Allgemeine Zeitung. Nr. 153. Augsburg, 1. Juni 1840.sein Landrathscollegium, vermöge dessen er das Land gouvernirt, und die meisten Gerichts- und Administrativstellen aus seiner Mitte besetzt. Endlich werden darin auch die Provinzen von vielen russischen Abgaben und ebenso auch von der Pflichtigkeit zur Stellung von Recruten frei erklärt. Ebenso bleibt der ganze Zustand der Gerichtsverfassung und des Privatrechts ganz so, wie er sich im Laufe der vorigen Zeiten ausgebildet. Von diesen Vorrechten des Nystädter Friedens, zu denen auch eine völlige Handelsfreiheit gehörte, sind indeß im Laufe der Zeit bereits manche gefallen. Die Beschränkung des Handels durch Zölle ist immer größer und größer geworden. Recruten stellen die Provinzen schon lange, wie die übrigen russischen Gouvernements, und sie wurden auch allmählich auf dieselbe Weise besteuert, wie diese. Ja, im Jahr 1783, als Katharina ihre vielfach bewunderte und vielfach getadelte Stadtordnung und Statthalterschaftsverfassung beendigt hatte und einzuführen begann, schien es schon einmal, als sollte der ganze alte Zustand in den Provinzen, die alten freien Stadtverfassungen mit ihren Rathsherren und Bürgermeistern, der Adel mit seinen Majoratsherren, Landräthen und Ständen über den Haufen fallen. Jene Stadtordnung und Statthalterschaftsverfassung Katharinens mochte für das übrige eigentliche Rußland von sehr guten Folgen seyn. Sie war sogar in vieler Hinsicht liberal. Sie organisirte den Adel der Provinzen, der bisher hier in Rußland keine Organisation gehabt hatte, sie beschränkte die Rechte der Gouverneure, die in Rußland unbegränzt waren, sie ordnete neue Gerichte an, die bis dahin in Rußland noch sehr unausgebildet waren, und suchte einen eigenen Bürgerstand, von dem zuvor in Rußland alle Spur verschwunden war, zu schaffen, indem sie den Städten Oberhäupter gab und Magistrate, zu deren Wahl jeder Bürger der Commune berechtigt war. Ja sie hatte sogar in vieler Beziehung deutsche Verfassung und deutsche Zustände zum Vorbild genommen. Nichtsdestoweniger konnte ihre Einführung in den deutschen Ostseeprovinzen nichts Anderes als Unzufriedenheit, Sorge und Schmerz erregen. Die Ostseeprovinzen hatten vortreffliche alte deutsche Gerichte, die nun den neuen Anordnungen weichen sollten - sie hatten einen Bürgerstand und seine Oberhäupter an der Spitze, die nun vor den nach der neuen Weise Gewählten abdanken mußten - ihr Adel war organisirt und abgeschlossen, und das neue Gesetz wollte gegen seine alte Instruction und Privilegien seine Corporationen nach ganz anderen Grundsätzen reguliren. Dazu kam noch, daß alle die Güter, welche die Adelscorporation als solche besaß, eingezogen wurden. Allerdings waren die Vorschriften der von Katharinen eingeführten Ordnung in vieler Hinsicht weit liberaler, als alle bis dahin in Livland existirenden Institutionen. Der Adel, der bisher eine Art von abgeschlossener aristokratischer Republik gebildet hatte, sollte Allen mehr zugänglich werden. Die Räthe und Stadtmagistrate, die bisher sich meistens aus sich selbst ergänzt hatten, sollten nun von allen Bürgern ohne Unterschied gewählt werden, wie auch ebenso alle Bürger ohne Unterschied dazu wählbar seyn sollten. Für die Bauern, welche bisher keine andern Gerichte gehabt hatten, als die von ihren adeligen Herren besetzten, wurden kaiserliche eingesetzt. Allein diese ganze Liberalität war weniger zum Vortheil der Deutschen des Landes, als zum Besten der sich überall einschleichenden Russen, die durch die bisherige collegiale Verfassung überall ausgeschlossen waren. Die russischen Bürger wollten in Riga, Rewal, Dorpat u. s. w. Sitz und Stimme gewinnen, und die deutschen Bürger wollten sie nicht zulassen. Der russische Rang- und Aemteradel wollte sich dem alten livländischen