Allgemeine Zeitung. Nr. 142. Augsburg, 21. Mai 1840.Ebenen mit einer Reihe befestigter Punkte zu umgeben, sey allerdings verwerflich. Denn wären die befestigten Punkte auch nur hundert Toisen von einander entfernt, und verwendete man auch 100,000 Mann zu ihrer Bewachung, die Araber würden dennoch durchdringen. Dagegen halte es die Regierung für das Zweckmäßigste, die wichtigsten strategischen und commerciellen Punkte des Landes einzunehmen und dorthin eine starke Macht zu werfen, welche nach allen Richtungen ausrücken könne, um Freunden beizustehen oder über Feinde herzufallen. Den Frieden an der Tafna beklagt Hr. Thiers nicht. Allerdings verdanke Abd-El-Kader diesem Frieden seine dermalige bedeutende Macht. Er habe denselben benützt, alle Stämme zu unterwerfen, habe das Land zu seinem Vortheil organisirt überall die ihm ergebensten Häuptlinge eingesetzt, und an Waffen und Munition große Vorräthe aufgehäuft. Dagegen sey der Tractat an der Tafna und seine Folgen für die Franzosen auch eine Lehre gewesen, welche nicht verloren gehen könne. Damit seyen doch wenigstens jene Männer zum Schweigen gebracht, welche immer wiederholten, man könne gegen die Araber mit Flinten und Kanonen nichts ausrichten, sondern müsse ihnen "die Gerechtigkeit und die Wohlthaten der Civilisation" bringen. Damit - wähnten jene, welche den Charakter der Araber nicht kennten - werde man bei ihnen gute Aufnahme finden. Diese Illusion sey nun durch die Vorgänge seit dem Frieden an der Tafna verschwunden. Hätte man diesen Frieden nicht geschlossen, sondern den Krieg thätig fortgesetzt, so wäre Abd-El-Kaders Macht vielleicht jetzt gebrochen. Aber nicht der General Bugeaud, noch die Regierung sey an dem Vertrag Schuld gewesen, sondern man habe der Meinung nachgeben müssen, die behauptete, die Regierung wolle einen endlosen Krieg. (Zahlreiche Stimmen: Nein! Nein!) Die Folgen des Vertrags an der Tafna seyen die siegreichste Widerlegung des Systems der beschränkten Occupation. Lächerlich sey es zu glauben, man werde ein Volk, welches einen andern Glauben, andere Sitten und Interessen habe, gleich mit dem bloßen Wort: "wir wollen dich civilisiren", für sich gewinnen. Um dieses Wort "Civilisiren" zu verstehen, müßten diese Völker doch wohl schon ziemlich civilisirt seyn, und dann wäre es gar nicht nöthig, in solcher Absicht zu ihnen zu gehen. (Beifall.) Was die Colonisation anbetrifft, so meint Hr. Thiers, die Ansiedler brauchten eben keine großen Vorschüsse an Ländereien, Geld und Ackerwerkzeugen, sondern sie würden schon von selbst kommen, sobald man ihnen nur vollkommene Sicherheit bieten könne. Erste Nothwendigkeit sey daher ein glücklicher Krieg. Dann erst habe man an die Colonisation zu denken, die allerdings auch eine Nothwendigkeit sey. Diese Colonisation müsse erst von den Küstenpunkten ausgehen, da wo man keinen Zusammenstoß zwischen den neuen Ansiedlern und den Eingebornen zu befürchten habe. Dann müsse man allmählich ins Innere vorrücken, wo man sich unter den an die Europäer allmählich gewöhnten Einwohnern niederlassen und bis an die Gränze der Wüste vorrücken könne, wo die Araber als verbündete Nachbarn wohnten. Ueber das System der Colonisation, ob befestigte Dörfer anzulegen seyen oder in welch' sonstiger Form die ersten Ansiedlungen im Großen geschehen müßten, darüber habe die Regierung noch keinen bestimmten Entschluß gefaßt. Die Untersuchung dieses Gegenstandes sey vorerst den Officieren des Genie übertragen. Hr. Thiers schloß seine Rede mit folgenden Worten: "Ich achte die Commission und ihre Absichten, fürchte aber, daß sie gegen ihren Willen beigetragen habe, die moralische Stärke, deren wir in Afrika nöthig haben, zu schwächen. Alles, was hier gesprochen wird, findet dort