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Allgemeine Zeitung. Nr. 166. Augsburg, 14. Juni 1840.

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nächst Gott auf St. Spyridon und St. Dimitri setzen, den rechtgläubigen Imperator von Moskovien als ihren natürlichen Herrn erkennen, zu Mittag Oliven essen und im Handel dreißig Procent Interessen nehmen. Diese Vorstellung ist freilich nicht poetisch. Setzt nun dieselbe Frage an einen deutschen Gelehrten, und er wird euch alles Große und Schöne der Vorzeit, vom trojanischen Krieg bis Philopömen herab in begeistertem Redeschwung ins Gedächtniß rufen, euch mit Dichtern, Feldherren, Tugendhelden, Künstlern und Weisen betäuben, und zum Schlusse jedesmal hinzufügen, dieß Alles sey heute noch auf Morea und in Rumelien augenblicklich zu haben, wenn man nur das nöthige Geld zusammenbringe. Wir gaben reichlich, wimmerten und bettelten durch ganz Europa, um "die genialen, tapfern, tugendhaften" Hellenen zu retten. Aber die Führer dieser modernen Sokratesse und Phocione steckten die Gaben in die Tasche, verkauften die aus Europa hingeschafften Lebensmittel gegen baare Bezahlung an die Türken *), lachen heute noch über die Gutmüthigkeit der "Franki", rufen die orthodoxen Russen an und wollen uns als Ungläubige gar noch aus ihrem Lande vertreiben. Das soll uns aber nicht verdrießen. Die gute Handlung verliert nichts an ihrem Werth, und von jeher und überall war für den Deutschen nur der Aufwand und die Arbeit, für andere aber die Ehre und der Lohn. Sic vos non vobis fertis aratra boves. Mögen immerhin andere in Griechenland ernten, was wir gesäet, und mögen die Russen in ihren Büchern, so oft sie wollen, von "stillen und melancholischen Germanen", von "arbeitsamen, phlegmatischen Deutschen" reden. Uns kümmert das eben so wenig, als wenn Paskjewitsch's Unterlieutenants, die Kars gestürmt und die Festungswälle von Akhalziche mit Leichen ausgefüllt haben, das empfindsame deutsche Volk mit dem Titel "geräucherter Schmerz" beehren. Wir wissen doch besser als diese Russen, wie sich die Partikel [fremdsprachliches Material - fehlt] von der Partikel [fremdsprachliches Material - fehlt] unterscheidet, und wann [fremdsprachliches Material - fehlt] den Conjunctiv regiert. Das ist uns Lohnes genug, und mit dieser Summe denken sich die deutschen Mittelstaaten zuletzt auch der russischen Protection zu erwehren, mit der uns der Pentarchist bedroht. Man hat bei uns nichts dagegen, wenn die Russen da und dort im freundlichen Deutschland guten Rath ertheilen, schützen, helfen, wehren wider gallische Arglist und einheimischen Demokratenschwindel. Die Hülfe muß aber auf Begehr, rechtzeitig, kurz, nachdrucksam und vor Allem gratis geleistet werden. Dafür geben wir, so lange die Arbeit dauert, gute Kost und Quartier, und lassen die Russen, als harmlose, gefällige Nachbarn, sogar in unsern Geschäften mitreden, wenn sie für gemeinsames Wohl etwas Verständiges zu sagen wissen. Vormundschaft aber wird verschmäht, und Alles erhöhe sich in unsern Landen gegen das Ansinnen, deutschem Volksleben Einheit der Bewegung mit Zucht und Schritt der Preobraschenzkischen Garde aufzunöthigen. Lasse sich ja etwa kein moskowitischer Archidamus in den Sinn kommen, wir seyen bei unserer Vorliebe für das Griechische auch der Meinung, "daß es den schönsten Anblick und die größte Sicherheit gewähre, wenn sich eine aus den verschiedenartigsten Elementen zusammengefügte Masse nach Einem Tact bewege."**) Dergleichen wäre in Deutschland unmöglich. Im Gegentheil ist und bleibt es bei uns wie in Afghanistan, wo, nach Elphinstone, jeder das Erzeugniß seines eigenen Feldes ißt, seiner Wege geht und Niemand irgend etwas mit seinem Nachbar zu schaffen hat.

