Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 137. Augsburg, 16. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

eingehen werden; aber es sind solche, welche ohne zureichendes Capital, leichthin und unter schlechten Umständen gegründet wurden; solche Fabriken aber können uns nicht zur Richtschnur dienen. Das Cabinet hat vielen Fabricanten im voraus die Ziffer mitgetheilt, welche es beantragen wolle. Dennoch haben diese Fabricanten ihre Runkelrübenfelder bestellt. Sicher ist es also, daß bei dieser Steuer die einheimische Industrie sich erhalten wird." Von vielen Bänken der Kammer erschallte der Ruf: "zur Abstimmung!" Aber neue Candidaten der Rednerbühne drängten sich hastig heran; endlich erhielt Hr. Cunin Gridaine, Handelsminister unter dem vorigen Cabinet, das Wort. Die Post ging ab, noch ehe er geendigt hatte. Die Ungeduld der Kammer war groß; man erwartete eine Entscheidung noch in derselben Sitzung.

Die Weinbergbesitzer im Gironde Departement haben eine Bittschrift an die Kammern und an den Ministerpräsidenten eingereicht, worin sie folgende Bitten stellen: "Wir bitten, daß in unsern Zollgesetzen ein freisinnigeres und gesunden nationalökonomischen Grundsätzen gemäßeres System eingeführt werde, daß die Regierung günstigere Handelsverträge für unsere Ausfuhrartikel mit fremden Mächten, mit England, Holland, Belgien, Deutschland, Preußen, Schweden, Rußland und den amerikanischen Staaten abschließe. Wir bitten um die Aufhebung der indirecten Abgaben von Getränken oder ihre gleichmäßige Vertheilung auf alle Erzeugnisse des Bodens und des Gewerbfleißes. Wir bitten, daß die Regierung, durchdrungen von der Ungerechtigkeit und dem Uebermaaß der Octroiabgaben beim Eingang in die Städte, einschreite, um ihre Unterdrückung oder Verminderung oder Ausdehnung auf andere, bisher nicht damit belegte Erzeugnisse zu bewirken."

Dem National zufolge hat der bekannte ultraliberale Bildhauer David (von Angers) das Officierskreuz der Ehrenlegion abgelehnt.

Die Franzosen sind in der Klemme zwischen einem sogenannten Protectionssystem heimischer Industrie und Ackerbaus, und einem System, welches, die Protection mehr oder minder fallen lassend, Handel und Seefahrt befördert, mit Einem Wort, sie schweben noch hin und her zwischen Napoleonischen Ideen und einem durch die völkerverbindende Politik erweiterten Gesichtskreise. Da aber die Masse der Wähler, so wie ihre Organe die Deputirten, rein prohibitiv gesinnt sind, und die Küstenprovinzen allein einen andern Geist athmen, so wie die Rheinprovinzen, so wird wahrscheinlich noch lange das übertriebene Napoleon'sche System in immer größerm Schlendrian des Ueberkommenen fortherrschen, besonders da die Minister die Staatseinkünfte durch ein überspanntes Douanensystem gesicherter glauben als durch die größere Betriebsamkeit der Ein- und Ausfuhr. In wie weit Transactionen und Conciliationen möglich sind unter beiden Systemen, oder vielmehr, wie lange man noch herumtasten wird ohne größere und durchgreifendere Entscheidung, das ist nicht abzusehen. Die Franzosen denken höchst rasch die verschiedenartigsten Systeme aus, sind aber vielleicht eben darum in der Praxis das am meisten in der Routine befangene Volk; was man so vornweg speculirt, kommt selten zur Reife und zur Entscheidung. So haben sich schon überall Routinen sogar in Algier eingewurzelt, ohne daß dadurch der Systemsucht Abbruch geschähe: aber die Routine trägt allstets den entschiedensten Sieg davon über die Speculation. - Die üble Laune der Conservativen fährt noch immer fort wie bisher der Politik des Hrn. Thiers zum Nutzen auszuschlagen; die Linke unterstützt ihn ganz insbesondere deßhalb, denn je mehr jener Mißmuth wächst, desto stärker erscheint das Factum: "le roi regne mais ne gouverne pas," und eben dieses "le roi regne et gouverne" fordern die Conservativen der eifrigsten Sorte und überkleiden so den Hrn. Thiers mit einem leichten Nimbus von Popularität. Eine Partei, die keinen Führer hat, handelt immer blind; die Doctrinärs waren lange stark durch Guizot, der Tiers-Parti durch Thiers, die Linke durch Odilon-Barrot; die Conservativen hatten in Mole einen Chef; aber dieser stand außerhalb der Deputirtenkammer, und war gar wenig entschieden; dem Hrn. v. Lamartine aber, der sie gern hätte zum Kampf anführen und discipliniren mögen, stehen sie zu fern.

