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Allgemeine Zeitung. Nr. 136. Augsburg, 15. Mai 1840.

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jedes Zeitalters, und sie legt nur darauf das höchste Gewicht, daß der lebendige Zusammenhang erkannt werde, welcher die Gegenwart an die Vergangenheit knüpft, und ohne dessen Kenntniß wir von dem Rechtszustand der Gegenwart nur die äußere Erscheinung wahrnehmen, nicht das innere Wesen begreifen. In besonderer Anwendung auf das römische Recht geht die geschichtliche Ansicht nicht, wie von Vielen behauptet wird, darauf aus, demselben eine ungebührliche Herrschaft über uns zuzuwenden; vielmehr will sie zunächst in der ganzen Masse unseres Rechtszustandes dasjenige auffinden und feststellen, was in der That römischen Ursprungs ist, damit wir nicht bewußtlos davon beherrscht werden: dann aber strebt sie, in dem Umkreis dieser römischen Elemente unseres Rechtsbewußtseyns dasjenige auszuscheiden, was davon in der That abgestorben ist, und nur durch unser Mißverständniß ein störendes Scheinleben fortführt, damit für die Entwicklung und heilsame Einwirkung der noch lebendigen Theile jener römischen Elemente um so freierer Raum gewonnen werde."

Hätte Thibaut noch diese Worte seines Gegners vernommen, er hätte gewiß in seinen Wunsch eingestimmt, daß der ganze Parteistreit und die darauf bezüglichen Parteinamen beseitigt werden, und die Träger der verschiedenen Kräfte fortan nie aufhören möchten, sich als Arbeiter an demselben großen Bau anzusehen.*) Auch Thibaut verkannte nie, daß der Vergangenheit ihre Wirkung auf die Gegenwart nicht entzogen werden kann; aber er nahm auch für die Gegenwart ihr Recht, für die Zukunft ihre Entwicklung in Anspruch - auch Thibaut verkannte nie, daß von der Geschichte und dem durch sie gewonnenen Boden ungestraft sich Niemand lossagt; aber er hegte auch in sich die Ueberzeugung, daß die Geschichte sich eben sowohl auf die Gegenwart und Zukunft, als auf die Vergangenheit bezieht - auch Thibaut hat in dem römischen Recht einen welthistorischen Moment anerkannt, aber er hat dabei nie vergessen, daß jeder solche Moment eine Wahrheit in sich und für seine Zeit hat, die er verliert, wenn er ausschließlich und für alle Zeiten seyn will - auch Thibaut hat Roms und seines Rechtes Herrlichkeit seine Würdigung nicht versagt; aber er war weit entfernt, sich elegischen Betrachtungen über die in Staub gesunkenen Größen hinzugeben, vielmehr forderte er zu einer klaren Erkenntniß der Gegenwart und ihrer Bedürfnisse auf - auch Thibaut hat nicht verkannt und konnte nicht verkennen, daß in jeder neueren Gesetzgebung das römische Recht, als das gemeine Recht der abendländischen Christenheit, die materielle Grundlage bilden werde und müsse; aber er wollte das dem germanischen Charakter Fremdartige, particular Romanische ausgeschieden und eine der Bestimmung eines Gesetzbuchs entsprechende Form der Redaction gewählt wissen. Das von ihm zuerst ausgesprochene Verlangen nach einem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch für Deutschland hat Thibaut bei der Ungunst der Umstände aufgeben müssen; nie aber hat er den, von den Bewohnern den eine solche Wohlthat noch entbehrenden Länder getheilten Wunsch aufgegeben, daß sich die Regierungen der deutschen Staaten von dem Schaffen neuer Particulargesetzbücher nicht möchten abschrecken lassen, daß sie solche Bücher als das wichtigste Nationalwerk behandeln, es nicht bloß durch kümmerliche Mittel unterstützen, und sich nicht durch ungeduldige Stürmer zur Uebereilung verleiten lassen möchten.**)**)

Wie sich Thibaut in der Ansicht über das Bedürfniß einer neuen Gesetzgebung gleichgeblieben ist, so hat er auch in sonstigen Beziehungen den Ruhm eines homo sibi constans bewahrt. So wie Niebuhr den Jüngling auf der Universität Kiel schildert,*) eben so in den Grundzügen hat er fast 30 Jahre später den bejahrten Mann in Heidelberg wiedergetroffen.**)**) An dem politischen Leben hat Thibaut nie einen activen Antheil genommen, aber auch in der Hinsicht ist er den Ueberzeugungen seiner Jugend bis zum Grabe insofern treu geblieben, als er stets ein Freund der Freiheit, ein Feind der Willkür war, mochte diese geübt oder versucht werden von welcher Seite sie wollte.

