Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 136. Augsburg, 15. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Deutschland hatte im 17ten Jahrhundert Antheil genommen an der französischen Schule und einige treffliche Juristen geliefert, die in ihrem Geiste thätig waren. In diesem Jahrhundert war zugleich gerade der Gebrauch der Actenversendung an die Juristenfacultäten am häufigsten, und dadurch wurde eine Annäherung der Theorie und Praxis begründet, von der mit Recht von jeher die gründliche Verbesserung der Rechtspflege erwartet worden ist. Auf diese Weise war für die Zukunft Erfreuliches zu hoffen. Allein die Hoffnung ward wenigstens für die nächste Zukunft bitter getäuscht. Es drang der Geist der holländischen Schule nach Deutschland mit ihren mikrologischen Bestrebungen, und es thaten sich die sogenannten eleganten Juristen auf, von denen manche ihr Leben an die Entdeckung einer neuen Leseart setzen konnten. Dabei hatten sie in ihrer eleganten Rumpelkammer den gräßlichsten Hochmuth und die tiefste Verachtung gegen die nicht eleganten Juristen. Diese, durch die Verachtung erbittert, stellten sich nun in zwei Reihen ihnen gegenüber. Ein Theil, den Eleganten zum Trotz, warf sich, der grauen Theorie abhold, der zur Routine herabgesunkenen Praxis in die Arme, legte das etwas nach Antiquitäten riechende römische Gesetzbuch beiseite und verehrte den usus modernus, die promtuaria juris und einige Camerales als seine Orakel. Ein anderer Theil, bei weitem der bessere, mit einzelnen Männern voll Feuer und Kraft, wie z. B. dem ehrwürdigen Thomasius, mißvergnügt und verzweifelnd über den gegebenen Rechtszustand, steuerte hinaus in die hohe See, und hoffte dort eine neue bessere Welt zu entdecken. Schon im Corpus juris hatten diese Männer gelesen von einem jus, quod natura omnia animalia docuit. Dieses Recht der Menschen in einem willkürlich erdichteten Naturstande gefiel ihnen ausnehmend wohl, und statt durch eine gründliche Forschung und gesunde Exegese das römische Recht dem Rechtszustande der Gegenwart anzueignen, versuchten sie letztern nach ihrem Naturstande, so weit es gehen wollte, umzumodeln, und legten die im römischen Recht vorkommenden Streitfragen nach den Principien ihres Naturrechts aus.

Die Vorsehung wollte nun, daß gegen das Ende des 18ten und am Anfange des 19ten Jahrhunderts an die Spitze einer jeden der drei, inzwischen nach den Fortschritten der Wissenschaft mehr ausgebildeten und modificirten Schulen ein hochgeachteter Mann treten sollte, aber nur um die Schule selbst in ihrer Einseitigkeit zu vernichten. Hugo, jetzt der ehrwürdige Veteran, der auch in den Angelegenheiten der Gegenwart seinen hohen, unerschütterlichen Rechtssinn auf eine glänzende Weise bethätigt hat, trat zuerst auf, und ihm, den die Eleganten so gern den Ihrigen nennen möchten, gebührt das Verdienst, daß er der antiquarischen Schule ein Ende machte, indem seine Rechtsgeschichte die Eleganten recht eindringlich an das Wort: "der Buchstabe tödtet, der Geist aber macht lebendig" erinnerte, und ihnen zeigte, wie wenig sie selbst im eigentlichen Historischen geleistet hatten.

Den Naturrechtsjuristen entgegen trat Feuerbach auf; der Kritik der Philosophie gesellte er den Reichthum der ihm durch das eifrige Studium des positiven Rechts gewordenen Erfahrung bei, und wies in Schriften und mündlicher Lehre nach, daß das Naturrecht doch etwas Anderes sey, als Heineccii institutiones nach Wolfs beliebter methodus mathematica verarbeitet.

