Allgemeine Zeitung. Nr. 138. Augsburg, 17. Mai 1840.Die Römerstadt am obern Neckar. (Beschluß.) Die Geschichte der römischen Herrschaft in diesem am frühesten wieder verloren gegangenen Sinus imperii liegt in vielen Beziehungen noch sehr im Dunkeln; aber so viel steht fest, daß vom Ende des ersten Jahrhunderts an bis in die Mitte des dritten im Lande zwischen dem großen römischen Pfahl und der Donau und dem Rhein römische, oder vielmehr römisch gallische Cultur blühte und Alles auf ewigen Besitz angelegt war. Auf den nach und nach erhobenen Monumenten tritt uns das ganze Kriegs-, Municipal- und Religionssystem von den Zeiten Hadrians bis etwa zu denen des Gallienus in seinen charakteristischen Zügen entgegen: der ganze römisch gallische Olymp; außer den allgemeinen officiellen Göttern die Dea Abnoba (Schwarzwald), die Sirona, der Mars Caturix, Mercurius Visucius, ein Deus Taranucnus etc.; darneben zahlreiche Spuren orientalischer Culte, namentlich des Mithrasdienstes; alle militärischen Grade, vom Tribunen bis zum beneficiarius Consulis und dem Soldaten der Hülfscohorte; Duumviri, Triumviri, Decurionen, Seviri Augustales, Negotiatores, Nautae, Peregrini, und in neuester Zeit, ganz unerwartet, die Bezeichnungen Urbs, Colonia, Praeses, Praefectus. Ein nach den vorliegenden Alterthümern sorgfältig entworfenes Bild vom Zustande des Landes, vom Verhältniß der Römer zu den Eingebornen, von der militärischen und bürgerlichen Verfassung, vom Cultus, Ackerbau und Handel enthielte schwerlich Einen charakteristischen Zug, lieferte nur das Resultat, daß Alles so war, wie überall, wo hinter Donau und Rhein theils rein germanische Stämme, theils gemischte Bevölkerungen der römischen Herrschaft gehorchten. Die Zahl der Orte, welche sich durch mehr oder weniger bedeutende Substructionen, durch den Fund charakteristischer Monumente, durch die Fülle von Münzen und Anticaglien unzweifelhaft als Römerorte, als militärische Stationen oder als bürgerliche Niederlassungen zu erkennen geben, ist überraschend groß. Wir nennen nur die bedeutendsten in der Nähe des Rheins und im Stromgebiet des Neckars, deren Monumente uns aus eigener Anschauung bekannt sind: Badenweiler, Baden-Baden (Aquae Aureliae), Schwetzingen, Rottweil (Arae Flaviae?), Rottenburg, Pforzheim, Köngen, Kannstadt und verschiedene Orte in seiner Nähe, die Gegend von Marbach (Murr, Benningen), Böckingen bei Heilbronn, Jarthausen und Olnhausen, Neuenstadt am Kocher, Oehringen. Die Zahl der Orte zwischen dem rechten Donau-Ufer und dem Limes, an denen einzelne römische Monumente erhoben wurden, beläuft sich auf mehrere Hunderte. Es ist sehr bezeichnend für die verhältnißmäßig frühe Zerstörung der römischen Cultur in diesem Landstrich, daß sich fast in keinem einzigen der genannten Orte der römische Namen unzweifelhaft erhalten hat. Der römische Laut mag sich freilich in manchem heutigen Ortsnamen verbergen; von mehreren ist es sogar wahrscheinlich und deutlich genug (z. B. Itzing und das Iciniacum der Peutinger'schen Tafel, verglichen mit Ritzing und Ricciacum in Rheinpreußen); aber gewiß durch ein Denkmal documentirt ist es nur vom einzigen Dörfchen Murr am Flüßchen dieses Namens, wenige Schritte von Schillers Geburtsort: im Stuttgarter Antiquarium befindet sich ein gegenüber dem Einfluß der Murr in den Neckar gefundener Altar mit der Inschrift: Volkano sacrum Vican Murrenses. Kaum betritt man aber über Rhein und Donau die Länder, wo die römische Cultur sich geraume Zeit länger erhielt und der Wechsel zwischen römischer und germanischer Herrschaft kein so plötzlicher war, so begegnet man überall in den Ortsnamen dem germanisirten römischen Laut: Cambes, Kembs, Augusta Rauracorum, Augst, Vindonissa, Windisch, Constantia, Constanz, ad Fines, Pfün, Arbor felix, Arbon, Brigantium, Bregenz, Cassiliacum, Kißlegg, Campodunum, Kempten, Coelius mons, Kalmünz, Abusena, Abensberg etc. Ja, von allen bei Ptolemäus, im Itinerarium Antonini, auf der Peutinger'schen Tafel und auf Monumenten vorkommenden Namen konnte bis jetzt, außer dem genannten Murr, nur ein einziger mit voller Bestimmtheit auf irgend einen Punkt am rechten Rhein- und linken Donau-Ufer bezogen werden, nämlich Aquae Aureliae auf Baden-Baden. In neuerster Zeit ist nun aber der Namen der römischen Hauptstadt am obern Neckar glücklich aufgefunden worden, ein Namen, der von keinem römischen Historiker genannt wird, der aber sehr wahrscheinlich auf der Peutinger'schen Tafel vorkommt. Die Umgegend der Stadt Rottenburg am Neckar zu beiden Ufern des Flusses war längst durch zahlreiche Steindenkmale und Anticaglien und durch ausgedehnte Spuren antiker Bauwerke als der Ort einer ansehnlichen römischen Niederlassung bekannt. Indessen schrieb man ihm früher kaum so große Wichtigkeit zu als manchen andern, namentlich Rottweil und Kannstadt. Durch v. Jaumanns Forschungen ist nun die überwiegende Bedeutung dieser Stadt außer Zweifel gesetzt. Jaumann weist ein ganzes Netz von Römerstraßen nach, die ihren Knoten in Rottenburg haben: sie laufen nach den Richtungen von Rottweil, Horb und Straßburg, Pforzheim und Kannstadt, Köngen am Neckar und Reutlingen auseinander. Er verfolgte auf den Anhöhen rings um die heutige Stadt eine ganze Kette römischer Castelle und Lager; er entblößte auf der Flur, wo die alte Stadt vorzüglich stand (Sülchen), an vielen Punkten die Substructionen zum Theil sehr ausgedehnter Gebäude mit Hypokausten, Mosaikfragmenten, trefflich bemalten Zimmerwänden, Anticaglien der verschiedensten Art. Unter andern wurde das Standbild eines Apis und ein ganzer Töpferofen voll Geschirre zu Tage gefördert. Ja Jaumann glaubt hier sogar die Stelle der Curie der alten Stadt aufgefunden zu haben. Der augenfälligste Beweis für die Bedeutung des Orts ist aber ein der Römer vollkommen würdiges Werk, eine trefflich construirte Wasserleitung, die, obgleich der Ort außer dem Strom natürlichen Ueberfluß an Wasser hat, vorzügliche Quellen von Trinkwasser weither in die Stadt führte. Der Canal des Aquäducts, 1 1/2 Schuh hoch, 1 Schuh breit, ist mit festgefugten Platten des härtesten Ciments ausgelegt, durchgängig flach überwölbt, und ruht auf einer sehr soliden Grundmauer. In dieser Gestalt läuft er, meistens unterirdisch, doch nur wenige Schuhe mit Erde bedeckt, fast drei Stunden lang an den Bergwänden weg in die Stadt. Es ist bis jetzt in Deutschland kein Römerwerk entdeckt worden, das diesem an die Seite gesetzt werden könnte. Was nun aber die Rottenburger Entdeckungen antiquarisch fast einzig in ihrer Art macht, das ist die höchst auffallende Menge von Inschriften auf Topfscherben, und daneben die Die Römerstadt am obern Neckar. (Beschluß.) Die Geschichte der römischen Herrschaft in diesem am frühesten wieder verloren gegangenen Sinus imperii liegt in vielen Beziehungen noch sehr im Dunkeln; aber so viel steht fest, daß vom Ende des ersten Jahrhunderts an bis in die Mitte des dritten im Lande zwischen dem großen römischen Pfahl und der Donau und dem Rhein römische, oder vielmehr römisch gallische Cultur blühte und Alles auf ewigen Besitz angelegt war. Auf den nach und nach erhobenen Monumenten tritt uns das ganze Kriegs-, Municipal- und Religionssystem von den Zeiten Hadrians bis etwa zu denen des Gallienus in seinen charakteristischen Zügen entgegen: der ganze römisch gallische Olymp; außer den allgemeinen