Allgemeine Zeitung. Nr. 173. Augsburg, 21. Juni 1840.
Wir müssen diese schon von Hrn. Cousin sehr zusammengedrängten Auszüge noch mehr beschränken. Doch sind solche Fragmente aus dem Leben eines Verbannten jener Zeit immerhin interessant: sie zeichnen mit ein paar Pinselstrichen oft so viel, als die umständlichste historische Recapitulation vermöchte, während sie zugleich Blicke in das Gemüth derer werfen lassen, die man mit dem flachen Namen eines neueren Liberalen gezeichnet zu haben glaubt, während sie mit hundert geheimen Fäden an der Tradition des Vaterhauses, an der Sitte und Geschichte des Vaterlandes hängen und sich im tiefsten Herzen zurückgestoßen fühlen von Genossen, mit denen sie nichts gemein haben als das Scheitern ihrer Zukunftsplane und den Haß der Gegenpartei. Es liegt darin eine ernste Mahnung, aber sie wird überhört werden von denen, die nur der Stimme der Parteileidenschaft folgen. "Beunruhige dich (schreibt er unterm 26 Nov.) nicht zu sehr, oder vielmehr beunruhige dich recht ernsthaft, der du weißt und fühlst, daß das ganze Leben in der innern Existenz ruht. Ich habe Tage gehabt, wo ich mich ernsthaft für verloren hielt. Guter Gott! heißt das nicht sich sterben sehen? Im Grunde habe ich England nichts vorzuwerfen, sondern meiner Lebensart. Besuche machen und empfangen, Wege ohne Bedeutung von einem Ende der Stadt zum andern; die Nothwendigkeit, Englisch zu lernen, und ein entschiedenes Widerstreben, mir die Mühe zu geben; eine beunruhigende Zukunft, wenn ich meine Fähigkeiten nicht benutze; Ausgaben, welche bei weitem meine Mittel übersteigen! ... Jetzt will ich dir noch Einiges von den Bekanntschaften sagen, welche ich in London gemacht habe. Obenan steht Hr. James Mackintosh, Whigmitglied des Parlaments, Schwager von Sismondi und Jeffrey und Hauptredacteur der Edinburgh-Review. Eine mir unermeßlich scheinende Bildung und eine sehr aufgeklärte politische Philosophie charakterisiren, wenn ich anders urtheilsfähig bin, Hrn. Mackintosh. Uebrigens ist sein Ruf in England sehr vortheilhaft begründet. Französisch spricht er mehr gut, als leicht; Paris kennt er genau. Du weißt vielleicht, daß er unsere Revolution gegen Burke vertheidigt hat, und seine Stimme hat sich im Parlament unaufhörlich zu Gunsten der Sache der Unabhängigkeit der Nationen und der gesellschaftlichen Verbesserungen erhoben. Hr. Austin und seine Familie, ein junger, noch wenig gekannter Advocat, aber ein sehr denkender Kopf und Schüler von Hr. Bentham, zu welchen er und seine Frau in sehr genauen Verhältnissen stehen. Sie ist eine Frau von ganz vorzüglichem Charakter, für eine Frau außerordentlich gebildet, aber um nichtsdestoweniger äußerst liebenswürdig. Sie hat sich mir zu englischen Stunden erboten, ich mache aber sehr wenig Gebrauch davon, trotz des Reizes, welchen die Stunden von einer Frau von 27-28 Jahren, mit einer sehr angenehmen Figur, bieten könnten. Es ist eine interessante Bekanntschaft, welche ich sorgfältig benutzen werde, und das ist Alles. Hr. Benthams bizarrer Charakter und die Schwierigkeit, sich ihm zu nähern, sind sehr bekannte Dinge. Hr. Bowring ist sein Liebling; aber diesen habe ich noch sehr wenig gesehen. In kurzem hoffe ich auch Hr. Wilberforce und Hr. Brougham kennen zu lernen. Von einigen Radicalen habe ich mehrere Einladungen erhalten; aber ich halte es nicht für angemessen, mich in zu intimen Beziehungen mit der ultraradicalen Partei