Allgemeine Zeitung. Nr. 137. Augsburg, 16. Mai 1840.obgleich damit kein Sinn in die Legende zu bringen war. Unter diesen Umständen wurde es der Skepsis nicht schwer, immer wieder die Behauptungen derjenigen zu entkräften, welche schon im vorigen Jahrhundert im Land innerhalb des römischen Pfahls ausgedehnte Niederlassungen und förmliche Provincialverwaltung annahmen; und noch zu Anfang dieses Jahrhunderts konnte der Professor der Geschichte auf der Tübinger Hochschule die akademische Thesis aufstellen, daß sich die Bewegungen der Römer in diesem Land auf größere und kleinere Recognoscirungen beschränkt, und daß ihr Aufenthalt im Ganzen immer nur ein vorübergehender gewesen. Erst in der neuesten Zeit hat sich durch die rasche Ausbildung der historischen Kritik, in Verbindung mit den bedeutendsten Funden, mehr Licht über einen Gegenstand verbreitet, der für die früheste Geschichte eines großen Theils von Deutschland von Bedeutung ist. Aber wie es so oft in der Culturgeschichte geht: in dem Maaße als die antiquarische Forschung auf diesem Felde Eroberungen machte, zog sich, mit den schwächer werdenden Humanitätsstudien, das Interesse für eben diese Forschungen aus der Masse der Gebildeten zurück, und je mehr der Antiquar weiß, destoweniger wissenswerth erscheint es dem Weltmenschen, der heutzutage so unendlich viel und vielerlei zu lernen und wieder zu vergessen hat. Immerhin ist aber in Deutschland, wenigstens im ältern Geschlecht, noch soviel Sinn für das Alterthum, daß wir auf den Dank vieler Leser rechnen dürfen, wenn wir im Allgemeinsten die historischen Resultate der bisherigen Forschungen im sogenannten römischen Zehntland angeben und sie namentlich mit der römischen Hauptstadt am obern Neckar bekannt machen. Die dortigen höchst interessanten Entdeckungen verdankt man fast ganz dem Eifer des Domdekans v. Jaumann. Er beschreibt sie ausführlich in seiner so eben erschienenen Schrift: Fast die einzigen Quellen für die früheste Geschichte der römischen Niederlassungen im Schwarzwald und Odenwald, am Neckar und der obersten Donau sind einige Andeutungen des Cäsar und des Tacitus. Ueber die Blüthe dieser Niederlassungen und ihre Zerstörung im dritten Jahrhundert finden sich nur zerstreute Winke in den spätern Historikern, namentlich bei den sogenannten Scriptoribus historiae augustae. Was sich aus der uns aufbehaltenen römischen Litteratur herbeiziehen läßt, gibt ein Bild gleich einem verwischten Gemälde mit zerstreuten erhaltenen Stellen, aus denen nur die Einbildungskraft, mit der Gefahr großen Irrthums, den Umriß und die Haltung des Ganzen diviniren kann. Nach Cäsar waren schon lange vor seiner Zeit gallische Völkerschaften über den Rhein gegangen und hatten sich, mit den Germanen vermischt und ihre Lebensweise theilend, in den fruchtbarsten Gegenden um den hercynischen Wald niedergelassen. (Bell. gall. VI. 24.) Kurz vor dem Beginn unserer Zeitrechnung zog sich, von den Römern gedrängt, das große Volk der Markomannen unter Marbod aus dem südwestlichen Deutschland weg. Um dieselbe Zeit hatte sich die römische Herrschaft bis zum Rhein und der Donau ausgedehnt; und jetzt war es wohl mehr ein Gedanke strategischer Klugheit als der Vergrößerungssucht, wenn die Römer da, wo die beiden Ströme auseinander laufen, ihre Legionen über beide hinüberschoben, das von Natur fruchtbare, aber schwach bevölkerte Land recognoscirten, sich in günstigen Positionen festsetzten und rasch daran gingen, den Flußwinkel in weitem Bogen durch ein zusammenhängendes System von Befestigungen abzusperren, die sich an beiden Strömen an den Punkten anlehnten, von wo sie für sich selbst eine bedeutende Schutzwehr boten. Während der Soldat das