Geburtsadel gleichstellen und mit ihm auf den Bänken der ständischen Deputirten sitzen. Es war ein Gegensatz der deutschen Nationalität mit der russischen. Ebendaher waren nicht nur die Betheiligten und zunächst Verlierenden durchaus gegen diese Statthalterschafts-Ordnung Katharinens, und suchten sie auf alle mögliche Weise durch alle Mittel und Wege als eine, Privilegien verletzende Usurpation und Neuerung zu hintertreiben, sondern alle Deutschen erhoben sich einstimmig dagegen, als gegen eine deutsche Nationalität und Gesellschaft bedrohende Anordnung. Die alten ächtdeutschen Collegien, Gerichte, Räthe, hatten, so wie die alten Zünfte und Gilden, trotz ihrer Einseitigkeit einen guten Fonds von Redlichkeit und Kraft, die jene von Rußland ausgehende Institution nicht besitzen konnten. Sie brachten eine Menge Russen ins Land, viel Fremdes in den Adel und führten russische Bestechlichkeit und Betrüglichkeit in die Gerichte und Magistrate ein. Was daher in jedem andern Lande eine Wohlthat fürs Ganze gewesen wäre, wenn auch ein Unrecht für den Theil, ward hier für Theil und Ganzes gleich unlieb und verhaßt. Nichtsdestoweniger wurde durch strenge Befehle die neue Ordnung eingeführt, und die alten Privilegien der Ostseeprovinzen, auf welche diese sich so viel zu Gute thaten, und die ihnen von den anderen russischen Unterthanen so sehr beneidet wurden, schienen auf immer ins Grab zu sinken. Indeß dauerte dieser neue, von allen Deutschen beklagte Zustand nur während der Regierung der Kaiserin Katharina, deren Sohn und Nachfolger Paul (im Jahr 1797) als Retter des baltischen Deutschthums erschien, indem er, theils um den Adel der Provinzen für sich zu gewinnen, theils aber bloß um eine Anordnung seiner ihm verhaßten Mutter rückgängig zu machen, den Provinzen die meisten ihrer alten Privilegien und Institutionen zurückgab. Der Rath von Riga ward wieder in seine alten Rechte gesetzt, das Landrathscollegium (für Livland der Reichsrath) wurde hergestellt, und die uralten Eintheilungen des Herzogthums Esthland in Wierland, Harvien, Land Jevwen und die Wiek, die auch von der neuen Gouvernements-Eintheilung verschwunden waren, erschienen wieder, so wie Livlands Eintheilung in seine alten fünf Kreise, den Riga'schen, Dorpat'schen, Pernau'schen, Wenden'schen und die Landschaft Oesel. Auch Kaiser Alexander stellte den Provinzen noch manche alte Privilegien zurück, und der jetzige Kaiser hat es im Ganzen beim Alten gelassen, und den Deutschen, die beständig wegen der Erhaltung ihrer Rechte in Besorgniß schweben, zu mehreren Malen versichert, daß es dabei sein Bewenden haben solle. Selbst bei der neuerlich beendigten Abfassung des allgemeinen russischen Civilcodex wurde auf die deutschen Provinzen besondere Rücksicht genommen. Der russische "Swod-Sakon" (Gesetzbuch) hat für die Ostseeprovinzen keine durchgreifende Geltung erhalten. Vielmehr hat man aus diesen Provinzen eigene Deputirte nach St. Petersburg berufen und aus ihnen eine Commission gebildet für die Abfassung eines eigenen, deutsch-russischen Gesetzbuchs zur Regulirung ihrer Verhältnisse. (Beschluß folgt.) Französischer Verkehr mit Abyssinien. Paris, 23 Mai. Der Verkehr von Frankreich mit Abyssinien ist seit einigen Jahren sehr lebhaft geworden. Combes und Tamisier, zwei unternehmende, aber ziemlich unwissende Saintsimonianer, kamen im Jahr 1837 von dort zurück, und ließen ihre Reisebeschreibung drucken. Im nächsten Jahr kam der Lieutenant Lefevre, welcher mit den Gebrüdern Abbadie dort gewesen war, zurück, und wurde mit einer neuen Mission sein Landrathscollegium, vermöge dessen er das Land gouvernirt, und die meisten Gerichts- und Administrativstellen aus seiner Mitte besetzt. Endlich werden darin auch die Provinzen von vielen russischen Abgaben