Die Kunde von Thibauts Tod hat in ganz Deutschland Trauer erregt. Wenn manche seiner zahlreichen Schüler aus allen deutschen Gauen geraume Zeit nach ihren akademischen Jahren Heidelberg wieder besuchen, um die Erinnerung an die daselbst verbrachten frohen Tage lebendiger zurückzurufen, so wird unter andern wehmüthigen Empfindungen eine der schmerzlichsten seyn, daß ihnen nicht vergönnt ist, die Stimme des geliebten Lehrers wieder zu hören, und daß sie ihm nur durch einen Besuch auf St. Anna's stillem Friedhof ihre Verehrung bezeigen können.

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Wiener Briefe.

Das sociale Leben bietet in diesem Augenblick nichts, das aus dem Kreise des Alltäglichen träte, und ich habe in dieser Beziehung eben nichts zu berichten. Selbst die gewöhnliche Praterfahrt am Ostermontag und am ersten Mai, ein eigenthümliches Fest der Wiener, an dem mehrere Tausend elegante Equipagen gewöhnlich Theil nehmen, und wo, was Geschmack und Aufwand in dieser Beziehung vermögen und Neues brachten, zur Schau gestellt wird, wurde dieses Jahr einigermaßen durch das rauhe Wetter beeinträchtigt. Blumenausstellungen in der Art der früher erwähnten des Freiherrn v. Hügel, hatten seither in mehreren andern Gärten, in dem des Fürsten Lichtenstein, des Fürsten Metternich, des Hrn. Arthabers zu Döblingen (dem kunstverständigen Besitzer einer sehr interessanten Sammlung von Bildern moderner Meister) Statt, und jene der Gartengesellschaft ist eben jetzt zu sehen. Auch die Gemälde-Ausstellung hat seit mehreren Wochen begonnen. Sie hat dieses Jahr ein geeignetes Local im polytechnischen Institut, und enthält, außer einigen Meisterbildern, manches Vorzügliche, dagegen auch viel Schlechtes, und Manchem hätte billig der Platz verweigert werden sollen, wenn solche Ausnahmen nicht oft zu großer Parteilichkeit Anlaß gäben. Ich behalte mir eine ausführlichere Anzeige dieser Ausstellung vor.

In der Litteratur sind die von A. Frankel herausgegebenen Gedichte des verstorbenen Hilscher, von denen schon in diesen Blättern Erwähnung geschah, eine interessante Erscheinung. Die der Sammlung vom Herausgeber beigegebene, etwas pretentiöse und schwülstige Biographie, sucht, nicht glücklich, den

*) Ebend. S. XVI. XVII.
**) Dessen Abhandlung über die sogenannte historische und nicht historische Rechtsschule im Arch. für die civil. Praxis. Bd. 21, S. 400 (auch besonders abgedruckt).
*) Lebensnachrichten über Barthold Niebuhr. Bd. I. S 51: "An Thibaut wüßte ich nichts zu tadeln als einigen Eigensinn und einen Demokratismus, der mich doch nicht hindert, ihn zu lieben, weil ich ihn um so verzeihlicher finde, da er von den Refugies des vorigen Jahrhunderts abstammt: eine anscheinende Kälte löst sich bei näherem Umgang in lautere Freundschaft auf; mehr Fleiß, mehr Denkkraft, mehr unbescholtene Tugend und Rechtschaffenheit darf man von keinem Menschen fordern, als man bei ihm findet."
**) Ebend. Bd. III. S 53: "Thibaut habe ich sehr klar und über alle allgemeinen Dinge richtig sehend gefunden, freundschaftlich und offen."