officiellen Göttern die Dea Abnoba (Schwarzwald), die Sirona, der Mars Caturix, Mercurius Visucius, ein Deus Taranucnus etc.; darneben zahlreiche Spuren orientalischer Culte, namentlich des Mithrasdienstes; alle militärischen Grade, vom Tribunen bis zum beneficiarius Consulis und dem Soldaten der Hülfscohorte; Duumviri, Triumviri, Decurionen, Seviri Augustales, Negotiatores, Nautae, Peregrini, und in neuester Zeit, ganz unerwartet, die Bezeichnungen Urbs, Colonia, Praeses, Praefectus. Ein nach den vorliegenden Alterthümern sorgfältig entworfenes Bild vom Zustande des Landes, vom Verhältniß der Römer zu den Eingebornen, von der militärischen und bürgerlichen Verfassung, vom Cultus, Ackerbau und Handel enthielte schwerlich Einen charakteristischen Zug, lieferte nur das Resultat, daß Alles so war, wie überall, wo hinter Donau und Rhein theils rein germanische Stämme, theils gemischte Bevölkerungen der römischen Herrschaft gehorchten. Die Zahl der Orte, welche sich durch mehr oder weniger bedeutende Substructionen, durch den Fund charakteristischer Monumente, durch die Fülle von Münzen und Anticaglien unzweifelhaft als Römerorte, als militärische Stationen oder als bürgerliche Niederlassungen zu erkennen geben, ist überraschend groß. Wir nennen nur die bedeutendsten in der Nähe des Rheins und im Stromgebiet des Neckars, deren Monumente uns aus eigener Anschauung bekannt sind: Badenweiler, Baden-Baden (Aquae Aureliae), Schwetzingen, Rottweil (Arae Flaviae?), Rottenburg, Pforzheim, Köngen, Kannstadt und verschiedene Orte in seiner Nähe, die Gegend von Marbach (Murr, Benningen), Böckingen bei Heilbronn, Jarthausen und Olnhausen, Neuenstadt am Kocher, Oehringen. Die Zahl der Orte zwischen dem rechten Donau-Ufer und dem Limes, an denen einzelne römische Monumente erhoben wurden, beläuft sich auf mehrere Hunderte. Es ist sehr bezeichnend für die verhältnißmäßig frühe Zerstörung der römischen Cultur in diesem Landstrich, daß sich fast in keinem einzigen der genannten Orte der römische Namen unzweifelhaft erhalten hat. Der römische Laut mag sich freilich in manchem heutigen Ortsnamen verbergen; von mehreren ist es sogar wahrscheinlich und deutlich genug (z. B. Itzing und das Iciniacum der Peutinger'schen Tafel, verglichen mit Ritzing und Ricciacum in Rheinpreußen); aber gewiß durch ein Denkmal documentirt ist es nur vom einzigen Dörfchen Murr am Flüßchen dieses Namens, wenige Schritte von Schillers Geburtsort: im Stuttgarter Antiquarium befindet sich ein gegenüber dem Einfluß der Murr in den Neckar gefundener Altar mit der Inschrift: Volkano sacrum Vican Murrenses. Kaum betritt man aber über Rhein und Donau die Länder, wo die römische Cultur sich geraume Zeit länger erhielt und der Wechsel zwischen römischer und germanischer Herrschaft kein so plötzlicher war, so begegnet man überall in den Ortsnamen dem germanisirten römischen Laut: Cambes, Kembs, Augusta Rauracorum, Augst, Vindonissa, Windisch, Constantia, Constanz, ad Fines, Pfün, Arbor felix, Arbon, Brigantium, Bregenz, Cassiliacum, Kißlegg, Campodunum, Kempten, Coelius mons, Kalmünz, Abusena, Abensberg etc. Ja, von allen bei Ptolemäus, im Itinerarium Antonini, auf der Peutinger'schen Tafel und auf Monumenten vorkommenden Namen konnte bis jetzt, außer dem genannten Murr, nur ein einziger mit voller Bestimmtheit auf irgend einen Punkt am rechten Rhein- und linken Donau-Ufer bezogen werden, nämlich Aquae Aureliae auf Baden-Baden. In neuerster Zeit ist nun aber der Namen der römischen Hauptstadt am obern Neckar glücklich aufgefunden worden, ein Namen, der von keinem römischen Historiker genannt wird, der aber sehr wahrscheinlich auf der Peutinger'schen