Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 163. Augsburg, 11. Juni 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Augenblick, so gab es von jeher unter den obersten Häuptern des Staats deutsche Protestanten. Die Russen gestanden in dieser Hinsicht den Fremden mehr zu, als die Protestanten selber in vielen Ländern den katholischen Landsleuten, als die Engländer z. B. ihren Brüdern, den Irländern, die sie erst in allerneuester Zeit mit sich selbst auf gleichen Fuß setzten. Nie haben die Russen einen Versuch gemacht, die ihnen unterworfenen deutschen Protestanten zur griechischen Kirche zu bekehren, nie auch haben sie sich in ihre innern kirchlichen Angelegenheiten gemischt. Vielmehr behielt die lutherische Kirche in den Ostseeprovinzen von jeher ihre Unabhängigkeit von der griechischen und ihre eigenthümliche Verfassung und ihre Lehrsätze.

Die Prediger der lutherischen Kirche in Livland werden theils von den Patronatsherren eingesetzt, theils von den adeligen Mitgliedern der Kirchspiele gewählt, theils von den Gemeinden der Städte. Dieß geschieht auch noch jetzt, während im eigentlichen Rußland jeder Priester vom Kaiser ein- oder abgesetzt wird. Die Prediger gewisser Districte stehen wieder unter einem Propst, und die Pröpste mit den Predigern zusammen unter dem Oberconsistorium jeder Provinz. Diese drei Oberconsistorien hängen dann aber wieder von dem Generalconsistorium und dem Generalsuperintendenten für alle drei Provinzen in Petersburg ab, welches völlig unabhängig ist von dem sonst in Rußland an der Spitze aller geistlichen Angelegenheiten stehenden heiligen Synod.

Bei allem dem aber - obgleich die Sachen im Ganzen genommen sich so verhalten, wie wir sagten - muß man sich dennoch wohl hüten, zu wähnen, daß die lutherische so völlig unangefochten und friedlich neben der griechischen Kirche stehe, wie ein Bruder neben dem andern, daß gar keine Collisionen vorkämen, in denen die griechische Kirche sich ihrer politischen Oberherrlichkeit erinnere. Bei allem Lobe, das man mit Recht der Toleranz der griechischen Kirche macht, darf man nicht vergessen, daß sie zu Zeiten und in Fällen auch sehr intolerant seyn kann. Und wenn man ihre geringe Lust, Proselyten zu machen, anerkennt *), so muß man auf der andern Seite doch auch nicht vergessen, daß sie mit außerordentlicher Eifersucht die einzelnen Schafe ihrer Heerde bewacht, und nie duldet, daß eine oder die andere Seele, auf die sie nur aus irgend einem Grund Anspruch machen könnte, ihr entfremdet werde. Diese Collisionsfälle nun sind besonders interessant und einer nähern Betrachtung werth, aus welcher im Ganzen als Resultat hervorgehen wird, daß der Standpunkt der griechischen Kirche zwar im Ganzen mehr ein defensiver als ein offensiver ist, daß aber die Vertheidigung oft so weit ausgedehnt wird, daß sie nicht selten in Angriff umzuschlagen scheint.

Eine der aus jener defensiven Stellung der russischen Kirche hervorgehenden Fundamentalvorschriften, die von den Priestern gegeben und vom Staat anerkannt wurden, ist die, daß kein Gräko-Russe von der rechtgläubigen Kirche zu einer andern übergehen dürfe. Sollte ein solcher Uebergang sich dennoch innerhalb der Gränzen des Reichs ereignen, so werden die, welche dabei behülflich waren, bestraft, und der Proselyt selbst sieht sich mancherlei Nachtheilen ausgesetzt.

