Allgemeine Zeitung. Nr. 136. Augsburg, 15. Mai 1840.es Einfalt seyn würde, daran zu zweifeln, oder Anstoß daran zu nehmen. Da man nun voraussehen konnte, daß Toreno zwar siegreich aus diesem Angriffe hervorgehen, es bei den Debatten aber zu ärgerlichen Persönlichkeiten kommen würde, so war es der Wunsch aller Freunde des Anstandes, daß mit der Annahme des Commissionsberichts alle weitern Verhandlungen unterbleiben möchten. Der Graf Toreno aber, sein Uebergewicht in dieser Angelegenheit fühlend, und von verschiedenen Personen, die eine Art von Camarilla um ihn bilden, angespornt, wußte es vorgestern durchzusetzen, daß der parlamentarische Kampf eröffnet werde. Schon zu früher Stunde drängte sich das niedre Volk, so wie die Auswahl der Madrider Gesellschaft, angelockt von der Aussicht auf den bevorstehenden Skandal, in die öffentliche Schaubühne, welche man hier den Palast des Congresses nennt. Die Sitzung lief indessen ruhig ab, da die Erwartungen, welche sich das Publicum gemacht hatte, durch die Verhandlungen über einen so trocknen Gegenstand, wie das Quecksilbergeschäft an sich ist, nicht befriedigt werden konnten. Toreno selbst rechtfertigte sich in einem langen, gelehrten, und nicht ganz anspruchslosen Vortrag, wobei er die Uebereilung beging, seinen abwesenden Ankläger, den General Seoane, als den Urheber der Niederlage anzuklagen, welche die Truppen der Königin im Frühjahr 1835 in den Amezcuas erlitten. Gestern aber theilte sich die bewegliche Eigenschaft des Quecksilbers im höchsten Grade den in der Sitzung des Congresses anwesenden Personen mit. Der interimistische Kriegsminister (denn der wirkliche ist schwer erkrankt) glaubte im Namen der Armee die von Toreno aufgestellte Behauptung, als ob die Truppen der Königin in den Amezcuas eine "Niederlage" erlitten hätten, mit einigen wohlgesetzten Worten widerlegen zu müssen. Hierüber gerieth Toreno in Zorn, der auf den höchsten Grad gesteigert wurde, als der Justizminister ihn beschwichtigen wollte, und sich darauf berief, daß sich die Minister stets gegen den Grafen sehr gefällig gezeigt hätten. Dieser ward plötzlich wie verwandelt: seine untersetzte ignoble Gestalt versuchte es, in die Höhe zu fahren; sein bleiches Antlitz wurde mit Purpur überzogen, die kleinen tiefliegenden Augen drohten aus ihren Winkeln zu treten, und die sonst so beredten Lippen wurden von einer Fluth unerhörter Erbärmlichkeiten überströmt. Vernehmen Sie, was den Grafen Toreno unglücklich macht! "Seit ich zurückgekommen bin," rief er aus, "haben mich die Minister nur beleidigt. Ich stattete dem Ministerpräsidenten in Person einen Besuch ab; er hat diesen nur durch das Zuschicken einer Karte erwiedert. Mit den übrigen Ministern hatte ich nichts zu schaffen, und ich unterstütze sie nur so lange, als ihre Grundsätze mit der Freiheit vereinbar sind. Welche Gefälligkeiten habe ich von ihnen verlangt? Wenn mir Auszeichnungen geworden sind, so erhielt ich sie durch I. Maj. Mich allein haben die Minister verschmäht um Rath zu fragen, und höchstens zweimal haben sie mich in Verbindung mit Andern angehört." Sobald die Opposition gewahr ward, daß der Zorn des Grafen gegen die Minister gerichtet war, erhob sie lautes schadenfrohes Beifallgeschrei, in welches der Pöbel auf der öffentlichen Galerie sogleich einstimmte, während die Mitglieder der Majorität, die sich durch das unerklärbare Benehmen Toreno's bloßgestellt sahen, die augenscheinlichste Bestürzung verriethen. Der Graf, durch jenen schnöden Beifall noch mehr erhitzt, fuhr fort: "Ich bin unschuldig an diesem Ministerium; es selbst hat sich gestaltet, umgestaltet und neugestaltet; es selbst hat sich zusammengesetzt, und nach eigenem