Dieser Tage ward Lord Granville in einem Schreiben von Lord Palmerston dringend aufgefordert, dem Hrn. Thiers ohne Verzug folgende Fragen vorzulegen und schleunigst darüber nach London zu berichten: 1) ob Hr. v. Serra-Capriola mit den zur Aufhebung des Monopolscontracts nöthigen Vollmachten versehen sey; 2) ob der neapolitanische Gesandte von seiner Regierung eben so die Vollmacht erhalten habe, nicht nur über den Ersatz des durch das Schwefelmonopol den englischen Unterthanen zugegangenen Schadens, sondern auch über die Ansprüche, welche von Engländern wegen des von der neapolitanischen Regierung auf ihre Schiffe verhängten Embargo's, so wie wegen etwa geschehener Beschlagnahme englischen Eigenthums erhoben werden dürften, zu unterhandeln und eine Uebereinkunft zu treffen. - Der Prinz von Capua soll nach einem unverbürgten Gerüchte England plötzlich verlassen haben, um sich nach Sicilien zu begeben.

Die Gabarre Messagere hat auf unserer Rhede Anker geworfen. Sie verließ Algier am 4 Mai, zwei Tage nach Abgang des Paketboots Chimere. Zwar brachte sie keinen Brief, doch erhielt ich von den an Bord befindlichen Passagieren folgende Mittheilungen. Seit dem Gefecht vom 27 April scheint der Marschall Vallee von den Umständen sich leiten zu lassen. Er besetzte den Berg Affrun, der im Südwesten die Gränze der Ebene Metidscha bildet. Von dort aus stand es ihm frei, nach Miliana oder Medeah zu marschiren. Da er aber inzwischen erfahren hatte, daß Scherschel von den Kabylen bedrängt sey, glaubte er, erst dorthin ziehen zu müssen, um den Kabylen in den Rücken zu fallen. Am 3 Mai war die Armee vor Scherschel concentrirt. Durch ein sehr geschicktes Manöuvre, erzählte man in Algier, wurde das arabische Cavalleriecorps, welches am 27 die Division des Herzogs von Orleans angegriffen hatte, fast gänzlich vernichtet. Die Colonne der Avantgarde von dem berühmten Obrist Lamoriciere commandirt, erhielt Befehl, die Gebirgskette, welche bis in die Umgegend von Scherschel sich hinzieht, zu überschreiten und an der Seeküste jenseits Scherschels Stellung zu fassen; die Division des Herzogs von Orleans sollte, der Höhenrichtung folgend, von Süden nach Norden marschiren, während der Marschall durch die Metidscha in gerader Richtung gegen Scherschel ziehen wollte. So fanden sich also die Feinde, welche Scherschel angriffen, zwischen dem Meere und einem starren Halbring von Bajonnetten und Kanonen eingeengt. Es sollen 3 bis 4000 (?) Feinde vor Scherschel getödtet worden seyn. Wenigstens erzählte man so in Algier beim Abgang der Messagere. Uebrigens darf man nicht vergessen, daß diese (offenbar übertriebenen, auch theilweise sich widersprechenden) Nachrichten bloß auf mündlichen Aussagen beruhen und demnach der Bestätigung bedürfen. Sicher nur ist, daß die Expeditionsarmee damals vor Scherschel stand. Alle verfügbaren Dampfboote waren von Algier abgegangen, um 120,000 Rationen Lebensmittel nach Scherschel zu bringen. Am 4 Mai sollte die Armee wieder aufbrechen; Niemand wußte etwas Bestimmtes über die weitern Operationen. - Während der Abwesenheit der Armee

eingehen werden; aber es sind solche, welche ohne zureichendes Capital, leichthin und unter schlechten Umständen gegründet wurden; solche Fabriken aber können uns nicht zur Richtschnur dienen. Das Cabinet hat vielen Fabricanten im voraus die Ziffer mitgetheilt, welche es beantragen wolle. Dennoch haben diese Fabricanten ihre Runkelrübenfelder bestellt. Sicher ist es also, daß bei dieser Steuer die einheimische Industrie sich erhalten wird.“ Von vielen Bänken der Kammer erschallte der Ruf: „zur Abstimmung!“ Aber neue Candidaten der Rednerbühne drängten sich hastig heran; endlich erhielt Hr. Cunin Gridaine, Handelsminister unter dem vorigen Cabinet, das Wort. Die Post ging ab, noch ehe er geendigt hatte. Die Ungeduld der Kammer war groß; man erwartete eine Entscheidung noch in derselben Sitzung.