und ebenso auch von der Pflichtigkeit zur Stellung von Recruten frei erklärt. Ebenso bleibt der ganze Zustand der Gerichtsverfassung und des Privatrechts ganz so, wie er sich im Laufe der vorigen Zeiten ausgebildet. Von diesen Vorrechten des Nystädter Friedens, zu denen auch eine völlige Handelsfreiheit gehörte, sind indeß im Laufe der Zeit bereits manche gefallen. Die Beschränkung des Handels durch Zölle ist immer größer und größer geworden. Recruten stellen die Provinzen schon lange, wie die übrigen russischen Gouvernements, und sie wurden auch allmählich auf dieselbe Weise besteuert, wie diese. Ja, im Jahr 1783, als Katharina ihre vielfach bewunderte und vielfach getadelte Stadtordnung und Statthalterschaftsverfassung beendigt hatte und einzuführen begann, schien es schon einmal, als sollte der ganze alte Zustand in den Provinzen, die alten freien Stadtverfassungen mit ihren Rathsherren und Bürgermeistern, der Adel mit seinen Majoratsherren, Landräthen und Ständen über den Haufen fallen. Jene Stadtordnung und Statthalterschaftsverfassung Katharinens mochte für das übrige eigentliche Rußland von sehr guten Folgen seyn. Sie war sogar in vieler Hinsicht liberal. Sie organisirte den Adel der Provinzen, der bisher hier in Rußland keine Organisation gehabt hatte, sie beschränkte die Rechte der Gouverneure, die in Rußland unbegränzt waren, sie ordnete neue Gerichte an, die bis dahin in Rußland noch sehr unausgebildet waren, und suchte einen eigenen Bürgerstand, von dem zuvor in Rußland alle Spur verschwunden war, zu schaffen, indem sie den Städten Oberhäupter gab und Magistrate, zu deren Wahl jeder Bürger der Commune berechtigt war. Ja sie hatte sogar in vieler Beziehung deutsche Verfassung und deutsche Zustände zum Vorbild genommen. Nichtsdestoweniger konnte ihre Einführung in den deutschen Ostseeprovinzen nichts Anderes als Unzufriedenheit, Sorge und Schmerz erregen. Die Ostseeprovinzen hatten vortreffliche alte deutsche Gerichte, die nun den neuen Anordnungen weichen sollten – sie hatten einen Bürgerstand und seine Oberhäupter an der Spitze, die nun vor den nach der neuen Weise Gewählten abdanken mußten – ihr Adel war organisirt und abgeschlossen, und das neue Gesetz wollte gegen seine alte Instruction und Privilegien seine Corporationen nach ganz anderen Grundsätzen reguliren. Dazu kam noch, daß alle die Güter, welche die Adelscorporation als solche besaß, eingezogen wurden. Allerdings waren die Vorschriften der von Katharinen eingeführten Ordnung in vieler Hinsicht weit liberaler, als alle bis dahin in Livland existirenden Institutionen. Der Adel, der bisher eine Art von abgeschlossener aristokratischer Republik gebildet hatte, sollte Allen mehr zugänglich werden. Die Räthe und Stadtmagistrate, die bisher sich meistens aus sich selbst ergänzt hatten, sollten nun von allen Bürgern ohne Unterschied gewählt werden, wie auch ebenso alle Bürger ohne Unterschied dazu wählbar seyn sollten. Für die Bauern, welche bisher keine andern Gerichte gehabt hatten, als die von ihren adeligen Herren besetzten, wurden kaiserliche eingesetzt. Allein diese ganze Liberalität war weniger zum Vortheil der Deutschen des Landes, als zum Besten der sich überall einschleichenden Russen, die durch die bisherige collegiale Verfassung überall ausgeschlossen waren. Die russischen Bürger wollten in Riga, Rewal, Dorpat u. s. w. Sitz und Stimme gewinnen, und die deutschen Bürger wollten sie nicht zulassen. Der russische Rang- und Aemteradel wollte sich dem alten livländischen Geburtsadel gleichstellen und mit ihm auf den Bänken der ständischen Deputirten sitzen. Es war ein Gegensatz der deutschen Nationalität mit der russischen. Ebendaher waren nicht nur die Betheiligten und zunächst Verlierenden durchaus gegen diese