Gutdünken neu zusammengesetzt." ... Hier erreichte der Jubel des Volkes den höchsten Grad; ein donnerndes Beifallklatschen und Pochen, der Ausruf bien! bien! erscholl von der Galerie wie von den Bänken der Opposition, und es entstand im Innern des Congresses selbst ein solcher Tumult, daß der Präsident endlich wüthend seine Klingel zertrümmerte und die Sitzung aufhob. Ueber diesen Vorfall herrscht unter allen Personen, welche einigermaßen die Folgen zu berechnen verstehen, und denen der Ruf des Grafen Toreno am Herzen lag, die größte Mißbilligung. Die Majorität des Congresses sollte, ihrer eigenen Erklärung zufolge, dem Ministerium zur Stütze dienen, und plötzlich gibt derjenige Deputirte, der für den Hauptvertreter der Majorität gehalten wird, das Ministerium dem Hohngelächter der Nation preis. Er läßt die Maske fallen, und gewährt der ihm so feindlich gesinnten Opposition einen freien Blick auf das geheime Triebwerk, von dem er und viele der Seinigen geleitet werden. Der letzte Gedanke an die Möglichkeit, durch parlamentarische Disputationen, durch Aufstellung von Programmen, durch das System von Majoritäten und Minoritäten, die Lage des Landes auch nur um eine Linie verbessern zu können, ist nun dahin geschwunden; zugleich aber auch der Glaube an die Fähigkeiten und die Charakterfestigkeit des Grafen Toreno. Er, der ein Staatsmann seyn will, versteht nicht, das ihm zunächst Liegende ins Auge zu fassen. Er hält sich für unentbehrlich, für die Hauptstütze eines Ministeriums, während dieses ihn nur als ein Hinderniß betrachtet; für den bevollmächtigten Vertreter einer mächtigen Partei, während diese ihn nur tolerirt, und sich fast seiner Cameradschaft schämt. Er entsagt der ersten Eigenschaft eines Staatsmannes, der Besonnenheit, indem er sich, hingerissen von den unwürdigsten Gefühlen, in seiner ganzen Blöße darstellt, und diese unter der entstellenden Maske des Revolutionärs zu verbergen sucht, um das Beifallgeschrei eben des Pöbels zu erringen, der ihn zu ermorden drohte, als seine Stimme für Recht, Sitte und Ordnung erscholl. Nichts kann entehrender seyn für den Grafen, nichts bezeichnender für die Stimmfähigkeit des Pöbels, als eben jenes Beifallgeschrei. Nicht einmal auf den Ruf eines geschickten Intriganten kann der Graf länger Anspruch machen. Alles dieß berechtigt mich auf meiner Behauptung zu beharren, daß man hier von allen Seiten um die Wette daran arbeitet, die so laut gepriesenen kaum aufgestellten Institutionen lächerlich zu machen, und als ein Hinderniß bei Seite zu schieben. Der Congreß selbst stellt sich als eine Schauspielerbande dar, welche Stücke aus dem Stegreif aufführt. Ein General (Linage) verbreitet in ganz Spanien ein gedrucktes Manifest, in welchem er die Truppen für die eigentlichen Vertreter der Nation ausgibt, und erregt dadurch bei den exaltirten Patrioten von Saragossa ein solches Entzücken, daß sie ihm zu Ehren einen feierlichen Aufzug halten (am 26 v.), und Lebehochs in folgender Ordnung ausbringen: "Der Königin Isabelle II, ihrer erlauchten Mutter, dem Herzog de la Victoria, Hrn. Linage, der Constitution, der Freiheit, dem Heere!" Die Verfassung, die Freiheit und das Heer stehen also dem Hrn. Linage nach. Um aber auch einen Beweis von der Achtung abzulegen, welche sie vor dem Artikel der Constitution, der die Preßfreiheit aufstellt, hegen, verbrannten dieselben Patrioten von Saragossa auf öffentlichem Markte mehrere Nummern des "Correo Nacional," in welchen einige bescheidene Einwendungen gegen das Manifest Linage's erhoben wurden. - N. S. Man ist übereingekommen, die Discussion über die Anklage Toreno's in der heutigen Sitzung des Congresses nicht wieder aufzunehmen. es