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Allgemeine Zeitung. Nr. 168. Augsburg, 16. Juni 1840.

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bei den obersten Behörden des Landes noch immer russische Uebersetzer nöthig sind, zum Behufe der Relationen mit den binnenländischen russischen Behörden. Sehr wenig deutsche Kaufleute in Riga, Reval u. s. w. sind des Russischen mächtig und sind immer froh, wenn sie nur einen des Russischen kundigen Comptoiristen in ihrem Geschäft haben. Die unabhängigen Gutsbesitzer des Landes, die nie im russischen Dienste waren, verstehen durchweg so wenig das Russische und bedienen sich bei Vorkommnissen ihrer Russisch lernenden Söhne oder der in ihrem Dienste stehenden Beamten, die hie und da etwas Russisch verstehen. Die Damen des Landes verstehen fast durchweg kein Russisch, daher wenn ein russischer Officier in der Gesellschaft vorgestellt wird, immer die erste Frage ist: "Verstehen Sie Deutsch" oder "Est-ce que vous parlez Francais?" die dann oft mit einem stummen Kopfschütteln verneint wird, in welchem Falle sich die Conversation nur durch einen Dolmetscher macht.

Nach diesem Allen kann man sich denken, wie es mit der russischen Litteratur in den Ostseeprovinzen steht, die in litterarischer Hinsicht unserm gemeinsamen Vaterlande noch ganz angehören. Schiller und Goethe, Wieland, Herder und Schlegel sind auch hier die allbeliebten und verehrten Koryphäen, wie in Sachsen- und Schwabenland. Die belletristischen Journale, welche von Dorpat und Riga ausgehen, werden in deutscher Sprache geschrieben. Ebenso die Zeitungen, welche in Dorpat, Reval, Mitau, Libau, Riga gedruckt werden. Deßgleichen die Anzeigen und Wochenblätter für die alltäglichen Annoncen und Publicationen. Nur einige dieser Blätter erscheinen in esthischer und lettischer Sprache zur Belehrung und Benachrichtigung der Bauern. Kein einziges aber in russischer Sprache. Ebenso werden alle Bücher, die etwa zu provinciellen Zwecken in diesem Lande geschrieben werden, die Koch-, Garten- und Hausbücher, die Gesang- und Gesetzbücher, die theologischen, ackerwirtschaftlichen etc. Werke sämmtlich in deutscher Sprache geschrieben; und es ist ausgemacht, daß in Leipzig allein schon mehr russische Bücher gedruckt wurden, als in allen Städten der russischen Ostseeprovinzen zusammengenommen. Alle Bibliotheken des Landes bestehen bloß aus deutschen und französischen Büchern, und nur die öffentlichen haben hie und da einen Anhang von russischen Schriften. Die Begeisterung für Schiller und Goethe und die übrigen Dichter der herrlichsten Periode unserer Litteratur theilte man in Riga so lebhaft, wie in allen andern deutschen Orten. Mit freudiger Spannung erwartete man dort das Neue, was die Musenalmanache der neunziger Jahre bringen mochten. Schlegel, Tieck, Platen, Uhland, bis auf Rückert herab, fanden alle hier ihre Verehrer und Freunde, ja oft noch weit eifrigere und andächtigere Anbeter des Talents, je größer die Entfernung von den Schauplätzen der Production und je ärmer das Land selbst an Talenten ist. Auch was Heine, Pückler, dann Raumer schrieben, hallt hier nach und findet seine Vertheidiger und Anfechter. In der That fühlt sich der Deutsche in litterarischer und sprachlicher Beziehung in den Ostseeprovinzen ganz wie in der Heimath, und sieht sich von den Bewohnern als Freund, Genosse und Landsmann anerkannt. Ja der Bayer, Sachse, Preuße, wenn sie auch in politischer Beziehung alle zurückgewiesen werden, fühlt in jeder Hinsicht und im Allgemeinen weniger Stammesneid und Stammesfeindschaft, sieht sich im Allgemeinen als Deutscher freundlicher bewillkommnet, als bei seinen verschiedenen Stammesvettern des deutschen Vaterlandes.