Statthalterschafts-Ordnung Katharinens, und suchten sie auf alle mögliche Weise durch alle Mittel und Wege als eine, Privilegien verletzende Usurpation und Neuerung zu hintertreiben, sondern alle Deutschen erhoben sich einstimmig dagegen, als gegen eine deutsche Nationalität und Gesellschaft bedrohende Anordnung. Die alten ächtdeutschen Collegien, Gerichte, Räthe, hatten, so wie die alten Zünfte und Gilden, trotz ihrer Einseitigkeit einen guten Fonds von Redlichkeit und Kraft, die jene von Rußland ausgehende Institution nicht besitzen konnten. Sie brachten eine Menge Russen ins Land, viel Fremdes in den Adel und führten russische Bestechlichkeit und Betrüglichkeit in die Gerichte und Magistrate ein. Was daher in jedem andern Lande eine Wohlthat fürs Ganze gewesen wäre, wenn auch ein Unrecht für den Theil, ward hier für Theil und Ganzes gleich unlieb und verhaßt. Nichtsdestoweniger wurde durch strenge Befehle die neue Ordnung eingeführt, und die alten Privilegien der Ostseeprovinzen, auf welche diese sich so viel zu Gute thaten, und die ihnen von den anderen russischen Unterthanen so sehr beneidet wurden, schienen auf immer ins Grab zu sinken. Indeß dauerte dieser neue, von allen Deutschen beklagte Zustand nur während der Regierung der Kaiserin Katharina, deren Sohn und Nachfolger Paul (im Jahr 1797) als Retter des baltischen Deutschthums erschien, indem er, theils um den Adel der Provinzen für sich zu gewinnen, theils aber bloß um eine Anordnung seiner ihm verhaßten Mutter rückgängig zu machen, den Provinzen die meisten ihrer alten Privilegien und Institutionen zurückgab. Der Rath von Riga ward wieder in seine alten Rechte gesetzt, das Landrathscollegium (für Livland der Reichsrath) wurde hergestellt, und die uralten Eintheilungen des Herzogthums Esthland in Wierland, Harvien, Land Jevwen und die Wiek, die auch von der neuen Gouvernements-Eintheilung verschwunden waren, erschienen wieder, so wie Livlands Eintheilung in seine alten fünf Kreise, den Riga'schen, Dorpat'schen, Pernau'schen, Wenden'schen und die Landschaft Oesel. Auch Kaiser Alexander stellte den Provinzen noch manche alte Privilegien zurück, und der jetzige Kaiser hat es im Ganzen beim Alten gelassen, und den Deutschen, die beständig wegen der Erhaltung ihrer Rechte in Besorgniß schweben, zu mehreren Malen versichert, daß es dabei sein Bewenden haben solle. Selbst bei der neuerlich beendigten Abfassung des allgemeinen russischen Civilcodex wurde auf die deutschen Provinzen besondere Rücksicht genommen. Der russische „Swod-Sakon“ (Gesetzbuch) hat für die Ostseeprovinzen keine durchgreifende Geltung erhalten. Vielmehr hat man aus diesen Provinzen eigene Deputirte nach St. Petersburg berufen und aus ihnen eine Commission gebildet für die Abfassung eines eigenen, deutsch-russischen Gesetzbuchs zur Regulirung ihrer Verhältnisse. (Beschluß folgt.) Französischer Verkehr mit Abyssinien. Paris, 23 Mai. Der Verkehr von Frankreich mit Abyssinien ist seit einigen Jahren sehr lebhaft geworden. Combes und Tamisier, zwei unternehmende, aber ziemlich unwissende Saintsimonianer, kamen im Jahr 1837 von dort zurück, und ließen ihre Reisebeschreibung drucken. Im nächsten Jahr kam der Lieutenant Lefevre, welcher mit den Gebrüdern Abbadie dort gewesen war, zurück, und wurde mit einer neuen Mission <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="1218"/> sein Landrathscollegium, vermöge dessen er das Land gouvernirt, und die meisten Gerichts- und Administrativstellen aus seiner Mitte besetzt. Endlich werden darin auch die Provinzen von vielen russischen Abgaben und ebenso auch von der Pflichtigkeit zur Stellung von Recruten frei erklärt. Ebenso bleibt der ganze Zustand der Gerichtsverfassung und des Privatrechts ganz so, wie er sich im Laufe der vorigen Zeiten ausgebildet.