Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 137. Augsburg, 16. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

doch ist das Ergebniß dieser ärztlichen Untersuchung gleichfalls unbekannt geblieben. Courvoisier zeigt sich in seiner Haft fortwährend sehr schweigsam und zurückhaltend, als wollte er durch kein unbedacht ausgesprochenes Wort seine Verdächtigkeit vermehren; er hat die vergangene Nacht fast ganz wachend zugebracht und sich nur gegen Morgen, für kurze Zeit, angekleidet aufs Bett geworfen. Das Gerücht, daß er gestern seinem Beichtiger, einem katholischen Priester, die That wirklich gestanden habe, kann natürlich nichts als Gerücht seyn. Eben so unzuverlässig sind die Erzählungen von Geständnissen, die der - früher erwähnte - Kellner des gegenüberliegenden Hauses gemacht habe. Die Gründe, die Courvoisier, wenn er wirklich der Mörder seyn sollte, zu seiner That bewogen haben, sind nicht leicht einzusehen. Raubsucht kann es, nach der Aengstlichkeit, mit der er alles Entwandte sogleich wieder versteckt zu haben scheint, schwerlich gewesen seyn. Vielleicht - wollen einige vermuthen - war es Eifersucht auf den frühern, auch schon von uns erwähnten Bedienten Lord Williams - nämlich einen gewissen John Ellis, jetzt in Dienst bei Lord Mansfield - und Rachsucht daß Lord William diesen seinen alten Diener von Zeit zu Zeit immer wieder gern bei sich sah und dann nie ohne Geschenke entließ. Noch kurz vor dem Ereigniß war Courvoisier von seinem Herrn beauftragt worden, den Ellis einzuladen ihn zu besuchen, und hatte diesen Auftrag geflissentlich nicht ausgerichtet. John Ellis selbst war, nach einem Brief, den er an den Kellner des gegenüberliegenden Hauses schrieb, zur Zeit des Mordes von London abwesend. (Doch könnte einem bei diesem vielleicht geflissentlich geschriebenen Brief das Gerücht von den Geständnissen des Kellners einfallen.) - Merkwürdig ist folgender gutgeschriebene Brief, der sich (nach Erzählung des Globe) gestern Abend offen im Schalter der Zwei-Pennypost von Mitra-court (Fleetstreet) vorfand: " Ich war es, der Lord Russell tödtete. Wer hätte denken können daß ich es war, der meine Hand mit Blut befleckte und zwar mit dem Blute eines 74jährigen Greises. Das ist nicht ehrlich fechten (it is no good weapon); mir ist nicht zu helfen. Ich habe die That gethan. Morgen bin ich auf dem Continent, und werde dieß Land für immer verlassen. W. B."

Der Sun (8 Mai) hält es bei Gelegenheit des obigen gräßlichen Mordes für zweckmäßig, das Publicum daran zu erinnern, daß hinsichtlich dieses Verbrechens die Criminalgesetzgebung keine Veränderung erfahren hat, sondern daß die Todesstrafe für dasselbe noch feststeht. "Möge man also die Wiederkehr solcher Verbrechen nicht etwa der Verbesserung unseres Strafcodex zuschreiben und deßhalb vielleicht jene glücklich abgeschafften barbarischen Gewohnheiten wieder zurückwünschen; diejenigen Verbrechen im Gegentheil, für welche die Todesstrafe abgeschafft worden ist, haben sich seit dieser Abschaffung an Anzahl entschieden vermindert."

Nach der Times beweist das jetzt so häufige Vorkommen nicht entdeckter Mordthaten in London (fünf seit zwei Jahren), daß das neuorganisirte halb militärische Londoner Polizeisystem, so gut es seyn mag, um Verbrechen zu hindern, doch wenig tauge, um die Thäter schon verübter Verbrechen zu entdecken. Viel dazu beitragen möge, daß ein Theil der jetzigen Polizeibeamten nicht aus London gebürtig und deßhalb mit allen Fährten und Schlupfwinkeln jener vielverzweigten, in der Hauptstadt aufgewachsenen Verbrecherzunft nicht hinlänglich bekannt sey.