Die Weinbergbesitzer im Gironde Departement haben eine Bittschrift an die Kammern und an den Ministerpräsidenten eingereicht, worin sie folgende Bitten stellen: „Wir bitten, daß in unsern Zollgesetzen ein freisinnigeres und gesunden nationalökonomischen Grundsätzen gemäßeres System eingeführt werde, daß die Regierung günstigere Handelsverträge für unsere Ausfuhrartikel mit fremden Mächten, mit England, Holland, Belgien, Deutschland, Preußen, Schweden, Rußland und den amerikanischen Staaten abschließe. Wir bitten um die Aufhebung der indirecten Abgaben von Getränken oder ihre gleichmäßige Vertheilung auf alle Erzeugnisse des Bodens und des Gewerbfleißes. Wir bitten, daß die Regierung, durchdrungen von der Ungerechtigkeit und dem Uebermaaß der Octroiabgaben beim Eingang in die Städte, einschreite, um ihre Unterdrückung oder Verminderung oder Ausdehnung auf andere, bisher nicht damit belegte Erzeugnisse zu bewirken.“

Dem National zufolge hat der bekannte ultraliberale Bildhauer David (von Angers) das Officierskreuz der Ehrenlegion abgelehnt.

Die Franzosen sind in der Klemme zwischen einem sogenannten Protectionssystem heimischer Industrie und Ackerbaus, und einem System, welches, die Protection mehr oder minder fallen lassend, Handel und Seefahrt befördert, mit Einem Wort, sie schweben noch hin und her zwischen Napoleonischen Ideen und einem durch die völkerverbindende Politik erweiterten Gesichtskreise. Da aber die Masse der Wähler, so wie ihre Organe die Deputirten, rein prohibitiv gesinnt sind, und die Küstenprovinzen allein einen andern Geist athmen, so wie die Rheinprovinzen, so wird wahrscheinlich noch lange das übertriebene Napoleon'sche System in immer größerm Schlendrian des Ueberkommenen fortherrschen, besonders da die Minister die Staatseinkünfte durch ein überspanntes Douanensystem gesicherter glauben als durch die größere Betriebsamkeit der Ein- und Ausfuhr. In wie weit Transactionen und Conciliationen möglich sind unter beiden Systemen, oder vielmehr, wie lange man noch herumtasten wird ohne größere und durchgreifendere Entscheidung, das ist nicht abzusehen. Die Franzosen denken höchst rasch die verschiedenartigsten Systeme aus, sind aber vielleicht eben darum in der Praxis das am meisten in der Routine befangene Volk; was man so vornweg speculirt, kommt selten zur Reife und zur Entscheidung. So haben sich schon überall Routinen sogar in Algier eingewurzelt, ohne daß dadurch der Systemsucht Abbruch geschähe: aber die Routine trägt allstets den entschiedensten Sieg davon über die Speculation. – Die üble Laune der Conservativen fährt noch immer fort wie bisher der Politik des Hrn. Thiers zum Nutzen auszuschlagen; die Linke unterstützt ihn ganz insbesondere deßhalb, denn je mehr jener Mißmuth wächst, desto stärker erscheint das Factum: „le roi règne mais ne gouverne pas,“ und eben dieses „le roi règne et gouverne“ fordern die Conservativen der eifrigsten Sorte und überkleiden so den Hrn. Thiers mit einem leichten Nimbus von Popularität. Eine Partei, die keinen Führer hat, handelt immer blind; die Doctrinärs waren lange stark durch Guizot, der Tiers-Parti durch Thiers, die Linke durch Odilon-Barrot; die Conservativen hatten in Molé einen Chef; aber dieser stand außerhalb der Deputirtenkammer, und war gar wenig entschieden; dem Hrn. v. Lamartine aber, der sie gern hätte zum Kampf anführen und discipliniren mögen, stehen sie zu fern.