Widerhall. Ich könnte Ihnen hievon Beweise geben, die Sie in Erstaunen setzen würden. Ich bitte Sie daher, das Amendement der Commission, dessen Folge die Schwächung des Nationalwillens in Afrika seyn würde, zu verwerfen." Hr. Piscatory: "Ich verlange das Wort. (Tumult. Nein! Nein! zur Abstimmung!) Ich staune, daß man die Discussion ersticken zu wollen scheint. Ich fühle das Bedürfniß, gegen diese verderbliche afrikanische Tollheit, die uns schon so viel Geld und Menschen gekostet hat, zu protestiren! Aus der Rede des Ministerpräsidenten geht hervor, daß wir künftiges Jahr 100,000 Mann in Afrika haben werden. Wenn man nun gegen den Antrag der Commission votirt, so bleibt den Opponenten nichts übrig, als zu schweigen und ihren letzten Thaler, wie ihr letztes Kind hinzugeben. (Lärmen.) Afrika ist für uns eine Schwächung im Innern, eine Schwächung in den Augen Europa's. Es ist eine Kugel, die wir schleppen. (Murren. Einige Stimmen: es ist wahr!) Afrika ist ein Felsen mit ein bißchen Wasser und Erde. Man will uns mit den Römern vergleichen; aber die Römer hatten in Afrika nicht dieselben Hindernisse zu besiegen, sie waren Herren aller Gestade des Mittelmeers, kein religiöser Fanatismus stand ihnen entgegen, endlich waren sie Römer. Und doch brauchten sie ein Jahrhundert, um Herren des Landes zu werden. Nie werden wir in Afrika Ersatz finden; es hemmt vielmehr den Gang unserer Diplomatie. Wenn Krieg ausbräche, wären wir genöthigt, unsere Armee von dort mit großen Kosten zurückzurufen. Auf diesen heftigen Ausfall kehrte der unermüdliche Thiers, der allein mehr spricht, als das ganze übrige Cabinet zusammen genommen, wieder auf die Rednerbühne zurück. "Die Rede des Hrn. Piscatory legt mir die Verpflichtung auf, hiermit eine feierliche Erklärung zu machen, damit man auswärts erfahre, daß die Meinung einiger Personen nicht die der Regierung und des Landes sey. (Beifall.) Ja es ist eine moralische und politische Nothwendigkeit für uns, Algier zu behalten. Kein Ministerium, von welcher Partei es auch sey, wird sich zu einem völligen Aufgeben Algiers entschließen. Afrika braucht einen Gouverneur, der nicht bloß Soldat seyn darf - Soldaten haben wir in Afrika vom ersten Rang - es braucht einen Gouverneur, der zugleich Militär, Administrator und Politiker ist. Es wird schwer seyn, diese drei Eigenschaften vereinigt zu finden, mit welcher Bemerkung ich übrigens Niemand zu nahe treten will. Jede Colonie erzeugt früher oder später ihren Mann; auch die unsrige wird den ihrigen finden, dann wird sie gedeihen. Freilich bedarf es dazu, wir dürfen es uns nicht verhehlen, noch Eroberungen. Man fragt: ist die Eroberung der Mühe werth. Ich werde darauf nicht antworten: wir sind einmal in Afrika. Ich sage vielmehr, die Vorsehung hat uns dahin geführt, nicht ein elender Fächerschlag. Hat man denn vergessen, daß die afrikanische Küste der Piraterie eine furchtbare Freistätte bot? War es nicht Frankreichs Pflicht, die Meere von diesen Piraten zu säubern? Hätten wir die Piraterie nicht zerstört, eine andere Nation würde es statt unser gethan haben, und dann hätten Sie, die Sie schon so mißtrauisch, so empfindlich sind, weil England in seinem Handelsinteresse an einer fernen Küste, an der Küste des rothen Meers Aden genommen, wo es von der Bevölkerung sehr schlecht aufgenommen ist, Sie, die Sie auf dieser Tribune Reden gegen den Ehrgeiz Englands halten, Sie hätten, wenn England sich an den Küsten Afrika's nieder gelassen, einen solchen Anblick nicht ertragen können. Ich sage also, es war eine Nothwendigkeit, das Mittelmeer zu säubern. Frankreich und Spanien waren von der Natur zur Erfüllung dieser Aufgabe berufen. Spanien hinderte sein Unglück, diesen Ebenen mit einer Reihe befestigter