Haus der Gemeinen. Sitzung des 8 Mai. Wegen der Abwesenheit Lord John Russells müssen auch heute alle wichtigern Verhandlungen - auch die über das Budget - auf nächste Woche verschoben bleiben. Auf eine Frage Hrn. Colquhouns über die Blokade von Buenos-Ayres antwortet Lord Palmerston: "daß die Meinung, bei der Blokirung von Häfen müsse eine dritte Macht über die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens erkennen, durchaus irrig sey: jeder unabhängige Staat habe das Recht des Blokirens, und ein dritter Staat habe dabei nichts zu thun, als seine Unterthanen mit dem Eintreten der Thatsache bekannt zu machen. Nach diesem Grundsatz müsse denn auch England die französische Blokade des Hafens von Buenos-Ayres, deren Eintreten dem englischen Gesandten in Paris bereits im Junius 1838 angezeigt worden sey, ohne weiters anerkennen; neuerlich sey in dem Blokadezustand von Buenos-Ayres keine Veränderung eingetreten, als daß ihn Frankreich auch auf den Küstenhandel auszudehnen wünsche." - Der Kanzler der Schatzkammer, auf eine Beschwerde Hrn. Barnaby's, daß das Briefstempelpapier und die Stempelcouverts über den festgesetzten Preis verkauft würden, erklärt, daß diese Ueberforderung keineswegs von den wirklichen Beamten, sondern nur von andern licentirten Verkäufern, die den Unverstand des Publicums zu benutzen suchten, ausgehe. Sir Robert Peel macht sich bei dieser Gelegenheit über die vielen seltsamen Figuren, mit denen die Couverte geziert sind, lustig. Der Rest der Sitzung wird mit Subsidienverwilligungen hingebracht. Unter den Verwilligungen ist auch eine Summe von 50,000 Pf. für den Dampfbootverkehr mit Ostindien durch das rothe Meer.

Im Haus der Lords brachte Lord Londonderry die noch immer nicht befriedigten Ansprüche der brittischen Legion in Spanien aufs neue in Anregung.

Das M. Chronicle vom 8 Mai schreibt: "Wir haben die bestimmte Nachricht, daß ein reiches Londoner Bankhaus, mit Genehmigung des von den Inhabern spanischer Staatspapiere niedergesetzten Ausschusses, der spanischen Regierung die nöthigen Mittel zur Beendigung des Bürgerkriegs unter sehr günstigen Bedingungen angeboten hat."

Durch unsre Zeitungen erfahren Sie das Nähere über den gräßlichen Mord, welcher an Lord William Russell, Oheim des Lords John, einem 73jährigen Greise, in seinem eigenen Hause verübt worden, und in Folge dessen (da Lord John wegen der nahen Verwandtschaft nicht im Unterhause erscheinen kann) alle wichtigen Geschäfte in dieser Versammlung bis nächste Woche verschoben bleiben. Sie können sich indessen keinen Begriff von dem Schrecken, dem Mißtrauen und den unruhevollen Besorgnissen machen, welche die Begebenheit, besonders unter den vornehmeren Classen, erregt hat. Wo, denkt jeder, ist da noch Sicherheit zu finden, wenn nicht im eigenen Hause, unter dem Schutze eines gut behandelten, reichlich bezahlten und wohl gepflegten Gesindes? Was nutzen alle unsre Polizeianstalten, Gesetze und Richter, wenn man im Arm des Schlafs unter dem eigenen Dache ermordet werden kann? Es ist einmal wieder eine von den furchtbaren Predigten über die Eitelkeit alles Menschlichen und Irdischen, wie sie das Leben zuweilen mit dem größten Erfolge von seiner hohen Kanzel herabdonnert, nachdem die Tausende von wohlbestallten Pfarrern Jahre lang den Athem vergebens vergeudet haben. Das Schlimmste ist, daß trotz allen Umständen, welche die allgemeine Ueberzeugung verbreitet haben, daß die That von einem vom Gesinde, namentlich vom Kammerdiener selbst, verübt worden, sich noch nichts gefunden haben soll, was eine gerichtliche Ueberführung desselben zu versprechen scheint. Man erinnert sich dabei noch, daß binnen zweier Jahre in London vier andere Mordthaten an Menschen in ihren Wohnungen verübt worden, ohne daß man bis jetzt einem der Mörder auf die Spur gekommen wäre. Man fürchtet daher mit Recht, daß wenn auch diese Gräuelthat ungeahndet hingehe, böse Menschen