Auf der andern Seite weiß man von Dershawin, von Puschkin, von Kruilow, von Karamsin oft noch nicht mehr, oder gar oft noch weniger als in Deutschland selbst, weil man nur von Leipzig und den andern deutschen Büchermärkten durch Uebersetzungen damit bekannt wird. Man dankt Gott, wenn man so viel russisch versteht, daß man mit den russischen Postillionen und Dünaflößern fertig wird, und läßt die wunderlichen Buchstaben der russischen Sprache unbuchstabirt, indem man sich in den Mußestunden lieber an den Productionen der deutschen oder französischen Muse erlabt.

IV. Rückblick.

So also ungefähr steht es mit unseren deutschen Brüdern im Schwertritter-Lande am rigischen und finnischen Meerbusen. In Sprache, Sitte, Litteratur, Religion und Institutionen annoch deutsch und im Grunde der Seele deutsch, schreiten sie allerdings mehr und mehr, jedoch langsam, der Entnationalisirung durch Slaventhum entgegen. Im Süden in Kurland, welches freilich ein polnisches Lehn aber ein deutsches Herzogthum mit völlig germanischen Institutionen, den deutschen Geist am meisten bewahrte, hat diese Entnationalisirung noch am wenigsten festen Fuß gefaßt, in Livland schon mehr, in Esthland, obgleich auch hier wenig, doch am meisten. In Kurland rühmt man sich noch größerer Redlichkeit, unabhängigerer Gerichtshöfe, adeligern und edleren Sinnes. In Livland - so behaupten die Kurländer - habe schon Bestechlichkeit und Feilheit mehr Wurzel geschlagen. Die deutschen Familien sind hier mehr mit russischen verzweigt und gemischt. Die Russen sind hier schon mehr in gesellige Verhältnisse eingedrungen und in Esthland endlich, wo der halbe Adel im Dienste der Krone steht, ist dieß noch mehr der Fall.

Die politischen Institutionen der Provinzen, die Privilegien des Adels, die Gerechtsame und Gesetze der Universitäten, Gymnasien und Schüler, die Verfassung der Städte sind das Hauptbollwerk des deutschen Geistes. Die eifrige Anhänglichkeit der Einwohnerschaft an sie beweist dieß. Der vorübergehende zehnjährige Wegfall dieser Institutionen zur Zeit Katharinens zeigt, was aus dem Lande werden würde, wenn sie wieder einmal auf immer fallen sollten. Die deutschen adeligen Familien würden mit einer Menge russischer vermischt werden, und bei dem durch Heirathen fortschreitenden Russenthum am Ende selbst ganz russisch werden. Die deutschen Bürger würden sich mehr und mehr von den Aemtern zurückziehen und die Verwaltung der Communen würde völlig in die Hände der Russen übergehen. Die Deutschen würden daher zuletzt ganz in dieselben Verhältnisse kommen, wie in den andern ächtrussischen Städten. Jedoch würde diese Umwandlung nur sehr langsam vor sich gehen, am schnellsten aber bei dem Adel der Provinzen statt haben, weil die ganze Stellung eines Edelmannes in den deutschen Ostseeprovinzen der eines russischen "Pamäschtschick" weit mehr gleicht, als die eines deutschen Bürgers der eines russischen "Meschtschanin." - Und so mögen wir denn noch lange unsere Sympathien den deutschen Ostsee-Brüdern schenken, und hoffen, daß auch sie noch lange mit Liebe wenn auch nicht an dem großen deutschen Vaterland, doch an dem großen, deutschen Mutterstamm hängen werden.

Ueber Posttarif-Ermäßigung, besonders in Beziehung auf Post-Transit.

Es ist in letzter Zeit in den öffentlichen Blättern mehrfach eine der wichtigen, unstreitig vielseitiger Aufmerksamkeit würdigen staatswirthschaftlichen Fragen, die allgemeine Regulirung des Postwesens durch Herabsetzung der hohen Tarife, zur Sprache gekommen. In den meisten dieser Aufsätze ist diese jetzt von England ausgehende Maaßregel aus der neuern Ansicht der Staatswirthschaft gerechtfertigt und

bei den obersten Behörden des Landes noch immer russische Uebersetzer nöthig sind, zum Behufe der Relationen mit den binnenländischen russischen Behörden. Sehr wenig deutsche Kaufleute in Riga, Reval u. s. w. sind des Russischen mächtig und sind immer froh, wenn sie nur einen des Russischen kundigen Comptoiristen in ihrem Geschäft haben. Die unabhängigen Gutsbesitzer des Landes, die nie im russischen Dienste waren, verstehen durchweg so wenig das Russische und bedienen sich bei Vorkommnissen ihrer Russisch lernenden Söhne oder der in ihrem Dienste stehenden Beamten, die hie und da etwas Russisch verstehen. Die Damen des Landes verstehen fast durchweg kein Russisch, daher wenn ein russischer Officier in der Gesellschaft vorgestellt wird, immer die erste Frage ist: „Verstehen Sie Deutsch“ oder „Est-ce que vous parlez Français?“ die dann oft mit einem stummen Kopfschütteln verneint wird, in welchem Falle sich die Conversation nur durch einen Dolmetscher macht.

Nach diesem Allen kann man sich denken, wie es mit der russischen Litteratur in den Ostseeprovinzen steht, die in litterarischer Hinsicht unserm gemeinsamen Vaterlande noch ganz angehören. Schiller und Goethe, Wieland, Herder und Schlegel sind auch hier die allbeliebten und verehrten Koryphäen, wie in Sachsen- und Schwabenland. Die belletristischen Journale, welche von Dorpat und Riga ausgehen, werden in deutscher Sprache geschrieben. Ebenso die Zeitungen, welche in Dorpat, Reval, Mitau, Libau, Riga gedruckt werden. Deßgleichen die Anzeigen und Wochenblätter für die alltäglichen Annoncen und Publicationen. Nur einige dieser Blätter erscheinen in esthischer und lettischer Sprache zur Belehrung und Benachrichtigung der Bauern. Kein einziges aber in russischer Sprache. Ebenso werden alle Bücher, die etwa zu provinciellen Zwecken in diesem Lande geschrieben werden, die Koch-, Garten- und Hausbücher, die Gesang- und Gesetzbücher, die theologischen, ackerwirtschaftlichen etc. Werke sämmtlich in deutscher Sprache geschrieben; und es ist ausgemacht, daß in Leipzig allein schon mehr russische Bücher gedruckt wurden, als in allen Städten der russischen Ostseeprovinzen zusammengenommen. Alle Bibliotheken des Landes bestehen bloß aus deutschen und französischen Büchern, und nur die öffentlichen haben hie und da einen Anhang von russischen Schriften. Die Begeisterung für Schiller und Goethe und die übrigen Dichter der herrlichsten Periode unserer Litteratur theilte man in Riga so lebhaft, wie in allen andern deutschen Orten. Mit freudiger Spannung erwartete man dort das Neue, was die Musenalmanache der neunziger Jahre bringen mochten. Schlegel, Tieck, Platen, Uhland, bis auf Rückert herab, fanden alle hier ihre Verehrer und Freunde, ja oft noch weit eifrigere und andächtigere Anbeter des Talents, je größer die Entfernung von den Schauplätzen der Production und je ärmer das Land selbst an Talenten ist. Auch was Heine, Pückler, dann Raumer schrieben, hallt hier nach und findet seine Vertheidiger und Anfechter. In der That fühlt sich der Deutsche in litterarischer und sprachlicher Beziehung in den Ostseeprovinzen ganz wie in der Heimath, und sieht sich von den Bewohnern als Freund, Genosse und Landsmann anerkannt. Ja der Bayer, Sachse, Preuße, wenn sie auch in politischer Beziehung alle zurückgewiesen werden, fühlt in jeder Hinsicht und im Allgemeinen weniger Stammesneid und Stammesfeindschaft, sieht sich im Allgemeinen als Deutscher freundlicher bewillkommnet, als bei seinen verschiedenen Stammesvettern des deutschen Vaterlandes.

Auf der andern Seite weiß man von Dershawin, von Puschkin, von Kruilow, von Karamsin oft noch nicht mehr, oder gar oft noch weniger als in Deutschland selbst, weil man nur von Leipzig und den andern deutschen Büchermärkten durch Uebersetzungen damit bekannt wird. Man dankt Gott, wenn man so viel russisch versteht, daß man mit den russischen Postillionen und Dünaflößern fertig wird, und läßt die wunderlichen Buchstaben der russischen Sprache unbuchstabirt, indem man sich in den Mußestunden lieber an den Productionen der deutschen oder französischen Muse erlabt.

IV. Rückblick.

So also ungefähr steht es mit unseren deutschen Brüdern im Schwertritter-Lande am rigischen und finnischen Meerbusen. In Sprache, Sitte, Litteratur, Religion und Institutionen annoch deutsch und im Grunde der Seele deutsch, schreiten sie allerdings mehr und mehr, jedoch langsam, der Entnationalisirung durch Slaventhum entgegen. Im Süden in Kurland, welches freilich ein polnisches Lehn aber ein deutsches Herzogthum mit völlig germanischen Institutionen, den deutschen Geist am meisten bewahrte, hat diese Entnationalisirung noch am wenigsten festen Fuß gefaßt, in Livland schon mehr, in Esthland, obgleich auch hier wenig, doch am meisten. In Kurland rühmt man sich noch größerer Redlichkeit, unabhängigerer Gerichtshöfe, adeligern und edleren Sinnes. In Livland – so behaupten die Kurländer – habe schon Bestechlichkeit und Feilheit mehr Wurzel geschlagen. Die deutschen Familien sind hier mehr mit russischen verzweigt und gemischt. Die Russen sind hier schon mehr in gesellige Verhältnisse eingedrungen und in Esthland endlich, wo der halbe Adel im Dienste der Krone steht, ist dieß noch mehr der Fall.

Die politischen Institutionen der Provinzen, die Privilegien des Adels, die Gerechtsame und Gesetze der Universitäten, Gymnasien und Schüler, die Verfassung der Städte sind das Hauptbollwerk des deutschen Geistes. Die eifrige Anhänglichkeit der Einwohnerschaft an sie beweist dieß. Der vorübergehende zehnjährige Wegfall dieser Institutionen zur Zeit Katharinens zeigt, was aus dem Lande werden würde, wenn sie wieder einmal auf immer fallen sollten. Die deutschen adeligen Familien würden mit einer Menge russischer vermischt werden, und bei dem durch Heirathen fortschreitenden Russenthum am Ende selbst ganz russisch werden. Die deutschen Bürger würden sich mehr und mehr von den Aemtern zurückziehen und die Verwaltung der Communen würde völlig in die Hände der Russen übergehen. Die Deutschen würden daher zuletzt ganz in dieselben Verhältnisse kommen, wie in den andern ächtrussischen Städten. Jedoch würde diese Umwandlung nur sehr langsam vor sich gehen, am schnellsten aber bei dem Adel der Provinzen statt haben, weil die ganze Stellung eines Edelmannes in den deutschen Ostseeprovinzen der eines russischen „Pamäschtschick“ weit mehr gleicht, als die eines deutschen Bürgers der eines russischen „Meschtschanin.“ – Und so mögen wir denn noch lange unsere Sympathien den deutschen Ostsee-Brüdern schenken, und hoffen, daß auch sie noch lange mit Liebe wenn auch nicht an dem großen deutschen Vaterland, doch an dem großen, deutschen Mutterstamm hängen werden.

Ueber Posttarif-Ermäßigung, besonders in Beziehung auf Post-Transit.

Es ist in letzter Zeit in den öffentlichen Blättern mehrfach eine der wichtigen, unstreitig vielseitiger Aufmerksamkeit würdigen staatswirthschaftlichen Fragen, die allgemeine Regulirung des Postwesens durch Herabsetzung der hohen Tarife, zur Sprache gekommen. In den meisten dieser Aufsätze ist diese jetzt von England ausgehende Maaßregel aus der neuern Ansicht der Staatswirthschaft gerechtfertigt und

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[1339/0011] bei den obersten Behörden des Landes noch immer russische Uebersetzer nöthig sind, zum Behufe der Relationen mit den binnenländischen russischen Behörden. Sehr wenig deutsche Kaufleute in Riga, Reval u. s. w. sind des Russischen mächtig und sind immer froh, wenn sie nur einen des Russischen kundigen Comptoiristen in ihrem Geschäft haben. Die unabhängigen Gutsbesitzer des Landes, die nie im russischen Dienste waren, verstehen durchweg so wenig das Russische und bedienen sich bei Vorkommnissen ihrer Russisch lernenden Söhne oder der in ihrem Dienste stehenden Beamten, die hie und da etwas Russisch verstehen. Die Damen des Landes verstehen fast durchweg kein Russisch, daher wenn ein russischer Officier in der Gesellschaft vorgestellt wird, immer die erste Frage ist: „Verstehen Sie Deutsch“ oder „Est-ce que vous parlez Français?“ die dann oft mit einem stummen Kopfschütteln verneint wird, in welchem Falle sich die Conversation nur durch einen Dolmetscher macht. Nach diesem Allen kann man sich denken, wie es mit der russischen Litteratur in den Ostseeprovinzen steht, die in litterarischer Hinsicht unserm gemeinsamen Vaterlande noch ganz angehören. Schiller und Goethe, Wieland, Herder und Schlegel sind auch hier die allbeliebten und verehrten Koryphäen, wie in Sachsen- und Schwabenland. Die belletristischen Journale, welche von Dorpat und Riga ausgehen, werden in deutscher Sprache geschrieben. Ebenso die Zeitungen, welche in Dorpat, Reval, Mitau, Libau, Riga gedruckt werden. Deßgleichen die Anzeigen und Wochenblätter für die alltäglichen Annoncen und Publicationen. Nur einige dieser Blätter erscheinen in esthischer und lettischer Sprache zur Belehrung und Benachrichtigung der Bauern. Kein einziges aber in russischer Sprache. Ebenso werden alle Bücher, die etwa zu provinciellen Zwecken in diesem Lande geschrieben werden, die Koch-, Garten- und Hausbücher, die Gesang- und Gesetzbücher, die theologischen, ackerwirtschaftlichen etc. Werke sämmtlich in deutscher Sprache geschrieben; und es ist ausgemacht, daß in Leipzig allein schon mehr russische Bücher gedruckt wurden, als in allen Städten der russischen Ostseeprovinzen zusammengenommen. Alle Bibliotheken des Landes bestehen bloß aus deutschen und französischen Büchern, und nur die öffentlichen haben hie und da einen Anhang von russischen Schriften. Die Begeisterung für Schiller und Goethe und die übrigen Dichter der herrlichsten Periode unserer Litteratur theilte man in Riga so lebhaft, wie in allen andern deutschen Orten. Mit freudiger Spannung erwartete man dort das Neue, was die Musenalmanache der neunziger Jahre bringen mochten. Schlegel, Tieck, Platen, Uhland, bis auf Rückert herab, fanden alle hier ihre Verehrer und Freunde, ja oft noch weit eifrigere und andächtigere Anbeter des Talents, je größer die Entfernung von den Schauplätzen der Production und je ärmer das Land selbst an Talenten ist. Auch was Heine, Pückler, dann Raumer schrieben, hallt hier nach und findet seine Vertheidiger und Anfechter. In der That fühlt sich der Deutsche in litterarischer und sprachlicher Beziehung in den Ostseeprovinzen ganz wie in der Heimath, und sieht sich von den Bewohnern als Freund, Genosse und Landsmann anerkannt. Ja der Bayer, Sachse, Preuße, wenn sie auch in politischer Beziehung alle zurückgewiesen werden, fühlt in jeder Hinsicht und im Allgemeinen weniger Stammesneid und Stammesfeindschaft, sieht sich im Allgemeinen als Deutscher freundlicher