Einfalt seyn würde, daran zu zweifeln, oder Anstoß daran zu nehmen. Da man nun voraussehen konnte, daß Toreno zwar siegreich aus diesem Angriffe hervorgehen, es bei den Debatten aber zu ärgerlichen Persönlichkeiten kommen würde, so war es der Wunsch aller Freunde des Anstandes, daß mit der Annahme des Commissionsberichts alle weitern Verhandlungen unterbleiben möchten. Der Graf Toreno aber, sein Uebergewicht in dieser Angelegenheit fühlend, und von verschiedenen Personen, die eine Art von Camarilla um ihn bilden, angespornt, wußte es vorgestern durchzusetzen, daß der parlamentarische Kampf eröffnet werde. Schon zu früher Stunde drängte sich das niedre Volk, so wie die Auswahl der Madrider Gesellschaft, angelockt von der Aussicht auf den bevorstehenden Skandal, in die öffentliche Schaubühne, welche man hier den Palast des Congresses nennt. Die Sitzung lief indessen ruhig ab, da die Erwartungen, welche sich das Publicum gemacht hatte, durch die Verhandlungen über einen so trocknen Gegenstand, wie das Quecksilbergeschäft an sich ist, nicht befriedigt werden konnten. Toreno selbst rechtfertigte sich in einem langen, gelehrten, und nicht ganz anspruchslosen Vortrag, wobei er die Uebereilung beging, seinen abwesenden Ankläger, den General Seoane, als den Urheber der Niederlage anzuklagen, welche die Truppen der Königin im Frühjahr 1835 in den Amezcuas erlitten. Gestern aber theilte sich die bewegliche Eigenschaft des Quecksilbers im höchsten Grade den in der Sitzung des Congresses anwesenden Personen mit. Der interimistische Kriegsminister (denn der wirkliche ist schwer erkrankt) glaubte im Namen der Armee die von Toreno aufgestellte Behauptung, als ob die Truppen der Königin in den Amezcuas eine „Niederlage“ erlitten hätten, mit einigen wohlgesetzten Worten widerlegen zu müssen. Hierüber gerieth Toreno in Zorn, der auf den höchsten Grad gesteigert wurde, als der Justizminister ihn beschwichtigen wollte, und sich darauf berief, daß sich die Minister stets gegen den Grafen sehr gefällig gezeigt hätten. Dieser ward plötzlich wie verwandelt: seine untersetzte ignoble Gestalt versuchte es, in die Höhe zu fahren; sein bleiches Antlitz wurde mit Purpur überzogen, die kleinen tiefliegenden Augen drohten aus ihren Winkeln zu treten, und die sonst so beredten Lippen wurden von einer Fluth unerhörter Erbärmlichkeiten überströmt. Vernehmen Sie, was den Grafen Toreno unglücklich macht! „Seit ich zurückgekommen bin,“ rief er aus, „haben mich die Minister nur beleidigt. Ich stattete dem Ministerpräsidenten in Person einen Besuch ab; er hat diesen nur durch das Zuschicken einer Karte erwiedert. Mit den übrigen Ministern hatte ich nichts zu schaffen, und ich unterstütze sie nur so lange, als ihre Grundsätze mit der Freiheit vereinbar sind. Welche Gefälligkeiten habe ich von ihnen verlangt? Wenn mir Auszeichnungen geworden sind, so erhielt ich sie durch I. Maj. Mich allein haben die Minister verschmäht um Rath zu fragen, und höchstens zweimal haben sie mich in Verbindung mit Andern angehört.“ Sobald die Opposition gewahr ward, daß der Zorn des Grafen gegen die Minister gerichtet war, erhob sie lautes schadenfrohes Beifallgeschrei, in welches der Pöbel auf der öffentlichen Galerie sogleich einstimmte, während die Mitglieder der Majorität, die sich durch das unerklärbare Benehmen Toreno's bloßgestellt sahen, die augenscheinlichste Bestürzung verriethen. Der Graf, durch jenen schnöden Beifall noch mehr erhitzt, fuhr fort: „Ich bin unschuldig an diesem Ministerium; es selbst hat sich gestaltet, umgestaltet und neugestaltet; es selbst hat sich zusammengesetzt, und nach eigenem Gutdünken neu zusammengesetzt.