zu zeigen." ... "10 Dec. 1822. Ich habe Nachrichten von meiner Frau erhalten; sie und unsere Kinder befinden sich vortrefflich; aber mein ältester Junge, Theodor, macht mir Unruhe; er hat Unterricht, Aufsicht nöthig; mit Einem Wort, er bedarf seines Vaters, und gleichwohl ist es mir unmöglich, ihn zu mir zu bescheiden. Meine schwachen Geldmittel erschöpfen sich reißend schnell." ... "25 Dec. 1822. Mit welchem Rechte fürchtete ich England! aber ich achte es darum um nichts weniger." .... "12 Febr. 1823. Ich denke durchaus nicht an Portugal oder Spanien, wohin Collegno gegangen ist. Meine politischen Grundsätze rufen mich in keiner Weise dorthin." ... "14 April 1823. Ich hoffe bald aufs Land zu gehen. Es ist mir absolut unmöglich, in England zu arbeiten, Visiten zu machen und zu empfangen; mehrere Diners die Woche; den halben Tag auf den Straßen Londons, welche kein Ende nehmen; eine Reihe von Soirees a table, wo Bouteillen an mir vorbei defiliren, die ich nicht anrühre; kurz, ich lese höchstens ein wenig, mache Notizen, und arbeite nicht. Aber ich schwöre dir, diese Lebensart führe ich nicht fort, lieber will ich mich in irgend einen Winkel im Walliserland begraben.... Man hat in Barcelona eine Erklärung im Namen des italienischen Corps gedruckt, ohne Unterschrift, worin ich mit unbeschreiblicher Bosheit beschuldigt werde, die Theilnahme an dieser Expedition aus meiner unwürdigen Gründen verweigert zu haben. Ich glaube, auf eine solche anonyme Schrift nicht antworten zu dürfen. Aber du wirst zugeben, daß das sehr betrübend ist. Mir würde jene Art von Muth, welche ein rechtschaffener Mann gegen die Verleumdung braucht, nicht fehlen. Was mich hauptsächlich betrübt, das ist der Schaden, der daraus für eine Partei erwächst, welche ich dem Vaterlande nicht vorziehe
Wir müssen diese schon von Hrn. Cousin sehr zusammengedrängten Auszüge noch mehr beschränken. Doch sind solche Fragmente aus dem Leben eines Verbannten jener Zeit immerhin interessant: sie zeichnen mit ein paar Pinselstrichen oft so viel, als die umständlichste historische Recapitulation vermöchte, während sie zugleich Blicke in das Gemüth derer werfen lassen, die man mit dem flachen Namen eines neueren Liberalen gezeichnet zu haben glaubt, während sie mit hundert geheimen Fäden an der Tradition des Vaterhauses, an der Sitte und Geschichte des Vaterlandes hängen und sich im tiefsten Herzen zurückgestoßen fühlen von Genossen, mit denen sie nichts gemein haben als das Scheitern ihrer Zukunftsplane und den Haß der Gegenpartei. Es liegt darin eine ernste Mahnung, aber sie wird überhört werden von denen, die nur der Stimme der Parteileidenschaft folgen. „Beunruhige dich (schreibt er unterm 26 Nov.) nicht zu sehr, oder vielmehr beunruhige dich recht ernsthaft, der du weißt und fühlst, daß das ganze Leben in der innern Existenz ruht. Ich habe Tage gehabt, wo ich mich ernsthaft für verloren hielt. Guter Gott! heißt das nicht sich sterben sehen? Im Grunde habe ich England nichts vorzuwerfen, sondern meiner Lebensart. Besuche machen und empfangen, Wege ohne Bedeutung von einem Ende der Stadt zum andern; die Nothwendigkeit, Englisch zu lernen, und ein entschiedenes Widerstreben, mir die Mühe zu geben; eine beunruhigende Zukunft, wenn ich meine Fähigkeiten nicht benutze; Ausgaben, welche bei weitem meine Mittel übersteigen! ... Jetzt will ich dir noch Einiges von den Bekanntschaften sagen, welche ich in London