</p><lb/> <p>Von diesen Vorrechten des Nystädter Friedens, zu denen auch eine völlige Handelsfreiheit gehörte, sind indeß im Laufe der Zeit bereits manche gefallen. Die Beschränkung des Handels durch Zölle ist immer größer und größer geworden. Recruten stellen die Provinzen schon lange, wie die übrigen russischen Gouvernements, und sie wurden auch allmählich auf dieselbe Weise besteuert, wie diese. Ja, im Jahr 1783, als Katharina ihre vielfach bewunderte und vielfach getadelte Stadtordnung und Statthalterschaftsverfassung beendigt hatte und einzuführen begann, schien es schon einmal, als sollte der ganze alte Zustand in den Provinzen, die alten freien Stadtverfassungen mit ihren Rathsherren und Bürgermeistern, der Adel mit seinen Majoratsherren, Landräthen und Ständen über den Haufen fallen. Jene Stadtordnung und Statthalterschaftsverfassung Katharinens mochte für das übrige eigentliche Rußland von sehr guten Folgen seyn. Sie war sogar in vieler Hinsicht liberal. Sie organisirte den Adel der Provinzen, der bisher hier in Rußland keine Organisation gehabt hatte, sie beschränkte die Rechte der Gouverneure, die in Rußland unbegränzt waren, sie ordnete neue Gerichte an, die bis dahin in Rußland noch sehr unausgebildet waren, und suchte einen eigenen Bürgerstand, von dem zuvor in Rußland alle Spur verschwunden war, zu schaffen, indem sie den Städten Oberhäupter gab und Magistrate, zu deren Wahl jeder Bürger der Commune berechtigt war. Ja sie hatte sogar in vieler Beziehung deutsche Verfassung und deutsche Zustände zum Vorbild genommen. Nichtsdestoweniger konnte ihre Einführung in den deutschen Ostseeprovinzen nichts Anderes als Unzufriedenheit, Sorge und Schmerz erregen. Die Ostseeprovinzen hatten vortreffliche alte deutsche Gerichte, die nun den neuen Anordnungen weichen sollten – sie hatten einen Bürgerstand und seine Oberhäupter an der Spitze, die nun vor den nach der neuen Weise Gewählten abdanken mußten – ihr Adel war organisirt und abgeschlossen, und das neue Gesetz wollte gegen seine alte Instruction und Privilegien seine Corporationen nach ganz anderen Grundsätzen reguliren. Dazu kam noch, daß alle die Güter, welche die Adelscorporation als solche besaß, eingezogen wurden.</p><lb/> <p>Allerdings waren die Vorschriften der von Katharinen eingeführten Ordnung in vieler Hinsicht weit liberaler, als alle bis dahin in Livland existirenden Institutionen. Der Adel, der bisher eine Art von abgeschlossener aristokratischer Republik gebildet hatte, sollte Allen mehr zugänglich werden. Die Räthe und Stadtmagistrate, die bisher sich meistens aus sich selbst ergänzt hatten, sollten nun von allen Bürgern ohne Unterschied gewählt werden, wie auch ebenso alle Bürger ohne Unterschied dazu wählbar seyn sollten. Für die Bauern, welche bisher keine andern Gerichte gehabt hatten, als die von ihren adeligen Herren besetzten, wurden kaiserliche eingesetzt. Allein diese ganze Liberalität war weniger zum Vortheil der Deutschen des Landes, als zum Besten der sich überall einschleichenden Russen, die durch die bisherige collegiale Verfassung überall ausgeschlossen waren. Die russischen Bürger wollten in Riga, Rewal, Dorpat u. s. w. Sitz und Stimme gewinnen, und die deutschen Bürger wollten sie nicht zulassen. Der russische Rang- und Aemteradel wollte sich dem alten livländischen Geburtsadel gleichstellen und mit ihm auf den Bänken der ständischen Deputirten sitzen. Es war ein Gegensatz der deutschen Nationalität mit der russischen. Ebendaher waren nicht nur die Betheiligten und zunächst Verlierenden durchaus gegen diese Statthalterschafts-Ordnung Katharinens, und suchten sie auf alle mögliche Weise durch alle Mittel und Wege als eine, Privilegien verletzende Usurpation und Neuerung zu hintertreiben, sondern