jedes Zeitalters, und sie legt nur darauf das höchste Gewicht, daß der lebendige Zusammenhang erkannt werde, welcher die Gegenwart an die Vergangenheit knüpft, und ohne dessen Kenntniß wir von dem Rechtszustand der Gegenwart nur die äußere Erscheinung wahrnehmen, nicht das innere Wesen begreifen. In besonderer Anwendung auf das römische Recht geht die geschichtliche Ansicht nicht, wie von Vielen behauptet wird, darauf aus, demselben eine ungebührliche Herrschaft über uns zuzuwenden; vielmehr will sie zunächst in der ganzen Masse unseres Rechtszustandes dasjenige auffinden und feststellen, was in der That römischen Ursprungs ist, damit wir nicht bewußtlos davon beherrscht werden: dann aber strebt sie, in dem Umkreis dieser römischen Elemente unseres Rechtsbewußtseyns dasjenige auszuscheiden, was davon in der That abgestorben ist, und nur durch unser Mißverständniß ein störendes Scheinleben fortführt, damit für die Entwicklung und heilsame Einwirkung der noch lebendigen Theile jener römischen Elemente um so freierer Raum gewonnen werde.“

Hätte Thibaut noch diese Worte seines Gegners vernommen, er hätte gewiß in seinen Wunsch eingestimmt, daß der ganze Parteistreit und die darauf bezüglichen Parteinamen beseitigt werden, und die Träger der verschiedenen Kräfte fortan nie aufhören möchten, sich als Arbeiter an demselben großen Bau anzusehen.*) Auch Thibaut verkannte nie, daß der Vergangenheit ihre Wirkung auf die Gegenwart nicht entzogen werden kann; aber er nahm auch für die Gegenwart ihr Recht, für die Zukunft ihre Entwicklung in Anspruch – auch Thibaut verkannte nie, daß von der Geschichte und dem durch sie gewonnenen Boden ungestraft sich Niemand lossagt; aber er hegte auch in sich die Ueberzeugung, daß die Geschichte sich eben sowohl auf die Gegenwart und Zukunft, als auf die Vergangenheit bezieht – auch Thibaut hat in dem römischen Recht einen welthistorischen Moment anerkannt, aber er hat dabei nie vergessen, daß jeder solche Moment eine Wahrheit in sich und für seine Zeit hat, die er verliert, wenn er ausschließlich und für alle Zeiten seyn will – auch Thibaut hat Roms und seines Rechtes Herrlichkeit seine Würdigung nicht versagt; aber er war weit entfernt, sich elegischen Betrachtungen über die in Staub gesunkenen Größen hinzugeben, vielmehr forderte er zu einer klaren Erkenntniß der Gegenwart und ihrer Bedürfnisse auf – auch Thibaut hat nicht verkannt und konnte nicht verkennen, daß in jeder neueren Gesetzgebung das römische Recht, als das gemeine Recht der abendländischen Christenheit, die materielle Grundlage bilden werde und müsse; aber er wollte das dem germanischen Charakter Fremdartige, particular Romanische ausgeschieden und eine der Bestimmung eines Gesetzbuchs entsprechende Form der Redaction gewählt wissen. Das von ihm zuerst ausgesprochene Verlangen nach einem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch für Deutschland hat Thibaut bei der Ungunst der Umstände aufgeben müssen; nie aber hat er den, von den Bewohnern den eine solche Wohlthat noch entbehrenden Länder getheilten Wunsch aufgegeben, daß sich die Regierungen der deutschen Staaten von dem Schaffen neuer Particulargesetzbücher nicht möchten abschrecken lassen, daß sie solche Bücher als das wichtigste Nationalwerk behandeln, es nicht bloß durch kümmerliche Mittel unterstützen, und sich nicht durch ungeduldige Stürmer zur Uebereilung verleiten lassen möchten.**)**)

Wie sich Thibaut in der Ansicht über das Bedürfniß einer neuen Gesetzgebung gleichgeblieben ist, so hat er auch in sonstigen Beziehungen den Ruhm eines homo sibi constans bewahrt. So wie Niebuhr den Jüngling auf der Universität Kiel schildert,*) eben so in den Grundzügen hat er fast 30 Jahre später den bejahrten Mann in Heidelberg wiedergetroffen.**)**) An dem politischen Leben hat Thibaut nie einen activen Antheil genommen, aber auch in der Hinsicht ist er den Ueberzeugungen seiner Jugend bis zum Grabe insofern treu geblieben, als er stets ein Freund der Freiheit, ein Feind der Willkür war, mochte diese geübt oder versucht werden von welcher Seite sie wollte.