“ ... Hier erreichte der Jubel des Volkes den höchsten Grad; ein donnerndes Beifallklatschen und Pochen, der Ausruf bien! bien! erscholl von der Galerie wie von den Bänken der Opposition, und es entstand im Innern des Congresses selbst ein solcher Tumult, daß der Präsident endlich wüthend seine Klingel zertrümmerte und die Sitzung aufhob. Ueber diesen Vorfall herrscht unter allen Personen, welche einigermaßen die Folgen zu berechnen verstehen, und denen der Ruf des Grafen Toreno am Herzen lag, die größte Mißbilligung. Die Majorität des Congresses sollte, ihrer eigenen Erklärung zufolge, dem Ministerium zur Stütze dienen, und plötzlich gibt derjenige Deputirte, der für den Hauptvertreter der Majorität gehalten wird, das Ministerium dem Hohngelächter der Nation preis. Er läßt die Maske fallen, und gewährt der ihm so feindlich gesinnten Opposition einen freien Blick auf das geheime Triebwerk, von dem er und viele der Seinigen geleitet werden. Der letzte Gedanke an die Möglichkeit, durch parlamentarische Disputationen, durch Aufstellung von Programmen, durch das System von Majoritäten und Minoritäten, die Lage des Landes auch nur um eine Linie verbessern zu können, ist nun dahin geschwunden; zugleich aber auch der Glaube an die Fähigkeiten und die Charakterfestigkeit des Grafen Toreno. Er, der ein Staatsmann seyn will, versteht nicht, das ihm zunächst Liegende ins Auge zu fassen. Er hält sich für unentbehrlich, für die Hauptstütze eines Ministeriums, während dieses ihn nur als ein Hinderniß betrachtet; für den bevollmächtigten Vertreter einer mächtigen Partei, während diese ihn nur tolerirt, und sich fast seiner Cameradschaft schämt. Er entsagt der ersten Eigenschaft eines Staatsmannes, der Besonnenheit, indem er sich, hingerissen von den unwürdigsten Gefühlen, in seiner ganzen Blöße darstellt, und diese unter der entstellenden Maske des Revolutionärs zu verbergen sucht, um das Beifallgeschrei eben des Pöbels zu erringen, der ihn zu ermorden drohte, als seine Stimme für Recht, Sitte und Ordnung erscholl. Nichts kann entehrender seyn für den Grafen, nichts bezeichnender für die Stimmfähigkeit des Pöbels, als eben jenes Beifallgeschrei. Nicht einmal auf den Ruf eines geschickten Intriganten kann der Graf länger Anspruch machen. Alles dieß berechtigt mich auf meiner Behauptung zu beharren, daß man hier von allen Seiten um die Wette daran arbeitet, die so laut gepriesenen kaum aufgestellten Institutionen lächerlich zu machen, und als ein Hinderniß bei Seite zu schieben. Der Congreß selbst stellt sich als eine Schauspielerbande dar, welche Stücke aus dem Stegreif aufführt. Ein General (Linage) verbreitet in ganz Spanien ein gedrucktes Manifest, in welchem er die Truppen für die eigentlichen Vertreter der Nation ausgibt, und erregt dadurch bei den exaltirten Patrioten von Saragossa ein solches Entzücken, daß sie ihm zu Ehren einen feierlichen Aufzug halten (am 26 v.), und Lebehochs in folgender Ordnung ausbringen: „Der Königin Isabelle II, ihrer erlauchten Mutter, dem Herzog de la Victoria, Hrn. Linage, der Constitution, der Freiheit, dem Heere!“ Die Verfassung, die Freiheit und das Heer stehen also dem Hrn. Linage nach. Um aber auch einen Beweis von der Achtung abzulegen, welche sie vor dem Artikel der Constitution, der die Preßfreiheit aufstellt, hegen, verbrannten dieselben Patrioten von Saragossa auf öffentlichem Markte mehrere Nummern des „Correo Nacional,“ in welchen einige bescheidene Einwendungen gegen das Manifest Linage's erhoben wurden. – N. S. Man ist übereingekommen, die Discussion über die Anklage Toreno's in der heutigen Sitzung des Congresses nicht wieder aufzunehmen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="1085"/> es