bewillkommnet, als bei seinen verschiedenen Stammesvettern des deutschen Vaterlandes. Auf der andern Seite weiß man von Dershawin, von Puschkin, von Kruilow, von Karamsin oft noch nicht mehr, oder gar oft noch weniger als in Deutschland selbst, weil man nur von Leipzig und den andern deutschen Büchermärkten durch Uebersetzungen damit bekannt wird. Man dankt Gott, wenn man so viel russisch versteht, daß man mit den russischen Postillionen und Dünaflößern fertig wird, und läßt die wunderlichen Buchstaben der russischen Sprache unbuchstabirt, indem man sich in den Mußestunden lieber an den Productionen der deutschen oder französischen Muse erlabt. IV. Rückblick. So also ungefähr steht es mit unseren deutschen Brüdern im Schwertritter-Lande am rigischen und finnischen Meerbusen. In Sprache, Sitte, Litteratur, Religion und Institutionen annoch deutsch und im Grunde der Seele deutsch, schreiten sie allerdings mehr und mehr, jedoch langsam, der Entnationalisirung durch Slaventhum entgegen. Im Süden in Kurland, welches freilich ein polnisches Lehn aber ein deutsches Herzogthum mit völlig germanischen Institutionen, den deutschen Geist am meisten bewahrte, hat diese Entnationalisirung noch am wenigsten festen Fuß gefaßt, in Livland schon mehr, in Esthland, obgleich auch hier wenig, doch am meisten. In Kurland rühmt man sich noch größerer Redlichkeit, unabhängigerer Gerichtshöfe, adeligern und edleren Sinnes. In Livland – so behaupten die Kurländer – habe schon Bestechlichkeit und Feilheit mehr Wurzel geschlagen. Die deutschen Familien sind hier mehr mit russischen verzweigt und gemischt. Die Russen sind hier schon mehr in gesellige Verhältnisse eingedrungen und in Esthland endlich, wo der halbe Adel im Dienste der Krone steht, ist dieß noch mehr der Fall. Die politischen Institutionen der Provinzen, die Privilegien des Adels, die Gerechtsame und Gesetze der Universitäten, Gymnasien und Schüler, die Verfassung der Städte sind das Hauptbollwerk des deutschen Geistes. Die eifrige Anhänglichkeit der Einwohnerschaft an sie beweist dieß. Der vorübergehende zehnjährige Wegfall dieser Institutionen zur Zeit Katharinens zeigt, was aus dem Lande werden würde, wenn sie wieder einmal auf immer fallen sollten. Die deutschen adeligen Familien würden mit einer Menge russischer vermischt werden, und bei dem durch Heirathen fortschreitenden Russenthum am Ende selbst ganz russisch werden. Die deutschen Bürger würden sich mehr und mehr von den Aemtern zurückziehen und die Verwaltung der Communen würde völlig in die Hände der Russen übergehen. Die Deutschen würden daher zuletzt ganz in dieselben Verhältnisse kommen, wie in den andern ächtrussischen Städten. Jedoch würde diese Umwandlung nur sehr langsam vor sich gehen, am schnellsten aber bei dem Adel der Provinzen statt haben, weil die ganze Stellung eines Edelmannes in den deutschen Ostseeprovinzen der eines russischen „Pamäschtschick“ weit mehr gleicht, als die eines deutschen Bürgers der eines russischen „Meschtschanin.“ – Und so mögen wir denn noch lange unsere Sympathien den deutschen Ostsee-Brüdern schenken, und hoffen, daß auch sie noch lange mit Liebe wenn auch nicht an dem großen deutschen Vaterland, doch an dem großen, deutschen Mutterstamm hängen werden. Ueber Posttarif-Ermäßigung, besonders in Beziehung auf Post-Transit. _ Von der Donau. Es ist in letzter Zeit in den öffentlichen Blättern mehrfach eine der wichtigen, unstreitig vielseitiger Aufmerksamkeit würdigen staatswirthschaftlichen Fragen, die allgemeine Regulirung des Postwesens durch Herabsetzung der hohen Tarife, zur Sprache gekommen. In den meisten dieser Aufsätze ist diese jetzt von England ausgehende Maaßregel aus der neuern Ansicht der Staatswirthschaft gerechtfertigt und

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 168. Augsburg, 16. Juni 1840, S. 1339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_168_18400616/11>, abgerufen am 21.11.2024.