Patriotische und talentvolle Männer haben in diesen Blättern, und auch anderswo, mit viel Einsicht und Geschick deutsche Kraft und Rüstigkeit gemustert, so daß es unnöthig wäre, noch einmal von unserer Stärke zu eventueller Abwehr fremden Unglimpfes zu reden. Nur in Einem Punkt, aber in einem wesentlichen, ist man nicht der Meinung jener ehrenwerthen Vorgänger, wofür man jedoch höflichst um Verzeihung bittet. Die Herren, fürchte ich, schätzen, wenn auch nicht uns selbst etwas zu hoch, jedenfalls die Hülfsmittel der Gegner etwas zu gering. Sie blicken auf die Prätensionen des Pentarchisten bloß deßwegen mit Achselzucken herab, weil in Rußland die Casernen gewöhnlich besser besetzt sind als die Schulbänke, und an Conjugationstabellen und gelehrten Abhandlungen über die Rangordnung der Buchstaben im Alphabet das große moskowische Reich jährlich vielleicht kaum so viel hervorbringt, als der kleinste Staat des deutschen Bundes. Die Otroschenko, die Yermoloff, die Eriwanski, die Ostermann, siegreiche Feldherren der Russen, beurtheilen ohne Zweifel mit mehr Talent eine militärische Position, als das feingebürstete Compendium eines Leipziger Magisters. Daß wir aber unter diesem Titel allein schon allzeit und überall, in Verhandlungen wie im Krieg, die Stärkeren seyen und gar nichts zu besorgen haben, wäre ein gewagter Schluß. Gelehrter sind wir freilich als die Russen. Die Hellenen hatten aber auch keinen Mangel an Grammatikern, Recensenten und geschwätzigen Staatsphilosophen, die sogar dem Veteran von Trasimen und Cannä Vorlesungen über die Feldherrnkunst hielten, aber mit all ihrem Wissen die Heimath dennoch nicht gegen die Sextius Ligustinus und Genossen, lauter unwissende, aber handfeste Bauernjungen aus Latium, zu bewahren vermochten. Man enthält sich aller Vergleiche und Anspielungen, räth aber doch zu etwas mehr Klugheit und Vorsicht, weil erste Bürgschaft des Erfolgs überall in richtiger Schätzung der Partei besteht.

Die Kehrseite der Pentarchie.

(Beschluß.)

Es ist interessant zu verfolgen (so fahren die historisch-politischen Blätter fort), wie dann, immer zu dem angedeuteten doppelten Zweck, die Laufgräben gegen Oesterreich und Preußen weiter geführt werden.

"Immer wird, sagt der Pentarchist, der bundesgesetzmäßige Primat Oesterreichs dahin wirken, Preußen darauf aufmerksam zu machen, daß es die schwächste Hauptmacht von Europa, und auch in Deutschland nur als die zweite Macht anerkannt sey. Bei diesem Gefühl liegt der Gedanke sehr nahe, daß Vergrößerung Bedürfniß sey. Auch erklärte sich einstmals der Staatskanzler Fürst Hardenberg zu dem ehemaligen bayerischen Gesandten am Berliner Hofe, Grafen Joseph von Rechberg, als letzterer ihm die Bemerkung machte, daß die Acquisition der Rheinprovinzen für Preußen kein wahrer Machtgewinn sey, dahin: ""Die Rheinprovinzen sind die Vorbedingung zu der möglichen Erwerbung von Holland, und insofern unschätzbar."" Mit einer Vergrößerung der preußischen Macht in solcher Art wäre aber das ganze künstliche Föderativsystem der Bundesacte zerstört, und doch könnte sich Preußen nur auf diese Weise wirklich verstärken."

Aber auch Oesterreich vermöge nicht die Schutzmacht der deutschen "Centralassociation" zu seyn? Weßhalb? weil es "durch Deutschland in seinen magyarischen, slavischen und italienischen Erblanden sich geschadet hat."