Land lichtete, Straßen zog, Castelle und Warten baute, wurden, nach der beständigen Weise des großen Volks, Colonisten in das Land geführt, Niederlassungen und Städte gegründet, und das in allen Provinzen gleichförmige Verwaltungssystem eingeführt. Wie man auch des Tacitus agri decumates (ein Wort, das sonst nirgends vorkommt) deuten mag, jedenfalls weist es darauf hin, daß sich das Leben der Ansiedler in dieser Vorbucht des Reichs, der Natur des Landes gemäß, vorzüglich auf Ackerbau stützte. Von einer zweiten gallischen Einwanderung spricht Tacitus in jener Hauptstelle, weßhalb er die Bevölkerung gar nicht als eine deutsche in Anspruch nehmen mag; andere mögen aus Helvetien und Rhäthien herübergekommen seyn; aber nach dem Aufbruch der Markomannen waren gewiß auch zahlreiche Eingeborne zurückgeblieben. Diese romanisirten sich, sie wurden, wie überall, wo sich deutsche Stämme den Römern unterworfen, selbst in die Legionen aufgenommen, und so darf man bestimmt annehmen, daß der Völkerbund der Alemannen, der, im dritten Jahrhundert plötzlich in der Geschichte auftretend, bald das Land zwischen Rhein und Donau unwiderruflich erobern sollte, auch innerhalb des römischen limes unter der eingebornen Bevölkerung weit verzweigte Wurzeln hatte. So viel aber scheint gewiß, daß in der Cultur, welche hier unter römischem Waffenschutz schnell aufblühte, gallische Elemente vorherrschten. Die Namen fast aller der Orte, welche Ptolemäus an die oberste Donau setzt, und wovon sicher manche dem linken Flußufer angehören, haben vollkommen gallischen Klang: Tarodunum, Riusiava, Cantivebis, Rhobodunum, Bragodurum, Ebodurum etc. Dasselbe gilt von den Stationen des räthselhaften Straßenzuges der Peutinger'schen Tafel, über dessen vielbestrittene Richtung selbst der bestimmt aufgefundene Name der Hauptstadt am obern Neckar, wie wir sehen werden, durch eine sonderbare antiquarische Schickung noch nicht völlig entschieden hat. Seit den Forschungen und Entdeckungen der letzten zwanzig Jahre kann gar kein Zweifel mehr darüber seyn, daß der genannte Landstrich förmlich römische Provinz war, daß er in seinem westlichen Theile zu Obergermanien, im östlichen zu Vindelicien gehörte. Nur ließ sich bis jetzt nicht ermitteln, wo eigentlich die Gränze zwischen den Präfecturen Straßburg und Augsburg, zwischen den Stationen der 8ten und 22ten Legion einerseits und der 3ten andererseits anzunehmen ist. Entscheidend war besonders der Umstand, daß sich die früher nur stückweise bekannte Gränzwehr zwischen Donau und Rhein, der limes rhaeticus und transrhenanus, als ein ununterbrochenes System von Befestigungen auswies, wodurch das rückwärts von demselben zwischen den beiden Flüssen gelegene Land gleichsam zu einem großartigen Vorwerk wurde. Von der Donau etwas oberhalb Regensburg bis zum Hohenstaufischen Flecken Lorch erscheint der limes als eine förmliche, mit Thürmen besetzte Mauer (Teufelsmauer), gleich der des Hadrian in Oberbritannien; von Lorch an fast in rechtem Winkel auf die bisherige Richtung nordwärts streichend, bekommt der limes mehr den Charakter eines Grabens und Walls mit einem Verhau und einer Kette strategisch vertheilter Castelle im Rücken. Er geht in dieser Gestalt über den Main und durch den Odenwald, schwingt sich über den Taunus herum zum Rhein, und läuft dicht an diesem hin noch bis in die Gegend von Köln hinab. Allem nach begann die Occupation dieses dem Römer jenseits obgleich damit kein Sinn in die Legende zu bringen war. Unter diesen Umständen wurde es der Skepsis nicht schwer, immer wieder die Behauptungen derjenigen zu entkräften, welche schon im vorigen Jahrhundert im Land innerhalb des römischen Pfahls ausgedehnte Niederlassungen