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Allgemeine Zeitung. Nr. 145. Augsburg, 24. Mai 1840.

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Haltung eingehen. Zu dieser Erklärung nöthige ihn die Verleumdung, die gegen ihn von der Rednerbühne der Deputirtenkammer ausgegangen.

Ein Schreiben der Presse aus Neapel versichert, daß der König seinen Gesandten in Paris, den Herzog v. Capriola, beauftragt habe, der Entscheidung Frankreichs in dem Schwefelstreit jedenfalls beizutreten, wie auch dieselbe ausfallen möge.

Das Vermittlungsgeschäft zwischen England und Neapel hat viel Schwieriges. Man kann es Niemand recht machen, und Thiers wird viel zu thun haben, um mit Anstand die Sache zu beendigen. Er hat es mit zwei Leuten zu thun, die schwer zu handhaben sind. Am Hofe zu Neapel hat man seine Launen, und Palmerstons Reizbarkeit ist weltkundig. Beide zu schonen muß Thiers angelegen seyn, und beiden kann man doch nicht Recht geben. Jeder fühlt das; keiner hat aber Lust oder Billigkeitsgefühl genug, um dieß einzugestehen. Nur Mißtrauen zu äußern, damit kargen sie nicht, während Vertrauen die Grundbedingung jeder Mediation ist. In London fühlt man sich unbehaglich bei dem Gedanken, daß in Paris und zwar auf dem Platze von Paris ein Verdict abgegeben werden soll, das vielleicht nicht ganz den gestellten Erwartungen entspricht. Lord Palmerston ist dieß wenigstens nicht genehm. In Neapel hat man vollends viel dagegen zu sagen, und glaubt es der Ehre zuwider, an einem dritten Ort sich aburtheilen zu lassen, fürchtet auch doppelt gebrandschatzt zu werden, wenn in Paris die Rechnung abgeschlossen wird. "Hier und nirgend anders will ich beurtheilt werden," soll eine hohe Person zu unserem Geschäftsträger gesagt haben. "Hier hat es manches Mißliche," erwiederte Hr. d'Haussonville. "Hier, und damit basta," rief die hohe Person. Dieses Basta ward sehr übel genommen; Thiers fand es deplacirt. Dem Herzog v. Montebello ließ er sogleich wissen, er möge sich zu Sr. sicilianischen Majestät begeben, um zu vernehmen, wie er dieß verstehe, denn Frankreich sey nicht gesonnen, seine guten Dienste in solcher Weise aufgenommen zu sehen. Temple, dem englischen Gesandten, dem jenes Basta gefallen haben mag, scheint dieser Zwischenact willkommen zu seyn, willkommen, insofern er ihm Gelegenheit gab, sich wieder voranzustellen, und auf eigene Faust zu handeln. Er säumte damit auch nicht und erklärte, wenn in einer gegebenen Frist, und zwar einer ziemlich kurzen, nicht Alles nach dem Wunsche seiner Regierung sich geordnet habe, jeder die Stellung einnehmen müsse, die ihm am zweckmäßigsten diene, was wohl so viel heißen soll, daß das Mediationsgeschäft dann als geschlossen zu betrachten sey. Er schien dieß aus zwei Gründen, und zwar mit Zustimmung Lord Palmerstons, gethan zu haben: erstens, um die noch immer mit Beschlag belegten Schiffe vorerst nicht restituiren zu müssen, worauf Neapel dringt; zweitens, um Paris zu vermeiden, wo Thiers unter seinen Augen die Mediation betrieben. Die Extreme kommen also auch hier überein. In beiden Lagern, im englischen und neapolitanischen, will oder fürchtet man dasselbe. Unter solchen Dispositionen hat Thiers die Last der Vermittlung auf sich genommen. Mit seiner ihm angebornen Gewandtheit wird er sich auch hier durchzuwinden suchen. Um sich frei bewegen zu können, soll er den Herzog v. Montebello mit seinen Absichten genau bekannt und ihn ermächtigt haben, sie zu den seinigen zu machen, sobald Ort und Verhältnisse es erheischen.