gemacht habe. Obenan steht Hr. James Mackintosh, Whigmitglied des Parlaments, Schwager von Sismondi und Jeffrey und Hauptredacteur der Edinburgh-Review. Eine mir unermeßlich scheinende Bildung und eine sehr aufgeklärte politische Philosophie charakterisiren, wenn ich anders urtheilsfähig bin, Hrn. Mackintosh. Uebrigens ist sein Ruf in England sehr vortheilhaft begründet. Französisch spricht er mehr gut, als leicht; Paris kennt er genau. Du weißt vielleicht, daß er unsere Revolution gegen Burke vertheidigt hat, und seine Stimme hat sich im Parlament unaufhörlich zu Gunsten der Sache der Unabhängigkeit der Nationen und der gesellschaftlichen Verbesserungen erhoben. Hr. Austin und seine Familie, ein junger, noch wenig gekannter Advocat, aber ein sehr denkender Kopf und Schüler von Hr. Bentham, zu welchen er und seine Frau in sehr genauen Verhältnissen stehen. Sie ist eine Frau von ganz vorzüglichem Charakter, für eine Frau außerordentlich gebildet, aber um nichtsdestoweniger äußerst liebenswürdig. Sie hat sich mir zu englischen Stunden erboten, ich mache aber sehr wenig Gebrauch davon, trotz des Reizes, welchen die Stunden von einer Frau von 27-28 Jahren, mit einer sehr angenehmen Figur, bieten könnten. Es ist eine interessante Bekanntschaft, welche ich sorgfältig benutzen werde, und das ist Alles. Hr. Benthams bizarrer Charakter und die Schwierigkeit, sich ihm zu nähern, sind sehr bekannte Dinge. Hr. Bowring ist sein Liebling; aber diesen habe ich noch sehr wenig gesehen. In kurzem hoffe ich auch Hr. Wilberforce und Hr. Brougham kennen zu lernen. Von einigen Radicalen habe ich mehrere Einladungen erhalten; aber ich halte es nicht für angemessen, mich in zu intimen Beziehungen mit der ultraradicalen Partei zu zeigen.“ ... „10 Dec. 1822. Ich habe Nachrichten von meiner Frau erhalten; sie und unsere Kinder befinden sich vortrefflich; aber mein ältester Junge, Theodor, macht mir Unruhe; er hat Unterricht, Aufsicht nöthig; mit Einem Wort, er bedarf seines Vaters, und gleichwohl ist es mir unmöglich, ihn zu mir zu bescheiden. Meine schwachen Geldmittel erschöpfen sich reißend schnell.“ ... „25 Dec. 1822. Mit welchem Rechte fürchtete ich England! aber ich achte es darum um nichts weniger.“ .... „12 Febr. 1823. Ich denke durchaus nicht an Portugal oder Spanien, wohin Collegno gegangen ist. Meine politischen Grundsätze rufen mich in keiner Weise dorthin.“ ... „14 April 1823. Ich hoffe bald aufs Land zu gehen. Es ist mir absolut unmöglich, in England zu arbeiten, Visiten zu machen und zu empfangen; mehrere Diners die Woche; den halben Tag auf den Straßen Londons, welche kein Ende nehmen; eine Reihe von Soirées à table, wo Bouteillen an mir vorbei defiliren, die ich nicht anrühre; kurz, ich lese höchstens ein wenig, mache Notizen, und arbeite nicht. Aber ich schwöre dir, diese Lebensart führe ich nicht fort, lieber will ich mich in irgend einen Winkel im Walliserland begraben.... Man hat in Barcelona eine Erklärung im Namen des italienischen Corps gedruckt, ohne Unterschrift, worin ich mit unbeschreiblicher Bosheit beschuldigt werde, die Theilnahme an dieser Expedition aus meiner unwürdigen Gründen verweigert zu haben. Ich glaube, auf eine solche anonyme Schrift nicht antworten zu dürfen. Aber du wirst zugeben, daß das sehr betrübend ist. Mir würde jene Art von Muth, welche ein rechtschaffener Mann gegen die Verleumdung braucht, nicht fehlen. 