*) ,J'ai entre les mains la preuve materielle que la catastrophe de Mesolonghi n'est que le resultat de malversations semblables", sagt Kapodistrias in seiner von Betan herausgegebenen Correspondenz, I, 508.
**) [fremdsprachliches Material - fehlt]

nächst Gott auf St. Spyridon und St. Dimitri setzen, den rechtgläubigen Imperator von Moskovien als ihren natürlichen Herrn erkennen, zu Mittag Oliven essen und im Handel dreißig Procent Interessen nehmen. Diese Vorstellung ist freilich nicht poetisch. Setzt nun dieselbe Frage an einen deutschen Gelehrten, und er wird euch alles Große und Schöne der Vorzeit, vom trojanischen Krieg bis Philopömen herab in begeistertem Redeschwung ins Gedächtniß rufen, euch mit Dichtern, Feldherren, Tugendhelden, Künstlern und Weisen betäuben, und zum Schlusse jedesmal hinzufügen, dieß Alles sey heute noch auf Morea und in Rumelien augenblicklich zu haben, wenn man nur das nöthige Geld zusammenbringe. Wir gaben reichlich, wimmerten und bettelten durch ganz Europa, um „die genialen, tapfern, tugendhaften“ Hellenen zu retten. Aber die Führer dieser modernen Sokratesse und Phocione steckten die Gaben in die Tasche, verkauften die aus Europa hingeschafften Lebensmittel gegen baare Bezahlung an die Türken *), lachen heute noch über die Gutmüthigkeit der „Franki“, rufen die orthodoxen Russen an und wollen uns als Ungläubige gar noch aus ihrem Lande vertreiben. Das soll uns aber nicht verdrießen. Die gute Handlung verliert nichts an ihrem Werth, und von jeher und überall war für den Deutschen nur der Aufwand und die Arbeit, für andere aber die Ehre und der Lohn. Sic vos non vobis fertis aratra boves. Mögen immerhin andere in Griechenland ernten, was wir gesäet, und mögen die Russen in ihren Büchern, so oft sie wollen, von „stillen und melancholischen Germanen“, von „arbeitsamen, phlegmatischen Deutschen“ reden. Uns kümmert das eben so wenig, als wenn Paskjewitsch's Unterlieutenants, die Kars gestürmt und die Festungswälle von Akhalziche mit Leichen ausgefüllt haben, das empfindsame deutsche Volk mit dem Titel „geräucherter Schmerz“ beehren. Wir wissen doch besser als diese Russen, wie sich die Partikel [fremdsprachliches Material – fehlt] von der Partikel [fremdsprachliches Material – fehlt] unterscheidet, und wann [fremdsprachliches Material – fehlt] den Conjunctiv regiert. Das ist uns Lohnes genug, und mit dieser Summe denken sich die deutschen Mittelstaaten zuletzt auch der russischen Protection zu erwehren, mit der uns der Pentarchist bedroht. Man hat bei uns nichts dagegen, wenn die Russen da und dort im freundlichen Deutschland guten Rath ertheilen, schützen, helfen, wehren wider gallische Arglist und einheimischen Demokratenschwindel. Die Hülfe muß aber auf Begehr, rechtzeitig, kurz, nachdrucksam und vor Allem gratis geleistet werden. Dafür geben wir, so lange die Arbeit dauert, gute Kost und Quartier, und lassen die Russen, als harmlose, gefällige Nachbarn, sogar in unsern Geschäften mitreden, wenn sie für gemeinsames Wohl etwas Verständiges zu sagen wissen. Vormundschaft aber wird verschmäht, und Alles erhöhe sich in unsern Landen gegen das Ansinnen, deutschem Volksleben Einheit der Bewegung mit Zucht und Schritt der Preobraschenzkischen Garde aufzunöthigen. Lasse sich ja etwa kein moskowitischer Archidamus in den Sinn kommen, wir seyen bei unserer Vorliebe für das Griechische auch der Meinung, „daß es den schönsten Anblick und die größte Sicherheit gewähre, wenn sich eine aus den verschiedenartigsten Elementen zusammengefügte Masse nach Einem Tact bewege.“**) Dergleichen wäre in Deutschland unmöglich. Im Gegentheil ist und bleibt es bei uns wie in Afghanistan, wo, nach Elphinstone, jeder das Erzeugniß seines eigenen Feldes ißt, seiner Wege geht und Niemand irgend etwas mit seinem Nachbar zu schaffen hat.