Die Deputirtenkammer hat gestern die Debatten über den Gesetzesentwurf begonnen, wonach das Privilegium der Bank auf zwanzig Jahre verlängert werden soll. Die zwei Reden gegen und die zwei für den Entwurf bildeten jede eine gründliche Abhandlung über die Discontobanken, und wurden bei dem Interesse, welches der Gegenstand darbietet, von der Kammer mit einer bei ihr ungewohnten Ruhe und Aufmerksamkeit angehört. - Das Gerücht einer Krankheit des Königs sowohl als des Herzogs von Nemours ist ungegründet; nur der Prinz von Joinville litt an den Rötheln, ist aber jetzt wieder beinahe hergestellt. - Die Unzufriedenheit des Cabinets mit dem Marschall Valee ist auf den höchsten Grad gestiegen; er betrachtet sich als ganz unabhängig von demselben. Deßhalb, und weil er auch den Herzog von Orleans gänzlich wie einen untergeordneten Befehlshaber erhalten hat, ist ernstlich die Rede von seiner Zurückberufung; die meiste Aussicht, ihn zu ersetzen, hat Marschall Clauzel.

Die Reform der Wähler wird im Allgemeinen von zwei Parteien in Vorschlag gebracht, den Demagogen und den Radicalen. Die Demagogen sind noch immer wie betrunken von den Ideen der ersten französischen Revolution, modificirt durch St. Simonismus und Fourrierismus; die Radicalen sind die Ex-Lafayettisten, welche nur eine sehr kleine Partei bilden, die Lämmer neben den Tigern. Freilich thäte es vor allen Dingen noth daran zu denken, den Handwerker der unerhörten Exploitation der Fabricanten zu entziehen. Man redet von Negercolonien; man blicke aber nur hinein in das Getriebe der Fabriken Englands und Frankreichs, um eine Menschheit zu gewahren, fast tiefer verlassen als der Neger in den Colonien, eine Menschheit in Rohheit und Mechanismus versunken, voll Sündhaftigkeit und Laster, alt und jung, Männer und Weiber in engstem Raum zusammen geballt, heute in thierischer Knechtschaft des Hungers wegen, morgen bereit mit Aufruhr, Mord und Brand. Religion und Sitte allein können hier helfen, so wie eine erneuerte Organisation des Handwerkerstandes. Aber was in aller Welt soll die reforme electorale dazu beitragen? Man erkennt das schmachvolle Elend dieser Classe in den Fabrikstädten; man weiß sie roh und zügellos und man will, was? Ihr die Wahlen anvertrauen, ihr factisch die Herrschaft geben. Das heißt, man will sie zu Instrumenten der Herrschsucht einiger Tribunen und Clubbisten mißbrauchen. Unmöglich aber kann die dumpfe Gleichgültigkeit, der kaltherzige Egoismus der Bürgerclasse, die das Scepter jetzt führt, in Betreff dieses beklagenswürdigen Zustandes eines bedeutenden Theils der Handwerkerclasse lange fortwähren. Eine Organisation ist vonnöthen, eine gesellige und religiöse Charte der Handwerkerschaft, damit ihre Existenz gesichert werde, ihre Moralität sich erhebe. Ein Theil dieser Classe übrigens zeichnet sich durch Erhebung und Moralität aus, jedesmal wenn man sie dem zusammengepreßten, erstickenden, bloß mechanischen Leben entreißt. Ein Deutscher, Hr. Mainzer, hat in Paris große Rohheit unter einem Theile dieser Classe durch religiöse Musik gezügelt; es sind kräftige, oft bedeutende Naturen, die nichts sehnlicher verlangen, als belehrt und entwildert zu werden. Religiöse Genossenschaften auch fangen an ihren Einfluß auszuüben. Aber in Paris und besonders zu Rouen und Lyon stecken jene Uebel sehr tief; ein kräftiger Stamm Menschen wird dem Jura enthoben und verkrüppelt oder entartet nur zu oft in den Manufacturen von Lyon. Diese tiefen Leiden hätte Hr. Arago aufdecken sollen, anstatt Wunder welch ein Heil von der der Handwerkerclasse eingeflößten Herrschsucht zu erwarten. Die Handwerker zu den Wahlen gezogen, würden nichts Anderes seyn, als die Instrumente obscurer, durch keine Geisteskraft und Thätigkeit ausgezeichneter demagogischer Journalisten in den Provinzen, einiger in Kaffeehäusern lebenden Advocaten ohne Praxis, einiger Aerzte ohne Kranke, die in das öffentliche Wesen hinein pfuschen, da sie nicht pfuschen können in die Leiber der Leute. Das ist eben das Odiose beim demagogischen

Haltung eingehen. Zu dieser Erklärung nöthige ihn die Verleumdung, die gegen ihn von der Rednerbühne der Deputirtenkammer ausgegangen.

