ist) zwischen Rechte und Linke neuen Schlags durchdrängen. Wird es ihm gelingen? Wenn es ihm gelingt, was hat er im Kopf und Herzen, was wird er machen? Das ist die Frage. – Gelingen wird es ihm allerdings, wenn ihn nicht etwa ganz unvorhergesehene Ereignisse – zu denen nicht die mindeste Wahrscheinlichkeit vorliegt – überrumpeln sollten. Wenn es ihm aber gelingt, was dann? Daß Hr. Thiers ein Mann von Geist, Witz und Ressourcen ist, das weiß Jeder. Seine politischen Gegner sehen in ihm einen Retz oder auch einen Calonne; die ihn am höchsten stehen, machen ihn zu einer Art Talleyrand; die ihn hassen, wandeln ihn um in einen Cardinal Dubois; er selbst möchte gerne eine Mischung abgeben von Mazarin und Richelieu, die Feinheit des einen, die Kraft des andern verbindend. Aber das sind Alles Einbildungen seiner Freunde, seiner Feinde oder seiner selbst. Seine Beredsamkeit strömt nicht aus voller Quelle wie die des Berryer; ist nicht edel und gedankenvoll, auch nicht so vag und unbestimmt wie die des Lamartine; ist nicht methodisch geordnet, gedrängt classificirt wie die des Guizot; sie hat weder Feuer noch Schwung, noch ist sie scharf markirt in Bestimmungen; sie ist aber voltairisch plan, licht, etwas breit, aber gescheidt, manchmal überraschend, conversationsartig, oft nicht ohne Schwung; nimmer großartig und bedeutend, zeigt sie doch einen umsichtigen, beweglichen, lebendigen Kopf voller Comprehension. Sollten diese Talente wahre Plane und in sich geschlossene Ansichten über In- und Ausland verdecken? oder ist es nur ein geistreiches Spiel mit Gedanken, Einsichten, sogar Ideen? Das Klügste ist eine vollkommene Skepsis, die übrigens schon unter seinen gemäßigtern Gegnern der Kammer um sich greifend, ihm erlaubt, sich ein Terrain zu präpariren, wo er denn endlich das der Welt versprochene Schauspiel der Entwickelung einer höhern Geisteskraft geben kann, wenn er sie wirklich besitzt.</p> </div><lb/> <div n="2"> <byline> <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Toulon,</hi> 6 Mai.</dateline> <p> Das Dampfboot Chimère ist mit Nachrichten aus Algier vom 2 Mai eingetroffen. Die Armee ist in drei Colonnen nach Miliana aufgebrochen. Die erste Colonne unter dem Commando des Herzogs von Orleans folgte der Richtung der Atlaskette, die zweite unter dem Marschall Valée zog mitten durch die Ebene Metidscha, die dritte, bei welcher der berühmte Obrist Lamoricière sich befindet, marschirte an dem Südrand des Sahel hinab. Vor dem Aufbruch der Armee von Belida hat der Marschall Valée folgenden Tagsbefehl bekannt gemacht: „Soldaten! Der Feldzug von 1840 beginnt. Er wird ruhmvoll enden, wie alle früheren. Euer Muth und eure Anstrengungen werden Frankreich die Stämme unterwerfen, die sich noch weigern, seine Souveränetät anzuerkennen, und ihr werdet den verwegenen Häuptling züchtigen, welcher die Verträge gebrochen hat, die seine Macht begründeten. Soldaten! Der Thronerbe wollte von neuem Theil nehmen an euren Arbeiten und Gefahren. Ihr werdet euch würdig zeigen, unter den Augen der beiden Söhne eures Königs zu fechten, und wie in Constantine, wie bei den Eisenpforten, wie in so vielen andern Gefechten werden eure Fahnen siegreich wehen im Thale des Schelif!“ Die Armee stieß auf den Feind nahe bei dem Kubbar-el-Rummiah. Der Kampf war heiß. Man spricht von 800 getödteten Feinden, was wohl übertrieben ist. Der Herzog von Aumale griff an der Spitze der Cavallerie wie ein Löwe an. 