Patriotische und talentvolle Männer haben in diesen Blättern, und auch anderswo, mit viel Einsicht und Geschick deutsche Kraft und Rüstigkeit gemustert, so daß es unnöthig wäre, noch einmal von unserer Stärke zu eventueller Abwehr fremden Unglimpfes zu reden. Nur in Einem Punkt, aber in einem wesentlichen, ist man nicht der Meinung jener ehrenwerthen Vorgänger, wofür man jedoch höflichst um Verzeihung bittet. Die Herren, fürchte ich, schätzen, wenn auch nicht uns selbst etwas zu hoch, jedenfalls die Hülfsmittel der Gegner etwas zu gering. Sie blicken auf die Prätensionen des Pentarchisten bloß deßwegen mit Achselzucken herab, weil in Rußland die Casernen gewöhnlich besser besetzt sind als die Schulbänke, und an Conjugationstabellen und gelehrten Abhandlungen über die Rangordnung der Buchstaben im Alphabet das große moskowische Reich jährlich vielleicht kaum so viel hervorbringt, als der kleinste Staat des deutschen Bundes. Die Otroschenko, die Yermoloff, die Eriwanski, die Ostermann, siegreiche Feldherren der Russen, beurtheilen ohne Zweifel mit mehr Talent eine militärische Position, als das feingebürstete Compendium eines Leipziger Magisters. Daß wir aber unter diesem Titel allein schon allzeit und überall, in Verhandlungen wie im Krieg, die Stärkeren seyen und gar nichts zu besorgen haben, wäre ein gewagter Schluß. Gelehrter sind wir freilich als die Russen. Die Hellenen hatten aber auch keinen Mangel an Grammatikern, Recensenten und geschwätzigen Staatsphilosophen, die sogar dem Veteran von Trasimen und Cannä Vorlesungen über die Feldherrnkunst hielten, aber mit all ihrem Wissen die Heimath dennoch nicht gegen die Sextius Ligustinus und Genossen, lauter unwissende, aber handfeste Bauernjungen aus Latium, zu bewahren vermochten. Man enthält sich aller Vergleiche und Anspielungen, räth aber doch zu etwas mehr Klugheit und Vorsicht, weil erste Bürgschaft des Erfolgs überall in richtiger Schätzung der Partei besteht.

Die Kehrseite der Pentarchie.

(Beschluß.)

Es ist interessant zu verfolgen (so fahren die historisch-politischen Blätter fort), wie dann, immer zu dem angedeuteten doppelten Zweck, die Laufgräben gegen Oesterreich und Preußen weiter geführt werden.

„Immer wird, sagt der Pentarchist, der bundesgesetzmäßige Primat Oesterreichs dahin wirken, Preußen darauf aufmerksam zu machen, daß es die schwächste Hauptmacht von Europa, und auch in Deutschland nur als die zweite Macht anerkannt sey. Bei diesem Gefühl liegt der Gedanke sehr nahe, daß Vergrößerung Bedürfniß sey. Auch erklärte sich einstmals der Staatskanzler Fürst Hardenberg zu dem ehemaligen bayerischen Gesandten am Berliner Hofe, Grafen Joseph von Rechberg, als letzterer ihm die Bemerkung machte, daß die Acquisition der Rheinprovinzen für Preußen kein wahrer Machtgewinn sey, dahin: „„Die Rheinprovinzen sind die Vorbedingung zu der möglichen Erwerbung von Holland, und insofern unschätzbar.““ Mit einer Vergrößerung der preußischen Macht in solcher Art wäre aber das ganze künstliche Föderativsystem der Bundesacte zerstört, und doch könnte sich Preußen nur auf diese Weise wirklich verstärken.“

Aber auch Oesterreich vermöge nicht die Schutzmacht der deutschen „Centralassociation“ zu seyn? Weßhalb? weil es „durch Deutschland in seinen magyarischen, slavischen und italienischen Erblanden sich geschadet hat.“