Ein Schreiben der Presse aus Neapel versichert, daß der König seinen Gesandten in Paris, den Herzog v. Capriola, beauftragt habe, der Entscheidung Frankreichs in dem Schwefelstreit jedenfalls beizutreten, wie auch dieselbe ausfallen möge.

Das Vermittlungsgeschäft zwischen England und Neapel hat viel Schwieriges. Man kann es Niemand recht machen, und Thiers wird viel zu thun haben, um mit Anstand die Sache zu beendigen. Er hat es mit zwei Leuten zu thun, die schwer zu handhaben sind. Am Hofe zu Neapel hat man seine Launen, und Palmerstons Reizbarkeit ist weltkundig. Beide zu schonen muß Thiers angelegen seyn, und beiden kann man doch nicht Recht geben. Jeder fühlt das; keiner hat aber Lust oder Billigkeitsgefühl genug, um dieß einzugestehen. Nur Mißtrauen zu äußern, damit kargen sie nicht, während Vertrauen die Grundbedingung jeder Mediation ist. In London fühlt man sich unbehaglich bei dem Gedanken, daß in Paris und zwar auf dem Platze von Paris ein Verdict abgegeben werden soll, das vielleicht nicht ganz den gestellten Erwartungen entspricht. Lord Palmerston ist dieß wenigstens nicht genehm. In Neapel hat man vollends viel dagegen zu sagen, und glaubt es der Ehre zuwider, an einem dritten Ort sich aburtheilen zu lassen, fürchtet auch doppelt gebrandschatzt zu werden, wenn in Paris die Rechnung abgeschlossen wird. „Hier und nirgend anders will ich beurtheilt werden,“ soll eine hohe Person zu unserem Geschäftsträger gesagt haben. „Hier hat es manches Mißliche,“ erwiederte Hr. d'Haussonville. „Hier, und damit basta,“ rief die hohe Person. Dieses Basta ward sehr übel genommen; Thiers fand es deplacirt. Dem Herzog v. Montebello ließ er sogleich wissen, er möge sich zu Sr. sicilianischen Majestät begeben, um zu vernehmen, wie er dieß verstehe, denn Frankreich sey nicht gesonnen, seine guten Dienste in solcher Weise aufgenommen zu sehen. Temple, dem englischen Gesandten, dem jenes Basta gefallen haben mag, scheint dieser Zwischenact willkommen zu seyn, willkommen, insofern er ihm Gelegenheit gab, sich wieder voranzustellen, und auf eigene Faust zu handeln. Er säumte damit auch nicht und erklärte, wenn in einer gegebenen Frist, und zwar einer ziemlich kurzen, nicht Alles nach dem Wunsche seiner Regierung sich geordnet habe, jeder die Stellung einnehmen müsse, die ihm am zweckmäßigsten diene, was wohl so viel heißen soll, daß das Mediationsgeschäft dann als geschlossen zu betrachten sey. Er schien dieß aus zwei Gründen, und zwar mit Zustimmung Lord Palmerstons, gethan zu haben: erstens, um die noch immer mit Beschlag belegten Schiffe vorerst nicht restituiren zu müssen, worauf Neapel dringt; zweitens, um Paris zu vermeiden, wo Thiers unter seinen Augen die Mediation betrieben. Die Extreme kommen also auch hier überein. In beiden Lagern, im englischen und neapolitanischen, will oder fürchtet man dasselbe. Unter solchen Dispositionen hat Thiers die Last der Vermittlung auf sich genommen. Mit seiner ihm angebornen Gewandtheit wird er sich auch hier durchzuwinden suchen. Um sich frei bewegen zu können, soll er den Herzog v. Montebello mit seinen Absichten genau bekannt und ihn ermächtigt haben, sie zu den seinigen zu machen, sobald Ort und Verhältnisse es erheischen.