doch ist das Ergebniß dieser ärztlichen Untersuchung gleichfalls unbekannt geblieben. Courvoisier zeigt sich in seiner Haft fortwährend sehr schweigsam und zurückhaltend, als wollte er durch kein unbedacht ausgesprochenes Wort seine Verdächtigkeit vermehren; er hat die vergangene Nacht fast ganz wachend zugebracht und sich nur gegen Morgen, für kurze Zeit, angekleidet aufs Bett geworfen. Das Gerücht, daß er gestern seinem Beichtiger, einem katholischen Priester, die That wirklich gestanden habe, kann natürlich nichts als Gerücht seyn. Eben so unzuverlässig sind die Erzählungen von Geständnissen, die der – früher erwähnte – Kellner des gegenüberliegenden Hauses gemacht habe. Die Gründe, die Courvoisier, wenn er wirklich der Mörder seyn sollte, zu seiner That bewogen haben, sind nicht leicht einzusehen. Raubsucht kann es, nach der Aengstlichkeit, mit der er alles Entwandte sogleich wieder versteckt zu haben scheint, schwerlich gewesen seyn. Vielleicht – wollen einige vermuthen – war es Eifersucht auf den frühern, auch schon von uns erwähnten Bedienten Lord Williams – nämlich einen gewissen John Ellis, jetzt in Dienst bei Lord Mansfield – und Rachsucht daß Lord William diesen seinen alten Diener von Zeit zu Zeit immer wieder gern bei sich sah und dann nie ohne Geschenke entließ. Noch kurz vor dem Ereigniß war Courvoisier von seinem Herrn beauftragt worden, den Ellis einzuladen ihn zu besuchen, und hatte diesen Auftrag geflissentlich nicht ausgerichtet. John Ellis selbst war, nach einem Brief, den er an den Kellner des gegenüberliegenden Hauses schrieb, zur Zeit des Mordes von London abwesend. (Doch könnte einem bei diesem vielleicht geflissentlich geschriebenen Brief das Gerücht von den Geständnissen des Kellners einfallen.) – Merkwürdig ist folgender gutgeschriebene Brief, der sich (nach Erzählung des Globe) gestern Abend offen im Schalter der Zwei-Pennypost von Mitra-court (Fleetstreet) vorfand: „ Ich war es, der Lord Russell tödtete. Wer hätte denken können daß ich es war, der meine Hand mit Blut befleckte und zwar mit dem Blute eines 74jährigen Greises. Das ist nicht ehrlich fechten (it is no good weapon); mir ist nicht zu helfen. Ich habe die That gethan. Morgen bin ich auf dem Continent, und werde dieß Land für immer verlassen. W. B.“

Der Sun (8 Mai) hält es bei Gelegenheit des obigen gräßlichen Mordes für zweckmäßig, das Publicum daran zu erinnern, daß hinsichtlich dieses Verbrechens die Criminalgesetzgebung keine Veränderung erfahren hat, sondern daß die Todesstrafe für dasselbe noch feststeht. „Möge man also die Wiederkehr solcher Verbrechen nicht etwa der Verbesserung unseres Strafcodex zuschreiben und deßhalb vielleicht jene glücklich abgeschafften barbarischen Gewohnheiten wieder zurückwünschen; diejenigen Verbrechen im Gegentheil, für welche die Todesstrafe abgeschafft worden ist, haben sich seit dieser Abschaffung an Anzahl entschieden vermindert.“

Nach der Times beweist das jetzt so häufige Vorkommen nicht entdeckter Mordthaten in London (fünf seit zwei Jahren), daß das neuorganisirte halb militärische Londoner Polizeisystem, so gut es seyn mag, um Verbrechen zu hindern, doch wenig tauge, um die Thäter schon verübter Verbrechen zu entdecken. Viel dazu beitragen möge, daß ein Theil der jetzigen Polizeibeamten nicht aus London gebürtig und deßhalb mit allen Fährten und Schlupfwinkeln jener vielverzweigten, in der Hauptstadt aufgewachsenen Verbrecherzunft nicht hinlänglich bekannt sey.

