Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 170. Augsburg, 18. Juni 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

sich vorfindet, der eine geprüfte Apothekerin vorsteht, und die specifischen Arzneien auf das pünktlichste bereitet. Das Spital steht wie jedes andere unter der Controle der Regierung. Anziehend für den ärztlichen Beobachter ist auch das Wirken des Dr. Fleischmann. Er ist gleich entfernt von einer schlaffen Inconsequenz hinsichtlich des Princips, wie von einem einseitigen, fanatischen Dogmatismus in unwesentlichen Nebenpunkten. Seine Behandlung ist sehr einfach, und bei der Wahl der Mittel scheint er vielen Tact zu besitzen. Er nimmt bei der Bestimmung der Krankheiten und der Heilmittel besondere Rücksicht auf die Resultate der pathologischen Anatomie, und entfernt sich dadurch entschieden von denjenigen, welche bei der Congruenz geistloser Symptomencomplexe stehen bleiben. Durch alles dieses, ebenso durch seine Mäßigung im Gebrauche kleiner Dosen ist er auch für den allopathischen Arzt, der sein Spital besucht, eine nichts weniger als abschreckende Erscheinung.

Man ist der neuen Heilmethode und denen, die sie auf eine tüchtige Art pflegen, ein solches Zeugniß um so mehr schuldig, wenn sie, man sollte es kaum für möglich halten, jetzt noch Gegner findet, wie sich einer in Ihrer Zeitung im vorigen Jahre vom 23 October aus Prag hat vernehmen lassen. Es ist natürlich hier nicht der Ort auf eine in die Sache eingehende wissenschaftliche Art zu polemisiren; es kann nur davon die Rede seyn, Thatsachen, die vor den Augen eines jeden aus dem größern Publicum liegen, geltend zu machen. Wenn nun schon seit mehr als dreißig Jahren eine Heilmethode besteht, sich trotz der Paradoxie, die theils in ihren wirklichen und wesentlichen Lehren zu liegen scheint, theils aber auch durch Ungeschicklichkeit und Seichtigkeit mancher ihrer Anhänger erst in sie hineingetragen wurde, immer weiter verbreitet, und diese Ausdehnung durch die langsame von Krankenbett zu Krankenbett fortgehende Ueberzeugung ihres praktischen Nutzens, nicht durch blendende Theorien (die Homöopathen haben noch gar keine gemeinsame Theorie für ihr Verfahren, aber gerade diese Uneinigkeit im Theoretischen beweist, daß ihre Einhelligkeit im Praktischen einen unerschütterlichen thatsächlichen Grund hat) genommen hat, wenn sich diese Ausbreitung in einer bedeutenden Zahl von Männern *) repräsentirt, die, mit Wissen ausgerüstet, für wahrhaft in ihren Berichten und für kalte Beobachter gehalten werden müssen, wenn endlich umfangreiche, vom Staate anerkannte Anstalten aus dem Schooße der neuen Lehre hervorgehen, so darf man im Angesicht solcher Thatsachen es kecklich für einen unverantwortlichen Leichtsinn erklären, wenn alles dieß mit einem leichten Federstrich abgeläugnet wird, ohne daß man die gewichtigsten Gründe dazu hat. Welche Gründe können dieß seyn? - Wie sich die homöopathische Heilmethode auf eine doppelte Art Anerkennung verschaffen kann, theils durch Einsicht in den Zusammenhang ihres Princips mit andern bewährten physiologischen Gesetzen und Erfahrungen, theils durch die unabweislichen Thatsachen am Krankenbette, so kann sie auch nur auf diese doppelte Art bestritten werden. Ist nun der Gegner nicht im Stande, das neue Heilprincip durch theoretische Untersuchung physiologischer Gesetze sich zu bewähren und begreiflich zu machen, so ist es ihm doch Angesichts der vorhin bezeichneten Erfolge auf keine Weise erlaubt, den Stab über das Ganze zu brechen, wenn er nicht auch das andere noch wichtigere Mittel, um zu einem brauchbaren Urtheile über die Sache zu kommen, die Erfahrung am Krankenbette, auf eine gründliche Art benützt hat. Daß unser Gegner diese Prüfung gänzlich vernachlässigt hat, sieht man aus der ganzen Art seiner Polemik. Wie er denn auch ausdrücklich sagt: "Es ist das heilige Recht der Vernunft allen Thatsachen zum Trotz das ihr Contradictorische zu verwerfen." Hierbei ist aber wohl zu bedenken, daß die Homöopathie der Gegenwart eine ganz andere ist als die anfängliche vor dreißig Jahren. Sie hat sich von vielem Unhaltbaren, ja Widersinnigen gereinigt, z. B. von dem Dogma der ab oluten Gabenkleinheit, von der Psora-Theorie, von der Verwerfung aller tiefern Erforschung des Krankheitsprocesses; der wesentliche Kern, welcher nach dieser Reform noch übrig bleibt, ist das Heilprincip "similia similibus curantur" und die zu seiner Ausführung unentbehrlichen Prüfungen der Arzneien am Gesunden, die freilich auch noch großer Reinigung und Ergänzung bedürfen. Zwar liegt auch in diesem neuen Heilprincip noch immer genug anscheinend Paradoxes, aber gerade in der jetzigen Zeit ist es das ernstlichste Bemühen der reformirten Homöopathie, das neue Princip durch bewährte physiologische Gesetze auch theoretisch begreiflich zu machen, und es ist sehr die Frage, ob unser Gegner, diesen Bemühungen