Den Praktikern gegenüber erhob sich Anton Friedrich Justus Thibaut, geboren den 4 Januar 1774 zu Hameln im Hannöver'schen, seit 1798 Adjunct der Juristenfacultät, und seit 1799 Professor Ordinarius zu Kiel, im Jahr 1802 nach Jena und von da im Jahr 1805 nach Heidelberg berufen. Er that ihnen dar, daß zwar allerdings der nächste Zweck der Rechtswissenschaft sey, praktische Rechtssätze zu geben, daß diese aber nicht aus einem usus modernus, sondern aus den Gesetzbüchern selbst zu schöpfen seyen, welche ohne Wissenschaft der Geschichte und der Ausbildung des römischen Rechts und ohne gründliche Kenntniß der Philologie nicht verstanden werden könnten. Er wies nicht immer, wie die Eleganten, auf die Fleischtöpfe Aegyptens hin; er ließ aber auch den Juristen nicht, wie die sogenannten Praktiker, in der Wüste der Gegenwart sterben, sondern er führte ihn auf den heiligen Berg, von wo er in das gelobte Land der Zukunft ahnend blicken konnte, der Zukunft, wo eine neue, bessere Gesetzgebung für sein geliebtes Deutschland kommen würde. Damit dieselbe keine Fremdlinge träfe, bestrebte er sich bei seiner Bearbeitung des römischen Rechts, auf die feineren rationes civiles aufmerksam zu machen, und so zum Auffassen des Geistes jedes Gesetzbuchs vorzubereiten. In diesem Sinne schrieb er sein System des Pandektenrechts, welches zuerst im Jahr 1803 erschienen ist und für eine wissenschaftlichere Bearbeitung des römischen Rechts Bahn gebrochen hat; dieser Sinn leitete ihn bei der Erörterung einzelner Materien des römischen Rechts; in diesem Sinne war er thätig als akademischer Lehrer, als welcher er sich durch die Genialität des Dargestellten eben so sehr, als durch die Lebendigkeit, Gewandtheit und Anschaulichkeit der Darstellung in einem so seltenen Grade auszeichnete.

Als der Druck Napoleonischer Herrschaft schwer auf Deutschlands Gauen lastete, als ihnen das fremde Gesetzbuch aufgedrungen werden sollte, hatte Thibaut zu einer Zeit, wo sich in Deutschland es die Meisten zur Aufgabe machten, sich in Schmeicheleien gegen den fremden Herrscher und seine Schöpfungen zu überbieten, den Muth, sich frei und offen aus wissenschaftlichen Gründen gegen die Annahme des französischen Gesetzbuchs, dessen verschiedene Mängel er in mehrfachen Recensionen in den Heidelberger Jahrbüchern nachwies, zu erklären. Dieser in einer gefahrvollen Zeit bewiesene männliche Muth gab ihm die Zuversicht, als nach Zertrümmerung des fremden Joches die deutschen Völker, welche so viel gelitten und so viel zu heilen hatten, für die großen Opfer gerechte Vergeltung hofften, und da nun die Stürme eines langen, verheerenden Krieges vorüber, erwarteten und wünschten, daß sie, durch eine bessere Gesetzgebung als die bisherige in ihren Privatrechtsverhältnissen geschützt, die Ruhe des lang ersehnten Friedens genießen könnten, im Jahr 1814 mit seiner Schrift über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland aufzutreten. Die Schrift fand vielen Anklang, aber auch vielen Widerspruch; sie war es, welche die Eintheilung der Rechtsschulen in die historische und nicht historische hauptsächlich veranlaßte.

Wie es zu geschehen pflegt, wenn Schulen mit Parteinamen sich bilden, haben die Schüler, um ihre Anhänglichkeit an die Meister zu bewähren, deren Ansichten in ihrer schroffsten Einseitigkeit dargestellt, und dadurch die Meister selbst einander mehr entfremdet. So viel dem Verfasser gegenwärtiger Zeilen bekannt ist, war es Thibaut nicht vergönnt, vor seinem Tode noch die Worte
Savigny's *)*) zu lesen: "Die geschichtliche Ansicht der Rechtswissenschaft wird völlig verkannt und entstellt, wenn sie häufig so aufgefaßt wird, als werde in ihr die aus der Vergangenheit hervorgegangene Rechtsbildung als ein Höchstes aufgestellt, welchem die unveränderte Herrschaft erhalten werden müsse. Vielmehr besteht das Wesen derselben in der gleichmäßigen Anerkennung des Werths und der Selbstständigkeit

*) System des heutigen römischen Rechts. Vorrede S. XIV u. XV.