Die Kunde von Thibauts Tod hat in ganz Deutschland Trauer erregt. Wenn manche seiner zahlreichen Schüler aus allen deutschen Gauen geraume Zeit nach ihren akademischen Jahren Heidelberg wieder besuchen, um die Erinnerung an die daselbst verbrachten frohen Tage lebendiger zurückzurufen, so wird unter andern wehmüthigen Empfindungen eine der schmerzlichsten seyn, daß ihnen nicht vergönnt ist, die Stimme des geliebten Lehrers wieder zu hören, und daß sie ihm nur durch einen Besuch auf St. Anna's stillem Friedhof ihre Verehrung bezeigen können.

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Wiener Briefe.

Das sociale Leben bietet in diesem Augenblick nichts, das aus dem Kreise des Alltäglichen träte, und ich habe in dieser Beziehung eben nichts zu berichten. Selbst die gewöhnliche Praterfahrt am Ostermontag und am ersten Mai, ein eigenthümliches Fest der Wiener, an dem mehrere Tausend elegante Equipagen gewöhnlich Theil nehmen, und wo, was Geschmack und Aufwand in dieser Beziehung vermögen und Neues brachten, zur Schau gestellt wird, wurde dieses Jahr einigermaßen durch das rauhe Wetter beeinträchtigt. Blumenausstellungen in der Art der früher erwähnten des Freiherrn v. Hügel, hatten seither in mehreren andern Gärten, in dem des Fürsten Lichtenstein, des Fürsten Metternich, des Hrn. Arthabers zu Döblingen (dem kunstverständigen Besitzer einer sehr interessanten Sammlung von Bildern moderner Meister) Statt, und jene der Gartengesellschaft ist eben jetzt zu sehen. Auch die Gemälde-Ausstellung hat seit mehreren Wochen begonnen. Sie hat dieses Jahr ein geeignetes Local im polytechnischen Institut, und enthält, außer einigen Meisterbildern, manches Vorzügliche, dagegen auch viel Schlechtes, und Manchem hätte billig der Platz verweigert werden sollen, wenn solche Ausnahmen nicht oft zu großer Parteilichkeit Anlaß gäben. Ich behalte mir eine ausführlichere Anzeige dieser Ausstellung vor.

In der Litteratur sind die von A. Frankel herausgegebenen Gedichte des verstorbenen Hilscher, von denen schon in diesen Blättern Erwähnung geschah, eine interessante Erscheinung. Die der Sammlung vom Herausgeber beigegebene, etwas pretentiöse und schwülstige Biographie, sucht, nicht glücklich, den