gegenüber, das neue Princip noch für so gar vernunftwidrig wird halten können. Noch in anderer Weise ist die Stellung der Homöopathie zur übrigen Medicin eine veränderte: die Homöopathie in ihrer ursprünglichen Form verwarf auf das einseitigste die ganze alte Medicin sammt allen bisherigen Methoden, welche doch Jahrtausende durch sich bewährt hatten. Ist es ein Wunder, wenn die Mehrzahl der Aerzte bei dieser Alternative sich gegen das Neue kehrte. Jetzt ist aber der Stand der Sache anders. Die Homöopathie verwirft nicht mehr das Alte, sie will zu letzterem nur noch ihren neuen Heilgrundsatz hinzufügen (der freilich eine Menge Altes entbehrlich macht), und sie glaubt beides vereinigen zu können. Die alte Medicin hat gar nicht mehr nöthig, ihre Existenz zu vertheidigen, sie soll bloß das neuentdeckte Princip in ihren Kreis aufnehmen, und gerade das ist es, wogegen man sich sträubt, ohne durch genaue Prüfung dazu berechtigt zu seyn. Wenn der Gegner sagt: "die Wissenschaft habe die homöopathische Heilmethode gerichtet," wenn er fragt: ob nicht in der Untauglichkeit ihres Princips der Grund zu suchen sey, daß die Opposition gegen dasselbe viel länger daure als gegen Copernicus und Harvey, so weiß man eigentlich gar nicht, was man auf diese wunderliche Einwendung antworten soll. Wenn die neue Methode durch eine zahlreiche compacte Masse von Anhängern repräsentirt ist, so ist ja der Ausdruck "Opposition" nur noch in einem ganz relativen Sinn zu verstehen, und es kann offenbar nur noch die Meinung seyn, daß die Anhänger der Homöopathie noch in der Minorität sind. Wir wollen sogar diese Minorität noch geringer machen, indem wir alle diejenigen davon abziehen, welche aus unlautern Absichten oder in haltungsloser Leichtgläubigkeit sich dem Neuen zuwandten; aber eben so nehmen wir von der Majorität derer, die dem Alten anhängen, alle diejenigen weg, welche wirklich zu entschuldigen sind, wenn sie von der neuen Methode keine Notiz nehmen, sey es aus Ueberhäufung mit Geschäften, sey es, daß ihnen durch Mangel an collegialischer oder litterarischer Anregung noch nicht eine gehörige Kunde von der neuen Methode zugekommen ist. Wenn aber auch dann noch auf Seite des Alten eine Majorität bleibt, was folgt daraus? Der heillose Widerstand, den die am Alten hängenden Aerzte gerade der Entdeckung des Blutkreislaufes entgegen setzten, ist ja zum Sprüchwort gelehrter Hartnäckigkeit geworden, wie denn einer gesagt hat: malo cum Galeno errare, quam cum Harveyo esse circulator. Eben so wenig hätte Copernicus genannt werden sollen, denn abgesehen von den Verfolgungen seiner Ansicht, sehen wir noch geraume Zeit später, wie eine der bedeutendsten astronomischen Autoritäten, Tycho de Brahe, diese neue Entdeckung mit dem alten Ptolemäischen Wirrwarr vermischen will.

Ueberhaupt bringen sich die Beweisgründe, welche unser Gegner geltend macht, nachgerade durch ihre Uebertreibung selbst um allen Credit. Wenn er sagt, daß alle Gelehrten der gesammten Welt, darunter Männer, die in ganz Europa mit größter Achtung genannt werden, und welche ihre ganze Lebenszeit der Wissenschaft gewidmet haben, doch nicht wohl für Verblendete oder gar absichtliche Läugner der Wahrheit angesehen werden können, weil sie der Homöopathie nicht huldigen: so fragt sich ganz einfach, ob die Gelehrten, die der Gegner meint, ihre ganze Lebenszeit oder einen großen Theil derselben gerade der praktischen Medicin und innerhalb derselben einer gründlichen Prüfung der Homöopathie zugewendet haben. Ist dieß nicht, so gilt auch ihr Urtheil in dieser Sache so viel wie nichts, und die Homöopathie einerseits wie der Charakter und die hohe Gelehrsamkeit jener Autoritäten andrerseits können aufs beste neben einander bestehen. Damit uns ja kein Zweifel bleibe, ob uns unser Gegner wirklich diese Hinterthüre offen lasse, durch welche wir seiner drohenden Alternative entschlüpfen, machte er Gelehrte namhaft, welche die Geheimnisse der Natur bis auf die Höhen des Chimborasso und in die Sandwüsten von Afrika verfolgten, verschweigt aber weislich, ob sie auch am Krankenbette gründliche Versuche mit ähnlichwirkenden Mitteln gemacht haben. Eben darum ist auch die Erwähnung der Naturforscherversammlungen, die insgesammt die Homöopathie verdammt haben sollen, von gar keinem Gewichte. Nur von den medicinischen Sectionen dieser Vereine kann hier mit Fug die Rede seyn; und es ist schon mehreremal in diesen Versammlungen der Versuch gemacht worden, die Homöopathie zur Sprache zu bringen, aber sie wurden immer von der Majorität - deren Charakter wir oben bezeichnet haben - zum Schweigen gebracht. Scharfsichtige Beobachter haben bemerken wollen, daß in den medicinischen Sectionen dieser

*) Untaugliche Individuen wird wohl jede der ärztlichen Schulen zu desavouiren haben, und man sollte endlich aufhören den Doctrinen zur Last zu legen, was nur Schuld der Anhänger ist.