Einfalt seyn würde, daran zu zweifeln, oder Anstoß daran zu nehmen. Da man nun voraussehen konnte, daß Toreno zwar siegreich aus diesem Angriffe hervorgehen, es bei den Debatten aber zu ärgerlichen Persönlichkeiten kommen würde, so war es der Wunsch aller Freunde des Anstandes, daß mit der Annahme des Commissionsberichts alle weitern Verhandlungen unterbleiben möchten. Der Graf Toreno aber, sein Uebergewicht in dieser Angelegenheit fühlend, und von verschiedenen Personen, die eine Art von Camarilla um ihn bilden, angespornt, wußte es vorgestern durchzusetzen, daß der parlamentarische Kampf eröffnet werde. Schon zu früher Stunde drängte sich das niedre Volk, so wie die Auswahl der Madrider Gesellschaft, angelockt von der Aussicht auf den bevorstehenden Skandal, in die öffentliche Schaubühne, welche man hier den Palast des Congresses nennt. Die Sitzung lief indessen ruhig ab, da die Erwartungen, welche sich das Publicum gemacht hatte, durch die Verhandlungen über einen so trocknen Gegenstand, wie das Quecksilbergeschäft an sich ist, nicht befriedigt werden konnten. Toreno selbst rechtfertigte sich in einem langen, gelehrten, und nicht ganz anspruchslosen Vortrag, wobei er die Uebereilung beging, seinen abwesenden Ankläger, den General Seoane, als den Urheber der Niederlage anzuklagen, welche die Truppen der Königin im Frühjahr 1835 in den Amezcuas erlitten. Gestern aber theilte sich die bewegliche Eigenschaft des Quecksilbers im höchsten Grade den in der Sitzung des Congresses anwesenden Personen mit. Der interimistische Kriegsminister (denn der wirkliche ist schwer erkrankt) glaubte im Namen der Armee die von Toreno aufgestellte Behauptung, als ob die Truppen der Königin in den Amezcuas eine „Niederlage“ erlitten hätten, mit einigen wohlgesetzten Worten widerlegen zu müssen. Hierüber gerieth Toreno in Zorn, der auf den höchsten Grad gesteigert wurde, als der Justizminister ihn beschwichtigen wollte, und sich darauf berief, daß sich die Minister stets gegen den Grafen sehr gefällig gezeigt hätten. Dieser ward plötzlich wie verwandelt: seine untersetzte ignoble Gestalt versuchte es, in die Höhe zu fahren; sein bleiches Antlitz wurde mit Purpur überzogen, die kleinen tiefliegenden Augen drohten aus ihren Winkeln zu treten, und die sonst so beredten Lippen wurden von einer Fluth unerhörter Erbärmlichkeiten überströmt. Vernehmen Sie, was den Grafen Toreno unglücklich macht! „Seit ich zurückgekommen bin,“ rief er aus, „haben mich die Minister nur beleidigt. Ich stattete dem Ministerpräsidenten in Person einen Besuch ab; er hat diesen nur durch das Zuschicken einer Karte erwiedert. Mit den übrigen Ministern hatte ich nichts zu schaffen, und ich unterstütze sie nur so lange, als ihre Grundsätze mit der Freiheit vereinbar sind. Welche Gefälligkeiten habe ich von ihnen verlangt? Wenn mir Auszeichnungen geworden sind, so erhielt ich sie durch I. Maj. Mich allein haben die Minister verschmäht um Rath zu fragen, und höchstens zweimal haben sie mich in Verbindung mit Andern angehört.“ Sobald die Opposition gewahr ward, daß der Zorn des Grafen gegen die Minister gerichtet war, erhob sie lautes schadenfrohes Beifallgeschrei, in welches der Pöbel auf der öffentlichen Galerie sogleich einstimmte, während die Mitglieder der Majorität, die sich durch das unerklärbare Benehmen Toreno's bloßgestellt sahen, die augenscheinlichste Bestürzung verriethen. Der Graf, durch jenen schnöden Beifall noch mehr erhitzt, fuhr fort: „Ich bin unschuldig an diesem Ministerium; es selbst hat sich gestaltet, umgestaltet und neugestaltet; es selbst hat sich zusammengesetzt, und nach eigenem Gutdünken neu zusammengesetzt.