Tafel vorkommt. Die Umgegend der Stadt Rottenburg am Neckar zu beiden Ufern des Flusses war längst durch zahlreiche Steindenkmale und Anticaglien und durch ausgedehnte Spuren antiker Bauwerke als der Ort einer ansehnlichen römischen Niederlassung bekannt. Indessen schrieb man ihm früher kaum so große Wichtigkeit zu als manchen andern, namentlich Rottweil und Kannstadt. Durch v. Jaumanns Forschungen ist nun die überwiegende Bedeutung dieser Stadt außer Zweifel gesetzt. Jaumann weist ein ganzes Netz von Römerstraßen nach, die ihren Knoten in Rottenburg haben: sie laufen nach den Richtungen von Rottweil, Horb und Straßburg, Pforzheim und Kannstadt, Köngen am Neckar und Reutlingen auseinander. Er verfolgte auf den Anhöhen rings um die heutige Stadt eine ganze Kette römischer Castelle und Lager; er entblößte auf der Flur, wo die alte Stadt vorzüglich stand (Sülchen), an vielen Punkten die Substructionen zum Theil sehr ausgedehnter Gebäude mit Hypokausten, Mosaikfragmenten, trefflich bemalten Zimmerwänden, Anticaglien der verschiedensten Art. Unter andern wurde das Standbild eines Apis und ein ganzer Töpferofen voll Geschirre zu Tage gefördert. Ja Jaumann glaubt hier sogar die Stelle der Curie der alten Stadt aufgefunden zu haben. Der augenfälligste Beweis für die Bedeutung des Orts ist aber ein der Römer vollkommen würdiges Werk, eine trefflich construirte Wasserleitung, die, obgleich der Ort außer dem Strom natürlichen Ueberfluß an Wasser hat, vorzügliche Quellen von Trinkwasser weither in die Stadt führte. Der Canal des Aquäducts, 1 1/2 Schuh hoch, 1 Schuh breit, ist mit festgefugten Platten des härtesten Ciments ausgelegt, durchgängig flach überwölbt, und ruht auf einer sehr soliden Grundmauer. In dieser Gestalt läuft er, meistens unterirdisch, doch nur wenige Schuhe mit Erde bedeckt, fast drei Stunden lang an den Bergwänden weg in die Stadt. Es ist bis jetzt in Deutschland kein Römerwerk entdeckt worden, das diesem an die Seite gesetzt werden könnte. 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Auf den nach und nach erhobenen Monumenten tritt uns das ganze Kriegs-, Municipal- und Religionssystem von den Zeiten Hadrians bis etwa zu denen des Gallienus in seinen charakteristischen Zügen entgegen: der ganze römisch gallische Olymp; außer den allgemeinen officiellen Göttern die Dea Abnoba (Schwarzwald), die Sirona, der Mars Caturix, Mercurius Visucius, ein Deus Taranucnus etc.; darneben zahlreiche Spuren orientalischer Culte, namentlich des Mithrasdienstes; alle militärischen Grade, vom Tribunen bis zum beneficiarius Consulis und dem Soldaten der Hülfscohorte; Duumviri, Triumviri, Decurionen, Seviri Augustales, Negotiatores, Nautae, Peregrini, und in neuester Zeit, ganz unerwartet, die Bezeichnungen Urbs, Colonia, Praeses, Praefectus.</p><lb/> <p>Ein nach den vorliegenden Alterthümern sorgfältig entworfenes Bild vom Zustande des Landes, vom Verhältniß der Römer zu den Eingebornen, von der militärischen und bürgerlichen Verfassung, vom Cultus, Ackerbau und Handel enthielte schwerlich Einen charakteristischen Zug, lieferte nur das Resultat, daß Alles so war, wie überall, wo hinter Donau und Rhein theils rein germanische Stämme, theils gemischte Bevölkerungen der römischen Herrschaft gehorchten.</p><lb/> <p>Die Zahl der Orte, welche sich durch mehr oder weniger bedeutende Substructionen, durch den Fund charakteristischer Monumente, durch die Fülle von Münzen und Anticaglien unzweifelhaft als Römerorte, als militärische Stationen oder als bürgerliche Niederlassungen zu erkennen geben, ist überraschend groß. 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Die Römerstadt am obern Neckar.