Die Deputirtenkammer hat gestern die Debatten über den Gesetzesentwurf begonnen, wonach das Privilegium der Bank auf zwanzig Jahre verlängert werden soll. Die zwei Reden gegen und die zwei für den Entwurf bildeten jede eine gründliche Abhandlung über die Discontobanken, und wurden bei dem Interesse, welches der Gegenstand darbietet, von der Kammer mit einer bei ihr ungewohnten Ruhe und Aufmerksamkeit angehört. – Das Gerücht einer Krankheit des Königs sowohl als des Herzogs von Nemours ist ungegründet; nur der Prinz von Joinville litt an den Rötheln, ist aber jetzt wieder beinahe hergestellt. – Die Unzufriedenheit des Cabinets mit dem Marschall Valée ist auf den höchsten Grad gestiegen; er betrachtet sich als ganz unabhängig von demselben. Deßhalb, und weil er auch den Herzog von Orleans gänzlich wie einen untergeordneten Befehlshaber erhalten hat, ist ernstlich die Rede von seiner Zurückberufung; die meiste Aussicht, ihn zu ersetzen, hat Marschall Clauzel.

Die Reform der Wähler wird im Allgemeinen von zwei Parteien in Vorschlag gebracht, den Demagogen und den Radicalen. Die Demagogen sind noch immer wie betrunken von den Ideen der ersten französischen Revolution, modificirt durch St. Simonismus und Fourrierismus; die Radicalen sind die Ex-Lafayettisten, welche nur eine sehr kleine Partei bilden, die Lämmer neben den Tigern. Freilich thäte es vor allen Dingen noth daran zu denken, den Handwerker der unerhörten Exploitation der Fabricanten zu entziehen. Man redet von Negercolonien; man blicke aber nur hinein in das Getriebe der Fabriken Englands und Frankreichs, um eine Menschheit zu gewahren, fast tiefer verlassen als der Neger in den Colonien, eine Menschheit in Rohheit und Mechanismus versunken, voll Sündhaftigkeit und Laster, alt und jung, Männer und Weiber in engstem Raum zusammen geballt, heute in thierischer Knechtschaft des Hungers wegen, morgen bereit mit Aufruhr, Mord und Brand. Religion und Sitte allein können hier helfen, so wie eine erneuerte Organisation des Handwerkerstandes. Aber was in aller Welt soll die réforme électorale dazu beitragen? Man erkennt das schmachvolle Elend dieser Classe in den Fabrikstädten; man weiß sie roh und zügellos und man will, was? Ihr die Wahlen anvertrauen, ihr factisch die Herrschaft geben. Das heißt, man will sie zu Instrumenten der Herrschsucht einiger Tribunen und Clubbisten mißbrauchen. Unmöglich aber kann die dumpfe Gleichgültigkeit, der kaltherzige Egoismus der Bürgerclasse, die das Scepter jetzt führt, in Betreff dieses beklagenswürdigen Zustandes eines bedeutenden Theils der Handwerkerclasse lange fortwähren. Eine Organisation ist vonnöthen, eine gesellige und religiöse Charte der Handwerkerschaft, damit ihre Existenz gesichert werde, ihre Moralität sich erhebe. Ein Theil dieser Classe übrigens zeichnet sich durch Erhebung und Moralität aus, jedesmal wenn man sie dem zusammengepreßten, erstickenden, bloß mechanischen Leben entreißt. Ein Deutscher, Hr. Mainzer, hat in Paris große Rohheit unter einem Theile dieser Classe durch religiöse Musik gezügelt; es sind kräftige, oft bedeutende Naturen, die nichts sehnlicher verlangen, als belehrt und entwildert zu werden. Religiöse Genossenschaften auch fangen an ihren Einfluß auszuüben. Aber in Paris und besonders zu Rouen und Lyon stecken jene Uebel sehr tief; ein kräftiger Stamm Menschen wird dem Jura enthoben und verkrüppelt oder entartet nur zu oft in den Manufacturen von Lyon. Diese tiefen Leiden hätte Hr. Arago aufdecken sollen, anstatt Wunder welch ein Heil von der der Handwerkerclasse eingeflößten Herrschsucht zu erwarten. Die Handwerker zu den Wahlen gezogen, würden nichts Anderes seyn, als die Instrumente obscurer, durch keine Geisteskraft und Thätigkeit ausgezeichneter demagogischer Journalisten in den Provinzen, einiger in Kaffeehäusern lebenden Advocaten ohne Praxis, einiger Aerzte ohne Kranke, die in das öffentliche Wesen hinein pfuschen, da sie nicht pfuschen können in die Leiber der Leute. Das ist eben das Odiose beim demagogischen