Die Religion steht bei den Russen so hoch und ist so innig verwebt mit ihrer ganzen nationalen Denk- und Sinnesweise, wie ihre Kirche mit dem Staate, wie die Idee des Kaisers mit der Vorstellung von Gott, daß der, welcher von seinem Glauben abfällt, auch von seinem Vaterlande, seinen Verwandten, seinem Gott, seinem Kaiser abzufallen und fast Hochverrath am Staat wie an der Kirche zu begehen scheint. Es kommt dieser Fall daher auch äußerst selten vor. Nie wird ein gemeiner Russe, so lange er auch unter Protestanten in den Ostseeprovinzen gelebt haben mag, zu diesen übergehen. Treuer als die Israeliten hängen die Russen an dem Glauben ihrer Väter. Selbst die Vornehmen, die sonst gegen alle Religion gleichgültig sind, verlassen doch selten die Gebräuche ihrer Religion und Kirche, und üben regelmäßig und gewissenhaft die gottesdienstlichen Handlungen wie jeder andere Russe. Sogar die polonisirten Russen in Galizien tragen nur mit widerstrebender Seele die ihnen aufgelegte Union mit dem Katholicismus. Und die Unirten der andern polnischen Provinzen haben wir mit Freudigkeit selbst noch nach langen Jahrhunderten zu dem Glauben ihrer Väter zurückkehren sehen. Die Gräko-Russen haben jenen defensiven Grundsatz, daß Niemand von seiner Kirche abfallen und zu einer andern Confession übergehen dürfe, noch dahin ausgedehnt, daß Niemand innerhalb der Gränzen des Reichs seine Religion vertauschen, getauft oder umgetauft werden dürfe, es sey denn zur griechischen Religion. Sie betrachten natürlich ihre rechtgläubige Kirche als die vorzüglich, und wenn auch nicht allein, doch als die vorzugsweise seligmachende. Es ist daher in ihren Augen unrecht, daß, wenn Jemanden über die Unzulänglichkeit seines bisherigen Glaubens die Augen geöffnet werden, er nicht gleich dem wahren und ächten Lichte sich zuwende. Wohl will die griechische Kirche die Andersgläubigen bei ihrem Glauben belassen, wenn sie mit Leib und Seele daran hangen und in ihrer Blindheit glauben das Rechte zu haben. Allein wenn dieß nicht der Fall ist, so bittet sie sich den Respect aus, und das Ueberlaufen von einem Confessionsirrthum zum andern will sie nicht dulden. Dem zufolge kann kein Katholik in Rußland Protestant werden. Kein Jude darf sich zu einem andern als griechisch-russischen Christen taufen lassen. Auch können keine Heiden durch Protestanten oder Katholiken zum Christenthum bekehrt werden. Ihre Taufe kann nur von griechischen Priestern ausgehen. Auch dadurch ist das Lutherthum an seinem Wachsthum wieder völlig gehemmt und völlig im Schach gehalten. Seine Ausbreitung ist nach allen Seiten hin platterdings unmöglich. Nur sehr selten kommt es doch vor, daß Juden oder Katholiken zu ihm übertreten, die, das Gesetz umgehend, in das Preußische oder sonst einen deutschen lutherischen Staat reisen, wo sie sich zum Lutherthum bekennen und aufnehmen lassen.

Umgekehrt dagegen wird jeder Andersgläubige gern und willig in den Schooß der russischen Kirche aufgenommen. Denn wenn dieselbe auch durchaus nicht so eifrig, wie eine andere christliche Confession nach Bekehrung der Andersgläubigen giert, und nie einen so viel triumphirenden Lärm schlägt über die gelungene Convertirung eines Ketzers, so kann sie doch natürlich nur gern sehen, wenn man sich ihrer Meinung anschließt. Ja, in gewissen Fällen macht sie die förmliche Bekennung zu ihrer Confession sogar zur Pflicht, und legt einen unabweislichen Zwang dazu auf. Der wichtigste dieser Fälle ist der, wo Jemand ein oder mehreremale das Abendmahl nach griechischem Ritus genossen. Jeder, dem es nachgewiesen werden kann, daß er einmal den heiligen Leib Christi aus der Hand eines griechischen Priesters empfing, ist dadurch durchaus der griechischen Kirche verfallen und wird genöthigt, öffentlich dem Glauben seiner Väter zu entsagen und zur griechischen Kirche überzutreten. In dem Löffel *) des

*) Es ist schade, daß der Verfasser, als er diese Stelle niederschrieb, nicht mit einigen Worten der Vorgänge mit der Union, dann in Polen, Griechenland und auf den jonischen Inseln gedachte.