und förmliche Provincialverwaltung annahmen; und noch zu Anfang dieses Jahrhunderts konnte der Professor der Geschichte auf der Tübinger Hochschule die akademische Thesis aufstellen, daß sich die Bewegungen der Römer in diesem Land auf größere und kleinere Recognoscirungen beschränkt, und daß ihr Aufenthalt im Ganzen immer nur ein vorübergehender gewesen. Erst in der neuesten Zeit hat sich durch die rasche Ausbildung der historischen Kritik, in Verbindung mit den bedeutendsten Funden, mehr Licht über einen Gegenstand verbreitet, der für die früheste Geschichte eines großen Theils von Deutschland von Bedeutung ist. Aber wie es so oft in der Culturgeschichte geht: in dem Maaße als die antiquarische Forschung auf diesem Felde Eroberungen machte, zog sich, mit den schwächer werdenden Humanitätsstudien, das Interesse für eben diese Forschungen aus der Masse der Gebildeten zurück, und je mehr der Antiquar weiß, destoweniger wissenswerth erscheint es dem Weltmenschen, der heutzutage so unendlich viel und vielerlei zu lernen und wieder zu vergessen hat. Immerhin ist aber in Deutschland, wenigstens im ältern Geschlecht, noch soviel Sinn für das Alterthum, daß wir auf den Dank vieler Leser rechnen dürfen, wenn wir im Allgemeinsten die historischen Resultate der bisherigen Forschungen im sogenannten römischen Zehntland angeben und sie namentlich mit der römischen Hauptstadt am obern Neckar bekannt machen. Die dortigen höchst interessanten Entdeckungen verdankt man fast ganz dem Eifer des Domdekans v. Jaumann. Er beschreibt sie ausführlich in seiner so eben erschienenen Schrift: Fast die einzigen Quellen für die früheste Geschichte der römischen Niederlassungen im Schwarzwald und Odenwald, am Neckar und der obersten Donau sind einige Andeutungen des Cäsar und des Tacitus. Ueber die Blüthe dieser Niederlassungen und ihre Zerstörung im dritten Jahrhundert finden sich nur zerstreute Winke in den spätern Historikern, namentlich bei den sogenannten Scriptoribus historiae augustae. Was sich aus der uns aufbehaltenen römischen Litteratur herbeiziehen läßt, gibt ein Bild gleich einem verwischten Gemälde mit zerstreuten erhaltenen Stellen, aus denen nur die Einbildungskraft, mit der Gefahr großen Irrthums, den Umriß und die Haltung des Ganzen diviniren kann. Nach Cäsar waren schon lange vor seiner Zeit gallische Völkerschaften über den Rhein gegangen und hatten sich, mit den Germanen vermischt und ihre Lebensweise theilend, in den fruchtbarsten Gegenden um den hercynischen Wald niedergelassen. (Bell. gall. VI. 24.) Kurz vor dem Beginn unserer Zeitrechnung zog sich, von den Römern gedrängt, das große Volk der Markomannen unter Marbod aus dem südwestlichen Deutschland weg. Um dieselbe Zeit hatte sich die römische Herrschaft bis zum Rhein und der Donau ausgedehnt; und jetzt war es wohl mehr ein Gedanke strategischer Klugheit als der Vergrößerungssucht, wenn die Römer da, wo die beiden Ströme auseinander laufen, ihre Legionen über beide hinüberschoben, das von Natur fruchtbare, aber schwach bevölkerte Land recognoscirten, sich in günstigen Positionen festsetzten und rasch daran gingen, den Flußwinkel in weitem Bogen durch ein zusammenhängendes System von Befestigungen abzusperren, die sich an beiden Strömen an den Punkten anlehnten, von wo sie für sich selbst eine bedeutende Schutzwehr boten. Während der Soldat das Land lichtete, Straßen zog, Castelle und Warten baute, wurden, nach der beständigen Weise des großen Volks, Colonisten in das Land geführt, Niederlassungen und Städte gegründet, und das in allen Provinzen gleichförmige Verwaltungssystem eingeführt. Wie man auch des Tacitus agri decumates (ein Wort, das sonst nirgends