Haus der Gemeinen. Sitzung des 8 Mai. Wegen der Abwesenheit Lord John Russells müssen auch heute alle wichtigern Verhandlungen – auch die über das Budget – auf nächste Woche verschoben bleiben. Auf eine Frage Hrn. Colquhouns über die Blokade von Buenos-Ayres antwortet Lord Palmerston: „daß die Meinung, bei der Blokirung von Häfen müsse eine dritte Macht über die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens erkennen, durchaus irrig sey: jeder unabhängige Staat habe das Recht des Blokirens, und ein dritter Staat habe dabei nichts zu thun, als seine Unterthanen mit dem Eintreten der Thatsache bekannt zu machen. Nach diesem Grundsatz müsse denn auch England die französische Blokade des Hafens von Buenos-Ayres, deren Eintreten dem englischen Gesandten in Paris bereits im Junius 1838 angezeigt worden sey, ohne weiters anerkennen; neuerlich sey in dem Blokadezustand von Buenos-Ayres keine Veränderung eingetreten, als daß ihn Frankreich auch auf den Küstenhandel auszudehnen wünsche.“ – Der Kanzler der Schatzkammer, auf eine Beschwerde Hrn. Barnaby's, daß das Briefstempelpapier und die Stempelcouverts über den festgesetzten Preis verkauft würden, erklärt, daß diese Ueberforderung keineswegs von den wirklichen Beamten, sondern nur von andern licentirten Verkäufern, die den Unverstand des Publicums zu benutzen suchten, ausgehe. Sir Robert Peel macht sich bei dieser Gelegenheit über die vielen seltsamen Figuren, mit denen die Couverte geziert sind, lustig. Der Rest der Sitzung wird mit Subsidienverwilligungen hingebracht. Unter den Verwilligungen ist auch eine Summe von 50,000 Pf. für den Dampfbootverkehr mit Ostindien durch das rothe Meer.

Im Haus der Lords brachte Lord Londonderry die noch immer nicht befriedigten Ansprüche der brittischen Legion in Spanien aufs neue in Anregung.

Das M. Chronicle vom 8 Mai schreibt: „Wir haben die bestimmte Nachricht, daß ein reiches Londoner Bankhaus, mit Genehmigung des von den Inhabern spanischer Staatspapiere niedergesetzten Ausschusses, der spanischen Regierung die nöthigen Mittel zur Beendigung des Bürgerkriegs unter sehr günstigen Bedingungen angeboten hat.“

Durch unsre Zeitungen erfahren Sie das Nähere über den gräßlichen Mord, welcher an Lord William Russell, Oheim des Lords John, einem 73jährigen Greise, in seinem eigenen Hause verübt worden, und in Folge dessen (da Lord John wegen der nahen Verwandtschaft nicht im Unterhause erscheinen kann) alle wichtigen Geschäfte in dieser Versammlung bis nächste Woche verschoben bleiben. Sie können sich indessen keinen Begriff von dem Schrecken, dem Mißtrauen und den unruhevollen Besorgnissen machen, welche die Begebenheit, besonders unter den vornehmeren Classen, erregt hat. Wo, denkt jeder, ist da noch Sicherheit zu finden, wenn nicht im eigenen Hause, unter dem Schutze eines gut behandelten, reichlich bezahlten und wohl gepflegten Gesindes? Was nutzen alle unsre Polizeianstalten, Gesetze und Richter, wenn man im Arm des Schlafs unter dem eigenen Dache ermordet werden kann? Es ist einmal wieder eine von den furchtbaren Predigten über die Eitelkeit alles Menschlichen und Irdischen, wie sie das Leben zuweilen mit dem größten Erfolge von seiner hohen Kanzel herabdonnert, nachdem die Tausende von wohlbestallten Pfarrern Jahre lang den Athem vergebens vergeudet haben. Das Schlimmste ist, daß trotz allen Umständen, welche die allgemeine Ueberzeugung verbreitet haben, daß die That von einem vom Gesinde, namentlich vom Kammerdiener selbst, verübt worden, sich noch nichts gefunden haben soll, was eine gerichtliche Ueberführung desselben zu versprechen scheint. Man erinnert sich dabei noch, daß binnen zweier Jahre in London vier andere Mordthaten an Menschen in ihren Wohnungen verübt worden, ohne daß man bis jetzt einem der Mörder auf die Spur gekommen wäre. Man fürchtet daher mit Recht, daß wenn auch diese Gräuelthat ungeahndet hingehe, böse Menschen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0002" n="1090"/>