*) Nach griechischem Ritus wird das Brod und Wein, in einem

Augenblick, so gab es von jeher unter den obersten Häuptern des Staats deutsche Protestanten. Die Russen gestanden in dieser Hinsicht den Fremden mehr zu, als die Protestanten selber in vielen Ländern den katholischen Landsleuten, als die Engländer z. B. ihren Brüdern, den Irländern, die sie erst in allerneuester Zeit mit sich selbst auf gleichen Fuß setzten. Nie haben die Russen einen Versuch gemacht, die ihnen unterworfenen deutschen Protestanten zur griechischen Kirche zu bekehren, nie auch haben sie sich in ihre innern kirchlichen Angelegenheiten gemischt. Vielmehr behielt die lutherische Kirche in den Ostseeprovinzen von jeher ihre Unabhängigkeit von der griechischen und ihre eigenthümliche Verfassung und ihre Lehrsätze.

Die Prediger der lutherischen Kirche in Livland werden theils von den Patronatsherren eingesetzt, theils von den adeligen Mitgliedern der Kirchspiele gewählt, theils von den Gemeinden der Städte. Dieß geschieht auch noch jetzt, während im eigentlichen Rußland jeder Priester vom Kaiser ein- oder abgesetzt wird. Die Prediger gewisser Districte stehen wieder unter einem Propst, und die Pröpste mit den Predigern zusammen unter dem Oberconsistorium jeder Provinz. Diese drei Oberconsistorien hängen dann aber wieder von dem Generalconsistorium und dem Generalsuperintendenten für alle drei Provinzen in Petersburg ab, welches völlig unabhängig ist von dem sonst in Rußland an der Spitze aller geistlichen Angelegenheiten stehenden heiligen Synod.

Bei allem dem aber – obgleich die Sachen im Ganzen genommen sich so verhalten, wie wir sagten – muß man sich dennoch wohl hüten, zu wähnen, daß die lutherische so völlig unangefochten und friedlich neben der griechischen Kirche stehe, wie ein Bruder neben dem andern, daß gar keine Collisionen vorkämen, in denen die griechische Kirche sich ihrer politischen Oberherrlichkeit erinnere. Bei allem Lobe, das man mit Recht der Toleranz der griechischen Kirche macht, darf man nicht vergessen, daß sie zu Zeiten und in Fällen auch sehr intolerant seyn kann. Und wenn man ihre geringe Lust, Proselyten zu machen, anerkennt *), so muß man auf der andern Seite doch auch nicht vergessen, daß sie mit außerordentlicher Eifersucht die einzelnen Schafe ihrer Heerde bewacht, und nie duldet, daß eine oder die andere Seele, auf die sie nur aus irgend einem Grund Anspruch machen könnte, ihr entfremdet werde. Diese Collisionsfälle nun sind besonders interessant und einer nähern Betrachtung werth, aus welcher im Ganzen als Resultat hervorgehen wird, daß der Standpunkt der griechischen Kirche zwar im Ganzen mehr ein defensiver als ein offensiver ist, daß aber die Vertheidigung oft so weit ausgedehnt wird, daß sie nicht selten in Angriff umzuschlagen scheint.

Eine der aus jener defensiven Stellung der russischen Kirche hervorgehenden Fundamentalvorschriften, die von den Priestern gegeben und vom Staat anerkannt wurden, ist die, daß kein Gräko-Russe von der rechtgläubigen Kirche zu einer andern übergehen dürfe. Sollte ein solcher Uebergang sich dennoch innerhalb der Gränzen des Reichs ereignen, so werden die, welche dabei behülflich waren, bestraft, und der Proselyt selbst sieht sich mancherlei Nachtheilen ausgesetzt.