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Weder er noch ich hatten damals dieses schreckliche Vorgefühl; er war gefaßt in dem Bewußtseyn, eine Pflicht zu erfüllen, und ich fürchtete, einer Art Egoismus nachzugeben, wenn ich ihn in Frankreich zurückzuhalten versuchte, mitten unter dem Argwohn und den Tracasserien der Polizei; und dennoch erfüllte für mich ein geheimer Instinct diese verhängnißvolle Stunde, wo es mir war, als wenn ich ihn für immer verlöre, mit einer unbeschreiblichen Bitterkeit. Wir wechselten nur wenige Worte, und ich begleitete ihn schweigend zur Post, welche ihn weit von mir wegführte. Bald hatte er Frankreich verlassen, für das er geboren war, und wie verloren fand er sich in jener großen Wüste Londons, ohne Geld, ohne Hülfsmittel, ohne einen einzigen wirklichen Freund, er, der nur leben konnte, um zu lieben oder zu handeln! Nach den ersten Augenblicken unruhiger Thätigkeit, um sich eine erträgliche Lage zu bereiten, verfiel der Unglückliche bald in eine tiefe Melancholie, welche ihn zu Zeiten verließ, um bald wiederzukehren, bis endlich die Langeweile dieses bald einsiedlerischen, bald zerstreuten Lebens ihn zu dem großartigen und verderblichen Entschluß brachte, welcher ihn noch einmal auf einen Augenblick mit einigem Eclat auf die Weltbühne zurückführte, ehe er davon auf immer abtrat. Während des Aufenthalts Santa-Rosa's in England blieb unsere Correspondenz intim, ernsthaft und zärtlich, wie sie es stets gewesen; aber sie konnte nur sehr monoton seyn, da sie einzig von freundschaftlichen Gefühlen, fehlgeschlagenen Entwürfen, trügerischen Hoffnungen gefüllt ist – ein trauriges Bild, welches ich mir selbst ersparen will; auch will ich nur Bruchstücke der Briefe Santa-Rosa's anführen, um eine Idee von dem Zustande seines Innern zu geben.“</p><lb/> <p>Wir müssen diese schon von Hrn. Cousin sehr zusammengedrängten Auszüge noch mehr beschränken. Doch sind solche Fragmente aus dem Leben eines Verbannten jener Zeit immerhin interessant: sie zeichnen mit ein paar Pinselstrichen oft so viel, als die umständlichste historische Recapitulation vermöchte, während sie zugleich Blicke in das Gemüth derer werfen lassen, die man mit dem flachen Namen eines neueren Liberalen gezeichnet zu haben glaubt, während sie mit hundert geheimen Fäden an der Tradition des Vaterhauses, an der Sitte und Geschichte des Vaterlandes hängen und sich im tiefsten Herzen zurückgestoßen fühlen von Genossen, mit denen sie nichts gemein haben als das Scheitern ihrer Zukunftsplane und den Haß der Gegenpartei. Es liegt darin eine ernste Mahnung, aber sie wird überhört werden von denen, die nur der Stimme der Parteileidenschaft folgen.</p><lb/> <p>„Beunruhige dich (schreibt er unterm 26 Nov.) nicht zu sehr, oder vielmehr beunruhige dich recht ernsthaft, der du weißt und fühlst, daß das ganze Leben in der innern Existenz ruht. Ich habe Tage gehabt, wo ich mich ernsthaft für verloren hielt. Guter Gott! heißt das nicht sich sterben sehen? Im Grunde habe ich England nichts vorzuwerfen, sondern meiner Lebensart. Besuche machen und empfangen, Wege ohne Bedeutung von einem Ende der Stadt zum andern; die Nothwendigkeit, Englisch zu lernen, und ein entschiedenes Widerstreben, mir die Mühe zu geben; eine beunruhigende Zukunft, wenn ich meine Fähigkeiten nicht benutze; Ausgaben, welche bei weitem meine Mittel übersteigen! ... Jetzt will ich dir noch Einiges von den Bekanntschaften sagen, welche