Deutschland hatte im 17ten Jahrhundert Antheil genommen an der französischen Schule und einige treffliche Juristen geliefert, die in ihrem Geiste thätig waren. In diesem Jahrhundert war zugleich gerade der Gebrauch der Actenversendung an die Juristenfacultäten am häufigsten, und dadurch wurde eine Annäherung der Theorie und Praxis begründet, von der mit Recht von jeher die gründliche Verbesserung der Rechtspflege erwartet worden ist. Auf diese Weise war für die Zukunft Erfreuliches zu hoffen. Allein die Hoffnung ward wenigstens für die nächste Zukunft bitter getäuscht. Es drang der Geist der holländischen Schule nach Deutschland mit ihren mikrologischen Bestrebungen, und es thaten sich die sogenannten eleganten Juristen auf, von denen manche ihr Leben an die Entdeckung einer neuen Leseart setzen konnten. Dabei hatten sie in ihrer eleganten Rumpelkammer den gräßlichsten Hochmuth und die tiefste Verachtung gegen die nicht eleganten Juristen. Diese, durch die Verachtung erbittert, stellten sich nun in zwei Reihen ihnen gegenüber. Ein Theil, den Eleganten zum Trotz, warf sich, der grauen Theorie abhold, der zur Routine herabgesunkenen Praxis in die Arme, legte das etwas nach Antiquitäten riechende römische Gesetzbuch beiseite und verehrte den usus modernus, die promtuaria juris und einige Camerales als seine Orakel. Ein anderer Theil, bei weitem der bessere, mit einzelnen Männern voll Feuer und Kraft, wie z. B. dem ehrwürdigen Thomasius, mißvergnügt und verzweifelnd über den gegebenen Rechtszustand, steuerte hinaus in die hohe See, und hoffte dort eine neue bessere Welt zu entdecken. Schon im Corpus juris hatten diese Männer gelesen von einem jus, quod natura omnia animalia docuit. Dieses Recht der Menschen in einem willkürlich erdichteten Naturstande gefiel ihnen ausnehmend wohl, und statt durch eine gründliche Forschung und gesunde Exegese das römische Recht dem Rechtszustande der Gegenwart anzueignen, versuchten sie letztern nach ihrem Naturstande, so weit es gehen wollte, umzumodeln, und legten die im römischen Recht vorkommenden Streitfragen nach den Principien ihres Naturrechts aus.

Die Vorsehung wollte nun, daß gegen das Ende des 18ten und am Anfange des 19ten Jahrhunderts an die Spitze einer jeden der drei, inzwischen nach den Fortschritten der Wissenschaft mehr ausgebildeten und modificirten Schulen ein hochgeachteter Mann treten sollte, aber nur um die Schule selbst in ihrer Einseitigkeit zu vernichten. Hugo, jetzt der ehrwürdige Veteran, der auch in den Angelegenheiten der Gegenwart seinen hohen, unerschütterlichen Rechtssinn auf eine glänzende Weise bethätigt hat, trat zuerst auf, und ihm, den die Eleganten so gern den Ihrigen nennen möchten, gebührt das Verdienst, daß er der antiquarischen Schule ein Ende machte, indem seine Rechtsgeschichte die Eleganten recht eindringlich an das Wort: „der Buchstabe tödtet, der Geist aber macht lebendig“ erinnerte, und ihnen zeigte, wie wenig sie selbst im eigentlichen Historischen geleistet hatten.

Den Naturrechtsjuristen entgegen trat Feuerbach auf; der Kritik der Philosophie gesellte er den Reichthum der ihm durch das eifrige Studium des positiven Rechts gewordenen Erfahrung bei, und wies in Schriften und mündlicher Lehre nach, daß das Naturrecht doch etwas Anderes sey, als Heineccii institutiones nach Wolfs beliebter methodus mathematica verarbeitet.