alle Deutschen erhoben sich einstimmig dagegen, als gegen eine deutsche Nationalität und Gesellschaft bedrohende Anordnung. Die alten ächtdeutschen Collegien, Gerichte, Räthe, hatten, so wie die alten Zünfte und Gilden, trotz ihrer Einseitigkeit einen guten Fonds von Redlichkeit und Kraft, die jene von Rußland ausgehende Institution nicht besitzen konnten. Sie brachten eine Menge Russen ins Land, viel Fremdes in den Adel und führten russische Bestechlichkeit und Betrüglichkeit in die Gerichte und Magistrate ein. Was daher in jedem andern Lande eine Wohlthat fürs Ganze gewesen wäre, wenn auch ein Unrecht für den Theil, ward hier für Theil und Ganzes gleich unlieb und verhaßt.</p><lb/> <p>Nichtsdestoweniger wurde durch strenge Befehle die neue Ordnung eingeführt, und die alten Privilegien der Ostseeprovinzen, auf welche diese sich so viel zu Gute thaten, und die ihnen von den anderen russischen Unterthanen so sehr beneidet wurden, schienen auf immer ins Grab zu sinken. Indeß dauerte dieser neue, von allen Deutschen beklagte Zustand nur während der Regierung der Kaiserin Katharina, deren Sohn und Nachfolger Paul (im Jahr 1797) als Retter des baltischen Deutschthums erschien, indem er, theils um den Adel der Provinzen für sich zu gewinnen, theils aber bloß um eine Anordnung seiner ihm verhaßten Mutter rückgängig zu machen, den Provinzen die meisten ihrer alten Privilegien und Institutionen zurückgab. Der Rath von Riga ward wieder in seine alten Rechte gesetzt, das Landrathscollegium (für Livland der Reichsrath) wurde hergestellt, und die uralten Eintheilungen des Herzogthums Esthland in Wierland, Harvien, Land Jevwen und die Wiek, die auch von der neuen Gouvernements-Eintheilung verschwunden waren, erschienen wieder, so wie Livlands Eintheilung in seine alten fünf Kreise, den Riga'schen, Dorpat'schen, Pernau'schen, Wenden'schen und die Landschaft Oesel. Auch Kaiser Alexander stellte den Provinzen noch manche alte Privilegien zurück, und der jetzige Kaiser hat es im Ganzen beim Alten gelassen, und den Deutschen, die beständig wegen der Erhaltung ihrer Rechte in Besorgniß schweben, zu mehreren Malen versichert, daß es dabei sein Bewenden haben solle. Selbst bei der neuerlich beendigten Abfassung des allgemeinen russischen Civilcodex wurde auf die deutschen Provinzen besondere Rücksicht genommen. Der russische „Swod-Sakon“ (Gesetzbuch) hat für die Ostseeprovinzen keine durchgreifende Geltung erhalten. Vielmehr hat man aus diesen Provinzen eigene Deputirte nach St. Petersburg berufen und aus ihnen eine Commission gebildet für die Abfassung eines eigenen, deutsch-russischen Gesetzbuchs zur Regulirung ihrer Verhältnisse.</p><lb/> <p>(Beschluß folgt.)</p><lb/> </div> </div> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Französischer Verkehr mit Abyssinien</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 23 Mai.</dateline> <p> Der Verkehr von Frankreich mit Abyssinien ist seit einigen Jahren sehr lebhaft geworden. Combes und Tamisier, zwei unternehmende, aber ziemlich unwissende Saintsimonianer, kamen im Jahr 1837 von dort zurück, und ließen ihre Reisebeschreibung drucken. Im nächsten Jahr kam der Lieutenant Lefevre, welcher mit den Gebrüdern Abbadie dort gewesen war, zurück, und wurde mit einer neuen Mission<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1218/0010]
sein Landrathscollegium, vermöge dessen er das Land gouvernirt, und die meisten Gerichts- und Administrativstellen aus seiner Mitte besetzt. Endlich werden darin auch die Provinzen von vielen russischen Abgaben und ebenso auch von der Pflichtigkeit zur Stellung von Recruten frei erklärt. Ebenso bleibt der ganze Zustand der Gerichtsverfassung und des Privatrechts ganz so, wie er sich im Laufe der vorigen Zeiten ausgebildet.