Die Religion steht bei den Russen so hoch und ist so innig verwebt mit ihrer ganzen nationalen Denk- und Sinnesweise, wie ihre Kirche mit dem Staate, wie die Idee des Kaisers mit der Vorstellung von Gott, daß der, welcher von seinem Glauben abfällt, auch von seinem Vaterlande, seinen Verwandten, seinem Gott, seinem Kaiser abzufallen und fast Hochverrath am Staat wie an der Kirche zu begehen scheint. Es kommt dieser Fall daher auch äußerst selten vor. Nie wird ein gemeiner Russe, so lange er auch unter Protestanten in den Ostseeprovinzen gelebt haben mag, zu diesen übergehen. Treuer als die Israeliten hängen die Russen an dem Glauben ihrer Väter. Selbst die Vornehmen, die sonst gegen alle Religion gleichgültig sind, verlassen doch selten die Gebräuche ihrer Religion und Kirche, und üben regelmäßig und gewissenhaft die gottesdienstlichen Handlungen wie jeder andere Russe. Sogar die polonisirten Russen in Galizien tragen nur mit widerstrebender Seele die ihnen aufgelegte Union mit dem Katholicismus. Und die Unirten der andern polnischen Provinzen haben wir mit Freudigkeit selbst noch nach langen Jahrhunderten zu dem Glauben ihrer Väter zurückkehren sehen. Die Gräko-Russen haben jenen defensiven Grundsatz, daß Niemand von seiner Kirche abfallen und zu einer andern Confession übergehen dürfe, noch dahin ausgedehnt, daß Niemand innerhalb der Gränzen des Reichs seine Religion vertauschen, getauft oder umgetauft werden dürfe, es sey denn zur griechischen Religion. Sie betrachten natürlich ihre rechtgläubige Kirche als die vorzüglich, und wenn auch nicht allein, doch als die vorzugsweise seligmachende. Es ist daher in ihren Augen unrecht, daß, wenn Jemanden über die Unzulänglichkeit seines bisherigen Glaubens die Augen geöffnet werden, er nicht gleich dem wahren und ächten Lichte sich zuwende. Wohl will die griechische Kirche die Andersgläubigen bei ihrem Glauben belassen, wenn sie mit Leib und Seele daran hangen und in ihrer Blindheit glauben das Rechte zu haben. Allein wenn dieß nicht der Fall ist, so bittet sie sich den Respect aus, und das Ueberlaufen von einem Confessionsirrthum zum andern will sie nicht dulden. Dem zufolge kann kein Katholik in Rußland Protestant werden. Kein Jude darf sich zu einem andern als griechisch-russischen Christen taufen lassen. Auch können keine Heiden durch Protestanten oder Katholiken zum Christenthum bekehrt werden. Ihre Taufe kann nur von griechischen Priestern ausgehen. Auch dadurch ist das Lutherthum an seinem Wachsthum wieder völlig gehemmt und völlig im Schach gehalten. Seine Ausbreitung ist nach allen Seiten hin platterdings unmöglich. Nur sehr selten kommt es doch vor, daß Juden oder Katholiken zu ihm übertreten, die, das Gesetz umgehend, in das Preußische oder sonst einen deutschen lutherischen Staat reisen, wo sie sich zum Lutherthum bekennen und aufnehmen lassen.

Umgekehrt dagegen wird jeder Andersgläubige gern und willig in den Schooß der russischen Kirche aufgenommen. Denn wenn dieselbe auch durchaus nicht so eifrig, wie eine andere christliche Confession nach Bekehrung der Andersgläubigen giert, und nie einen so viel triumphirenden Lärm schlägt über die gelungene Convertirung eines Ketzers, so kann sie doch natürlich nur gern sehen, wenn man sich ihrer Meinung anschließt. Ja, in gewissen Fällen macht sie die förmliche Bekennung zu ihrer Confession sogar zur Pflicht, und legt einen unabweislichen Zwang dazu auf. Der wichtigste dieser Fälle ist der, wo Jemand ein oder mehreremale das Abendmahl nach griechischem Ritus genossen. Jeder, dem es nachgewiesen werden kann, daß er einmal den heiligen Leib Christi aus der Hand eines griechischen Priesters empfing, ist dadurch durchaus der griechischen Kirche verfallen und wird genöthigt, öffentlich dem Glauben seiner Väter zu entsagen und zur griechischen Kirche überzutreten. In dem Löffel *) des

*) Es ist schade, daß der Verfasser, als er diese Stelle niederschrieb, nicht mit einigen Worten der Vorgänge mit der Union, dann in Polen, Griechenland und auf den jonischen Inseln gedachte.