“ ... Hier erreichte der Jubel des Volkes den höchsten Grad; ein donnerndes Beifallklatschen und Pochen, der Ausruf bien! bien! erscholl von der Galerie wie von den Bänken der Opposition, und es entstand im Innern des Congresses selbst ein solcher Tumult, daß der Präsident endlich wüthend seine Klingel zertrümmerte und die Sitzung aufhob. Ueber diesen Vorfall herrscht unter allen Personen, welche einigermaßen die Folgen zu berechnen verstehen, und denen der Ruf des Grafen Toreno am Herzen lag, die größte Mißbilligung. Die Majorität des Congresses sollte, ihrer eigenen Erklärung zufolge, dem Ministerium zur Stütze dienen, und plötzlich gibt derjenige Deputirte, der für den Hauptvertreter der Majorität gehalten wird, das Ministerium dem Hohngelächter der Nation preis. Er läßt die Maske fallen, und gewährt der ihm so feindlich gesinnten Opposition einen freien Blick auf das geheime Triebwerk, von dem er und viele der Seinigen geleitet werden. Der letzte Gedanke an die Möglichkeit, durch parlamentarische Disputationen, durch Aufstellung von Programmen, durch das System von Majoritäten und Minoritäten, die Lage des Landes auch nur um eine Linie verbessern zu können, ist nun dahin geschwunden; zugleich aber auch der Glaube an die Fähigkeiten und die Charakterfestigkeit des Grafen Toreno. Er, der ein Staatsmann seyn will, versteht nicht, das ihm zunächst Liegende ins Auge zu fassen. Er hält sich für unentbehrlich, für die Hauptstütze eines Ministeriums, während dieses ihn nur als ein Hinderniß betrachtet; für den bevollmächtigten Vertreter einer mächtigen Partei, während diese ihn nur tolerirt, und sich fast seiner Cameradschaft schämt. Er entsagt der ersten Eigenschaft eines Staatsmannes, der Besonnenheit, indem er sich, hingerissen von den unwürdigsten Gefühlen, in seiner ganzen Blöße darstellt, und diese unter der entstellenden Maske des Revolutionärs zu verbergen sucht, um das Beifallgeschrei eben des Pöbels zu erringen, der ihn zu ermorden drohte, als seine Stimme für Recht, Sitte und Ordnung erscholl. Nichts kann entehrender seyn für den Grafen, nichts bezeichnender für die Stimmfähigkeit des Pöbels, als eben jenes Beifallgeschrei. Nicht einmal auf den Ruf eines geschickten Intriganten kann der Graf länger Anspruch machen. Alles dieß berechtigt mich auf meiner Behauptung zu beharren, daß man hier von allen Seiten um die Wette daran arbeitet, die so laut gepriesenen kaum aufgestellten Institutionen lächerlich zu machen, und als ein Hinderniß bei Seite zu schieben. Der Congreß selbst stellt sich als eine Schauspielerbande dar, welche Stücke aus dem Stegreif aufführt. Ein General (Linage) verbreitet in ganz Spanien ein gedrucktes Manifest, in welchem er die Truppen für die eigentlichen Vertreter der Nation ausgibt, und erregt dadurch bei den exaltirten Patrioten von Saragossa ein solches Entzücken, daß sie ihm zu Ehren einen feierlichen Aufzug halten (am 26 v.), und Lebehochs in folgender Ordnung ausbringen: „Der Königin Isabelle II, ihrer erlauchten Mutter, dem Herzog de la Victoria, Hrn. Linage, der Constitution, der Freiheit, dem Heere!“ Die Verfassung, die Freiheit und das Heer stehen also dem Hrn. Linage nach. Um aber auch einen Beweis von der Achtung abzulegen, welche sie vor dem Artikel der Constitution, der die Preßfreiheit aufstellt, hegen, verbrannten dieselben Patrioten von Saragossa auf öffentlichem Markte mehrere Nummern des „Correo Nacional,“ in welchen einige bescheidene Einwendungen gegen das Manifest Linage's erhoben wurden. – N. S. Man ist übereingekommen, die Discussion über die Anklage Toreno's in der heutigen Sitzung des Congresses nicht wieder aufzunehmen.</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [1085/0013]