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[1155/0003] Haltung eingehen. Zu dieser Erklärung nöthige ihn die Verleumdung, die gegen ihn von der Rednerbühne der Deputirtenkammer ausgegangen. Ein Schreiben der Presse aus Neapel versichert, daß der König seinen Gesandten in Paris, den Herzog v. Capriola, beauftragt habe, der Entscheidung Frankreichs in dem Schwefelstreit jedenfalls beizutreten, wie auch dieselbe ausfallen möge. _ Paris, 16 Mai. Das Vermittlungsgeschäft zwischen England und Neapel hat viel Schwieriges. Man kann es Niemand recht machen, und Thiers wird viel zu thun haben, um mit Anstand die Sache zu beendigen. Er hat es mit zwei Leuten zu thun, die schwer zu handhaben sind. Am Hofe zu Neapel hat man seine Launen, und Palmerstons Reizbarkeit ist weltkundig. Beide zu schonen muß Thiers angelegen seyn, und beiden kann man doch nicht Recht geben. Jeder fühlt das; keiner hat aber Lust oder Billigkeitsgefühl genug, um dieß einzugestehen. Nur Mißtrauen zu äußern, damit kargen sie nicht, während Vertrauen die Grundbedingung jeder Mediation ist. In London fühlt man sich unbehaglich bei dem Gedanken, daß in Paris und zwar auf dem Platze von Paris ein Verdict abgegeben werden soll, das vielleicht nicht ganz den gestellten Erwartungen entspricht. Lord Palmerston ist dieß wenigstens nicht genehm. In Neapel hat man vollends viel dagegen zu sagen, und glaubt es der Ehre zuwider, an einem dritten Ort sich aburtheilen zu lassen, fürchtet auch doppelt gebrandschatzt zu werden, wenn in Paris die Rechnung abgeschlossen wird. „Hier und nirgend anders will ich beurtheilt werden,“ soll eine hohe Person zu unserem Geschäftsträger gesagt haben. „Hier hat es manches Mißliche,“ erwiederte Hr. d'Haussonville. „Hier, und damit basta,“ rief die hohe Person. Dieses Basta ward sehr übel genommen; Thiers fand es deplacirt. Dem Herzog v. Montebello ließ er sogleich wissen, er möge sich zu Sr. sicilianischen Majestät begeben, um zu vernehmen, wie er dieß verstehe, denn Frankreich sey nicht gesonnen, seine guten Dienste in solcher Weise aufgenommen zu sehen. Temple, dem englischen Gesandten, dem jenes Basta gefallen haben mag, scheint dieser Zwischenact willkommen zu seyn, willkommen, insofern er ihm Gelegenheit gab, sich wieder voranzustellen, und auf eigene Faust zu handeln. Er säumte damit auch nicht und erklärte, wenn in einer gegebenen Frist, und zwar einer ziemlich kurzen, nicht Alles nach dem Wunsche seiner Regierung sich geordnet habe, jeder die Stellung einnehmen müsse, die ihm am zweckmäßigsten diene, was wohl so viel heißen soll, daß das Mediationsgeschäft dann als geschlossen zu betrachten sey. Er schien dieß aus zwei Gründen, und zwar mit Zustimmung Lord Palmerstons, gethan zu haben: erstens, um die noch immer mit Beschlag belegten Schiffe vorerst nicht restituiren zu müssen, worauf Neapel dringt; zweitens, um Paris zu vermeiden, wo Thiers unter seinen Augen die Mediation betrieben. Die Extreme kommen also auch hier überein. In beiden Lagern, im englischen und neapolitanischen, will oder fürchtet man dasselbe. Unter solchen Dispositionen hat Thiers die Last der Vermittlung auf sich genommen. Mit seiner ihm angebornen Gewandtheit wird er sich auch hier durchzuwinden suchen. Um sich frei bewegen zu können, soll er den Herzog v. Montebello mit seinen Absichten genau bekannt und ihn ermächtigt haben, sie zu den seinigen zu machen, sobald Ort und Verhältnisse es erheischen. _ Paris, 19 Mai. Die Deputirtenkammer hat gestern die Debatten über den Gesetzesentwurf begonnen, wonach das Privilegium der Bank auf zwanzig Jahre verlängert werden soll. Die zwei Reden gegen und die zwei für den Entwurf bildeten jede eine gründliche Abhandlung über die Discontobanken, und wurden bei dem Interesse, welches der Gegenstand darbietet, von der Kammer mit einer bei ihr ungewohnten Ruhe