Punkte zu umgeben, sey allerdings verwerflich. Denn wären die befestigten Punkte auch nur hundert Toisen von einander entfernt, und verwendete man auch 100,000 Mann zu ihrer Bewachung, die Araber würden dennoch durchdringen. Dagegen halte es die Regierung für das Zweckmäßigste, die wichtigsten strategischen und commerciellen Punkte des Landes einzunehmen und dorthin eine starke Macht zu werfen, welche nach allen Richtungen ausrücken könne, um Freunden beizustehen oder über Feinde herzufallen. Den Frieden an der Tafna beklagt Hr. Thiers nicht. Allerdings verdanke Abd-El-Kader diesem Frieden seine dermalige bedeutende Macht. Er habe denselben benützt, alle Stämme zu unterwerfen, habe das Land zu seinem Vortheil organisirt überall die ihm ergebensten Häuptlinge eingesetzt, und an Waffen und Munition große Vorräthe aufgehäuft. Dagegen sey der Tractat an der Tafna und seine Folgen für die Franzosen auch eine Lehre gewesen, welche nicht verloren gehen könne. Damit seyen doch wenigstens jene Männer zum Schweigen gebracht, welche immer wiederholten, man könne gegen die Araber mit Flinten und Kanonen nichts ausrichten, sondern müsse ihnen „die Gerechtigkeit und die Wohlthaten der Civilisation“ bringen. Damit – wähnten jene, welche den Charakter der Araber nicht kennten – werde man bei ihnen gute Aufnahme finden. Diese Illusion sey nun durch die Vorgänge seit dem Frieden an der Tafna verschwunden. Hätte man diesen Frieden nicht geschlossen, sondern den Krieg thätig fortgesetzt, so wäre Abd-El-Kaders Macht vielleicht jetzt gebrochen. Aber nicht der General Bugeaud, noch die Regierung sey an dem Vertrag Schuld gewesen, sondern man habe der Meinung nachgeben müssen, die behauptete, die Regierung wolle einen endlosen Krieg. (Zahlreiche Stimmen: Nein! Nein!) Die Folgen des Vertrags an der Tafna seyen die siegreichste Widerlegung des Systems der beschränkten Occupation. Lächerlich sey es zu glauben, man werde ein Volk, welches einen andern Glauben, andere Sitten und Interessen habe, gleich mit dem bloßen Wort: „wir wollen dich civilisiren“, für sich gewinnen. Um dieses Wort „Civilisiren“ zu verstehen, müßten diese Völker doch wohl schon ziemlich civilisirt seyn, und dann wäre es gar nicht nöthig, in solcher Absicht zu ihnen zu gehen. (Beifall.) Was die Colonisation anbetrifft, so meint Hr. Thiers, die Ansiedler brauchten eben keine großen Vorschüsse an Ländereien, Geld und Ackerwerkzeugen, sondern sie würden schon von selbst kommen, sobald man ihnen nur vollkommene Sicherheit bieten könne. Erste Nothwendigkeit sey daher ein glücklicher Krieg. Dann erst habe man an die Colonisation zu denken, die allerdings auch eine Nothwendigkeit sey. Diese Colonisation müsse erst von den Küstenpunkten ausgehen, da wo man keinen Zusammenstoß zwischen den neuen Ansiedlern und den Eingebornen zu befürchten habe. Dann müsse man allmählich ins Innere vorrücken, wo man sich unter den an die Europäer allmählich gewöhnten Einwohnern niederlassen und bis an die Gränze der Wüste vorrücken könne, wo die Araber als verbündete Nachbarn wohnten. Ueber das System der Colonisation, ob befestigte Dörfer anzulegen seyen oder in welch' sonstiger Form die ersten Ansiedlungen im Großen geschehen müßten, darüber habe die Regierung noch keinen bestimmten Entschluß gefaßt. Die Untersuchung dieses Gegenstandes sey vorerst den Officieren des Genie übertragen. Hr. Thiers schloß seine Rede mit folgenden Worten: „Ich achte die Commission und ihre Absichten, fürchte aber, daß sie gegen ihren Willen beigetragen habe, die moralische Stärke, deren wir in Afrika nöthig haben, zu schwächen. Alles, was hier gesprochen wird, findet dort Widerhall. Ich könnte Ihnen hievon Beweise geben, die Sie in Erstaunen setzen würden. Ich bitte Sie daher, das Amendement der Commission, dessen Folge die Schwächung des Nationalwillens in Afrika seyn würde, zu verwerfen.