*) ‚J'ai entre les mains la preuve matérielle que la catastrophe de Mesolonghi n'est que le résultat de malversations semblables“, sagt Kapodistrias in seiner von Bétan herausgegebenen Correspondenz, I, 508.
**) [fremdsprachliches Material – fehlt]
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nächst Gott auf St. Spyridon und St. Dimitri setzen, den rechtgläubigen Imperator von Moskovien als ihren natürlichen Herrn erkennen, zu Mittag Oliven essen und im Handel dreißig Procent Interessen nehmen. Diese Vorstellung ist freilich nicht poetisch. Setzt nun dieselbe Frage an einen deutschen Gelehrten, und er wird euch alles Große und Schöne der Vorzeit, vom trojanischen Krieg bis Philopömen herab in begeistertem Redeschwung ins Gedächtniß rufen, euch mit Dichtern, Feldherren, Tugendhelden, Künstlern und Weisen betäuben, und zum Schlusse jedesmal hinzufügen, dieß Alles sey heute noch auf Morea und in Rumelien augenblicklich zu haben, wenn man nur das nöthige Geld zusammenbringe. Wir gaben reichlich, wimmerten und bettelten durch ganz Europa, um &#x201E;die genialen, tapfern, tugendhaften&#x201C; Hellenen zu retten. Aber die Führer dieser modernen Sokratesse und Phocione steckten die Gaben in die Tasche, verkauften die aus Europa hingeschafften Lebensmittel gegen baare Bezahlung an die Türken <note place="foot" n="*)"><p>&#x201A;J'ai entre les mains la preuve matérielle que la catastrophe de Mesolonghi n'est que le résultat de malversations semblables&#x201C;, sagt Kapodistrias in seiner von Bétan herausgegebenen Correspondenz, I, 508.</p></note>, lachen heute noch über die Gutmüthigkeit der &#x201E;Franki&#x201C;, rufen die orthodoxen Russen an und wollen uns als Ungläubige gar noch aus ihrem Lande vertreiben. Das soll uns aber nicht verdrießen. Die gute Handlung verliert nichts an ihrem Werth, und von jeher und überall war für den Deutschen nur der Aufwand und die Arbeit, für andere aber die Ehre und der Lohn. Sic vos non vobis fertis aratra boves. Mögen immerhin andere in Griechenland ernten, was wir gesäet, und mögen die Russen in ihren Büchern, so oft sie wollen, von &#x201E;stillen und melancholischen Germanen&#x201C;, von &#x201E;arbeitsamen, phlegmatischen Deutschen&#x201C; reden. Uns kümmert das eben so wenig, als wenn Paskjewitsch's Unterlieutenants, die Kars gestürmt und die Festungswälle von Akhalziche mit Leichen ausgefüllt haben, das empfindsame deutsche Volk mit dem Titel &#x201E;geräucherter Schmerz&#x201C; beehren. Wir wissen doch besser als diese Russen, wie sich die Partikel <foreign xml:lang="gre"><gap reason="fm" unit="words"/></foreign> von der Partikel <foreign xml:lang="gre"><gap reason="fm" unit="words"/></foreign> unterscheidet, und wann <foreign xml:lang="gre"><gap reason="fm" unit="words"/></foreign> den Conjunctiv regiert. Das ist uns Lohnes genug, und mit dieser Summe denken sich die deutschen Mittelstaaten zuletzt auch der russischen Protection zu erwehren, mit der uns der Pentarchist bedroht. Man hat bei uns nichts dagegen, wenn die Russen da und dort im freundlichen Deutschland guten Rath ertheilen, schützen, helfen, wehren wider gallische Arglist und einheimischen Demokratenschwindel. Die Hülfe muß aber auf Begehr, rechtzeitig, kurz, nachdrucksam und vor Allem gratis geleistet werden. Dafür geben wir, so lange die Arbeit dauert, gute Kost und Quartier, und lassen die Russen, als harmlose, gefällige Nachbarn, sogar in unsern Geschäften mitreden, wenn sie für gemeinsames Wohl etwas Verständiges zu sagen wissen. Vormundschaft aber wird verschmäht, und Alles erhöhe sich in unsern Landen gegen das Ansinnen, deutschem Volksleben Einheit der Bewegung mit Zucht und Schritt der Preobraschenzkischen Garde aufzunöthigen. Lasse sich ja etwa kein moskowitischer Archidamus in den Sinn kommen, wir seyen bei unserer Vorliebe für das Griechische auch der Meinung, &#x201E;daß es den schönsten Anblick und die größte Sicherheit gewähre, wenn sich eine aus den verschiedenartigsten Elementen zusammengefügte Masse nach Einem Tact bewege.&#x201C;<note place="foot" n="**)"><p><foreign xml:lang="gre"><gap reason="fm" unit="words"/></foreign></p></note> Dergleichen wäre in Deutschland unmöglich. Im Gegentheil ist und bleibt es bei uns wie in Afghanistan, wo, nach Elphinstone, jeder das Erzeugniß seines eigenen Feldes ißt, seiner Wege geht und Niemand irgend etwas mit seinem Nachbar zu schaffen hat.</p><lb/>