Den Praktikern gegenüber erhob sich Anton Friedrich Justus Thibaut, geboren den 4 Januar 1774 zu Hameln im Hannöver'schen, seit 1798 Adjunct der Juristenfacultät, und seit 1799 Professor Ordinarius zu Kiel, im Jahr 1802 nach Jena und von da im Jahr 1805 nach Heidelberg berufen. Er that ihnen dar, daß zwar allerdings der nächste Zweck der Rechtswissenschaft sey, praktische Rechtssätze zu geben, daß diese aber nicht aus einem usus modernus, sondern aus den Gesetzbüchern selbst zu schöpfen seyen, welche ohne Wissenschaft der Geschichte und der Ausbildung des römischen Rechts und ohne gründliche Kenntniß der Philologie nicht verstanden werden könnten. Er wies nicht immer, wie die Eleganten, auf die Fleischtöpfe Aegyptens hin; er ließ aber auch den Juristen nicht, wie die sogenannten Praktiker, in der Wüste der Gegenwart sterben, sondern er führte ihn auf den heiligen Berg, von wo er in das gelobte Land der Zukunft ahnend blicken konnte, der Zukunft, wo eine neue, bessere Gesetzgebung für sein geliebtes Deutschland kommen würde. Damit dieselbe keine Fremdlinge träfe, bestrebte er sich bei seiner Bearbeitung des römischen Rechts, auf die feineren rationes civiles aufmerksam zu machen, und so zum Auffassen des Geistes jedes Gesetzbuchs vorzubereiten. In diesem Sinne schrieb er sein System des Pandektenrechts, welches zuerst im Jahr 1803 erschienen ist und für eine wissenschaftlichere Bearbeitung des römischen Rechts Bahn gebrochen hat; dieser Sinn leitete ihn bei der Erörterung einzelner Materien des römischen Rechts; in diesem Sinne war er thätig als akademischer Lehrer, als welcher er sich durch die Genialität des Dargestellten eben so sehr, als durch die Lebendigkeit, Gewandtheit und Anschaulichkeit der Darstellung in einem so seltenen Grade auszeichnete.

Als der Druck Napoleonischer Herrschaft schwer auf Deutschlands Gauen lastete, als ihnen das fremde Gesetzbuch aufgedrungen werden sollte, hatte Thibaut zu einer Zeit, wo sich in Deutschland es die Meisten zur Aufgabe machten, sich in Schmeicheleien gegen den fremden Herrscher und seine Schöpfungen zu überbieten, den Muth, sich frei und offen aus wissenschaftlichen Gründen gegen die Annahme des französischen Gesetzbuchs, dessen verschiedene Mängel er in mehrfachen Recensionen in den Heidelberger Jahrbüchern nachwies, zu erklären. Dieser in einer gefahrvollen Zeit bewiesene männliche Muth gab ihm die Zuversicht, als nach Zertrümmerung des fremden Joches die deutschen Völker, welche so viel gelitten und so viel zu heilen hatten, für die großen Opfer gerechte Vergeltung hofften, und da nun die Stürme eines langen, verheerenden Krieges vorüber, erwarteten und wünschten, daß sie, durch eine bessere Gesetzgebung als die bisherige in ihren Privatrechtsverhältnissen geschützt, die Ruhe des lang ersehnten Friedens genießen könnten, im Jahr 1814 mit seiner Schrift über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland aufzutreten. Die Schrift fand vielen Anklang, aber auch vielen Widerspruch; sie war es, welche die Eintheilung der Rechtsschulen in die historische und nicht historische hauptsächlich veranlaßte.

Wie es zu geschehen pflegt, wenn Schulen mit Parteinamen sich bilden, haben die Schüler, um ihre Anhänglichkeit an die Meister zu bewähren, deren Ansichten in ihrer schroffsten Einseitigkeit dargestellt, und dadurch die Meister selbst einander mehr entfremdet. So viel dem Verfasser gegenwärtiger Zeilen bekannt ist, war es Thibaut nicht vergönnt, vor seinem Tode noch die Worte
Savigny's *)*) zu lesen: „Die geschichtliche Ansicht der Rechtswissenschaft wird völlig verkannt und entstellt, wenn sie häufig so aufgefaßt wird, als werde in ihr die aus der Vergangenheit hervorgegangene Rechtsbildung als ein Höchstes aufgestellt, welchem die unveränderte Herrschaft erhalten werden müsse. Vielmehr besteht das Wesen derselben in der gleichmäßigen Anerkennung des Werths und der Selbstständigkeit