“ Hr. Piscatory: „Ich verlange das Wort. (Tumult. Nein! Nein! zur Abstimmung!) Ich staune, daß man die Discussion ersticken zu wollen scheint. Ich fühle das Bedürfniß, gegen diese verderbliche afrikanische Tollheit, die uns schon so viel Geld und Menschen gekostet hat, zu protestiren! Aus der Rede des Ministerpräsidenten geht hervor, daß wir künftiges Jahr 100,000 Mann in Afrika haben werden. Wenn man nun gegen den Antrag der Commission votirt, so bleibt den Opponenten nichts übrig, als zu schweigen und ihren letzten Thaler, wie ihr letztes Kind hinzugeben. (Lärmen.) Afrika ist für uns eine Schwächung im Innern, eine Schwächung in den Augen Europa's. Es ist eine Kugel, die wir schleppen. (Murren. Einige Stimmen: es ist wahr!) Afrika ist ein Felsen mit ein bißchen Wasser und Erde. Man will uns mit den Römern vergleichen; aber die Römer hatten in Afrika nicht dieselben Hindernisse zu besiegen, sie waren Herren aller Gestade des Mittelmeers, kein religiöser Fanatismus stand ihnen entgegen, endlich waren sie Römer. Und doch brauchten sie ein Jahrhundert, um Herren des Landes zu werden. Nie werden wir in Afrika Ersatz finden; es hemmt vielmehr den Gang unserer Diplomatie. Wenn Krieg ausbräche, wären wir genöthigt, unsere Armee von dort mit großen Kosten zurückzurufen. Auf diesen heftigen Ausfall kehrte der unermüdliche Thiers, der allein mehr spricht, als das ganze übrige Cabinet zusammen genommen, wieder auf die Rednerbühne zurück. „Die Rede des Hrn. Piscatory legt mir die Verpflichtung auf, hiermit eine feierliche Erklärung zu machen, damit man auswärts erfahre, daß die Meinung einiger Personen nicht die der Regierung und des Landes sey. (Beifall.) Ja es ist eine moralische und politische Nothwendigkeit für uns, Algier zu behalten. Kein Ministerium, von welcher Partei es auch sey, wird sich zu einem völligen Aufgeben Algiers entschließen. Afrika braucht einen Gouverneur, der nicht bloß Soldat seyn darf – Soldaten haben wir in Afrika vom ersten Rang – es braucht einen Gouverneur, der zugleich Militär, Administrator und Politiker ist. Es wird schwer seyn, diese drei Eigenschaften vereinigt zu finden, mit welcher Bemerkung ich übrigens Niemand zu nahe treten will. Jede Colonie erzeugt früher oder später ihren Mann; auch die unsrige wird den ihrigen finden, dann wird sie gedeihen. Freilich bedarf es dazu, wir dürfen es uns nicht verhehlen, noch Eroberungen. Man fragt: ist die Eroberung der Mühe werth. Ich werde darauf nicht antworten: wir sind einmal in Afrika. Ich sage vielmehr, die Vorsehung hat uns dahin geführt, nicht ein elender Fächerschlag. Hat man denn vergessen, daß die afrikanische Küste der Piraterie eine furchtbare Freistätte bot? War es nicht Frankreichs Pflicht, die Meere von diesen Piraten zu säubern? Hätten wir die Piraterie nicht zerstört, eine andere Nation würde es statt unser gethan haben, und dann hätten Sie, die Sie schon so mißtrauisch, so empfindlich sind, weil England in seinem Handelsinteresse an einer fernen Küste, an der Küste des rothen Meers Aden genommen, wo es von der Bevölkerung sehr schlecht aufgenommen ist, Sie, die Sie auf dieser Tribune Reden gegen den Ehrgeiz Englands halten, Sie hätten, wenn England sich an den Küsten Afrika's nieder gelassen, einen solchen Anblick nicht ertragen können. Ich sage also, es war eine Nothwendigkeit, das Mittelmeer zu säubern. Frankreich und Spanien waren von der Natur zur Erfüllung dieser Aufgabe berufen. Spanien hinderte sein Unglück, diesen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0004" n="1132"/> Ebenen mit einer Reihe befestigter Punkte zu