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Das abgetretene Cabinet steht also im Wesentlichen gerechtfertigt. Das Amnestiegesetz war das erste Gesetz, welches das Ministerium in die Kammer gebracht; es verdankte dazu derselben parlamentarischen Krisis, die das neue Cabinet hervorgerufen, seine Entstehung. Die Abstimmung über dasselbe mußte somit der Probestein der Stellung der neuen Minister in der Kammer werden. Diese haben aber nicht den Muth gehabt, eine Probe zu bestehen; der Majorität, welcher sie ihre Portefeuilles verdanken, hat es ebenfalls an Muth gebrochen, ihre frühere Ansicht zu behaupten, und so haben beide sich ein Amendement gefallen lassen, das die Lorbeeren vom 14 März welken macht. Unter solchen Umständen können weder Kammer noch Ministerium in der Achtung gewinnen. Die an sich schon unbedeutende Majorität vom 14 März (43 gegen 38) hat nun vollends ihre Bedeutung verloren, und dennoch hat man zu Gunsten dieser Majorität ein Recht aufgegeben, welches das abgetretene Ministerium für die Krone vindicirte, das Recht nämlich der Interpretation diplomatischer Verträge in ihren, die königliche Prärogative so ganz besonders berührenden Bestimmungen über Amnestie und Niederschlagung politischer Proceduren. Zugleich hat ein königlicher Beschluß einen früheren Beschluß, der einen großmüthigen Begnadigungsact enthielt, mit der Erklärung widerrufen müssen, letzterer habe auf einem Irrthum beruht. Kann man gleich den Männern, welche die Hauptposten in dem neuen Cabinet bekleiden, weder Talent noch Charakter absprechen, so ist doch die Macht der Umstände stärker; sie tragen die Gebrechen ihres Ursprungs an sich. Wie können Minister sich versprechen, die Regierung stärker zu begründen, wenn sie ihre Hauptstütze gerade bei denen suchen müssen, deren Geschäft seit dem Anfang der neuen Ordnung es gewesen ist, die Centralgewalt so viel wie möglich zu schwächen? Schmeichelt sich das neue Cabinet, diesen Liberalismus zu bekehren, und einer gouvernementalen Disciplin zu unterwerfen, so tragen dagegen die liberalen Blätter Sorge dafür, hiegegen einmal über das andere zu protestiren, und erklären, wie dieses das „Journal de Liege“ in dürren Worten ausspricht: „nur weil die Minister zu der Hoffnung berechtigt, daß <hi rendition="#g">sie ihre</hi> Grundsätze im Sinne des Liberalismus geändert, sey es ihnen möglich geworden, Minister zu werden; fände man sich in dieser Hoffnung getäuscht, so würde man sie gleich aufgeben, und zur alten Opposition zurückkehren.“</p><lb/> </div> </div> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Niederlande.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Aus dem Haag,</hi> 7 Mai.</dateline> <p> Die zweite Kammer der Generalstaaten hielt gestern wieder Sitzung, in welcher die Centralabtheilung ihren Bericht über die Budgets erstatten sollte, was aber unterblieb, da der Bericht bereits gedruckt war und also gleich zur Kenntnißnahme der Kammermitglieder gebracht werden konnte. 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_ Toulon, 6 Mai. Das Dampfboot Chimère ist mit Nachrichten aus Algier vom 2 Mai eingetroffen. Die Armee ist in drei Colonnen nach Miliana aufgebrochen. Die erste Colonne unter dem Commando des Herzogs von Orleans folgte der Richtung der Atlaskette, die zweite unter dem Marschall Valée zog mitten durch die Ebene Metidscha, die dritte, bei welcher der berühmte Obrist Lamoricière sich befindet, marschirte an dem Südrand des Sahel hinab. Vor dem Aufbruch der Armee von Belida hat der Marschall Valée folgenden Tagsbefehl bekannt gemacht: „Soldaten! Der Feldzug von 1840 beginnt. Er wird ruhmvoll enden, wie alle früheren. Euer Muth und eure Anstrengungen werden Frankreich die Stämme unterwerfen, die sich noch weigern, seine Souveränetät anzuerkennen, und ihr werdet den verwegenen Häuptling züchtigen, welcher die Verträge gebrochen hat, die seine Macht begründeten. Soldaten! Der Thronerbe wollte von neuem Theil nehmen an euren Arbeiten und Gefahren. Ihr werdet euch würdig zeigen, unter den Augen der beiden Söhne eures Königs zu fechten, und wie in Constantine, wie bei den Eisenpforten, wie in so vielen andern Gefechten werden eure Fahnen siegreich wehen im Thale des Schelif!“ Die Armee stieß auf den Feind nahe bei dem Kubbar-el-Rummiah. Der Kampf war heiß. Man spricht von 800 getödteten Feinden, was wohl übertrieben ist. Der Herzog von Aumale griff an der Spitze der Cavallerie wie ein Löwe an. Das Wetter ist sehr günstig, die Hitze aber bereits ziemlich groß. Alles läßt einen günstigen Ausgang des Feldzugs hoffen.