doch ist das Ergebniß dieser ärztlichen Untersuchung gleichfalls unbekannt geblieben. Courvoisier zeigt sich in seiner Haft fortwährend sehr schweigsam und zurückhaltend, als wollte er durch kein unbedacht ausgesprochenes Wort seine Verdächtigkeit vermehren; er hat die vergangene Nacht fast ganz wachend zugebracht und sich nur gegen Morgen, für kurze Zeit, angekleidet aufs Bett geworfen. Das Gerücht, daß er gestern seinem Beichtiger, einem katholischen Priester, die That wirklich gestanden habe, kann natürlich nichts als Gerücht seyn. Eben so unzuverlässig sind die Erzählungen von Geständnissen, die der &#x2013; früher erwähnte &#x2013; Kellner des gegenüberliegenden Hauses gemacht habe. Die Gründe, die Courvoisier, wenn er wirklich der Mörder seyn sollte, zu seiner That bewogen haben, sind nicht leicht einzusehen. Raubsucht kann es, nach der Aengstlichkeit, mit der er alles Entwandte sogleich wieder versteckt zu haben scheint, schwerlich gewesen seyn. Vielleicht &#x2013; wollen einige vermuthen &#x2013; war es Eifersucht auf den frühern, auch schon von uns erwähnten Bedienten Lord Williams &#x2013; nämlich einen gewissen John Ellis, jetzt in Dienst bei Lord Mansfield &#x2013; und Rachsucht daß Lord William diesen seinen alten Diener von Zeit zu Zeit immer wieder gern bei sich sah und dann nie ohne Geschenke entließ. Noch kurz vor dem Ereigniß war Courvoisier von seinem Herrn beauftragt worden, den Ellis einzuladen ihn zu besuchen, und hatte diesen Auftrag geflissentlich nicht ausgerichtet. John Ellis selbst war, nach einem Brief, den er an den Kellner des gegenüberliegenden Hauses schrieb, zur Zeit des Mordes von London abwesend. (Doch könnte einem bei diesem vielleicht geflissentlich geschriebenen Brief das Gerücht von den Geständnissen des Kellners einfallen.) &#x2013; Merkwürdig ist folgender gutgeschriebene Brief, der sich (nach Erzählung des Globe) gestern Abend offen im Schalter der Zwei-Pennypost von Mitra-court (Fleetstreet) vorfand: &#x201E; Ich war es, der Lord Russell tödtete. Wer hätte denken können daß ich es war, der meine Hand mit Blut befleckte und zwar mit dem Blute eines 74jährigen Greises. Das ist nicht ehrlich fechten (it is no good weapon); mir ist nicht zu helfen. Ich habe die That gethan. Morgen bin ich auf dem Continent, und werde dieß Land für immer verlassen. W. B.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#g">Sun</hi> (8 Mai) hält es bei Gelegenheit des obigen gräßlichen Mordes für zweckmäßig, das Publicum daran zu erinnern, daß hinsichtlich dieses Verbrechens die Criminalgesetzgebung keine Veränderung erfahren hat, sondern daß die Todesstrafe für dasselbe noch feststeht. &#x201E;Möge man also die Wiederkehr solcher Verbrechen nicht etwa der Verbesserung unseres Strafcodex zuschreiben und deßhalb vielleicht jene glücklich abgeschafften barbarischen Gewohnheiten wieder zurückwünschen; diejenigen Verbrechen im Gegentheil, für welche die Todesstrafe abgeschafft worden ist, haben sich seit dieser Abschaffung an Anzahl entschieden vermindert.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Nach der <hi rendition="#g">Times</hi> beweist das jetzt so häufige Vorkommen nicht entdeckter Mordthaten in London (fünf seit zwei Jahren), daß das neuorganisirte halb militärische Londoner Polizeisystem, so gut es seyn mag, um Verbrechen zu hindern, doch wenig tauge, um die Thäter schon verübter Verbrechen zu entdecken. Viel dazu beitragen möge, daß ein Theil der jetzigen Polizeibeamten nicht aus London gebürtig und deßhalb mit allen Fährten und Schlupfwinkeln jener vielverzweigten, in der Hauptstadt aufgewachsenen Verbrecherzunft nicht hinlänglich bekannt sey.