vorkommt) deuten mag, jedenfalls weist es darauf hin, daß sich das Leben der Ansiedler in dieser Vorbucht des Reichs, der Natur des Landes gemäß, vorzüglich auf Ackerbau stützte. Von einer zweiten gallischen Einwanderung spricht Tacitus in jener Hauptstelle, weßhalb er die Bevölkerung gar nicht als eine deutsche in Anspruch nehmen mag; andere mögen aus Helvetien und Rhäthien herübergekommen seyn; aber nach dem Aufbruch der Markomannen waren gewiß auch zahlreiche Eingeborne zurückgeblieben. Diese romanisirten sich, sie wurden, wie überall, wo sich deutsche Stämme den Römern unterworfen, selbst in die Legionen aufgenommen, und so darf man bestimmt annehmen, daß der Völkerbund der Alemannen, der, im dritten Jahrhundert plötzlich in der Geschichte auftretend, bald das Land zwischen Rhein und Donau unwiderruflich erobern sollte, auch innerhalb des römischen limes unter der eingebornen Bevölkerung weit verzweigte Wurzeln hatte. So viel aber scheint gewiß, daß in der Cultur, welche hier unter römischem Waffenschutz schnell aufblühte, gallische Elemente vorherrschten. Die Namen fast aller der Orte, welche Ptolemäus an die oberste Donau setzt, und wovon sicher manche dem linken Flußufer angehören, haben vollkommen gallischen Klang: Tarodunum, Riusiava, Cantivebis, Rhobodunum, Bragodurum, Ebodurum etc. Dasselbe gilt von den Stationen des räthselhaften Straßenzuges der Peutinger'schen Tafel, über dessen vielbestrittene Richtung selbst der bestimmt aufgefundene Name der Hauptstadt am obern Neckar, wie wir sehen werden, durch eine sonderbare antiquarische Schickung noch nicht völlig entschieden hat. Seit den Forschungen und Entdeckungen der letzten zwanzig Jahre kann gar kein Zweifel mehr darüber seyn, daß der genannte Landstrich förmlich römische Provinz war, daß er in seinem westlichen Theile zu Obergermanien, im östlichen zu Vindelicien gehörte. Nur ließ sich bis jetzt nicht ermitteln, wo eigentlich die Gränze zwischen den Präfecturen Straßburg und Augsburg, zwischen den Stationen der 8ten und 22ten Legion einerseits und der 3ten andererseits anzunehmen ist. Entscheidend war besonders der Umstand, daß sich die früher nur stückweise bekannte Gränzwehr zwischen Donau und Rhein, der limes rhaeticus und transrhenanus, als ein ununterbrochenes System von Befestigungen auswies, wodurch das rückwärts von demselben zwischen den beiden Flüssen gelegene Land gleichsam zu einem großartigen Vorwerk wurde. Von der Donau etwas oberhalb Regensburg bis zum Hohenstaufischen Flecken Lorch erscheint der limes als eine förmliche, mit Thürmen besetzte Mauer (Teufelsmauer), gleich der des Hadrian in Oberbritannien; von Lorch an fast in rechtem Winkel auf die bisherige Richtung nordwärts streichend, bekommt der limes mehr den Charakter eines Grabens und Walls mit einem Verhau und einer Kette strategisch vertheilter Castelle im Rücken. 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Um dieselbe Zeit hatte sich die römische Herrschaft bis zum Rhein und der Donau ausgedehnt; und jetzt war es wohl mehr ein Gedanke strategischer Klugheit als der Vergrößerungssucht, wenn die Römer da, wo die beiden Ströme auseinander laufen, ihre Legionen über beide hinüberschoben, das von Natur fruchtbare, aber schwach bevölkerte Land recognoscirten, sich in günstigen Positionen festsetzten und rasch daran gingen, den Flußwinkel in weitem Bogen durch ein zusammenhängendes System von Befestigungen abzusperren, die sich an beiden Strömen an den Punkten anlehnten, von wo sie für sich selbst eine bedeutende Schutzwehr boten.</p><lb/> <p>Während der Soldat das Land lichtete, Straßen zog, Castelle und Warten baute, wurden, nach der beständigen Weise des großen Volks, Colonisten in das Land geführt, Niederlassungen und Städte gegründet, und das in allen Provinzen gleichförmige Verwaltungssystem eingeführt. 