*) System des heutigen römischen Rechts. Vorrede S. XIV u. XV.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="1082"/>
Deutschland hatte im 17ten Jahrhundert Antheil genommen an der französischen Schule und einige treffliche Juristen geliefert, die in ihrem Geiste thätig waren. In diesem Jahrhundert war zugleich gerade der Gebrauch der Actenversendung an die Juristenfacultäten am häufigsten, und dadurch wurde eine Annäherung der Theorie und Praxis begründet, von der mit Recht von jeher die gründliche Verbesserung der Rechtspflege erwartet worden ist. Auf diese Weise war für die Zukunft Erfreuliches zu hoffen. Allein die Hoffnung ward wenigstens für die nächste Zukunft bitter getäuscht. Es drang der Geist der holländischen Schule nach Deutschland mit ihren mikrologischen Bestrebungen, und es thaten sich die sogenannten <hi rendition="#g">eleganten</hi> Juristen auf, von denen manche ihr Leben an die Entdeckung einer neuen Leseart setzen konnten. Dabei hatten sie in ihrer eleganten Rumpelkammer den gräßlichsten Hochmuth und die tiefste Verachtung gegen die nicht eleganten Juristen. Diese, durch die Verachtung erbittert, stellten sich nun in zwei Reihen ihnen gegenüber. Ein Theil, den Eleganten zum Trotz, warf sich, der grauen Theorie abhold, der zur Routine herabgesunkenen Praxis in die Arme, legte das etwas nach Antiquitäten riechende römische Gesetzbuch beiseite und verehrte den usus modernus, die promtuaria juris und einige Camerales als seine Orakel. Ein anderer Theil, bei weitem der bessere, mit einzelnen Männern voll Feuer und Kraft, wie z. B. dem ehrwürdigen <hi rendition="#g">Thomasius</hi>, mißvergnügt und verzweifelnd über den gegebenen Rechtszustand, steuerte hinaus in die hohe See, und hoffte dort eine neue bessere Welt zu entdecken. Schon im Corpus juris hatten diese Männer gelesen von einem jus, quod natura omnia animalia docuit. Dieses Recht der Menschen in einem willkürlich erdichteten Naturstande gefiel ihnen ausnehmend wohl, und statt durch eine gründliche Forschung und gesunde Exegese das römische Recht dem Rechtszustande der Gegenwart anzueignen, versuchten sie letztern nach ihrem Naturstande, so weit es gehen wollte, umzumodeln, und legten die im römischen Recht vorkommenden Streitfragen nach den Principien ihres Naturrechts aus.</p><lb/>
        <p>Die Vorsehung wollte nun, daß gegen das Ende des 18ten und am Anfange des 19ten Jahrhunderts an die Spitze einer jeden der drei, inzwischen nach den Fortschritten der Wissenschaft mehr ausgebildeten und modificirten Schulen ein hochgeachteter Mann treten sollte, aber nur um die Schule selbst in ihrer Einseitigkeit zu vernichten. <hi rendition="#g">Hugo</hi>, jetzt der ehrwürdige Veteran, der auch in den Angelegenheiten der Gegenwart seinen hohen, unerschütterlichen Rechtssinn auf eine glänzende Weise bethätigt hat, trat zuerst auf, und ihm, den die Eleganten so gern den Ihrigen nennen möchten, gebührt das Verdienst, daß er der antiquarischen Schule ein Ende machte, indem seine Rechtsgeschichte die Eleganten recht eindringlich an das Wort: &#x201E;der Buchstabe tödtet, der Geist aber macht lebendig&#x201C; erinnerte, und ihnen zeigte, wie wenig sie selbst im eigentlichen Historischen geleistet hatten.</p><lb/>
        <p>Den Naturrechtsjuristen entgegen trat <hi rendition="#g">Feuerbach</hi> auf; der Kritik der Philosophie gesellte er den Reichthum der ihm durch das eifrige Studium des positiven Rechts gewordenen Erfahrung bei, und wies in Schriften und mündlicher Lehre nach, daß das Naturrecht doch etwas Anderes sey, als Heineccii institutiones nach Wolfs beliebter methodus mathematica verarbeitet.</p><lb/>