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Haus der Gemeinen</hi>. <hi rendition="#g">Sitzung</hi> des 8 Mai. Wegen der Abwesenheit Lord John Russells müssen auch heute alle wichtigern Verhandlungen &#x2013; auch die über das Budget &#x2013; auf nächste Woche verschoben bleiben. Auf eine Frage Hrn. Colquhouns über die Blokade von Buenos-Ayres antwortet Lord <hi rendition="#g">Palmerston</hi>: &#x201E;daß die Meinung, bei der Blokirung von Häfen müsse eine dritte Macht über die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens erkennen, durchaus irrig sey: jeder unabhängige Staat habe das Recht des Blokirens, und ein dritter Staat habe dabei nichts zu thun, als seine Unterthanen mit dem Eintreten der Thatsache bekannt zu machen. Nach diesem Grundsatz müsse denn auch England die französische Blokade des Hafens von Buenos-Ayres, deren Eintreten dem englischen Gesandten in Paris bereits im Junius 1838 angezeigt worden sey, ohne weiters anerkennen; neuerlich sey in dem Blokadezustand von Buenos-Ayres keine Veränderung eingetreten, als daß ihn Frankreich auch auf den Küstenhandel auszudehnen wünsche.&#x201C; &#x2013; Der Kanzler der Schatzkammer, auf eine Beschwerde Hrn. Barnaby's, daß das Briefstempelpapier und die Stempelcouverts über den festgesetzten Preis verkauft würden, erklärt, daß diese Ueberforderung keineswegs von den wirklichen Beamten, sondern nur von andern licentirten Verkäufern, die den Unverstand des Publicums zu benutzen suchten, ausgehe. Sir Robert Peel macht sich bei dieser Gelegenheit über die vielen seltsamen Figuren, mit denen die Couverte geziert sind, lustig. Der Rest der Sitzung wird mit Subsidienverwilligungen hingebracht. Unter den Verwilligungen ist auch eine Summe von 50,000 Pf. für den Dampfbootverkehr mit Ostindien durch das rothe Meer.</p><lb/>
          <p>Im <hi rendition="#g">Haus der Lords</hi> brachte Lord Londonderry die noch immer nicht befriedigten Ansprüche der brittischen Legion in Spanien aufs neue in Anregung.</p><lb/>
          <p>Das M. <hi rendition="#g">Chronicle</hi> vom 8 Mai schreibt: &#x201E;Wir haben die bestimmte Nachricht, daß ein reiches Londoner Bankhaus, mit Genehmigung des von den Inhabern spanischer Staatspapiere niedergesetzten Ausschusses, der spanischen Regierung die nöthigen Mittel zur Beendigung des Bürgerkriegs unter sehr günstigen Bedingungen angeboten hat.&#x201C;</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 9 Mai.</dateline>
          <p> Durch unsre Zeitungen erfahren Sie das Nähere über den gräßlichen Mord, welcher an Lord William Russell, Oheim des Lords John, einem 73jährigen Greise, in seinem eigenen Hause verübt worden, und in Folge dessen (da Lord John wegen der nahen Verwandtschaft nicht im Unterhause erscheinen kann) alle wichtigen Geschäfte in dieser Versammlung bis nächste Woche verschoben bleiben. Sie können sich indessen keinen Begriff von dem Schrecken, dem Mißtrauen und den unruhevollen Besorgnissen machen, welche die Begebenheit, besonders unter den vornehmeren Classen, erregt hat. Wo, denkt jeder, ist da noch Sicherheit zu finden, wenn nicht im eigenen Hause, unter dem Schutze eines gut behandelten, reichlich bezahlten und wohl gepflegten Gesindes? Was nutzen alle unsre Polizeianstalten, Gesetze und Richter, wenn man im Arm des Schlafs unter dem eigenen Dache ermordet werden kann? Es ist einmal wieder eine von den furchtbaren Predigten über die Eitelkeit alles Menschlichen und Irdischen, wie sie das Leben zuweilen mit dem größten Erfolge von seiner hohen Kanzel herabdonnert, nachdem die Tausende von wohlbestallten Pfarrern Jahre lang den Athem vergebens vergeudet haben. Das Schlimmste ist, daß trotz allen Umständen, welche die allgemeine Ueberzeugung verbreitet haben, daß die That von einem vom Gesinde, namentlich vom Kammerdiener selbst, verübt worden, sich noch nichts gefunden haben soll, was eine gerichtliche Ueberführung desselben zu versprechen scheint. Man erinnert sich dabei noch, daß binnen zweier Jahre in London vier andere Mordthaten an Menschen in ihren Wohnungen verübt worden, ohne daß man bis jetzt einem der Mörder auf die Spur gekommen wäre. Man