*) Ebend. S. XVI. XVII.
**) Dessen Abhandlung über die sogenannte historische und nicht historische Rechtsschule im Arch. für die civil. Praxis. Bd. 21, S. 400 (auch besonders abgedruckt).
*) Lebensnachrichten über Barthold Niebuhr. Bd. I. S 51: „An Thibaut wüßte ich nichts zu tadeln als einigen Eigensinn und einen Demokratismus, der mich doch nicht hindert, ihn zu lieben, weil ich ihn um so verzeihlicher finde, da er von den Refugiés des vorigen Jahrhunderts abstammt: eine anscheinende Kälte löst sich bei näherem Umgang in lautere Freundschaft auf; mehr Fleiß, mehr Denkkraft, mehr unbescholtene Tugend und Rechtschaffenheit darf man von keinem Menschen fordern, als man bei ihm findet.“
**) Ebend. Bd. III. S 53: „Thibaut habe ich sehr klar und über alle allgemeinen Dinge richtig sehend gefunden, freundschaftlich und offen.“
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jedes Zeitalters, und sie legt nur darauf das höchste Gewicht, daß der lebendige Zusammenhang erkannt werde, welcher die Gegenwart an die Vergangenheit knüpft, und ohne dessen Kenntniß wir von dem Rechtszustand der Gegenwart nur die äußere Erscheinung wahrnehmen, nicht das innere Wesen begreifen. In besonderer Anwendung auf das römische Recht geht die geschichtliche Ansicht nicht, wie von Vielen behauptet wird, darauf aus, demselben eine ungebührliche Herrschaft über uns zuzuwenden; vielmehr will sie zunächst in der ganzen Masse unseres Rechtszustandes dasjenige auffinden und feststellen, was in der That römischen Ursprungs ist, damit wir nicht bewußtlos davon beherrscht werden: dann aber strebt sie, in dem Umkreis dieser römischen Elemente unseres Rechtsbewußtseyns dasjenige auszuscheiden, was davon in der That abgestorben ist, und nur durch unser Mißverständniß ein störendes Scheinleben fortführt, damit für die Entwicklung und heilsame Einwirkung der noch lebendigen Theile jener römischen Elemente um so freierer Raum gewonnen werde.&#x201C;</p><lb/>
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[1083/0011] jedes Zeitalters, und sie legt nur darauf das höchste Gewicht, daß der lebendige Zusammenhang erkannt werde, welcher die Gegenwart an die Vergangenheit knüpft, und ohne dessen Kenntniß wir von dem Rechtszustand der Gegenwart nur die äußere Erscheinung wahrnehmen, nicht das innere Wesen begreifen. In besonderer Anwendung auf das römische Recht geht die geschichtliche Ansicht nicht, wie von Vielen behauptet wird, darauf aus, demselben eine ungebührliche Herrschaft über uns zuzuwenden; vielmehr will sie zunächst in der ganzen Masse unseres Rechtszustandes dasjenige auffinden und feststellen, was in der That römischen Ursprungs ist, damit wir nicht bewußtlos davon beherrscht werden: dann aber strebt sie, in dem Umkreis dieser römischen Elemente unseres Rechtsbewußtseyns dasjenige auszuscheiden, was davon in der That abgestorben ist, und nur durch unser Mißverständniß ein störendes Scheinleben fortführt, damit für die Entwicklung und heilsame Einwirkung der noch lebendigen Theile jener römischen Elemente um so freierer Raum gewonnen werde.“ Hätte Thibaut noch diese Worte seines Gegners vernommen, er hätte gewiß in seinen Wunsch eingestimmt, daß der ganze Parteistreit und die darauf bezüglichen Parteinamen beseitigt werden, und die Träger der verschiedenen Kräfte fortan nie aufhören möchten, sich als Arbeiter an demselben großen Bau anzusehen. *) Auch Thibaut verkannte nie, daß der Vergangenheit ihre Wirkung auf die Gegenwart nicht entzogen werden kann; aber er nahm auch für die Gegenwart ihr Recht, für die Zukunft ihre Entwicklung in Anspruch – auch Thibaut verkannte nie, daß von der Geschichte und dem durch sie gewonnenen Boden ungestraft sich Niemand lossagt; aber er hegte auch in sich die Ueberzeugung, daß die Geschichte sich eben sowohl auf die Gegenwart und Zukunft, als auf die Vergangenheit bezieht – auch Thibaut hat in dem römischen Recht einen welthistorischen Moment anerkannt, aber er hat dabei nie vergessen, daß jeder solche Moment eine Wahrheit in sich und für seine Zeit hat, die er verliert, wenn er ausschließlich und für alle Zeiten seyn will – auch Thibaut hat Roms und seines Rechtes Herrlichkeit seine Würdigung nicht versagt; aber er war weit entfernt, sich elegischen Betrachtungen über die in Staub gesunkenen Größen hinzugeben, vielmehr forderte er zu einer klaren Erkenntniß der Gegenwart und ihrer Bedürfnisse auf – auch Thibaut hat nicht verkannt und konnte nicht verkennen, daß in jeder neueren Gesetzgebung das römische Recht, als das gemeine Recht der abendländischen Christenheit, die materielle Grundlage bilden werde und müsse; aber er wollte das dem germanischen