Dieser Tage ward Lord Granville in einem Schreiben von Lord Palmerston dringend aufgefordert, dem Hrn. Thiers ohne Verzug folgende Fragen vorzulegen und schleunigst darüber nach London zu berichten: 1) ob Hr. v. Serra-Capriola mit den zur Aufhebung des Monopolscontracts nöthigen Vollmachten versehen sey; 2) ob der neapolitanische Gesandte von seiner Regierung eben so die Vollmacht erhalten habe, nicht nur über den Ersatz des durch das Schwefelmonopol den englischen Unterthanen zugegangenen Schadens, sondern auch über die Ansprüche, welche von Engländern wegen des von der neapolitanischen Regierung auf ihre Schiffe verhängten Embargo's, so wie wegen etwa geschehener Beschlagnahme englischen Eigenthums erhoben werden dürften, zu unterhandeln und eine Uebereinkunft zu treffen. – Der Prinz von Capua soll nach einem unverbürgten Gerüchte England plötzlich verlassen haben, um sich nach Sicilien zu begeben.

Die Gabarre Messagère hat auf unserer Rhede Anker geworfen. Sie verließ Algier am 4 Mai, zwei Tage nach Abgang des Paketboots Chimère. Zwar brachte sie keinen Brief, doch erhielt ich von den an Bord befindlichen Passagieren folgende Mittheilungen. Seit dem Gefecht vom 27 April scheint der Marschall Vallée von den Umständen sich leiten zu lassen. Er besetzte den Berg Affrun, der im Südwesten die Gränze der Ebene Metidscha bildet. Von dort aus stand es ihm frei, nach Miliana oder Medeah zu marschiren. Da er aber inzwischen erfahren hatte, daß Scherschel von den Kabylen bedrängt sey, glaubte er, erst dorthin ziehen zu müssen, um den Kabylen in den Rücken zu fallen. Am 3 Mai war die Armee vor Scherschel concentrirt. Durch ein sehr geschicktes Manöuvre, erzählte man in Algier, wurde das arabische Cavalleriecorps, welches am 27 die Division des Herzogs von Orleans angegriffen hatte, fast gänzlich vernichtet. Die Colonne der Avantgarde von dem berühmten Obrist Lamoricière commandirt, erhielt Befehl, die Gebirgskette, welche bis in die Umgegend von Scherschel sich hinzieht, zu überschreiten und an der Seeküste jenseits Scherschels Stellung zu fassen; die Division des Herzogs von Orleans sollte, der Höhenrichtung folgend, von Süden nach Norden marschiren, während der Marschall durch die Metidscha in gerader Richtung gegen Scherschel ziehen wollte. So fanden sich also die Feinde, welche Scherschel angriffen, zwischen dem Meere und einem starren Halbring von Bajonnetten und Kanonen eingeengt. Es sollen 3 bis 4000 (?) Feinde vor Scherschel getödtet worden seyn. Wenigstens erzählte man so in Algier beim Abgang der Messagère. Uebrigens darf man nicht vergessen, daß diese (offenbar übertriebenen, auch theilweise sich widersprechenden) Nachrichten bloß auf mündlichen Aussagen beruhen und demnach der Bestätigung bedürfen. Sicher nur ist, daß die Expeditionsarmee damals vor Scherschel stand. Alle verfügbaren Dampfboote waren von Algier abgegangen, um 120,000 Rationen Lebensmittel nach Scherschel zu bringen. Am 4 Mai sollte die Armee wieder aufbrechen; Niemand wußte etwas Bestimmtes über die weitern Operationen. – Während der Abwesenheit der Armee

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0004" n="1092"/>
eingehen werden; aber es sind solche, welche ohne zureichendes Capital, leichthin und unter schlechten Umständen gegründet wurden; solche Fabriken aber können uns nicht zur Richtschnur dienen. Das Cabinet hat vielen Fabricanten im voraus die Ziffer mitgetheilt, welche es beantragen wolle. Dennoch haben diese Fabricanten ihre Runkelrübenfelder bestellt. Sicher ist es also, daß bei dieser Steuer die einheimische Industrie sich erhalten wird.&#x201C; Von vielen Bänken der Kammer erschallte der Ruf: &#x201E;zur Abstimmung!&#x201C; Aber neue Candidaten der Rednerbühne drängten sich hastig heran; endlich erhielt Hr. <hi rendition="#g">Cunin Gridaine</hi>, Handelsminister unter dem vorigen Cabinet, das Wort. Die Post ging ab, noch ehe er geendigt hatte. Die Ungeduld der Kammer war groß; man erwartete eine Entscheidung noch in derselben Sitzung.</p><lb/>