sich vorfindet, der eine geprüfte Apothekerin vorsteht, und die specifischen Arzneien auf das pünktlichste bereitet. Das Spital steht wie jedes andere unter der Controle der Regierung. Anziehend für den ärztlichen Beobachter ist auch das Wirken des Dr. Fleischmann. Er ist gleich entfernt von einer schlaffen Inconsequenz hinsichtlich des Princips, wie von einem einseitigen, fanatischen Dogmatismus in unwesentlichen Nebenpunkten. Seine Behandlung ist sehr einfach, und bei der Wahl der Mittel scheint er vielen Tact zu besitzen. Er nimmt bei der Bestimmung der Krankheiten und der Heilmittel besondere Rücksicht auf die Resultate der pathologischen Anatomie, und entfernt sich dadurch entschieden von denjenigen, welche bei der Congruenz geistloser Symptomencomplexe stehen bleiben. Durch alles dieses, ebenso durch seine Mäßigung im Gebrauche kleiner Dosen ist er auch für den allopathischen Arzt, der sein Spital besucht, eine nichts weniger als abschreckende Erscheinung.

Man ist der neuen Heilmethode und denen, die sie auf eine tüchtige Art pflegen, ein solches Zeugniß um so mehr schuldig, wenn sie, man sollte es kaum für möglich halten, jetzt noch Gegner findet, wie sich einer in Ihrer Zeitung im vorigen Jahre vom 23 October aus Prag hat vernehmen lassen. Es ist natürlich hier nicht der Ort auf eine in die Sache eingehende wissenschaftliche Art zu polemisiren; es kann nur davon die Rede seyn, Thatsachen, die vor den Augen eines jeden aus dem größern Publicum liegen, geltend zu machen. Wenn nun schon seit mehr als dreißig Jahren eine Heilmethode besteht, sich trotz der Paradoxie, die theils in ihren wirklichen und wesentlichen Lehren zu liegen scheint, theils aber auch durch Ungeschicklichkeit und Seichtigkeit mancher ihrer Anhänger erst in sie hineingetragen wurde, immer weiter verbreitet, und diese Ausdehnung durch die langsame von Krankenbett zu Krankenbett fortgehende Ueberzeugung ihres praktischen Nutzens, nicht durch blendende Theorien (die Homöopathen haben noch gar keine gemeinsame Theorie für ihr Verfahren, aber gerade diese Uneinigkeit im Theoretischen beweist, daß ihre Einhelligkeit im Praktischen einen unerschütterlichen thatsächlichen Grund hat) genommen hat, wenn sich diese Ausbreitung in einer bedeutenden Zahl von Männern *) repräsentirt, die, mit Wissen ausgerüstet, für wahrhaft in ihren Berichten und für kalte Beobachter gehalten werden müssen, wenn endlich umfangreiche, vom Staate anerkannte Anstalten aus dem Schooße der neuen Lehre hervorgehen, so darf man im Angesicht solcher Thatsachen es kecklich für einen unverantwortlichen Leichtsinn erklären, wenn alles dieß mit einem leichten Federstrich abgeläugnet wird, ohne daß man die gewichtigsten Gründe dazu hat. Welche Gründe können dieß seyn? – Wie sich die homöopathische Heilmethode auf eine doppelte Art Anerkennung verschaffen kann, theils durch Einsicht in den Zusammenhang ihres Princips mit andern bewährten physiologischen Gesetzen und Erfahrungen, theils durch die unabweislichen Thatsachen am Krankenbette, so kann sie auch nur auf diese doppelte Art bestritten werden. Ist nun der Gegner nicht im Stande, das neue Heilprincip durch theoretische Untersuchung physiologischer Gesetze sich zu bewähren und begreiflich zu machen, so ist es ihm doch Angesichts der vorhin bezeichneten Erfolge auf keine Weise erlaubt, den Stab über das Ganze zu brechen, wenn er nicht auch das andere noch wichtigere Mittel, um zu einem brauchbaren Urtheile über die Sache zu kommen, die Erfahrung am Krankenbette, auf eine gründliche Art benützt hat. Daß unser Gegner diese Prüfung gänzlich vernachlässigt hat, sieht man aus der ganzen Art seiner Polemik. Wie er denn auch ausdrücklich sagt: „Es ist das heilige Recht der Vernunft allen Thatsachen zum Trotz das ihr Contradictorische zu verwerfen.“ Hierbei ist aber wohl zu bedenken, daß die Homöopathie der Gegenwart eine ganz andere ist als die anfängliche vor dreißig Jahren. Sie hat sich von vielem Unhaltbaren, ja Widersinnigen gereinigt, z. B. von dem Dogma der ab oluten Gabenkleinheit, von der Psora-Theorie, von der Verwerfung aller tiefern Erforschung des Krankheitsprocesses; der wesentliche Kern, welcher nach dieser Reform noch übrig bleibt, ist das Heilprincip „similia similibus curantur“ und die zu seiner Ausführung unentbehrlichen Prüfungen der Arzneien am Gesunden, die freilich auch noch großer Reinigung und Ergänzung bedürfen. Zwar liegt auch in diesem neuen Heilprincip noch immer genug anscheinend Paradoxes, aber gerade in der jetzigen Zeit ist es das ernstlichste Bemühen der reformirten Homöopathie, das neue Princip durch bewährte physiologische Gesetze auch theoretisch begreiflich zu machen, und es ist sehr die Frage, ob unser Gegner, diesen Bemühungen gegenüber, das neue Princip noch für so gar vernunftwidrig wird halten können. Noch in anderer Weise ist die Stellung der Homöopathie zur übrigen Medicin eine veränderte: die Homöopathie in