*) Nach griechischem Ritus wird das Brod und Wein, in einem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="1298"/>
Augenblick, so gab es von jeher unter den obersten Häuptern des Staats deutsche Protestanten. Die Russen gestanden in dieser Hinsicht den Fremden mehr zu, als die Protestanten selber in vielen Ländern den katholischen Landsleuten, als die Engländer z. B. ihren Brüdern, den Irländern, die sie erst in allerneuester Zeit mit sich selbst auf gleichen Fuß setzten. Nie haben die Russen einen Versuch gemacht, die ihnen unterworfenen deutschen Protestanten zur griechischen Kirche zu bekehren, nie auch haben sie sich in ihre innern kirchlichen Angelegenheiten gemischt. Vielmehr behielt die lutherische Kirche in den Ostseeprovinzen von jeher ihre Unabhängigkeit von der griechischen und ihre eigenthümliche Verfassung und ihre Lehrsätze.</p><lb/>
        <p>Die Prediger der lutherischen Kirche in Livland werden theils von den Patronatsherren eingesetzt, theils von den adeligen Mitgliedern der Kirchspiele gewählt, theils von den Gemeinden der Städte. Dieß geschieht auch noch jetzt, während im eigentlichen Rußland jeder Priester vom Kaiser ein- oder abgesetzt wird. Die Prediger gewisser Districte stehen wieder unter einem Propst, und die Pröpste mit den Predigern zusammen unter dem Oberconsistorium jeder Provinz. Diese drei Oberconsistorien hängen dann aber wieder von dem Generalconsistorium und dem Generalsuperintendenten für alle drei Provinzen in Petersburg ab, welches völlig unabhängig ist von dem sonst in Rußland an der Spitze aller geistlichen Angelegenheiten stehenden heiligen Synod.</p><lb/>
        <p>Bei allem dem aber &#x2013; obgleich die Sachen im Ganzen genommen sich so verhalten, wie wir sagten &#x2013; muß man sich dennoch wohl hüten, zu wähnen, daß die lutherische so völlig unangefochten und friedlich neben der griechischen Kirche stehe, wie ein Bruder neben dem andern, daß gar keine Collisionen vorkämen, in denen die griechische Kirche sich ihrer politischen Oberherrlichkeit erinnere. Bei allem Lobe, das man mit Recht der Toleranz der griechischen Kirche macht, darf man nicht vergessen, daß sie zu Zeiten und in Fällen auch sehr intolerant seyn kann. Und wenn man ihre geringe Lust, Proselyten zu machen, anerkennt <note place="foot" n="*)"><p>Es ist schade, daß der Verfasser, als er diese Stelle niederschrieb, nicht mit einigen Worten der Vorgänge mit der Union, dann in Polen, Griechenland und auf den jonischen Inseln gedachte.</p></note>, so muß man auf der andern Seite doch auch nicht vergessen, daß sie mit außerordentlicher Eifersucht die einzelnen Schafe ihrer Heerde bewacht, und nie duldet, daß eine oder die andere Seele, auf die sie nur aus irgend einem Grund Anspruch machen könnte, ihr entfremdet werde. Diese Collisionsfälle nun sind besonders interessant und einer nähern Betrachtung werth, aus welcher im Ganzen als Resultat hervorgehen wird, daß der Standpunkt der griechischen Kirche zwar im Ganzen mehr ein defensiver als ein offensiver ist, daß aber die Vertheidigung oft so weit ausgedehnt wird, daß sie nicht selten in Angriff umzuschlagen scheint.</p><lb/>
        <p>Eine der aus jener defensiven Stellung der russischen Kirche hervorgehenden Fundamentalvorschriften, die von den Priestern gegeben und vom Staat anerkannt wurden, ist die, daß kein Gräko-Russe von der rechtgläubigen Kirche zu einer andern übergehen dürfe. Sollte ein solcher Uebergang sich dennoch innerhalb der Gränzen des Reichs ereignen, so werden die, welche dabei behülflich waren, bestraft, und der Proselyt selbst sieht sich mancherlei Nachtheilen ausgesetzt.</p><lb/>