fürchtet daher mit Recht, daß wenn auch diese Gräuelthat ungeahndet hingehe, böse Menschen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1090/0002] doch ist das Ergebniß dieser ärztlichen Untersuchung gleichfalls unbekannt geblieben. Courvoisier zeigt sich in seiner Haft fortwährend sehr schweigsam und zurückhaltend, als wollte er durch kein unbedacht ausgesprochenes Wort seine Verdächtigkeit vermehren; er hat die vergangene Nacht fast ganz wachend zugebracht und sich nur gegen Morgen, für kurze Zeit, angekleidet aufs Bett geworfen. Das Gerücht, daß er gestern seinem Beichtiger, einem katholischen Priester, die That wirklich gestanden habe, kann natürlich nichts als Gerücht seyn. Eben so unzuverlässig sind die Erzählungen von Geständnissen, die der – früher erwähnte – Kellner des gegenüberliegenden Hauses gemacht habe. Die Gründe, die Courvoisier, wenn er wirklich der Mörder seyn sollte, zu seiner That bewogen haben, sind nicht leicht einzusehen. Raubsucht kann es, nach der Aengstlichkeit, mit der er alles Entwandte sogleich wieder versteckt zu haben scheint, schwerlich gewesen seyn. Vielleicht – wollen einige vermuthen – war es Eifersucht auf den frühern, auch schon von uns erwähnten Bedienten Lord Williams – nämlich einen gewissen John Ellis, jetzt in Dienst bei Lord Mansfield – und Rachsucht daß Lord William diesen seinen alten Diener von Zeit zu Zeit immer wieder gern bei sich sah und dann nie ohne Geschenke entließ. Noch kurz vor dem Ereigniß war Courvoisier von seinem Herrn beauftragt worden, den Ellis einzuladen ihn zu besuchen, und hatte diesen Auftrag geflissentlich nicht ausgerichtet. John Ellis selbst war, nach einem Brief, den er an den Kellner des gegenüberliegenden Hauses schrieb, zur Zeit des Mordes von London abwesend. (Doch könnte einem bei diesem vielleicht geflissentlich geschriebenen Brief das Gerücht von den Geständnissen des Kellners einfallen.) – Merkwürdig ist folgender gutgeschriebene Brief, der sich (nach Erzählung des Globe) gestern Abend offen im Schalter der Zwei-Pennypost von Mitra-court (Fleetstreet) vorfand: „ Ich war es, der Lord Russell tödtete. Wer hätte denken können daß ich es war, der meine Hand mit Blut befleckte und zwar mit dem Blute eines 74jährigen Greises. Das ist nicht ehrlich fechten (it is no good weapon); mir ist nicht zu helfen. Ich habe die That gethan. Morgen bin ich auf dem Continent, und werde dieß Land für immer verlassen. W. B.“ Der Sun (8 Mai) hält es bei Gelegenheit des obigen gräßlichen Mordes für zweckmäßig, das Publicum daran zu erinnern, daß hinsichtlich dieses Verbrechens die Criminalgesetzgebung keine Veränderung erfahren hat, sondern daß die Todesstrafe für dasselbe noch feststeht. „Möge man also die Wiederkehr solcher Verbrechen nicht etwa der Verbesserung unseres Strafcodex zuschreiben und deßhalb vielleicht jene glücklich abgeschafften barbarischen Gewohnheiten wieder zurückwünschen; diejenigen Verbrechen im Gegentheil, für welche die Todesstrafe abgeschafft worden ist, haben sich seit dieser Abschaffung an Anzahl entschieden vermindert.“ Nach der Times beweist das jetzt so häufige Vorkommen nicht entdeckter Mordthaten in London (fünf seit zwei Jahren), daß das neuorganisirte halb militärische Londoner Polizeisystem, so gut es seyn mag, um Verbrechen zu hindern, doch wenig tauge, um die Thäter schon verübter Verbrechen zu entdecken. Viel dazu beitragen möge, daß ein Theil der jetzigen Polizeibeamten nicht aus London gebürtig und deßhalb mit allen Fährten und Schlupfwinkeln jener vielverzweigten, in der Hauptstadt aufgewachsenen Verbrecherzunft nicht hinlänglich bekannt sey. Haus der Gemeinen. Sitzung des 8 Mai. Wegen der Abwesenheit Lord John Russells müssen auch heute alle wichtigern Verhandlungen – auch die über das Budget – auf nächste Woche verschoben bleiben. Auf eine Frage Hrn. Colquhouns über die Blokade von Buenos-Ayres antwortet Lord Palmerston: „daß die Meinung, bei der