(Beschluß.)
Die Geschichte der römischen Herrschaft in diesem am frühesten wieder verloren gegangenen Sinus imperii liegt in vielen Beziehungen noch sehr im Dunkeln; aber so viel steht fest, daß vom Ende des ersten Jahrhunderts an bis in die Mitte des dritten im Lande zwischen dem großen römischen Pfahl und der Donau und dem Rhein römische, oder vielmehr römisch gallische Cultur blühte und Alles auf ewigen Besitz angelegt war. Auf den nach und nach erhobenen Monumenten tritt uns das ganze Kriegs-, Municipal- und Religionssystem von den Zeiten Hadrians bis etwa zu denen des Gallienus in seinen charakteristischen Zügen entgegen: der ganze römisch gallische Olymp; außer den allgemeinen officiellen Göttern die Dea Abnoba (Schwarzwald), die Sirona, der Mars Caturix, Mercurius Visucius, ein Deus Taranucnus etc.; darneben zahlreiche Spuren orientalischer Culte, namentlich des Mithrasdienstes; alle militärischen Grade, vom Tribunen bis zum beneficiarius Consulis und dem Soldaten der Hülfscohorte; Duumviri, Triumviri, Decurionen, Seviri Augustales, Negotiatores, Nautae, Peregrini, und in neuester Zeit, ganz unerwartet, die Bezeichnungen Urbs, Colonia, Praeses, Praefectus.
Ein nach den vorliegenden Alterthümern sorgfältig entworfenes Bild vom Zustande des Landes, vom Verhältniß der Römer zu den Eingebornen, von der militärischen und bürgerlichen Verfassung, vom Cultus, Ackerbau und Handel enthielte schwerlich Einen charakteristischen Zug, lieferte nur das Resultat, daß Alles so war, wie überall, wo hinter Donau und Rhein theils rein germanische Stämme, theils gemischte Bevölkerungen der römischen Herrschaft gehorchten.
Die Zahl der Orte, welche sich durch mehr oder weniger bedeutende Substructionen, durch den Fund charakteristischer Monumente, durch die Fülle von Münzen und Anticaglien unzweifelhaft als Römerorte, als militärische Stationen oder als bürgerliche Niederlassungen zu erkennen geben, ist überraschend groß. Wir nennen nur die bedeutendsten in der Nähe des Rheins und im Stromgebiet des Neckars, deren Monumente uns aus eigener Anschauung bekannt sind: Badenweiler, Baden-Baden (Aquae Aureliae), Schwetzingen, Rottweil (Arae Flaviae?), Rottenburg, Pforzheim, Köngen, Kannstadt und verschiedene Orte in seiner Nähe, die Gegend von Marbach (Murr, Benningen), Böckingen bei Heilbronn, Jarthausen und Olnhausen, Neuenstadt am Kocher, Oehringen.
Die Zahl der Orte zwischen dem rechten Donau-Ufer und dem Limes, an denen einzelne römische Monumente erhoben wurden, beläuft sich auf mehrere Hunderte.
Es ist sehr bezeichnend für die verhältnißmäßig frühe Zerstörung der römischen Cultur in diesem Landstrich, daß sich fast in keinem einzigen der genannten Orte der römische Namen unzweifelhaft erhalten hat. Der römische Laut mag sich freilich in manchem heutigen Ortsnamen verbergen; von mehreren ist es sogar wahrscheinlich und deutlich genug (z. B. Itzing und das Iciniacum der Peutinger'schen Tafel, verglichen mit Ritzing und Ricciacum in Rheinpreußen); aber gewiß durch ein Denkmal documentirt ist es nur vom einzigen Dörfchen Murr am Flüßchen dieses Namens, wenige Schritte von Schillers Geburtsort: im Stuttgarter Antiquarium befindet sich ein gegenüber dem Einfluß der Murr in den Neckar gefundener Altar mit der Inschrift: Volkano sacrum Vican Murrenses. Kaum betritt man aber über Rhein und Donau die Länder, wo die römische Cultur sich geraume Zeit länger erhielt und der Wechsel zwischen römischer und germanischer Herrschaft kein so plötzlicher war, so begegnet man überall in den Ortsnamen dem germanisirten römischen Laut: Cambes, Kembs, Augusta Rauracorum, Augst, Vindonissa, Windisch, Constantia, Constanz, ad Fines, Pfün, Arbor felix, Arbon, Brigantium, Bregenz, Cassiliacum, Kißlegg, Campodunum, Kempten, Coelius mons, Kalmünz, Abusena, Abensberg etc. Ja, von allen bei Ptolemäus, im Itinerarium Antonini, auf der Peutinger'schen Tafel und auf Monumenten vorkommenden Namen konnte bis jetzt, außer dem genannten Murr, nur ein einziger mit voller Bestimmtheit auf irgend einen Punkt am rechten Rhein- und linken Donau-Ufer bezogen werden, nämlich Aquae Aureliae auf Baden-Baden. In neuerster Zeit ist nun aber der Namen der römischen Hauptstadt am obern Neckar glücklich aufgefunden worden, ein Namen, der von keinem römischen Historiker genannt wird, der aber sehr wahrscheinlich auf der Peutinger'schen Tafel vorkommt.
Die Umgegend der Stadt Rottenburg am Neckar zu beiden Ufern des Flusses war längst durch zahlreiche Steindenkmale und Anticaglien und durch ausgedehnte Spuren antiker Bauwerke als der Ort einer ansehnlichen römischen Niederlassung bekannt. Indessen schrieb man ihm früher kaum so große Wichtigkeit zu als manchen andern, namentlich Rottweil und Kannstadt. Durch v. Jaumanns Forschungen ist nun die überwiegende Bedeutung dieser Stadt außer Zweifel gesetzt.
Jaumann weist ein ganzes Netz von Römerstraßen nach, die ihren Knoten in Rottenburg haben: sie laufen nach den Richtungen von Rottweil, Horb und Straßburg, Pforzheim und Kannstadt, Köngen am Neckar und Reutlingen auseinander. Er verfolgte auf den Anhöhen rings um die heutige Stadt eine ganze Kette römischer Castelle und Lager; er entblößte auf der Flur, wo die alte Stadt vorzüglich stand (Sülchen), an vielen Punkten die Substructionen zum Theil sehr ausgedehnter Gebäude mit Hypokausten, Mosaikfragmenten, trefflich bemalten Zimmerwänden, Anticaglien der verschiedensten Art. Unter andern wurde das Standbild eines Apis und ein ganzer Töpferofen voll Geschirre zu Tage gefördert. Ja Jaumann glaubt hier sogar die Stelle der Curie der alten Stadt aufgefunden zu haben.
Der augenfälligste Beweis für die Bedeutung des Orts ist aber ein der Römer vollkommen würdiges Werk, eine trefflich construirte Wasserleitung, die, obgleich der Ort außer dem Strom natürlichen Ueberfluß an Wasser hat, vorzügliche Quellen von Trinkwasser weither in die Stadt führte. Der Canal des Aquäducts, 1 1/2 Schuh hoch, 1 Schuh breit, ist mit festgefugten Platten des härtesten Ciments ausgelegt, durchgängig flach überwölbt, und ruht auf einer sehr soliden Grundmauer. In dieser Gestalt läuft er, meistens unterirdisch, doch nur wenige Schuhe mit Erde bedeckt, fast drei Stunden lang an den Bergwänden weg in die Stadt. Es ist bis jetzt in Deutschland kein Römerwerk entdeckt worden, das diesem an die Seite gesetzt werden könnte.
Was nun aber die Rottenburger Entdeckungen antiquarisch fast einzig in ihrer Art macht, das ist die höchst auffallende Menge von Inschriften auf Topfscherben, und daneben die
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