ich in London gemacht habe. Obenan steht Hr. James Mackintosh, Whigmitglied des Parlaments, Schwager von Sismondi und Jeffrey und Hauptredacteur der Edinburgh-Review. Eine mir unermeßlich scheinende Bildung und eine sehr aufgeklärte politische Philosophie charakterisiren, wenn ich anders urtheilsfähig bin, Hrn. Mackintosh. Uebrigens ist sein Ruf in England sehr vortheilhaft begründet. Französisch spricht er mehr gut, als leicht; Paris kennt er genau. Du weißt vielleicht, daß er unsere Revolution gegen Burke vertheidigt hat, und seine Stimme hat sich im Parlament unaufhörlich zu Gunsten der Sache der Unabhängigkeit der Nationen und der gesellschaftlichen Verbesserungen erhoben. Hr. Austin und seine Familie, ein junger, noch wenig gekannter Advocat, aber ein sehr denkender Kopf und Schüler von Hr. Bentham, zu welchen er und seine Frau in sehr genauen Verhältnissen stehen. Sie ist eine Frau von ganz vorzüglichem Charakter, für eine Frau außerordentlich gebildet, aber um nichtsdestoweniger äußerst liebenswürdig. Sie hat sich mir zu englischen Stunden erboten, ich mache aber sehr wenig Gebrauch davon, trotz des Reizes, welchen die Stunden von einer Frau von 27-28 Jahren, mit einer sehr angenehmen Figur, bieten könnten. Es ist eine interessante Bekanntschaft, welche ich sorgfältig benutzen werde, und das ist Alles. Hr. Benthams bizarrer Charakter und die Schwierigkeit, sich ihm zu nähern, sind sehr bekannte Dinge. Hr. Bowring ist sein Liebling; aber diesen habe ich noch sehr wenig gesehen. In kurzem hoffe ich auch Hr. Wilberforce und Hr. Brougham kennen zu lernen. Von einigen Radicalen habe ich mehrere Einladungen erhalten; aber ich halte es nicht für angemessen, mich in zu intimen Beziehungen mit der ultraradicalen Partei zu zeigen.“ ... „10 Dec. 1822. Ich habe Nachrichten von meiner Frau erhalten; sie und unsere Kinder befinden sich vortrefflich; aber mein ältester Junge, Theodor, macht mir Unruhe; er hat Unterricht, Aufsicht nöthig; mit Einem Wort, er bedarf seines Vaters, und gleichwohl ist es mir unmöglich, ihn zu mir zu bescheiden. Meine schwachen Geldmittel erschöpfen sich reißend schnell.“ ... „25 Dec. 1822. Mit welchem Rechte fürchtete ich England! aber ich achte es darum um nichts weniger.“ .... „12 Febr. 1823. Ich denke durchaus nicht an Portugal oder Spanien, wohin Collegno gegangen ist. Meine politischen Grundsätze rufen mich in keiner Weise dorthin.“ ... „14 April 1823. Ich hoffe bald aufs Land zu gehen. Es ist mir absolut unmöglich, in England zu arbeiten, Visiten zu machen und zu empfangen; mehrere Diners die Woche; den halben Tag auf den Straßen Londons, welche kein Ende nehmen; eine Reihe von Soirées à table, wo Bouteillen an mir vorbei defiliren, die ich nicht anrühre; kurz, ich lese höchstens ein wenig, mache Notizen, und arbeite nicht. Aber ich schwöre dir, diese Lebensart führe ich nicht fort, lieber will ich mich in irgend einen Winkel im Walliserland begraben.... Man hat in Barcelona eine Erklärung im Namen des italienischen Corps gedruckt, ohne Unterschrift, worin ich mit unbeschreiblicher Bosheit beschuldigt werde, die Theilnahme an dieser Expedition aus meiner unwürdigen Gründen verweigert zu haben. Ich glaube, auf eine solche anonyme Schrift nicht antworten zu dürfen. Aber du wirst zugeben, daß das sehr betrübend ist. Mir würde jene Art von Muth, welche ein rechtschaffener Mann gegen die Verleumdung braucht, nicht fehlen. Was mich hauptsächlich betrübt, das ist der Schaden, der daraus für eine Partei erwächst, welche ich dem Vaterlande nicht vorziehe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [1379/0012]