ihrer ursprünglichen Form verwarf auf das einseitigste die ganze alte Medicin sammt allen bisherigen Methoden, welche doch Jahrtausende durch sich bewährt hatten. Ist es ein Wunder, wenn die Mehrzahl der Aerzte bei dieser Alternative sich gegen das Neue kehrte. Jetzt ist aber der Stand der Sache anders. Die Homöopathie verwirft nicht mehr das Alte, sie will zu letzterem nur noch ihren neuen Heilgrundsatz hinzufügen (der freilich eine Menge Altes entbehrlich macht), und sie glaubt beides vereinigen zu können. Die alte Medicin hat gar nicht mehr nöthig, ihre Existenz zu vertheidigen, sie soll bloß das neuentdeckte Princip in ihren Kreis aufnehmen, und gerade das ist es, wogegen man sich sträubt, ohne durch genaue Prüfung dazu berechtigt zu seyn. Wenn der Gegner sagt: „die Wissenschaft habe die homöopathische Heilmethode gerichtet,“ wenn er fragt: ob nicht in der Untauglichkeit ihres Princips der Grund zu suchen sey, daß die Opposition gegen dasselbe viel länger daure als gegen Copernicus und Harvey, so weiß man eigentlich gar nicht, was man auf diese wunderliche Einwendung antworten soll. Wenn die neue Methode durch eine zahlreiche compacte Masse von Anhängern repräsentirt ist, so ist ja der Ausdruck „Opposition“ nur noch in einem ganz relativen Sinn zu verstehen, und es kann offenbar nur noch die Meinung seyn, daß die Anhänger der Homöopathie noch in der Minorität sind. Wir wollen sogar diese Minorität noch geringer machen, indem wir alle diejenigen davon abziehen, welche aus unlautern Absichten oder in haltungsloser Leichtgläubigkeit sich dem Neuen zuwandten; aber eben so nehmen wir von der Majorität derer, die dem Alten anhängen, alle diejenigen weg, welche wirklich zu entschuldigen sind, wenn sie von der neuen Methode keine Notiz nehmen, sey es aus Ueberhäufung mit Geschäften, sey es, daß ihnen durch Mangel an collegialischer oder litterarischer Anregung noch nicht eine gehörige Kunde von der neuen Methode zugekommen ist. Wenn aber auch dann noch auf Seite des Alten eine Majorität bleibt, was folgt daraus? Der heillose Widerstand, den die am Alten hängenden Aerzte gerade der Entdeckung des Blutkreislaufes entgegen setzten, ist ja zum Sprüchwort gelehrter Hartnäckigkeit geworden, wie denn einer gesagt hat: malo cum Galeno errare, quam cum Harveyo esse circulator. Eben so wenig hätte Copernicus genannt werden sollen, denn abgesehen von den Verfolgungen seiner Ansicht, sehen wir noch geraume Zeit später, wie eine der bedeutendsten astronomischen Autoritäten, Tycho de Brahe, diese neue Entdeckung mit dem alten Ptolémäischen Wirrwarr vermischen will.

Ueberhaupt bringen sich die Beweisgründe, welche unser Gegner geltend macht, nachgerade durch ihre Uebertreibung selbst um allen Credit. Wenn er sagt, daß alle Gelehrten der gesammten Welt, darunter Männer, die in ganz Europa mit größter Achtung genannt werden, und welche ihre ganze Lebenszeit der Wissenschaft gewidmet haben, doch nicht wohl für Verblendete oder gar absichtliche Läugner der Wahrheit angesehen werden können, weil sie der Homöopathie nicht huldigen: so fragt sich ganz einfach, ob die Gelehrten, die der Gegner meint, ihre ganze Lebenszeit oder einen großen Theil derselben gerade der praktischen Medicin und innerhalb derselben einer gründlichen Prüfung der Homöopathie zugewendet haben. Ist dieß nicht, so gilt auch ihr Urtheil in dieser Sache so viel wie nichts, und die Homöopathie einerseits wie der Charakter und die hohe Gelehrsamkeit jener Autoritäten andrerseits können aufs beste neben einander bestehen. Damit uns ja kein Zweifel bleibe, ob uns unser Gegner wirklich diese Hinterthüre offen lasse, durch welche wir seiner drohenden Alternative entschlüpfen, machte er Gelehrte namhaft, welche die Geheimnisse der Natur bis auf die Höhen des Chimborasso und in die Sandwüsten von Afrika verfolgten, verschweigt aber weislich, ob sie auch am Krankenbette gründliche Versuche mit ähnlichwirkenden Mitteln gemacht haben. Eben darum ist auch die Erwähnung der Naturforscherversammlungen, die insgesammt die Homöopathie verdammt haben sollen, von gar keinem Gewichte. Nur von den medicinischen Sectionen dieser Vereine kann hier mit Fug die Rede seyn; und es ist schon mehreremal in diesen Versammlungen der Versuch gemacht worden, die Homöopathie zur Sprache zu bringen, aber sie wurden immer von der Majorität – deren Charakter wir oben bezeichnet haben – zum Schweigen gebracht. Scharfsichtige Beobachter haben bemerken wollen, daß in den medicinischen Sectionen dieser

*) Untaugliche Individuen wird wohl jede der ärztlichen Schulen zu desavouiren haben, und man sollte endlich aufhören den Doctrinen zur Last zu legen, was nur Schuld der Anhänger ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="1359"/>
sich vorfindet, der eine geprüfte Apothekerin vorsteht, und die specifischen Arzneien auf das pünktlichste bereitet. Das Spital steht wie jedes andere unter der Controle der Regierung. Anziehend für den ärztlichen Beobachter ist auch das Wirken des Dr. Fleischmann. Er ist gleich entfernt von einer schlaffen Inconsequenz hinsichtlich des Princips, wie von einem einseitigen, fanatischen Dogmatismus in unwesentlichen Nebenpunkten. Seine Behandlung ist sehr einfach, und bei der Wahl der Mittel scheint er vielen Tact zu besitzen. Er nimmt bei der Bestimmung der Krankheiten und der Heilmittel besondere Rücksicht auf die Resultate der pathologischen Anatomie, und entfernt sich dadurch entschieden von denjenigen, welche bei der Congruenz geistloser Symptomencomplexe stehen bleiben. Durch alles dieses, ebenso durch seine Mäßigung im Gebrauche kleiner Dosen ist er auch für den allopathischen Arzt, der sein Spital besucht, eine nichts weniger als abschreckende Erscheinung.</p><lb/>
        <p>Man ist der neuen Heilmethode und denen, die sie auf eine tüchtige Art pflegen, ein solches Zeugniß um so mehr schuldig, wenn sie, man sollte es kaum für möglich halten, jetzt noch Gegner findet, wie sich einer in Ihrer Zeitung im vorigen Jahre vom 23 October aus Prag hat vernehmen lassen. Es ist natürlich hier nicht der Ort auf eine in die Sache eingehende wissenschaftliche Art zu polemisiren; es kann nur davon die Rede seyn, Thatsachen, die vor den Augen eines jeden aus dem größern Publicum liegen, geltend zu machen. Wenn nun schon seit mehr als dreißig Jahren eine Heilmethode besteht, sich trotz der Paradoxie, die theils in ihren wirklichen und wesentlichen Lehren zu liegen <hi rendition="#g">scheint</hi>, theils aber auch durch Ungeschicklichkeit und Seichtigkeit mancher ihrer Anhänger erst in sie hineingetragen wurde, immer weiter verbreitet, und diese Ausdehnung durch die langsame von Krankenbett zu Krankenbett fortgehende Ueberzeugung ihres praktischen Nutzens, nicht durch blendende Theorien (die Homöopathen haben noch gar keine gemeinsame Theorie für ihr Verfahren, aber gerade diese Uneinigkeit im Theoretischen beweist, daß ihre Einhelligkeit im Praktischen einen unerschütterlichen thatsächlichen Grund hat) genommen hat, wenn sich diese Ausbreitung in einer bedeutenden Zahl von Männern <note place="foot" n="*)"><p>Untaugliche Individuen wird wohl jede der ärztlichen Schulen zu desavouiren haben, und man sollte endlich aufhören den Doctrinen zur Last zu legen, was nur Schuld der Anhänger ist.</p></note> repräsentirt, die, mit Wissen ausgerüstet, für wahrhaft in ihren Berichten und für kalte Beobachter gehalten werden müssen, wenn endlich umfangreiche, vom Staate anerkannte Anstalten aus dem Schooße der neuen Lehre hervorgehen, so darf man im Angesicht solcher Thatsachen es kecklich für einen unverantwortlichen Leichtsinn erklären, wenn alles dieß mit einem leichten Federstrich abgeläugnet wird, ohne daß man die gewichtigsten Gründe dazu hat. Welche Gründe können dieß seyn? &#x2013; Wie sich die homöopathische Heilmethode auf eine doppelte Art Anerkennung verschaffen kann, theils durch Einsicht in den Zusammenhang ihres Princips mit andern bewährten physiologischen Gesetzen und Erfahrungen, theils durch die unabweislichen Thatsachen am Krankenbette, so kann sie auch nur auf diese doppelte Art bestritten werden. Ist nun der Gegner nicht im Stande, das neue Heilprincip durch theoretische Untersuchung physiologischer Gesetze sich zu bewähren und begreiflich zu machen, so ist es ihm doch Angesichts der vorhin bezeichneten Erfolge auf keine Weise erlaubt, den Stab über das Ganze zu brechen, wenn er nicht auch das andere noch wichtigere Mittel, um zu einem brauchbaren Urtheile über die Sache zu kommen, die Erfahrung am Krankenbette, auf eine gründliche Art benützt hat. Daß unser Gegner <hi rendition="#g">diese</hi> Prüfung gänzlich vernachlässigt hat, sieht man aus der ganzen Art seiner Polemik. Wie er denn auch ausdrücklich sagt: &#x201E;Es ist das heilige Recht der Vernunft allen Thatsachen zum Trotz das ihr Contradictorische zu verwerfen.&#x201C; Hierbei ist aber wohl zu bedenken, daß die Homöopathie der Gegenwart eine ganz andere ist als die anfängliche vor dreißig Jahren. Sie hat sich von vielem Unhaltbaren, ja Widersinnigen gereinigt, z. B. von dem Dogma der ab oluten Gabenkleinheit, von der Psora-Theorie, von der Verwerfung aller tiefern Erforschung des Krankheitsprocesses; der wesentliche Kern, welcher nach dieser Reform noch übrig bleibt, ist das Heilprincip &#x201E;similia similibus curantur&#x201C; und die zu seiner Ausführung unentbehrlichen Prüfungen der Arzneien am Gesunden, die freilich auch noch großer Reinigung und Ergänzung bedürfen. Zwar liegt auch in diesem neuen Heilprincip noch immer genug anscheinend Paradoxes, aber gerade in der jetzigen Zeit ist es das ernstlichste Bemühen der reformirten Homöopathie, das neue Princip durch bewährte physiologische Gesetze auch theoretisch begreiflich zu machen, und es ist sehr die Frage, ob unser Gegner, diesen Bemühungen gegenüber, das neue Princip noch für so gar vernunftwidrig wird halten können. Noch in anderer Weise ist die Stellung der Homöopathie zur übrigen Medicin eine veränderte: die Homöopathie in ihrer ursprünglichen Form verwarf auf das einseitigste die ganze alte Medicin sammt allen bisherigen Methoden, welche doch Jahrtausende durch sich bewährt hatten. Ist es ein Wunder, wenn die Mehrzahl der Aerzte bei dieser Alternative sich <hi rendition="#g">gegen</hi> das Neue kehrte. Jetzt ist aber der Stand der Sache anders. Die Homöopathie verwirft nicht mehr das Alte, sie will zu letzterem nur noch ihren neuen Heilgrundsatz hinzufügen (der freilich eine Menge Altes entbehrlich macht), und sie glaubt beides vereinigen zu können. Die alte Medicin hat gar nicht mehr nöthig, ihre Existenz zu vertheidigen, sie soll bloß das neuentdeckte Princip in ihren Kreis aufnehmen, und gerade das ist es, wogegen man sich sträubt, ohne durch genaue Prüfung dazu berechtigt zu seyn. Wenn der Gegner sagt: &#x201E;die Wissenschaft habe die homöopathische Heilmethode gerichtet,&#x201C; wenn er fragt: ob nicht in der Untauglichkeit ihres Princips der Grund zu suchen sey, daß die Opposition gegen dasselbe viel länger daure als gegen Copernicus und Harvey, so weiß man eigentlich gar nicht, was man auf diese wunderliche Einwendung antworten soll. Wenn die neue Methode durch eine zahlreiche compacte Masse von Anhängern repräsentirt ist, so ist ja der Ausdruck &#x201E;Opposition&#x201C; nur noch in einem ganz relativen Sinn zu verstehen, und es kann offenbar nur noch die Meinung seyn, daß die Anhänger der Homöopathie noch in der Minorität sind. Wir wollen sogar diese Minorität noch geringer machen, indem wir alle diejenigen davon abziehen, welche aus unlautern Absichten oder in haltungsloser Leichtgläubigkeit sich dem Neuen zuwandten; aber eben so nehmen wir von der Majorität derer, die dem Alten anhängen, alle diejenigen weg, welche wirklich zu entschuldigen sind, wenn sie von der neuen Methode keine Notiz nehmen, sey es aus Ueberhäufung mit Geschäften, sey es, daß ihnen durch Mangel an collegialischer oder litterarischer Anregung noch nicht eine gehörige Kunde von der neuen Methode zugekommen ist. Wenn aber auch dann noch auf Seite des Alten eine Majorität bleibt, was folgt daraus? Der heillose Widerstand, den die am Alten hängenden Aerzte gerade der Entdeckung des Blutkreislaufes entgegen setzten, ist ja zum Sprüchwort gelehrter Hartnäckigkeit geworden, wie denn einer gesagt hat: malo cum Galeno errare, quam cum Harveyo esse circulator. Eben so wenig hätte Copernicus genannt werden sollen, denn abgesehen von den Verfolgungen seiner Ansicht, sehen wir noch geraume Zeit später, wie eine der bedeutendsten astronomischen Autoritäten, Tycho de Brahe, diese neue Entdeckung mit dem alten Ptolémäischen Wirrwarr vermischen will.</p><lb/>
        <p>Ueberhaupt bringen sich die Beweisgründe, welche unser Gegner geltend macht, nachgerade durch ihre Uebertreibung selbst um allen Credit. Wenn er sagt, daß alle Gelehrten der gesammten Welt, darunter Männer, die in ganz Europa mit größter Achtung genannt werden, und welche ihre ganze Lebenszeit der Wissenschaft gewidmet haben, doch nicht wohl für Verblendete oder gar absichtliche Läugner der Wahrheit angesehen werden können, weil sie der Homöopathie nicht huldigen: so fragt sich ganz einfach, ob die Gelehrten, die der Gegner meint, ihre ganze Lebenszeit oder einen großen Theil derselben gerade der praktischen Medicin und innerhalb derselben einer gründlichen Prüfung der Homöopathie zugewendet haben. Ist dieß nicht, so gilt auch ihr Urtheil <hi rendition="#g">in dieser Sache</hi> so viel wie nichts, und die Homöopathie einerseits wie der Charakter und die hohe Gelehrsamkeit jener Autoritäten andrerseits können aufs beste neben einander bestehen. Damit uns ja kein Zweifel bleibe, ob uns unser Gegner wirklich diese Hinterthüre offen lasse, durch welche wir seiner drohenden Alternative entschlüpfen, machte er Gelehrte namhaft, welche die Geheimnisse der Natur bis auf die Höhen des Chimborasso und in die Sandwüsten von Afrika verfolgten, verschweigt aber weislich, ob sie auch am Krankenbette gründliche Versuche mit ähnlichwirkenden Mitteln gemacht haben. Eben darum ist auch die Erwähnung der Naturforscherversammlungen, die insgesammt die Homöopathie verdammt haben sollen, von gar keinem Gewichte. Nur von den <hi rendition="#g">medicinischen</hi> Sectionen dieser Vereine kann hier mit Fug die Rede seyn; und es ist schon mehreremal in diesen Versammlungen der Versuch gemacht worden, die Homöopathie zur Sprache zu bringen, aber sie wurden immer von der Majorität &#x2013; deren Charakter wir oben bezeichnet haben &#x2013; zum Schweigen gebracht. Scharfsichtige Beobachter haben bemerken wollen, daß in den <hi rendition="#g">medicinischen</hi> Sectionen dieser<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1359/0015] sich vorfindet, der eine geprüfte Apothekerin vorsteht, und die specifischen