Von diesen Vorrechten des Nystädter Friedens, zu denen auch eine völlige Handelsfreiheit gehörte, sind indeß im Laufe der Zeit bereits manche gefallen. Die Beschränkung des Handels durch Zölle ist immer größer und größer geworden. Recruten stellen die Provinzen schon lange, wie die übrigen russischen Gouvernements, und sie wurden auch allmählich auf dieselbe Weise besteuert, wie diese. Ja, im Jahr 1783, als Katharina ihre vielfach bewunderte und vielfach getadelte Stadtordnung und Statthalterschaftsverfassung beendigt hatte und einzuführen begann, schien es schon einmal, als sollte der ganze alte Zustand in den Provinzen, die alten freien Stadtverfassungen mit ihren Rathsherren und Bürgermeistern, der Adel mit seinen Majoratsherren, Landräthen und Ständen über den Haufen fallen. Jene Stadtordnung und Statthalterschaftsverfassung Katharinens mochte für das übrige eigentliche Rußland von sehr guten Folgen seyn. Sie war sogar in vieler Hinsicht liberal. Sie organisirte den Adel der Provinzen, der bisher hier in Rußland keine Organisation gehabt hatte, sie beschränkte die Rechte der Gouverneure, die in Rußland unbegränzt waren, sie ordnete neue Gerichte an, die bis dahin in Rußland noch sehr unausgebildet waren, und suchte einen eigenen Bürgerstand, von dem zuvor in Rußland alle Spur verschwunden war, zu schaffen, indem sie den Städten Oberhäupter gab und Magistrate, zu deren Wahl jeder Bürger der Commune berechtigt war. Ja sie hatte sogar in vieler Beziehung deutsche Verfassung und deutsche Zustände zum Vorbild genommen. Nichtsdestoweniger konnte ihre Einführung in den deutschen Ostseeprovinzen nichts Anderes als Unzufriedenheit, Sorge und Schmerz erregen. Die Ostseeprovinzen hatten vortreffliche alte deutsche Gerichte, die nun den neuen Anordnungen weichen sollten – sie hatten einen Bürgerstand und seine Oberhäupter an der Spitze, die nun vor den nach der neuen Weise Gewählten abdanken mußten – ihr Adel war organisirt und abgeschlossen, und das neue Gesetz wollte gegen seine alte Instruction und Privilegien seine Corporationen nach ganz anderen Grundsätzen reguliren. Dazu kam noch, daß alle die Güter, welche die Adelscorporation als solche besaß, eingezogen wurden.