          <p>Die Weinbergbesitzer im Gironde Departement haben eine Bittschrift an die Kammern und an den Ministerpräsidenten eingereicht, worin sie folgende Bitten stellen: &#x201E;Wir bitten, daß in unsern Zollgesetzen ein freisinnigeres und gesunden nationalökonomischen Grundsätzen gemäßeres System eingeführt werde, daß die Regierung günstigere Handelsverträge für unsere Ausfuhrartikel mit fremden Mächten, mit England, Holland, Belgien, Deutschland, Preußen, Schweden, Rußland und den amerikanischen Staaten abschließe. Wir bitten um die Aufhebung der indirecten Abgaben von Getränken oder ihre gleichmäßige Vertheilung auf alle Erzeugnisse des Bodens und des Gewerbfleißes. Wir bitten, daß die Regierung, durchdrungen von der Ungerechtigkeit und dem Uebermaaß der Octroiabgaben beim Eingang in die Städte, einschreite, um ihre Unterdrückung oder Verminderung oder Ausdehnung auf andere, bisher nicht damit belegte Erzeugnisse zu bewirken.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Dem <hi rendition="#g">National</hi> zufolge hat der bekannte ultraliberale Bildhauer David (von Angers) das Officierskreuz der Ehrenlegion abgelehnt.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 9 Mai.</dateline>
          <p> Die Franzosen sind in der Klemme zwischen einem sogenannten Protectionssystem heimischer Industrie und Ackerbaus, und einem System, welches, die Protection mehr oder minder fallen lassend, Handel und Seefahrt befördert, mit Einem Wort, sie schweben noch hin und her zwischen Napoleonischen Ideen und einem durch die völkerverbindende Politik erweiterten Gesichtskreise. Da aber die Masse der Wähler, so wie ihre Organe die Deputirten, rein prohibitiv gesinnt sind, und die Küstenprovinzen allein einen andern Geist athmen, so wie die Rheinprovinzen, so wird wahrscheinlich noch lange das übertriebene Napoleon'sche System in immer größerm Schlendrian des Ueberkommenen fortherrschen, besonders da die Minister die Staatseinkünfte durch ein überspanntes Douanensystem gesicherter glauben als durch die größere Betriebsamkeit der Ein- und Ausfuhr. In wie weit Transactionen und Conciliationen möglich sind unter beiden Systemen, oder vielmehr, wie lange man noch herumtasten wird ohne größere und durchgreifendere Entscheidung, das ist nicht abzusehen. Die Franzosen denken höchst rasch die verschiedenartigsten Systeme aus, sind aber vielleicht eben darum in der Praxis das am meisten in der Routine befangene Volk; was man so vornweg speculirt, kommt selten zur Reife und zur Entscheidung. So haben sich schon überall Routinen sogar in Algier eingewurzelt, ohne daß dadurch der Systemsucht Abbruch geschähe: aber die Routine trägt allstets den entschiedensten Sieg davon über die Speculation. &#x2013; Die <hi rendition="#g">üble Laune</hi> der Conservativen fährt noch immer fort wie bisher der Politik des Hrn. Thiers zum Nutzen auszuschlagen; die Linke unterstützt ihn ganz insbesondere deßhalb, denn je mehr jener Mißmuth wächst, desto stärker erscheint das Factum: &#x201E;le roi règne mais ne gouverne pas,&#x201C; und eben dieses &#x201E;le roi règne et gouverne&#x201C; fordern die Conservativen der eifrigsten Sorte und überkleiden so den Hrn. Thiers mit einem leichten Nimbus von Popularität. Eine Partei, die keinen Führer hat, handelt immer blind; die Doctrinärs waren lange stark durch Guizot, der Tiers-Parti durch Thiers, die Linke durch Odilon-Barrot; die Conservativen hatten in Molé einen Chef; aber dieser stand außerhalb der Deputirtenkammer, und war gar wenig entschieden; dem Hrn. v. Lamartine aber, der sie gern hätte zum Kampf anführen und discipliniren mögen, stehen sie zu fern.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 11 Mai.</dateline>