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Diese romanisirten sich, sie wurden, wie überall, wo sich deutsche Stämme den Römern unterworfen, selbst in die Legionen aufgenommen, und so darf man bestimmt annehmen, daß der Völkerbund der Alemannen, der, im dritten Jahrhundert plötzlich in der Geschichte auftretend, bald das Land zwischen Rhein und Donau unwiderruflich erobern sollte, auch innerhalb des römischen limes unter der eingebornen Bevölkerung weit verzweigte Wurzeln hatte. So viel aber scheint gewiß, daß in der Cultur, welche hier unter römischem Waffenschutz schnell aufblühte, gallische Elemente vorherrschten. Die Namen fast aller der Orte, welche Ptolemäus an die oberste Donau setzt, und wovon sicher manche dem linken Flußufer angehören, haben vollkommen gallischen Klang: Tarodunum, Riusiava, Cantivebis, Rhobodunum, Bragodurum, Ebodurum etc. Dasselbe gilt von den Stationen des räthselhaften Straßenzuges der Peutinger'schen Tafel, über dessen vielbestrittene Richtung selbst der bestimmt aufgefundene Name der Hauptstadt am obern Neckar, wie wir sehen werden, durch eine sonderbare antiquarische Schickung noch nicht völlig entschieden hat.</p><lb/> <p>Seit den Forschungen und Entdeckungen der letzten zwanzig Jahre kann gar kein Zweifel mehr darüber seyn, daß der genannte Landstrich förmlich römische Provinz war, daß er in seinem westlichen Theile zu Obergermanien, im östlichen zu Vindelicien gehörte. Nur ließ sich bis jetzt nicht ermitteln, wo eigentlich die Gränze zwischen den Präfecturen Straßburg und Augsburg, zwischen den Stationen der 8ten und 22ten Legion einerseits und der 3ten andererseits anzunehmen ist. Entscheidend war besonders der Umstand, daß sich die früher nur stückweise bekannte Gränzwehr zwischen Donau und Rhein, der limes rhaeticus und transrhenanus, als ein ununterbrochenes System von Befestigungen auswies, wodurch das rückwärts von demselben zwischen den beiden Flüssen gelegene Land gleichsam zu einem großartigen Vorwerk wurde. Von der Donau etwas oberhalb Regensburg bis zum Hohenstaufischen Flecken Lorch erscheint der limes als eine förmliche, mit Thürmen besetzte Mauer (Teufelsmauer), gleich der des Hadrian in Oberbritannien; von Lorch an fast in rechtem Winkel auf die bisherige Richtung nordwärts streichend, bekommt der limes mehr den Charakter eines Grabens und Walls mit einem Verhau und einer Kette strategisch vertheilter Castelle im Rücken. 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Erst in der neuesten Zeit hat sich durch die rasche Ausbildung der historischen Kritik, in Verbindung mit den bedeutendsten Funden, mehr Licht über einen Gegenstand verbreitet, der für die früheste Geschichte eines großen Theils von Deutschland von Bedeutung ist. Aber wie es so oft in der Culturgeschichte geht: in dem Maaße als die antiquarische Forschung auf diesem Felde Eroberungen machte, zog sich, mit den schwächer werdenden Humanitätsstudien, das Interesse für eben diese Forschungen aus der Masse der Gebildeten zurück, und je mehr der Antiquar weiß, destoweniger wissenswerth erscheint es dem Weltmenschen, der heutzutage so unendlich viel und vielerlei zu lernen und wieder zu vergessen hat. Immerhin ist aber in Deutschland, wenigstens im ältern Geschlecht, noch soviel Sinn für das Alterthum, daß wir auf den Dank vieler Leser rechnen dürfen, wenn wir im Allgemeinsten die historischen Resultate der bisherigen Forschungen im sogenannten römischen Zehntland angeben und sie namentlich mit der römischen Hauptstadt am obern Neckar bekannt machen.