        <p>Den Praktikern gegenüber erhob sich <hi rendition="#g">Anton Friedrich Justus Thibaut</hi>, geboren den 4 Januar 1774 zu Hameln im Hannöver'schen, seit 1798 Adjunct der Juristenfacultät, und seit 1799 Professor Ordinarius zu Kiel, im Jahr 1802 nach Jena und von da im Jahr 1805 nach Heidelberg berufen. Er that ihnen dar, daß zwar allerdings der nächste Zweck der Rechtswissenschaft sey, <hi rendition="#g">praktische</hi> Rechtssätze zu geben, daß diese aber nicht aus einem usus modernus, sondern aus den Gesetzbüchern selbst zu schöpfen seyen, welche ohne Wissenschaft der Geschichte und der Ausbildung des römischen Rechts und ohne gründliche Kenntniß der Philologie nicht verstanden werden könnten. Er wies nicht immer, wie die Eleganten, auf die Fleischtöpfe Aegyptens hin; er ließ aber auch den Juristen nicht, wie die sogenannten Praktiker, in der Wüste der Gegenwart sterben, sondern er führte ihn auf den heiligen Berg, von wo er in das gelobte Land der Zukunft ahnend blicken konnte, der Zukunft, wo eine neue, bessere Gesetzgebung für sein geliebtes Deutschland kommen würde. Damit dieselbe keine Fremdlinge träfe, bestrebte er sich bei seiner Bearbeitung des römischen Rechts, auf die feineren rationes civiles aufmerksam zu machen, und so zum Auffassen des Geistes jedes Gesetzbuchs vorzubereiten. In diesem Sinne schrieb er sein System des Pandektenrechts, welches zuerst im Jahr 1803 erschienen ist und für eine wissenschaftlichere Bearbeitung des römischen Rechts Bahn gebrochen hat; dieser Sinn leitete ihn bei der Erörterung einzelner Materien des römischen Rechts; in diesem Sinne war er thätig als akademischer Lehrer, als welcher er sich durch die Genialität des Dargestellten eben so sehr, als durch die Lebendigkeit, Gewandtheit und Anschaulichkeit der Darstellung in einem so seltenen Grade auszeichnete.</p><lb/>
        <p>Als der Druck Napoleonischer Herrschaft schwer auf Deutschlands Gauen lastete, als ihnen das fremde Gesetzbuch aufgedrungen werden sollte, hatte Thibaut zu einer Zeit, wo sich in Deutschland es die Meisten zur Aufgabe machten, sich in Schmeicheleien gegen den fremden Herrscher und seine Schöpfungen zu überbieten, den Muth, sich frei und offen aus wissenschaftlichen Gründen gegen die Annahme des französischen Gesetzbuchs, dessen verschiedene Mängel er in mehrfachen Recensionen in den Heidelberger Jahrbüchern nachwies, zu erklären. Dieser in einer gefahrvollen Zeit bewiesene männliche Muth gab ihm die Zuversicht, als nach Zertrümmerung des fremden Joches die deutschen Völker, welche so viel gelitten und so viel zu heilen hatten, für die großen Opfer gerechte Vergeltung hofften, und da nun die Stürme eines langen, verheerenden Krieges vorüber, erwarteten und wünschten, daß sie, durch eine bessere Gesetzgebung als die bisherige in ihren Privatrechtsverhältnissen geschützt, die Ruhe des lang ersehnten Friedens genießen könnten, im Jahr 1814 mit seiner Schrift über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland aufzutreten. Die Schrift fand vielen Anklang, aber auch vielen Widerspruch; sie war es, welche die Eintheilung der Rechtsschulen in die <hi rendition="#g">historische und nicht historische</hi> hauptsächlich veranlaßte.</p><lb/>
        <p>Wie es zu geschehen pflegt, wenn Schulen mit Parteinamen sich bilden, haben die Schüler, um ihre Anhänglichkeit an die Meister zu bewähren, deren Ansichten in ihrer schroffsten Einseitigkeit dargestellt, und dadurch die Meister selbst einander mehr entfremdet. So viel dem Verfasser gegenwärtiger Zeilen bekannt ist, war es Thibaut nicht vergönnt, vor seinem Tode noch die Worte<lb/>