          <p> Dieser Tage ward Lord Granville in einem Schreiben von Lord Palmerston dringend aufgefordert, dem Hrn. Thiers ohne Verzug folgende Fragen vorzulegen und schleunigst darüber nach London zu berichten: 1) ob Hr. v. Serra-Capriola mit den zur Aufhebung des Monopolscontracts nöthigen Vollmachten versehen sey; 2) ob der neapolitanische Gesandte von seiner Regierung eben so die Vollmacht erhalten habe, nicht nur über den Ersatz des durch das Schwefelmonopol den englischen Unterthanen zugegangenen Schadens, sondern auch über die Ansprüche, welche von Engländern wegen des von der neapolitanischen Regierung auf ihre Schiffe verhängten Embargo's, so wie wegen etwa geschehener Beschlagnahme englischen Eigenthums erhoben werden dürften, zu unterhandeln und eine Uebereinkunft zu treffen. &#x2013; Der Prinz von Capua soll nach einem <hi rendition="#g">unverbürgten</hi> Gerüchte England plötzlich verlassen haben, um sich nach Sicilien zu begeben.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Toulon,</hi> 9 Mai.</dateline>
          <p> Die Gabarre <hi rendition="#g">Messagère</hi> hat auf unserer Rhede Anker geworfen. Sie verließ Algier am 4 Mai, zwei Tage nach Abgang des Paketboots Chimère. Zwar brachte sie keinen Brief, doch erhielt ich von den an Bord befindlichen Passagieren folgende Mittheilungen. Seit dem Gefecht vom 27 April scheint der Marschall Vallée von den Umständen sich leiten zu lassen. Er besetzte den Berg Affrun, der im Südwesten die Gränze der Ebene Metidscha bildet. Von dort aus stand es ihm frei, nach Miliana oder Medeah zu marschiren. Da er aber inzwischen erfahren hatte, daß Scherschel von den Kabylen bedrängt sey, glaubte er, erst dorthin ziehen zu müssen, um den Kabylen in den Rücken zu fallen. Am 3 Mai war die Armee vor Scherschel concentrirt. Durch ein sehr geschicktes Manöuvre, erzählte man in Algier, wurde das arabische Cavalleriecorps, welches am 27 die Division des Herzogs von Orleans angegriffen hatte, fast gänzlich vernichtet. Die Colonne der Avantgarde von dem berühmten Obrist Lamoricière commandirt, erhielt Befehl, die Gebirgskette, welche bis in die Umgegend von Scherschel sich hinzieht, zu überschreiten und an der Seeküste jenseits Scherschels Stellung zu fassen; die Division des Herzogs von Orleans sollte, der Höhenrichtung folgend, von Süden nach Norden marschiren, während der Marschall durch die Metidscha in gerader Richtung gegen Scherschel ziehen wollte. So fanden sich also die Feinde, welche Scherschel angriffen, zwischen dem Meere und einem starren Halbring von Bajonnetten und Kanonen eingeengt. Es sollen 3 bis 4000 (?) Feinde vor Scherschel getödtet worden seyn. Wenigstens erzählte man so in Algier beim Abgang der <hi rendition="#g">Messagère</hi>. Uebrigens darf man nicht vergessen, daß diese (offenbar übertriebenen, auch theilweise sich widersprechenden) Nachrichten bloß auf mündlichen Aussagen beruhen und demnach der Bestätigung bedürfen. Sicher nur ist, daß die Expeditionsarmee damals vor Scherschel stand. Alle verfügbaren Dampfboote waren von Algier abgegangen, um 120,000 Rationen Lebensmittel nach Scherschel zu bringen. Am 4 Mai sollte die Armee wieder aufbrechen; Niemand wußte etwas Bestimmtes über die weitern Operationen. &#x2013; Während der Abwesenheit der Armee<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1092/0004] eingehen werden; aber es sind solche, welche ohne zureichendes Capital, leichthin und unter schlechten Umständen gegründet wurden; solche Fabriken aber können uns nicht zur Richtschnur dienen. Das Cabinet hat vielen Fabricanten im voraus die Ziffer mitgetheilt, welche es beantragen wolle. Dennoch haben diese Fabricanten ihre Runkelrübenfelder bestellt. Sicher ist es also, daß bei dieser Steuer die einheimische Industrie sich erhalten wird.