Die dortigen höchst interessanten Entdeckungen verdankt man fast ganz dem Eifer des Domdekans v. Jaumann. Er beschreibt sie ausführlich in seiner so eben erschienenen Schrift:
Colonia Sumlocenne, Rottenburg am Neckar unter den Römern. Mit Rücksicht auf das Zehntland und Germanien überhaupt. Ein antiquarisch geograpischer Versuch von Domdekan v. Jaumann. Mit vielen Abbildungen. Stuttgart und Tübingen. J. G. Cotta'sche Buchhandlung. 1840.
Fast die einzigen Quellen für die früheste Geschichte der römischen Niederlassungen im Schwarzwald und Odenwald, am Neckar und der obersten Donau sind einige Andeutungen des Cäsar und des Tacitus. Ueber die Blüthe dieser Niederlassungen und ihre Zerstörung im dritten Jahrhundert finden sich nur zerstreute Winke in den spätern Historikern, namentlich bei den sogenannten Scriptoribus historiae augustae. Was sich aus der uns aufbehaltenen römischen Litteratur herbeiziehen läßt, gibt ein Bild gleich einem verwischten Gemälde mit zerstreuten erhaltenen Stellen, aus denen nur die Einbildungskraft, mit der Gefahr großen Irrthums, den Umriß und die Haltung des Ganzen diviniren kann.
Nach Cäsar waren schon lange vor seiner Zeit gallische Völkerschaften über den Rhein gegangen und hatten sich, mit den Germanen vermischt und ihre Lebensweise theilend, in den fruchtbarsten Gegenden um den hercynischen Wald niedergelassen. (Bell. gall. VI. 24.) Kurz vor dem Beginn unserer Zeitrechnung zog sich, von den Römern gedrängt, das große Volk der Markomannen unter Marbod aus dem südwestlichen Deutschland weg. Um dieselbe Zeit hatte sich die römische Herrschaft bis zum Rhein und der Donau ausgedehnt; und jetzt war es wohl mehr ein Gedanke strategischer Klugheit als der Vergrößerungssucht, wenn die Römer da, wo die beiden Ströme auseinander laufen, ihre Legionen über beide hinüberschoben, das von Natur fruchtbare, aber schwach bevölkerte Land recognoscirten, sich in günstigen Positionen festsetzten und rasch daran gingen, den Flußwinkel in weitem Bogen durch ein zusammenhängendes System von Befestigungen abzusperren, die sich an beiden Strömen an den Punkten anlehnten, von wo sie für sich selbst eine bedeutende Schutzwehr boten.
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Seit den Forschungen und Entdeckungen der letzten zwanzig Jahre kann gar kein Zweifel mehr darüber seyn, daß der genannte Landstrich förmlich römische Provinz war, daß er in seinem westlichen Theile zu Obergermanien, im östlichen zu Vindelicien gehörte. Nur ließ sich bis jetzt nicht ermitteln, wo eigentlich die Gränze zwischen den Präfecturen Straßburg und Augsburg, zwischen den Stationen der 8ten und 22ten Legion einerseits und der 3ten andererseits anzunehmen ist. Entscheidend war besonders der Umstand, daß sich die früher nur stückweise bekannte Gränzwehr zwischen Donau und Rhein, der limes rhaeticus und transrhenanus, als ein ununterbrochenes System von Befestigungen auswies, wodurch das rückwärts von demselben zwischen den beiden Flüssen gelegene Land gleichsam zu einem großartigen Vorwerk wurde. Von der Donau etwas oberhalb Regensburg bis zum Hohenstaufischen Flecken Lorch erscheint der limes als eine förmliche, mit Thürmen besetzte Mauer (Teufelsmauer), gleich der des Hadrian in Oberbritannien; von Lorch an fast in rechtem Winkel auf die bisherige Richtung nordwärts streichend, bekommt der limes mehr den Charakter eines Grabens und Walls mit einem Verhau und einer Kette strategisch vertheilter Castelle im Rücken. Er geht in dieser Gestalt über den Main und durch den Odenwald, schwingt sich über den Taunus herum zum Rhein, und läuft dicht an diesem hin noch bis in die Gegend von Köln hinab.
Allem nach begann die Occupation dieses dem Römer jenseits
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