Allerdings waren die Vorschriften der von Katharinen eingeführten Ordnung in vieler Hinsicht weit liberaler, als alle bis dahin in Livland existirenden Institutionen. Der Adel, der bisher eine Art von abgeschlossener aristokratischer Republik gebildet hatte, sollte Allen mehr zugänglich werden. Die Räthe und Stadtmagistrate, die bisher sich meistens aus sich selbst ergänzt hatten, sollten nun von allen Bürgern ohne Unterschied gewählt werden, wie auch ebenso alle Bürger ohne Unterschied dazu wählbar seyn sollten. Für die Bauern, welche bisher keine andern Gerichte gehabt hatten, als die von ihren adeligen Herren besetzten, wurden kaiserliche eingesetzt. Allein diese ganze Liberalität war weniger zum Vortheil der Deutschen des Landes, als zum Besten der sich überall einschleichenden Russen, die durch die bisherige collegiale Verfassung überall ausgeschlossen waren. Die russischen Bürger wollten in Riga, Rewal, Dorpat u. s. w. Sitz und Stimme gewinnen, und die deutschen Bürger wollten sie nicht zulassen. Der russische Rang- und Aemteradel wollte sich dem alten livländischen Geburtsadel gleichstellen und mit ihm auf den Bänken der ständischen Deputirten sitzen. Es war ein Gegensatz der deutschen Nationalität mit der russischen. Ebendaher waren nicht nur die Betheiligten und zunächst Verlierenden durchaus gegen diese Statthalterschafts-Ordnung Katharinens, und suchten sie auf alle mögliche Weise durch alle Mittel und Wege als eine, Privilegien verletzende Usurpation und Neuerung zu hintertreiben, sondern alle Deutschen erhoben sich einstimmig dagegen, als gegen eine deutsche Nationalität und Gesellschaft bedrohende Anordnung. Die alten ächtdeutschen Collegien, Gerichte, Räthe, hatten, so wie die alten Zünfte und Gilden, trotz ihrer Einseitigkeit einen guten Fonds von Redlichkeit und Kraft, die jene von Rußland ausgehende Institution nicht besitzen konnten. Sie brachten eine Menge Russen ins Land, viel Fremdes in den Adel und führten russische Bestechlichkeit und Betrüglichkeit in die Gerichte und Magistrate ein. Was daher in jedem andern Lande eine Wohlthat fürs Ganze gewesen wäre, wenn auch ein Unrecht für den Theil, ward hier für Theil und Ganzes gleich unlieb und verhaßt.
Nichtsdestoweniger wurde durch strenge Befehle die neue Ordnung eingeführt, und die alten Privilegien der Ostseeprovinzen, auf welche diese sich so viel zu Gute thaten, und die ihnen von den anderen russischen Unterthanen so sehr beneidet wurden, schienen auf immer ins Grab zu sinken. Indeß dauerte dieser neue, von allen Deutschen beklagte Zustand nur während der Regierung der Kaiserin Katharina, deren Sohn und Nachfolger Paul (im Jahr 1797) als Retter des baltischen Deutschthums erschien, indem er, theils um den Adel der Provinzen für sich zu gewinnen, theils aber bloß um eine Anordnung seiner ihm verhaßten Mutter rückgängig zu machen, den Provinzen die meisten ihrer alten Privilegien und Institutionen zurückgab. Der Rath von Riga ward wieder in seine alten Rechte gesetzt, das Landrathscollegium (für Livland der Reichsrath) wurde hergestellt, und die uralten Eintheilungen des Herzogthums Esthland in Wierland, Harvien, Land Jevwen und die Wiek, die auch von der neuen Gouvernements-Eintheilung verschwunden waren, erschienen wieder, so wie Livlands Eintheilung in seine alten fünf Kreise, den Riga'schen, Dorpat'schen, Pernau'schen, Wenden'schen und die Landschaft Oesel. Auch Kaiser Alexander stellte den Provinzen noch manche alte Privilegien zurück, und der jetzige Kaiser hat es im Ganzen beim Alten gelassen, und den Deutschen, die beständig wegen der Erhaltung ihrer Rechte in Besorgniß schweben, zu mehreren Malen versichert, daß es dabei sein Bewenden haben solle. Selbst bei der neuerlich beendigten Abfassung des allgemeinen russischen Civilcodex wurde auf die deutschen Provinzen besondere Rücksicht genommen. Der russische „Swod-Sakon“ (Gesetzbuch) hat für die Ostseeprovinzen keine durchgreifende Geltung erhalten. Vielmehr hat man aus diesen Provinzen eigene Deputirte nach St. Petersburg berufen und aus ihnen eine Commission gebildet für die Abfassung eines eigenen, deutsch-russischen Gesetzbuchs zur Regulirung ihrer Verhältnisse.
(Beschluß folgt.)
Französischer Verkehr mit Abyssinien.
_ Paris, 23 Mai. Der Verkehr von Frankreich mit Abyssinien ist seit einigen Jahren sehr lebhaft geworden. Combes und Tamisier, zwei unternehmende, aber ziemlich unwissende Saintsimonianer, kamen im Jahr 1837 von dort zurück, und ließen ihre Reisebeschreibung drucken. Im nächsten Jahr kam der Lieutenant Lefevre, welcher mit den Gebrüdern Abbadie dort gewesen war, zurück, und wurde mit einer neuen Mission
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |