Allgemeine Zeitung. Nr. 166. Augsburg, 14. Juni 1840.Resolution. Als wahrscheinlichen Nachfolger des Hrn. Zographos bezeichnet man den Justizminister, Hrn. Paikos. Der Kriegsminister, Hr. v. Schmaltz, hatte Athen verlassen, um die Maina zu besuchen. Die Conscriptionsangelegenheiten daselbst stoßen noch immer auf ernste Hindernisse. Die Ankunft des türkischen Geschäftsträgers in Athen war bei Abgang des letzten Dampfboots noch nicht erfolgt. Triest, 6 Jun. Die letzte Post aus Griechenland meldet die Beendigung des Untersuchungsprocesses gegen die in Haft befindlichen griechischen Orthodoxen. Die Resultate der Untersuchung sind gering, der ausgedehnten Verwickelung dieser großen Volksbewegung in Griechenland und der Türkei, die glücklicherweise im Keime erstickt ward, wenig entsprechend. Man ist daher der Meinung, daß auf die bereits an das Justizministerium überreichten Untersuchungsacten kein entscheidender richterlicher Spruch sich basiren könne. Die ganze Angelegenheit dürfte mit einem "non liquet" ad acta gelegt werden. Türkei. Konstantinopel, 27 Mai. Endlich hat der standhafte Gegner Mehemed Ali's, der Großwessier Chosrew Pascha, das Feld räumen müssen. Dieß ist für den Vicekönig ein Erfolg, den er sich wahrscheinlich nicht so nahe dachte. Erwarten Sie nicht, daß ich den innern Zusammenhang der letzten Begebenheiten auseinandersetze; noch sind die Meinungen zu getheilt, als daß man mit Bestimmtheit die Ursachen dieser Ereignisse angeben könnte. Während die einen den Sturz der seit Mahmuds Tode bestandenen Verhältnisse in dem Personale der türkischen Administration den Anhängern des alten Systems zuschreiben, werfen die andern die ganze Schuld der jetzigen Krise auf die ägyptische Partei; endlich fehlt es nicht an unterrichteten Personen, welche die große Epuration, die nun im Werke ist, als gegen die sogenannte russische Partei gerichtet betrachten. Ja es hat sich noch eine vierte Meinung geltend gemacht, welche den Sturz Akif, Nafiz und Tahir Pascha's auf Rechnung des Triumvirats, den Sturz Halil Pascha's auf Rechnung Chosrews bringen, welchen aber bald die Rache Halils erreicht habe, indem dieser durch seinen mächtigen Einfluß den Großwessier zu verderben gewußt habe. Nach dieser Ansicht wäre das Ganze ein Werk von innern Intriguen und Cabalen - ganz in orientalischem Geschmack, aber ohne politische Veranlassungen, denn Reschid erhält sich noch im auswärtigen Departement. Die, nicht so sehr der Zahl als dem Gewichte der Quellen nach die andern Ansichten überwiegende Meinung, welche ich indessen nicht zu vertreten gesonnen bin, ist folgende. Die Bewegungen in den Provinzen, welche die Absetzung so vieler Pascha's zur Folge hatten, entsprangen aus einem unverkennbaren Vorgefühl herannahender Gefahren, welches sich plötzlich der Osmanen bemächtigte. Diese Besorgnisse drückten sich in der schnell von Seite der türkischen Bevölkerung überall ergriffenen Maaßregel einer allgemeinen Bewaffnung gegen die Christen aus. Die griechischen Osterfeiertage waren nach einem dunklen Gerücht der zur Erhebung der Christen gegen die Moslims festgesetzte Zeitpunkt. Hier schwebten die Agenten des ägyptischen Agitators und einer westlichen Macht als die Veranlasser der bevorstehenden Bewegung jedem vor Augen. Aber neuere Untersuchungen sollen nun der Pforte Aufschlüsse gegeben haben, durch welche nebst der ägyptisch-französischen auch die russische Partei aufs entschiedenste compromittirt wäre. Zu dieser Partei, als deren Haupt Chosrew, der abgesetzte Großwessier, gilt, sollen nun sämmtliche abgesetzte Paschas gehören, welche durch eine schreckliche Mystification sich wechselseitig als Werkzeuge ihres eigenen Sturzes dienen mußten. Denn in diesem Lande, wo die Intrigue Alles entscheidet, muß der Hof selbst seine Zuflucht dazu nehmen, wenn er anders die Erreichung seiner Zwecke nicht preisgeben will. Factisch ist, daß der Großwessier bei der Absetzung Halil Pascha's nur als Instrument benützt wurde, ohne daß er ahnen konnte, daß wenige Tage darauf ihn dasselbe Schicksal treffen sollte. Auch bringt man den von St. Petersburg ausgegangenen Befehl zur Zusammenzuziehung eines russischen Lagers von 50,000 Mann bei Bender mit allen diesen Wirren in Verbindung. Da nämlich dieser Befehl zu einer Zeit in St. Petersburg erlassen worden sey, wo man kaum in Konstantinopel von den ersten Symptomen der Unruhen von Smyrna, Adrianopel, Philippopel und andern europäischen Paschaliks unterrichtet war, so schließt man daraus, daß diese Zusammenziehung von Truppen am untern Dniester nicht unbedingt die Aufrechthaltung der Autorität des ottomanischen Gouvernements zum Zwecke haben dürfte. Ich brauche nicht auf das Unwahrscheinliche solcher Conjecturen aufmerksam zu machen; da sie indessen gemacht werden, glaubte ich sie erwähnen zu müssen. - Aus Alexandrien ist die Nachricht von dem daselbst erfolgten Tode des Kapudana-Begs der türkischen Flotte, Omer Pascha, eingegangen. Es ist derselbe, welcher der Zumuthung Mehemed Ali's, ägyptische Uniform anzuziehen, am längsten widerstand, denn er war einer der seinem rechtmäßigen Herrn ergebensten Officiere der Flotte, der dem eigenmächtigen Verfahren des Vicekönigs mehr als Ein Hinderniß in den Weg legte. Man glaubt daher, daß Mehemed Ali durch Gift sich dieses Mannes entledigte, der ihm ein Dorn im Auge war. Die officielle Nachricht besagt indessen, Omer Pascha sey an der Wassersucht gestorben. Mehemed Ali avancirte aus eigener Machtvollkommenheit den bisherigen Riala-Beg zum Kapudana-Beg und besetzte nach abwärts alle dadurch in Erledigung gekommenen Stellen mit ihm ergebenen Individuen. Daraus leuchtet nur zu sehr hervor, wie geachtet die Autorität des Sultans in Alexandrien, wie ernst gemeint alle Protestationen von Treue seyen, mit denen Mehemed Ali den Sultan bisher behelligte. Syrien und Aegypten. Alexandria, 26 Mai. Der Mord des Pater Thomas beschäftigt noch immer das hiesige Publicum, so wie die Consuln. So hat gestern der österreichische Consul seine Collegen zur Unterzeichnung einer Bittschrift an den Pascha bewogen, worin man ihn um eine Revision dieses Processes angeht. Hr. Cochelet hat dieselbe nicht unterzeichnet, da der Proceß auf Verlangen und unter dem Beisitz des französischen Consuls in Damaskus stattgehabt. Es ist nicht möglich, daß, wie die Israeliten im Allgemeinen glauben machen wollen, diese ganze Geschichte eine Mystification sey. Scherif Pascha und Hr. Rattimenton, so wie der Kanzler, Hr. Baudin, sind als zu rechtliche Leute bekannt, als daß ein anderer Beweggrund wie der, die Wahrheit ans Licht und die Schuldigen vor Gericht zu bringen, stattgefunden haben könnte. Die Beschuldigung der Geldgierde Mehemed Ali's und Scherif Pascha's fällt schon von selbst weg, da man das Vermögen der Verurtheilten nicht confiscirt hat. Im Gegentheil hätten Scherif Pascha sowohl als Hr. Rattimenton und Baudin durch Niederschlagung des Processes reich werden können, denn ungeheure Summen wurden geboten. Es ist sehr traurig, daß man zum Erkennen der Wahrheit die noch hier im Lande in Gebrauch stehenden Zwangsmittel angewendet hat, ich kann indessen das auf einmal hier von den Consuln darüber erhobene Geschrei nicht recht verstehen. Haben sie denn sonst den Pascha oder seine Beamten abgehalten, denen, die sich kleine Vergehen gegen sie zu Schulden kommen ließen, 5-600 Stockprügel aufzählen zu lassen? Sie Resolution. Als wahrscheinlichen Nachfolger des Hrn. Zographos bezeichnet man den Justizminister, Hrn. Paikos. Der Kriegsminister, Hr. v. Schmaltz, hatte Athen verlassen, um die Maina zu besuchen. Die Conscriptionsangelegenheiten daselbst stoßen noch immer auf ernste Hindernisse. Die Ankunft des türkischen Geschäftsträgers in Athen war bei Abgang des letzten Dampfboots noch nicht erfolgt. Triest, 6 Jun. Die letzte Post aus Griechenland meldet die Beendigung des Untersuchungsprocesses gegen die in Haft befindlichen griechischen Orthodoxen. Die Resultate der Untersuchung sind gering, der ausgedehnten Verwickelung dieser großen Volksbewegung in Griechenland und der Türkei, die glücklicherweise im Keime erstickt ward, wenig entsprechend. Man ist daher der Meinung, daß auf die bereits an das Justizministerium überreichten Untersuchungsacten kein entscheidender richterlicher Spruch sich basiren könne. Die ganze Angelegenheit dürfte mit einem „non liquet“ ad acta gelegt werden. Türkei. Konstantinopel, 27 Mai. Endlich hat der standhafte Gegner Mehemed Ali's, der Großwessier Chosrew Pascha, das Feld räumen müssen. Dieß ist für den Vicekönig ein Erfolg, den er sich wahrscheinlich nicht so nahe dachte. Erwarten Sie nicht, daß ich den innern Zusammenhang der letzten Begebenheiten auseinandersetze; noch sind die Meinungen zu getheilt, als daß man mit Bestimmtheit die Ursachen dieser Ereignisse angeben könnte. Während die einen den Sturz der seit Mahmuds Tode bestandenen Verhältnisse in dem Personale der türkischen Administration den Anhängern des alten Systems zuschreiben, werfen die andern die ganze Schuld der jetzigen Krise auf die ägyptische Partei; endlich fehlt es nicht an unterrichteten Personen, welche die große Epuration, die nun im Werke ist, als gegen die sogenannte russische Partei gerichtet betrachten. Ja es hat sich noch eine vierte Meinung geltend gemacht, welche den Sturz Akif, Nafiz und Tahir Pascha's auf Rechnung des Triumvirats, den Sturz Halil Pascha's auf Rechnung Chosrews bringen, welchen aber bald die Rache Halils erreicht habe, indem dieser durch seinen mächtigen Einfluß den Großwessier zu verderben gewußt habe. Nach dieser Ansicht wäre das Ganze ein Werk von innern Intriguen und Cabalen – ganz in orientalischem Geschmack, aber ohne politische Veranlassungen, denn Reschid erhält sich noch im auswärtigen Departement. Die, nicht so sehr der Zahl als dem Gewichte der Quellen nach die andern Ansichten überwiegende Meinung, welche ich indessen nicht zu vertreten gesonnen bin, ist folgende. Die Bewegungen in den Provinzen, welche die Absetzung so vieler Pascha's zur Folge hatten, entsprangen aus einem unverkennbaren Vorgefühl herannahender Gefahren, welches sich plötzlich der Osmanen bemächtigte. Diese Besorgnisse drückten sich in der schnell von Seite der türkischen Bevölkerung überall ergriffenen Maaßregel einer allgemeinen Bewaffnung gegen die Christen aus. Die griechischen Osterfeiertage waren nach einem dunklen Gerücht der zur Erhebung der Christen gegen die Moslims festgesetzte Zeitpunkt. Hier schwebten die Agenten des ägyptischen Agitators und einer westlichen Macht als die Veranlasser der bevorstehenden Bewegung jedem vor Augen. Aber neuere Untersuchungen sollen nun der Pforte Aufschlüsse gegeben haben, durch welche nebst der ägyptisch-französischen auch die russische Partei aufs entschiedenste compromittirt wäre. Zu dieser Partei, als deren Haupt Chosrew, der abgesetzte Großwessier, gilt, sollen nun sämmtliche abgesetzte Paschas gehören, welche durch eine schreckliche Mystification sich wechselseitig als Werkzeuge ihres eigenen Sturzes dienen mußten. Denn in diesem Lande, wo die Intrigue Alles entscheidet, muß der Hof selbst seine Zuflucht dazu nehmen, wenn er anders die Erreichung seiner Zwecke nicht preisgeben will. Factisch ist, daß der Großwessier bei der Absetzung Halil Pascha's nur als Instrument benützt wurde, ohne daß er ahnen konnte, daß wenige Tage darauf ihn dasselbe Schicksal treffen sollte. Auch bringt man den von St. Petersburg ausgegangenen Befehl zur Zusammenzuziehung eines russischen Lagers von 50,000 Mann bei Bender mit allen diesen Wirren in Verbindung. Da nämlich dieser Befehl zu einer Zeit in St. Petersburg erlassen worden sey, wo man kaum in Konstantinopel von den ersten Symptomen der Unruhen von Smyrna, Adrianopel, Philippopel und andern europäischen Paschaliks unterrichtet war, so schließt man daraus, daß diese Zusammenziehung von Truppen am untern Dniester nicht unbedingt die Aufrechthaltung der Autorität des ottomanischen Gouvernements zum Zwecke haben dürfte. Ich brauche nicht auf das Unwahrscheinliche solcher Conjecturen aufmerksam zu machen; da sie indessen gemacht werden, glaubte ich sie erwähnen zu müssen. – Aus Alexandrien ist die Nachricht von dem daselbst erfolgten Tode des Kapudana-Begs der türkischen Flotte, Omer Pascha, eingegangen. Es ist derselbe, welcher der Zumuthung Mehemed Ali's, ägyptische Uniform anzuziehen, am längsten widerstand, denn er war einer der seinem rechtmäßigen Herrn ergebensten Officiere der Flotte, der dem eigenmächtigen Verfahren des Vicekönigs mehr als Ein Hinderniß in den Weg legte. Man glaubt daher, daß Mehemed Ali durch Gift sich dieses Mannes entledigte, der ihm ein Dorn im Auge war. Die officielle Nachricht besagt indessen, Omer Pascha sey an der Wassersucht gestorben. Mehemed Ali avancirte aus eigener Machtvollkommenheit den bisherigen Riala-Beg zum Kapudana-Beg und besetzte nach abwärts alle dadurch in Erledigung gekommenen Stellen mit ihm ergebenen Individuen. Daraus leuchtet nur zu sehr hervor, wie geachtet die Autorität des Sultans in Alexandrien, wie ernst gemeint alle Protestationen von Treue seyen, mit denen Mehemed Ali den Sultan bisher behelligte. Syrien und Aegypten. Alexandria, 26 Mai. Der Mord des Pater Thomas beschäftigt noch immer das hiesige Publicum, so wie die Consuln. So hat gestern der österreichische Consul seine Collegen zur Unterzeichnung einer Bittschrift an den Pascha bewogen, worin man ihn um eine Revision dieses Processes angeht. Hr. Cochelet hat dieselbe nicht unterzeichnet, da der Proceß auf Verlangen und unter dem Beisitz des französischen Consuls in Damaskus stattgehabt. Es ist nicht möglich, daß, wie die Israeliten im Allgemeinen glauben machen wollen, diese ganze Geschichte eine Mystification sey. Scherif Pascha und Hr. Rattimenton, so wie der Kanzler, Hr. Baudin, sind als zu rechtliche Leute bekannt, als daß ein anderer Beweggrund wie der, die Wahrheit ans Licht und die Schuldigen vor Gericht zu bringen, stattgefunden haben könnte. Die Beschuldigung der Geldgierde Mehemed Ali's und Scherif Pascha's fällt schon von selbst weg, da man das Vermögen der Verurtheilten nicht confiscirt hat. Im Gegentheil hätten Scherif Pascha sowohl als Hr. Rattimenton und Baudin durch Niederschlagung des Processes reich werden können, denn ungeheure Summen wurden geboten. Es ist sehr traurig, daß man zum Erkennen der Wahrheit die noch hier im Lande in Gebrauch stehenden Zwangsmittel angewendet hat, ich kann indessen das auf einmal hier von den Consuln darüber erhobene Geschrei nicht recht verstehen. Haben sie denn sonst den Pascha oder seine Beamten abgehalten, denen, die sich kleine Vergehen gegen sie zu Schulden kommen ließen, 5-600 Stockprügel aufzählen zu lassen? 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Man ist daher der Meinung, daß auf die bereits an das Justizministerium überreichten Untersuchungsacten kein entscheidender richterlicher Spruch sich basiren könne. Die ganze Angelegenheit dürfte mit einem „non liquet“ ad acta gelegt werden.</p><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Türkei.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Konstantinopel,</hi> 27 Mai.</dateline> <p> Endlich hat der standhafte Gegner Mehemed Ali's, der Großwessier Chosrew Pascha, das Feld räumen müssen. Dieß ist für den Vicekönig ein Erfolg, den er sich wahrscheinlich nicht so nahe dachte. Erwarten Sie nicht, daß ich den innern Zusammenhang der letzten Begebenheiten auseinandersetze; noch sind die Meinungen zu getheilt, als daß man mit Bestimmtheit die Ursachen dieser Ereignisse angeben könnte. Während die einen den Sturz der seit Mahmuds Tode bestandenen Verhältnisse in dem Personale der türkischen Administration den Anhängern des alten Systems zuschreiben, werfen die andern die ganze Schuld der jetzigen Krise auf die ägyptische Partei; endlich fehlt es nicht an unterrichteten Personen, welche die große Epuration, die nun im Werke ist, als gegen die sogenannte russische Partei gerichtet betrachten. Ja es hat sich noch eine vierte Meinung geltend gemacht, welche den Sturz Akif, Nafiz und Tahir Pascha's auf Rechnung des Triumvirats, den Sturz Halil Pascha's auf Rechnung Chosrews bringen, welchen aber bald die Rache Halils erreicht habe, indem dieser durch seinen mächtigen Einfluß den Großwessier zu verderben gewußt habe. Nach dieser Ansicht wäre das Ganze ein Werk von innern Intriguen und Cabalen – ganz in orientalischem Geschmack, aber ohne politische Veranlassungen, denn Reschid erhält sich noch im auswärtigen Departement. Die, nicht so sehr der Zahl als dem Gewichte der Quellen nach die andern Ansichten überwiegende Meinung, welche ich indessen nicht zu vertreten gesonnen bin, ist folgende. Die Bewegungen in den Provinzen, welche die Absetzung so vieler Pascha's zur Folge hatten, entsprangen aus einem unverkennbaren Vorgefühl herannahender Gefahren, welches sich plötzlich der Osmanen bemächtigte. Diese Besorgnisse drückten sich in der schnell von Seite der türkischen Bevölkerung überall ergriffenen Maaßregel einer allgemeinen Bewaffnung <hi rendition="#g">gegen die Christen</hi> aus. Die griechischen Osterfeiertage waren nach einem dunklen Gerücht der zur Erhebung der Christen gegen die Moslims festgesetzte Zeitpunkt. Hier schwebten die Agenten des ägyptischen Agitators und einer westlichen Macht als die Veranlasser der bevorstehenden Bewegung jedem vor Augen. Aber neuere Untersuchungen sollen nun der Pforte Aufschlüsse gegeben haben, durch welche nebst der ägyptisch-französischen auch die russische Partei aufs entschiedenste compromittirt wäre. Zu dieser Partei, als deren Haupt Chosrew, der abgesetzte Großwessier, gilt, sollen nun sämmtliche abgesetzte Paschas gehören, welche durch eine schreckliche Mystification sich wechselseitig als Werkzeuge ihres eigenen Sturzes dienen mußten. Denn in diesem Lande, wo die Intrigue Alles entscheidet, muß der Hof selbst seine Zuflucht dazu nehmen, wenn er anders die Erreichung seiner Zwecke nicht preisgeben will. Factisch ist, daß der Großwessier bei der Absetzung Halil Pascha's nur als Instrument benützt wurde, ohne daß er ahnen konnte, daß wenige Tage darauf ihn dasselbe Schicksal treffen sollte. Auch bringt man den von St. Petersburg ausgegangenen Befehl zur Zusammenzuziehung eines russischen Lagers von 50,000 Mann bei Bender mit allen diesen Wirren in Verbindung. Da nämlich dieser Befehl zu einer Zeit in St. Petersburg erlassen worden sey, wo man kaum in Konstantinopel von den ersten Symptomen der Unruhen von Smyrna, Adrianopel, Philippopel und andern europäischen Paschaliks unterrichtet war, so schließt man daraus, daß diese Zusammenziehung von Truppen am untern Dniester nicht unbedingt die Aufrechthaltung der Autorität des ottomanischen Gouvernements zum Zwecke haben dürfte. Ich brauche nicht auf das Unwahrscheinliche solcher Conjecturen aufmerksam zu machen; da sie indessen gemacht werden, glaubte ich sie erwähnen zu müssen. – Aus <hi rendition="#g">Alexandrien</hi> ist die Nachricht von dem daselbst erfolgten Tode des Kapudana-Begs der türkischen Flotte, Omer Pascha, eingegangen. 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Es ist nicht möglich, daß, wie die Israeliten im Allgemeinen glauben machen wollen, diese ganze Geschichte eine Mystification sey. Scherif Pascha und Hr. Rattimenton, so wie der Kanzler, Hr. Baudin, sind als zu rechtliche Leute bekannt, als daß ein anderer Beweggrund wie der, die Wahrheit ans Licht und die Schuldigen vor Gericht zu bringen, stattgefunden haben könnte. Die Beschuldigung der Geldgierde Mehemed Ali's und Scherif Pascha's fällt schon von selbst weg, da man das Vermögen der Verurtheilten nicht confiscirt hat. Im Gegentheil hätten Scherif Pascha sowohl als Hr. Rattimenton und Baudin durch Niederschlagung des Processes reich werden können, denn ungeheure Summen wurden geboten. Es ist sehr traurig, daß man zum Erkennen der Wahrheit die noch hier im Lande in Gebrauch stehenden Zwangsmittel angewendet hat, ich kann indessen das auf einmal hier von den Consuln darüber erhobene Geschrei nicht recht verstehen. 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_ Triest, 6 Jun. Die letzte Post aus Griechenland meldet die Beendigung des Untersuchungsprocesses gegen die in Haft befindlichen griechischen Orthodoxen. Die Resultate der Untersuchung sind gering, der ausgedehnten Verwickelung dieser großen Volksbewegung in Griechenland und der Türkei, die glücklicherweise im Keime erstickt ward, wenig entsprechend. Man ist daher der Meinung, daß auf die bereits an das Justizministerium überreichten Untersuchungsacten kein entscheidender richterlicher Spruch sich basiren könne. Die ganze Angelegenheit dürfte mit einem „non liquet“ ad acta gelegt werden.
Türkei.
_ Konstantinopel, 27 Mai. Endlich hat der standhafte Gegner Mehemed Ali's, der Großwessier Chosrew Pascha, das Feld räumen müssen. Dieß ist für den Vicekönig ein Erfolg, den er sich wahrscheinlich nicht so nahe dachte. Erwarten Sie nicht, daß ich den innern Zusammenhang der letzten Begebenheiten auseinandersetze; noch sind die Meinungen zu getheilt, als daß man mit Bestimmtheit die Ursachen dieser Ereignisse angeben könnte. Während die einen den Sturz der seit Mahmuds Tode bestandenen Verhältnisse in dem Personale der türkischen Administration den Anhängern des alten Systems zuschreiben, werfen die andern die ganze Schuld der jetzigen Krise auf die ägyptische Partei; endlich fehlt es nicht an unterrichteten Personen, welche die große Epuration, die nun im Werke ist, als gegen die sogenannte russische Partei gerichtet betrachten. Ja es hat sich noch eine vierte Meinung geltend gemacht, welche den Sturz Akif, Nafiz und Tahir Pascha's auf Rechnung des Triumvirats, den Sturz Halil Pascha's auf Rechnung Chosrews bringen, welchen aber bald die Rache Halils erreicht habe, indem dieser durch seinen mächtigen Einfluß den Großwessier zu verderben gewußt habe. Nach dieser Ansicht wäre das Ganze ein Werk von innern Intriguen und Cabalen – ganz in orientalischem Geschmack, aber ohne politische Veranlassungen, denn Reschid erhält sich noch im auswärtigen Departement. Die, nicht so sehr der Zahl als dem Gewichte der Quellen nach die andern Ansichten überwiegende Meinung, welche ich indessen nicht zu vertreten gesonnen bin, ist folgende. Die Bewegungen in den Provinzen, welche die Absetzung so vieler Pascha's zur Folge hatten, entsprangen aus einem unverkennbaren Vorgefühl herannahender Gefahren, welches sich plötzlich der Osmanen bemächtigte. Diese Besorgnisse drückten sich in der schnell von Seite der türkischen Bevölkerung überall ergriffenen Maaßregel einer allgemeinen Bewaffnung gegen die Christen aus. Die griechischen Osterfeiertage waren nach einem dunklen Gerücht der zur Erhebung der Christen gegen die Moslims festgesetzte Zeitpunkt. Hier schwebten die Agenten des ägyptischen Agitators und einer westlichen Macht als die Veranlasser der bevorstehenden Bewegung jedem vor Augen. Aber neuere Untersuchungen sollen nun der Pforte Aufschlüsse gegeben haben, durch welche nebst der ägyptisch-französischen auch die russische Partei aufs entschiedenste compromittirt wäre. Zu dieser Partei, als deren Haupt Chosrew, der abgesetzte Großwessier, gilt, sollen nun sämmtliche abgesetzte Paschas gehören, welche durch eine schreckliche Mystification sich wechselseitig als Werkzeuge ihres eigenen Sturzes dienen mußten. Denn in diesem Lande, wo die Intrigue Alles entscheidet, muß der Hof selbst seine Zuflucht dazu nehmen, wenn er anders die Erreichung seiner Zwecke nicht preisgeben will. Factisch ist, daß der Großwessier bei der Absetzung Halil Pascha's nur als Instrument benützt wurde, ohne daß er ahnen konnte, daß wenige Tage darauf ihn dasselbe Schicksal treffen sollte. Auch bringt man den von St. Petersburg ausgegangenen Befehl zur Zusammenzuziehung eines russischen Lagers von 50,000 Mann bei Bender mit allen diesen Wirren in Verbindung. Da nämlich dieser Befehl zu einer Zeit in St. Petersburg erlassen worden sey, wo man kaum in Konstantinopel von den ersten Symptomen der Unruhen von Smyrna, Adrianopel, Philippopel und andern europäischen Paschaliks unterrichtet war, so schließt man daraus, daß diese Zusammenziehung von Truppen am untern Dniester nicht unbedingt die Aufrechthaltung der Autorität des ottomanischen Gouvernements zum Zwecke haben dürfte. Ich brauche nicht auf das Unwahrscheinliche solcher Conjecturen aufmerksam zu machen; da sie indessen gemacht werden, glaubte ich sie erwähnen zu müssen. – Aus Alexandrien ist die Nachricht von dem daselbst erfolgten Tode des Kapudana-Begs der türkischen Flotte, Omer Pascha, eingegangen. Es ist derselbe, welcher der Zumuthung Mehemed Ali's, ägyptische Uniform anzuziehen, am längsten widerstand, denn er war einer der seinem rechtmäßigen Herrn ergebensten Officiere der Flotte, der dem eigenmächtigen Verfahren des Vicekönigs mehr als Ein Hinderniß in den Weg legte. Man glaubt daher, daß Mehemed Ali durch Gift sich dieses Mannes entledigte, der ihm ein Dorn im Auge war. Die officielle Nachricht besagt indessen, Omer Pascha sey an der Wassersucht gestorben. Mehemed Ali avancirte aus eigener Machtvollkommenheit den bisherigen Riala-Beg zum Kapudana-Beg und besetzte nach abwärts alle dadurch in Erledigung gekommenen Stellen mit ihm ergebenen Individuen. Daraus leuchtet nur zu sehr hervor, wie geachtet die Autorität des Sultans in Alexandrien, wie ernst gemeint alle Protestationen von Treue seyen, mit denen Mehemed Ali den Sultan bisher behelligte.
Syrien und Aegypten.
_ Alexandria, 26 Mai. Der Mord des Pater Thomas beschäftigt noch immer das hiesige Publicum, so wie die Consuln. So hat gestern der österreichische Consul seine Collegen zur Unterzeichnung einer Bittschrift an den Pascha bewogen, worin man ihn um eine Revision dieses Processes angeht. Hr. Cochelet hat dieselbe nicht unterzeichnet, da der Proceß auf Verlangen und unter dem Beisitz des französischen Consuls in Damaskus stattgehabt. Es ist nicht möglich, daß, wie die Israeliten im Allgemeinen glauben machen wollen, diese ganze Geschichte eine Mystification sey. Scherif Pascha und Hr. Rattimenton, so wie der Kanzler, Hr. Baudin, sind als zu rechtliche Leute bekannt, als daß ein anderer Beweggrund wie der, die Wahrheit ans Licht und die Schuldigen vor Gericht zu bringen, stattgefunden haben könnte. Die Beschuldigung der Geldgierde Mehemed Ali's und Scherif Pascha's fällt schon von selbst weg, da man das Vermögen der Verurtheilten nicht confiscirt hat. Im Gegentheil hätten Scherif Pascha sowohl als Hr. Rattimenton und Baudin durch Niederschlagung des Processes reich werden können, denn ungeheure Summen wurden geboten. Es ist sehr traurig, daß man zum Erkennen der Wahrheit die noch hier im Lande in Gebrauch stehenden Zwangsmittel angewendet hat, ich kann indessen das auf einmal hier von den Consuln darüber erhobene Geschrei nicht recht verstehen. Haben sie denn sonst den Pascha oder seine Beamten abgehalten, denen, die sich kleine Vergehen gegen sie zu Schulden kommen ließen, 5-600 Stockprügel aufzählen zu lassen? Sie
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
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