und Aufmerksamkeit angehört. – Das Gerücht einer Krankheit des Königs sowohl als des Herzogs von Nemours ist ungegründet; nur der Prinz von Joinville litt an den Rötheln, ist aber jetzt wieder beinahe hergestellt. – Die Unzufriedenheit des Cabinets mit dem Marschall Valée ist auf den höchsten Grad gestiegen; er betrachtet sich als ganz unabhängig von demselben. Deßhalb, und weil er auch den Herzog von Orleans gänzlich wie einen untergeordneten Befehlshaber erhalten hat, ist ernstlich die Rede von seiner Zurückberufung; die meiste Aussicht, ihn zu ersetzen, hat Marschall Clauzel. _ Paris, 16 Mai. Die Reform der Wähler wird im Allgemeinen von zwei Parteien in Vorschlag gebracht, den Demagogen und den Radicalen. Die Demagogen sind noch immer wie betrunken von den Ideen der ersten französischen Revolution, modificirt durch St. Simonismus und Fourrierismus; die Radicalen sind die Ex-Lafayettisten, welche nur eine sehr kleine Partei bilden, die Lämmer neben den Tigern. Freilich thäte es vor allen Dingen noth daran zu denken, den Handwerker der unerhörten Exploitation der Fabricanten zu entziehen. Man redet von Negercolonien; man blicke aber nur hinein in das Getriebe der Fabriken Englands und Frankreichs, um eine Menschheit zu gewahren, fast tiefer verlassen als der Neger in den Colonien, eine Menschheit in Rohheit und Mechanismus versunken, voll Sündhaftigkeit und Laster, alt und jung, Männer und Weiber in engstem Raum zusammen geballt, heute in thierischer Knechtschaft des Hungers wegen, morgen bereit mit Aufruhr, Mord und Brand. Religion und Sitte allein können hier helfen, so wie eine erneuerte Organisation des Handwerkerstandes. Aber was in aller Welt soll die réforme électorale dazu beitragen? Man erkennt das schmachvolle Elend dieser Classe in den Fabrikstädten; man weiß sie roh und zügellos und man will, was? Ihr die Wahlen anvertrauen, ihr factisch die Herrschaft geben. Das heißt, man will sie zu Instrumenten der Herrschsucht einiger Tribunen und Clubbisten mißbrauchen. Unmöglich aber kann die dumpfe Gleichgültigkeit, der kaltherzige Egoismus der Bürgerclasse, die das Scepter jetzt führt, in Betreff dieses beklagenswürdigen Zustandes eines bedeutenden Theils der Handwerkerclasse lange fortwähren. Eine Organisation ist vonnöthen, eine gesellige und religiöse Charte der Handwerkerschaft, damit ihre Existenz gesichert werde, ihre Moralität sich erhebe. Ein Theil dieser Classe übrigens zeichnet sich durch Erhebung und Moralität aus, jedesmal wenn man sie dem zusammengepreßten, erstickenden, bloß mechanischen Leben entreißt. Ein Deutscher, Hr. Mainzer, hat in Paris große Rohheit unter einem Theile dieser Classe durch religiöse Musik gezügelt; es sind kräftige, oft bedeutende Naturen, die nichts sehnlicher verlangen, als belehrt und entwildert zu werden. Religiöse Genossenschaften auch fangen an ihren Einfluß auszuüben. Aber in Paris und besonders zu Rouen und Lyon stecken jene Uebel sehr tief; ein kräftiger Stamm Menschen wird dem Jura enthoben und verkrüppelt oder entartet nur zu oft in den Manufacturen von Lyon. Diese tiefen Leiden hätte Hr. Arago aufdecken sollen, anstatt Wunder welch ein Heil von der der Handwerkerclasse eingeflößten Herrschsucht zu erwarten. Die Handwerker zu den Wahlen gezogen, würden nichts Anderes seyn, als die Instrumente obscurer, durch keine Geisteskraft und Thätigkeit ausgezeichneter demagogischer Journalisten in den Provinzen, einiger in Kaffeehäusern lebenden Advocaten ohne Praxis, einiger Aerzte ohne Kranke, die in das öffentliche Wesen hinein pfuschen, da sie nicht pfuschen können in die Leiber der Leute. Das ist eben das Odiose beim demagogischen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 145. Augsburg, 24. Mai 1840, S. 1155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_145_18400524/3>, abgerufen am 21.11.2024.