umgeben, sey allerdings verwerflich. Denn wären die befestigten Punkte auch nur hundert Toisen von einander entfernt, und verwendete man auch 100,000 Mann zu ihrer Bewachung, die Araber würden dennoch durchdringen. Dagegen halte es die Regierung für das Zweckmäßigste, die wichtigsten strategischen und commerciellen Punkte des Landes einzunehmen und dorthin eine starke Macht zu werfen, welche nach allen Richtungen ausrücken könne, um Freunden beizustehen oder über Feinde herzufallen. Den Frieden an der Tafna beklagt Hr. Thiers nicht. Allerdings verdanke Abd-El-Kader diesem Frieden seine dermalige bedeutende Macht. Er habe denselben benützt, alle Stämme zu unterwerfen, habe das Land zu seinem Vortheil organisirt überall die ihm ergebensten Häuptlinge eingesetzt, und an Waffen und Munition große Vorräthe aufgehäuft. Dagegen sey der Tractat an der Tafna und seine Folgen für die Franzosen auch eine Lehre gewesen, welche nicht verloren gehen könne. Damit seyen doch wenigstens jene Männer zum Schweigen gebracht, welche immer wiederholten, man könne gegen die Araber mit Flinten und Kanonen nichts ausrichten, sondern müsse ihnen „die Gerechtigkeit und die Wohlthaten der Civilisation“ bringen. Damit – wähnten jene, welche den Charakter der Araber nicht kennten – werde man bei ihnen gute Aufnahme finden. Diese Illusion sey nun durch die Vorgänge seit dem Frieden an der Tafna verschwunden. Hätte man diesen Frieden nicht geschlossen, sondern den Krieg thätig fortgesetzt, so wäre Abd-El-Kaders Macht vielleicht jetzt gebrochen. Aber nicht der General Bugeaud, noch die Regierung sey an dem Vertrag Schuld gewesen, sondern man habe der Meinung nachgeben müssen, die behauptete, die Regierung wolle einen endlosen Krieg. (Zahlreiche Stimmen: Nein! Nein!) Die Folgen des Vertrags an der Tafna seyen die siegreichste Widerlegung des Systems der beschränkten Occupation. Lächerlich sey es zu glauben, man werde ein Volk, welches einen andern Glauben, andere Sitten und Interessen habe, gleich mit dem bloßen Wort: „wir wollen dich civilisiren“, für sich gewinnen. Um dieses Wort „Civilisiren“ zu verstehen, müßten diese Völker doch wohl schon ziemlich civilisirt seyn, und dann wäre es gar nicht nöthig, in solcher Absicht zu ihnen zu gehen. (Beifall.) Was die Colonisation anbetrifft, so meint Hr. Thiers, die Ansiedler brauchten eben keine großen Vorschüsse an Ländereien, Geld und Ackerwerkzeugen, sondern sie würden schon von selbst kommen, sobald man ihnen nur vollkommene Sicherheit bieten könne. Erste Nothwendigkeit sey daher ein glücklicher Krieg. Dann erst habe man an die Colonisation zu denken, die allerdings auch eine Nothwendigkeit sey. Diese Colonisation müsse erst von den Küstenpunkten ausgehen, da wo man keinen Zusammenstoß zwischen den neuen Ansiedlern und den Eingebornen zu befürchten habe. Dann müsse man allmählich ins Innere vorrücken, wo man sich unter den an die Europäer allmählich gewöhnten Einwohnern niederlassen und bis an die Gränze der Wüste vorrücken könne, wo die Araber als verbündete Nachbarn wohnten. Ueber das System der Colonisation, ob befestigte Dörfer anzulegen seyen oder in welch' sonstiger Form die ersten Ansiedlungen im Großen geschehen müßten, darüber habe die Regierung noch keinen bestimmten Entschluß gefaßt. Die Untersuchung dieses Gegenstandes sey vorerst den Officieren des Genie übertragen. Hr. Thiers schloß seine Rede mit folgenden Worten: „Ich achte die Commission und ihre Absichten, fürchte aber, daß sie gegen ihren Willen beigetragen habe, die moralische Stärke, deren wir in Afrika nöthig haben, zu schwächen. Alles, was hier gesprochen wird, findet dort Widerhall. Ich könnte Ihnen hievon Beweise geben, die Sie in Erstaunen setzen würden. Ich bitte Sie daher, das Amendement der Commission, dessen Folge die Schwächung des Nationalwillens in Afrika seyn würde, zu verwerfen.