Arzneien auf das pünktlichste bereitet. Das Spital steht wie jedes andere unter der Controle der Regierung. Anziehend für den ärztlichen Beobachter ist auch das Wirken des Dr. Fleischmann. Er ist gleich entfernt von einer schlaffen Inconsequenz hinsichtlich des Princips, wie von einem einseitigen, fanatischen Dogmatismus in unwesentlichen Nebenpunkten. Seine Behandlung ist sehr einfach, und bei der Wahl der Mittel scheint er vielen Tact zu besitzen. Er nimmt bei der Bestimmung der Krankheiten und der Heilmittel besondere Rücksicht auf die Resultate der pathologischen Anatomie, und entfernt sich dadurch entschieden von denjenigen, welche bei der Congruenz geistloser Symptomencomplexe stehen bleiben. Durch alles dieses, ebenso durch seine Mäßigung im Gebrauche kleiner Dosen ist er auch für den allopathischen Arzt, der sein Spital besucht, eine nichts weniger als abschreckende Erscheinung. Man ist der neuen Heilmethode und denen, die sie auf eine tüchtige Art pflegen, ein solches Zeugniß um so mehr schuldig, wenn sie, man sollte es kaum für möglich halten, jetzt noch Gegner findet, wie sich einer in Ihrer Zeitung im vorigen Jahre vom 23 October aus Prag hat vernehmen lassen. Es ist natürlich hier nicht der Ort auf eine in die Sache eingehende wissenschaftliche Art zu polemisiren; es kann nur davon die Rede seyn, Thatsachen, die vor den Augen eines jeden aus dem größern Publicum liegen, geltend zu machen. Wenn nun schon seit mehr als dreißig Jahren eine Heilmethode besteht, sich trotz der Paradoxie, die theils in ihren wirklichen und wesentlichen Lehren zu liegen scheint, theils aber auch durch Ungeschicklichkeit und Seichtigkeit mancher ihrer Anhänger erst in sie hineingetragen wurde, immer weiter verbreitet, und diese Ausdehnung durch die langsame von Krankenbett zu Krankenbett fortgehende Ueberzeugung ihres praktischen Nutzens, nicht durch blendende Theorien (die Homöopathen haben noch gar keine gemeinsame Theorie für ihr Verfahren, aber gerade diese Uneinigkeit im Theoretischen beweist, daß ihre Einhelligkeit im Praktischen einen unerschütterlichen thatsächlichen Grund hat) genommen hat, wenn sich diese Ausbreitung in einer bedeutenden Zahl von Männern *) repräsentirt, die, mit Wissen ausgerüstet, für wahrhaft in ihren Berichten und für kalte Beobachter gehalten werden müssen, wenn endlich umfangreiche, vom Staate anerkannte Anstalten aus dem Schooße der neuen Lehre hervorgehen, so darf man im Angesicht solcher Thatsachen es kecklich für einen unverantwortlichen Leichtsinn erklären, wenn alles dieß mit einem leichten Federstrich abgeläugnet wird, ohne daß man die gewichtigsten Gründe dazu hat. Welche Gründe können dieß seyn? – Wie sich die homöopathische Heilmethode auf eine doppelte Art Anerkennung verschaffen kann, theils durch Einsicht in den Zusammenhang ihres Princips mit andern bewährten physiologischen Gesetzen und Erfahrungen, theils durch die unabweislichen Thatsachen am Krankenbette, so kann sie auch nur auf diese doppelte Art bestritten werden. Ist nun der Gegner nicht im Stande, das neue Heilprincip durch theoretische Untersuchung physiologischer Gesetze sich zu bewähren und begreiflich zu machen, so ist es ihm doch Angesichts der vorhin bezeichneten Erfolge auf keine Weise erlaubt, den Stab über das Ganze zu brechen, wenn er nicht auch das andere noch wichtigere Mittel, um zu einem brauchbaren Urtheile über die Sache zu kommen, die Erfahrung am Krankenbette, auf eine gründliche Art benützt hat. Daß unser Gegner diese Prüfung gänzlich vernachlässigt hat, sieht man aus der ganzen Art seiner Polemik. Wie er denn auch ausdrücklich sagt: „Es ist das heilige Recht der Vernunft allen Thatsachen zum Trotz das ihr Contradictorische zu verwerfen.“ Hierbei ist aber wohl zu bedenken, daß die Homöopathie der Gegenwart eine ganz andere ist als die anfängliche vor dreißig Jahren. Sie hat sich von vielem Unhaltbaren, ja Widersinnigen gereinigt, z. B. von dem Dogma der ab oluten Gabenkleinheit, von der Psora-Theorie, von der Verwerfung aller tiefern Erforschung des Krankheitsprocesses; der wesentliche Kern, welcher nach dieser Reform noch übrig bleibt, ist das Heilprincip „similia similibus curantur“ und die zu seiner Ausführung unentbehrlichen Prüfungen der Arzneien am Gesunden, die freilich auch noch großer Reinigung und Ergänzung bedürfen. Zwar liegt auch in diesem neuen Heilprincip noch immer genug anscheinend Paradoxes, aber gerade in der jetzigen Zeit ist es das ernstlichste Bemühen der reformirten Homöopathie, das neue Princip durch bewährte physiologische Gesetze auch theoretisch begreiflich zu machen, und es ist sehr die Frage, ob unser Gegner, diesen Bemühungen gegenüber, das neue Princip noch für so gar vernunftwidrig wird halten können. Noch in anderer Weise ist die Stellung der Homöopathie zur übrigen Medicin eine veränderte: die Homöopathie in ihrer ursprünglichen Form verwarf auf das einseitigste die ganze alte Medicin