es Einfalt seyn würde, daran zu zweifeln, oder Anstoß daran zu nehmen. Da man nun voraussehen konnte, daß Toreno zwar siegreich aus diesem Angriffe hervorgehen, es bei den Debatten aber zu ärgerlichen Persönlichkeiten kommen würde, so war es der Wunsch aller Freunde des Anstandes, daß mit der Annahme des Commissionsberichts alle weitern Verhandlungen unterbleiben möchten. Der Graf Toreno aber, sein Uebergewicht in dieser Angelegenheit fühlend, und von verschiedenen Personen, die eine Art von Camarilla um ihn bilden, angespornt, wußte es vorgestern durchzusetzen, daß der parlamentarische Kampf eröffnet werde. Schon zu früher Stunde drängte sich das niedre Volk, so wie die Auswahl der Madrider Gesellschaft, angelockt von der Aussicht auf den bevorstehenden Skandal, in die öffentliche Schaubühne, welche man hier den Palast des Congresses nennt. Die Sitzung lief indessen ruhig ab, da die Erwartungen, welche sich das Publicum gemacht hatte, durch die Verhandlungen über einen so trocknen Gegenstand, wie das Quecksilbergeschäft an sich ist, nicht befriedigt werden konnten. Toreno selbst rechtfertigte sich in einem langen, gelehrten, und nicht ganz anspruchslosen Vortrag, wobei er die Uebereilung beging, seinen abwesenden Ankläger, den General Seoane, als den Urheber der Niederlage anzuklagen, welche die Truppen der Königin im Frühjahr 1835 in den Amezcuas erlitten. Gestern aber theilte sich die bewegliche Eigenschaft des Quecksilbers im höchsten Grade den in der Sitzung des Congresses anwesenden Personen mit. Der interimistische Kriegsminister (denn der wirkliche ist schwer erkrankt) glaubte im Namen der Armee die von Toreno aufgestellte Behauptung, als ob die Truppen der Königin in den Amezcuas eine „Niederlage“ erlitten hätten, mit einigen wohlgesetzten Worten widerlegen zu müssen. Hierüber gerieth Toreno in Zorn, der auf den höchsten Grad gesteigert wurde, als der Justizminister ihn beschwichtigen wollte, und sich darauf berief, daß sich die Minister stets gegen den Grafen sehr gefällig gezeigt hätten. Dieser ward plötzlich wie verwandelt: seine untersetzte ignoble Gestalt versuchte es, in die Höhe zu fahren; sein bleiches Antlitz wurde mit Purpur überzogen, die kleinen tiefliegenden Augen drohten aus ihren Winkeln zu treten, und die sonst so beredten Lippen wurden von einer Fluth unerhörter Erbärmlichkeiten überströmt. Vernehmen Sie, was den Grafen Toreno unglücklich macht! „Seit ich zurückgekommen bin,“ rief er aus, „haben mich die Minister nur beleidigt. Ich stattete dem Ministerpräsidenten in Person einen Besuch ab; er hat diesen nur durch das Zuschicken einer Karte erwiedert. Mit den übrigen Ministern hatte ich nichts zu schaffen, und ich unterstütze sie nur so lange, als ihre Grundsätze mit der Freiheit vereinbar sind. Welche Gefälligkeiten habe ich von ihnen verlangt? Wenn mir Auszeichnungen geworden sind, so erhielt ich sie durch I. Maj. Mich allein haben die Minister verschmäht um Rath zu fragen, und höchstens zweimal haben sie mich in Verbindung mit Andern angehört.“ Sobald die Opposition gewahr ward, daß der Zorn des Grafen gegen die Minister gerichtet war, erhob sie lautes schadenfrohes Beifallgeschrei, in welches der Pöbel auf der öffentlichen Galerie sogleich einstimmte, während die Mitglieder der Majorität, die sich durch das unerklärbare Benehmen Toreno's bloßgestellt sahen, die augenscheinlichste Bestürzung verriethen. Der Graf, durch jenen schnöden Beifall noch mehr erhitzt, fuhr fort: „Ich bin unschuldig an diesem Ministerium; es selbst hat sich gestaltet, umgestaltet und neugestaltet; es selbst hat sich zusammengesetzt, und nach eigenem Gutdünken neu zusammengesetzt.