Savigny's <hi rendition="#sup">*)</hi><note place="foot" n="*)"><p>System des heutigen römischen Rechts. Vorrede S. XIV u. XV.</p></note> zu lesen: &#x201E;Die <hi rendition="#g">geschichtliche Ansicht</hi> der Rechtswissenschaft wird völlig verkannt und entstellt, wenn sie häufig so aufgefaßt wird, als werde in ihr die aus der Vergangenheit hervorgegangene Rechtsbildung als ein Höchstes aufgestellt, welchem die unveränderte Herrschaft erhalten werden müsse. Vielmehr besteht das Wesen derselben in der gleichmäßigen Anerkennung des Werths und der Selbstständigkeit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1082/0010] Deutschland hatte im 17ten Jahrhundert Antheil genommen an der französischen Schule und einige treffliche Juristen geliefert, die in ihrem Geiste thätig waren. In diesem Jahrhundert war zugleich gerade der Gebrauch der Actenversendung an die Juristenfacultäten am häufigsten, und dadurch wurde eine Annäherung der Theorie und Praxis begründet, von der mit Recht von jeher die gründliche Verbesserung der Rechtspflege erwartet worden ist. Auf diese Weise war für die Zukunft Erfreuliches zu hoffen. Allein die Hoffnung ward wenigstens für die nächste Zukunft bitter getäuscht. Es drang der Geist der holländischen Schule nach Deutschland mit ihren mikrologischen Bestrebungen, und es thaten sich die sogenannten eleganten Juristen auf, von denen manche ihr Leben an die Entdeckung einer neuen Leseart setzen konnten. Dabei hatten sie in ihrer eleganten Rumpelkammer den gräßlichsten Hochmuth und die tiefste Verachtung gegen die nicht eleganten Juristen. Diese, durch die Verachtung erbittert, stellten sich nun in zwei Reihen ihnen gegenüber. Ein Theil, den Eleganten zum Trotz, warf sich, der grauen Theorie abhold, der zur Routine herabgesunkenen Praxis in die Arme, legte das etwas nach Antiquitäten riechende römische Gesetzbuch beiseite und verehrte den usus modernus, die promtuaria juris und einige Camerales als seine Orakel. Ein anderer Theil, bei weitem der bessere, mit einzelnen Männern voll Feuer und Kraft, wie z. B. dem ehrwürdigen Thomasius, mißvergnügt und verzweifelnd über den gegebenen Rechtszustand, steuerte hinaus in die hohe See, und hoffte dort eine neue bessere Welt zu entdecken. Schon im Corpus juris hatten diese Männer gelesen von einem jus, quod natura omnia animalia docuit. Dieses Recht der Menschen in einem willkürlich erdichteten Naturstande gefiel ihnen ausnehmend wohl, und statt durch eine gründliche Forschung und gesunde Exegese das römische Recht dem Rechtszustande der Gegenwart anzueignen, versuchten sie letztern nach ihrem Naturstande, so weit es gehen wollte, umzumodeln, und legten die im römischen Recht vorkommenden Streitfragen nach den Principien ihres Naturrechts aus. Die Vorsehung wollte nun, daß gegen das Ende des 18ten und am Anfange des 19ten Jahrhunderts an die Spitze einer jeden der drei, inzwischen nach den Fortschritten der Wissenschaft mehr ausgebildeten und modificirten Schulen ein hochgeachteter Mann treten sollte, aber nur um die Schule selbst in ihrer Einseitigkeit zu vernichten. Hugo, jetzt der ehrwürdige Veteran, der auch in den Angelegenheiten der Gegenwart seinen hohen, unerschütterlichen Rechtssinn auf eine glänzende Weise bethätigt hat, trat zuerst auf, und ihm, den die Eleganten so gern den Ihrigen nennen möchten, gebührt das Verdienst, daß er der antiquarischen Schule ein Ende machte, indem seine Rechtsgeschichte die Eleganten recht eindringlich an das Wort: „der Buchstabe tödtet, der Geist aber macht lebendig“ erinnerte, und ihnen zeigte, wie wenig sie selbst im eigentlichen Historischen geleistet hatten. Den Naturrechtsjuristen entgegen trat Feuerbach auf; der Kritik der Philosophie gesellte er den Reichthum der ihm durch das eifrige Studium des positiven Rechts gewordenen Erfahrung bei, und wies in Schriften und mündlicher Lehre nach, daß das Naturrecht doch etwas Anderes sey, als Heineccii institutiones nach Wolfs beliebter methodus mathematica verarbeitet. Den Praktikern gegenüber erhob sich Anton Friedrich Justus Thibaut, geboren den 4 Januar 1774 zu Hameln im Hannöver'schen, seit 1798 Adjunct der Juristenfacultät, und seit 1799 Professor Ordinarius zu Kiel, im Jahr 1802 nach Jena und von da im Jahr 1805 nach Heidelberg berufen. Er that ihnen dar, daß zwar allerdings der nächste Zweck der Rechtswissenschaft sey, praktische Rechtssätze zu geben, daß