“ Von vielen Bänken der Kammer erschallte der Ruf: „zur Abstimmung!“ Aber neue Candidaten der Rednerbühne drängten sich hastig heran; endlich erhielt Hr. Cunin Gridaine, Handelsminister unter dem vorigen Cabinet, das Wort. Die Post ging ab, noch ehe er geendigt hatte. Die Ungeduld der Kammer war groß; man erwartete eine Entscheidung noch in derselben Sitzung. Die Weinbergbesitzer im Gironde Departement haben eine Bittschrift an die Kammern und an den Ministerpräsidenten eingereicht, worin sie folgende Bitten stellen: „Wir bitten, daß in unsern Zollgesetzen ein freisinnigeres und gesunden nationalökonomischen Grundsätzen gemäßeres System eingeführt werde, daß die Regierung günstigere Handelsverträge für unsere Ausfuhrartikel mit fremden Mächten, mit England, Holland, Belgien, Deutschland, Preußen, Schweden, Rußland und den amerikanischen Staaten abschließe. Wir bitten um die Aufhebung der indirecten Abgaben von Getränken oder ihre gleichmäßige Vertheilung auf alle Erzeugnisse des Bodens und des Gewerbfleißes. Wir bitten, daß die Regierung, durchdrungen von der Ungerechtigkeit und dem Uebermaaß der Octroiabgaben beim Eingang in die Städte, einschreite, um ihre Unterdrückung oder Verminderung oder Ausdehnung auf andere, bisher nicht damit belegte Erzeugnisse zu bewirken.“ Dem National zufolge hat der bekannte ultraliberale Bildhauer David (von Angers) das Officierskreuz der Ehrenlegion abgelehnt. _ Paris, 9 Mai. Die Franzosen sind in der Klemme zwischen einem sogenannten Protectionssystem heimischer Industrie und Ackerbaus, und einem System, welches, die Protection mehr oder minder fallen lassend, Handel und Seefahrt befördert, mit Einem Wort, sie schweben noch hin und her zwischen Napoleonischen Ideen und einem durch die völkerverbindende Politik erweiterten Gesichtskreise. Da aber die Masse der Wähler, so wie ihre Organe die Deputirten, rein prohibitiv gesinnt sind, und die Küstenprovinzen allein einen andern Geist athmen, so wie die Rheinprovinzen, so wird wahrscheinlich noch lange das übertriebene Napoleon'sche System in immer größerm Schlendrian des Ueberkommenen fortherrschen, besonders da die Minister die Staatseinkünfte durch ein überspanntes Douanensystem gesicherter glauben als durch die größere Betriebsamkeit der Ein- und Ausfuhr. In wie weit Transactionen und Conciliationen möglich sind unter beiden Systemen, oder vielmehr, wie lange man noch herumtasten wird ohne größere und durchgreifendere Entscheidung, das ist nicht abzusehen. Die Franzosen denken höchst rasch die verschiedenartigsten Systeme aus, sind aber vielleicht eben darum in der Praxis das am meisten in der Routine befangene Volk; was man so vornweg speculirt, kommt selten zur Reife und zur Entscheidung. So haben sich schon überall Routinen sogar in Algier eingewurzelt, ohne daß dadurch der Systemsucht Abbruch geschähe: aber die Routine trägt allstets den entschiedensten Sieg davon über die Speculation. – Die üble Laune der Conservativen fährt noch immer fort wie bisher der Politik des Hrn. Thiers zum Nutzen auszuschlagen; die Linke unterstützt ihn ganz insbesondere deßhalb, denn je mehr jener Mißmuth wächst, desto stärker erscheint das Factum: „le roi règne mais ne gouverne pas,“ und eben dieses „le roi règne et gouverne“ fordern die Conservativen der eifrigsten Sorte und überkleiden so den Hrn. Thiers mit einem leichten Nimbus von Popularität. Eine Partei, die keinen Führer hat, handelt immer blind; die Doctrinärs waren lange stark