“ ... Hier erreichte der Jubel des Volkes den höchsten Grad; ein donnerndes Beifallklatschen und Pochen, der Ausruf bien! bien! erscholl von der Galerie wie von den Bänken der Opposition, und es entstand im Innern des Congresses selbst ein solcher Tumult, daß der Präsident endlich wüthend seine Klingel zertrümmerte und die Sitzung aufhob. Ueber diesen Vorfall herrscht unter allen Personen, welche einigermaßen die Folgen zu berechnen verstehen, und denen der Ruf des Grafen Toreno am Herzen lag, die größte Mißbilligung. Die Majorität des Congresses sollte, ihrer eigenen Erklärung zufolge, dem Ministerium zur Stütze dienen, und plötzlich gibt derjenige Deputirte, der für den Hauptvertreter der Majorität gehalten wird, das Ministerium dem Hohngelächter der Nation preis. Er läßt die Maske fallen, und gewährt der ihm so feindlich gesinnten Opposition einen freien Blick auf das geheime Triebwerk, von dem er und viele der Seinigen geleitet werden. Der letzte Gedanke an die Möglichkeit, durch parlamentarische Disputationen, durch Aufstellung von Programmen, durch das System von Majoritäten und Minoritäten, die Lage des Landes auch nur um eine Linie verbessern zu können, ist nun dahin geschwunden; zugleich aber auch der Glaube an die Fähigkeiten und die Charakterfestigkeit des Grafen Toreno. Er, der ein Staatsmann seyn will, versteht nicht, das ihm zunächst Liegende ins Auge zu fassen. Er hält sich für unentbehrlich, für die Hauptstütze eines Ministeriums, während dieses ihn nur als ein Hinderniß betrachtet; für den bevollmächtigten Vertreter einer mächtigen Partei, während diese ihn nur tolerirt, und sich fast seiner Cameradschaft schämt. Er entsagt der ersten Eigenschaft eines Staatsmannes, der Besonnenheit, indem er sich, hingerissen von den unwürdigsten Gefühlen, in seiner ganzen Blöße darstellt, und diese unter der entstellenden Maske des Revolutionärs zu verbergen sucht, um das Beifallgeschrei eben des Pöbels zu erringen, der ihn zu ermorden drohte, als seine Stimme für Recht, Sitte und Ordnung erscholl. Nichts kann entehrender seyn für den Grafen, nichts bezeichnender für die Stimmfähigkeit des Pöbels, als eben jenes Beifallgeschrei. Nicht einmal auf den Ruf eines geschickten Intriganten kann der Graf länger Anspruch machen. Alles dieß berechtigt mich auf meiner Behauptung zu beharren, daß man hier von allen Seiten um die Wette daran arbeitet, die so laut gepriesenen kaum aufgestellten Institutionen lächerlich zu machen, und als ein Hinderniß bei Seite zu schieben. Der Congreß selbst stellt sich als eine Schauspielerbande dar, welche Stücke aus dem Stegreif aufführt. Ein General (Linage) verbreitet in ganz Spanien ein gedrucktes Manifest, in welchem er die Truppen für die eigentlichen Vertreter der Nation ausgibt, und erregt dadurch bei den exaltirten Patrioten von Saragossa ein solches Entzücken, daß sie ihm zu Ehren einen feierlichen Aufzug halten (am 26 v.), und Lebehochs in folgender Ordnung ausbringen: „Der Königin Isabelle II, ihrer erlauchten Mutter, dem Herzog de la Victoria, Hrn. Linage, der Constitution, der Freiheit, dem Heere!“ Die Verfassung, die Freiheit und das Heer stehen also dem Hrn. Linage nach. Um aber auch einen Beweis von der Achtung abzulegen, welche sie vor dem Artikel der Constitution, der die Preßfreiheit aufstellt, hegen, verbrannten dieselben Patrioten von Saragossa auf öffentlichem Markte mehrere Nummern des „Correo Nacional,“ in welchen einige bescheidene Einwendungen gegen das Manifest Linage's erhoben wurden. – N. S. Man ist übereingekommen, die Discussion über die Anklage Toreno's in der heutigen Sitzung des Congresses nicht wieder aufzunehmen.
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