Charakter Fremdartige, particular Romanische ausgeschieden und eine der Bestimmung eines Gesetzbuchs entsprechende Form der Redaction gewählt wissen. Das von ihm zuerst ausgesprochene Verlangen nach einem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch für Deutschland hat Thibaut bei der Ungunst der Umstände aufgeben müssen; nie aber hat er den, von den Bewohnern den eine solche Wohlthat noch entbehrenden Länder getheilten Wunsch aufgegeben, daß sich die Regierungen der deutschen Staaten von dem Schaffen neuer Particulargesetzbücher nicht möchten abschrecken lassen, daß sie solche Bücher als das wichtigste Nationalwerk behandeln, es nicht bloß durch kümmerliche Mittel unterstützen, und sich nicht durch ungeduldige Stürmer zur Uebereilung verleiten lassen möchten.**) **) Wie sich Thibaut in der Ansicht über das Bedürfniß einer neuen Gesetzgebung gleichgeblieben ist, so hat er auch in sonstigen Beziehungen den Ruhm eines homo sibi constans bewahrt. So wie Niebuhr den Jüngling auf der Universität Kiel schildert, *) eben so in den Grundzügen hat er fast 30 Jahre später den bejahrten Mann in Heidelberg wiedergetroffen.**) **) An dem politischen Leben hat Thibaut nie einen activen Antheil genommen, aber auch in der Hinsicht ist er den Ueberzeugungen seiner Jugend bis zum Grabe insofern treu geblieben, als er stets ein Freund der Freiheit, ein Feind der Willkür war, mochte diese geübt oder versucht werden von welcher Seite sie wollte. Die Kunde von Thibauts Tod hat in ganz Deutschland Trauer erregt. Wenn manche seiner zahlreichen Schüler aus allen deutschen Gauen geraume Zeit nach ihren akademischen Jahren Heidelberg wieder besuchen, um die Erinnerung an die daselbst verbrachten frohen Tage lebendiger zurückzurufen, so wird unter andern wehmüthigen Empfindungen eine der schmerzlichsten seyn, daß ihnen nicht vergönnt ist, die Stimme des geliebten Lehrers wieder zu hören, und daß sie ihm nur durch einen Besuch auf St. Anna's stillem Friedhof ihre Verehrung bezeigen können. βχ Wiener Briefe. Das sociale Leben bietet in diesem Augenblick nichts, das aus dem Kreise des Alltäglichen träte, und ich habe in dieser Beziehung eben nichts zu berichten. Selbst die gewöhnliche Praterfahrt am Ostermontag und am ersten Mai, ein eigenthümliches Fest der Wiener, an dem mehrere Tausend elegante Equipagen gewöhnlich Theil nehmen, und wo, was Geschmack und Aufwand in dieser Beziehung vermögen und Neues brachten, zur Schau gestellt wird, wurde dieses Jahr einigermaßen durch das rauhe Wetter beeinträchtigt. Blumenausstellungen in der Art der früher erwähnten des Freiherrn v. Hügel, hatten seither in mehreren andern Gärten, in dem des Fürsten Lichtenstein, des Fürsten Metternich, des Hrn. Arthabers zu Döblingen (dem kunstverständigen Besitzer einer sehr interessanten Sammlung von Bildern moderner Meister) Statt, und jene der Gartengesellschaft ist eben jetzt zu sehen. Auch die Gemälde-Ausstellung hat seit mehreren Wochen begonnen. Sie hat dieses Jahr ein geeignetes Local im polytechnischen Institut, und enthält, außer einigen Meisterbildern, manches Vorzügliche, dagegen auch viel Schlechtes, und Manchem hätte billig der Platz verweigert werden sollen, wenn solche Ausnahmen nicht oft zu großer Parteilichkeit Anlaß gäben. Ich behalte mir eine ausführlichere Anzeige dieser Ausstellung vor. In der Litteratur sind die von A. Frankel herausgegebenen Gedichte des verstorbenen Hilscher, von denen schon in diesen Blättern Erwähnung geschah, eine interessante Erscheinung. Die der Sammlung vom Herausgeber beigegebene, etwas pretentiöse und schwülstige Biographie, sucht, nicht glücklich, den *) Ebend. S. XVI. XVII. **) Dessen Abhandlung über die sogenannte historische und nicht historische Rechtsschule im Arch. für die civil. Praxis. Bd. 21, S. 400 (auch besonders abgedruckt). *) Lebensnachrichten über Barthold Niebuhr. Bd. I. S 51: „An Thibaut wüßte ich nichts zu tadeln als einigen Eigensinn und einen Demokratismus, der mich doch nicht hindert, ihn zu lieben, weil ich ihn um so verzeihlicher finde, da er von den Refugiés des vorigen Jahrhunderts abstammt: eine anscheinende Kälte löst sich bei näherem Umgang in lautere Freundschaft auf; mehr Fleiß, mehr Denkkraft, mehr unbescholtene Tugend und Rechtschaffenheit darf man von keinem Menschen fordern, als man bei ihm findet.“ **) Ebend. Bd. III. S 53: „Thibaut habe ich sehr klar und über alle allgemeinen Dinge richtig sehend gefunden, freundschaftlich und offen.“

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 136. Augsburg, 15. Mai 1840, S. 1083. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_136_18400515/11>, abgerufen am 29.04.2024.