durch Guizot, der Tiers-Parti durch Thiers, die Linke durch Odilon-Barrot; die Conservativen hatten in Molé einen Chef; aber dieser stand außerhalb der Deputirtenkammer, und war gar wenig entschieden; dem Hrn. v. Lamartine aber, der sie gern hätte zum Kampf anführen und discipliniren mögen, stehen sie zu fern. _ Paris, 11 Mai. Dieser Tage ward Lord Granville in einem Schreiben von Lord Palmerston dringend aufgefordert, dem Hrn. Thiers ohne Verzug folgende Fragen vorzulegen und schleunigst darüber nach London zu berichten: 1) ob Hr. v. Serra-Capriola mit den zur Aufhebung des Monopolscontracts nöthigen Vollmachten versehen sey; 2) ob der neapolitanische Gesandte von seiner Regierung eben so die Vollmacht erhalten habe, nicht nur über den Ersatz des durch das Schwefelmonopol den englischen Unterthanen zugegangenen Schadens, sondern auch über die Ansprüche, welche von Engländern wegen des von der neapolitanischen Regierung auf ihre Schiffe verhängten Embargo's, so wie wegen etwa geschehener Beschlagnahme englischen Eigenthums erhoben werden dürften, zu unterhandeln und eine Uebereinkunft zu treffen. – Der Prinz von Capua soll nach einem unverbürgten Gerüchte England plötzlich verlassen haben, um sich nach Sicilien zu begeben. _ Toulon, 9 Mai. Die Gabarre Messagère hat auf unserer Rhede Anker geworfen. Sie verließ Algier am 4 Mai, zwei Tage nach Abgang des Paketboots Chimère. Zwar brachte sie keinen Brief, doch erhielt ich von den an Bord befindlichen Passagieren folgende Mittheilungen. Seit dem Gefecht vom 27 April scheint der Marschall Vallée von den Umständen sich leiten zu lassen. Er besetzte den Berg Affrun, der im Südwesten die Gränze der Ebene Metidscha bildet. Von dort aus stand es ihm frei, nach Miliana oder Medeah zu marschiren. Da er aber inzwischen erfahren hatte, daß Scherschel von den Kabylen bedrängt sey, glaubte er, erst dorthin ziehen zu müssen, um den Kabylen in den Rücken zu fallen. Am 3 Mai war die Armee vor Scherschel concentrirt. Durch ein sehr geschicktes Manöuvre, erzählte man in Algier, wurde das arabische Cavalleriecorps, welches am 27 die Division des Herzogs von Orleans angegriffen hatte, fast gänzlich vernichtet. Die Colonne der Avantgarde von dem berühmten Obrist Lamoricière commandirt, erhielt Befehl, die Gebirgskette, welche bis in die Umgegend von Scherschel sich hinzieht, zu überschreiten und an der Seeküste jenseits Scherschels Stellung zu fassen; die Division des Herzogs von Orleans sollte, der Höhenrichtung folgend, von Süden nach Norden marschiren, während der Marschall durch die Metidscha in gerader Richtung gegen Scherschel ziehen wollte. So fanden sich also die Feinde, welche Scherschel angriffen, zwischen dem Meere und einem starren Halbring von Bajonnetten und Kanonen eingeengt. Es sollen 3 bis 4000 (?) Feinde vor Scherschel getödtet worden seyn. Wenigstens erzählte man so in Algier beim Abgang der Messagère. Uebrigens darf man nicht vergessen, daß diese (offenbar übertriebenen, auch theilweise sich widersprechenden) Nachrichten bloß auf mündlichen Aussagen beruhen und demnach der Bestätigung bedürfen. Sicher nur ist, daß die Expeditionsarmee damals vor Scherschel stand. Alle verfügbaren Dampfboote waren von Algier abgegangen, um 120,000 Rationen Lebensmittel nach Scherschel zu bringen. Am 4 Mai sollte die Armee wieder aufbrechen; Niemand wußte etwas Bestimmtes über die weitern Operationen. – Während der Abwesenheit der Armee

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_137_18400516
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_137_18400516/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 137. Augsburg, 16. Mai 1840, S. 1092. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_137_18400516/4>, abgerufen am 29.04.2024.