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[1324/0012] nächst Gott auf St. Spyridon und St. Dimitri setzen, den rechtgläubigen Imperator von Moskovien als ihren natürlichen Herrn erkennen, zu Mittag Oliven essen und im Handel dreißig Procent Interessen nehmen. Diese Vorstellung ist freilich nicht poetisch. Setzt nun dieselbe Frage an einen deutschen Gelehrten, und er wird euch alles Große und Schöne der Vorzeit, vom trojanischen Krieg bis Philopömen herab in begeistertem Redeschwung ins Gedächtniß rufen, euch mit Dichtern, Feldherren, Tugendhelden, Künstlern und Weisen betäuben, und zum Schlusse jedesmal hinzufügen, dieß Alles sey heute noch auf Morea und in Rumelien augenblicklich zu haben, wenn man nur das nöthige Geld zusammenbringe. Wir gaben reichlich, wimmerten und bettelten durch ganz Europa, um „die genialen, tapfern, tugendhaften“ Hellenen zu retten. Aber die Führer dieser modernen Sokratesse und Phocione steckten die Gaben in die Tasche, verkauften die aus Europa hingeschafften Lebensmittel gegen baare Bezahlung an die Türken *), lachen heute noch über die Gutmüthigkeit der „Franki“, rufen die orthodoxen Russen an und wollen uns als Ungläubige gar noch aus ihrem Lande vertreiben. Das soll uns aber nicht verdrießen. Die gute Handlung verliert nichts an ihrem Werth, und von jeher und überall war für den Deutschen nur der Aufwand und die Arbeit, für andere aber die Ehre und der Lohn. Sic vos non vobis fertis aratra boves. Mögen immerhin andere in Griechenland ernten, was wir gesäet, und mögen die Russen in ihren Büchern, so oft sie wollen, von „stillen und melancholischen Germanen“, von „arbeitsamen, phlegmatischen Deutschen“ reden. Uns kümmert das eben so wenig, als wenn Paskjewitsch's Unterlieutenants, die Kars gestürmt und die Festungswälle von Akhalziche mit Leichen ausgefüllt haben, das empfindsame deutsche Volk mit dem Titel „geräucherter Schmerz“ beehren. Wir wissen doch besser als diese Russen, wie sich die Partikel _ von der Partikel _ unterscheidet, und wann _ den Conjunctiv regiert. Das ist uns Lohnes genug, und mit dieser Summe denken sich die deutschen Mittelstaaten zuletzt auch der russischen Protection zu erwehren, mit der uns der Pentarchist bedroht. Man hat bei uns nichts dagegen, wenn die Russen da und dort im freundlichen Deutschland guten Rath ertheilen, schützen, helfen, wehren wider gallische Arglist und einheimischen Demokratenschwindel. Die Hülfe muß aber auf Begehr, rechtzeitig, kurz, nachdrucksam und vor Allem gratis geleistet werden. Dafür geben wir, so lange die Arbeit dauert, gute Kost und Quartier, und lassen die Russen, als harmlose, gefällige Nachbarn, sogar in unsern Geschäften mitreden, wenn sie für gemeinsames Wohl etwas Verständiges zu sagen wissen. Vormundschaft aber wird verschmäht, und Alles erhöhe sich in unsern Landen gegen das Ansinnen, deutschem Volksleben Einheit der Bewegung mit Zucht und Schritt der Preobraschenzkischen Garde aufzunöthigen. Lasse sich ja etwa kein moskowitischer Archidamus in den Sinn kommen, wir seyen bei unserer Vorliebe für das Griechische auch der Meinung, „daß es den schönsten Anblick und die größte Sicherheit gewähre, wenn sich eine aus den verschiedenartigsten Elementen zusammengefügte Masse nach Einem Tact bewege.