sammt allen bisherigen Methoden, welche doch Jahrtausende durch sich bewährt hatten. Ist es ein Wunder, wenn die Mehrzahl der Aerzte bei dieser Alternative sich gegen das Neue kehrte. Jetzt ist aber der Stand der Sache anders. Die Homöopathie verwirft nicht mehr das Alte, sie will zu letzterem nur noch ihren neuen Heilgrundsatz hinzufügen (der freilich eine Menge Altes entbehrlich macht), und sie glaubt beides vereinigen zu können. Die alte Medicin hat gar nicht mehr nöthig, ihre Existenz zu vertheidigen, sie soll bloß das neuentdeckte Princip in ihren Kreis aufnehmen, und gerade das ist es, wogegen man sich sträubt, ohne durch genaue Prüfung dazu berechtigt zu seyn. Wenn der Gegner sagt: „die Wissenschaft habe die homöopathische Heilmethode gerichtet,“ wenn er fragt: ob nicht in der Untauglichkeit ihres Princips der Grund zu suchen sey, daß die Opposition gegen dasselbe viel länger daure als gegen Copernicus und Harvey, so weiß man eigentlich gar nicht, was man auf diese wunderliche Einwendung antworten soll. Wenn die neue Methode durch eine zahlreiche compacte Masse von Anhängern repräsentirt ist, so ist ja der Ausdruck „Opposition“ nur noch in einem ganz relativen Sinn zu verstehen, und es kann offenbar nur noch die Meinung seyn, daß die Anhänger der Homöopathie noch in der Minorität sind. Wir wollen sogar diese Minorität noch geringer machen, indem wir alle diejenigen davon abziehen, welche aus unlautern Absichten oder in haltungsloser Leichtgläubigkeit sich dem Neuen zuwandten; aber eben so nehmen wir von der Majorität derer, die dem Alten anhängen, alle diejenigen weg, welche wirklich zu entschuldigen sind, wenn sie von der neuen Methode keine Notiz nehmen, sey es aus Ueberhäufung mit Geschäften, sey es, daß ihnen durch Mangel an collegialischer oder litterarischer Anregung noch nicht eine gehörige Kunde von der neuen Methode zugekommen ist. Wenn aber auch dann noch auf Seite des Alten eine Majorität bleibt, was folgt daraus? Der heillose Widerstand, den die am Alten hängenden Aerzte gerade der Entdeckung des Blutkreislaufes entgegen setzten, ist ja zum Sprüchwort gelehrter Hartnäckigkeit geworden, wie denn einer gesagt hat: malo cum Galeno errare, quam cum Harveyo esse circulator. Eben so wenig hätte Copernicus genannt werden sollen, denn abgesehen von den Verfolgungen seiner Ansicht, sehen wir noch geraume Zeit später, wie eine der bedeutendsten astronomischen Autoritäten, Tycho de Brahe, diese neue Entdeckung mit dem alten Ptolémäischen Wirrwarr vermischen will. Ueberhaupt bringen sich die Beweisgründe, welche unser Gegner geltend macht, nachgerade durch ihre Uebertreibung selbst um allen Credit. Wenn er sagt, daß alle Gelehrten der gesammten Welt, darunter Männer, die in ganz Europa mit größter Achtung genannt werden, und welche ihre ganze Lebenszeit der Wissenschaft gewidmet haben, doch nicht wohl für Verblendete oder gar absichtliche Läugner der Wahrheit angesehen werden können, weil sie der Homöopathie nicht huldigen: so fragt sich ganz einfach, ob die Gelehrten, die der Gegner meint, ihre ganze Lebenszeit oder einen großen Theil derselben gerade der praktischen Medicin und innerhalb derselben einer gründlichen Prüfung der Homöopathie zugewendet haben. Ist dieß nicht, so gilt auch ihr Urtheil in dieser Sache so viel wie nichts, und die Homöopathie einerseits wie der Charakter und die hohe Gelehrsamkeit jener Autoritäten andrerseits können aufs beste neben einander bestehen. Damit uns ja kein Zweifel bleibe, ob uns unser Gegner wirklich diese Hinterthüre offen lasse, durch welche wir seiner drohenden Alternative entschlüpfen, machte er Gelehrte namhaft, welche die Geheimnisse der Natur bis auf die Höhen des Chimborasso und in die Sandwüsten von Afrika verfolgten, verschweigt aber weislich, ob sie auch am Krankenbette gründliche Versuche mit ähnlichwirkenden Mitteln gemacht haben. Eben darum ist auch die Erwähnung der Naturforscherversammlungen, die insgesammt die Homöopathie verdammt haben sollen, von gar keinem Gewichte. Nur von den medicinischen Sectionen dieser Vereine kann hier mit Fug die Rede seyn; und es ist schon mehreremal in diesen Versammlungen der Versuch gemacht worden, die Homöopathie zur Sprache zu bringen, aber sie wurden immer von der Majorität – deren Charakter wir oben bezeichnet haben – zum Schweigen gebracht. Scharfsichtige Beobachter haben bemerken wollen, daß in den medicinischen Sectionen dieser *) Untaugliche Individuen wird wohl jede der ärztlichen Schulen zu desavouiren haben, und man sollte endlich aufhören den Doctrinen zur Last zu legen, was nur Schuld der Anhänger ist.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_170_18400618
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_170_18400618/15
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 170. Augsburg, 18. Juni 1840, S. 1359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_170_18400618/15>, abgerufen am 21.11.2024.