ward seine Sehnsucht nach größerer Freiheit unbezwinglich; nicht die eifrigsten Studien, nicht die Freundschaft Cousins, Sismondi's und Fabviers vermochten ihn mehr über seine Verbannung aus Paris, „das ihm so lieb geworden“, zu trösten. Endlich erhielt er Pässe nach England. In Begleitung eines Gendarmen reiste er über Paris nach Calais. Cousin erzählt darüber: „Santa-Rosa hatte Recht; wir konnten uns kaum einige Minuten sehen bei seiner Durchreise durch Paris. Es wurde ihm gestattet, sich zu mir mit einem Gendarmen zu verfügen, und vor diesem Gendarmen sagten wir uns ein Lebewohl, welches ewig seyn sollte. Weder er noch ich hatten damals dieses schreckliche Vorgefühl; er war gefaßt in dem Bewußtseyn, eine Pflicht zu erfüllen, und ich fürchtete, einer Art Egoismus nachzugeben, wenn ich ihn in Frankreich zurückzuhalten versuchte, mitten unter dem Argwohn und den Tracasserien der Polizei; und dennoch erfüllte für mich ein geheimer Instinct diese verhängnißvolle Stunde, wo es mir war, als wenn ich ihn für immer verlöre, mit einer unbeschreiblichen Bitterkeit. Wir wechselten nur wenige Worte, und ich begleitete ihn schweigend zur Post, welche ihn weit von mir wegführte. Bald hatte er Frankreich verlassen, für das er geboren war, und wie verloren fand er sich in jener großen Wüste Londons, ohne Geld, ohne Hülfsmittel, ohne einen einzigen wirklichen Freund, er, der nur leben konnte, um zu lieben oder zu handeln! Nach den ersten Augenblicken unruhiger Thätigkeit, um sich eine erträgliche Lage zu bereiten, verfiel der Unglückliche bald in eine tiefe Melancholie, welche ihn zu Zeiten verließ, um bald wiederzukehren, bis endlich die Langeweile dieses bald einsiedlerischen, bald zerstreuten Lebens ihn zu dem großartigen und verderblichen Entschluß brachte, welcher ihn noch einmal auf einen Augenblick mit einigem Eclat auf die Weltbühne zurückführte, ehe er davon auf immer abtrat. Während des Aufenthalts Santa-Rosa's in England blieb unsere Correspondenz intim, ernsthaft und zärtlich, wie sie es stets gewesen; aber sie konnte nur sehr monoton seyn, da sie einzig von freundschaftlichen Gefühlen, fehlgeschlagenen Entwürfen, trügerischen Hoffnungen gefüllt ist – ein trauriges Bild, welches ich mir selbst ersparen will; auch will ich nur Bruchstücke der Briefe Santa-Rosa's anführen, um eine Idee von dem Zustande seines Innern zu geben.“
Wir müssen diese schon von Hrn. Cousin sehr zusammengedrängten Auszüge noch mehr beschränken. Doch sind solche Fragmente aus dem Leben eines Verbannten jener Zeit immerhin interessant: sie zeichnen mit ein paar Pinselstrichen oft so viel, als die umständlichste historische Recapitulation vermöchte, während sie zugleich Blicke in das Gemüth derer werfen lassen, die man mit dem flachen Namen eines neueren Liberalen gezeichnet zu haben glaubt, während sie mit hundert geheimen Fäden an der Tradition des Vaterhauses, an der Sitte und Geschichte des Vaterlandes hängen und sich im tiefsten Herzen zurückgestoßen fühlen von Genossen, mit denen sie nichts gemein haben als das Scheitern ihrer Zukunftsplane und den Haß der Gegenpartei. Es liegt darin eine ernste Mahnung, aber sie wird überhört werden von denen, die nur der Stimme der Parteileidenschaft folgen.