Blokirung von Häfen müsse eine dritte Macht über die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens erkennen, durchaus irrig sey: jeder unabhängige Staat habe das Recht des Blokirens, und ein dritter Staat habe dabei nichts zu thun, als seine Unterthanen mit dem Eintreten der Thatsache bekannt zu machen. Nach diesem Grundsatz müsse denn auch England die französische Blokade des Hafens von Buenos-Ayres, deren Eintreten dem englischen Gesandten in Paris bereits im Junius 1838 angezeigt worden sey, ohne weiters anerkennen; neuerlich sey in dem Blokadezustand von Buenos-Ayres keine Veränderung eingetreten, als daß ihn Frankreich auch auf den Küstenhandel auszudehnen wünsche.“ – Der Kanzler der Schatzkammer, auf eine Beschwerde Hrn. Barnaby's, daß das Briefstempelpapier und die Stempelcouverts über den festgesetzten Preis verkauft würden, erklärt, daß diese Ueberforderung keineswegs von den wirklichen Beamten, sondern nur von andern licentirten Verkäufern, die den Unverstand des Publicums zu benutzen suchten, ausgehe. Sir Robert Peel macht sich bei dieser Gelegenheit über die vielen seltsamen Figuren, mit denen die Couverte geziert sind, lustig. Der Rest der Sitzung wird mit Subsidienverwilligungen hingebracht. Unter den Verwilligungen ist auch eine Summe von 50,000 Pf. für den Dampfbootverkehr mit Ostindien durch das rothe Meer. Im Haus der Lords brachte Lord Londonderry die noch immer nicht befriedigten Ansprüche der brittischen Legion in Spanien aufs neue in Anregung. Das M. Chronicle vom 8 Mai schreibt: „Wir haben die bestimmte Nachricht, daß ein reiches Londoner Bankhaus, mit Genehmigung des von den Inhabern spanischer Staatspapiere niedergesetzten Ausschusses, der spanischen Regierung die nöthigen Mittel zur Beendigung des Bürgerkriegs unter sehr günstigen Bedingungen angeboten hat.“ _ London, 9 Mai. Durch unsre Zeitungen erfahren Sie das Nähere über den gräßlichen Mord, welcher an Lord William Russell, Oheim des Lords John, einem 73jährigen Greise, in seinem eigenen Hause verübt worden, und in Folge dessen (da Lord John wegen der nahen Verwandtschaft nicht im Unterhause erscheinen kann) alle wichtigen Geschäfte in dieser Versammlung bis nächste Woche verschoben bleiben. Sie können sich indessen keinen Begriff von dem Schrecken, dem Mißtrauen und den unruhevollen Besorgnissen machen, welche die Begebenheit, besonders unter den vornehmeren Classen, erregt hat. Wo, denkt jeder, ist da noch Sicherheit zu finden, wenn nicht im eigenen Hause, unter dem Schutze eines gut behandelten, reichlich bezahlten und wohl gepflegten Gesindes? Was nutzen alle unsre Polizeianstalten, Gesetze und Richter, wenn man im Arm des Schlafs unter dem eigenen Dache ermordet werden kann? Es ist einmal wieder eine von den furchtbaren Predigten über die Eitelkeit alles Menschlichen und Irdischen, wie sie das Leben zuweilen mit dem größten Erfolge von seiner hohen Kanzel herabdonnert, nachdem die Tausende von wohlbestallten Pfarrern Jahre lang den Athem vergebens vergeudet haben. Das Schlimmste ist, daß trotz allen Umständen, welche die allgemeine Ueberzeugung verbreitet haben, daß die That von einem vom Gesinde, namentlich vom Kammerdiener selbst, verübt worden, sich noch nichts gefunden haben soll, was eine gerichtliche Ueberführung desselben zu versprechen scheint. Man erinnert sich dabei noch, daß binnen zweier Jahre in London vier andere Mordthaten an Menschen in ihren Wohnungen verübt worden, ohne daß man bis jetzt einem der Mörder auf die Spur gekommen wäre. Man fürchtet daher mit Recht, daß wenn auch diese Gräuelthat ungeahndet hingehe, böse Menschen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_137_18400516
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_137_18400516/2
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 137. Augsburg, 16. Mai 1840, S. 1090. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_137_18400516/2>, abgerufen am 27.04.2024.