        <p>Die Religion steht bei den Russen so hoch und ist so innig verwebt mit ihrer ganzen nationalen Denk- und Sinnesweise, wie ihre Kirche mit dem Staate, wie die Idee des Kaisers mit der Vorstellung von Gott, daß der, welcher von seinem Glauben abfällt, auch von seinem Vaterlande, seinen Verwandten, seinem Gott, seinem Kaiser abzufallen und fast Hochverrath am Staat wie an der Kirche zu begehen scheint. Es kommt dieser Fall daher auch äußerst selten vor. Nie wird ein gemeiner Russe, so lange er auch unter Protestanten in den Ostseeprovinzen gelebt haben mag, zu diesen übergehen. Treuer als die Israeliten hängen die Russen an dem Glauben ihrer Väter. Selbst die Vornehmen, die sonst gegen alle Religion gleichgültig sind, verlassen doch selten die Gebräuche ihrer Religion und Kirche, und üben regelmäßig und gewissenhaft die gottesdienstlichen Handlungen wie jeder andere Russe. Sogar die polonisirten Russen in Galizien tragen nur mit widerstrebender Seele die ihnen aufgelegte Union mit dem Katholicismus. Und die Unirten der andern polnischen Provinzen haben wir mit Freudigkeit selbst noch nach langen Jahrhunderten zu dem Glauben ihrer Väter zurückkehren sehen. Die Gräko-Russen haben jenen defensiven Grundsatz, daß Niemand von seiner Kirche abfallen und zu einer andern Confession übergehen dürfe, noch dahin ausgedehnt, daß Niemand innerhalb der Gränzen des Reichs seine Religion vertauschen, getauft oder umgetauft werden dürfe, es sey denn zur griechischen Religion. Sie betrachten natürlich ihre rechtgläubige Kirche als die vorzüglich, und wenn auch nicht allein, doch als die vorzugsweise seligmachende. Es ist daher in ihren Augen unrecht, daß, wenn Jemanden über die Unzulänglichkeit seines bisherigen Glaubens die Augen geöffnet werden, er nicht gleich dem wahren und ächten Lichte sich zuwende. Wohl will die griechische Kirche die Andersgläubigen bei ihrem Glauben belassen, wenn sie mit Leib und Seele daran hangen und in ihrer Blindheit glauben das Rechte zu haben. Allein wenn dieß nicht der Fall ist, so bittet sie sich den Respect aus, und das Ueberlaufen von einem Confessionsirrthum zum andern will sie nicht dulden. Dem zufolge kann kein Katholik in Rußland Protestant werden. Kein Jude darf sich zu einem andern als griechisch-russischen Christen taufen lassen. Auch können keine Heiden durch Protestanten oder Katholiken zum Christenthum bekehrt werden. Ihre Taufe kann nur von griechischen Priestern ausgehen. Auch dadurch ist das Lutherthum an seinem Wachsthum wieder völlig gehemmt und völlig im Schach gehalten. Seine Ausbreitung ist nach allen Seiten hin platterdings unmöglich. Nur sehr selten kommt es doch vor, daß Juden oder Katholiken zu ihm übertreten, die, das Gesetz umgehend, in das Preußische oder sonst einen deutschen lutherischen Staat reisen, wo sie sich zum Lutherthum bekennen und aufnehmen lassen.</p><lb/>
        <p>Umgekehrt dagegen wird jeder Andersgläubige gern und willig in den Schooß der russischen Kirche aufgenommen. Denn wenn dieselbe auch durchaus nicht so eifrig, wie eine andere christliche Confession nach Bekehrung der Andersgläubigen giert, und nie einen so viel triumphirenden Lärm schlägt über die gelungene Convertirung eines Ketzers, so kann sie doch natürlich nur gern sehen, wenn man sich ihrer Meinung anschließt. Ja, in gewissen Fällen macht sie die förmliche Bekennung zu ihrer Confession sogar zur Pflicht, und legt einen unabweislichen Zwang dazu auf. Der wichtigste dieser Fälle ist der, wo Jemand ein oder mehreremale das Abendmahl nach griechischem Ritus genossen. Jeder, dem es nachgewiesen werden kann, daß er einmal den heiligen Leib Christi aus der Hand eines griechischen Priesters empfing, ist dadurch durchaus der griechischen Kirche verfallen und wird genöthigt, öffentlich dem Glauben seiner Väter zu entsagen und zur griechischen Kirche überzutreten. In dem Löffel <note xml:id="löffel1" next="#löffel2" place="foot" n="*)"><p>Nach griechischem Ritus wird das Brod und Wein, in