„Beunruhige dich (schreibt er unterm 26 Nov.) nicht zu sehr, oder vielmehr beunruhige dich recht ernsthaft, der du weißt und fühlst, daß das ganze Leben in der innern Existenz ruht. Ich habe Tage gehabt, wo ich mich ernsthaft für verloren hielt. Guter Gott! heißt das nicht sich sterben sehen? Im Grunde habe ich England nichts vorzuwerfen, sondern meiner Lebensart. Besuche machen und empfangen, Wege ohne Bedeutung von einem Ende der Stadt zum andern; die Nothwendigkeit, Englisch zu lernen, und ein entschiedenes Widerstreben, mir die Mühe zu geben; eine beunruhigende Zukunft, wenn ich meine Fähigkeiten nicht benutze; Ausgaben, welche bei weitem meine Mittel übersteigen! ... Jetzt will ich dir noch Einiges von den Bekanntschaften sagen, welche ich in London gemacht habe. Obenan steht Hr. James Mackintosh, Whigmitglied des Parlaments, Schwager von Sismondi und Jeffrey und Hauptredacteur der Edinburgh-Review. Eine mir unermeßlich scheinende Bildung und eine sehr aufgeklärte politische Philosophie charakterisiren, wenn ich anders urtheilsfähig bin, Hrn. Mackintosh. Uebrigens ist sein Ruf in England sehr vortheilhaft begründet. Französisch spricht er mehr gut, als leicht; Paris kennt er genau. Du weißt vielleicht, daß er unsere Revolution gegen Burke vertheidigt hat, und seine Stimme hat sich im Parlament unaufhörlich zu Gunsten der Sache der Unabhängigkeit der Nationen und der gesellschaftlichen Verbesserungen erhoben. Hr. Austin und seine Familie, ein junger, noch wenig gekannter Advocat, aber ein sehr denkender Kopf und Schüler von Hr. Bentham, zu welchen er und seine Frau in sehr genauen Verhältnissen stehen. Sie ist eine Frau von ganz vorzüglichem Charakter, für eine Frau außerordentlich gebildet, aber um nichtsdestoweniger äußerst liebenswürdig. Sie hat sich mir zu englischen Stunden erboten, ich mache aber sehr wenig Gebrauch davon, trotz des Reizes, welchen die Stunden von einer Frau von 27-28 Jahren, mit einer sehr angenehmen Figur, bieten könnten. Es ist eine interessante Bekanntschaft, welche ich sorgfältig benutzen werde, und das ist Alles. Hr. Benthams bizarrer Charakter und die Schwierigkeit, sich ihm zu nähern, sind sehr bekannte Dinge. Hr. Bowring ist sein Liebling; aber diesen habe ich noch sehr wenig gesehen. In kurzem hoffe ich auch Hr. Wilberforce und Hr. Brougham kennen zu lernen. Von einigen Radicalen habe ich mehrere Einladungen erhalten; aber ich halte es nicht für angemessen, mich in zu intimen Beziehungen mit der ultraradicalen Partei zu zeigen.“ ... „10 Dec. 1822. Ich habe Nachrichten von meiner Frau erhalten; sie und unsere Kinder befinden sich vortrefflich; aber mein ältester Junge, Theodor, macht mir Unruhe; er hat Unterricht, Aufsicht nöthig; mit Einem Wort, er bedarf seines Vaters, und gleichwohl ist es mir unmöglich, ihn zu mir zu bescheiden. Meine schwachen Geldmittel erschöpfen sich reißend schnell.“ ... „25 Dec. 1822. Mit welchem Rechte fürchtete ich England! aber ich achte es darum um nichts weniger.“ .... „12 Febr. 1823. Ich denke durchaus nicht an Portugal oder Spanien, wohin Collegno gegangen ist. Meine politischen Grundsätze rufen mich in keiner Weise dorthin.“ ... „14 April 1823. Ich hoffe bald aufs Land zu gehen. Es ist mir absolut unmöglich, in England zu arbeiten, Visiten zu machen und zu empfangen; mehrere Diners die Woche; den halben Tag auf den Straßen Londons, welche kein Ende nehmen; eine Reihe von Soirées à table, wo Bouteillen an mir vorbei defiliren, die ich nicht anrühre; kurz, ich lese höchstens ein wenig, mache Notizen, und arbeite nicht. Aber ich schwöre dir, diese Lebensart führe ich nicht fort, lieber will ich mich in irgend einen Winkel im Walliserland begraben.... Man hat in Barcelona eine Erklärung im Namen des italienischen Corps gedruckt, ohne Unterschrift, worin ich mit unbeschreiblicher Bosheit beschuldigt werde, die Theilnahme an dieser Expedition aus meiner unwürdigen Gründen verweigert zu haben. Ich glaube, auf eine solche anonyme Schrift nicht antworten zu dürfen. Aber du wirst zugeben, daß das sehr betrübend ist. Mir würde jene Art von Muth, welche ein rechtschaffener Mann gegen die Verleumdung braucht, nicht fehlen. Was mich hauptsächlich betrübt, das ist der Schaden, der daraus für eine Partei erwächst, welche ich dem Vaterlande nicht vorziehe
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