“ **) Dergleichen wäre in Deutschland unmöglich. Im Gegentheil ist und bleibt es bei uns wie in Afghanistan, wo, nach Elphinstone, jeder das Erzeugniß seines eigenen Feldes ißt, seiner Wege geht und Niemand irgend etwas mit seinem Nachbar zu schaffen hat. Patriotische und talentvolle Männer haben in diesen Blättern, und auch anderswo, mit viel Einsicht und Geschick deutsche Kraft und Rüstigkeit gemustert, so daß es unnöthig wäre, noch einmal von unserer Stärke zu eventueller Abwehr fremden Unglimpfes zu reden. Nur in Einem Punkt, aber in einem wesentlichen, ist man nicht der Meinung jener ehrenwerthen Vorgänger, wofür man jedoch höflichst um Verzeihung bittet. Die Herren, fürchte ich, schätzen, wenn auch nicht uns selbst etwas zu hoch, jedenfalls die Hülfsmittel der Gegner etwas zu gering. Sie blicken auf die Prätensionen des Pentarchisten bloß deßwegen mit Achselzucken herab, weil in Rußland die Casernen gewöhnlich besser besetzt sind als die Schulbänke, und an Conjugationstabellen und gelehrten Abhandlungen über die Rangordnung der Buchstaben im Alphabet das große moskowische Reich jährlich vielleicht kaum so viel hervorbringt, als der kleinste Staat des deutschen Bundes. Die Otroschenko, die Yermoloff, die Eriwanski, die Ostermann, siegreiche Feldherren der Russen, beurtheilen ohne Zweifel mit mehr Talent eine militärische Position, als das feingebürstete Compendium eines Leipziger Magisters. Daß wir aber unter diesem Titel allein schon allzeit und überall, in Verhandlungen wie im Krieg, die Stärkeren seyen und gar nichts zu besorgen haben, wäre ein gewagter Schluß. Gelehrter sind wir freilich als die Russen. Die Hellenen hatten aber auch keinen Mangel an Grammatikern, Recensenten und geschwätzigen Staatsphilosophen, die sogar dem Veteran von Trasimen und Cannä Vorlesungen über die Feldherrnkunst hielten, aber mit all ihrem Wissen die Heimath dennoch nicht gegen die Sextius Ligustinus und Genossen, lauter unwissende, aber handfeste Bauernjungen aus Latium, zu bewahren vermochten. Man enthält sich aller Vergleiche und Anspielungen, räth aber doch zu etwas mehr Klugheit und Vorsicht, weil erste Bürgschaft des Erfolgs überall in richtiger Schätzung der Partei besteht. Die Kehrseite der Pentarchie. (Beschluß.) Es ist interessant zu verfolgen (so fahren die historisch-politischen Blätter fort), wie dann, immer zu dem angedeuteten doppelten Zweck, die Laufgräben gegen Oesterreich und Preußen weiter geführt werden. „Immer wird, sagt der Pentarchist, der bundesgesetzmäßige Primat Oesterreichs dahin wirken, Preußen darauf aufmerksam zu machen, daß es die schwächste Hauptmacht von Europa, und auch in Deutschland nur als die zweite Macht anerkannt sey. Bei diesem Gefühl liegt der Gedanke sehr nahe, daß Vergrößerung Bedürfniß sey. Auch erklärte sich einstmals der Staatskanzler Fürst Hardenberg zu dem ehemaligen bayerischen Gesandten am Berliner Hofe, Grafen Joseph von Rechberg, als letzterer ihm die Bemerkung machte, daß die Acquisition der Rheinprovinzen für Preußen kein wahrer Machtgewinn sey, dahin: „„Die Rheinprovinzen sind die Vorbedingung zu der möglichen Erwerbung von Holland, und insofern unschätzbar.““ Mit einer Vergrößerung der preußischen Macht in solcher Art wäre aber das ganze künstliche Föderativsystem der Bundesacte zerstört, und doch könnte sich Preußen nur auf diese Weise wirklich verstärken.“ Aber auch Oesterreich vermöge nicht die Schutzmacht der deutschen „Centralassociation“ zu seyn? Weßhalb? weil es „durch Deutschland in seinen magyarischen, slavischen und italienischen Erblanden sich geschadet hat.“ *) ‚J'ai entre les mains la preuve matérielle que la catastrophe de Mesolonghi n'est que le résultat de malversations semblables“, sagt Kapodistrias in seiner von Bétan herausgegebenen Correspondenz, I, 508. **) _

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 166. Augsburg, 14. Juni 1840, S. 1324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_166_18400614/12>, abgerufen am 21.11.2024.