diese aber nicht aus einem usus modernus, sondern aus den Gesetzbüchern selbst zu schöpfen seyen, welche ohne Wissenschaft der Geschichte und der Ausbildung des römischen Rechts und ohne gründliche Kenntniß der Philologie nicht verstanden werden könnten. Er wies nicht immer, wie die Eleganten, auf die Fleischtöpfe Aegyptens hin; er ließ aber auch den Juristen nicht, wie die sogenannten Praktiker, in der Wüste der Gegenwart sterben, sondern er führte ihn auf den heiligen Berg, von wo er in das gelobte Land der Zukunft ahnend blicken konnte, der Zukunft, wo eine neue, bessere Gesetzgebung für sein geliebtes Deutschland kommen würde. Damit dieselbe keine Fremdlinge träfe, bestrebte er sich bei seiner Bearbeitung des römischen Rechts, auf die feineren rationes civiles aufmerksam zu machen, und so zum Auffassen des Geistes jedes Gesetzbuchs vorzubereiten. In diesem Sinne schrieb er sein System des Pandektenrechts, welches zuerst im Jahr 1803 erschienen ist und für eine wissenschaftlichere Bearbeitung des römischen Rechts Bahn gebrochen hat; dieser Sinn leitete ihn bei der Erörterung einzelner Materien des römischen Rechts; in diesem Sinne war er thätig als akademischer Lehrer, als welcher er sich durch die Genialität des Dargestellten eben so sehr, als durch die Lebendigkeit, Gewandtheit und Anschaulichkeit der Darstellung in einem so seltenen Grade auszeichnete. Als der Druck Napoleonischer Herrschaft schwer auf Deutschlands Gauen lastete, als ihnen das fremde Gesetzbuch aufgedrungen werden sollte, hatte Thibaut zu einer Zeit, wo sich in Deutschland es die Meisten zur Aufgabe machten, sich in Schmeicheleien gegen den fremden Herrscher und seine Schöpfungen zu überbieten, den Muth, sich frei und offen aus wissenschaftlichen Gründen gegen die Annahme des französischen Gesetzbuchs, dessen verschiedene Mängel er in mehrfachen Recensionen in den Heidelberger Jahrbüchern nachwies, zu erklären. Dieser in einer gefahrvollen Zeit bewiesene männliche Muth gab ihm die Zuversicht, als nach Zertrümmerung des fremden Joches die deutschen Völker, welche so viel gelitten und so viel zu heilen hatten, für die großen Opfer gerechte Vergeltung hofften, und da nun die Stürme eines langen, verheerenden Krieges vorüber, erwarteten und wünschten, daß sie, durch eine bessere Gesetzgebung als die bisherige in ihren Privatrechtsverhältnissen geschützt, die Ruhe des lang ersehnten Friedens genießen könnten, im Jahr 1814 mit seiner Schrift über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland aufzutreten. Die Schrift fand vielen Anklang, aber auch vielen Widerspruch; sie war es, welche die Eintheilung der Rechtsschulen in die historische und nicht historische hauptsächlich veranlaßte. Wie es zu geschehen pflegt, wenn Schulen mit Parteinamen sich bilden, haben die Schüler, um ihre Anhänglichkeit an die Meister zu bewähren, deren Ansichten in ihrer schroffsten Einseitigkeit dargestellt, und dadurch die Meister selbst einander mehr entfremdet. So viel dem Verfasser gegenwärtiger Zeilen bekannt ist, war es Thibaut nicht vergönnt, vor seinem Tode noch die Worte Savigny's *) *) zu lesen: „Die geschichtliche Ansicht der Rechtswissenschaft wird völlig verkannt und entstellt, wenn sie häufig so aufgefaßt wird, als werde in ihr die aus der Vergangenheit hervorgegangene Rechtsbildung als ein Höchstes aufgestellt, welchem die unveränderte Herrschaft erhalten werden müsse. Vielmehr besteht das Wesen derselben in der gleichmäßigen Anerkennung des Werths und der Selbstständigkeit *) System des heutigen römischen Rechts. Vorrede S. XIV u. XV.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_136_18400515
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_136_18400515/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 136. Augsburg, 15. Mai 1840, S. 1082. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_136_18400515/10>, abgerufen am 29.04.2024.