einem</p></note> des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1298/0010] Augenblick, so gab es von jeher unter den obersten Häuptern des Staats deutsche Protestanten. Die Russen gestanden in dieser Hinsicht den Fremden mehr zu, als die Protestanten selber in vielen Ländern den katholischen Landsleuten, als die Engländer z. B. ihren Brüdern, den Irländern, die sie erst in allerneuester Zeit mit sich selbst auf gleichen Fuß setzten. Nie haben die Russen einen Versuch gemacht, die ihnen unterworfenen deutschen Protestanten zur griechischen Kirche zu bekehren, nie auch haben sie sich in ihre innern kirchlichen Angelegenheiten gemischt. Vielmehr behielt die lutherische Kirche in den Ostseeprovinzen von jeher ihre Unabhängigkeit von der griechischen und ihre eigenthümliche Verfassung und ihre Lehrsätze. Die Prediger der lutherischen Kirche in Livland werden theils von den Patronatsherren eingesetzt, theils von den adeligen Mitgliedern der Kirchspiele gewählt, theils von den Gemeinden der Städte. Dieß geschieht auch noch jetzt, während im eigentlichen Rußland jeder Priester vom Kaiser ein- oder abgesetzt wird. Die Prediger gewisser Districte stehen wieder unter einem Propst, und die Pröpste mit den Predigern zusammen unter dem Oberconsistorium jeder Provinz. Diese drei Oberconsistorien hängen dann aber wieder von dem Generalconsistorium und dem Generalsuperintendenten für alle drei Provinzen in Petersburg ab, welches völlig unabhängig ist von dem sonst in Rußland an der Spitze aller geistlichen Angelegenheiten stehenden heiligen Synod. Bei allem dem aber – obgleich die Sachen im Ganzen genommen sich so verhalten, wie wir sagten – muß man sich dennoch wohl hüten, zu wähnen, daß die lutherische so völlig unangefochten und friedlich neben der griechischen Kirche stehe, wie ein Bruder neben dem andern, daß gar keine Collisionen vorkämen, in denen die griechische Kirche sich ihrer politischen Oberherrlichkeit erinnere. Bei allem Lobe, das man mit Recht der Toleranz der griechischen Kirche macht, darf man nicht vergessen, daß sie zu Zeiten und in Fällen auch sehr intolerant seyn kann. Und wenn man ihre geringe Lust, Proselyten zu machen, anerkennt *), so muß man auf der andern Seite doch auch nicht vergessen, daß sie mit außerordentlicher Eifersucht die einzelnen Schafe ihrer Heerde bewacht, und nie duldet, daß eine oder die andere Seele, auf die sie nur aus irgend einem Grund Anspruch machen könnte, ihr entfremdet werde. Diese Collisionsfälle nun sind besonders interessant und einer nähern Betrachtung werth, aus welcher im Ganzen als Resultat hervorgehen wird, daß der Standpunkt der griechischen Kirche zwar im Ganzen mehr ein defensiver als ein offensiver ist, daß aber die Vertheidigung oft so weit ausgedehnt wird, daß sie nicht selten in Angriff umzuschlagen scheint. Eine der aus jener defensiven Stellung der russischen Kirche hervorgehenden Fundamentalvorschriften, die von den Priestern gegeben und vom Staat anerkannt wurden, ist die, daß kein Gräko-Russe von der rechtgläubigen Kirche zu einer andern übergehen dürfe. Sollte ein solcher Uebergang sich dennoch innerhalb der Gränzen des Reichs ereignen, so werden die, welche dabei behülflich waren, bestraft, und der Proselyt selbst sieht sich mancherlei Nachtheilen ausgesetzt. Die Religion steht bei den Russen so hoch und ist so innig verwebt mit ihrer ganzen nationalen Denk- und Sinnesweise, wie ihre Kirche mit dem Staate, wie die Idee des Kaisers mit der Vorstellung von Gott, daß der, welcher von seinem Glauben abfällt, auch von seinem Vaterlande, seinen Verwandten, seinem Gott, seinem Kaiser abzufallen und fast Hochverrath am Staat wie an der Kirche zu begehen scheint. Es kommt dieser Fall daher auch äußerst selten vor. Nie wird ein gemeiner Russe, so lange er auch unter Protestanten in den Ostseeprovinzen gelebt haben mag, zu diesen übergehen. Treuer