“</p><lb/> <p>Hr. <hi rendition="#g">Piscatory</hi>: „Ich verlange das Wort. (Tumult. Nein! Nein! zur Abstimmung!) Ich staune, daß man die Discussion ersticken zu wollen scheint. Ich fühle das Bedürfniß, gegen diese verderbliche afrikanische Tollheit, die uns schon so viel Geld und Menschen gekostet hat, zu protestiren! Aus der Rede des Ministerpräsidenten geht hervor, daß wir künftiges Jahr 100,000 Mann in Afrika haben werden. Wenn man nun gegen den Antrag der Commission votirt, so bleibt den Opponenten nichts übrig, als zu schweigen und ihren letzten Thaler, wie ihr letztes Kind hinzugeben. (Lärmen.) Afrika ist für uns eine Schwächung im Innern, eine Schwächung in den Augen Europa's. Es ist eine Kugel, die wir schleppen. (Murren. Einige Stimmen: es ist wahr!) Afrika ist ein Felsen mit ein bißchen Wasser und Erde. Man will uns mit den Römern vergleichen; aber die Römer hatten in Afrika nicht dieselben Hindernisse zu besiegen, sie waren Herren aller Gestade des Mittelmeers, kein religiöser Fanatismus stand ihnen entgegen, endlich waren sie <hi rendition="#g">Römer</hi>. Und doch brauchten sie ein Jahrhundert, um Herren des Landes zu werden. Nie werden wir in Afrika Ersatz finden; es hemmt vielmehr den Gang unserer Diplomatie. Wenn Krieg ausbräche, wären wir genöthigt, unsere Armee von dort mit großen Kosten zurückzurufen.</p><lb/> <p>Auf diesen heftigen Ausfall kehrte der unermüdliche <hi rendition="#g">Thiers</hi>, der allein mehr spricht, als das ganze übrige Cabinet zusammen genommen, wieder auf die Rednerbühne zurück. „Die Rede des Hrn. Piscatory legt mir die Verpflichtung auf, hiermit eine feierliche Erklärung zu machen, damit man auswärts erfahre, daß die Meinung einiger Personen nicht die der Regierung und des Landes sey. (Beifall.) Ja es ist eine moralische und politische Nothwendigkeit für uns, Algier zu behalten. Kein Ministerium, von welcher Partei es auch sey, wird sich zu einem völligen Aufgeben Algiers entschließen. Afrika braucht einen Gouverneur, der nicht bloß Soldat seyn darf – Soldaten haben wir in Afrika vom ersten Rang – es braucht einen Gouverneur, der zugleich Militär, Administrator und Politiker ist. Es wird schwer seyn, diese drei Eigenschaften vereinigt zu finden, mit welcher Bemerkung ich übrigens Niemand zu nahe treten will. Jede Colonie erzeugt früher oder später ihren Mann; auch die unsrige wird den ihrigen finden, dann wird sie gedeihen. Freilich bedarf es dazu, wir dürfen es uns nicht verhehlen, noch Eroberungen. Man fragt: ist die Eroberung der Mühe werth. Ich werde darauf nicht antworten: wir sind einmal in Afrika. Ich sage vielmehr, die Vorsehung hat uns dahin geführt, nicht ein elender Fächerschlag. Hat man denn vergessen, daß die afrikanische Küste der Piraterie eine furchtbare Freistätte bot? War es nicht Frankreichs Pflicht, die Meere von diesen Piraten zu säubern? Hätten wir die Piraterie nicht zerstört, eine andere Nation würde es statt unser gethan haben, und dann hätten Sie, die Sie schon so mißtrauisch, so empfindlich sind, weil England in seinem Handelsinteresse an einer fernen Küste, an der Küste des rothen Meers Aden genommen, wo es von der Bevölkerung sehr schlecht aufgenommen ist, Sie, die Sie auf dieser Tribune Reden gegen den Ehrgeiz Englands halten, Sie hätten, wenn England sich an den Küsten Afrika's nieder gelassen, einen solchen Anblick nicht ertragen können. Ich sage also, es war eine Nothwendigkeit, das Mittelmeer zu säubern. Frankreich und Spanien waren von der Natur zur Erfüllung dieser Aufgabe berufen. Spanien hinderte sein Unglück, diesen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1132/0004]
Ebenen mit einer Reihe befestigter Punkte zu umgeben, sey allerdings verwerflich. Denn wären die befestigten Punkte auch nur hundert Toisen von einander entfernt, und verwendete man auch 100,000 Mann zu ihrer Bewachung, die Araber würden dennoch durchdringen. Dagegen halte es die Regierung für das Zweckmäßigste, die wichtigsten strategischen und commerciellen Punkte des Landes einzunehmen und dorthin eine starke Macht zu werfen, welche nach allen Richtungen ausrücken könne, um Freunden beizustehen oder über Feinde herzufallen. Den Frieden an der Tafna beklagt Hr. Thiers nicht. Allerdings verdanke Abd-El-Kader diesem Frieden seine dermalige bedeutende Macht. Er habe denselben benützt, alle Stämme zu unterwerfen, habe das Land zu seinem Vortheil organisirt überall die ihm ergebensten Häuptlinge eingesetzt, und an Waffen und Munition große Vorräthe aufgehäuft. Dagegen sey der Tractat an der Tafna und seine Folgen für die Franzosen auch eine Lehre gewesen, welche nicht verloren gehen könne. Damit seyen doch wenigstens jene Männer zum Schweigen gebracht, welche immer wiederholten, man könne gegen die Araber mit Flinten und Kanonen nichts ausrichten, sondern müsse ihnen „die Gerechtigkeit und die Wohlthaten der Civilisation“ bringen. Damit – wähnten jene, welche den Charakter der Araber nicht kennten – werde man bei ihnen gute Aufnahme finden. Diese Illusion sey nun durch die Vorgänge seit dem Frieden an der Tafna verschwunden. Hätte man diesen Frieden nicht geschlossen, sondern den Krieg thätig fortgesetzt, so wäre Abd-El-Kaders Macht vielleicht jetzt gebrochen. Aber nicht der General Bugeaud, noch die Regierung sey an dem Vertrag Schuld gewesen, sondern man habe der Meinung nachgeben müssen, die behauptete, die Regierung wolle einen endlosen Krieg. (Zahlreiche Stimmen: Nein! Nein!) Die Folgen des Vertrags an der Tafna seyen die siegreichste Widerlegung des Systems der beschränkten Occupation. Lächerlich sey es zu glauben, man werde ein Volk, welches einen andern Glauben, andere Sitten und Interessen habe, gleich mit dem bloßen Wort: „wir wollen dich civilisiren“, für sich gewinnen. Um dieses Wort „Civilisiren“ zu verstehen, müßten diese Völker doch wohl schon ziemlich civilisirt seyn, und dann wäre es gar nicht nöthig, in solcher Absicht zu ihnen zu gehen. (Beifall.) Was die Colonisation anbetrifft, so meint Hr. Thiers, die Ansiedler brauchten eben keine großen Vorschüsse an Ländereien, Geld und Ackerwerkzeugen, sondern sie würden schon von selbst kommen, sobald man ihnen nur vollkommene Sicherheit bieten könne. Erste Nothwendigkeit sey daher ein glücklicher Krieg. Dann erst habe man an die Colonisation zu denken, die allerdings auch eine Nothwendigkeit sey. Diese Colonisation müsse erst von den Küstenpunkten ausgehen, da wo man keinen Zusammenstoß zwischen den neuen Ansiedlern und den Eingebornen zu befürchten habe. Dann müsse man allmählich ins Innere vorrücken, wo man sich unter den an die Europäer allmählich gewöhnten Einwohnern niederlassen und bis an die Gränze der Wüste vorrücken könne, wo die Araber als verbündete Nachbarn wohnten. Ueber das System der Colonisation, ob befestigte Dörfer anzulegen seyen oder in welch' sonstiger Form die ersten Ansiedlungen im Großen geschehen müßten, darüber habe die Regierung noch keinen bestimmten Entschluß gefaßt. Die Untersuchung dieses Gegenstandes sey vorerst den Officieren des Genie übertragen. Hr. Thiers schloß seine Rede mit folgenden Worten: „Ich achte die Commission und ihre Absichten, fürchte aber, daß sie gegen ihren Willen beigetragen habe, die moralische Stärke, deren wir in Afrika nöthig haben, zu schwächen. Alles, was hier gesprochen wird, findet dort Widerhall. Ich könnte Ihnen hievon Beweise geben, die Sie in Erstaunen setzen würden. Ich bitte Sie daher, das Amendement der Commission, dessen Folge die Schwächung des Nationalwillens in Afrika seyn würde, zu verwerfen.“
Hr. Piscatory: „Ich verlange das Wort. (Tumult. Nein! Nein! zur Abstimmung!) Ich staune, daß man die Discussion ersticken zu wollen scheint. Ich fühle das Bedürfniß, gegen diese verderbliche afrikanische Tollheit, die uns schon so viel Geld und Menschen gekostet hat, zu protestiren! Aus der Rede des Ministerpräsidenten geht hervor, daß wir künftiges Jahr 100,000 Mann in Afrika haben werden. Wenn man nun gegen den Antrag der Commission votirt, so bleibt den Opponenten nichts übrig, als zu schweigen und ihren letzten Thaler, wie ihr letztes Kind hinzugeben. (Lärmen.) Afrika ist für uns eine Schwächung im Innern, eine Schwächung in den Augen Europa's. Es ist eine Kugel, die wir schleppen. (Murren. Einige Stimmen: es ist wahr!) Afrika ist ein Felsen mit ein bißchen Wasser und Erde. Man will uns mit den Römern vergleichen; aber die Römer hatten in Afrika nicht dieselben Hindernisse zu besiegen, sie waren Herren aller Gestade des Mittelmeers, kein religiöser Fanatismus stand ihnen entgegen, endlich waren sie Römer. Und doch brauchten sie ein Jahrhundert, um Herren des Landes zu werden. Nie werden wir in Afrika Ersatz finden; es hemmt vielmehr den Gang unserer Diplomatie. Wenn Krieg ausbräche, wären wir genöthigt, unsere Armee von dort mit großen Kosten zurückzurufen.
Auf diesen heftigen Ausfall kehrte der unermüdliche Thiers, der allein mehr spricht, als das ganze übrige Cabinet zusammen genommen, wieder auf die Rednerbühne zurück. „Die Rede des Hrn. Piscatory legt mir die Verpflichtung auf, hiermit eine feierliche Erklärung zu machen, damit man auswärts erfahre, daß die Meinung einiger Personen nicht die der Regierung und des Landes sey. (Beifall.) Ja es ist eine moralische und politische Nothwendigkeit für uns, Algier zu behalten. Kein Ministerium, von welcher Partei es auch sey, wird sich zu einem völligen Aufgeben Algiers entschließen. Afrika braucht einen Gouverneur, der nicht bloß Soldat seyn darf – Soldaten haben wir in Afrika vom ersten Rang – es braucht einen Gouverneur, der zugleich Militär, Administrator und Politiker ist. Es wird schwer seyn, diese drei Eigenschaften vereinigt zu finden, mit welcher Bemerkung ich übrigens Niemand zu nahe treten will. Jede Colonie erzeugt früher oder später ihren Mann; auch die unsrige wird den ihrigen finden, dann wird sie gedeihen. Freilich bedarf es dazu, wir dürfen es uns nicht verhehlen, noch Eroberungen. Man fragt: ist die Eroberung der Mühe werth. Ich werde darauf nicht antworten: wir sind einmal in Afrika. Ich sage vielmehr, die Vorsehung hat uns dahin geführt, nicht ein elender Fächerschlag. Hat man denn vergessen, daß die afrikanische Küste der Piraterie eine furchtbare Freistätte bot? War es nicht Frankreichs Pflicht, die Meere von diesen Piraten zu säubern? Hätten wir die Piraterie nicht zerstört, eine andere Nation würde es statt unser gethan haben, und dann hätten Sie, die Sie schon so mißtrauisch, so empfindlich sind, weil England in seinem Handelsinteresse an einer fernen Küste, an der Küste des rothen Meers Aden genommen, wo es von der Bevölkerung sehr schlecht aufgenommen ist, Sie, die Sie auf dieser Tribune Reden gegen den Ehrgeiz Englands halten, Sie hätten, wenn England sich an den Küsten Afrika's nieder gelassen, einen solchen Anblick nicht ertragen können. Ich sage also, es war eine Nothwendigkeit, das Mittelmeer zu säubern. Frankreich und Spanien waren von der Natur zur Erfüllung dieser Aufgabe berufen. Spanien hinderte sein Unglück, diesen
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