Belgien.
_ Brüssel, 6 Mai. Die Repräsentanten haben das Amnestiegesetz mit dem von der Centralsection vorgeschlagenen Zusatze „insofern es nöthig“ angenommen; der Zweifel über den Sinn des 20sten Artikels des Friedensvertrags besteht also nach wie vor, und die Majorität vom 14 März, die gegen die abgetretenen Minister behauptet, er sey nicht auf Belgien anwendbar, nur ein besonderes Amnestiegesetz hätte den Vandersmissen freisprechen können, hat den früher errungenen Vortheil hiemit verloren; denn ist einmal zugegeben, daß die Frage zweifelhaft sey, so handelten die früheren Minister ganz dem in solchen Fällen geltenden Grundsatz gemäß, und es entsprach auch ganz der Würde der Regierung und der königlichen Prärogative, den fraglichen Artikel zu Gunsten Vandersmissens zu deuten. Das abgetretene Cabinet steht also im Wesentlichen gerechtfertigt. Das Amnestiegesetz war das erste Gesetz, welches das Ministerium in die Kammer gebracht; es verdankte dazu derselben parlamentarischen Krisis, die das neue Cabinet hervorgerufen, seine Entstehung. Die Abstimmung über dasselbe mußte somit der Probestein der Stellung der neuen Minister in der Kammer werden. Diese haben aber nicht den Muth gehabt, eine Probe zu bestehen; der Majorität, welcher sie ihre Portefeuilles verdanken, hat es ebenfalls an Muth gebrochen, ihre frühere Ansicht zu behaupten, und so haben beide sich ein Amendement gefallen lassen, das die Lorbeeren vom 14 März welken macht. Unter solchen Umständen können weder Kammer noch Ministerium in der Achtung gewinnen. Die an sich schon unbedeutende Majorität vom 14 März (43 gegen 38) hat nun vollends ihre Bedeutung verloren, und dennoch hat man zu Gunsten dieser Majorität ein Recht aufgegeben, welches das abgetretene Ministerium für die Krone vindicirte, das Recht nämlich der Interpretation diplomatischer Verträge in ihren, die königliche Prärogative so ganz besonders berührenden Bestimmungen über Amnestie und Niederschlagung politischer Proceduren. Zugleich hat ein königlicher Beschluß einen früheren Beschluß, der einen großmüthigen Begnadigungsact enthielt, mit der Erklärung widerrufen müssen, letzterer habe auf einem Irrthum beruht. Kann man gleich den Männern, welche die Hauptposten in dem neuen Cabinet bekleiden, weder Talent noch Charakter absprechen, so ist doch die Macht der Umstände stärker; sie tragen die Gebrechen ihres Ursprungs an sich. Wie können Minister sich versprechen, die Regierung stärker zu begründen, wenn sie ihre Hauptstütze gerade bei denen suchen müssen, deren Geschäft seit dem Anfang der neuen Ordnung es gewesen ist, die Centralgewalt so viel wie möglich zu schwächen? Schmeichelt sich das neue Cabinet, diesen Liberalismus zu bekehren, und einer gouvernementalen Disciplin zu unterwerfen, so tragen dagegen die liberalen Blätter Sorge dafür, hiegegen einmal über das andere zu protestiren, und erklären, wie dieses das „Journal de Liege“ in dürren Worten ausspricht: „nur weil die Minister zu der Hoffnung berechtigt, daß sie ihre Grundsätze im Sinne des Liberalismus geändert, sey es ihnen möglich geworden, Minister zu werden; fände man sich in dieser Hoffnung getäuscht, so würde man sie gleich aufgeben, und zur alten Opposition zurückkehren.“
Niederlande.
_ Aus dem Haag, 7 Mai. Die zweite Kammer der Generalstaaten hielt gestern wieder Sitzung, in welcher die Centralabtheilung ihren Bericht über die Budgets erstatten sollte, was aber unterblieb, da der Bericht bereits gedruckt war und also gleich zur Kenntnißnahme der Kammermitglieder gebracht werden konnte. Der Secretär verlas indessen doch die Schlußstellen
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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