als die Israeliten hängen die Russen an dem Glauben ihrer Väter. Selbst die Vornehmen, die sonst gegen alle Religion gleichgültig sind, verlassen doch selten die Gebräuche ihrer Religion und Kirche, und üben regelmäßig und gewissenhaft die gottesdienstlichen Handlungen wie jeder andere Russe. Sogar die polonisirten Russen in Galizien tragen nur mit widerstrebender Seele die ihnen aufgelegte Union mit dem Katholicismus. Und die Unirten der andern polnischen Provinzen haben wir mit Freudigkeit selbst noch nach langen Jahrhunderten zu dem Glauben ihrer Väter zurückkehren sehen. Die Gräko-Russen haben jenen defensiven Grundsatz, daß Niemand von seiner Kirche abfallen und zu einer andern Confession übergehen dürfe, noch dahin ausgedehnt, daß Niemand innerhalb der Gränzen des Reichs seine Religion vertauschen, getauft oder umgetauft werden dürfe, es sey denn zur griechischen Religion. Sie betrachten natürlich ihre rechtgläubige Kirche als die vorzüglich, und wenn auch nicht allein, doch als die vorzugsweise seligmachende. Es ist daher in ihren Augen unrecht, daß, wenn Jemanden über die Unzulänglichkeit seines bisherigen Glaubens die Augen geöffnet werden, er nicht gleich dem wahren und ächten Lichte sich zuwende. Wohl will die griechische Kirche die Andersgläubigen bei ihrem Glauben belassen, wenn sie mit Leib und Seele daran hangen und in ihrer Blindheit glauben das Rechte zu haben. Allein wenn dieß nicht der Fall ist, so bittet sie sich den Respect aus, und das Ueberlaufen von einem Confessionsirrthum zum andern will sie nicht dulden. Dem zufolge kann kein Katholik in Rußland Protestant werden. Kein Jude darf sich zu einem andern als griechisch-russischen Christen taufen lassen. Auch können keine Heiden durch Protestanten oder Katholiken zum Christenthum bekehrt werden. Ihre Taufe kann nur von griechischen Priestern ausgehen. Auch dadurch ist das Lutherthum an seinem Wachsthum wieder völlig gehemmt und völlig im Schach gehalten. Seine Ausbreitung ist nach allen Seiten hin platterdings unmöglich. Nur sehr selten kommt es doch vor, daß Juden oder Katholiken zu ihm übertreten, die, das Gesetz umgehend, in das Preußische oder sonst einen deutschen lutherischen Staat reisen, wo sie sich zum Lutherthum bekennen und aufnehmen lassen. Umgekehrt dagegen wird jeder Andersgläubige gern und willig in den Schooß der russischen Kirche aufgenommen. Denn wenn dieselbe auch durchaus nicht so eifrig, wie eine andere christliche Confession nach Bekehrung der Andersgläubigen giert, und nie einen so viel triumphirenden Lärm schlägt über die gelungene Convertirung eines Ketzers, so kann sie doch natürlich nur gern sehen, wenn man sich ihrer Meinung anschließt. Ja, in gewissen Fällen macht sie die förmliche Bekennung zu ihrer Confession sogar zur Pflicht, und legt einen unabweislichen Zwang dazu auf. Der wichtigste dieser Fälle ist der, wo Jemand ein oder mehreremale das Abendmahl nach griechischem Ritus genossen. Jeder, dem es nachgewiesen werden kann, daß er einmal den heiligen Leib Christi aus der Hand eines griechischen Priesters empfing, ist dadurch durchaus der griechischen Kirche verfallen und wird genöthigt, öffentlich dem Glauben seiner Väter zu entsagen und zur griechischen Kirche überzutreten. In dem Löffel *) des *) Es ist schade, daß der Verfasser, als er diese Stelle niederschrieb, nicht mit einigen Worten der Vorgänge mit der Union, dann in Polen, Griechenland und auf den jonischen Inseln gedachte. *) Nach griechischem Ritus wird das Brod und Wein, in einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_163_18400611
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_163_18400611/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 163. Augsburg, 11. Juni 1840, S. 1298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_163_18400611/10>, abgerufen am 21.11.2024.